Nura Mahalbašić, BA BA
Eingliederung in die österreichische Gesellschaft.
Eine empirische Untersuchung bosniakischer MigrantInnen der ersten
und zweiten Generation.
Masterarbeit
Zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der
Studienrichtung Global Studies an der Karl-Franzens-Universität Graz
Begutachterin:
Ao.Univ.-Prof. Dr.phil Karin Maria Schmidlechner-Lienhart
Institut:
Institut für Geschichte
Graz, Mai 2019
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe
verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder
inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in
gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde
vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der
eingereichten elektronischen Version.
Graz, Mai 2019 ……………………………………….
Nura Mahalbašić
Danksagung
Ich möchte mich bei all jenen bedanken, die mich im Laufe der Erstellung dieser Masterarbeit
tatkräftig unterstützt haben.
Zuallererst möchte ich mich bei Frau AO. Univ.-Prof.in Dr.in phil. Schmidlechner-Lienhart für
die Betreuung meiner Masterarbeit, für die freundliche und engagierte Unterstützung und die
hilfreichen und konstruktiven Rückmeldungen bedanken.
Ein großes Dankeschön möchte ich meinen InterviewpartnerInnen aussprechen, die mir ihre
freie Zeit zur Verfügung gestellt haben und mir einen tiefen Einblick in ihre persönlichen
Erfahrungen gegeben haben. Ohne diese Bereitwilligkeit hätte diese Masterarbeit nicht
zustande kommen können.
Ich möchte mich besonders bei meinem Bruder bedanken, der mir mit seinen motivierenden
Worten und Taten immer zur Seite stand. Danke, dass du stets ein offenes Ohr für meine Sorgen
und Probleme hast!
Zu guter Letzt möchte ich meinen Eltern für ihre Unterstützung während meines gesamten
Studienverlaufes vom Herzen danken. Durch sie wurde mir dieses Studium erst ermöglicht.
Danke, dass ihr mir bei Schwierigkeiten jeglicher Art immer zur Seite steht. Ohne euch wäre
das alles nicht möglich gewesen!
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ..................................................................................................................... 1
2. Theorie.......................................................................................................................... 4
2.1 Migration ................................................................................................................ 4
2.1.1 Definition und Geschichte ............................................................................... 4
2.1.2 Anfänge der Migrationsforschung ................................................................... 6
2.1.3 Migrationsformen ............................................................................................ 8
2.1.3.1 Binnenmigration ...................................................................................... 9
2.1.3.2 Grenzüberschreitende Migration .............................................................. 9
2.1.3.3 Arbeitsmigration .....................................................................................10
2.1.3.4 Erzwungene Migration ............................................................................11
2.2 Integration ...........................................................................................................13
2.2.1 allgemein: Was ist Integration? ......................................................................13
2.2.2 Integrationskonzepte bzw. -ansätze ................................................................14
2.2.2.1 Assimilationstheorien .............................................................................15
2.2.2.2 Multikulturalismus ..................................................................................29
2.2.2.3 Transnationalismus .................................................................................32
3. Fakten ..........................................................................................................................36
3.1 Bosnien & Hercegovina .........................................................................................36
3.1.1 Das Ende Jugoslawiens ..................................................................................36
3.1.2 Der Bosnienkrieg ...........................................................................................39
3.1.3 Die Flucht ......................................................................................................42
3.2 Österreich als Aufnahmeland .................................................................................45
3.2.1 Migrationsgeschichte und -politik ..................................................................45
3.2.2 Einreise nach Österreich .................................................................................49
3.2.3 Rechtliche Situation der Zugewanderten.........................................................51
3.2.3.1 Zugang zum Arbeitsmarkt.......................................................................55
3.2.3.2 Integrationsmaßnahmen ..........................................................................57
4. Empirie .....................................................................................................................60
4.1 Methode ................................................................................................................60
4.1.1 Empirische Sozialforschung ...........................................................................60
4.1.2 Qualitative Sozialforschung............................................................................61
4.1.3 Leitfadeninterviews ........................................................................................61
4.2 Forschungverlauf ...................................................................................................63
4.2.1 Interviewsituation ...........................................................................................63
4.2.2 InterviewpartnerInnen ....................................................................................64
4.3 Auswertung ...........................................................................................................66
4.3.1 Erste Generation .............................................................................................66
4.3.2 Zweite Generation ..........................................................................................80
4.3.3 Vergleich der Generationen ............................................................................90
5. Fazit .............................................................................................................................93
6. Literatur- und Quellenverzeichnis ................................................................................96
7. Internetquellen ........................................................................................................... 100
8. Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... 102
9. Anhang ...................................................................................................................... 103
9.1 Transkriptionen ................................................................................................... 103
Familie 1 ............................................................................................................... 103
Omer ........................................................................................................... 103
Maida .......................................................................................................... 105
Naila ............................................................................................................ 110
Naza ............................................................................................................ 116
Familie 2 ............................................................................................................... 120
Enis ............................................................................................................. 120
Mineta ......................................................................................................... 125
Elma ............................................................................................................ 132
Ina ............................................................................................................... 137
Familie 3 ............................................................................................................... 141
Nezir ............................................................................................................ 141
Seida ............................................................................................................ 143
Nadia ........................................................................................................... 146
Almasa ........................................................................................................ 149
Emina .......................................................................................................... 152
1
1. Einleitung
Migration und Integration ist ein wichtiges Thema, welches stark in der Politik, in den Medien
aber auch im Alltag thematisiert wird. Österreich ist seit langer Zeit ein Einwanderungsland, da
viele MigrantInnen es als ein Land mit guten Perspektiven und Zukunftschancen ansehen. Laut
Statistik Austria lebten im Jahr 2017 rund 1,97 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund
in Österreich. Insgesamt entspricht das einem Anteil von 23% der Gesamtbevölkerung. 1,47
Millionen Menschen zählen hierbei zur ersten Generation, da sie im Ausland geboren wurden.
Die restlichen 500.000 Personen sind in Österreich geboren und zählen somit zur zweiten
Generation. Obwohl im Jahr 2017 weniger Menschen ins Land eingewandert sind als im Jahr
zuvor und eine starke Tendenz nach unten besteht, scheint das Thema der Migration in der
österreichischen Gesellschaft noch immer großes Interesse zu wecken.1
Im Zentrum dieser Arbeit steht die Integration bzw. Eingliederung von MigrantInnen erster und
zweiter Generation in Österreich. Hierbei geht es vor allem darum, herauszufinden inwiefern
sich die Eingliederung in die Gesellschaft zwischen der ersten und zweiten Generation von
MigrantInnen unterscheidet. Integration geschieht in unterschiedlichen Bereichen des
alltäglichen Lebens. Deshalb soll auch auf einige Bereiche wie soziales Leben, Bildung und
Beruf eingegangen werden. Da eine allgemeine Untersuchung von MigrantInnen
unterschiedlicher Herkünfte zu umfangreich wäre, konzentriert sich diese Arbeit auf die
bosniakischen Flüchtlinge nach dem Bosnienkrieg in den 1990 Jahren. Hierbei werden die
damaligen Flüchtlinge als erste Generation und deren Nachkommen als zweite Generation
betrachtet.
Die Forschungsfragen kann man folgend formulieren: Bestehen Unterschiede in der
Eingliederung zwischen der ersten und zweiten Generation bosniakischer MigrantInnen in die
österreichische Gesellschaft? Welche Unterschiede können festgestellt werden? Welche Rolle
spielt die Intensität der Verbundenheit zur Herkunftsgesellschaft bei der Eingliederung in die
Aufnahmegesellschaft? Wie sieht die Eingliederung der MigrantInnen im Bereich Bildung
bzw. Beruf und wie im alltäglichen Leben aus?
1 STATISTIK AUSTRIA, Migration und Integration. Zahlen, Daten, Indikatoren. 2018. In: https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Integration/Integrationsbericht_2018/Statistis
ches_Jahrbuch_2018.pdf (am 14.04.2019) S. 8-9.
2
Die aufgestellten Thesen zu dieser Arbeit werden im Folgenden aufgelistet:
1. Für die erste Generation erweist sich die Eingliederung in die österreichische Gesellschaft
als schwieriger, als für die zweite Generation!
2. Die erste Generation pflegt eine stärkere Beziehung mit dem Herkunftsland als die zweite
Generation. Dies hat die Eingliederung der ersten Generation negativ beeinflusst!
3. Die zweite Generation besitzt eine höhere Bildung und einen höhergestellten Beruf als die
erste Generation!
Diese Arbeit gliedert sich in einen theoretischen, einen faktischen und einen empirischen Teil.
Im ersten Kapitel des theoretischen Teils wird Migration zunächst allgemein erläutert. Hierbei
wird eine detaillierte Definition des Begriffes der Migration bereitgestellt und im Anschluss
wird ein kurzer Einblick in die Geschichte der Migration geliefert. In weiterer Folge beschäftigt
sich dieses Kapitel mit der Migrationsforschung. Abschließend werden unterschiedliche
Formen der Migration dargestellt, wobei besonderen Wert auf die erzwungene Migration bzw.
Flucht gelegt wird. Im zweiten Kapitel des theoretischen Teils steht die Integration im
Mittelpunkt. Zu Beginn wird der Begriff der Integration allgemein erläutert. Darauffolgend
werden unterschiedliche Konzepte und Theorien der Integration vorgestellt. Neben der
Assimilationstheorie werden auch die Konzepte des Multikulturalismus und des
Transnationalismus näher beleuchtet.
Im ersten Kapitel des faktischen Teiles dieser Arbeit wird auf Bosnien und Herzegowina näher
eingegangen. Zuerst werden die Auslöser des Zerfalls von Jugoslawien dargestellt. Weiters
wird der Bosnienkrieg behandelt. Hier werden die drei Ethnien, welche in den Krieg involviert
waren, vorgestellt. Schließlich wird auch auf die Situation von Flüchtlingen während und nach
dem Bosnienkrieg eingegangen. Das zweite Kapitel des faktischen Teils beschäftigt sich mit
Österreich als Aufnahmeland. Es wird ein kurzer Einblick in die Migrationsgeschichte und -
politik von Österreich geliefert. In weiterer Folge werden die Bestimmungen zur Einreise von
bosniakischen Flüchtlingen in den 1990er Jahren dargestellt. Das Kapitel wird mit der
rechtlichen Situation der bosniakischen Flüchtlinge abgeschlossen. Hierbei wird vor allem auf
den Zugang zum Arbeitsmarkt und die Integrationsmaßnahmen eingegangen.
3
Im empirischen Teil dieser Masterarbeit wird einleitend auf die ausgewählte Methode
Rücksicht genommen. Hierbei werden vor allem die theoretischen Grundzüge der empirischen
Sozialforschung und des Leitfadeninterviews dargelegt. Im Kapitel Forschungsverlauf wird auf
die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Leitfadeninterviews eingegangen. Es wird ein
Überblick über die Interviewsituation und die InterviewpartnerInnen geliefert. Im letzten
Kapitel der empirischen Untersuchung wird eine Auswertung der Interviews vorgenommen.
Hierbei werden die zwei Generationen separat voneinander untersucht. Schließlich wird in
einem letzten Unterkapitel ein Vergleich zwischen Generationen gezogen, bei welchem vor
allem auf die Unterschiede zwischen den Generationen Bezug genommen wird.
.
4
2. Theorie
2.1 Migration
Dieses Kapitel setzt sich mit dem Thema der Migration auseinander. Neben wichtigen
Begriffen und Definitionen von Migration, wird auch auf die Anfänge der Migrationsforschung
eingegangen. Zum Abschluss dieses Kapitels werden einige Migrationsformen vorgestellt.
2.1.1 Definition und Geschichte
Migration ist ein sehr vielfältiger Begriff, welcher keine eindeutige Definition zulässt. In der
Wissenschaft kann man viele unterschiedliche Definitionen finden. Eine abschließende
Klärung des Begriffes Migration wurde von den ForscherInnen noch nicht gefunden. Migration
vollzieht sich in unterschiedlichen Facetten und ist somit kein homogener Prozess. 2 Der
Ursprung des Wortes liegt im lateinischen Wort - migrare - und bedeutet Ortswechsel. Bei der
Migration handelt es sich also ganz allgemein um eine räumliche und soziale Ortsveränderung,
welche durch weitere zahlreiche Kriterien näher bestimmt wird. Solche Kriterien sind u.a.
Entfernung, Dauer, Zweck, Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit.3
Nach der Internationalen Organisation für MigrantInnen ist Migration:
„The movement of a person or a group of persons, either across an international border, or
within a State. It is a population movement, encompassing any kind of movement of people, whatever its length, composition and causes; it includes migration of refugees, displaced
persons, economic migrants, and persons moving for other purposes, including family
reunification.“4
Die Migration wird auf Grund der Entfernung in die Binnenmigration und in die
grenzüberschreitende Migration unterteilt. Aus der nationalen Perspektive kommt es zu einer
internationalen Migration erst durch die Überschreitung einer Staatsgrenze. Bei den zeitlichen
Kriterien der Migration unterscheiden wir permanente, kurzfristige und nicht-permanente
Migrationen. Bei der permanenten, bzw. dauerhaften Migration, handelt es sich um eine
2 HÖLLMANN André, Flucht ins ungeliebte Land. Die Asyl- und Migrationspolitik der europäischen Union. Marburg 2014, 33. 3 Hoesch, Migration und Integration. Eine Einführung. Wiesbaden 2018, 16. 4 IOM, International Organisation for Migrants, Key Migration Terms. In:
http://www.iom.int/key-migration-terms (am 05.08.2018).
5
langfristige Verlagerung des Lebensmittelpunktes. 5 Laut der UN-Nomenklatur ist eine
Migration dann permanent, wenn der Wohnsitz für mindestens ein Jahr in ein neues Land
verlegt wurde: „[…] the Definition of ´permanent immigrant´ as non-residents […] arriving
with the Intention to remain for a period exeeding a year […]“.6
Bei der kurzfristigen Migration ist die Dauer des Aufenthaltes in einem neuen Land zeitlich
begrenzt. Eine nicht-permanente Migration kann saisonal, transitiv, zirkulär oder touristisch
verlaufen. Hierbei wird der Lebensmittelpunkt nicht verändert. Jedoch muss hier erwähnt
werden, dass es eine Definitionsfrage ist, ab welcher Dauer eine Migration als permanent,
kurzfristig oder nicht-permanent betrachtet wird. 7 Höllmann betont jedoch, dass einige
WissenschaftlerInnen, wie Treibel Anette, der Meinung sind, dass kurzfristige Veränderungen
des Lebensmittelpunktes (z.B.: touristische Aufenthalte) nicht unter Migration fallen.8 Auch
die Bestimmung des Grades der Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit erweist sich in der Realität
als sehr schwierig. Oft fehlt es an Indikatoren, ob und wann es sich um eine unfreiwillige
Migration bzw. Flucht handelt, da die Risikoeinschätzungen der Menschen unterschiedlich
sind. Es kommt auch öfters zu einer Unterscheidung nach den emigrationsauslösenden
Faktoren. Hierbei werden MigrantInnen nach ihren unterschiedlichen Migrationsauslösern
unterteilt. Das sind zum Beispiel wirtschaftliche, soziale, politische, ökologische, kulturelle und
religiöse Gründe.9
Migration hat nicht nur in der heutigen Zeit große Bedeutung, sondern auch in der
Vergangenheit. Im Laufe der Geschichte können wir zahlreiche Bewegungen bzw. Migrationen
von Menschen verfolgen. Der Beginn der Migration verläuft nahezu gleichzeitig mit der
Entstehung des Menschen. Vor 1,5 Millionen Jahren begann die Verbreitung des Homo erectus
und später des Homo sapiens nach Europa und die anderen Kontinente. Als Jäger, Sammler und
Nomaden bewegte sich der Mensch aufgrund von Nahrungssuche und Schutz. Auch in der
jüngeren Vergangenheit ist der Mensch von zahlreichen Migrationen geprägt, so kam es im 18.
Jahrhundert zu erzwungenen Bewegungen von ungefähr 12 Millionen Sklaven aus Afrika. Ein
weiteres Beispiel liefert die europäische Expansion, bei welcher zahlreiche EuropäerInnen in
die jeweiligen Kolonien emigrierten. Die Industrialisierung der Vereinigten Staaten von
5 HILLMANN Felicitas, Migration. Eine Einführung aus sozialgeographischer Perspektive. Stuttgart
2016, 18-19. 6 UNITED NATIONS, Recommendations on Statistics of International Migration. Revision 1. In:
https://unstats.un.org/unsd/publication/seriesm/seriesm_58rev1e.pdf (am 19.08.2018),18. 7 HILLMANN, Migration, 2016, 18-19. 8 HÖLLMANN, Flucht ins ungeliebte Land, 2014, 24. 9 HILLMANN, Migration, 2016, 17-19
6
Amerika lieferte eine weitere Periode von Bewegungen. Viele Millionen Arbeitskräfte
emigrierten aus den wirtschaftlich stagnierten Orten des nördlichen, östlichen und südlichen
Europas. Auch die an Hunger leidenden Iren fuhren zwischen 1850 und 1930, bis zur großen
Depression, in die Vereinigten Staaten von Amerika. Es bestehen noch sehr viele weitere
Beispiele von Migrationen der Menschen, die jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen
würden. Wichtig zu erwähnen ist, dass Migration in Verbindung mit großen globalen
Phänomenen steht, wie Krieg, Revolution und Aufstieg und Fall von Reichen. Des Weiteren
kommt es auch bei politischen Transformationen und wirtschaftlichen Expansionen, aber auch
bei Konflikten, Verfolgung und Enteignung zur Migration10
2.1.2 Anfänge der Migrationsforschung
Aufgrund von unterschiedlichen ökonomischen, ökologischen, sozialen, kulturellen, aber auch
religiös-weltanschaulichen Rahmenbedingungen kam es innerhalb unserer Geschichte zu
vielen Migrationen. Da Migration sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart mehrere
Lebensbereiche durchdringt, benötigt die Migrationsforschung grundsätzlich inter- und
transdisziplinäre Forschungsansätze. Diese große Spannweite der Migrationsforschung kann
zum Beispiel an den wanderungsbestimmten Motivationen erkannt werden. Diese können in
unterschiedliche Bereiche unterteilt werden, so u. a. z.B.: wirtschaftliche, beruflich-soziale oder
umweltbedingte Bereiche.11
In diesem Kapitel werden einige historische Theorien vorgestellt, die für die
Migrationsforschung von Bedeutung waren und es teilweise noch immer sind. Seit Beginn des
19. Jahrhunderts haben WissenschaftlerInnen versucht, Wanderbewegungen der Bevölkerung
in Theorien zu fassen. Hierbei lassen sich im Groben zwei Theorieschulen voneinander
unterscheiden. Die erste Theorieschule fokussiert sich auf ökonomische Aspekte und betrachtet
die Migration in Zusammenhang mit Arbeitsmarkt, Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften.
Die zweite Theorieschule bezieht sich eher auf politische, soziologische und/oder kulturelle
Aspekte der Migration.12
10 KOSER Khalid, International Migration. A very short introduction. New York 2007, 1-3. 11 BADE Klaus, Sozialhistorische Migrationsforschung. Göttingen 2004, 27f. 12 HAHN Sylvia, Historische Migrationsforschung. Frankfurt am Main 2012, 29f.
7
Die erste Theorieschule beschäftigt sich vor allem mit der Frage, warum Menschen ihr
Herkunftsland verlassen. Ernest George Ravenstein versuchte statistische Regeln für die
Richtung und Entfernung von Wanderungen aufzustellen. Er war ein Demograph, welcher in
seinem Werk Gesetze der Wanderung die Binnenwanderung zur Zeit der Industrialisierung und
Urbanisierung in England untersuchte. 13 Ravenstein´s Gesetze beeinflussten die
Migrationsforschung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Durch sein Werk wurde Migration
nach Distanz, zeitlichen Dimensionen und Geschlecht neu klassifiziert. Ravenstein sah die
große Nachfrage an Arbeitskräften in den industriellen Zentren Europas als wichtigsten Grund
für die Migration dieser Zeit.14 Durch seine Analyse von zahlreichen statistischen Daten zu
Migrationsbewegungen in den europäischen und nordamerikanischen Ländern kam Ravenstein
zum Schluss, dass die Mehrheit der MigrantInnen nur eine kurze Entfernung in Kleinstädte
zurückgelegt hatte und bei diesen die weiblichen Migrationen überwogen. Weiter kommt es
zum Wachstum der Städte auf Kosten der Entvölkerung der ländlichen Regionen. Rabenstein
war auch der Überzeugung, dass die Migration durch die voranschreitende Entwicklung von
Infrastruktur und Industrie zunehmen wird.15 Die Theorie von Ravenstein wurde durch die
Gravitationsmodelle, welche die Wanderung zwischen Regionen vorhersagen wollen,
fortgeführt. Sie sehen die Ursache von Migrationsbewegungen in unterschiedlichen regionalen
Lohnniveaus.16
Auch in der Habsburgermonarchie konnte man Wanderbewegungen der Bevölkerung von
ärmeren in reichere Orte der Monarchie beobachten. Dieser Ansatz kann als eine frühe Form
des uns heute sehr bekannten Push-and-Pull-Modells betrachtet werden. Unter dem push-
Faktor versteht man unterschiedliche Bedingungen in den Herkunftsregionen, wie zum Beispiel
Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit, politische Konflikte usw., welche die Menschen dazu
veranlassen das Gebiet zu verlassen. Gebiete, die diese schlechten Bedingungen nicht
aufweisen und eine prosperierende Wirtschaft aufzeigen können, werden Anziehungsorte (Pull-
Faktor) für MigrantInnen. Seit den 1960er Jahren wird dieses Modell in der historischen
Migrationsforschung als Erklärungsansatz verwendet, jedoch stößt es in der gegenwärtigen
Migrationsforschung auf viel Kritik. Diesem Modell wird u.a. vorgeworfen, sich ausschließlich
auf Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften und den Lohndifferenzen der unterschiedlichen
Länder zu fokussieren. In den 1980er Jahren kamen die neoklassischen ökonomischen Theorien
13 STELTZIG-WILLUTZKI Sabina, Soziale Beziehungen im Migrationsverlauf. Brasilianische Frauen
in Deutschland. Hamburg 2011. 46f. 14 HAHN, Historische Migrationsforschung, 2012, 30-34. 15 HAN Petrus, Soziologie der Migration. 3. Auflage. Stuttgart 2010, 37-38. 16 STELZIG-WILLUTZKI, Soziale Beziehungen im Migrationsverlauf. 2011, 46f.
8
in den Vordergrund der Migrationsforschung. Für George J. Borjas war der Einbezug von
mehreren Faktoren wie zum Beispiel finanzielle Möglichkeiten, Alter, Beruf oder politische
Hintergründe in seine Untersuchungen von großer Bedeutung. Vertreter der New Economics of
Migration lehnen den neoklassischen ökonomischen Ansatz ab und sind der Meinung, dass die
These der Lohndifferenzierung als Antrieb der Migration infrage gestellt werden muss. Die
Vertreter, wie Oded Stark und Michel J. Piore, sind überzeugt, dass vielmehr Faktoren, wie
Unsicherheit, Verarmung, Risikovermeidung und die Familie bei der Migration zu
berücksichtigen sind.17
Die Weltsystemtheorie, die auf Immanuel Wallerstein zurückgeht, hat in den 1980er Jahren die
Migrationsforschung stark beeinflusst. Bei dieser Theorie steht das weltweite kapitalistische
Wirtschaftssystem im Vordergrund, welches in drei Zonen aufgeteilt wird: „die core area (das
hoch entwickelte Zentrum), die periphery (die wirtschaftlich rückständige Peripherie) sowie
die semiperiphery, eine Zwischenzone.“ 18 Diese Theorie besagt u.a., dass Arbeitskräfte,
aufgrund schlechter Verbindungen zwischen dem Zentrum und der Peripherie, oft gezielt
engagiert werden. Weiters kommt es zu einer Erneuerung des Migrationspotentials und auch
die Rolle des Staates soll berücksichtigt werden. Migration wird hier als ein System zur
Versorgung des Mangels an Arbeitskräften gesehen. Neben diesen ökonomischen
Migrationstheorien, die sich vor allem auf Arbeitsmärkte und Arbeitskräfte fokussieren, kam
es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert zu einer neuen wichtigen Ausrichtung der
Migrationsforschung. Vor allem SoziologInnen und PolitikwissenschaftlerInnen beschäftigten
sich mit der Eingliederung der MigrantInnen in den Aufnahmegesellschaften19 Dieser Teil der
Migrationsforschung wird in detaillierter Form im 4. Kapitel dieser Arbeit behandelt.
2.1.3 Migrationsformen
In diesem Unterkapitel werden einige unterschiedliche Formen der Migration vorgestellt. Hier
muss jedoch erwähnt werden, dass nicht alle Formen der Migration berücksichtigt werden
können und deshalb nur eine Auswahl bereitgestellt wird.
17 HAHN, Historische Migrationsforschung. 2012, 30-33. 18 Ebd., S.33. 19 HAHN, Historische Migrationsforschung. 2012, 34.
9
2.1.3.1 Binnenmigration
Die Binnenmigration ist die Bewegung und Relokalisierung von Menschen innerhalb
Staatsgrenzen. Menschen migrieren von einem Teil des Landes in einen anderen, mit der
Hoffnung auf ein besseres Leben.20 Obwohl die Binnenmigration quantitativ bedeutender ist,
wird sie von der Migrationsforschung in einem weitaus geringeren Rahmen behandelt als die
grenzüberschreitende Migration. Die Binnenmigration wird auf das Dreifache der weltweiten
internationalen Migration geschätzt. Die Gründe einer Migration sind bei der Binnenmigration
und der grenzüberschreitenden Migration sehr ähnlich. So kommt es bei beiden Varianten zu
Flucht, Vertreibung, Familien-, Arbeits-, Bildungs- und Heiratsmigration.21 Mit dem Aufstieg
der globalen Wirtschaft und der steigenden Bedeutung von urbanen Zentren, konnten vermehrte
Bewegungen von ruralen Gegenden in Städte beobachtet werden.22
Nach dem World Urbanization Prospect 2018, leben mehr als 55% der Weltbevölkerung in
urbanen Zentren. Seit 1950 stieg die Zahl der Bewohner urbaner Zentren von 751 Millionen
auf 4,2 Billionen. 23 Ein wichtiges Beispiel der Binnenmigration liefern uns die
innenchinesischen Bewegungen. Nach dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas in den 1980er
Jahren stieg der Anteil der BinnenmigrantInnen von 15,2 Millionen Menschen im Jahr 1987
auf 221 Millionen im Jahr 2010. Ungefähr drei Viertel der chinesischen Binnenmigration
umfasst ArbeitsmigrantInnen. Aufgrund von Lohnunterschieden und Arbeitsangeboten
wandern die Menschen in die wirtschaftlich prosperierenden Zentren, in welchen heute mehr
als die Hälfte der chinesischen Bevölkerung beheimatet sind. Von diesem Phänomen sind neben
China auch viele andere Länder, wie Brasilien und Indonesien, betroffen.24
2.1.3.2 Grenzüberschreitende Migration
Neben der Binnenmigration ist ein zweiter wichtiger Migrationstyp die grenzüberschreitende
oder internationale Migration. Genauso wie die Binnenmigration, führt auch die
grenzüberschreitende Migration zum Wachstum der Bevölkerung in urbanen Zentren der Welt.
20 HANLON Bernadette/ VICINO Thomas J., Global Migration. The Basics. New York 2014, 3. 21 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 56. 22 HANLON/ VICINO, Global Migration. 2014, 3. 23 UNITED NATIONS, World Urbanisation Prospects. The 2018 Revision. In:
https://population.un.org/wup/Publications/Files/WUP2018-KeyFacts.pdf (am 05.08.2018), 2. 24 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 57f.
10
Bei den grenzüberschreitenden MigrantInnen handelt es sich um Personen, welche in einem
anderen Land leben als sie geboren wurden. Eine generelle derzeitige Tendenz der Migration
zeigt, dass die meisten Bewegungen internationaler MigrantInnen aus weniger entwickelten
Ländern hin zu höher entwickelten Ländern geschieht und eine Süd-Nord-Bewegung dadurch
sichtbar wird.25
Der Internationale Bericht über Migration zeigt, dass die internationale Migration einen
wesentlichen Beitrag zum Bevölkerungswachstum leistet. Laut diesem Bericht wäre die
Bevölkerungszahl in Europa zwischen 2000 und 2015 ohne Migration gesunken. Stattdessen
konnte die Bevölkerung von Europa um 2 %, aufgrund der Migration wachsen. In Nord
Amerika war die internationale Migration für 42 % des Bevölkerungswachstums verantwortlich
und in Oceania für 31%.26 Die Zahl der grenzüberschreitenden MigrantInnen stieg von 220
Millionen im Jahr 2010 auf 258 Millionen im Jahr 2017. Länder mit hohem Einkommen
beheimaten fast zwei Drittel der internationalen MigrantInnen, was umgerechnet 64% oder 165
Millionen MigrantInnen ausmacht.27
2.1.3.3 Arbeitsmigration
Die Arbeitsmigration zählt zu der freiwilligen bzw. selbstbestimmten Migration. Unter
Arbeitsmigration versteht man jegliche grenzüberschreitenden Bewegungen von Menschen, die
der Erwerbstätigkeit in einem neuen bzw. anderen nationalen Arbeitsmarkt dienen. Im Laufe
der Geschichte gab es mehrere größere Arbeitsmigrationen. Eine der stärksten
Arbeitsmigrationen in Europa nach 1945 war die Gastarbeiteranwerbung, die zwischen 1950
und 1974 stattgefunden hat. Es wurden zahlreiche bilaterale Abkommen zwischen
sozioökonomischen stark entwickelten und weniger stark entwickelten Ländern abgeschlossen.
Hierbei wurden vorwiegend ungelernte Arbeitskräfte angeworben, um somit die Nachfrage der
Arbeitskräfte in den starken, industriellen Produktionen zu stillen.28
25 HANLON/ VICINO, Globale Migration. 2014, 4. 26 UNITED NATIONS, International Migrations Report 2017. Highlights. In:
http://www.un.org/en/development/desa/population/migration/publications/migrationreport/docs/Migr
ationReport2017_Highlights.pdf (am 05.08.2018), 18-19. 27 Ebd., S. 4f. 28 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 29ff.
11
Die damalige Anwerbepolitik zielte auf eine temporäre Arbeitswanderung ab. Das Ziel war es,
dass nachdem sich der Bedarf nach der Arbeitskraft verringert hatte, die MigrantInnen in ihre
Herkunftsländer zurückreisen sollten. In den Jahren 1973/74 kam es in Folge der Öl- und
Wirtschaftskrise zu einem Stopp der Anwerbepolitik. Man erhoffte sich in dieser Zeit, dass die
MigrantInnen ausreisen würden. Jedoch zeigte sich eine ganz andere Entwicklung, bei welcher
viele Arbeiter_innen, aus Furcht nicht mehr einreisen zu können, in dem Aufnahmeland blieben
und im Anschluss ihre Familien nachholten. Die Nachkriegszeit spielte eine entscheidende
Rolle für die Entwicklung der europäischen Staaten als Einwanderungsländer. Heute können
MigrantInnen jedoch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen eine Arbeitserlaubnis
erhalten.29
In der näheren Vergangenheit ist vor allem die Kategorie der hochqualifizierten Arbeitskräfte
in den Vordergrund gerückt. Immer mehr Länder reißen sich um die menschlichen Ressourcen
und einige Staaten haben sogar Sonderregelungen für diese Gruppe eingeführt, durch welche
sie privilegiert werden. Es ist wichtig zu erwähnen, dass viele WissenschaftlerInnen eine
Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger bzw. erzwungener Migration als
irreführend und nicht wirklich hilfreich für die Forschung empfinden. Auch freiwillige
Migrationen wurden häufig durch materielle und immaterielle Bestimmungsfaktoren
angetrieben. Es bestehen viele Übergangsformen zwischen der „freiwilligen“ und
„unfreiwilligen“ Wanderungsbewegung. Eine Ausnahme bildet hier die Zwangswanderung,
wie die Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung, welche im folgenden Kapitel näher
untersucht werden.30
2.1.3.4 Erzwungene Migration
Flucht ist international betrachtet ein bedeutendes Thema. Im Jahr 2017 waren 68,5 Millionen
Menschen weltweit auf der Flucht. 31 Unter Flucht versteht man eine erzwungene und
unfreiwillige Migration. Laut dem Abkommen der Genfer Flüchtlingskonvention, welches im
Jahr 1951 in Kraft trat, gilt eine Person dann als Flüchtling, wenn sie:
29 Ebd., Migration und Integration. 2018, 32ff. 30 BADE, Sozialhistorische Migrationsforschung. 2004, 29. 31 UNHCR, Statistiken. In: http://www.unhcr.org/dach/at/services/statistiken (am 05.08.2018).
12
„aus einer begründeten Furcht vor Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen
kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“ 32
Zunächst war die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf die europäischen Flüchtlinge nach dem
zweiten Weltkrieg beschränkt. Im Jahr 1967 wurde ein zusätzliches Protokoll festgeschrieben,
welches sowohl die zeitlichen als auch geografischen Rahmenbedingungen erweiterte.33
Die Definition eines Flüchtlings ist jedoch nach der Genfer Flüchtlingskonvention sehr eng
gefasst und bezieht sich nur auf Personen, die eine individuelle Verfolgung aus den genannten
Gründen nachweisen können. Menschen, die aus anderen Gründen flüchten, nicht individuell
verfolgt werden, oder bei denen keine staatlichen Akteure in der Verfolgung involviert sind,
werden über den Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention indirekt behandelt. Dieser
Artikel umfasst das Non-Refoulment-Prinzip, welches besagt, dass Menschen, unabhängig von
dem Grund ihrer Migration, nicht in ihr Heimatland zurückverwiesen werden dürfen, wenn ihr
Leben dort in Gefahr ist. Durch diesen festgeschriebenen Artikel 33 bekommen Menschen
einen subsidiären Schutzstatus.34
Die Signatarstaaten sind dazu verpflichtet diese internationalen Regelungen in ihren nationalen
Gesetzen einzubauen und zu konkretisieren. Obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention sehr
eng definiert wurde, kommt es in der Realität zu unterschiedlichen Interpretationen. So können
die Verfahren, Lebensbedingungen und Rechte der Flüchtlinge von Staat zu Staat sehr
unterschiedlich sein. Durch die in den letzten Jahren verschärfte Flüchtlingspolitik kam es zu
Verstoßen gegen internationales Recht, wie dies zum Beispiel bei Grenzschließungen, welche
keine Prüfungen von Asylgründen zuließen, der Fall war. Durch den starken Anstieg von
Flüchtlingen nach dem Ende der Sowjetunion und aufgrund der Bürgerkriege auf dem Balkan,
kam es ab den 1990er Jahren zu einem Ansehensverlust der Flüchtlinge in den OECD-Staaten.
Den Flüchtlingen wird sehr oft unterstellt, nur das Sozialsystem ausnutzen zu wollen. Jedoch
wird in vielen Studien gezeigt, dass Flüchtlinge bzw. MigrantInnen sich meistens nur in den
Arbeitsmarkt integrieren wollen.35
32 UNHCR, Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951. In:
http://www.unhcr.org/dach/wp-
content/uploads/sites/27/2017/03/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf (am 05.08.2018), Artikel 1, A/2. 33 UNHCR, Die Genfer Flüchtlingskonvention. In: http://www.unhcr.org/dach/at/ueber-uns/unser-
mandat/die-genfer-fluechtlingskonvention (am 05.08.2018). 34 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 23. 35 Ebd., Migration und Integration. 2018, 23ff.
13
Diese Art von Migration ist für diese Arbeit von großer Bedeutung, da im empirischen Teil der
Arbeit, zum Teil Menschen untersucht werden, die in Folge des Bosnien Krieges 1992-1995
nach Österreich geflüchtet sind. Diese Personen waren vor allem de-facto Flüchtlinge bzw.
erhielten subsidiären Schutz, aufgrund des im Jahr 1967 zusätzlich abgeschlossenen Protokolls
im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention.
2.2 Integration
2.2.1 allgemein: Was ist Integration?
Nach Hoesch36 ist der Begriff der Integration sehr diffus und wird häufig in unterschiedlichen
Kontexten verwendet. Hierbei ist es wichtig zu definieren, in welchem
Verwendungszusammenhang der Begriff Integration verwendet wird. Hoesch unterscheidet
zwischen wissenschaftlich-theoretischen Konzepten sowie konkreten integrationspolitischen
Ansätzen und Modellen. Des Weiteren meint sie, dass vor allem im politischen Kontext die
Unbestimmtheit des Begriffes zu Missverständnissen führt, welche oft bewusst in Kauf
genommen werden.
Integration stammt aus dem lateinischen Begriff integrare, das so viel bedeutet wie (Wieder-)
Herstellung einer Einheit. Laut Duden bestehen vier verschiedene Möglichkeiten der Definition
von Integration. Die erste Möglichkeit sieht die Integration als eine Wiederherstellung eines
Ganzen. Zweitens kann Integration als die Eingliederung in ein größeres Ganzes verstanden
werden. Drittens ist Integration ein Zustand, in dem sich etwas befindet, nachdem es integriert
worden ist. Die vierte und letzte Möglichkeit ist für diese Arbeit irrelevant und bezieht sich auf
die mathematische Berechnung eines Integrals.37
Der Begriff Integration setzte sich im öffentlichen, politischen und auch wissenschaftlichen
Diskurs durch. Es kann als Vergesellschaftung von Migrant_innen verstanden werden und
umfasst eine Vielzahl von Konnotationen, welche von Assimilation bis Multikulturalismus
reichen können. Der Integrationsbegriff etablierte sich in den europäischen Ländern
36 HOESCH: Migration und Integration. 2018, 79. 37 DUDEN, Das große Fremdwörterbuch. 1994, 643.
14
grundsätzlich und steht für einen durch die Einwanderung verursachten sozialen Wandel,
dessen Folgen schwer einzuschätzen sind.38
Im Zentrum soziologischer Forschung stehen die Formen und Mechanismen von Integration.
Integration kann im wörtlichen Sinn als gegenseitige Abhängigkeit von Teilen eines Ganzen
verstanden werden und beschreibt die Funktionsfähigkeit von Gesellschaften. Durch sich
verstärkende internationale Migrationsbewegungen begann sich die soziologische Forschung
verstärkt mit Integration zu beschäftigen. WissenschaftlerInnen unterscheiden bei der Analyse
von Integrationsprozessen zwei unterschiedliche Formen: die System- und die
Sozialintegration. Unter Systemintegration wird das Geschehen auf der Makroebene sowie die
Beziehung zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen verstanden. Die Sozialintegration umfasst
die Beziehungen zwischen Individuen und den damit verbundenen Prozessen.39
Im Laufe dieses Kapitels werden die wichtigsten theoretischen Ansätze und Konzepte der
Integration vorgestellt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass der Begriff Integration in
unterschiedlichen Kontexten und Theorien unterschiedlich aufgefasst werden kann.
Angefangen bei den unterschiedlichen Assimilationstheorien, beschäftigt sich das Kapitel mit
den Konzepten des Multikulturalismus und des Transnationalismus. Darüber hinaus wird auf
die Kritik der verschiedenen Konzepte eingegangen.
2.2.2 Integrationskonzepte bzw. -ansätze
Im Laufe der Geschichte wurden unterschiedliche Theorien in Bezug auf die Integration
entwickelt. Bei diesen Theorien unterscheiden sich die Ziele genauso wie die Zielgruppen von
Integration stark voneinander. Integration kann zum Beispiel das Ziel der Angleichung der
Verhaltensweisen, der Werte oder Praktiken an die Aufnahmegesellschaft verfolgen. Hierbei
wären die eingewanderten Personen die Zielgruppe der Integration. Integration kann aber auch
als ein Prozess aufgefasst werden, in welchem sowohl die Herkunfts- als auch
Aufnahmegesellschaft ihren Beitrag zu leisten haben. Die Integration stellt sich als ein Problem
38 AUMÜLLER Jutta, Assimilation. Kontroversen um ein emigrationspolitisches Konzept. Bielefeld 2009, 44f. 39 TELTEMANN Janna / WINDZIO Michael, Soziologische Migrations- und Integrationsforschung. In:
Debora B. MAEHLER / Heinz Ulrich BRINKMANN (Hgg.), Methoden der Migrationsforschung. Ein interdisziplinärer Forschungsleitfaden. Wiesbaden 2016, 175.
15
des Zusammenhalts der gesamten Gesellschaft dar und zielt auf Phänomene, wie z. B. soziale
Mobilität und gleiche Zugangschancen zum Bildungssystem.40 Die unterschiedlichen Theorien
der Integration werden in diesem Kapitel genauer behandelt. Dadurch wird ein Überblick über
die unterschiedlichen Auffassungen von Integration geliefert.
2.2.2.1 Assimilationstheorien
Was genau bedeutet Assimilation? Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so
viel wie „Ähnlichmachung“, „Angleichung“ und „Anpassung“. Im Kontext der Migration und
Integration wird unter Assimilation die Anpassung der Minderheitsgesellschaft bzw. der
Herkunftsgesellschaft an die Maßstäbe, Normen und Verhaltenskodizes der
Mehrheitsgesellschaft bzw. der Aufnahmegesellschaft verstanden.41 Unter Assimilation kann
außerdem eine Reduktion bzw. ein Verschwinden von Unterschieden zwischen zwei Gruppen
verstanden werden. Es ist ein Prozess, in dem kulturelle und soziale Divergenzen und
Identitäten zwischen verschiedenen Ethnien verschwimmen und letztendlich auch
verschwinden. Die Migrationsforschung versucht durch empirisch-analytische Methoden
herauszufinden, inwieweit Assimilationsprozesse tatsächlich stattfinden und welche Bedeutung
sie für die Integration haben.42
Im europäisch-historischen Kontext war das Konzept der Assimilation vor allem im 19. und 20.
Jahrhundert ein Versuch, kulturell homogene Nationen zu schaffen. Dabei stand die
Assimilation für kulturelle Unterdrückung von ethnischen und nationalen Minderheiten sowie
der Versuch, Minderheiten zur Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft zu zwingen.43 Hoesch44
ist der Meinung, dass vor allem im politischen Kontext der Begriff der Assimilation einen etwas
anrüchigen Ruf besitzt, da man eine einseitige und unreflektierte Anpassung seitens der
MigrantInnen fordert. Die Assimilationstheorien haben sich aber im Laufe der Zeit
weiterentwickelt. Das folgende Kapitel hat deswegen die unterschiedlichen Ausprägungen
bzw. Theorien der Assimilation zum Gegenstand.45
40 HOESCH: Migration und Integration. 2018, 82. 41 Ebd., S. 82. 42 HANS Silke, Theorien der Integration von Migranten. Stand und Entwicklung. Wiesbaden 2016, 27. 43 HECKMANN Friedrich, Integration von Migranten. Einwanderung und neue Nationenbildung.
Wiesbaden 2015, 75. 44 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 82. 45 Ebd., 82
16
Klassische Assimilationstheorie:
In der Soziologie wird der Begriff Assimilation durch frühe Arbeiten US-amerikansicher
Migrationssoziologen eingeführt. Schon im Jahr 1890 wurde eine wissenschaftliche
Abhandlung über die Einwanderung und speziell die Assimilation von Richmond Mayo-Smith,
dem damaligen Professor für Politische Ökonomie und Sozialwissenschaften an der Columbia
Universität in New York veröffentlicht. In dieser vertritt Mayo-Smith die Meinung, dass
Integration durch die sprachliche, politische und ideelle Amerikanisierung von Einwanderern
stattfinden kann. Der Begriff Assimilation war um 1910 in den USA eingebürgert und wurde
bis dahin unsystematisch mit Amerikanisierung gleichgesetzt. Erst mit der Chicago School in
den 1920er Jahren kam es zu einer wissenschaftlichen Systematisierung des Begriffs.46 Hierzu
entstanden wichtige Untersuchungen von Wissenschaftlern wie William I. Thomas, Florian
Znaniecki sowie Robert T. Park und Ernest W. Burgess.47
Das Thema der Einwanderung wurde in den Vereinten Staaten von Amerika um einiges früher
behandelt als im deutschsprachigen Raum. Die Zentren der wissenschaftlichen Forschung
waren vor allem die urbanen Zentren Chicago und New York. Die Geschichte der USA war
von Anfang an mit großen Einwanderungsbewegungen verbunden. Dadurch wurde dieser
Themenkomplex in der amerikanischen Soziologie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts
behandelt. Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion stand die Frage, wie sich
Einwanderer an die Bedingungen der neuen Aufnahmegesellschaft anpassen würden. Dabei
gingen die WissenschaftlerInnen vor allem davon aus, dass es zu einer Assimilation im Laufe
der Zeit kommen würde.48
Die deutsche Sozialwissenschaft hat zu dieser Zeit noch lange keine wissenschaftliche
Systematisierung des Begriffs. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet sich der
Begriff Assimilation in deutschen Wörterbüchern. Eine vergleichbare Migrationsforschung zur
Amerikanischen entsteht im deutschsprachigen Raum erst in den 70er Jahren mit der
Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften.49
46 AUMÜLLER, Assimilation. 27ff. 47 HAHN, Historische Migrationsforschung. 2012, 34. 48 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 28. 49 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 31f.
17
Im Zentrum der Chicago School Forschungen standen die Arbeiten von Robert E. Park, Ernest
W. Burgess und anderen wichtigen Soziologen. Die Chicago School of Sociology war von einer
evolutionistischen Orientierung mit einem sozialökologischen Ansatz geprägt. Sie versteht
unter Assimilation eine natürlich erfolgende Anpassung an eine neue, sich ständig wandelnde,
mit begrenzten Ressourcen, sich weiterentwickelnde Umgebung. Zwischen 1910 und 1930
konnte sie unter Leitung von William I. Thomas und Robert E. Parks an Einfluss gewinnen.
Die Chicago School war davon überzeugt, dass eine Großstadt nicht nur räumliche Verdichtung
bedeutet, sondern vielmehr einen sozialen Organismus darstellt.50
Der zentrale Standpunkt der Chicago School ist, dass Assimilation für die Einwandernden von
großer Bedeutung ist und ein Anreiz zur Assimilation an die Mittelschicht der amerikanischen
Gesellschaft besteht, weil damit u.a. eine soziale Aufwärtsmobilität im Beruf und Bildung
ermöglicht wird. Es geht vor allem um die Frage, wie und wie schnell sich Assimilation bei
unterschiedlichen Bedingungen vollzieht. Dieses Phänomen der Assimilation verbreitet sich
über Generationen und schreitet immer weiter fort. Dadurch, dass diese Theorie einen
geradlinigen Weg über Generationen hinweg darstellt, wird sie auch Straight Line-Theorie
genannt.51 Da es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer rasanten Migrationseinwanderung in
Chicago kam, konnten die Soziologen der Chicago School (Robert E. Parks, Williams und
Ernest W. Burgess) die räumlichen Ansiedlungsstrukturen gut untersuchen. Im Gegensatz zur
europäischen bildete die US-amerikanische Migrationssoziologie einen kontinuierlichen
Forschungsschwerpunkt auf der räumlichen Segregation und Ghettoisierung. Park und Burgess
entwickelten infolge dieser Untersuchungen ein Modell der Stadtökologie, welches besagt, dass
die Ausdehnung der Stadt aufgrund von Einwanderung in einer strukturierten Art und Weise
stattfindet.52
Robert E. Park war einer der berühmtesten Vertreter der Chicago School. Er schaffte es
gemeinsam mit Burgess die Begriffe Assimilation und Akkulturation, welche bis dahin noch
gleichgesetzt wurden, voneinander abzugrenzen.53 So etwa ist Akkomodation ein Prozess der
Anpassung. Es ist ein Ausgleich in sozialen Beziehungen, damit Konflikte reduziert und der
Wettbewerb kontrolliert werden kann. Somit entsteht eine geregelte Beziehung zwischen
50 Ebd., S. 48. 51 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 29. 52 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 49. 53 Ebd., S. 51.
18
Personen unterschiedlicher Herkünfte und Interessen. Ein weiteres wichtiges
Unterscheidungsmerkmal ist die Zeitdauer. Zu einer Akkommodation kann es sehr schnell
kommen, indem man z. B. einen Konflikt beilegt. Der Prozess der Assimilation findet jedoch
meistens unbewusst und ungesteuert statt.54
Nach der Auffassung von Park ist die Assimilation bzw. Integration von Zuwanderern ein
melting pot, in welchem alle zugewanderten Gruppen in einen neuen Typus des Amerikaners
verschmelzen. Park definiert gemeinsam mit Burgess die Assimilation als einen Prozess der
Verschmelzung, in welchem Personen Erinnerungen, Empfindungen und Einstellungen von
Anderen akquirieren, sich Erfahrungen und Geschichten teilen und somit in ein gemeinsames
kulturelles Leben eingebunden werden. Im Laufe der Zeit stellt Park fest, dass eine Übernahme
der Kultur noch lange keine Assimilation bedeutet. Er führt an, dass Assimilation nur in einem
Umfeld stattfinden kann, in welchem keine Diskriminierung und kein Rassismus
vorherrschen.55
Als Beobachter von räumlichen und sozialen Entwicklungen in nordamerikanischen
Einwanderungsstädten entwickelten Park und Burgess eine Systematik zu
Anpassungsprozessen von Einwanderern. Im von ihnen entwickelten Modell Race Relation
Cycle wird Assimilation als ein progressiver und irreversibler Prozess verstanden, in welchem
man nach mehreren Stufen eine vollständige Eingliederung bzw. Angleichung an die
Aufnahmegesellschaft erreicht.56 Dieser zwangsläufige und irreversible Prozess der Anpassung
an eine neue Umgebung verläuft in fünf Phasen: Kontakt, Wettbewerb, Konflikt,
Akkomodation und Assimilation.57
Laut Park und Burgess beginnt dieser Prozess mit einem ersten Zusammentreffen zweier oder
mehrerer Kulturen. Durch eine bestimmte Menge an Ressourcen kommt es früher oder später
zu einem Wettbewerb, welcher sich in der dritten Phase in einen Konflikt und Diskriminierung
weiterentwickeln kann. Mit der Akkommodation wird der Konflikt in der vierten Phase beendet
und es kommt zu einer gefestigten gesellschaftlichen Struktur, in welcher ungleiche
54 Ebd., S. 52. 55 Ebd., S. 51. 56 Ebd., S. 48. 57 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 84.
19
Beziehungen nicht ausgeschlossen sind. In der letzten Phase wird der Prozess durch die
Assimilation abgeschlossen und es folgt eine Vermischung mit der Mehrheitsgesellschaft.58
Solche Prozesse mit zeitlicher Abfolge sind in der Assimilationstheorie häufig anzutreffen. So
entwickelten auch die beiden Soziologen Milton M. Gordon und Shmuel N. Eisenstadt
Phasenmodelle für ihre Assimilationstheorien.59
Assimilation nach Gordon:
Im Gegensatz zu Park und Burgess, versucht Gordon mit seinem Konzept die unterschiedlichen
Bereiche, in welchen Assimilation stattfindet, zu beschreiben. In seinem Werk Assimilation in
American Life aus dem Jahr 1964 behandelt Gordon diese Teilprozesse der Assimilation. Für
Gordon bestehen auf der gesellschaftlichen Ebene drei verschiedene Möglichkeiten der
Integration. Die erste Möglichkeit ist eine einseitige Assimilation der Eingewanderten an die
Mehrheitsgesellschaft. Der Melting Pot stellt die zweite Möglichkeit dar und beschreibt die
gegenseitige Assimilation der beiden Kulturen. Die dritte und letzte Möglichkeit ist das Modell
Salad Bowl. Hierbei mischen sich die unterschiedlichen Kulturen, wobei die ethnischen
Unterschiede erhalten bleiben. Für Gordon war die einseitige Assimilation für die USA der
1960er Jahre am wahrscheinlichsten, obwohl alle drei Optionen theoretisch möglich gewesen
wären.60
Gordon geht es bei seinen Untersuchungen nicht um das kulturelle Verhalten der einzelnen
Individuen, sondern er legt seinen Fokus auf die Analyse der sozialen Struktur von Gruppen.
Hierbei interessiert er sich nicht für Prozesse innerhalb der Gruppen, vielmehr beobachtet er
die Positionierung des Individuums innerhalb eines sozialen Bezugsfeldes. Dieses Bezugsfeld
wird durch Faktoren, wie ethnische, religiöse oder nationale Zugehörigkeit, aber auch durch
den sozialen Status, Beruf, Bildung usw. bestimmt. Anders als Gordon, sieht Park die soziale
Platzierung als eine implizite Voraussetzung im Vergesellschaftungsprozess von Zuwanderern.
Für Gordon ist Assimilation ein sozialer Prozess und muss von der Akkulturation bzw. der
kulturellen Anpassung des Einzelnen differenziert werden. Im Prozess der Assimilation
58 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 54. 59 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 84. 60 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 30.
20
unterscheidet Gordon die Verhaltensassimilation, welche sich auf die Individuen als Akteure
bezieht und die strukturelle Assimilation, welche die gesellschaftlichen Voraussetzungen für
die Assimilation in den Mittelpunkt stellt.61
Gordon unterscheidet in seinem Modell von Assimilation sieben Teilprozesse. 1. Unter
Akkulturation versteht er die Veränderung von kulturellen Verhaltensweisen, bei welcher es zu
einer Annäherung an die Aufnahmegesellschaft kommt, z. B.: Sprache. 2. Die strukturelle
Assimilation kennzeichnet einen Eintritt in die Gruppen bzw. Institutionen der
Aufnahmegesellschaft. Dabei spielen für Gordon vor allem die Primärbeziehungen eine
wichtige Rolle. 3. Die „Martial Assimilation“ bezieht sich auf die Entstehung von
interethnischen Beziehungen bzw. Partnerschaften. 4. Bei der indentifikativen Assimilation
entsteht bei der Einwanderungsgesellschaft ein Zugehörigkeitsgefühl zur
Mehrheitsgesellschaft. 5. Die bürgerliche Assimilation bedeutet, dass keine Wert- oder
Machtkonflikte entstehen, wenn Eingewanderte am öffentlichen Leben teilnehmen. So zum
Beispiel bei der Forderung nach der Gleichstellung von religiösen Minderheiten. Die letzten
beiden Teilprozesse weisen auf das Fehlen von Vorurteilen und Diskriminierung bei der
Mehrheitsbevölkerung gegenüber Minderheiten hin.62
Das Modell von Gordon ist kein linearer Stufenprozess, allerdings stellt es eine Fülle an Feldern
bereit, in welchen Assimilation stattfindet. So können sich die einzelnen Prozesse unabhängig
voneinander weiterentwickeln. Für Gordon ist die strukturelle Assimilation von ganz
besonderer Bedeutung für die Assimilation, da sobald diese stattgefunden hat, alle anderen
Teilprozesse im Laufe der Zeit folgen werden. Im Falle des Eintrittes der Akkulturation kommt
es nicht unbedingt zu einer strukturellen Assimilation.63
Assimilation nach Eisenstadt:
Auch der Soziologe Shmuel N. Eisenstadt analysiert in seinem Werk The Absorption of
Immigrants aus dem Jahr 1954 Migrationsbewegungen mit einem starken Fokus auf der
jüdischen Migration in Israel. Durch seine empirischen aber auch historischen Untersuchungen
stellt Eisenstadt fest, dass die Anpassungsprozesse von historischen und sozialen Kontexten
61 AUMÜLLER: Assimilation. 2009, 59. 62 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 30. 63 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 60f.
21
abhängen und auch unterschiedliche Resultate in unterschiedlichen Kontexten herauskommen
können. In seinem Werk bezieht sich Eisenstadt auf den Begriff Anpassung. Eisenstadt versteht
unter Anpassung, dass MigrantInnen ihr Verhalten auf die geforderten Rollen im
gesellschaftlichen System anpassen. Anpassung umfasst drei Aspekte: das Erlernen von
unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen; Entwicklung sozialer Beziehungen mit den
Einheimischen; Entstehung einer positiven Identifikation mit der sozialen Struktur und dem
Wertesystem der Mehrheitsgesellschaft.64
Nach Eisenstadt benötigt die Integration in eine neue Gesellschaft eine große
Anpassungsleistung der Eingewanderten. Absorption wird als ein komplexes soziales
Phänomen analysiert, bei welchem gesellschaftliche Bereiche eine wichtige Rolle spielen.
Wichtig zu erwähnen ist, dass Assimilation für Eisenstadt nicht unbedingt einen linear
verlaufenden Prozess darstellt. Somit wendet er sich vom melting pot und einer
gesellschaftlichen Konformität ab.65
Assimilation nach Hartmut Esser:
Im deutschen Sprachraum beschäftigte sich Hartmut Esser als einer der ersten Soziologen
systematisch mit Migration und Integration. Nach Esser wägen die MigrantInnen die Kosten
und Nutzen bzw. die Vor- und Nachteile ab, bevor es zu einer assimilativen oder nicht
assimilativen Handlung kommt. Wenn sich eine Investition für die MigrantInnen nicht auszahlt,
werden sie diese unterlassen, so zum Beispiel werden MigrantInnen die deutsche Sprache eher
nicht erlernen, wenn sie in wenigen Wochen vorhaben, das Land wieder zu verlassen. Ob es
also zu einer Integration der MigrantInnen kommt, ist zuerst von deren Bereitschaft der
Investition abhängig. Diese Bereitschaft wird durch die Faktoren wie Alter, Aufenthaltsdauer
und Bildung der MigrantInnen bedingt.66
Esser unterscheidet zwischen der Systemintegration und der Sozialintegration. Bei der
Systemintegration handelt es sich um den Zusammenhalt und das gleichgewichtige
Funktionieren einer Gesellschaft, egal ob diese homogen oder heterogen bestehen.67 Nach
Esser kommt es zu einer Systemintegration der gesamten Gesellschaft dann, wenn sich die
64 Ebd., S. 66f. 65 Ebd., S. 69f. 66 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 31. 67 ESSER Hartmut, Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 2. Die Konstruktion der Gesellschaft.
Frankfurt/ Main 2000, 286.
22
verschiedenen Gruppen relativ spannungsfrei zueinander befinden. Hierbei handelt es sich vor
allem um Beziehungen in Waren- und Arbeitsmärkten, über das Medium des Geldes oder auch
in rechtlichen Angelegenheiten. Hierbei wird keine Loyalität zum Aufnahmeland erwartet und
es sind keine kulturellen Gemeinsamkeiten notwendig. Für die Systemintegration muss die
Sprache des Aufnahmelandes nicht verstanden werden und diese Menschen können sich auch
nur in der ethischen Gemeinde bewegen. Es wird deutlich, dass zwischen der System- und
Sozialintegration keine zwingende Beziehung besteht und sie nicht in jeder inhaltlichen Sache
miteinander verbunden sind.68
Die Sozialintegration bezieht sich auf die AkteurInnen innerhalb eines Systems. Hierbei können
sich die AkteurInnen nicht nur in die Aufnahmegesellschaft integrieren, sondern auch in die
Herkunftsgesellschaft. Hierzu differenziert Esser vier verschiedene Typen der
Sozialintegration. Je nachdem, ob sich MigrantInnen an der Herkunfts- oder
Aufnahmegesellschaft orientieren, bestehen vier Möglichkeiten der Sozialintegration.
MigrantInnen sind marginalisiert, wenn sie sich weder in die Herkunfts- noch in die
Ankunftsgesellschaft integrieren. Bei der Mehrfachintegration handelt es sich um eine
Integration sowohl in der Herkunfts- als auch in der Aufnahmegesellschaft. Dieser Typ der
Sozialintegration tritt nach Esser jedoch sehr selten auf, da hohe Qualifikationen hierfür
vorhanden sein müssen. Der dritte Typ der Sozialintegration ist die Segmentation, bei welcher
es zu einer Integration in der Herkunftsgesellschaft kommt, aber nicht in der
Aufnahmegesellschaft. Wenn es ausschließlich zu einer Integration in der
Aufnahmegesellschaft kommt, spricht man von der Assimilation.69
Abb. 1: 4 verschieden Typen der Sozialintegration nach Esser. 70
68 Ebd., S. 290. 69 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 107f. 70 ESSER, Soziologie. 2000, 287.
23
Nach Esser ist die Sozialintegration in die Aufnahmegesellschaft nur durch die Assimilation
möglich. Assimilation bedeutet bei Esser allgemein „Angleichung“ der unterschiedlichen
Gruppen in bestimmten Bereichen (z. B.: Sprachverhalten). Er meint hierzu:
„Dabei ist immer von einer Angleichung in gewissen Verteilungen der verschiedenen Gruppen auszugehen, weil ja auch die einheimische Bevölkerung nicht homogen ist.
[…] Es kann selbstverständlich soziale Ungleichheiten auch bei Assimilation geben,
aber diese Ungleichheiten dürfen sich zwischen den ethnischen Gruppen nicht
unterscheiden.“71
In anderen Worten kann man sagen, dass für Esser Assimilation nicht bedeutet, dass alle
Unterschiede der Menschen aufgelöst werden müssen und dass eine einseitige Anpassung an
die Gesellschaft stattfindet. Vielmehr sollen die systematischen Unterschiede und Merkmale
zwischen den Gruppen verringert werden.72
In der Sozialintegration bestehen vier Dimensionen der Assimilation: kulturelle, strukturelle,
soziale und identifikative. Alle vier Dimensionen stehen im Zusammenhang und können sich
förderlich auf die jeweils andere Dimension auswirken. Bei der kulturellen Dimension handelt
es sich um das Erlangen von Wissen und Kompetenzen, mit welchen die AkteurInnen
interagieren können (z. B.: Sprache). Die strukturelle Dimension kennzeichnet sich durch die
Platzierung innerhalb der Gesellschaft (z. B.: Bildungsabschlüsse, Berufspositionen). Die
soziale Dimension bezieht sich auf soziale Beziehungen wie Freundschaften oder
Partnerschaften. Bei der identifikativen Dimension kommt es zu einer Bindung der
AkteurInnen an die Gesellschaft. Hierbei kommt es zu einer Werterhaltung, mit der er sich als
identisch mit der Aufnahmegesellschaft begreift.73
Esser ist der Meinung, dass ethnische Gruppen das Recht haben, ihre Religion und Kultur zu
praktizieren, jedoch sollen sie diese im Privaten und ohne staatliche Unterstützung ausüben.
Genauso möchte er die Privilegien der einheimischen Gruppen abschaffen. Er verweigert die
staatliche Unterstützung für spezielle Gruppen und gewährt diesen individuelle Rechte. Dieser
Punkt ist ein wichtiger Unterschied zu den Theorien des ethnischen Pluralismus und
Multikulturalismus, welche im vierten Kapitel näher betrachtet werden.74
71 ESSER, Soziologie. 2000, 288. 72 Ebd., S. 289. 73 HANS: Theorien der Integration von Migranten. 2016, 33. 74 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 92.
24
Die Theorie von Esser unterscheidet sich in mehreren Punkten von den anderen theoretischen
Ansätzen. So ist Esser´s Theorie allgemeintheoretisch fundiert, die einzelnen
Assimilationsdimensionen werden ganz genau erläutert und der Begriff der Assimilation wird
von Esser in einer anderen Weise verwendet. Zwar ist diese Theorie im deutschen Sprachraum
sehr bekannt, wird aber international kaum angewendet.75
Kritik am klassischen Assimilationsansatz:
Die Straight-Line-Theorie zählte bis in die 1960er Jahre zu einem dominanten Konzept in der
Analyse der Integration. Sie geriet jedoch immer stärker in Kritik, da sie als ethnozentrisch und
normativ angesehen wurde und implizit die Angleichung der Minderheiten and die Kultur der
oft als höherwertig angesehenen Mehrheit verlangte. KritikerInnen betonten weiter, dass
keinesfalls immer eine geradlinige Entwicklung der Angleichung über die Generationen
hinweg stattfindet. Assimilation bedeutet deswegen nicht zwingend eine Verbesserung der
Lebenschancen und einen sozialen Aufstieg. 76 Viel Kritik wurde aufgrund der New
Immigration in der USA aus asiatischen und südamerikanischen Ländern in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts geäußert. Denn die neuen ImmigrantInnen folgten anderen
Inkoorporationsmustern als ihre europäischen VorgängerInnen in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. Eine unumkehrbare Assimilation im Laufe mehrerer Generationen schien hier
nicht mehr der Fall zu sein, da sich die asiatischen und südamerikanischen MigrantInnen anders
verhielten und sich nur ein Teil assimilierte.77
Aufgrund der Kritik und darauffolgenden Abwendung des Blickes von diesen
Assimilationstheorien, kam es im Anschluss zur Entwicklung neuer Konzepte der Assimilation.
Im folgenden Kapitel wird diese neue Assimilationstheorie genauer behandelt.
Neoassimilation:
Aufgrund der starken Kritik an den klassischen Assimilationstheorien entstanden ethnisch-
pluralistische Erklärungsmodelle. In den 1990er Jahren kam es aber zu einer Rehabilitation des
Assimilationsparadigmas in einer veränderten Form. Für die TheoretikerInnen der neuen
75 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 34. 76 Ebd., S. 34. 77 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 85.
25
Assimilationstheorien ist die Assimilation ein notwendiges Konzept, um gesellschaftliche
Angleichungen und fortdauernde Unterschiede zwischen Gruppen zu analysieren. Diese neue
Richtung wird auch New Assimilationism oder Neoassimilation genannt. Die meisten Vertreter
dieses Konzeptes distanzieren sich jedoch von den klassischen Konzepten der Assimilation. Sie
versuchen diese kritisch zu erfassen und sie auf deren Brauchbarkeit für die zeitgenössischen
Einwanderungsgesellschaften zu untersuchen.78
Alba und Nee zählen zu den bekanntesten Vertretern des Neoassimilationismus und sehen den
Untergang der klassischen Assimiliationstheorien in der politischen Wahrnehmung der 1970er
Jahre. Damals setzte man die klassischen Assimilationstheorien oft mit der Dominanz der
„weißen“ Mehrheitsgesellschaft gleich. Vor allem wurde die Linearität des
Assimilationsprozesses in den klassischen Konzepten kritisiert und dessen angebliche
Unumgänglichkeit bei der Assimilation. 79Alba und Nee möchten mit ihrer Arbeit Assimilation
Theory for a new Era die Theorie der Assimilation wiederbeleben. Die beiden Soziologen
erkannten, dass in den 1970er und 1980er Jahren das Konzept der Assimilation von vielen
WissenschaftlerInnen als veraltet und überholt angesehen wurde. Trotz der großen Kritik an
den klassischen Assimilationstheorien sind Alba und Nee überzeugt, dass „this social science
concept offers the best way to understand and describe the integration into the mainstream
experienced across generations by many individuals and ethnic groups, even if it cannot be
regarded as a universal outcome of American life“.80 In ihrer Arbeit definieren sie das Konzept
der Assimilation neu, um es für die Untersuchungen der neuen Immigration nützlich zu
machen.81
So wird das neue Konzept der Assimilation wie folgt definiert:
„the decline, and at its endpoint the disappearance, of an ethnic/racial distinction and
the cultural and social differences that express it. This definition does not assume that one of these groups must be the ethnic majority; assimilation can involve minority
groups only, in which case the ethnic boundary between the majority and the merged
minority groups presumably remains intact.“82
78 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 83f. 79 Ebd., S. 86. 80 ALBA Richard / NEE Victor, Rethinking Assimilation Theory for a New Era of Immigration. In: International Migration Review. Immigrant Adaptation and Native-Born Responses in the Making of
Americans. Vol. 31, Nr. 4, The Center for Migration Studies of New York 1997, 827. 81 Ebd., S. 827. 82 Ebd., S. 863.
26
Assimilation bedeutet also, dass im Laufe der Zeit die ethnischen Unterschiede der Gruppen an
Relevanz verlieren und es keine Rolle mehr für die Position der Individuen in der Gesellschaft
spielt. Assimilation kann hierbei Veränderungen bei der Mehrheitsgesellschaft hervorrufen.83
In ihrer 2003 veröffentlichten Monografie Remaking the American Mainstream beschäftigen
sich die beiden Soziologen mit der neuen Assimilationstheorie. Sie beziehen sich auf die neue
ethnisch diverse und dynamische Bevölkerung der USA und versuchen ihr Konzept der
Assimilation an die neuen Umstände anzupassen. Alba und Nee sind der Überzeugung, dass
das Assimilationsmodell für einen Großteil der US-amerikanischen Einwanderer noch immer
Anwendung finden kann, so zum Beispiel bei der Bildung und Beruf der zweiten Generation
oder im Wohnverhalten der Zugewanderten.84
Alternative Modelle zur Assimilation empfinden die beiden als eingeschränkt. So ist die
Pluralisierung in der Reichweite eingeschränkt, da der Bezug zur Herkunftsgesellschaft ab der
zweiten Generation verloren geht. Des Weiteren sehen sie auf längere Zeit keine Attraktivität
in den ökonomischen Möglichkeiten der ethnischen Ökonomien. In der neuen
Assimilationstheorie von Alba und Nee ist die Akkulturation unmaßgeblich. Weiter verläuft
hier Assimilation nicht geradlinig und führt nicht immer zu einem allgemein gültigen Ergebnis
im Eingliederungsprozess.85Der theoretische Ansatz von Alba und Nee unterscheidet sich von
den klassischen strukturfunktionalistischen Ansätzen und auch von Esser´s Ansatz des Rational
Choice. Die beiden Soziologen stützen sich auf den Neoinstitutionalismus und sind der
Meinung, dass die Institutionen das Handeln der Menschen beeinflussen. So spiegelt sich das
in formellen Regelungen, Wertvorstellungen, Bräuchen und religiösen Traditionen wider.
Akteure handeln nicht nur aus Nutzen, wie das der Fall bei Esser´s Theorie ist, sondern
Assimilation entsteht in vielen Fällen aufgrund von Handlungen mit unbeabsichtigten
Konsequenzen.86
Durch die Assimilation entwickelt sich die Mehrheitskultur, welche bei Alba und Nee als
American Mainstream bezeichnet wird. Dieser Mainstream befindet sich im ständigen Wandel
und unterscheidet sich dadurch von der core culture von Gordon. Der Begriff composite culture
83 HANS, Theorien der Integration von Migration. 2016, 35. 84 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 90. 85 Ebd., S. 91. 86 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 36.
27
beschreibt eine Kultur, die durch unterschiedliche kulturelle Vorstellungen entsteht und sich
durch die Einbindung neuer Gruppen immer im Wandel befindet. Ein Beispiel für diese
Entwicklung kann man in der gestiegenen Zahl der interethnischen Ehen und der immer größer
werdenden asiatischen Kultur und Küche sehen.87
Alba und Nee führen mehrere Mechanismen an, mit welchen sie die unterschiedlichen
Anpassungsprozesse erklären wollen. Hierzu zählen gesellschaftliche Strukturen,
institutionelle Mechanismen, Humankapital von Einwanderern und soziale Netzwerke.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Neoassimilation nicht als unausweichlich gesehen
werden kann, sondern andere Mechanismen der Integration tragen ihren Teil dazu bei. Neben
dem Handeln der einzelnen Individuen ist auch die Auflösung bzw. Verringerung von
ethnischen Grenzen für die Neoassimilation von Bedeutung. Durch die Kombination von
verschiedenen Kulturen und Gesellschaften ist Assimilation nicht nur mit der Herkunftskultur
gleichzusetzen, vielmehr wird die Mehrheitskultur in das Konzept einbezogen.88
Segmentierte Assimilation:
In ihrem 1993 erschienenen Artikel The New Second Generation: Segmented Assimilation and
Its Variants beschäftigen sich Alejandro Portes und Min Zhou mit der wachsenden zweiten
Generation von Einwanderern in den USA und ihren Perspektiven der Eingliederung, welche
sich stark von der ihrer Eltern unterscheiden. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zu den
neuen Migrationen nach dem 1965 eingeführten Immigration Act behandelten fast
ausschließlich die erste Generation der MigrantInnen. Stark außer Acht gelassen wurde die sich
durch Familienzusammenführungen immer schneller entwickelnde zweite Generation. Mit
ihrem Konzept der segmentierten Assimilation möchten Portes und Zhou die unterschiedlichen
Möglichkeiten der Anpassung der zweiten Generation in den Fokus bringen.89
87 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 92f. 88 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 36f. 89 PORTES Alejandro/ ZHOU Min, The New Second Generation: Segmented Assimilation and Its
Variants. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 530, Pluralism at the Crossroads. Sage Publications. Nov. 1993, 74f.
28
Portes und Zhou haben die These Second Generation Decline von Gans aufgegriffen, in
welcher davon ausgegangen wird, dass die Nachkommen von MigrantInnen mit einer
schlechten sozialstrukturellen Position einer Abwärtsmobilität ausgesetzt sein können, weil sie
entweder nicht im Niedriglohnsektor arbeiten wollen oder weil man ihnen keine Arbeit gibt
und sie somit nicht arbeiten können.90
Die segmentierte Assimilationstheorie greift das Konzept der Generationen aus der Perspektive
der Minderheiten auf. So wurden Haitianer in Miami und junge Mexikaner in Kalifornien für
die empirischen Untersuchungen herangezogen.91 Die zweite Generation befand sich oft in
einem Konflikt, welcher durch die Erwartungen der Eltern einerseits und durch die schwierigen
Bedingungen ihres Umfelds andererseits ausgelöst wurden. So fand sich die zweite Generation
nicht selten auf einer schlechteren Position als die erste Generation.92. Neben den individuellen
Entscheidungen und dem familiären Milieu spielen auch politische Beziehung zwischen den
Ländern, die wirtschaftliche Situation sowie die Größe und Struktur der ethnischen Community
im Aufnahmeland eine wichtige Rolle für die Entwicklungsrichtung der zweiten Generation.93
Die segmentierte Assimilation sieht die geradlinige Assimilation an die weiße Mittelschicht in
den USA und den sich dadurch entwickelnden sozialen Aufstieg als eine veraltete und nicht
mehr dominante Form der Assimilation an. Durch die segmentierte Assimilation werden zwei
weitere mögliche Wege der Assimilation aufgezeigt. Die erste Möglichkeit bezieht sich auf die
downward assimilation und bezeichnet eine Assimilation an den Kulturen der innerstädtischen
Unterschichten, welche sozialen Abstieg und Armut als Folge hat. Bei der zweiten Möglichkeit
orientieren sich die MigrantInnen an den Werten, der Identität und den sozialen Netzwerken
der eigenen ethnischen Community. Dadurch wird eine dauerhafte Armut und ein sozialer
Abstieg verhindert.94
90 COSKUN Canan, Identitätsstatus von Einheimischen mit Migrationshintergrund. Neue styles?
Wiesbaden 2015, 21. 91 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 98. 92 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 37. 93 PORTES/ ZHOU, The New Second Generation. 1993, 82f. 94 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 37.
29
Portes und Zhou sind der Meinung, dass „Children of nonwhite immigrants may not even have
the opportunity of gaining access to the middle-class white society, no matter how acculturated
they become“.95 Falls sich diese MigrantInnen an eine der innerstädtischen bekannten Kreise
anpassen, kann es zu einer dauerhaften Unterordnung und Benachteiligung kommen. Oft bleibt
diesen MigrantInnen keine andere Wahl, um an gewisse materielle und moralische Ressourcen
sowie an ein soziales Sicherheitsnetz zu gelangen.96
Die segmentierte Assimilation von Portes und Zhou wurde unterschiedlich kritisiert. Einige
WissenschaftlerInnen sind der Meinung, dass die schlechte Situation der zweiten Generation
nicht auf die Generationenzugehörigkeit zurückzuführen sei, vielmehr sehen sie die
Verschlechterung der strukturellen Bedingungen der Gesellschaft zu dieser Zeit als
ausschlaggebenden Faktor. Des Weiteren wird die Fremdenfeindlichkeit zu dieser Zeit höher
betrachtet als am Anfang des 20. Jahrhunderts. Einige kritisierten, dass zu viel Wert auf die
Generationenzugehörigkeit gelegt wurde, ohne angemessene empirische Verifizierung.97
Zusammenfassend ist es wichtig hervorzuheben, dass die segmentierte Assimilation die
Heterogenität der Einwanderungsgesellschaft ins Auge fasst und die Anpassung an eine weiße
Mittelschicht nicht als einzige Möglichkeit der Assimilation sieht. Des Weiteren ist die
Trennung von Assimilation und sozialer Mobilität in der segmentierten Assimilationstheorie
konzeptuell getrennt und es bleibt empirisch zu erforschen, inwiefern und inwieweit diese
miteinander in Verbindung stehen.98 Der ethnische Pluralismus bzw. Multikulturalismus wird
im folgenden Kapitel behandelt.
2.2.2.2 Multikulturalismus
In den 1970er Jahren kam der Begriff des Multikulturalismus erstmals in die Öffentlichkeit und
zwar eingeführt vom ehemaligen kanadischen Präsidenten Pierre Trudeau. Erst am Anfang der
1990er Jahre etablierte sich der Begriff auch im deutschsprachigen Raum. Mit dem Auftreten
des Multikulturalismus kam es zu einem Paradigmawechsel, weg von der Homogenität hin zur
95 PORTES/ ZHOU, The New Second Generation. 1993, 96. 96 Ebd., S. 96. 97 AUMÜLLER, Assimilation. 2009, 101f. 98 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 39.
30
Heterogenität.99 In den bisher behandelten Assimilationstheorien wird in unterschiedlicher
Ausprägung eine Anpassung der Minderheit an die Mehrheitsgesellschaft erwartet. Die starke
ethnozentrische Konzeption der Assimilation führte ab den 60er und vor allem in den 80er und
90er Jahren zur Forderung nach Alternativen und zur Anerkennung von ethnisch-kultureller
Vielfalt. Man forderte eine pluralistische und multikulturelle Gesellschaft mit entsprechender
Politik. Die zentrale Idee des Multikulturalismus besteht in der Anerkennung und
Wertschätzung von Diversität sowie der Gleichwertigkeit der Kulturen.100
Ein wichtiger Antrieb für die Multikulturalismus-Debatte und die darauffolgende
Beschäftigung mit der Entwicklung neuer Ansätze war das ethnic fever, welches in den 1960er
Jahren in den USA stattfand. Zu dieser Zeit konnte man erkennen, dass viele
Anpassungsbemühungen der Minderheiten nicht erfolgreich waren und so entstanden
radikalisierte soziale Bewegungen, welche politische Macht forderten, weil sie nur damit eine
soziale und gesellschaftliche Integration für möglich empfanden. Die eigenen Wurzeln,
verstärkte Gruppenidentität und Abgrenzung zur Mehrheitsbevölkerung traten in den
Mittelpunkt. Auch Gordon beschäftigte sich in seiner Arbeit mit unterschiedlichen ethnischen
Gruppen, jedoch sehen im Unterschied zu Gordon die VertreterInnen der Pluralismustheorie
keine Existenz einer Core Society. In anderen Worten kann gesagt werden, dass für die Theorie
des Multikulturalismus kein dominierender Mainstream besteht.101
Multikulturalismus geht davon aus, dass die Diversität der Kulturen, wenn gegenseitige
Akzeptanz und Toleranz bestehen, ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft bedeuten können.
Außerdem bestehen bei der pluralistischen Theorie ethnische Subgesellschaften, welche zu
einem hohen Grad institutionalisiert sind. Die kulturelle Diversität wird durch wenig Kontakt
zu anderen ethnischen Gruppierungen gesichert. In wirtschaftlichen und politischen
Angelegenheiten kooperieren die unterschiedlichen Gruppen jedoch stark miteinander. Das
bedeutet, dass eine solche multikulturelle Gesellschaft auf der Ebene der Systemintegration als
integriert gesehen werden kann, wobei es gleichzeitig fraglich ist, inwieweit eine
Sozialintegration bestehen kann.102
99 LÖFFLER Berthold, Integration in Deutschland. Zwischen Assimilation und Multikulturalismus.
München 2011, 105. 100 HANS, Theorien der Integration von Migranten. 2016, 39. 101 HOESCH, Migration und Integration. 2018, 94. 102 SCHELLER Friedrich, Gelegenheitsstrukturen, Kontakte, Arbeitsmarktintegration. Ethnospezifische Netzwerke und der Erfolg von Migranten am Arbeitsmarkt. Wiesbaden 2015, 42.
31
Nach Löffler103 ist Multikulturalimus ein Gesellschaftsmodell, welches auf dem kulturellen
Pluralismus basiert. Menschen mit unterschiedlicher Kultur, Abstammung, Sprache, Religion
usw. leben gleichberechtigt zusammen. Durch den Austausch unter den verschiedenen Kulturen
sollen Konflikte, welche aufgrund von unterschiedlichen Werten entstehen können, bewältigt
werden. Bei der Theorie des Multikulturalismus behalten die Zugewanderten ihre Orientierung
zur Heimat. Ein Beibehalten der Bindung zur Heimatkultur kann auf unterschiedliche Weisen
erklärt werden. So kommt es dazu, wenn eine stark ausgeprägte Minderheitenkultur im
Aufnahmeland und gleichzeitig eine schwach ausgeprägte Kultur der Aufnahmegesellschaft
besteht. Ein weiterer Grund für eine Bindung zur Heimatkultur ist eine relativ große Distanz
zwischen der Heimat- und Aufnahmekultur, wobei zusätzlich der Zugang zur Aufnahmekultur
erschwert wird. Daraus ergibt sich eine ausschließliche Anpassung der Zugewanderten auf der
strukturell-funktionalen Ebene und als Resultat entsteht eine multikulturelle Gesellschaft. Im
Laufe der Zeit kann sich eine bikulturelle Orientierung, sowohl zur Heimat als auch zur neuen
Aufnahmekultur, entwickeln. Hierbei sind die Kulturen gleichstark und der Zugang zur
Mehrheitsgesellschaft muss möglich sein. Eine multikulturelle Gesellschaft beruht auf
gegenseitigen Respekt vor dem Unterschieden und jede ethnische Gruppe hat das Recht,
gleichberechtigt zu leben, ohne von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen zu werden.104
Im Folgenden werden einige Prinzipien des Multikulturalismus zusammengefasst, in welchen
vor allem normative Entwürfe des Zusammenlebens von unterschiedlichen Kulturen behandelt
werden. Das erste Prinzip besagt, dass im Multikulturalismus eine Politik der Anerkennung von
kulturellen Unterschieden besteht. Jeder Mensch hat das Recht zu entscheiden, welcher Kultur
er angehören möchte. Gleichzeitig besteht keine Pflicht zu Identifikation mit einer bestimmten
ethnischen Gruppe. Des Weiteren wird betont, dass alle Kulturen und ethnischen Gruppen
gleichberechtigt sind und sie gegenseitige Toleranz zeigen müssen. Im Einzelnen unterscheiden
sich die liberale und die radikale Abzweigung des Multikulturalismus. Die Ersteren bestehen
auf ein Minimum von Grundregeln basierend auf den Menschenrechten, der Demokratie und
der Gleichheit. Der radikale Multikulturalismus ist der Auffassung, dass ein Minimum an
Grundregeln, das Prinzip der kulturellen Gleichwertigkeit verletzen würde.105
103 LÖFFLER, Integration in Deutschland, 100. 104 Ebd., S. 100. 105 Ebd., S. 101.
32
In einem weiteren Prinzip wird festgehalten, dass in multikulturellen Gesellschaften ein
Minimalkonsens geschaffen werden muss. Im liberalen Multikulturalismus setzt sich der
Minimalkonsens aus der Verfassung, Gesetzen und einer gemeinsamen Sprache zusammen.
Der Konsens ist für den Zusammenhalt der Gesamtgesellschaft, für das Setzen von Grenzen,
für das Recht der kulturellen Unterschiede und kulturellen Gleichwertigkeit von Bedeutung.
Die Minderheiten dürfen nur diejenigen Teile ihrer Kultur pflegen, welche nicht im
Widerspruch zu dem Minimalkonsens stehen. Wo genau die Grenzziehung zwischen
Unterschiedlichkeit und Einheit sich befindet, ist oft umstritten. Die ethnische Vielfalt wird als
vorteilhaft und produktiv angesehen. Obwohl daraus ein Zuwachs an Konflikten resultiert, wird
die Pluralisierung oft als ein Wachstum an Demokratie gedeutet. Durch die
Diskriminierungserfahrungen von zugewanderten Minderheiten besteht die Bestrebung nach
einer gesellschaftspolitischen Strategie, die sich der Minderheit zuwendet. Demzufolge verfolgt
ein weiteres Prinzip das Ziel, den randständigen Minderheiten mehr Aufmerksamkeit,
Aufwertung, Anerkennung und Gleichstellung zuzusprechen.106
Kritisch aufgefasst wird beim Multikulturalismus der fasst ausschließliche Blick auf die
ethnischen Gruppen. Dadurch werden die Ebenen der eingewanderten Individuen und ihre
Anpassungsprozesse in den Hintergrund gerückt. Ferner wird der Ansatz als zu normativ
angesehen, da er keine Erklärungen für die Integration der Migrant_innen zur Verfügung stellt.
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt ist die Voraussetzung des Konzeptes, dass ethnische
Pluralität mit Integration vereinbar ist. Es wurde nicht hinterfragt, ob und unter welchen
Umständen oder Voraussetzungen dies zustande kommen kann.107
2.2.2.3 Transnationalismus
Viele MigrationsforscherInnen sind der Meinung, dass die erwähnten Integrationstheorien eine
nationalstaatlich verfasste Gesellschaft vorsehen und mit einem methodologischen
Nationalismus in Einklang stehen. Sie sehen diesen Aspekt aufgrund der sich immer stärker
globalisierenden Welt als unangemessen an. Des Weiteren sind sie der Auffassung, dass
Migration häufig temporärer und zyklischer Natur ist und sich MigrantInnen nach kurzer Zeit
106 Ebd., S. 101ff. 107 HANS Silke, Assimilation oder Segregation? Anpassungsprozesse von Einwanderern in Deutschland. Wiesbaden 2010, 40.
33
im Ausland in ihr Heimatland zurückbegeben oder anderswohin weiterziehen.108Infolge dieser
Erkenntnis entwickelt sich der Begriff des Transnationalismus, welcher vor allem auf
Beobachtungen von Migrationsbewegungen zwischen den USA und Mittelamerika sowie
Südostasien gründet. Transnationale Migration bezeichnet grenzüberschreitende Praktiken von
MigrantInnen, welche sich nicht mehr in das System von Ein- bzw. Auswanderung, Integration
und Remigration einordnen lassen.109
Viele qualitative Arbeiten beschäftigen sich mit der Migration von Mexikanern, Kariben und
Philippinern in die USA. Diese Migration wir nicht als abgeschlossen angesehen, sondern es
entsteht ein staatenübergreifender sozialer Raum, in welchem Prozesse des Austausches und
gegenseitiger Einflüsse erzeugt werden.110
Wie kam es zu dieser Entwicklung der transnationalen Migration? Hierfür werden
unterschiedliche Gründe genannt. Zum einen wird die Ausbreitung der kapitalistischen
Produktionsweise und das Wachstum von globalen wirtschaftlichen Transaktionen genannt.
Konkret handelt es sich hierbei vor allem um die Eliminierung von Arbeitsplätzen in der
Industrie und die Erschaffung neuer Dienstleistungsbereiche, was einerseits zur Landflucht
führte und andererseits zu starken Migrationswellen aus dem Ausland.111
Des Weiteren wird die Verbindung der MigrantInnen zu ihren Heimatländern durch die bessere
Infrastruktur, Kommunikationstechnik und stärkere soziale und politische Interaktionen
erleichtert. So nutzen viele MigrantInnen die Möglichkeiten von billigen Reisen für Besuche in
ihre Heimatländer. Weiter erleichtern billigere Tarife für Telefonie und Internet die
Kommunikation. Durch dauerhafte Verbindung mit den Herkunftsländern und einen
regelmäßigen Austausch kommt es so zu einer transnationalen Migration. Transnationalität
wird oft durch Zwei- oder Mehrsprachigkeit, Kontakte über die nationalen Grenzen hinaus,
Pendelbewegungen, grenzüberschreitende ethnische Unternehmen, aber auch durch
Geldüberweisungen gekennzeichnet. Menschen, die sich in dieser Situation befinden, haben oft
das Gefühl, sich an mehreren Orten und in mehreren Ländern zu Hause zu fühlen.112
108 Ebd., S. 40. 109 KEMPF Andreas Oskar, Biographien in Bewegung. Transnationale Migrationsverläufe aus dem
ländlichen Raum von Ost- nach Westeuropa. Wiesbaden 2013, 29. 110 FUHSE Jan, Transnationalismus, ethnische Identität und interethnische Kontakte von italienischen
Kontakten in Deutschland. In: Ludger PRIES / Zeynep SEZGIN (Hgg.), Jenseits von Identität oder
Integration. Grenzen überspannende Migrantenorganisationen. Wiesbaden 2010, 143 111 KEMPF, Biographien in Bewegung. 2013, 29. 112 HANS, Assimilation oder Segregation? 2010, 41.
34
Die Vertreter des Transnationalismus sind der Auffassung, dass klassische Migrationskonzepte
und die Betrachtung der Migration als dauerhaften Ortswechsel den neueren oben erwähnten
Entwicklungen nicht mehr gerecht werden können. In der ihrer Meinung veralteten Sichtweise
kam es zuerst zu einer Wanderungsentscheidung, worauf die Wanderung an sich und
schließlich ein langwieriger Integrationsprozess folgten. Migration wurde als Wanderung von
einem geschlossenen Container verstanden. Für die klassische Migrationsforschung stand die
Assimilation der MigrantInnen in der Aufnahmegesellschaft im Vordergrund. Durch die
Beobachtung einer starken Bindung der MigrantInnen zur Herkunftsgesellschaft entstand eine
neue Perspektive in der Forschung. In diesen Forschungen waren die Netzwerke der
MigrantInnen sowohl in der Ankunftsgesellschaft als auch in der Herkunftsgesellschaft von
großer Bedeutung.113
Wie man hier erkennen kann, bewegt sich der Transnationalismus auf unterschiedlichen
Ebenen. So bilden staatliche und ökonomische Prozesse die Makro-Ebene, welche
Voraussetzungen für transnationale Migrationen schaffen. „So ermöglichen internationale
ökonomische Ungleichheiten und andererseits politische Migrationsregime die Herausbildung
von transnationaler Migration.“ 114 Die Mikro-Ebene wird von den Makro-Strukturen
beeinflusst und kann sich unterschiedlich auf die individuellen Migrations- und
Remigrationsentscheidungen auswirken. Für Viele jedoch befinden sich die entscheidenden
Prozesse und Strukturen auf der Meso-Ebene. Diese Ebene wird durch die sozialen Netzwerke
gekennzeichnet. Individuelle Migrationsentscheidungen sind so in die sozialen Netzwerke
eingebunden.115
Neben den persönlichen Netzwerken gehören auch die Migrantenorganisationen zu wichtigen
transnationalen Faktoren der Meso-Ebene. Auf der einen Seite helfen die
Migrantenorganisationen mit unterschiedlichen Leistungen den MigrantInnen in der
Aufnahmegesellschaft. Auf der anderen Seite besteht auch oft ein finanzieller, politischer und
kultureller Bezug zur Herkunftsgesellschaft.116
113 KEMPF, Biographien in Bewegung. 2013, 30f. 114 FUHSE, Transnationalismus, ethnische Identität und interethnische Kontakte von italienischen
Kontakten in Deutschland. 2010, 144. 115 Ebd., S. 144. 116 Ebd., S. 145.
35
Kritisiert wird bei dem Konzept des Transnationalismus die Annahme von vielen
ForscherInnen, dass dieser Ansatz nur eine beschreibende Seite hat und die Verhaltensweisen
der MigrantInnen nach ihrer Migration nicht erklärt. Weiter wird die Existenz dieses Konzeptes
in Frage gestellt. Man ist sich nicht einig in der Frage, ob Migration vorwiegend in dieser
transnationalen Form von statten geht oder ob es nur einen sehr geringen Teil der
internationalen MigrantInnen betrifft. Es wird außerdem die Frage nach der Integration in die
Gesellschaften von transnationalen MigrantInnen gestellt. Hierbei sind sprachliche und
kulturelle Anpassungen, soziale Beziehungen und das Arbeitsumfeld von großem Interesse.
Hans ist der Meinung, dass es zumindest auf der lokalen Ebene zu einer bestimmten Form der
Integration kommt. Des Weiteren sieht sie spätestens in der zweiten Generation dieser
MigrantInnen eine mögliche Bewegung zurück in die auf nationalstaatliche Gesellschaft
zugeschnittene Integrationstheorien. Das Infrage stellen von Auffassungen und Annahmen von
regulären Integrationsforschungen wird von Hans als Stärke der transnationalen
Migrationsforschung gesehen.
36
3. Fakten
3.1 Bosnien & Hercegovina
In diesem Kapitel wird die Entstehung des großen Flüchtlingsstroms während und nach dem
Bosnienkrieg behandelt. Im ersten Unterkapitel wird veranschaulicht wie sich die
Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ) auflöste und wie sich der Konflikt
auf dem Balkan entwickelte. Ein Überblick über den Krieg in Bosnien und Herzegovina von
1992 bis 1995 samt dem Friedensvertrag von Dayton wird im zweiten Unterkapitel
bereitgestellt. Im dritten und letzten Unterkapitel wird die Situation der Flüchtlinge während
und nach dem Bosnienkrieg dargestellt. Neben den Ursachen der Flucht wird auch auf den
Verlauf der Flucht und die Hilfsmaßnahmen unterschiedlicher Organisationen eingegangen.
3.1.1 Das Ende Jugoslawiens
Nach dem Tod von Josip Broz Tito in den 80er Jahren kam es zum Niedergang der
multiethnischen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ). Aufgrund von
strukturellen Mängeln im wirtschaftlichen und politischen Sektor und aufgrund von
Machtambitionen einzelner Politiker, welche nationalistische Prozesse für ihre Ziele
instrumentalisierten, kam es zur Regression in Jugoslawien. Schon in den frühen 1980er
Jahren kam es in Jugoslawien zu einer wirtschaftlichen Krise. Jugoslawien hatte große
Auslandsschulden und war von einer Hyperinflation stark betroffen. Dadurch kamen die
ökonomischen Antagonismen zwischen den reicheren und ärmeren Republiken immer mehr
zum Vorschein. Die reicheren Republiken weigerten sich, große finanzielle Mittel in die
damalige Hauptstadt und das politisches Zentrum Belgrad zu schicken und so entstanden
machtpolitische und nationalistische Spannungen.117
117 KLADNIK Tomaž, Die Streitkräfteformierung der Republik Slowenien. Slowenische Unabhängigkeit. In: Jörg ASCHENBRENNER/ Günter DEUTSCH (Hgg.), Militäroperationen und
Partisanenkampf in Südosteuropa. Vom Berliner Kongress zum Ende Jugoslawiens. Wien 2009, 384.
37
Im Jahr 1987 wird Slobodan Milošević zum neuen Chef der serbischen Kommunisten
gewählt. Er verfolgte das Ziel Jugoslawien zentralistisch zu rekonstruieren. Dabei sollte die
Macht der Teilrepubliken reduziert und die Macht von Belgrad ausgebaut werden. Gegen
diese Politik von Milošević setzten sich sowohl die slowenische als auch die kroatische
Führung ein. Diese verfolgten eine Transformation des jugoslawischen Systems nach
westeuropäischem Vorbild. Zunächst wurden in Slowenien politische und wirtschaftliche
Reformen umgesetzt, ehe auch Kroatien ab 1989 an diesen Vorhaben teilnahm. Serben
gingen gegen diese beiden Teilrepubliken mit einer Wirtschaftsblockade vor. Im Frühjahr
1990 kam es in Slowenien und Kroatien zu den ersten freien Wahlen. Die gewählten Parteien
setzten sich für eine Konföderation aus souveränen Republiken ein. Durch die Wahlen
Anfang 1990 entstanden mehrere Machtzentren, die die Funktionsfähigkeit der
jugoslawischen politischen Institutionen beeinträchtigten.118
Diese Geschehnisse verleiteten Milošević seine Politik zu ändern und das Ziel die SFRJ
zentralistisch zu rekonstruieren aufzugeben. Im Zentrum seiner Politik standen jetzt die
serbischen Interessen auf dem ganzen jugoslawischen Gebiet zu verteidigen. Es kam zur
Unterstützung von ideologisch und logistisch wichtigen nationalistischen Kräften. Ein
Beispiel hierfür waren die Kniner Serben, welche ihr Gebiet im dalmatinischen Hinterland
abschotteten. Im August 1990 wurde eine erste Maßnahme zur Durchsetzung der
Autonomieforderung der Serben in Kroatien vorgenommen. Durch blockierte Straßen und
ein durch Waffen aufrechterhaltenes Zutrittsverbot, kam es zum ersten separatistischen Akt
beim Zerfall der SFRJ.119Auch die zu Beginn des Jahres 1990 in Kroatien gegründete neue
Regierung mit der Partei HDZ unter Präsident Tuđman verbesserte die Situation nicht, ganz
im Gegensatz. Es kam zur Umbenennung der Amtssprache von serbokroatisch zu kroatisch,
die kyrillischen Ortstafeln wurden entfernt und in der Verfassung wurden die Serben von
einem Staatsvolk zu einer Minderheit abgestuft. All diese und weitere Taten der kroatischen
Führung wurde seitens der Serben als stark diskriminierend empfunden. Die angebotenen
politischen Dialoge seitens der kroatischen Führung wurden aufgrund mangelnden
Interesses von den Kniner Serben abgelehnt.120
118 JUREKOVIĆ Predrag, Eskalation und Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien. In: Jörg
ASCHENBRENNER / Günter DEUTSCH (Hgg.), Militäroperationen und Partisanenkampf in
Südosteuropa. Vom Berliner Kongress zum Ende Jugoslawiens. Wien 2009, 386f. 119 Ebd., S. 388f. 120 Ebd., S. 390.
38
Im Herbst 1990 wurde von der slowenischen und kroatischen Regierung ein
Verfassungsentwurf für eine jugoslawische Konföderation vorgelegt. Hierdurch sollten die
Republiken wirtschaftlich miteinander verbunden sein, dürfen jedoch eine autonome Politik
führen. Dieser Verfassungsentwurf wurde sowohl von der mazedonischen Führung als auch
vom bosniakischen Präsidenten von Bosnien und Herzegowina, Alija Izetbegović
unterstützt. Die serbisch-montenegrinische Führung lehnten den Entwurf jedoch ab und
bestanden auf einen zentralistisch regierten Staat, welcher jedoch für die anderen Parteien
inakzeptabel war. Nach dieser Ablehnung verfolgten die slowenische und kroatische
Führung eine Unabhängigkeit ihrer Republiken. Für die serbische Führung war die serbische
Frage in Kroatien und später Bosnien und Herzegowina von sehr großem Interesse.
Milošević wollte aus der SFRJ ein von Serbien dominiertes Restjugoslawien gründen. Auch
die Jugoslawische Volksarmee (JVA) ergriff immer öfter Partei für die serbische Seite, was
das Fortschreiten der Umwandlung der JVA in eine rein serbische Armee darstellte.121 Die
immer stärker werdende Spannung wurde auch von Seiten der Kroaten nicht übersehen. Der
damalige Präsident Kroatiens Franjo Tuđman rüstete gemeinsam mit seinem
Verteidigungsminister auf. Durch den Aufbau der Armee und umfangreiche Waffenkäufe
bereitete sich Kroatien auf die zu erwartenden Kämpfe vor.122
Zusammenfassend kann man sagen, dass neben der sich während der Staatskrise
Jugoslawiens entwickelnden Feindbilder, den sich gegenseitig anschließenden Interessen,
auch die Unfähigkeit zu Kompromissen und die Bereitschaft, vor allem auf der Seite von
Milošević, die eigenen Interessen mit Gewalt durchzusetzen, die Hauptgründe für den
Zerfall Jugoslawiens und die folgenden Nachfolgekriege waren.123
121 Ebd., S. 391f. 122 ETSCHMANN Wolfgang, Kroatien 1991/92. In: Jörg ASCHENBRENNER / Günter DEUTSCH
(Hgg.), Militäroperationen und Partisanenkampf in Südosteuropa. Vom Berliner Kongress zum Ende Jugoslawiens. Wien 2009, 393. 123 STEINDORFF Ludwig, Der Krieg in Bosnien-Herzegowina. Mehr als Konkurrenz der
Erinnerungen. In: Marijana ERSTIĆ / Slavija KABIĆ / Britta KÜNKEL [Hgg.], Opfer - Beute - Boten der Humanisierung? Zur künstlerischen Rezeption der Überlebensstrategien von Frauen im
Bosnienkrieg und im Zweiten Weltkrieg. Bielefeld 2012, 181.
39
3.1.2 Der Bosnienkrieg
Bosnien und Herzegowina war eine Teilrepublik in der ehemaligen Sozialistisch Föderativen
Republik Jugoslawien. Die Grenzen von Bosnien und Herzegovina basieren größtenteils auf
den Ländergrenzen des 18. Jahrhunderts. Bosnien und Herzegowina war damals und ist auch
heute immer noch sehr stark von Multinationalität geprägt. Im Land sind drei Nationalitäten
bzw. Ethnien vertreten, serbisch-orthodoxe, kroatisch-katholische und bosniakisch-
muslimische BosnierInnen. Ab den 1970er Jahren haben vor allem muslimische
BosnierInnen Bosnien und Herzegowina als ihr Heimatland und sich selbst als Staatsvolk
angesehen. Bei der Volkszählung im März 1991 haben sich 43,5 % als Muslime, 31,2 % als
Serben und 17,4 % als Kroaten in Bosnien und Herzegowina geäußert.124
Die geographische Ansiedlung der drei Ethnien war über das ganze Land ungleichmäßig
verteilt. Dies ging so weit, dass in fast allen Gemeinden Bosnien und Herzegowinas
zumindest zwei der drei Ethnien vertreten waren und öfters benachbarte Dörfer
unterschiedliche Ethnien besaßen. Die muslimischen BosnierInnen waren vor allem im
Westen um Bihać, in Zentralbosnien, im nördlichen Neretvatal bis Mostar und auch in
Ostbosnien angesiedelt. Im städtischen und modernen Leben war eine nationale
Differenzierung nicht sichtbar. Es entwickelte sich auch eine friedliche Koexistenz der
Religionen, bis zum Zerfall der SFRJ.125
Ende 1990 kam es zu den ersten freien Wahlen in Bosnien und Herzegowina, bei welchen
die Parteien der drei vorhandenen Ethnien vertreten waren. Nachdem die bosniakische
Bevölkerung eine Mehrheit darstellte, wurde Alija Izetbegović zum Präsidenten der
Republik gewählt. Nachdem es am 27. Juni 1991 zur Ausrufung der ersten serbischen
autonomen Region in Bosnien kam, verschärften sich die Spannungen zwischen den
Volksgruppen. Die serbischen Gebiete in Bosnien und Herzegowina wollten sich der
Regierung in Sarajevo nicht unterstellen und wurden weitgehend verselbstständigt.
Nachfolgend wurden weitere serbisch dominierte Gebiete als autonom proklamiert, welche
sich im weiteren Verlauf zur Republik Srbska vereinten.126
124 Ebd., S. 182f. 125 Ebd., S. 184ff. 126 Ebd., S. 186.
40
Auch die Proklamation der Unabhängigkeit der Republik Bosnien und Herzegowina am 5.
April 1992 kennzeichnete eine wichtige Zäsur im Konflikt zwischen den Volksgruppen. Die
serbische Armee, welche schon langfristige Operationen vorausgeplant hatte, konnte mit der
Unterstützung durch die ehemalige Bundesarmee, innerhalb von wenigen Wochen mehr als
die Hälfte des Territoriums, das von den Vereinten Nationen anerkannt wurde, unter ihre
Kontrolle bringen.127
Steindorff gliedert den Bosnienkrieg in drei Hauptphasen ein: Die erste Phase wurde von
den serbischen Kräften in Nordostbosnien mit dem Massaker an MuslimInnen in Bijeljina
eingeleitet. Diese Phase dauerte bis Ende 1992 und schließt auch die Umschließung von
Sarajevo und die serbische Kontrolle von siebzig Prozent des bosnischen Territoriums. Das
Ziel der serbischen Führung war die militärische Kontrolle, welche mit einer ethnischen
Säuberung verbunden war. Diese sollte zu ethnisch sauberen und getrennten
Siedlungsgebieten führen. Bei den ethnischen Säuberungen vor allem in Nordwestbosnien
lässt sich ein ähnliches Muster erkennen:
„Es begann mit der Beschießung und Umzingelung von Dörfern und Stadtteilen, die Bevölkerung wurde herausgetrieben. Ältere und Kinder wurden beim Abtransport
ausgeplündert, mussten einen teueren ´Fahrschein´ lösen und vielleicht auch noch
eine Erklärung über die Abtretung ihres Vermögens unterschreiben.“128
Die schnelle serbische Eroberung von mehr als siebzig Prozent des Territoriums war auch
der relativ langsamen Aufrüstung der bosniakischen Seite geschuldet. Aufgrund besserer
Organisation von paramilitärischen Verbänden, konnte es im Mai 1992 zur Gründung einer
offiziellen und regulären Armee auf der bosnisch-muslimischen Seite kommen. Erst ab 1993
konnte der serbische Vormarsch in Bosnien stufenweise verlangsamt werden.129
Die zweite Phase beginnt im Frühjahr 1993 und kennzeichnet den bosniakisch-kroatischen
Krieg. Zu ersten Spannungen dieser beiden Ethnien kam es bereits im Juli 1992, nachdem
die Republik Herzeg Bosna ausgerufen wurde. Bosniakische und kroatische Verbände
handelten aber bis Ende 1992 noch als Verbündete gegen die serbischen Angriffe.130
127 ETSCHMANN Wolfgang, Der Krieg in Bosnien und Herzegowina 1992 - 1995. In: Jörg ASCHENBRENNER / Günter DEUTSCH (Hgg.), Militäroperationen und Partisanenkampf in
Südosteuropa. Vom Berliner Kongress zum Ende Jugoslawiens. Wien 2009, 403. 128 STEINDORFF, Der Krieg in Bosnien-Herzegowina, 2012, 188. 129 ETSCHMANN, Der Krieg in Bosnien und Herzegowina 1992-1995, 2009, 403. 130 STEINDORFF, Der Krieg in Bosnien-Herzegowina, 2012, 190.
41
1993 kam es zu den ersten Auseinandersetzungen in Zentralbosnien zwischen Kroaten und
Bosniaken. Der Konflikt verschlimmerte sich rasant. Ein wichtiges Symbol dieses
Bürgerkrieges zwischen den beiden Volksgruppen wurde die berühmte Brücke von Mostar,
welche am 9. November 1993 zerstört wurde. Während dieser Kämpfe kam es zu einer
Schwächephase, welche die serbischen Kräfte ausnutzten und eine vollständige
Umschließung von Sarajevo erreichten, welche bis zum Kriegsende andauerte.131
Massaker, Vergewaltigung, Zerstörung von religiösen Objekten, Zwangslager, genauso wie
Flucht und Vertreibung waren auch in den Kämpfen zwischen der bosniakischen und
kroatischen Seite fast alltäglich. Das Ausmaß der Gewalt kann man jedoch keinesfalls mit
den Taten der serbischen Kräfte vergleichen. Die Auseinandersetzungen zwischen der
bosniakischen und kroatischen Seite findet sein Ende im Frühjahr 1994.132
Am 18. März 1994 kam es zum Washingtoner Abkommen, welches mit starkem
Engagement der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten erreicht werden konnte.
Hierbei handelt es sich um ein Abkommen, welches für die Gründung der bosniakisch-
kroatischen Föderation sorgte. Nach Steindorff wird hier die dritte Phase des Bosnienkrieges
eingeleitet, welche auch einen Wendepunkt im Krieg darstellt. Mit der Rückgewinnung von
Westslawonien, der ganzen „Krajina“ im Westen und Südwesten und dem Aufbrechen der
Belagerung von Bihać, verringerte sich die militärische Überlegenheit der serbischen Seite.
Bosniakische und kroatische Truppen konnten einen breiten Gebietsstreifen im Südwesten
für sich gewinnen. Am 12. Oktober 1995 kam es schließlich zu einem Waffenstillstand. Auf
diesen folgten Friedensverhandlungen, welche auf dem Luftwaffenstützpunkt Dayton in
Ohio stattfanden. In den Verhandlungen wurde die Friedensordnung von Dayton erarbeitet,
die am 14. Dezember 1995 in Paris von allen drei Parteien unterschrieben wurde. Eine
Verfassungsordnung wurde im Vertrag von Dayton festgeschrieben. Bosnien und
Herzegovina wurde in drei Teile geteilt, wobei auf die Föderation 51%, auf die Republika
Srbska 48% und auf den Distrikt Brčko 1% des Territoriums fielen.133
131 ETSCHMANN, Der Krieg in Bosnien und Herzegowina 1992-1995, 2009, 404Ff 132 STEINDORFF, Der Krieg in Bosnien-Herzegowina, 2012, 191-196. 133 Ebd., S. 193ff.
42
Der Bosnienkrieg dauerte insgesamt 3 Jahre und beeinflusste die Bevölkerungsverhältnisse
stark. Man geht von bis zu 150.000 Kriegsopfern und ein paar Millionen Flüchtlingen
während dem Krieg aus.134 Das folgende dritte und letzte Unterkapitel beschäftigt sich mit
den Folgen des Krieges in Bosnien und Herzegovina, wobei vor allem auf Flucht und
Vertreibung eingegangen wird.
3.1.3 Die Flucht
Im Laufe der Geschichte gab es immer Menschen, die auf irgendeine Art und Weise dazu
gezwungen waren, aus ihrer Heimat zu flüchten. Die Gründe für eine Flucht sind meistens
von Menschen verursacht. Im 20. Jahrhundert wird die Zahl der Flüchtlinge zwischen 200
und 250 Millionen Menschen geschätzt. 135 In Folge des Balkan- und vor allem
Bosnienkrieges kam es aufgrund von gezielten militärischen Angriffen gegen die jeweils
andere Ethnie, bei welchen auch Zivilisten nicht ausgenommen waren, zu einer der größten
Massenflucht auf dem Balkan. Sobald ersichtlich war, welche Kriegspartei das Gebiet für
sich gewinnen konnte, kam es zu einer rasanten Fluchtbewegung. Menschen hatten große
Angst ihr Leben zu verlieren. Es gab auch einige direkt verfolgte PolitikerInnen,
Intellektuelle und andere MeinungsführerInnen, die das Exil aufsuchten. Des Weiteren kam
es zu einer starken Abwanderung von jungen Menschen, die sich einerseits als StudentInnen
und geistige Eliten herausstellten und andererseits die Einberufung in die Armee fürchteten.
Daraus resultierte, dass 2,3 Millionen Menschen und somit mehr als die Hälfte der
Bevölkerung Bosnien und Herzegowinas während dem Krieg innerhalb des Landes, in die
Nachbarländer und in die Länder Westeuropas flüchteten.136 Die UNHCR hat mit Hilfe von
großen Hilfsorganisationen ab 1992 Vertriebene und Flüchtlinge im ehemaligen
Jugoslawien statistisch erfasst. Hierbei wurden jedoch viele Menschen nicht erfasst, die mit
Hilfe von Verwandten und Freunden ihre Flucht selbst organisierten und politisches Asyl
beantragten. In diesem Fall erweisen sich die Statistiken als unvollständig.137
134 Ebd., S. 200. 135 MÜLLER Johannes, Das Flüchtlingsproblem in seiner weltweiten Dimension. In: Johannes MÜLLER (Hg.), Flüchtlinge und Asyl. Politisch handeln aus christlicher Verantwortung.
Frankfurt am Main 1990, 13. 136 FALKENSTEIN Florian, Südosteuropa. In: Peter J. OPITZ (Hg.), Der globale Marsch. Flucht und Migration als Weltproblem. München 1997, 84-86. 137 Ebd., S. 85.
43
Im Verlauf des Bosnienkrieges kam es zu vielen Vertreibungen, bei welchen Menschen unter
sehr schlechten Bedingungen eine neue und vorläufige Unterkunft finden mussten. Für die
internationale Gemeinschaft war das Flüchtlingsproblem ein zentrales Anliegen auf dem
Balkan. Die Unterstützung der Flüchtlinge vor allem während dem Krieg erwies sich als sehr
schwierig. Auf der einen Seite stellte die quantitative Belastung ein Problem dar und auf der
anderen Seite auch die Umstände und Rahmenbedingungen. Viele Flüchtlinge wurden
während dem Krieg nahezu instrumentalisiert. Sie wurden als Waffen benutzt, indem sie als
Geiseln festgehalten wurden und dem Interesse der jeweiligen Kriegspartei dienten. Die
Betreuung der Flüchtlinge wurde den Hilfsorganisationen sehr oft von den Kriegsparteien
verboten, nur mit dem Schutz der Blauhelme, welche der UN untergeordnet waren, konnten
einige wenige Hilfsaktionen durchgeführt werden.138
Auch nach dem Krieg waren die Bestrebungen groß den Vertriebenen auf irgendeine Art
und Weise zu helfen. Eines der wichtigsten Ziele des Vertrages von Dayton war es die
Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen zu ermöglichen. Im Annex 7139 wurde ein
umfangreiches Angebot an Maßnahmen geschaffen, welches humanitäre und politisch-
rechtliche Probleme zu lösen versucht. Hierbei spielt vor allem die Organisation des UN-
Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) in Kooperation mit der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) eine bedeutende internationale Rolle. Weiters
wurde eine eigene Kommission für Vertriebene und Flüchtlinge in Bosnien und
Herzegowina eingerichtet.140 Um noch immer vorhandene Probleme der Vertreibung zu
lösen, arbeitet die UNHCR eng mit dem Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge
in Bosnien und Herzegowina zusammen. Hierbei wird u.a. der Zugang zu Rechten,
Beschäftigung, Sozialfürsorge, Gesundheitswesen, Pensionen, Sicherheit und Unterkunft für
Betroffene angestrebt. Ein bestehendes regionales Wohnprogramm konnte mit dem
Wiederaufbau von zerstörten Häusern und mit sozialen Wohnprojekten vielen Vertriebenen
und Zurückgekehrten verbesserte Lebensbedingungen ermöglichen.141
138 Ebd., S. 87f. 139 Agreement on Refugees and Displaced Persons 140 LUGERT Alfred, Die zivilen Aufgabenbereiche des Vertrages von Dayton. In: Jörg
ASCHENBRENNER/ Günter DEUTSCH (Hgg.), Militäroperationen und Partisanenkampf in Südosteuropa. Vom Berliner Kongress zum Ende Jugoslawiens. Wien 2009, 520. 141 UNHCR, Bosnia and Herzegovina. Factsheet. In: http://www.unhcr.org/see/wp-
content/uploads/sites/57/2018/05/BiH-Country-Fact-Sheet-January-2018-002.pdf (am 15.08.2018), 1-2.
44
Nach dem Krieg garantierten die Kriegsparteien die Rückkehr aller Flüchtling, was im
Artikel 4 des Dayton Vertrages festgeschrieben wurde. Weiters sind die Kriegsparteien dazu
verpflichtet Entschädigungszahlungen an die Menschen auszuzahlen, die ihr Eigentum
verloren haben. Die Umsetzung hat den Parteien jedoch große Schwierigkeiten bereitet. Bald
nach dem Krieg kam es zu Rückwanderungen und Rücksiedlungen, welche nicht immer
freiwillig erfolgten. Flüchtlingslager wurden aufgelöst und Nachbarstaaten begannen mit
Zwangsrückführungen.142
Laut UNHCR sind bis Ende 2010 449.000 Menschen aus dem Ausland und 580.000
Menschen aus dem Inland in ihre Heimat zurückgekehrt. 470.000 davon sind zurück an ihren
ursprünglichen Herkunftsort gesiedelt, obwohl sie dort der ethnischen Minderheit
angehören. Für die UNHCR sind Rückkehrer aber nicht unbedingt Menschen, die sich auch
an diesem Ort ständig aufhalten.143
Während der Zeit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien war eine starke
Entvölkerung der ländlichen Gebiete bemerkbar. Dieser Prozess hat sich durch den Krieg
weiter verstärkt und es folgte ein rasantes Wachstum der großen Zentren. Die ethnische
Säuberung, bzw. Homogenisierung, wurde auch nach dem Krieg weitgehend beibehalten.
Es bestehen einige wenige Ausnahmen, bei denen die Menschen in ihren ursprünglichen
ethnisch gemischten Ort zurückkehrten. So zum Beispiel kehrten einige Serben in das Gebiet
der Föderation zurück. Der bosniakische Anteil der Bevölkerung im Gesamtstaat Bosnien
und Herzegowinas ist nach dem Krieg aufgrund einer hohen Rückkehrquote gestiegen. Im
Vergleich dazu sind viele ausgewanderte Kroaten und Serben in Kroatien und Serbien
geblieben oder wanderten im Anschluss an den Krieg dorthin aus.144
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den bosnischen bzw. bosniakischen Flüchtlingen
die während dem Bosnienkrieg als Flüchtlinge nach Österreich gewandert sind. Hierbei wird
auf die Situation der Flüchtlinge in Österreich und auf die Möglichkeiten der Entwicklung
eingegangen. Des Weiteren wird auch die gesellschaftspolitische Situation in Österreich zu
dieser Zeit behandelt.
142 FALKENSTEIN, Südosteuropa. 1997, 97f. 143 STEINDORFF, Der Krieg in Bosnien und Herzegovina. 2012, 201. 144 Ebd., S. 208ff.
45
3.2 Österreich als Aufnahmeland
Im Zentrum dieses Kapitels steht Österreich als Aufnahmeland. Es wird ein Einblick in die
Migrationsgeschichte und -politik Österreichs im Laufe der Zeit gegeben. Im Anschluss wird
auf die gesellschaftspolitische Situation Österreichs in den 1990er-Jahren eingegangen sowie
auf die Einreise von Flüchtlingen. Im weiteren Verlauf rückt die rechtliche Situation der
Flüchtlinge in Österreich in den Fokus. Hierbei wird neben neu geschaffenen Gesetzen, vor
allem das Aufenthaltsrecht von AusländerInnen, behandelt. Schließlich wird noch ein kurzer
Überblick über die Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten geliefert.
3.2.1 Migrationsgeschichte und -politik
Aufgrund von zahlreichen Migrationsbewegungen war Österreich schon immer ein
Einwanderungs- und Auswanderungsland. Bereits im 18. Jahrhundert zeichnete sich dieses
Phänomen in der Region südlich von Wien ab. Diese Region zählt zu den ältesten
Industrieregionen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Aufgrund der ausgeprägten
Industrie kam es sehr schnell zu Arbeitsmigrationen, vor allem aus Böhmen, Mähren, Schlesien
und Ungarn. Industrialisierung und Migration waren überall in Europa miteinander verknüpft.
Es ist wichtig festzustellen, dass Migration in Österreich kein Phänomen der letzten Jahrzehnte
darstellt.145 Im 19. Jahrhundert verließen viele Menschen Österreich aus wirtschaftlichen und
politischen Gründen. Eine der wichtigsten Destinationen wurde die USA. Auswanderung war
bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts die dominierende Form der
Migrationsbewegungen. 146 Zu der Zeit des Nationalsozialismus kam es zu einer erhöhten
Einwanderung nach Österreich. Hierbei waren neben „volksdeutschen“ Umsiedlern viele
Fremd- und Zwangsarbeiter vertreten.147
145 SCHMIDINGER Thomas, Migration und Integration. In: Herbert LANGTHALER, Integration in
Österreich. Sozialwissenschaftliche Befunde. Innsbruck 2010, 33f. 146 MÜNZ Rainer/ LEBHART Gustav, Zuwanderung nach Österreich. Herkunft, Struktur und politische Rahmenbedingungen. In: Buchender, Reiner (Hrsg), Migranten und Flüchtlinge. Eine
familienwissenschaftliche Annäherung. Wien 1999, 71. 147 MÜNZ Rainer, Österreich. Marginalisierung von Ausländern. Eine österreichische Besonderheit? In: Klaus BADE (Hg.), Einwanderungskontinent Europa. Migration und Integration am Beginn des 21.
Jahrhunderts. Beiträge der Akademie für Migration und Integration. Band 4. Osnabrück 2001, 61.
46
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es in Europa und Österreich zu der größten
Zuwanderung im 20 Jahrhundert. Aufgrund von Vertreibung und Flucht während des
nationalsozialistischen Regimes suchten viele Betroffene eine neue Heimat. Österreich nahm
zu dieser Zeit ungefähr 520.000 Flüchtlinge und Vertriebene auf. Zwar wurden sie auf Dauer
aufgenommen, zu einer sofortigen Einbürgerung der meisten Betroffenen kam es allerdings
nicht, wie das der Fall in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR war. Aus diesem Grund
war Österreichs Ausländeranteil in den 1950er-Jahren mit 4,6 % im Vergleich zum restlichen
Europa sehr hoch. Im Jahr 1953 sank die Zahl der Ausländer von 320.000 auf 100.000, da es
zu einer Einbürgerung der meisten Vertriebenen kam.148
In den 1950er-Jahren wurden aufgrund von Kräftemangel in Westeuropa ausländische
Arbeitskräfte vor allem aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien angeworben. In
Österreich erfolgte die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften im Vergleich zu
Deutschland und der Schweiz relativ spät. Österreich hatte mit den Volksdeutschen ein
ausreichend großes Reservoir an Arbeitskräften für die Industrie und das Gewerbe. Des
Weiteren kam es in Österreich im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz zu einem
verspäteten Wirtschaftsaufschwung. Schließlich einigten sich die Gewerkschaft und
Wirtschaftskammer im Jahr 1961 47.000 ausländische Arbeitskräfte im Jahr 1962 zu
engagieren. Dieses Anwerben von Arbeitskräften wurde als eine temporäre Zuwanderung ohne
Migration gesehen, die als solche Gastarbeiterpolitik bis in die 1980er Jahre beibehalten
wurde.149
Es entwickelte sich ein Migrationssystem, in welchem die Unternehmen neu eingeschulte
Arbeitskräfte über einen längeren Zeitraum behalten wollten und gleichzeitig bestand der
Wunsch bei den ArbeiterInnen so lange wie möglich in Österreich tätig zu bleiben. So wurde
die Rückkehr der Arbeitskräfte aufgeschoben und eine Rotation der Arbeitskräfte wurde nicht
erreicht.150
148 MÜNZ Rainer/ LEBHART Gustav, Zuwanderung nach Österreich. Herkunft, Struktur und politische
Rahmenbedingungen. In: Buchender, Reiner (Hrsg), Migranten und Flüchtlinge. Eine
familienwissenschaftliche Annäherung. Wien 1999, 71f. 149 PERCHINIG Bernhard, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. In: Johannes
MINDLER-STEINER (Hg.), Integration nach vor Denken. Öscherreichs Umgang mit dem (noch)
Fremden. Wien 2016, 46. 150 Ebd., S. 47.
47
Nachdem es ab dem Jahr 1973 keinen großen Bedarf mehr an weiteren Arbeitskräften gab,
entschlossen sich die westlichen Staaten Restriktionen einzuführen, welche den Zuzug von
weiteren MigrantInnen stoppen sollte. Obwohl kaum neue ArbeitsmigrantInnen zugelassen
wurden, sank die Zahl der Zuwanderung nicht. Der Grund dafür liegt vor allem im
Familiennachzug.151
In den 1980er Jahren begann sich die Sozialforschung mit dem Thema der Migrationspolitik zu
beschäftigen. Dies trifft nicht nur für Westeuropa ein, sondern auch für die USA und Kanada.
Im öffentlichen Diskurs wird Migration in den meisten westlichen Industriestaaten als ein
Thema gesehen, das viele politische Auseinandersetzungen mit sich zieht. Oft wird ein hohes
Bedrohungspotential von Migration für westliche Gesellschaften und deren Souveränität
gesehen. Die Gegenseite argumentiert, dass Migration nur ein marginales Phänomen ist.152
Die österreichische Migrationspolitik war seit den 1960er-Jahren sehr stark
arbeitsmarktorientiert. Deshalb lag der Schwerpunkt der österreichischen Migrationspolitik
nicht auf langfristigen bevölkerungspolitischen, strategisch wirtschaftlichen und
sicherheitspolitischen Aspekten, wie das damals der Fall bei vielen traditionellen
Einwanderungsländern war. Aus diesen Gründen förderte Österreich kaum die Integration von
MigrantInnen.153
Ende der 1980er-Jahre kam es zu einer weiteren Zuwanderungswelle. Auslöser dafür war der
Fall des Eisernen Vorhanges und die Aufhebung der Ausreisehindernisse für BürgerInnen
ostmittel- und osteuropäischer Länder. Nur wenige Jahre später kamen die Auswirkungen der
Ex-Jugoslawien Kriege sowie die damit verbundenen ethnischen Säuberungen und ethno-
politsche Repressionen zum Vorschein.154
151 MÜNZ Rainer/ SEIFERT Wolfgang/ ULRICH Ralf/ FASSMANN Heinz: Wanderungsmuster. Stellung von Einwanderern und Migrationspolitik in Deutschland und Österreich. In: Hartmut
KAELBLE/ Jürgen SCHRIEWER (Hgg.), Gesellschaften im Vergleich. Forschungen aus Sozial- und
Geschichtswissenschaften. 2. Auflage. Frankfurt am Main 1999, 278. 152 BIRSL Ursula, Migration und Migrationspolitik im Prozess der europäischen Integration? Unter Mitarbeit von Doreen Müller. Opladen 2005, 17. 153 BIFFL Gudrun, Die Entwicklung des österreichischen Migrationssystems. In: Arbeitsmarktservice
Österreich (Hg.), AusländerInnen in Österreich. Migrationspolitik und Integration. Wien 1998, 6. 154 MÜNZ/ LEBHART, Zuwanderung nach Österreich. 1999, 72f.
48
Ab dem Jahr 1992 war die Zunahme der Einwanderungen in Österreich vor allem von
Kriegsflüchtlingen aus Bosnien bestimmt. Darunter flüchteten in erster Linie Frauen, Kinder
und ältere Menschen nach Österreich. Bis ins Jahr 1994 stieg die Zahl der AusländerInnen in
Österreich um 8,9 % (700.000 Menschen).155
Infolge dessen verschärfte sich die Diskussion in Österreich um das Thema der Zuwanderung.
Die Position gegen die Zuwanderung entwickelte sich vor allem in der Freiheitlichen Partei
Österreichs. Im Jahr 1993 leitete die FPÖ ein Volksbegehren ein, welches jedoch von nur 7,4
% der Wahlberechtigten unterstützt wurde. Die beiden Großparteien stellten sich dieser
Ausländerfeindlichkeit entgegen. 156 Trotzdem waren die 1990er-Jahre von zahlreichen
Debatten und parteipolitischen Auseinandersetzungen geprägt, welche mit der Zeit die meisten
europäischen Länder anlangte. Hierzu ist wichtig anzumerken, dass die westeuropäischen
Länder weitgehend von Fluchtbewegungen ausgeschlossen blieben, welche aufgrund von
Armut, Krieg, politischer Verfolgung sowie Umweltkatastrophen in Afrika und Asien
hervorgerufen wurden. Nur ein geringer Anteil der gesamten Flüchtlinge auf der Welt schaffte
es nach Europa.157Trotzdem zielte die Migrationspolitik zu dieser Zeit auf politische Kontrolle
und Steuerung der Migration. Aus diesem Grund stand sie im Spannungsfeld von
ökonomischen Rahmenbedingungen, öffentlichen Meinungen, bestehenden Rechtsansprüchen
und humanitären Bedenken. Ferner spielten neben objektiven Faktoren auch diffuse Ängste vor
Überfremdung und sozialen Konflikten eine Rolle. Die Zuwanderung wurde in den westlichen
Ländern maßgeblich von der Migrationspolitik, welche vor allem den Aspekt Kontrolle im
Mittelpunkt hatte, beeinflusst.158
Immer häufiger kam es zu Auseinandersetzungen, bei welchen oft die starke Konzentration von
Migrationsgruppen vor allem in Städten zum Thema wurde. Aufgrund der sich immer stärker
entwickelnden polyethnischen Strukturen, dem Einfluss von politischen Parteien und der
Unterstützung von Medien entwickelte sich bei vielen Einheimischen ein negatives Bild von
der Zuwanderung bzw. dem Fremden159.
155 MÜNZ/ SEIFERT/ ULRICH/ FASSMANN, Wanderungsmuster. 1999, 299. 156 PERCHINIG, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. 2016, 52. 157 BIRSL, Migration und Migrationspolitik im Prozess der europäischen Integration? 2005, 84. 158 MÜNZ/ SEIFERT/ ULRICH/ FASSMANN, Wanderungsmuster. 1999, 279f. 159 BADE Klaus, Einwanderungskontinent Europa. Migration und Integration am Ende des 20. Jahrhunderts. In: Klaus BADE (Hg.), Einwanderungskontinent Europa. Migration und Integration am
49
Laut Bade verfestigte sich schon in den 80er Jahren die Meinung, dass für die Integration von
Zugewanderten und deren Akzeptanz eine Zuwanderungsbeschränkung notwendig sei.
Außerdem wurde in den Migrationsdiskussionen Migration als Gefahr dargestellt, für welche
unbedingt Abwehrmaßnahmen geschaffen werden müssten.160
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die europäischen Länder und darunter vor allem
Österreich nach einer verstärkten Zuwanderung in den späten 80er- und 90er-Jahren nach
Wegen gesucht haben, die Zuwanderung zu stoppen und zu kontrollieren. Ein Fokus auf die
Integration der Zugewanderten wurde zu dieser Zeit noch nicht gesetzt. Wie sich diese
Migrationspolitik der späten 80er- und frühen 90er-Jahre auf die gesetzlichen Bestimmungen
in Österreich auswirkte und welche Rechte den Eingewanderten zugesprochen wurden, wird
im 3. Unterkapitel Rechtliche Situation der Zugewanderten näher erläutert.
3.2.2 Einreise nach Österreich
In dem Zeitraum zwischen 1987 und 1994 kam es zu einem starken Anstieg der
Wanderungsströme nach Österreich. Dafür verantwortlich waren vor allem die politischen
Umbrüche in Europa, die Kriege im ehemaligen Jugoslawien und die steigende Nachfrage nach
Arbeitskräften. Die Zahl der in Österreich lebenden AusländerInnen stieg von 326.000 auf
713.000 Menschen. Ein Fünftel des Zuwachses basierte auf der Aufnahme von
Kriegsflüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina. Zu Beginn des Krieges im Jahr 1992 wurden
bosnische Flüchtlinge aufgrund des Passgesetzes von 1974, des Fremdenpolizeigesetzes von
1954 und des Asylgesetzes aus 1968 ohne bürokratische Schwierigkeiten aufgenommen.161 Sie
benötigten keinen Sichtvermerk, um einzureisen. Mit dem Andauern des Konfliktes wurde die
Einreise schrittweise erschwert und so mussten BosnierInnen im Jahr 1995 für die legale
Einreise nach Österreich ein Visum vorzeigen.162 Obwohl es zu Verschärfungen diesbezüglich
kam, war eine Einreise der Flüchtlinge oft möglich, wenn sich eine dritte Person dazu bereit
Ende des 20. Jahrhunderts. Beiträge der Akademie für Migration und Integration. Band 4. Osnabrück
2001, 24. 160 Ebd., S. 24f. 161 PERCHINIG, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. 2016, 49. 162 WEBER Thomas, Vergleich der Temporär Protection-Gesetzgebung acht europäischer Staaten für
Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina vor Umsetzung der Eu-Richtlinie über vorübergehenden Schutz. In: Hannes TRETTNER (Hg.), Temporary protection für Flüchtlinge in Europa. Analysen und
Schlussfolgerungen. Wien 2005, 95.
50
erklärte, etwaige Kosten zu übernehmen. Dadurch konnten viele in Österreich lebende Familien
ihren Verwandten die Einreise nach Österreich ermöglichen.163
Abb 2: Wanderungssaldo 1961-2017 nach Staatsangehörigkeit.164
Durch die im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes eingeführte Quotenregelung im Jahr 1993
verringerte sich der Wanderungssaldo zwischen 1994 und 2000 auf ungefähr 10.000 Personen
pro Jahr. 165 Jedes Jahr wurden neu festgelegte Quoten eingeführt, welche vor allem auf
Niederlassungsbewilligungen für eine dauerhafte Immigration abzielten. So heißt es im
Aufenthaltsgesetz §2(1) von 1993:
„Die Bundesregierung hat, im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des
Nationalrates, für jeweils ein Jahr mit Verordnung die Anzahl der Bewilligungen
festzulegen, die höchstens erteilt werden dürfen. Sie hat dabei die Entwicklung eines
geordneten Arbeitsmarktes sicherzustellen […] und auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe,Ordnung und Sicherheit Bedacht zu nehmen.“166
163 PERCHINIG, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. 2016, 49f. 164 STATISTIK AUSTRIA, Grafiken. In:
https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/wanderungen/w
anderungen_mit_dem_ausland_aussenwanderungen/index.html (am 12.02.2019). 165 LEBHART Gustav / MARIK-LEBECK Stephan, Zuwanderung nach Österreich. Aktuelle Trends.
In: Heinz FASSMANN (Hg.), 2. Österreichischer Migrationsbericht und Integrationsbericht 2001-2006.
Rechtliche Rahmenbedingungen, demographische Entwicklungen, sozioökonomischen Strukturen.
Wien 2007, 146. 166 RECHTSINFORMATIONSSYSTEM DES BUNDES, Aufenthaltsgesetz. Fassung vom
29.07.1993. In:
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005817&FassungVom=1993-07-29 (am 12.02.2019).
51
Die Gesamtzahl der Zulassungen wurde auf die einzelnen Bundesländer aufgeteilt und musste
nicht ausgeschöpft werden. Des Weiteren waren bestimmte Personen von dieser Bestimmung
ausgenommen, wie zum Beispiel in Österreich geborene ausländische Kinder, genauso wie
ausländische EhepartnerInnen von österreichischen StaatbürgerInnen.167 In Wien durften im
Jahr 2002 3.215 Erstniederlassungsbewilligungen ausgestellt werden. Von diesen 3.215
Personen waren 840 für Schlüsselkräfte und deren Familienmitglieder vorgesehen. Die
Quotenregelungen betreffen nicht nur die Arbeitsmigration, sondern auch die sogenannte
Familienzusammenführung. Für diesen Zweck standen 2002 4.490 Plätze zur Verfügung,
welche mehrere Jahre Wartezeit zur Folge hatten.168
3.2.3 Rechtliche Situation der Zugewanderten
Der rechtliche Rahmen von zugewanderten Personen unterscheidet sich in großem Ausmaß von
den der österreichischen StaatsbürgerInnen. Wie sich die Zugewanderten in die Wirtschaft und
Gesellschaft eingliedern, wird sehr stark von den rechtlichen Rahmenbedingungen
beeinflusst.169 Als der Krieg in Bosnien und Herzegowina im Jahr 1992 begann, erklärte sich
Österreich nicht bereit, den ankommenden Flüchtlingen einen Flüchtlingsstatus nach der
Genfer Konvention zuzuschreiben, stattdessen implementierte Österreich ein System des
temporären Schutzes.170 Aufgrund der Annahme seitens der österreichischen Behörden, dass
die bosnischen Flüchtlinge nach dem Ende des Konflikts Österreich verlassen würden, führte
die Regierung einen eigenen befristeten Schutzstatus mit einem befristeten Aufenthaltsstatus
für diese Flüchtlinge ein (=De-facto-Flüchtlinge).171
167 MÜNZ/ LEBHART, Zuwanderung nach Österreich. 1999, 79. 168 ECHSEL Katharina, Aufenthaltsrechtliche Situation von Migrant_innen in Österreich. In:
Arbeitsgruppe Migrantinnen und Gewalt (Hg.), Migration von Frauen und strukturelle Gewalt.. Wien 2003. 35f. 169 GÄCHTER August, Rechtliche Rahmenbedingungen und ihre Konsequenzen. In:
Arbeitsmarktservice Österreich (Hg.), AusländerInnen in Österreich. Migrationspolitik und
Integration. Wien 1998, 10. 170 KÖNIG Alexandra/ PERCHINIG Bernhard/ PERUMADAN Jimy/ SCHAUR Katharina, Country
Report. Austria. International Centre for Migration Policy Development. ITHACA Research Report
N.1/2015, 21. 171 PERCHINIG, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. 2016, 49.
52
Geflüchtete Personen bekommen subsidiären Schutz, wenn ihnen durch schwerwiegende
Menschenrechtsverletzungen ein großes Elend droht, wie zum Beispiel Folter, Todesstrafe,
unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Des Weiteren wird subsidiärer Schutz notwendig,
wenn das Leben der Betroffenen durch einen bewaffneten Konflikt gefährdet ist.172 Laut der
United Nations High Commissioner for Refugees dehnt sich der temporäre Schutz auf
Menschen aus, die aus anderen persönlichen Gründen Schutz suchen. 173 Subsidiäre
Schutzberechtigte haben das Recht auf eine temporäre Aufenthaltsberechtigung, jedoch kann
die rechtliche Stellung von susbidiären Schutzberechtigten und Asylberechtigten nicht
gleichgesetzt werden.174 Während ihres temporären Aufenthaltes mussten den Flüchtlingen die
grundlegenden Menschenrechte gewährt werden. Im Falle eines längeren Aufenthaltes musste
den Betroffenen ein besserer Rechtsstatus zuerkannt werden. Der vorübergehende Schutz sollte
im europäischen Kontext vor allem Staaten entlasten, die an eine Konfliktregion angrenzen und
einen ersten Zufluchtsort darstellen.175
Der temporäre Schutz wurde in Österreich von den Landesregierungen organisiert und umfasste
die Unterbringung in öffentlichen Unterkünften, Gesundheitsversicherung, Taschengeld und
die Unterstützung von Familien, die Flüchtlinge in ihr Heim aufgenommen hatten. Dies führte
dazu, dass in allen Bundesländern unterschiedliche Konditionen vorherrschten.176 Sofern die
subsidiären Schutzbedürftigen aus Bosnien keine Verwandten in Österreich hatten, wurden sie
aus finanziellen Mitteln des Bundes finanziert. Im Jahr 1993 betrug die Zahl der BosnierInnen,
die vom Staat finanziell unterstützt wurden, 47.000. Drei Jahre später sank die Zahl auf 18.000,
weil der Zutritt zum österreichischen Arbeitsmarkt für Kriegsflüchtlinge aus Bosnien
genehmigt wurde.177
172 UNHCR, FAQ Schutzformen. In: https://www.unhcr.org/dach/de/services/faq/faq-schutzformen
(am 12.02.2019). 173 DAVY Ulrike, Temporär Protection. Neue Konzepte der EU- Flüchtlingspolitik und ihr Verhältnis
zur Gewährung von Asyl. In: Hannes TRETTNER (Hrsg.), Temporary protection für Flüchtlinge in
Europa. Analysen und Schlussfolgerungen. Wien 2005. 59f. 174 UNHCR, FAQ Schutzformen. In: https://www.unhcr.org/dach/de/services/faq/faq-schutzformen (am 12.02.2019). 175 DAVY, Temporär Protection. 2005, 63. 176 KÖNIG/ PERCHINIG/ PEREMUDAN/ SCHAUR, Country Report. 2015, 21. 177 MÜNZ/ SEIFERT/ ULRICH/ FASSMANN, Wanderungsmuster. 1999, 308.
53
Aufgrund der steigenden Zuwanderung in den 1990er-Jahren wuchs die Überzeugung, dass
neue Regelungen bezüglich Migration und Zuwanderung notwendig seien. Somit kam es auch
zu Beginn des Jahrzehnts zu neuen Regelungen im Aufenthaltsrecht. Des Weiteren wurde ein
neues Fremdenrecht geschaffen. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass eine Quotenregelung
eingeführt wurde, welche eine Höchstzahl von zu vergebenden Aufenthaltsgenehmigungen pro
Jahr bestimmte.178
Österreich war eines der ersten europäischen Länder, das die Zuwanderung mittels eines
eigenen Gesetzes versuchte zu regeln. Beim Aufenthaltsgesetz handelt es sich um ein
Einwanderungsgesetz, welches aus Rücksicht auf die damalige öffentliche Meinung anders
benannt wurde. Ziel dieses Gesetzes war es, die neu entstandenen Wanderungen nach
Österreich zu steuern, Kriterien für den Aufenthalt von Fremden zu regeln und etwaige
Möglichkeiten der Umgehung der Vorschriften zu unterbinden.179 Die Bundesregierung konnte
mit dem Aufenthaltsgesetz bestimmter Gruppen ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht
gewähren.180 So heißt es im AufG §12 (1):
„Für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände kann die
Bundesregierung mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von
Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren.“181
Das Aufenthaltsgesetz ist im Juli 1993 erstmals in Kraft getreten. Durch dieses Gesetz
benötigten die MigrantInnen ein gültiges Reisedokument und einen Sichtvermerk, um nach
Österreich legal einwandern zu können. 182 Im Aufenthaltsgesetz ist vorgesehen, dass eine
Aufenthaltsbewilligung grundsätzlich dann erteilt werden kann, wenn die Erstantragsstellung
im Herkunftsland beantragt wurde. Um eine Zuwanderungserlaubnis zu bekommen, benötigten
die Menschen neben den oben genannten Voraussetzungen einen Nachweis über eine
178 PERCHINIG, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. 2016, 53. 179 FASSMANN Heinz/ MÜNZ Rainer, Einwanderungsland Österreich? Historische Migrationsmuster, aktuelle Trends und politische Maßnahmen. Wien 1995, 88. 180 WEBER, Vergleich der Temporär Protection-Gesetzgebung acht europäischer Staaten für
Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina vor Umsetzung der Eu-Richtlinie über vorübergehenden Schutz. 2005, 101. 181 RECHTSINFORMATIONSSYSTEM DES BUNDES, Aufenthaltsgesetz. Fassung vom
29.07.1993. In:
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005817&FassungVom=1993-07-29 (am 12.02.2019). 182 RECHTSINFORMATIONSSYSTEM DES BUNDES, Bundesgesetzblatt für die Republik
Österreich. In: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1992_839_0/1992_839_0.pdf (am 13.02.2019).
54
Wohnmöglichkeit und einen gesicherten Lebensunterhalt. Im Falle des nicht Vorhandenseins
eines dieser Kriterien, konnte die Aufenthaltsbewilligung abgewiesen, entzogen bzw. nicht
erneuert werden. Eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung wurde nur dann ausgestellt, wenn
mindestens vier Mal der Antrag verlängert wurde und mindestens fünf Jahre Aufenthalt in
Österreich nachweisbar waren. 183 Potenzielle ZuwandererInnen wurden jedoch in mehrere
Gruppen aufgeteilt. So waren BürgerInnen aus EU- und EWR-Staaten von diesen Regelungen
ausgenommen. Im Auswahlverfahren hatten ausländische EhepartnerInnen und minderjährige
Kinder von bereits in Österreich ansässigen In- bzw. AusländerInnen Vorrang.184
Im Falle von bosnischen StaatsbürgerInnen wurde eine Verordnung laut AufG § 12(1) erlassen,
bei welcher BosnierInnen, die legal oder vor dem Inkrafttreten des AufG nach Österreich
eingewanderten waren, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhielten. Die
Aufenthaltsrechte wurden immer wieder verlängert, bis im Jahr 1998 das Bosniergesetz in Kraft
trat.185
Dieses Aufenthaltsgesetz war ein erster Schritt in Richtung einer koordinierten und stark
restriktiven Migrationspolitik. Die vorgenommenen Maßnahmen dienten der Verhinderung von
unkontrollierten Einwanderungen und dem Schutz des österreichischen Arbeitsmarktes.186 Wie
Abbildung 2 im Kapitel 3.2.2 zeigt, konnte die Zuwanderung nach Österreich aufgrund der
Einführung des Aufenthaltsgesetzes stark eingedämmt werden.
Das Paßgesetz (1966) und das Fremdenpolizeigesetz (1990), welche die wichtigsten
Rechtsquellen für den Aufenthalt von Ausländern in Österreich sind, wurden vom
Fremdengesetz im Jahr 1993 abgelöst. Im Fremdengesetz wird deutlich zwischen
AusländerInnen, die sich länger in Österreich befinden, und Touristen unterschieden. Eines der
Ziele dieses Gesetzes war die Vorbeugung von illegalen Aufenthalten in Österreich.187
183 MÜNZ/ LEBHART, Zuwanderung nach Österreich. 1999, 80. 184 FASSMANN/ MÜNZ, Einwanderungsland Österreich? 1995, 88f. 185 WEBER, Vergleich der Temporär Protection-Gesetzgebung acht europäischer Staaten für Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina vor Umsetzung der Eu-Richtlinie über vorübergehenden
Schutz. 2005, 104. 186 FASSMANN/ MÜNZ, Einwanderungsland Österreich? 1995, 91. 187 Ebd., S. 87.
55
Im Jahr 1998 trat das Aufenthaltsgesetz außer Kraft und wurde in das Fremdengesetz von 1997
integriert. 188 Neben dem erneuerten Aufenthalts- und Fremdenrecht wurde das
Ausländerbeschäftigungsgesetz in den 1990er-Jahren novelliert. Im folgenden Kapitel wird auf
diese Verordnung näher eingegangen und der Zugang ausländischer Arbeitskräfte zum
österreichischen Arbeitsmarkt aufgezeigt.
3.2.3.1 Zugang zum Arbeitsmarkt
Seit 1975 bestimmt das Ausländerbeschäftigungsgesetz den Zugang von ausländischen
Arbeitskräften zum österreichischen Arbeitsmarkt. In diesem Gesetz werden die
unterschiedlichen AusländerInnen in Gruppen aufgeteilt. So sind alle ÖsterreicherInnen, EWR-
BürgerInnen, deren Familienangehörige sowie minderjährige Kinder und EhepartnerInnen von
österreichischen StaatsbürgerInnen von dieser Verordnung ausgenommen. Des Weiteren sind
anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Konvention von diesem Gesetz nicht betroffen. Diese
Personengruppe hatten einen freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. Alle anderen
Personen benötigten eine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz. 189 Das
Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) wurde im Jahr 1988 und 1990 novelliert. In diesem
sind unterschiedliche Bewilligungen vorhanden. Neben der Beschäftigungsbewilligung sind
auch Arbeitserlaubnisse und Befreiungsscheine vorhanden.190
Eine Beschäftigungsbewilligung ist der erste Einstieg in den Arbeitsmarkt, unabhängig von
Aufenthaltsdauer, Integrationsgrad und Familienverhältnissen. Die Beschäftigungsbewilligung
wird maximal auf ein Jahr erteilt. Diese Bewilligung muss von zukünftigen ArbeitgeberInnen
beantragt werden und ist an einen bestimmten Arbeitsplatz und eine bestimmte Tätigkeit
gebunden. Da die AusländerInnen in diesem Verfahren kein Parteirecht haben, können sie im
Falle einer Ablehnung keine Berufung einlegen. Ehe eine Bewilligung ausgestellt werden kann,
muss das Arbeitsmarktservice die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes erforschen. Ferner
188 WEBER, Vergleich der Temporär Protection-Gesetzgebung acht europäischer Staaten für
Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina vor Umsetzung der Eu-Richtlinie über vorübergehenden
Schutz. 2005, 101. 189 ALI-PAHLAVANI Zohreh, Chancen für MigrantInnen am Arbeitsmarkt in Österreich. In:
Arbeitsgruppe Migrantinnen und Gewalt (Hg.), Migration von Frauen und strukturelle Gewalt. Wien
2003, 41f. 190 FASSMANN/ MÜNZ, Einwanderungsland Österreich? 1995, 87.
56
muss geprüft werden, ob es für diesen Job nicht schon einen arbeitslos gemeldete/n InländerIn
gibt.191 So heißt es im § 4 (1) des Ausländerbeschäftigungsgesetzes:
„Einem Arbeitgeber ist auf Antrag eine Beschäftigungsbewilligung für den im Antrag angegebenen Ausländer zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des
Arbeitsmarktes die Beschäftigung zulässt (Arbeitsmarktprüfung), wichtige öffentliche
und gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen […]“. 192
Bei der Arbeitserlaubnis handelt es sich um eine Bewilligung für zwei Jahre. Diese Erlaubnis
muss von den AusländerInnen selbst beantragt werden. Voraussetzung ist eine vorherige
Beschäftigung von mindestens einem Jahr. Der Befreiungsschein erlaubt eine Beschäftigung
innerhalb des gesamten Bundesgebietes. Für diese Erteilung muss eine fünfjährige
Beschäftigung innerhalb von acht Jahren nachgewiesen werden. Eine Verlängerung des
Befreiungsscheines erfordert eine zweieinhalbjährige Beschäftigung innerhalb der
Gültigkeitsdauer.193
Im Zuge der Novellierung im Jahr 1990 wurde ein neues Instrument der Steuerung einer
absoluten Obergrenze für die Beschäftigung von AusländerInnen eingeführt. Nach dieser
Regelung durfte die Gesamtzahl der unselbstständig beschäftigten und arbeitslosen
AusländerInnen einen bestimmten Anteil der österreichischen Arbeitskräftepotentials nicht
überschreiten. Diese Ausländerquote wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales
festgelegt. Im Jahr 1995 betrug die Quote 9 % des österreichischen Arbeitskräftepotentials
(=295.000 Personen). Ausgenommen von diesen Restriktionen waren EWR- bzw. EU-
BürgerInnen. 194 Bosnische Flüchtlinge erhielten keinen Zugang zum österreichischen
Arbeitsmarkt mit einer Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 AsylG 1991. Erst durch einen
Aufenthaltstitel nach dem AufG konnte es zu einer Beschäftigungsbewilligung kommen.195
191 ALI-PAHLAVANI Zohreh, Chancen für MigrantInnen am Arbeitsmarkt in Österreich. 2003, 44f. 192 RECHTSINFORMATIONSSYSTEM DES BUNDES, Aufenthaltsgesetz. Fassung vom 14.05.2019. In:
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=100083
65 (am 13.02.2019). 193 ALI-PAHLAVANI Zohreh, Chancen für MigrantInnen am Arbeitsmarkt in Österreich. 47ff. 194 FASSMANN/ MÜNZ, Einwanderungsland Österreich? 1995, 87. 195 WEBER, Vergleich der Temporär Protection-Gesetzgebung acht europäischer Staaten für
Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina vor Umsetzung der Eu-Richtlinie über vorübergehenden Schutz. 2005, 119f.
57
Für bosnische Flüchtlinge gab es zuerst keine Ausnahme von der Ausländerquote für
Beschäftigungsbewilligungen. Nachdem sich die Lage in Bosnien und Herzegowina aber nicht
verbesserte, wurde mittels Verordnungen und Erlässen des zuständigen Sozialministeriums
BosnierInnen ein bevorzugter Arbeitsmarktzugang erlassen. Infolge dieser
Arbeitsmarktzulassung kam es zu einer hohen Integration von BosnierInnen in den
Arbeitsmarkt.196
3.2.3.2 Integrationsmaßnahmen
Während in den 1990er-Jahren auf der rechtlichen Ebene viele Verschärfungen durchgeführt
worden waren, welche ab und zu von den Höchstgerichten erleichtert wurden, entstanden zu
dieser Zeit die ersten Integrationsinitiativen. Unterschiedliche Faktoren, wie die
Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, menschenrechtliche, karitative und
interkulturelle NGOs, aber auch Universitäten gaben den ersten Anstoß. Diese Parteien
orientierten sich im Gegensatz zu der damaligen Innenpolitik an die
Gleichstellungsparadigmen, welche in der Europäischen Union immer dominanter wurden. In
den Flächenbundesländern waren vor allem Nichtregierungsorganisationen an der Entwicklung
der Integrationsarbeit beteiligt. Im Jahr 1992 wurde der Wiener Integrationsfond gegründet
unter der Initiative der damaligen Kulturstadträtin Ursula Pasterk. Dieser Integrationsfond
wurde die erste städtische Integrationseinrichtung in Österreich. Der Wiener Integrationsfond
beschäftigte sich vor allem mit sozialpolitischen Aspekten und der schlechteren ökonomischen,
rechtlichen und sozialen Situation der MigrantInnen. Den MigrantInnen wurde vor allem die
Beratung im Bereich des Aufenthaltsrechts angeboten. Außerdem entstanden Vernetzungs- und
Beratungsstellen in den Wiener Bezirken.197
Integrationshilfe wurde in Österreich zunächst nur InhaberInnen von Aufenthaltstiteln und
anerkannten Flüchtlingen zugesprochen. Erst seit dem Fremdengesetz von 1997 wurde
Integrationshilfe auch für subsidiäre Flüchtlinge eingeführt. Seit 1994 wurde vor allem die
Arbeitsmarktintegration von BosnierInnen stark gefördert.198
196 Ebd., S. 120. 197 PERCHINIG, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. 2016, 53ff. 198 WEBER, Vergleich der Temporär Protection-Gesetzgebung acht europäischer Staaten für
Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina vor Umsetzung der Eu-Richtlinie über vorübergehenden Schutz. 2005, 135.
58
Eine Harmonisierung des Aufenthaltsrechts und Arbeitsmarktzugangs wurde zu dieser Zeit
nicht erreicht. Anstatt einer grundlegenden Gesetzesänderung wurden einige wenige Erlässe
herbeigeführt. Ein solcher Erlass bezieht sich auf die bevorzugte Vermittlung von Ausländern
auf dem Arbeitsmarkt, die sich bereits seit acht Jahren in Österreich befinden.199
Durch die Bund-Länder Aktion konnten bosnischen Flüchtlingen Deutschkurse, Stipendien,
Spezialsprachkurse für bestimmte Berufsgruppen, Berufsqualifizierungsberufe und
Schulungsmaßnahmen in Berufssparten finanziert werden. Diese Integrationsmaßnahmen
wurden vor allem von Hilfsorganisationen und unterschiedlichen Institutionen der Gemeinden
durchgeführt. Es wurde versucht, die bosnischen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu
integrieren, was sich jedoch als sehr schwierig erwies. Erst nachdem sich die Situation in
Bosnien nicht verbesserte und Österreich seine Politik diesbezüglich hinterfragte, kam es zu
einer Veränderung. Im Hinblick auf die finanzielle Entlastung der öffentlichen Hand, entschloss
sich die Regierung die restriktive Haltung in Bezug auf die Vergabe von
Beschäftigungsbewilligungen zu lockern.200
In den 1990er-Jahren entwickelte sich zumindest auf der inhaltlichen Ebene in allen
Bundesländern ein liberal grundiertes Integrationsverständnis. Dieses forderte eine
weitgehende Gleichstellung von MigrantInnen. Es kam zu einer Abwendung des
Assimilationsparadigmas und Integration wurde immer mehr als Bringschuld der Gesellschaft
wahrgenommen.201
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Österreich sowohl ein Ein- als auch
Auswanderungsland ist. Durch die Gastarbeiterbeschäftigung, die sich verändernde politische
Situation in Europa Ende der 1980er-Jahre und der Flüchtlingszustrom aus dem ehemaligen
Jugoslawien stieg die Zuwanderung in hohem Ausmaß. Infolge dessen wurden neue Gesetze
implementiert, welche die starke Zuwanderung nach Österreich eindämmen sollten. Durch die
Quotenregelung wurde dieses Ziel zwischen 1992 und 1994 weitgehend erreicht. In Österreich
setzten sich zu dieser Zeit viele Stimmen für eine koordinierte und stark restriktive
199 MATZKA Manfred, Integration in Österreich. In: Andreas KOHL, Österreichisches Jahrbuch für
Politik. Wien 2001, 88. 200 HADOLT Bernhard / HERZOG-PUNZENBERGER Barbara / SITZ Angelika, Die österreichische
de facto-Aktion für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina. 1999. In: http://paedpsych.jku.at/dev/wp-
content/uploads/2016/05/Herzog-Punzenberger-et-al-1999-Flu%CC%88chtlingsregime-O%CC%88sterreich-De-facto-Aktion.pdf (am 09.02.2019), 37. 201 PERCHINIG, Zuwanderung und Integration in Österreich revisited. 2016, 57.
59
Migrationspolitik ein. Die vorgenommenen Maßnahmen, in Form von Gesetzen, verhinderten
im Großen und Ganzen unkontrollierte Einwanderung und gewährten dem österreichischen
Arbeitsmarkt Schutz. Der Schutz des Arbeitsmarktes wurde vor allem vom
Ausländerbeschäftigungsgesetz garantiert. Obwohl eine starke sicherheitsorientierte
Migrationspolitik geführt wurde, konnte sich ein neues Integrationsverständnis entwickeln.
Dieses förderte die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung der MigrantInnen.
60
4. Empirie
4.1 Methode
In diesem Kapitel wird einleitend die empirische Sozialforschung mit dem Fokus auf die
qualitative Forschung näher behandelt. Es soll ein kurzer Überblick über die theoretischen
Rahmenbedingungen und den Gegenstand der qualitativen Sozialforschung gegeben werden.
Da in dieser Arbeit mit dem Erhebungsverfahren des Leitfadeninterviews gearbeitet wird, soll
dieses im Anschluss näher erläutert werden. Anschließend wird der Fokus auf das
Forschungsinteresse gelegt, hierbei werden die Interviewsituation und die
InterviewpartnerInnen vorgestellt. Im abschließenden Teil kommt es zur Auswertung des durch
die Interviews gewonnenen Materials und es wird ein Vergleich zwischen den Generationen
angestellt.
4.1.1 Empirische Sozialforschung
Die Empirische Sozialforschung umfasst eine Reihe von Methoden, Techniken und
Instrumenten, welche für wissenschaftliche Untersuchungen des menschlichen Verhaltens und
anderer sozialer Phänomene Verwendung finden. Diese Forschung findet im Kontext
unterschiedlicher Wissensgebiete Anwendung und ist somit eine Querschnittdisziplin. Der
Empirischen Sozialforschung ist die Erfassung und Zusammenführung der sozialen Realität ein
gemeinsames Anliegen. 202 Das Ziel besteht in der Schaffung von empirisch fundiertem
sozialwissenschaftlichem Wissen. Die Erhebung und die Analyse von Daten sollen Antworten
auf die im Vorhinein gestellten Fragen liefern.203 In den Sozialwissenschaften findet man eine
Vielzahl an Techniken zur Erhebung und Auswertung von Daten. Je nachdem, was man
untersuchen möchte und wie die Fragestellung formuliert wurde, bestehen unterschiedliche
Methoden, welche auch in Kombination verwendet werden können. Jedoch muss man
beachten, dass sich nicht jede Methode bei spezifischen Fragestellungen gut anwenden lässt.204
202 HÄDER Michael, Empirische Sozialforschung. Eine Einführung. 3. Auflage. Wiesbaden 2015.
S.12. 203 WEISCHER Christoph, Sozialforschung. Konstanz 2007, S. 16. 204 DIEKMANN Andreas, Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 9.
Auflage. Reinbek bei Hamburg 2014. S. 18f.
61
4.1.2 Qualitative Sozialforschung
Die qualitative Forschung ist in unterschiedlichen Disziplinen und Fächern vertreten. Obwohl
noch immer starke Kritik gegen die qualitative Forschung besteht, hat sie sich in den
Wissenschaften, vor allem in der Sozialwissenschaft durchgesetzt. Die qualitative Forschung
beleuchtet die Lebenswelten aus der Sicht der handelnden Personen. Dadurch soll die soziale
Wirklichkeit besser dargestellt und verstanden werden. Gleichzeitig versucht sie auf bestimmte
Abläufe und Strukturmerkmale zu verweisen.205 Kruse sagt, dass die qualitative Forschung
singbezogene Muster sucht, mit welchen sie Regelmäßigkeit erklären kann. Die quantitative
Forschung versucht verteilungsbezogene Typiken zu finden. Die qualitative und quantitative
Forschung stehen für ihn nicht als Konkurrenten gegenüber, sondern verhalten sich
komplementär zu einander. Der Prozess der qualitativen Sozialforschung soll dynamisch und
offen sein, um so empirisch rekonstruierte und gegenstandsbezogene Konzepte zu erhalten.206
4.1.3 Leitfadeninterviews
Leitfadeninterviews haben sich im Laufe der Zeit als eines der am häufigsten verwendeten
Interviewmethoden in der qualitativen Sozialforschung etabliert. Diese Form des Interviews
befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Offenheit und Strukturierung. Sowohl die
methodologische als auch forschungspraktische Ebene sind davon betroffen. Im Vorfeld des
Gespräches wird ein Interviewleitfaden erstellt, welches das Interview strukturiert und in eine
bestimmte Themenrichtung leitet.207 Ein Leitfaden besteht entweder aus mehreren offenen
Fragen in fester Reihung oder aus mehreren Aufforderungen zum Erzählen. Eine weitere
Möglichkeit besteht aus einer Kombination dieser beiden Optionen. Neben verbalen Elementen
können auch unterschiedliche Stimuli für einen Leitfaden verwendet werden. So können
Befragte aufgefordert werden ein Bild oder einen Film zu kommentieren, eine Stellung zu
beziehen oder ein Problem aufzuarbeiten.208
205 FLICK Uwe/ KARDORFF Ernst von/ STEINKE Ines, Was ist qualitative Forschung? Einleitung
und Überblick. In: Uwe FLICK/ Ernst von KARDORFF/ Ines STEINKE (Hgg.), Qualitative
Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg 2015. S. 13f. 206 KRUSE Jan, Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2. Auflage. Weinheim/ Basel 2015. S. 44ff. 207 Ebd., S. 209. 208 HELFFERICH Cornelia, Leitfaden- und Experteninterviews. In: Nina BAUR/ Jörg BLASIUS (Hgg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden 2014. S. 559-574. S. 565.
62
Leitfadeninterviews können unterschiedlich stark strukturiert werden. Trotzdem kennzeichnet
eine mehr oder weniger offene Strukturierung der Durchführung der Gespräche das
Leitfadeninterview. Hierbei besteht die Gefahr durch bestimmte Leitfragen den Redefluss des
Interviewten zu unterbrechen und somit das Interview zu steuern. Diese Problematik wird oft
auch als „Leitfadenbürokratie“ und „Pseudoexploration“ bezeichnet. 209 Der Leitfaden
kennzeichnet sich durch eine systematisch angewandte Vorgabe zur Gestaltung des
Interviewgespräches. Zwar ist eine maximale Offenheit des Interviews erwünscht, jedoch aus
Gründen des Forschungsinteresses oder der Forschungspragmatik, kann das Interview bewusst
methodologisch eingeschränkt werden. Für viele Forschungsfragen ist es notwendig das
Interview in einem gewissen Ausmaß zu steuern. So heißt es bei Helfferich: „Die Erstellung
eines Leitfadens folgt dem Prinzip ´So offen wie möglich, so strukturierend wie nötig´.“210 In
anderen Worten bedeutet das, dass die Aufforderung zur Offenheit eine Ideallinie ist, welche
Orientierung verschafft, jedoch muss sie nicht vollständig eingehalten werden. Schon alleine
die soziale Kommunikationsstruktur des Interviews schränkt das ein, was wie gesagt werden
kann. Somit können die Äußerungsmöglichkeiten der Befragten nie ganz unbeeinflusst bleiben.
Ein vollkommener Verzicht auf Strukturierung erweist sich als schwierig und nicht als sinnvoll
für das Forschungsinteresse. Bereits die Information über den Zweck der Forschung, kann bei
den Befragten die Offenheit der Äußerungsmöglichkeiten einschränken. Auch die
Ankündigung des Forschungsvorhabens, die Fragenformulierung und die Aufforderungen zum
Erzählen vermitteln schon Vorannahmen.211
Durch eine starke Strukturierung kann eine mögliche Vielfalt der Äußerungen von Interviewten
eingeschränkt und somit verhindert werden. Wenn das Interview in eine bestimmte Richtung
gelenkt wird, können somit auch subjektiv relevant aufgefasste Aspekte, welche in eine andere
Richtung führen würden, nicht erfasst werden. Für eine starke Strukturierung des Interviews
spricht die Tatsache, dass dadurch wichtige und interessante Aspekte für die Forschung
angesprochen werden. Obwohl diese Aspekte vielleicht für den Interviewten nicht als relevant
aufgefasst werden und sie es von sich aus auch nicht erwähnt hätten, teilt der/die Befragte seine
Gedanken dazu. Festzustellen ist, dass je konkreter das Forschungsinteresse ausgerichtet ist,
desto mehr Strukturierung und mehr Vorgaben verträgt das Interview. 212
209 KRUSE, Qualitative Interviewforschung. 2015, S. 209f. 210 HELFFERICH, Leitfaden- und Experteninterviews. 2014, S. 560. 211 Ebd., S. 562. 212 Ebd., S. 566.
63
Kruse ist der Auffassung, dass obwohl ein Dilemma zwischen Strukturierung und Offenheit in
Interviewleitfäden besteht, muss kein Widerspruch in einer thematischen Vorgabe („etwas
bestimmtes Wissen wollen“) und dem Raum für subjektiv relevante Aspekte vorherrschen.
Somit besteht die Möglichkeit einer Kompromisslösung, bei welcher offen strukturiert wird.
Die Art und Weise wie strukturiert wird ist hierbei von großer Bedeutung. Es soll einerseits
eine flexible und dynamische Handhabung von Strukturierung und Offenheit und andererseits
offene Fragestellungen ermöglicht werden. Wichtig bei den thematisch abgegrenzten
Fragestellungen ist, dass sie eine schließende Wirkung vermeiden. 213 Interviewleitfäden
müssen nicht - wie bei einer standardisierten Befragung - einem vorgegebenen Verlauf folgen.
Je nachdem, wie das Gespräch verläuft, kann die Abfolge der Leitfragen verändert werden.
Fragen, die in einer vorhergehenden Frage ausgiebig behandelt wurden, können ausgelassen
werden. Auch die Veränderung, Ergänzung und Vertiefung von Fragen, die sich im Laufe des
Interviews ergeben, sind möglich. Durch diese unterschiedlichen Möglichkeiten kann die
Befragung variiert und der Interviewsituation gut angepasst werden.214
4.2 Forschungverlauf
In dem Unterkapitel Forschungsverlauf wird auf die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten
Leitfadeninterviews eingegangen. Hierbei wird auf die InterviewpartnerInnen, ihre Akquisition
und die Interviewsituation eingegangen. Es wird ein Überblick über die im Mittelpunkt dieser
Arbeit stehenden Personengruppen geliefert.
4.2.1 Interviewsituation
Im Zeitraum von Januar bis März 2019 wurden 13 Interviews mit Personen bosniakischer
Herkunft geführt. Insgesamt wurden 3 Familien befragt, welche allesamt in den 1990er-Jahren
aufgrund des Bosnienkrieges nach Österreich geflüchtet sind. Sowohl die erste Generation, die
Eltern als auch die zweite Generation, die Kinder, erklärten sich bereit, ein Leitfaden gestütztes
Interview zu geben. Es wurden für die zwei Generationen leicht unterschiedliche Leitfäden
entwickelt. Diese können im Anhang dieser Arbeit betrachtet werden. In der ersten Generation
wurden 3 Männer und 3 Frauen und in der zweiten Generation wurden 7 Frauen befragt. Am
Anfang stellte sich die Suche als schwierig heraus. Mit Hilfe einer Freundin konnte die erste
213 KRUSE, Qualitative Intervieforschung. 2015, S. 212f. 214 WEISCHER, Sozialforschung. 2007, S. 273f.
64
Familie, die sich nach sehr kurzer Zeit dazu bereit erklärte, teilzunehmen, gefunden werden.
Die zweite Familie konnte über den Cousin eines Verwandten erreicht werden. Er hatte
Bekanntschaften mit einer Familie aus Kärnten. Die dritte Familie konnte wiederum über eine
Freundin kontaktiert werden. Interessant zu erwähnen ist, dass alle drei Familien im ländlichen
Bereich der Steiermark und Kärntens leben.
Alle Interviews wurden mit einer kurzen Einführung in den Themenbereich der Arbeit
begonnen. Gleich darauf wurde die volle Anonymität garantiert. Deshalb sind die Namen der
InterviewpartnerInnen in den Darstellungen verändert worden. Im weiteren Verlauf des
Interviews orientierte sich die Interviewende am Leitfaden. Hier ist wichtig zu erwähnen, dass
für die erste und zweite Generation jeweils unterschiedliche Leitfäden erstellt wurden.
Trotzdem überschneiden sich mehrere Fragen. Im Folgenden werden alle
InterviewpartnerInnen kurz vorgestellt.
4.2.2 InterviewpartnerInnen
Familie 1:
Omer ist 52 Jahre alt und wurde in Bosnien und Herzegowina (damaliges Jugoslawien)
geboren. Zurzeit befindet er sich in Krankenstand, davor arbeitete er viele Jahre als Bauarbeiter
in ganz Europa. Nachdem er eine längere Zeit in Zagreb verbrachte und seine Frau
kennenlernte, beschloss er im Jahr 1993 mit seiner Frau aufgrund der schlechten
Lebensbedingungen nach Österreich weiter zu flüchten. Gemeinsam haben die beiden 2
Töchter.
Maida ist 51 Jahre alt und wurde in Bosnien und Herzegowina (ehemaliges Jugoslawien)
geboren. Im Jahr 1993 flüchtete sie gemeinsam mit ihrem Mann nach Österreich. Sie
absolvierte in Bosnien vor dem Krieg eine Ausbildung zur Religionslehrerin. Das Diplom
wurde ihr in Österreich nach einer gewissen Zeit anerkannt. Dadurch konnte Sie ihren gelernten
Beruf auch in Österreich ausüben. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Naila ist 25 Jahre alt und die ältere Tochter von Omer und Maida. Sie studiert an der Universität
in Klagenfurt sowohl Erziehungs- und Bildungswissenschaften als auch Slawistik. Sie wurde
in Österreich geboren und möchte später im Bildungsbereich tätig werden.
65
Naza ist 18 Jahre alt und die zweite Tochter von Omer und Maida. Sie besucht zurzeit die 8.
Klasse der Höheren Technischen Lehranstalt mit dem Schwerpunkt Biomedizin und
Gesundheitstechnik. Sie wurde in Österreich geboren und möchte nach dem Schulabschluss
Medizin studieren. Falls das nicht möglich wird, möchte sie im technischen Bereich bleiben.
Familie 2:
Enis ist 51 Jahre alt und wurde in Bosnien und Herzegowina (ehemaliges Jugoslawien) geboren.
Er besuchte in Jugoslawien die Universität, musste diese jedoch aufgrund des Krieges
abbrechen. Im Jahr 1992 flüchtete er gemeinsam mit seiner Frau aus Belgrad nach Österreich.
In Österreich arbeitete er als Maler und schloss im Jahr 2000 die HTL ab. Jetzt arbeitet er in
einer Firma im Labor der Entwicklung und ist als Programmierer tätig.
Mineta ist 48 Jahre alt und wurde in Bosnien und Herzegowina (ehemaliges Jugoslawien)
geboren. Sie hat vor dem Krieg eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Nachdem sie im Jahr
1992 nach Österreich kam, hatte sie unterschiedliche Jobs. Sie schloss im Rahmen eines
Praktikums unterschiedliche Fortbildungen und Einkaufslehrgänge ab und wurde dann von
ihrer Firma weiter beschäftigt. Mit ihrem Mann gemeinsam haben die beiden zwei Töchter.
Elma ist 25 Jahre alt und ist die älteste Tochter von Enis und Mineta. Sie wurde in Österreich
geboren und studiert zurzeit an der Universität Graz Englisch und Deutsch auf Lehramt.
Dadurch, dass sie Kindern Schwimmunterricht gibt und sie das leidenschaftlich gern macht, hat
sie sich dazu entschlossen, Lehrerin an einer NMS oder an einem Gymnasium zu werden.
Ina ist 22 Jahre alt und wurde in Österreich geboren. Sie macht zurzeit auf dem WIFI die Lehre
mit Matura. Sie arbeitet nebenbei als Bürokauffrau in einer Firma in der Steiermark. Sie
interessiert sich für Arbeitsrecht und könnte sich vorstellen in Zukunft Beratungen in der
Arbeiterkammer zu geben.
Familie 3:
Nezir ist 59 Jahre alt und wurde in Bosnien und Herzegowina (ehemaliges Jugoslawien)
geboren. Im Jahr 1995 flüchtete er im Rahmen der Familienzusammenführung nach Österreich.
Davor stand er als Soldat im Bosnienkrieg in Einsatz. Nachdem er in Österreich ankam, begann
er in einer Firma für Holzverarbeitung zu arbeiten. Sein Abschluss in einer technischen Schule
in Bosnien wurde in Österreich leider nicht anerkannt.
66
Seida wurde in Bosnien und Herzegowina (ehemaliges Jugoslawien) geboren und ist 52 Jahre
alt. Sie flüchtete im Oktober 1992 nach Österreich und verbrachte die anfängliche Zeit bei
Familienmitgliedern. Sie war für eine längere Zeit Hausfrau und kümmerte sich um deren
Kinder. Im Jahr 2009 begann sie in einem Restaurant als Küchenhilfe zu arbeiten. Mit ihrem
Mann zusammen haben sie 3 Töchter.
Nadia ist 29 Jahre alt und wurde in Bosnien und Herzegowina (ehemaliges Jugoslawien)
geboren. Sie ist die älteste Tochter von Nezir und Seida. Im Jahr 1992 kam sie gemeinsam mit
ihrer Mutter nach Österreich. Sie absolvierte die HLW in Kärnten und arbeitet zurzeit in einer
Firma, die Antriebssysteme für Motoren baut. Dort ist sie in der Export- und Zollabteilung
beschäftigt.
Almasa ist 20 Jahre alt und wurde in Österreich geboren. Sie hat die HLW abgeschlossen und
ist seit kurzem in der Buchhaltung einer Firma tätig. Nebenbei besucht sie einen Abendkurs für
Personalverrechnung an der Wirtschaftskammer.
Emina ist 17 Jahre alt, wurde in Österreich geboren und ist die jüngste Tochter dieser Familie.
Sie besucht zurzeit die Schule und möchte in Zukunft in einem abwechslungsreichen Bereich
tätig sein. Ihr Wunschberuf ist Polizist, dafür muss sie jedoch die österreichische
Staatsbürgerschaft annehmen.
4.3 Auswertung
4.3.1 Erste Generation
Die Flucht
Alle InterviewpartnerInnen der ersten Generation sind zwischen 1992 und 1995 aufgrund des
Krieges in Bosnien und Herzegowina nach Österreich geflüchtet. Zwei der drei männlichen
Familienmitglieder der ersten Generation hatten Glück zum Zeitpunkt des Kriegsausbruches
nicht in Bosnien und Herzegowina gewesen zu sein. Omer arbeitete zu dieser Zeit mit seinem
Vater in Zagreb und musste nicht aus einem Kriegsgebiet flüchten. Enis lebte in Belgrad, war
Soldat und Student. Nachdem sich der Krieg in Bosnien weiterentwickelt hatte, beschloss Enis
mit seiner Frau aus Belgrad zu fliehen. Später stellte sich heraus, dass er rechtzeitig Serbien
verlassen hatte, da einige seiner Kollegen wenig später eingesperrt oder verschwunden waren.
67
Der dritte Interviewpartner Nezir war Soldat und konnte im Verlauf des Krieges nicht flüchten.
Erst im Jahr 1995, wo der Krieg ein Ende fand, konnte er im Rahmen der
Familienzusammenführung nach Österreich kommen.
Im Gegensatz zu den männlichen musste keine der weiblichen InterviewpartnerInnen im Krieg
dienen. Trotzdem befanden sich zwei der drei Interviewpartnerinnen in Kriegsgebieten. Maida
erzählte von den glücklichen Umständen, welche es ihr ermöglichten rechtzeitig das
Kriegsgebiet zu verlassen:
„Ich bin rechtzeitig nach Österreich gekommen. Zuerst von Bosnien nach Kroatien, von
dort über Slowenien nach Österreich. Das war noch die Zeit, wo man über die Brücke des Flusses Sava gehen konnte. Zwei Tage nachdem ich die Brücke überquert habe,
wurde die Brücke gesprengt. Ich habe Glück gehabt, dass ich rechtzeitig rüber
gegangen bin.“ (Maida: Familie 1)
Seida konnte beim Ausbruch des Krieges nach Kroatien flüchten. Mineta flüchtete kurz vor
dem Ausbruch des Krieges nach Belgrad zu ihrem Mann, welcher dort studierte. Die
Entscheidung nach Österreich zu flüchten, geschah bei zwei Familien aufgrund der Tatsache,
dass sie Familienmitglieder in Österreich hatten, bei denen sie auch unterkommen konnten. Nur
die erste Familie flüchtete nach Österreich, da die Lebensbedingungen in Zagreb sehr schlecht
waren. Diese Familie hatte als einzige keine Verwandten in Österreich.
Für die zweite Familie ergaben sich bei der Grenze zu Österreich Schwierigkeiten. Der
jugoslawische Reisepass hatte bis zu diesem Tag Gültigkeit gehabt, jedoch erreichten Enis und
Mineta die österreichische Grenze erst gegen Mitternacht. Die Einreise wurde ihnen zuerst
verweigert, nachdem aber ein Mädchen für sie gedolmetscht hatte, wurde ihnen die Einreise
schließlich gewährt.
Neubeginn in Österreich
Die anfängliche Zeit in Österreich erwies sich für alle drei Familien als schwierig. Sowohl die
Wohn- als auch die Beschäftigungssituation war sehr schlecht. Auf Grund der Tatsache, dass
die erste Familie keine Verwandten in Österreich hatte, kamen sie in ein Aufnahmezentrum. Es
war eine Pension, in welcher 20 Familien untergebracht worden waren. Jede Familie bekam ein
Zimmer mit Toilette. Die zweite Familie hatte sowohl Verwandte in Wien als auch in Graz
Umgebung. Sie entschlossen sich nach drei Wochen zu ihrem Onkel nach Graz zu ziehen. Dort
lebten sie in einer Zweizimmer Wohnung, mit jeweils 8 Personen in einem Raum. Im Fall der
dritten Familie war nur Seida mit ihrer Tochter in Österreich. Sie konnte bei der Familie ihres
Mannes unterkommen.
68
Alle InterviewpartnerInnen empfanden die nicht vorhandenen Sprachkenntnisse als große
Barriere. Obwohl den meisten ein Sprachkurs angeboten wurde, empfanden sie diesen nicht als
ausreichend. Einige konnten an einem Sprachkurs gar nicht teilnehmen, da sie auf ihre Kinder
aufpassen mussten. Des Weiteren stand für die Familien die Sicherung der finanziellen
Situation im Vordergrund. Für Familie 1 und 2 erwies sich der Erhalt einer Arbeitserlaubnis als
sehr schwierig. Omer bekam seine Arbeitserlaubnis erst vier Jahre nachdem er in Österreich
ankam. Obwohl er gleich nach 3 Wochen eine Arbeit in einer Autowerkstatt gefunden hatte,
stellte ihm das Arbeitsamt keine Arbeitserlaubnis aus. Auch im Fall von Familie 2 gab es
anfängliche Schwierigkeiten mit der Arbeitserlaubnis. Die erste Arbeit bekamen Enis und
Mineta auf einem Erdbeerfeld, jedoch wurde diese Arbeit illegal verrichtet. Mineta arbeitete
weiters als Putzfrau in einem Gasthaus und sie beschreibt ihre damalige Situation so:
„Als ich dort angekommen bin, war dort eine Slowenin, das war wie Sklavenarbeit. Ich
habe um sieben Uhr anfangen müssen, erst ihre Wohnung putzen, dann ihre Küche, dann das Gasthaus, dann die ganze Wäsche, ich habe nicht nach Hause dürfen, bis
nicht alles gebügelt war. Das heißt, ich bin oft bis elf am Abend geblieben. Ich habe
Tausend Schilling wieder schwarz verdient. Ich habe gewusst, ich muss arbeiten. Wir
wollten unbedingt von seinem Onkel raus und wir haben uns ein Zimmer gefunden. Allein das Zimmer hat 3500 Schilling gekostet.“(Mineta Familie 2)
Seida arbeitete in ihrer anfänglichen Phase in Österreich nicht, da sie auf ihr Kind aufpasste.
Durch die kleine finanzielle Unterstützung vom Staat über 1500 Schilling konnte sie gerade so
über die Runden kommen. Als Nezir im Jahr 1995 nach Österreich kam, erhielt er die
Arbeitserlaubnis sehr schnell und konnte bald eine Arbeit in einer Firma für Holzverarbeitung
antreten. Es wird ersichtlich, dass die männlichen InterviewpartnerInnen im Fall von Familie 1
und 3 dafür zuständig waren, einen Job zu bekommen, wobei die weiblichen
InterviewpartnerInnen in den ersten Jahren für die Kinderbetreuung zuständig waren. Im Fall
von Familie 3 waren beide InterviewpartnerInnen in der anfänglichen Zeit berufstätig. Weiters
ist wichtig zu erwähnen, dass alle drei Familien sich sehr gut aufgenommen gefühlt haben. Sie
haben viele positive Erlebnisse mit ÖsterreicherInnen gehabt. Auf diese Tatsache wird in Frage
4 näher eingegangen.
Schwierigkeiten
Wie bereits erwähnt, stellten sich mitunter die neue Sprache, das fremde Land und die neue
Umgebung als die größten Schwierigkeiten heraus. Dadurch, dass die Kommunikation
erschwert war, gab es auch Schwierigkeiten mit der Eingliederung. Für die meisten
InterviewpartnerInnen war es schwierig, die Sprache zu erlernen, da sie einerseits die
69
angebotenen Kurse als unmaßgeblich sahen und andererseits hatten viele
InterviewpartnerInnen wichtigere Sorgen. So wurden die anfängliche finanzielle Situation und
die Arbeitslosigkeit als größte Probleme angesehen. Auch Nezir befand sich in einer
schwierigen finanziellen Situation, weswegen er auch ab und zu illegal arbeiten ging. Er wollte
seine Einnahmen etwas erhöhen und stieß dabei auf Betrüger. Er arbeitete auf einer Baustelle.
Nachdem die Arbeit abgeschlossen war, gab ihm der Chef ein Kuvert. Als Nezir es öffnete sah
er, dass er nicht einmal die Hälfte des vereinbarten Honorars erhalten hatte. Da er weder die
Sprache gut konnte und auch die Arbeit illegal verrichtet wurde, konnte er gegen diesen Vorfall
nichts unternehmen. Dadurch, dass viele keine Arbeitserlaubnis hatten, mussten sie andere
Wege zur finanziellen Absicherung finden. Diese verliefen oft im illegalen Bereich, welcher
die strukturelle Integration der geflüchteten InterviewpartnerInnen erheblich erschwerte.
Als weitere Schwierigkeit erwies sich zum Beispiel für Seida die starke Sehnsucht nach ihrer
Familie, die in Bosnien geblieben war. Weiters vermisste sie ihr eigenes Land, die eigenen
Landsleute und einfach alles in Verbindung mit ihrer Vergangenheit in Bosnien und
Herzegowina. Nezir meinte auch, dass sie eine lange Zeit im Ungewissen waren. Sie wussten
nicht, ob sie bleiben oder doch nach Bosnien zurückkehren sollten. Auch Maida hatte lange die
Hoffnung, dass der Krieg nicht lange andauern wird und dass sie zurück in ihre Heimat kehren
kann. Eine solche ungewisse Phase kann die Eingliederung in eine neue Gesellschaft
erschweren und verlangsamen. So ist ein Flüchtling weniger dazu bereit, eine neue Sprache zu
erlernen, wenn er/sie vorhat, das Land bald zu verlassen215 Wie hier ersichtlich ist, hatten alle
drei Familien in ihrer anfänglichen Phase Schwierigkeiten in Österreich. Obwohl diese
Probleme ihr Leben stark beeinflussten, waren sich alle InterviewparterInnen einig, dass die
positiven Dinge überwogen haben. Im folgenden Abschnitt werden die erfreulichen bzw.
positiven Erlebnisse der InterviewpartnerInnen dargestellt.
Positive Erlebnisse
Im Prinzip empfanden alle InterviewpartnerInnen die Aufnahme in Österreich als an sich
positiv. Dies vor allem auf Grund der Tatsache, dass in Österreich kein Krieg herrschte und
dass die Grundversorgung und eine kleine finanzielle Unterstützung seitens der Regierung
gesichert wurden. Alle drei Familien wurden von den ÖsterreicherInnen herzlich
215 Vgl. Kapitel 2.2.2.1 Assimilation nach Esser.
70
aufgenommen. Jede/r InterviewparterIn konnte sich auf irgendeine Art und Weise über Hilfe
seitens der ÖsterreicherInnen erfreuen. So erzählt Enis über seine Erlebnisse:
„Also zum Beispiel, wir haben in der West-Steiermark bei einem Obsthändler
gearbeitet. (…) Wir waren schon so um halb fünf spätestens fünf am Feld und haben gearbeitet. Das Feld ist neben der Bundesstraße und am Abend war dort immer ein
LKW geparkt und der Fahrer hätte sonst um dieses Feld einen Kilometer gehen müssen,
so ist er durch das Feld gegangen. (…)Am dritten, vierten Tag ist der LKW Fahrer zu mir gekommen, weiß nicht warum zu mir, aber er hat mir dann 120 Schilling in die
Hand gedrückt. Also klingt nicht so viel, für mich war das verdammt viel. Dann habe
ich gefragt für was und er einfach so und aufteilen auf Vier. Das bleibt bis zum Ableben
in Erinnerung. Später zum Beispiel, wenn meine Eltern nach Österreich gekommen sind, haben wir ein uraltes Haus zum Wohnen bekommen. Am ersten, zweiten Tag wo
wir dort eingezogen sind, klopft jemand an der Tür und ich sehe einen Polizisten. Da
habe ich mir schon gedacht, was habe ich verbrochen. Dabei hat er nur gefragt wie es uns geht, wie wir uns eingelebt haben und so weiter. Im selben Haus, ist einer der
Nachbarn mit einer Erdbeertorte gekommen, abgegeben als Willkommensgeschenk.“
(Enis Familie 2)
Nezir erzählte, dass er in seiner Arbeit von seinen Kollegen sehr gut aufgenommen wurde:
„Zum Beispiel wo ich angefangen habe zu arbeiten, sie haben mich wirklich sehr gut
aufgenommen. Ich war der einzige Ausländer und sie halfen mir, mich zu Recht zu
finden. Wenn ich etwas nicht wusste, erklärten sie es mir manchmal sogar mehrmals.“
(Nezir Familie 3)
Für die Familie 1 erwies sich der Chef einer Touristenvilla als enorm hilfsbereit. Er gab ihnen
eine Wohnung, richtete diese samt Küche ein und ermöglichte es Omer und Maida in seiner
Villa auszuhelfen. Weiters kontaktierte er den Bürgermeister und verlangte von ihm, dass er
einen Brief in das Innenministerium schreibt und um eine Aufenthaltsbewilligung für die
Familie ansucht. Auch die anderen InterviewparterInnen hatten positive Erlebnisse, die ihnen
geholfen haben sich in der Gesellschaft zu positionieren. Dadurch dass die Ausführung aller
Erlebnisse den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, werden an dieser Stelle keine weiteren
Erfahrungen dargestellt. Eine detaillierte Ausführung aller Interviews können den angefügten
Transkriptionen entnommen werden.
Soziale Beziehungen
Alle Interviewten konnten in ihrer Zeit in Österreich Freundschaften und Bekanntschaften
schließen. Bemerkenswert ist, dass alle drei männlichen InterviewpartnerInnen als erste Quelle
für das Schließen von Bekanntschaften und Freundschaften den Arbeitsplatz erwähnten.
71
So lernte zum Beispiel Enis viele Personen über seine Arbeit kennen und verstand sich sofort
mit ihnen. Hierzu schreibt er:
„Damals habe ich wirklich gute Erfahrungen sogar mit FPÖ Wählern gehabt. Damals gab es einen Obsthändler, der war Parteivorsitzender in dieser Gemeinde. (…) Ein
anderer Kollege ist auch ein Parteimitglied und mit ihm habe ich mich auch super
verstanden, er ist mittlerweile verstorben. Er hat mir die Sprache ziemlich gut beigebracht, nach der Arbeit haben wir immer wieder Bier getrunken.“ (Enis Familie
2)
Interessant festzuhalten ist, dass Enis seine Arbeitskollegen als eine Art Pflichtbekanntschaft
ansah. Er versteht sich mit seinen Kollegen sehr gut, aber dadurch, dass man gezwungen war,
in Kontakt zu treten, sieht er diese Bekanntschaften nicht als richtige Freundschaften an. Erst
nachdem er angefangen hat Basketball zu spielen und dort Menschen mit gleichen Interessen
kennengelernt hat, konnte er richtige Freundschaften schließen. Durch diese Erfahrungen
begann er sich schließlich richtig ohne Zwang und Pflicht zu integrieren.
Im Gegensatz zu den männlichen führten die weiblichen InterviewpartnerInnen vor allem
Bekanntschaften und Freundschaften aus dem privaten Umfeld an. VermieterInnen,
NachbarInnen und Familien von Freunden ihrer Kinder. Unterschiede können auch in der
Auswahl von Freunden festgestellt werden. Die dritte Familie ist mehr mit bosnischen bzw. ex-
jugoslawischen Personen befreundet. Nezir begründet dies so:
„Aber die meiste Zeit verbringen wir mit unseren bosnischen und kroatischen Nachbarn. Wir sprechen nicht über Politik und dann ist alles gut. Ich glaube dadurch,
dass wir die gleiche Mentalität haben und wir uns gegenseitig immer helfen wollen,
kann es sein, dass wir deswegen mehr Zeit mit unseren bosnischen und kroatischen
Nachbarn verbringen. Wenn jemand etwas braucht, sind wir immer zur Stelle und es fällt einem auch leichter, seinen Mann zu fragen als einen Österreicher“(Nezir Familie
3)
Nach Esser ist eine Person segmentiert, wenn sie sich bei der Integration in die Richtung der
Herkunftsgesellschaft orientiert. Seiner Meinung nach, kommt es sehr selten zu einer
Mehrfachintegration. Wenn man dieser Theorie folgt, wäre Familie 3 höchstwahrscheinlich in
der Segmentation angesiedelt. Jedoch darf man nicht außer Acht lassen, dass sowohl Nezir als
auch Seida soziale Beziehungen zu ÖsterreicherInnen pflegen. So zum Beispiel empfindet
Seida ihre Vermieterin als gute Freundin:
72
„So zum Beispiel meine Vermieterin, sie ist wie eine Mutter für mich. Ich hatte einmal
starke Bauchschmerzen und die Rettung kam und sie rannte mir hinterher, um zu sehen was passiert war. Sie mag auch bosnische Pita und ich mache ihr öfters Pita und dafür
bringt sie mir dann auch unglaublich viele Dinge, um sich zu bedanken.“ (Seida
Familie 3)
Einen scharfen Kontrast zu Familie 3 stellt die Familie 2 dar. Hier wird eine stärkere Tendenz
bzw. Orientierung in Richtung der Aufnahmegesellschaft sichtbar. Mineta stellt fest, dass sie
sich nur deshalb so gut integrieren konnte, weil sie Abstand zur bosnischen Community
gehalten hat:
„Was positiv ist bei uns bzw. was gut für unsere Integration war, wir gingen nie in diese
bosnischen Clubs. Zu jener Zeit, als ich in diesem Geschäft gearbeitet habe, sind viele
Bosnier in das Geschäft gekommen, aber ich habe die Einstellung gehabt, nur weil er meine Sprache spricht, muss er nicht mein Freund sein. Viele haben uns nach Hause
eingeladen, wollten mit uns Bekanntschaften machen, aber das wollte ich nicht.
Vielleicht hätten wir das gemacht, wenn wir ganz alleine hier gewesen wären, aber wir
hatten eine große Familie hier.“(Mineta Familie 2)
Dadurch, dass sie ausreichend Kontakt mit ihrer bosnischen Familie hatte, sah sie keine
Notwendigkeit neue bosnische Kontakte zu knüpfen. Deshalb sind auch ihre zwei besten
Freundinnen Österreicherinnen. Einzig die Familie 1 äußerte sich nicht konkret zu ihren
Präferenzen bei der Wahl ihrer sozialen Beziehungen.
Entwicklung und Veränderung
Auf die Frage hin, ob sich im Laufe der Zeit etwas in Österreich verändert hat, kamen
unterschiedliche Antworten. Familie 3 war sich einig und meinte, dass sich nicht viel verändert
hat. So ist Seida der Auffassung, dass auch nach einer langen Zeit in Österreich sie sich niemals
als Österreicherin sehen wird. Aufgrund ihres Nachnamens und der Sprache wird sie immer
Ausländerin bleiben. Sie vermisst nach wie vor ihre Heimat und fühlt sich in Bosnien noch
immer daheim. Nezir kommentierte die Sicht des Aufnahmelandes auf die bosnische
Community und meinte, dass die ÖsterreicherInnen immer ein Bild vom ungebildeten Bosnier
hatten, schon seit der Gastarbeiter Migration in den 1970er-Jahren. Es dauerte sehr lang sie von
dem Gegenteil zu überzeugen und ihnen zu zeigen, dass es sehr viele Bosnier mit einer hohen
Bildung und entsprechenden Qualifikationen gibt.
Die männlichen InterviewpartnerInnen der ersten und zweiten Familie waren sich einig, indem
sie sagten, dass sich im Laufe der Zeit einiges verändert hat. So sieht Omer die positive
Entwicklung im Laufe der Jahre in der harten Arbeit und dem Fleiß der von den Flüchtlingen
investiert wurde:
73
„Es hat sich Vieles in der Zwischenzeit verändert. Wir sind ein geschicktes Volk, wir arbeiten
sehr hart und alles was wir heute haben, haben wir durch harte Arbeit erreicht. Es wird dir
niemand etwas gratis geben. Alles was wir haben, haben wir durch harte Arbeit und Fleiß
bekommen. Man muss von früh bis spät arbeiten. Ich habe 20 Jahre in einer Firma überall in Europa gearbeitet, bis ich etwas erreicht habe.“ (Omer Familie 1)
Enis betont die persönliche Entwicklung, die er in den Jahren geschafft hat. Er hat seine
Deutschkenntnisse um einiges verbessert, er ist nicht mehr abhängig und auf Unterstützung
angewiesen. Durch seine persönliche Entwicklung kann er mit jedem auf Augenhöhe reden.
Durch diese Entwicklung konnten Barrieren überwunden werden, die eine Eingliederung in die
Gesellschaft verhindert oder erschwert haben.
Die weiblichen InterviewpartnerInnen der ersten und zweiten Generation deuteten auf die sich
verschlimmernde Situation für AusländerInnen hin. Maida betonte die sie persönlich
betreffende Diskriminierung von muslimischen Frauen mit Kopftuch. Sie ist der Meinung, dass
sie in ihren anfänglichen Jahren in Österreich nur positive und respektvolle Begegnungen hatte.
Flüchtlinge mit und ohne Kopftuch wurden freundlich aufgenommen, die Menschen waren
einsichtig und hilfsbereit. Im Laufe der Zeit hat sich aber diese Situation für sie deutlich
verändert:
„Bis jetzt war fast immer alles in Ordnung. Jetzt merke ich schon, dass durch die
medialen Einflüsse, seit dem 11. September 2001, und der schlechten Darstellung von
Islam und Muslimen, merke ich schon Unterschiede. (…) Aber was dieses Klima betrifft, kann ich sagen, ich habe einige Überraschung erlebt. Zum Beispiel aufgrund meines
Kopftuchs habe ich Bemerkungen gehört, so auf dieser Ebene merke ich schon, dass es
Schwierigkeiten gibt. (…) Ich merke auch früher bin ich oft mit Verständnis, Ehre und
Würde empfangen, wenn ich irgendwo hinkam, jetzt schauen sie manchmal bei Lidl oder irgendwo anders in der Öffentlichkeit, schauen sie mich an als wäre ich vom Mars
gefallen. So wie als hätten sie nie eine Frau mit einem Kopftuch gesehen. Früher war
es ganz normal, überhaupt nicht bemerkbar, aus meiner Sicht und jetzt schauen sie mit Verachtung.“ (Maida Familie 2)
Sie führt auch weitere Beispiele an, wo Freundinnen von ihr aufgrund des Kopftuches gefeuert
wurden oder keinen Job finden konnten. Auch für Mineta hat sich die Situation im Laufe der
Jahre verschlimmert. Sie persönlich spricht von einer Spannung im Arbeitsfeld und glaubt
dadurch, dass sie sich im Arbeitsleben etablieren konnte, sehen sie ihre Kollegen als
Konkurrenz und einen Störfaktor an:
74
„Ich habe immer mehr arbeiten müssen, ich habe immer gedacht, damit ich dazu
gehören kann, muss ich mehr leisten. Wir hatten vor ein paar Jahren eine Krise in der Firma gehabt, Wirtschaftskrise. Ich fühle mich oft persönlich betroffen, wenn über
Ausländer schlecht geredet wird, wenn es terroristische Anschläge gibt und das lassen
die Kollegen mich spüren. Das sind deine Leute, obwohl wir mit diesen Terroristen, trotz des gleichen Glaubens, nichts zu tun haben.“(Mineta Familie 2)
In diesem Abschnitt kann man erkennen, dass sich die Situation der bosniakischen Flüchtlinge
im Laufe der Zeit nicht nur positiv entwickelt hat. Vor allem die weiblichen
InterviewpartnerInnen fühlen sich heutzutage von Kollegen und fremden Personen unfair und
nachteilig behandelt. Inwiefern diese negativen Ereignisse das alltägliche Leben der
InterviewpartnerInnen beeinflussen ist schwer zu sagen, jedoch wird ihnen damit trotzdem ein
Gefühl der Nichtzugehörigkeit vermittelt, welches sie von der Aufnahmegesellschaft
distanzieren könnte. Vor allem die medialen Einflüsse spielen in diesem Kontext eine große
Rolle.
Freizeit
Wenn es um Freizeit geht, sind sich die meisten InterviewpartnerInnen einig, dass relativ wenig
Zeit dafür vorhanden ist. Nichtsdestotrotz haben alle Personen unterschiedliche
Freizeitaktivitäten.
Familie 1 verbringt ihre Freizeit am liebsten im Garten, dort pflanzen sie Gemüse und Obst an.
Weiters verbringen sie viel Zeit mit der Familie. Omer schaut in seiner Freizeit auch gerne
bosnische Nachrichten, seine Frau Maida liest dagegen gerne Bücher, sowohl auf Deutsch als
auch Bosnisch.
Familie 2 ist in ihrer Freizeit sportlich unterwegs. Während Enis sich mit Basketball, Fußball
oder Radtouren beschäftigt, schwimmt Mineta zwei bis drei Mal pro Woche. Weiters kann man
festhalten, dass Mineta in ihrer Freizeit gerne liest, vor allem auf Deutsch. Am Anfang wollte
sie die deutsche Sprache erlernen und später wurde es zu einer Angewohnheit. In letzter Zeit
hat sie aber das Gefühl, dass sie besser Deutsch als Bosnisch kann:
„Jetzt kommt das Interessante. Ich weiß, dass mein Deutsch nicht so gut ist, aber ich
habe das Gefühl, dass ich besser Deutsch kann als Bosnisch. Es sind viele Worte, viele
Vokabel habe ich vergessen. Keine Ahnung. Vielleicht spielt das auch eine Rolle. Mit 19 bist gerade aus der Schule weg und was kann man in diesem Alter und dann,
ja.“(Mineta Familie 2)
75
Enis stellt fest, dass er früher öfter Bücher gelesen hat. Vor allem Fachliches, da seine Frau in
den 90er-Jahren in einer Zoohandlung gearbeitet hat. Später las er auch öfters Bücher seiner
Kinder, die sie in der Schule durchgenommen haben.
Familie 3 verbringt ihre Freizeit damit, Familie und Nachbarn zu besuchen. Des Weiteren
schauen sie gerne bosnische und jugoslawische Fernsehprogramme. Ab und zu schauen sie
auch deutsche Fernsehprogramme. Seida hört gerne Musik, wobei sie weder die bosnische noch
die deutsche Musik präferiert.
Dieser Abschnitt erweckt den Anschein, dass die Familie 3 mit ihrem Herkunftsland stärker
verbunden ist als die Familien 1 und 2. Wichtig zu bemerken ist auch, die starke Bemühung
von Familie 2, die deutsche Sprache zu erlernen. Hier scheint eine größere Orientierung hin zur
Aufnahmegesellschaft zu bestehen. Trotzdem haben sie ihre bosnischen Traditionen nicht
aufgegeben, was man an diesem Beispiel von Enis erkennen kann: „Zum Beispiel wenn wir
Lamm grillen, das ist so eine typisch bosnische Spezialität, das ganze Lamm auf Spieß, sie
(seine Freunde) können nicht warten bis wir das Nächste ausstechen und grillen.“(Enis Familie
2) Bei Familie 1 kann man festhalten, dass Omer eine größere Tendenz in Richtung
Herkunftsgesellschaft zeigt, wobei seine Frau Maida eine neutralere Position innehat.
Wurzeln und Herkunft
Auf die Frage hin, was sie eigentlich mit Bosnien und Herzegowina verbinden, wurde mit
Heimat, Wurzeln, Kindheit, Jugend und Familie geantwortet. Fünf der sechs
InterviewpartnerInnen würden gerne eines Tages nach Bosnien und Herzegowina zurückkehren
wollen. Omer und Maida würden nach Bosnien und Herzegowina zurückkehren, wenn die
ökonomische Situation dort besser wäre. Sie wünschen sich einen Job und ein solides
Einkommen. Jedoch hat Maida das Gefühl, dass sie sich aufgrund ihrer Kinder trotzdem gegen
eine Rückkehr nach Bosnien entscheiden würde. Auch Enis ist der Meinung, dass wenn seine
Kinder in Bosnien eine Zukunft hätten, würde er zurückkehren. Für Nezir und Seida haben die
ökonomischen und familiären Gründe für einen Verbleib in Österreich eine geringere
Bedeutung. Einzig Mineta ist sich sicher, sie möchte nicht nach Bosnien und Herzegowina
zurückkehren.
Die Frequenz der Besuche in das Herkunftsland unterscheiden sich bei allen
InterviewpartnerInnen. Es lässt sich trotzdem feststellen, dass die Häufigkeit der Besuche bei
Familie 1 in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist. So sagt Maida:
76
„Nicht so oft wie früher. Früher öfters, wo die Mama von mir und meinem Mann am
Leben war und wo die Kinder kleiner waren. Es ist schwieriger geworden Zeit zu finden, die für alle in Ordnung geht und die Kinder alleine lassen ist auch nicht optimal. Man
macht sich sorgen, wie werden sie da alleine sein, obwohl sie groß sind. Wir fahren ein
oder zwei Mal im Jahr.“(Maida Familie 1)
Für Seida ist Bosnien und Herzegowina ihre Heimat, dort liegen ihre Wurzeln, dort ist sie
geboren und aufgewachsen. Sie fühlt sich in Bosnien wohl und vermisst die bosnische
Mentalität. Das ist auch einer der Gründe, warum Seida sehr oft nach Bosnien fährt.
Fast alle InterviewpartnerInnen haben mit Verwandten und Freunden aus Bosnien und
Herzegowina regelmäßigen Kontakt. Einzig Mineta hat keinen Kontakt nach Bosnien, da sie
keine Familienmitglieder und Freunde dort hat:
„Kontakt, nur wenn ich runter fahre. Meine Eltern und Geschwister sind nach Amerika ausgewandert, in Bosnien hat mein Mann seine Eltern in Bosnien und die besuchen wir
dann. Ich habe auch keine Freundinnen unten, die ich früher gehabt habe. Sie sind alle
überall auf der Welt, wenn wir uns kontaktieren, dann auf Facebook.“(Mineta Familie
2)
Es besteht eine starke Bindung zum Herkunftsland bei allen InterviewpartnerInnen. Vor allem
die Tatsache, dass alle in Bosnien geboren und aufgewachsen sind, hat starke Spuren
hinterlassen. Alle sehen Bosnien und Herzegowina als ihr Heimatland oder als eines ihrer
Heimatländer an. Es ist wichtig zu betonen, dass die Bindung zum Herkunftsland nicht bei allen
gleich intensiv ist. Die stärkste Bindung zum Herkunftsland scheint Seida zu haben. Diese
Behauptung lässt sich gut mit dieser Aussage begründen:
„Ja, ich würde sehr gerne zurück. Ich kann die Pension kaum erwarten. Ich gehe dann sofort zurück. Das ist schon ein Wunsch von mir. Ich vermisse Bosnien, ich bin dort
geboren, meine Wurzeln liegen dort und dort bin ich aufgewachsen. In Österreich fühlt
es sich anders an, die Mentalität ist anders, alles ist anders. Es sind nicht alle Österreicher gleich, genauso wie die Bosnier nicht alle gleich sind. Manche haben Herz
manche nicht. Aber Bosnien ist Bosnien.“(Seida Familie 3)
Obwohl eine starke Verbindung zum Herkunftsland besteht, darf die Verbindung zu Österreich
nicht unterschätzt werden. Alle leben schon länger in Österreich als sie das in Bosnien getan
haben. Des Weiteren hat sich jede Familie ein Leben in Österreich aufgebaut. Im folgenden
Abschnitt Zugehörigkeitsgefühl wird deshalb die Frage „Wo fühlen Sie sich daheim?“
behandelt.
77
Zugehörigkeitsgefühl
Familie 1 und 2 empfinden Österreich als ihre Heimat und sie fühlen sich hier Zuhause. Familie
1 führt an, dass sie in Österreich mehr Zeit ihres Lebens verbracht haben, sie haben ein Haus
gebaut und ihre Kinder leben in Österreich. Familie 2 sieht Österreich als ihr Zuhause, da sie
in Österreich arbeiten und ihre Freunde und Kinder hier leben. Ganz anders sieht die Antwort
bei Familie 3 aus. Nezir fühlt sich in Bosnien daheim und sieht Österreich als vorübergehend:
„Hier in meiner Nähe ist eine Autowerkstatt. Dort gehe ich ziemlich oft hin. Der Chef
der Werkstatt fragt mich wie lange ich schon in Österreich bin. Ich habe ihm gesagt,
dass ich schon siebzehn Jahre hier bin. Er fragte mich dann, ob ich die Staatsbürgerschaft angenommen habe, weil ich schon so lange hier bin. Ich antwortete
mit Nein. Er war ganz verwundert und fragte aber warum nicht. Wenn ich die
Staatsbürgerschaft annehme, dann muss ich mich aus Bosnien ausschreiben und wenn ich dann nach Bosnien fahre bin ich ein Ausländer und hier bin ich trotzdem auch ein
Ausländer. Ich wäre dann mein ganzes Leben ein Ausländer, denn ich werde nie ein
Österreicher werden. Ich könnte zehn Staatsbürgerschaften annehmen und ich wäre
noch immer ein Ausländer. Sie (die Österreicher) werden mich nie als Österreicher annehmen. Unten bin ich geboren, untern bin ich aufgewachsen und dort gehöre ich
auch hin.“ (Nezir Familie 3)
Auch Seida ist der gleichen Auffassung und ist sich sicher, dass sie sich in Bosnien daheim
fühlt. Dieser Abschnitt verstärkt den Verdacht, dass Familie 3 einen stärkeren Bezug zum
Herkunftsland Bosnien und Herzegowina hat als Familie 1 und 2.
Verbindung der Kinder zum Herkunftsland
Alle InterviewpartnerInnen sind sich einig, dass ihre Kinder eine schlechtere Verbindung zum
Herkunftsland haben. Es wird argumentiert, dass die gleiche Verbindung gar nicht aufgebaut
werden kann, da sie in Österreich aufgewachsen sind und hier die meiste Zeit verbracht haben.
Familie 1 hat im Bezug auf dieses Thema eine Veränderung im Laufe der Zeit bemerkt:
„Früher als sie kleiner waren, sind sie immer mit uns nach Bosnien gefahren, jetzt wo sie älter
geworden sind, wollen sie nicht mehr so oft mitfahren. In den letzten zwei Jahren wollten beide
nicht mitfahren nach Bosnien.“ (Omer Familie 1). Welche Gründe diese Wandlung hatte,
konnten sie mir jedoch nicht nennen. Maida meinte, dadurch, dass sie in Österreich geboren
und aufgewachsen sind und sich hier ein Leben aufbauen, haben sie sich an Österreich mehr
gewöhnt.
78
Enis ist es sehr wichtig seinen Kindern Bosnien und Herzegowina näher zu bringen. Obwohl er
sich bewusst ist, dass eine Verbindung wie er sie hat unmöglich ist, möchte er trotzdem, dass
sie das Land zumindest teilweise lieben lernen. Gleichzeitig hat Mineta den Eindruck, dass ihre
Kinder gar keine Verbindung zu Bosnien haben, wenn man die Großeltern nicht in Betracht
zieht.
Bei Familie 3 sind sich die Eltern einig, ihre Kinder lieben Bosnien, sie fahren sehr gerne in die
Heimat, jedoch eine Präferenz für Bosnien und Herzegowina im Vergleich zu Österreich sehen
sie nicht: „Sie lieben es hier aber auch. Sie haben immerhin in Österreich viel mehr erlebt, im
Kindergarten, in der Schule und so weiter.“ (Seida Familie 3)
In diesem Abschnitt lässt sich erkennen, dass im Laufe der Generationen die Verbindung zum
Heimatland geringer wird. Die Intensität der Verbindung der zweiten Generation zum
Heimatland, in diesem Fall Bosnien und Herzegowina, ist auch abhängig von der ersten
Generation. Je größer der Bezug der Eltern zum Heimatland ist, desto größer ist der Bezug von
der zweiten Generation. Natürlich kann man diese Aussage nicht generalisieren, aber im Fall
dieser Untersuchung lässt sich erkennen, dass die zweite Generation der 3. Familie die größte
Verbindung zu Bosnien und Herzegowina aufweist.
Bildung und Beruf
Die strukturelle Eingliederung der ersten Generation stellte sich als ein langwieriger Prozess
heraus. Obwohl die Mehrheit der InterviewpartnerInnen eine Ausbildung in Bosnien und
Herzegowina abgeschlossen hat, wurde nur Maida das Diplom anerkannt:
„Ich habe Glück gehabt, dass ich das arbeite, da wo ich mich geschult habe in Bosnien,
dass mein Diplom anerkannt wurde. Nicht jeder hat so ein Glück gehabt. Ich bin Gott
dankbar und auch diesem Land, dass ich das machen kann, was ich gelernt. Ich bin Religionslehrerin für Islam. Ich bin dankbar, dass mir das ermöglicht wurde und das
alle Religionsgemeinschaften und Bekenntnisse ihre Religion frei ausüben dürfen und
in Schulen unterrichten dürfen.“(Maida Familie 1).
Nach dem Ankommen in Österreich erschwerte die lange Wartezeit auf eine Arbeitserlaubnis
die strukturelle Eingliederung der bosniakischen Flüchtlinge. In der anfänglichen Zeit wurden
sogar illegale Möglichkeiten genutzt, um die finanzielle Absicherung zu gewährleisten.
Wichtig zu erwähnen ist, dass die männlichen InterviewpartnerInnen früher in das Arbeitsleben
eingestiegen sind. In zwei von drei Familien fing der Mann früher an zu arbeiten, was durch
die Kinderbetreuung erklärt wurde: „Ich war die meiste Zeit Zuhause und bekam später zwei
79
weitere Töchter. In der Zwischenzeit sind die Kinder groß geworden und ich begann zu
arbeiten. Ich habe nicht viel gearbeitet, jetzt arbeite ich.“(Seida Familie 3)
Bemerkenswert ist, dass sich im Laufe der Zeit alle drei Familien strukturell in die
österreichische Gesellschaft integriert haben. Enis beschreibt seinen Weg folgendermaßen:
„Ja, dann habe ich als Maler über die Firma immer wieder gemalt und dort habe ich
viele Kontakte gehabt. Dann habe ich geschaut ob es bei irgendeiner Firma einen Job
gibt. In einer Firma werden Generatoren produziert und dann habe ich im Jahr 2001 eine Stelle bekommen. Das war keine Arbeit irgendwo als Berechner, sondern als
einfacher Mitarbeiter. In der Zwischenzeit habe ich die HTL abgeschlossen und bin aus
diesem Prüffeld in die Entwicklung gekommen. Allerdings am Anfang eher
handwerklich unterwegs, weil dort einer der Kollegen gekündigt hat, er wollte etwas anderes machen. Ich war im Labor in der Entwicklung. Ein paar Jahre später haben
sie zusätzliche Leute gebraucht und sie haben gewusst dass sie zusätzliche Leute
brauchen und haben mich gefragt ob ich programmieren kann.“(Enis Familie 2)
Weiters ist die Bereitschaft zur Fort- und Weiterbildung bei der ersten Generation
erwähnenswert. Vier der sechs InterviewpartnerInnen haben in ihrer Zeit in Österreich
Möglichkeiten zur Weiterentwicklung gesucht. Sowohl Maida (Familie 1) als auch Nezir
(Familie 3) besuchten weiterbildende Kurse für ihre Berufe. Enis absolvierte die Abend HAK
und konnte dadurch beruflich aufsteigen. Seine Frau Mineta wollte sich auch nicht mit ihrem
Job in der Zoohandlung zufrieden geben und schloss eine Ausbildung zur
Wirtschaftsassistentin ab: „Ich wollte mehr, ich wollte Deutsch lernen, ich wollte wieder in die
Schule gehen, wir wussten, dass wir in Österreich bleiben werden und wenn ich das machen
will, dann muss ich in die Zukunft investieren.“ (Mineta Familie 2)
Abschließende Bemerkungen
In einer abschließenden Frage wurden noch die letzten persönlichen Bemerkungen der
InterviewpartnerInnen festgehalten. Es besteht eine große Dankbarkeit aufgrund der damaligen
Aufnahme. Die bosniakischen Flüchtlinge bekamen dort Hilfe, wo sie es am nötigsten gehabt
haben. Die InterviewpartnerInnen sind sich bewusst, dass sie Glück gehabt haben, einen
Neuanfang in Österreich gewährt zu bekommen. Obwohl es eindeutig Schwierigkeiten in der
anfänglichen Phase gegeben hat, konnten sie sich durch harte Arbeit und Fleiß
weiterentwickeln:
80
„Es lag an uns diesen Weg zu gehen, man hätte sich auch mit weniger zufriedengeben
können, hätte weiter im Verkauf bleiben können, mein Mann als Malermeister weiter machen können. Es ist unsere Entscheidung und es wird keiner zu dir kommen und
sagen, willst du weiter studieren oder willst du einen besseren Job.“(Mineta Familie 2)
Alle InterviewpartnerInnen konnten im Laufe der Zeit hilfsbereite und freundliche Menschen
kennenlernen, die sich teilweise auch zu guten Freunden entwickelten. Genau diesen Kontakt
zu ÖsterreicherInnen empfinden manche InterviewpartnerInnen als ausschlaggebend für eine
gute und schnelle Integration in die Gesellschaft.
4.3.2 Zweite Generation
Kindheit in Österreich
Im Großen und Ganzen haben die Interviewpartnerinnen positive Erinnerungen an ihre
Kindheit, welche vor allem in Verbindung mit Familie und Freunden geweckt wurden.
Trotzdem haben vier der sieben Interviewpartnerinnen ausgesagt, dass sie in irgendeiner Art
und Weise gemobbt wurden. In zwei der Fälle handelt es sich um kleinere Vorfälle, bei welchen
die Betroffenen mit Beschimpfungen konfrontiert wurden. Beide Interviewpartnerinnen sind
sich aber einig, dass diese Vorfälle keine Auswirkungen auf sie hatten. So meint Nadia: „Klar
gab es ab und zu Schimpfwörter wie Jugo und so, aber das war jetzt nicht irgendwie, dass es
mich negativ geprägt hätte oder so. Aber das sind Kinder gewesen, aber für mich war das kein
Problem, ich habe trotzdem Anschluss gefunden.“(Nadia Familie 3)
Ina empfindet diese Situationen folgendermaßen:
„Sicher werden Scherze über deinen Nachnamen gemacht und so das ist das Einzige oder so Fragen gestellt werden, warum bist du im Religionsunterricht nicht dabei, aber
nichts Bösartiges. Verletzt durch diese Scherze habe ich mich überhaupt nicht
gefühlt.“(Ina Familie 2)
Im Gegensatz zu Nadia und Ina wurden Naila und Elma in einem größeren Ausmaß gemobbt.
Naila spricht von starker Ausgrenzung in der ersten Volksschulklasse, was sie im weiteren
Leben stark geprägt hat. Sie konnte in dieser Klasse keinen Anschluss finden. Warum sie so
stark von ihren Mitschülerinnen ausgegrenzt wurde, ob es an ihrer Schüchternheit oder an ihrem
Migrationshintergrund lag kann sich Naila nicht erklären. Sie ist sich aber sicher, dass sie
irgendwie anders war: „Ich habe es als Kind nicht so leicht gehabt, habe ich so empfunden. Ich
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war also mit Eltern da, die mit einer neuen Kultur konfrontiert wurden. Ich war irgendwie
anders in der Schule. Ich habe das schon gemerkt.“ (Naila Familie 1)
Im Fall von Elma kam es zu Ausgrenzung in der Hauptschule: „Mir fallen eigentlich zuerst
negative Erinnerungen ein, weil ich mir in der Schule schon etwas schwer getan habe (…). Ich
wurde etwas gemobbt, in der Volksschule weniger, aber dann in der Hauptschule viel.“(Elma
Familie 2) Auch sie ist sich nicht sicher, warum sie gemobbt wurde. Sie hat nicht das Gefühl,
es wäre aufgrund ihres Migrationshintergrundes geschehen. Zwar lernte sie Deutsch erst im
Kindergarten, ist sich aber sicher, dass sie ab der Volksschule überhaupt keine Probleme mit
der Sprache hatte. Naza, Ina und Emina haben in ihrer Kindheit überhaupt keine
Schwierigkeiten gehabt, sie wurden nicht ausgegrenzt und konnten im Laufe ihrer Kindheit
immer Anschluss finden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass mehr als die Hälfte der
Interviewpartnerinnen in ihrer Schulzeit gemobbt und ausgegrenzt wurden. Warum es zu diesen
Ausgrenzungen kam, könnte an mehreren Gründen liegen und kann nicht verallgemeinert
werden. Trotzdem erscheint im Fall dieser Interviews der Migrationshintergrund und die
Diversität eine zumindest geringfügige Rolle zu spielen. Im folgenden Abschnitt sollen weitere
Schwierigkeiten bei der Eingliederung der zweiten Generation behandelt werden.
Schwierigkeiten
Drei der sieben Interviewpartnerinnen hatten gar keine Schwierigkeiten. Sie sind mit ihrem
Leben in Österreich sehr zufrieden, haben immer Anschluss gefunden und haben keine
Diskriminierungen erfahren. Die übrigen vier Interviewpartnerinnen hatten ähnliche
Schwierigkeiten wie sie im vorherigen Abschnitt behandelt wurden. Alle Vier wurden in ihrer
Schulzeit gemobbt. Emina erzählte mir zum Beispiel, dass sie oft als Scheiß Jugo beschimpft
wurde.
Bemerkenswert erscheinen zwei Interviewpartnerinnen, die eine eindeutige Diskriminierung
erlebt haben. Sowohl bei Naila als auch bei Almasa wird deutlich ersichtlich, dass diese
Vorfälle einerseits aufgrund der Religionszugehörigkeit und andererseits aufgrund der
Herkunft stattgefunden haben. Beide Fälle ereigneten sich bei Bewerbungsgesprächen. Naila
begab sich aufgrund eines Studienjobs zu einem Bewerbungsgespräch. Beim
Bewerbungsgespräch wurde sie gefragt, welche Religionszugehörigkeit sie hätte. Als Naila die
82
Frage mit Islam beantwortete, wollte sie die Chefin nicht einstellen. Auch Almasa hatte bei
einem Bewerbungsgespräch schlechte Erfahrungen gesammelt:
„Ja bei einem Bewerbungsgespräch, dass ich im Juli hatte, da hat der Arbeitgeber mich gefragt, ob ich faste, da habe ich gesagt nein, nur manchmal und da haben sie gesagt
wenn du fastest, dann könntest du auch nicht bei uns arbeiten und ob ich einen Freund
habe. Nicht das dieser mich zwingt zu fasten und ob es stimmt, dass bei uns Frauen wirklich so unterdrückt werden und der Mann die Macht über die Frauen hat. Diese
Fragen haben mich schon irgendwie sehr verletzt. Ich habe die Fragen aber ganz
normal beantwortet und wurde auch nicht wütend oder so ich blieb normal. Den Job
habe ich dann nicht bekommen. Ich glaube schon irgendwie, dass ich auf Grund meines Glaubens und Migrationshintergrundes diesen Job nicht bekommen habe, weil sie
meinten auch, dass sie eine bosnische Mitarbeiterin hatten und die dann gekündigt hat,
weil sie früh heiratete und nach Schweden zog. Deshalb glauben sie jetzt, dass alle Ausländerinnen früh heiraten und den Job verlassen.“ (Almasa Familie 3).
In beiden Fällen wird eine Benachteiligung bei der strukturellen Eingliederung der zweiten
Generation bosniakischer Flüchtlinge anhand der Herkunft und Religionszugehörigkeit
sichtbar. Welche generelle Frequenz eine solche Benachteiligung aufzeigt, kann im Rahmen
dieser Arbeit nicht erforscht werden. Weiter gab Almasa an, dass sie kein Verständnis von
Seiten ihrer österreichischen MitschülerInnen erfahren habe:
„Es ist halt schön, wenn man Irgendjemanden hat, der dich versteht und nicht so fragt
ja, also, so, ich weiß nicht wie ich sagen soll, so rassistische Fragen, wie zum Beispiel, seid ihr wirklich alle so streng gläubig? Werdet ihr von euren Eltern geschlagen? Oder
echt so dumme Fragen von Mitschülern wie, warum isst du kein Schweinefleisch?
Explodierst du oder so wenn du Schweinefleisch isst? Das sind schon provokante Fragen. Das könnte auch ein Grund sein, warum ich nicht so viele österreichische
Freunde habe.“(Almasa Familie 3)
Diese Aussage lässt vermuten, dass aufgrund von kulturellen und religiösen Unterschieden
Schwierigkeiten in der Entwicklung von sozialen Beziehungen entstehen können. Almasa hat
im Interview auch gesagt, dass sie vorwiegend bosnische, kroatische und serbische Freunde
hat. Sie fühlt sich von ÖsterreicherInnen nicht verstanden und orientiert sich hierbei auf ihr
Herkunftsland und auf Personen, die ähnliche kulturelle Wurzeln besitzen.
Zusammenfassend lassen sich einige negative Erfahrungen im Bereich des Kontakts zum
Aufnahmeland erkennen. Obwohl alle bis auf Nadia in Österreich geboren wurden, hier
aufgewachsen sind und ihr ganzes Leben hier verbracht haben, können Schwierigkeiten in Form
von Mobbing, Diskriminierung und Ausgrenzung nicht ausgeschlossen werden. Vor allem die
zwei Fälle von Naila und Almasa lassen Benachteiligungen von MigrantInnen der zweiten
Generation vermuten.
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Positives
Alle Interviewpartnerinnen haben positive Erfahrungen mit Österreich gemacht. Vor allem ist
man vom österreichischen System im Bereich des Gesundheitswesens, der sozialen Sicherheit
und der Umsetzung von Recht und Ordnung überzeugt:
„Also ich finde, Österreich ist schon ein tolles Land, weil hier die Gesetze streng eingehalten werden, nicht so wie bei uns unten in Bosnien und das Gesundheitswesen
ist auch nicht so wie bei uns unten. Die Menschen sind viel organisierter und
ordentlicher und tja das schätze ich an Österreich sehr.“(Almasa Familie 3)
Die soziale Lebenssituation wird mit Bosnien und Herzegowina verglichen, dadurch entstehen
bei vielen Inteviewpartnerinnen Dankbarkeit und Freude in Österreich aufwachsen zu dürfen,
so meint Elma: „Sie (Eltern) haben aber trotzdem eine Chance bekommen und das schätze ich
an Österreich. Ich glaube, dass hat mir auch ermöglicht hier aufzuwachsen, eine gute
Ausbildung zu genießen und nicht in Armut zu leben und doch eine soziale Sicherheit zu
haben.“ (Elma Familie 2)
Weiters haben viele Interviewpartnerinnen gute Erfahrungen mit der österreichischen
Arbeitsweise gemacht: „Zum Teil finde ich halt. Ja, dass sie so ein System für das Leben haben.
Also ja nicht so ich mach das morgen. Österreicher sind pünktlich und konsequent.“(Nadia
Familie 3)
Es ist wichtig festzuhalten, dass alle Interviewpartnerinnen ihre sozialen Beziehungen in
Österreich schätzen. Auch Naila, die in der Schule von ihren MitschülerInnen stark ausgegrenzt
wurde, konnte an der Universität richtige Freundschaften schließen: „Es war für mich gut als
ich dann auf die Uni gekommen bin und mir meinen Freundeskreis selber suchen habe können.
In dieser Zeit habe ich auch sehr viele Bosnierinnen kennengelernt. Auf einmal war ich nicht
mehr die Außenseiterin“(Naila Familie 1)
Abschließend lässt sich noch eine interessante Bemerkung von Ina (Familie 2) festhalten:
„Die Meisten vergessen jedoch darauf, wenn Sie mit mir über Politik reden, dass ich
quasi Migrationshintergrund hab oder wenn so Sachen fallen, wie Jugos hin und her,
dass finde ich nicht auf mich bezogen, aber sie vergessen es meistens oder wissen es gar nicht. Sie nehmen mich als Österreicherin wahr.“(Ina Familie 2)
Sie empfindet es als sehr positiv, nicht als Ausländerin wahrgenommen zu werden. Es ist ihr
wichtig, als ein Teil der Aufnahmegesellschaft gesehen zu werden.
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Soziale Beziehungen
Es stellt sich heraus, dass die Interviewpartnerinnen der zweiten Generation ihre sozialen
Beziehungen vor allem in der Schule aufbauen konnten. Weiters kann festgehalten werden,
dass die Interviewpartnerinnen, die in der Schule gemobbt wurden und auch schwer Anschluss
fanden, weniger Freundschaften und Bekanntschaften schließen konnten. Im Gegensatz dazu
konnten Interviewpartnerinnen, die in der Schule keine Probleme mit MitschülerInnen hatten,
mehr Freundschaften schließen. Interessanterweise lernten die Interviewpartnerinnen vor allem
ÖsterreicherInnen in der Schule kennen. Im Privaten wurden dann häufiger Freundschaften mit
bosnischen, kroatischen und serbischen Personen geschlossen. Diese Freundschaften konnten
vor allem über die Eltern entstehen. Eine Ausnahme bildet hierbei die zweite Familie.
Außerhalb der Familie hatten sowohl Elma als auch Ina fast keine Kontakte mit bosnischen
Personen. Deshalb sind sie heute vor allem mit ÖsterreicherInnen unterwegs. Elma meint hierzu
folgendes:
„Mein Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Österreichern, (…) aber seit einem Jahr, dadurch dass mein Freund auch aus Bosnien kommt und hier lebt, seit fünf Jahren
und er hauptsächlich mit Bosniern befreundet ist und nicht mit Österreichern, habe ich
dadurch wieder viel mehr mit Bosniern zu tun.“(Elma Familie 2)
Außerhalb der Schule konnten die Interviewpartnerinnen vor allem durch den Sport und durch
die Arbeit neue Menschen kennenlernen. Bei sechs von sieben Interviewpartnerinnen basieren
deren Freundschaften nicht auf der Nationalität der betroffenen Personen, sie präferieren weder
ÖsterreicherInnen noch BosnierInnen. Im Fall von Almasa stellt sich heraus, dass sie fast
ausschließlich Freunde mit Wurzeln auf dem Balkan hat. Sie ist sich sicher, dass sie einen
eindeutig kleineren Bezug zu Österreich bzw. ÖsterreicherInnen hat:
„Ich habe einen kleineren Bezug zu Österreich und zu ÖsterreicherInnen. Auch in der
Schule war es irgendwie einfacher wenn man irgendwen hat, wie zum Beispiel in der Schule hatte ich eine Freundin, sie war Kroatin und es ist irgendwie einfacher, wenn
man mit jemanden auf beiden Sprachen sprechen kann und etwas sprechen kann was
die anderen jetzt nicht verstehen sollen und es ist halt schön, wenn man irgendjemanden
hat, der dich versteht.“ (Almasa Familie 3)
Hierbei lässt sich erkennen, dass Almasa einen sehr starken Bezug zu ihren Wurzeln hat. Laut
Almasa wurde sie auf die bosnische Art erzogen, sprach Zuhause nur Bosnisch, hat fast
ausschließlich Freunde mit Wurzeln auf dem Balkan und isst fast jeden Tag bosnisches Essen.
All diese Tatsachen deuten auf eine Orientierung von Almasa in Richtung der
Herkunftsgesellschaft hin. Nach Esser könnte es dadurch zu einer Segregation kommen.
85
Freizeit
Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass alle Interviewpartnerinnen der zweiten Generation ihre
Freizeit gerne mit Freundinnen verbringen. Unter die Aktivitäten fallen vor allem sich treffen
und etwas essen und trinken gehen. Fünf der sieben Interviewpartnerinnen sind sportlich und
unternehmen in ihrer Freizeit viele Aktivitäten in der Natur.
Weiter ist bemerkenswert, dass alle Interviewten in ihrer Freizeit lesen und Musik hören. Durch
die Interviews wird deutlich, dass sechs von sieben Interviewpartnerinnen Bücher auf Deutsch
bevorzugt:
„Wenn ich was lese, ist es hauptsächlich Deutsch und Englisch. Wenn ich etwas
persönlich lese, dann ist es meistens Deutsch. (…) Aber bosnische Bücher lese ich gar
nicht, ich habe vielleicht ein oder zwei Bücher angefangen, aber nach ein paar Seiten gleich wieder aufgegeben. Ich spreche schon fließend Bosnisch, aber es ist mir einfach
zu anstrengend und da müsste ich gewisse Wörter nachgoogeln, was das bedeutet, das
ist mir zu viel Aufwand und dann lese ich es auch lieber auf Deutsch oder Englisch.“(Elma Familie 2).
Auch Nadia bevorzugt Bücher auf Deutsch: „Wenn ich mich mal zum Lesen bewege, sind das
dann vor allem Bücher auf Deutsch, weil ich es besser verstehe. Ich habe auch bosnische
Bücher gelesen, aber ich kann mich in deutsche Bücher viel mehr versetzen. Ich lese leichter
auf Deutsch.“(Nadia Familie 3) Die Tendenz zu Deutsch überrascht nicht. Alle
Interviewpartnerinnen sind in Österreich aufgewachsen, sind hier zur Schule gegangen und
konnten somit die nötigen Kompetenzen erreichen. Die kulturelle Integration scheint bei der
zweiten Generation in diesem Bereich erfolgreich zu sein.
Wurzeln und Herkunft
Auf die Frage, was sie mit Bosnien und Herzegowina verbinden, antworteten alle
Interviewpartnerinnen mit Familie und Urlaub. Familie stellt eine der wichtigsten
Verbindungsglieder zwischen der zweiten Generation und dem Herkunftsland dar. Weitere
Begriffe die mit Bosnien in Verbindung gebracht wurden sind Essen, Kultur, Musik, Kaffee
und Religion. Im Durchschnitt besuchen die Interviewpartnerinnen Bosnien und Herzegowina
zwei bis drei Mal im Jahr. Für die zweite Generation fühlt sich ein Besuch in Bosnien und
Herzegowina wie Urlaub oder Ferien an. Dort haben sie keine Verpflichtungen und können ihre
Freizeit genießen.
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Trotz der Verbindung mit der Familie und den Besuchen hat sich herausgestellt, dass fünf von
sieben Interviewpartnerinnen keinen regelmäßigen Kontakt zu Familie und Freunden in
Bosnien und Herzegowina haben. Diejenigen, die keinen Kontakt haben, gaben an, über die
Eltern in Kontakt mit Verwandten in Bosnien und Herzegowina zu treten. Nadia und Emina
haben regelmäßigen Kontakt zu ihren Großeltern, welche sie vor allem über das Telefon
erreichen.
Alle Interviewpartnerinnen - mit Ausnahme von Nadia - können sich nicht vorstellen, für immer
nach Bosnien auszuwandern. Sie alle haben sich ein Leben in Österreich aufgebaut, haben hier
ihre Freunde und auch Eltern. Der Lebensmittelpunkt befindet sich für alle in Österreich. Für
Naila liegt der Grund vor allem darin, dass sie fast keine Familie in Bosnien hat:
„Ich glaube nicht, nein. Also weil meine Eltern hier sind. In Bosnien weilt nur
noch mein Opa unter den Lebenden. Aber sonst habe ich noch meine Tante. Aber
ich kann mich eben nicht zu hundert Prozent damit identifizieren, dass ich in
Bosnien für immer leben würde. Für ein halbes oder einem Jahr würde es in
Ordnung sein.“(Naila Familie 1)
Für Ina liegt der Grund gegen eine Auswanderung nach Bosnien und Herzegowina vor allem
in ihren Sprachkenntnissen:
„Nein, weil ich hier aufgewachsen bin, ich gebe es ehrlich zu [lacht] ich rede besser Deutsch als Bosnisch. Ich rede nur mit meinen Eltern Bosnisch, sonst eigentlich mit
niemanden, auch mit meiner Schwester rede ich nur Deutsch. Oft kommt es auch vor,
dass ich zwischen den Sprachen hin und her springe. Wenn mir ein Wort nicht auf
Bosnisch einfällt, verwende ich dann immer gleich das Deutsche, zum Beispiel mit meinen Eltern.“(Ina Familie 2)
Einzig Nadia hat eine stärkere Verbindung zu Bosnien. Sie könnte sich vorstellen, eines Tages
nach Bosnien und Herzegowina zu ziehen, dafür müsste sie jedoch einen Job in einer Großstadt
finden: „Ja, also ich habe das öfters schon gesagt, wenn ich einen guten Job und ein gutes
Gehalt hätte, könnte ich mir schon vorstellen unten zu leben. Aber wenn, dann eher in einer
Großstadt.“(Nadia Familie 3).
Zusammenfassend kann man sagen, dass die zweite Generation vor allem aufgrund der Familie
eine Verbindung nach Bosnien und Herzegowina aufbauen konnte. Obwohl Bosnien und
Herzegowina zwei bis drei Mal im Jahr besucht wird, kann sich nur eine Person vorstellen, auch
dort zu leben, aber das auch nur unter bestimmten Umständen, die eher unwahrscheinlich
erscheinen.
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Zugehörigkeitsgefühl
Wo man sich daheim fühlt ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig und kann für eine
Person mit Migrationshintergrund oft nicht ganz eindeutig beantwortet werden. Zwei der sieben
Interviewpartnerinnen können sich nicht für ein bestimmtes Land entscheiden. Sie fühlen sich
sowohl zu Bosnien und Herzegowina als auch zu Österreich hingezogen und können dabei
keinen Unterschied feststellen.
Das ist eine sehr sehr schwierige Frage, die man so nicht beantworten kann. (…) wir
waren zwei Jahre nicht in Bosnien und das hat mir teilweise nichts ausgemacht und es hat mir nichts gefehlt. Ich war da so okkupiert mit meinen eigenen Dingen und mit
meinem Leben in Österreich, ich habe nicht einmal Zeit gehabt, darüber nachzudenken,
ob ich nach Bosnien will. Aber dann ist es irgendwie mit der Zeit, wo ich wieder Luft zum Atmen gehabt hab vom Alltag und so, wo ich nicht mehr so okkupiert war, habe
ich dann bemerkt, dass ich Bosnien vermisse und ich wollte nach Bosnien, man ist
immer nur kurzzeitig in Bosnien.“(Naila Familie 1)
Die restlichen Interviewpartnerinnen sind sich jedoch sicher, in Österreich fühlen sie sich
daheim. Die wichtigsten Gründe für eine solche Entwicklung sind Familie, Freunde und die
lange Aufenthaltsdauer in Österreich:
„Ich denke, wenn man wählen müsste, was ich nicht hoffe, dann wäre es Österreich.
(…) ich denke, da nicht mehr viel Familie in Bosnien übrig ist und mein
Lebensmittelpunkt hier ist und ich hier aufgewachsen bin, hier zur Schule gegangen bin und hier meine Freunde habe und meine engste Familie hier habe, könnte ich auf
Österreich nicht verzichten.“(Naza Familie 1)
Schlussendlich ist wichtig zu erwähnen, dass sich keine der Interviewpartnerinnen
ausschließlich in Bosnien und Herzegowina daheim fühlt. Die eher seltenen Besuche, die relativ
schlechtere Verbindung zum Herkunftsland und der gleichzeitige intensive Bezug zu Österreich
schließt die totale Zugehörigkeit zu Bosnien und Herzegowina aus.
Verbindung der Eltern zum Herkunftsland
Auf die Frage hin, ob ihre Eltern eine stärkere Verbindung zu Bosnien und Herzegowina
aufweisen, waren sich alle einig. Die Eltern haben nach der Meinung ihrer Kinder definitiv eine
stärkere Verbindung zu Bosnien und Herzegowina. Begründet wird diese Feststellung dadurch,
dass die erste Generation in Bosnien geboren wurde, sie sind dort aufgewachsen und konnten
ihre Kindheit und Jugend mit Bosnien und Herzegowina verbinden. Durch diese Zeitspanne
konnten soziale Beziehungen aufgebaut werden, was sich für die zweite Generation als
schwieriger erweist.
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Naila ist der Meinung:
„Auf jeden Fall. Ja, ich glaube schon. Die Kindheit ist für einen Menschen die
prägendste und wichtigste Zeit im Leben und meine Eltern sind in Bosnien geboren und aufgewachsen. Sie waren bis in das junge Erwachsenenalter in Bosnien. Betrachtet auf
die Lebenszeit, ist es vielleicht ein Drittel. Aber ich glaube trotzdem, dass diese Zeit
höhere Gewichtung für sie hat.“ (Naila Familie 1)
Zusammenfassend kann man festhalten, dass ein Vergleich zwischen der ersten und zweiten
Generation in diesem Bereich eine eindeutige Schlussfolgerung liefert. Die erste Generation
hat eine stärkere und intensivere Beziehung zum Heimatland als die zweite Generation.
Bildungs- und Berufslaufbahn
Unter den Interviewpartnerinnen sind zwei Studentinnen, zwei Schülerinnen, ein Lehrling und
zwei Berufstätige. Auffällig ist, dass in Familie 3 keine der Interviewpartnerinnen studiert oder
vor hat, zu studieren. Im Fall von Familie 1 studiert die ältere Schwester, wobei die jüngere
Schwester sich fest vorgenommen hat, ebenfalls in Zukunft zu studieren. In Familie 2 erkennen
wir zwei unterschiedliche Entwicklungen. Elma studiert Englisch und Deutsch auf das Lehramt.
Ina hat sich nach ihrem Schulabbruch dafür entschieden, eine Lehre mit Matura zu absolvieren.
Hier lässt sich erkennen, dass sich bei Migrantinnen der zweiten Generation die Bildung- und
Berufslaufbahn in unterschiedliche Richtungen bewegen kann. Es wird deutlich, dass durch die
Positionierung aller Interviewpartnerinnen in Bildung und Beruf bei der zweiten Generation
durchaus eine strukturelle Integration besteht.216
Veränderung
Auf die Frage hin, was sie denn in Österreich gerne verändern wollen würden, waren sich alle
Interviewpartnerinnen einig. Österreich entwickelt sich ihrer Meinung nach in eine sehr
problematische Richtung. Zwar fühlen sie sich in Österreich sehr wohl, trotzdem konnten sie
in den letzten Jahren starke Veränderungen im Hinblick auf die Art und Weise, wie mit
Ausländern umgegangen wird, bemerken. Es besteht eine große Fremdenfeindlichkeit, welche
mit vielen Vorurteilen behaftet ist.
216 Vgl. Kapitel 2.2.2.1 Assimilation nach Esser
89
So erzählt Naza von ihren Erfahrungen, wenn sie mit ihrer Mutter irgendwo unterwegs ist:
„Ich bekomme zum Beispiel sehr oft mit, wenn ich mit meiner Mutter unterwegs bin und sie sich verständigen möchte, sie kann ziemlich gut Deutsch und die Leute sobald sie
ein Kopftuch sehen und sobald sie nicht perfekt den perfekten Kärntner Dialekt spricht,
dann fangen sie gleich so künstlich Hochdeutsch zu reden und extra verständlich, laut und langsam, damit sie es ja versteht und das nervt manchmal wirklich. Also sie versteht
alles, man braucht nicht mit ihr anders umzugehen. Man darf natürlich nicht alle in
einen Topf geben, aber es erscheint mir schon, dass gewisse Menschen Vorurteile gegen
Menschen haben, die offensichtlich Migrationshintergrund haben und auch die die denken, sie haben keine Vorurteile, machen es dann irgendwie unbewusst doch.“(Naza
Familie 1)
Auch Emina hat durch die Medien eine starke Anfeindung von MuslimInnen bemerkt. Die
Interviewpartnerinnen haben nicht nur eine Fremdenfeindlichkeit aufgrund von Religion und
Herkunft festgestellt, vielmehr vermutet Ina, dass sich viele ÖsterreicherInnen bedroht fühlen:
„Ich glaube die Österreicher haben eine Angst, ich weiß zwar nicht wovor, aber einen anderen
Grund kann ich mir nicht vorstellen. Sie haben vielleicht Angst, keine Arbeitsstellen zu
bekommen, wenn andere herkommen und die Arbeit übernehmen. Ich weiß es nicht.“ (Ina
Familie 2)
Obwohl alle Interviewpartnerinnen in den 1990er-Jahren teilweise noch gar nicht auf der Welt
waren, sind sich zwei Interviewpartnerinnen darüber einig, dass damals ÖsterreicherInnen viel
offener gegenüber MigrantInnen waren. Hierzu meint Naila: „Ich glaube, dass sich Österreich
derzeit in eine schlechte Richtung entwickelt, weil damals, als meine Eltern nach Österreich
gekommen sind, haben sie nicht so eine große Ausgrenzung erlebt. Die Menschen waren damals
etwas offener, (…)“ (Naila Familie 1)
90
4.3.3 Vergleich der Generationen
Im folgenden Unterkapitel werden die erste und zweite Generation zum Vergleich
herangezogen. Es werden die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten dargestellt. Der
erste große Unterschied zwischen den Generationen ist selbstverständlich und besteht im
Geburtsort der Interviewten. Alle Interviewten der ersten Generation wurden in Bosnien und
Herzegowina geboren, wobei gleichzeitig sechs von sieben Interviewten der zweiten
Generation in Österreich geboren wurden. Vor allem in der Anfangsphase hatte die erste
Generation zahlreiche Schwierigkeiten, welche die zweite Generation nicht durchleben musste.
So zum Beispiel mussten sie vor dem Krieg flüchten, sie hatten finanzielle Schwierigkeiten,
auch die Sprache stellte eine große Barriere dar. Weiters musste die Mehrheit der ersten
Generation eine lange Zeit auf die Arbeitsbewilligung warten. Dadurch haben sie sich
gezwungen gefühlt, illegale Tätigkeiten zu verrichten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Die zweite Generation hatte diese Probleme nicht. Die finanzielle Situation wurde ihnen bereits
durch deren Eltern gesichert, sie konnten die Sprache in der Schule sehr gut erlernen und
illegale Tätigkeiten mussten nicht verrichtet werden. Trotzdem hatte die zweite Generation
deren eigene Schwierigkeiten. So wurden vier von sieben Interviewpartnerinnen
unterschiedlich intensiv in der Schule gemobbt. Welche Gründe dafür vorlagen, können sich
die Interviewten nicht erklären. Ungeachtet dessen spielt jedoch der Migrationshintergrund
dabei eine zumindest geringfügige Rolle. Zwei der Interviewpartnerinnen wurden weiters
aufgrund ihrer Herkunft und Religion bei Bewerbungsgesprächen diskriminiert.
Schwierigkeiten in dieser Form hatte die erste Generation nicht.
Gemeinsam haben die beiden Generationen viele positiven Erlebnisse, die sie in Österreich
machen konnten. Vor allem die sozialen Beziehungen, die geknüpft wurden, werden geschätzt.
Im Unterschied zur zweiten Generation, legt die erste Generation ihr Augenmerk auf die
anfängliche Phase in Österreich. So sind sie vor allem für die Aufnahme, die Grundversorgung
und die Hilfe seitens der ÖsterreicherInnen dankbar. Die zweite Generation legt den Fokus
neben den sozialen Beziehungen auf das gute Gesundheitswesen, die soziale Sicherheit und die
Umsetzung von Recht und Ordnung. Sie haben diese Dinge vor allem mit Bosnien und
Herzegowina verglichen und sind deshalb dankbar in Österreich leben zu können.
91
Alle Beteiligten konnten Freundschaften und Bekanntschaften in Österreich schließen.
Während die InterviewpartnerInnen der ersten Generation Freundschaften und Bekanntschaften
vor allem über die Arbeit und das private Leben kennenlernen konnten, entstanden die meisten
Freundschaften der zweiten Generation über die Schule. Im Fall der ersten Generation
bevorzugt nur Familie 3 den Kontakt zu bosnischen bzw. ex-jugoslawischen Freunden. Bei der
zweiten Generation hingegen lässt sich feststellen, dass nur Almas Familie 3 ihre bosnischen,
kroatischen und serbischen Freundschaften bevorzugt.
Die InterviewpartnerInnen haben unterschiedliche Freizeitaktivitäten. Der größte Unterschied
zwischen den Generationen besteht darin, dass die zweite Generation sich vorwiegend mit
FreundInnen trifft, während die erste Generation viel mit Familie und Nachbarn unternimmt.
Eine weitere Differenz besteht darin, dass bei der zweiten Generation sechs von sieben
Interviewpartnerinnen Deutsch beim Lesen und Schreiben bevorzugen. Obwohl die erste
Generation ihre Deutschkenntnisse im Laufe der Zeit stark weiterentwickelt hat, bestätigt nur
eine von sechs Interviewpartnerinnen, dass sie besser Deutsch als Bosnisch versteht.
Wenn es um die Verbindung mit dem Herkunftsland geht, können mehrere Unterschiede
zwischen den Generationen erkannt werden. Die erste Generation hat mehr Verbindungspunkte
zu Bosnien und Herzegowina. So fühlt sich die erste Generation stärker mit Bosnien und
Herzegowina verbunden, da sie dort ihre Heimat, Wurzeln, Kindheit, Jugend und Familie
lokalisieren, wohingegen die zweite Generation vorwiegend nur die Familie und Urlaub mit
Bosnien und Herzegowina verbindet. So würden fünf von sechs InterviewpartnerInnen aus der
ersten Generation nach Bosnien und Herzegowina zurückkehren. Demgegenüber könnte sich
nur eine Interviewpartnerin der zweiten Generation eine Auswanderung vorstellen. Weiters
kann man an der Regelmäßigkeit der Kontaktaufnahme mit Freunden, Bekannten und
Verwandten in Bosnien und Herzegowina Unterschiede zwischen den Generationen erkennen.
Während fünf von sechs Personen der ersten Generation regelmäßigen Kontakt ausüben, sind
es in der zweiten Generation nur zwei Personen. Sowohl die erste als auch die zweite
Generation sind sich einig, dass die Verbindung zum Herkunftsland bei der ersten Generation
eindeutig stärker ist. Wenn es um das Zugehörigkeitsgefühl geht, fühlen sich Familie 1 und 2
der ersten Generation in Österreich daheim, sie haben mehr Zeit ihres Lebens hier verbracht,
ihre Kinder sind hier aufgewachsen und sie haben ein Leben für sich aufgebaut. Nur Familie 3
fühlt sich in Österreich nicht daheim. Im Gegensatz dazu fühlen sich fünf der sieben
92
Interviewpartnerinnen der zweiten Generation in Österreich daheim. 2 Interviewpartnerinnen
können sich nicht für eines der Länder entscheiden, sie sehen beide als gleichwertig an.
Die Bildungs- und Berufslaufbahn hat sich bei allen InterviewpartnerInnen in unterschiedliche
Richtungen entwickelt. Ein Unterschied zwischen den Generationen besteht im weitaus
langwierigeren Prozess der ersten Generation. So dauerte es ziemlich lange, bis die
Interviewten der ersten Generation eine Arbeitserlaubnis erhielten. Durch diesen Prozess hat
sich die strukturelle Integration um einiges verlangsamt. Im Gegensatz dazu hat die zweite
Generation mit keinen Schwierigkeiten dieser Art zu kämpfen gehabt. Während in der ersten
Generation nur Enis ein Studium aufgenommen hat, studieren zwei Interviewpartnerinnen in
der zweiten Generation. Alle anderen Interviewten der ersten Generation haben eine
Berufsausbildung gemacht. In der zweiten Generation sind zwei Schülerinnen vertreten, von
denen eine vorhat, zu studieren. Eine Interviewpartnerin absolviert gerade eine Lehre mit
Matura. Weitere zwei Interviewpartnerinnen der zweiten Generation haben gleich nach dem
HLW Abschluss zu arbeiten begonnen. Trotzdem lässt sich sowohl bei der ersten als auch bei
der zweiten Generation eine große Bereitschaft zur Fort- und Weiterbildung erkennen.
93
5. Fazit
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit bosniakischen Flüchtlingen, die in den 1990er-
Jahren nach Österreich geflüchtet sind. Das Ziel dieser Arbeit war es, herauszufinden, ob und
inwiefern sich die Eingliederung in die Gesellschaft zwischen der ersten und zweiten
Generation von bosniakischen MigrantInnen unterscheidet. Neben einem theoretischen und
faktischen Teil, wurde auch eine empirische Untersuchung vorgenommen. Für die empirische
Untersuchung wurden teilstandardisierte Leitfadeninterviews mit drei Familien durchgeführt.
Das durch diese Interviews erhobene Material dient als Hauptquelle für die durchgeführte
Auswertung.
Am Beginn dieser Arbeit wurden drei Hypothesen aufgestellt, welche im Folgenden überprüft
werden. Die erste Hypothese geht davon aus, dass sich die Eingliederung in die österreichische
Gesellschaft für die erste Generation als schwieriger herausstellt als für die zweite Generation.
Ausgehend von dieser Hypothese konnten hierzu zahlreiche Informationen gesammelt werden.
Es stellt sich heraus, dass die erste Generation im Gegensatz zur zweiten mit zahlreichen
Schwierigkeiten konfrontiert wurde. Zumal die erste Generation nicht in Österreich geboren
wurde und sie erst als junge Erwachsene nach Österreich flüchteten, hatten sie vor allem in der
Anfangsphase viele Barrieren zu überwinden. Als eines der größten Barrieren erwies sich die
Sprache. Die mangelnden Sprachkenntnisse haben die Eingliederung in die Gesellschaft
zumindest verlangsamt. Weiters erwies sich die anfängliche Situation mit der
Arbeitsbewilligung als mühsam. Alle InterviewpartnerInnen der ersten Generation mussten auf
ihre Arbeitsbewilligung warten, teilweise sogar Jahre. Dadurch konnten sie keine Arbeit leisten
und haben sich deshalb auch teilweise mit illegalen Tätigkeiten ausgeholfen. Die anfängliche
finanzielle Situation zwang viele InterviewpartnerInnen zu einer sehr einschränkenden
Lebensweise, welche eine Eingliederung in die Gesellschaft nicht erleichterte. Vergleichsweise
hatte die zweite Generation mit diesen Problemen nicht zu kämpfen. Für die zweite Generation
erweist sich vor allem Mobbing und Ausgrenzung in der Schule als Schwierigkeit. Trotzdem
kann die erste These aufgrund der gewonnen Informationen bestätigt werden. Eine
Eingliederung in die österreichische Gesellschaft stellt sich für die erste Generation als
eindeutig schwieriger heraus.
94
Die zweite aufgestellte These bezieht sich auf die Verbindung zum Herkunftsland Bosnien und
Herzegowina und sagt aus, dass die erste Generation eine stärkere Beziehung mit dem
Herkunftsland pflegt. In den erhobenen Informationen aus den Interviews wird deutlich, dass
die erste Generation mehr Verbindungspunkte zu Bosnien und Herzegowina besitzt. Während
die erste Generation im Herkunftsland deren Wurzeln, Heimat, Kindheit, Jugend und Familie
sehen, verbindet die zweite Generation nur Familie und Urlaub mit Bosnien und Herzegowina.
Auch der Kontakt mit Verwandten, Freunden und Familie wird von der ersten Generation
eindeutig regelmäßiger aufgenommen. Für die zweite Generation besteht eine Verbindung mit
Bosnien und Herzegowina fast ausschließlich über die Eltern. Auf die Frage hin, ob sie nach
Bosnien und Herzegowina zurückkehren würden, hat nur eine von sechs InterviewpartnerInnen
der ersten Generation diese Option ausgeschlossen. Bei der zweiten Generation könnte sich nur
eine Interviewpartnerin ein Leben in Bosnien und Herzegowina vorstellen. Ausgehend von
diesen Informationen hat sich die These bestätigt. Die erste Generation pflegt eine stärkere
Beziehung mit dem Herkunftsland. Aus den Interviews wird auch ersichtlich, dass die erste
Generation von Familie 3 den größten Bezug sowohl zum Herkunftsland als auch zur
Herkunftsgesellschaft hat. Trotzdem konnten soziale Beziehungen mit ÖsterreicherInnen
aufgenommen werden. Sie sind auch strukturell im Bereich der Bildung und des Berufes
eingegliedert. Es bestehen keine Anzeichen, dass die stärkere Verbindung zum Heimatland die
Eingliederung der ersten Generation negativ beeinflusst hat.
Die dritte und letzte These umfasst die strukturelle Ebene der Integration und sagt einerseits
aus, dass die zweite Generation eine höhere Bildung und andererseits einen höhergestellten
Beruf als die erste Generation besitzt. In der ersten Generation hat keiner der
InterviewpartnerInnen ein Studium abgeschlossen. Nur Enis hat ein Studium in Belgrad
aufgenommen, welches er später jedoch abbrechen musste. Alle anderen InterviewpartnerInnen
der ersten Generation haben eine Berufsausbildung gemacht. Im Fall der zweiten Generation
haben wir zwei Studentinnen, zwei Schülerinnen, einen Lehrling und zwei Berufstätige.
Obwohl es sich nur geringfügig unterscheidet, lässt sich festhalten, dass die zweite Generation
eine höhere Bildung besitzt. Der erste Teil dieser These hat sich somit bewahrheitet. Im Fall
des Berufes lässt sich ein Vergleich nur schwer erstellen, da nur zwei Interviewpartnerinnen in
der zweiten Generation berufstätig sind. Zum jetzigen Zeitpunkt würde sich der zweite Teil
dieser These nicht bestätigen. Nimmt man an, dass die InterviewpartnerInnen ihre Vorhaben in
Zukunft umsetzen, ihre Studien abschließen und einen dafür vorgesehenen Beruf ausüben,
würde sich die These bestätigen.
95
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass viele Unterschiede zwischen den Generationen
bestehen. Dessen ungeachtet haben sich sowohl die erste Generation als auch die zweite
Generation sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Eines der wichtigsten Gründe
dafür war einerseits die Hilfe der Einheimischen, welche den Flüchtlingen in schwierigen
Zeiten Jobs und Unterkünfte anboten und andererseits die Selbstinitiative und der Ehrgeiz der
MigrantInnen sich weiterzuentwickeln. Mit anderen Worten lässt sich sagen, dass
unterschiedliche Faktoren und Parteien eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft
beeinflussen.
96
6. Literatur- und Quellenverzeichnis
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Responses in the Making of Americans. Vol. 31, Nr. 4, The Center for Migration
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Arbeitsgruppe Migrantinnen und Gewalt (Hg.), Migration von Frauen und strukturelle
Gewalt. Wien 2003. S. 41-52.
AUMÜLLER Jutta, Assimilation. Kontroversen um ein emigrationspolitisches Konzept.
Bielefeld 2009.
BADE Klaus, Einwanderungskontinent Europa. Migration und Integration am Ende des 20.
Jahrhunderts. In: Klaus BADE (Hg.), Einwanderungskontinent Europa. Migration und
Integration am Ende des 20. Jahrhunderts. Beiträge der Akademie für Migration und
Integration. Band 4. Osnabrück 2001. S. 19-47.
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8. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: nach ESSER Hartmut, Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 2. Die Konstruktion der
Gesellschaft. Frankfurt/ Main 2000, 287.
Abb. 2: nach STATISTIK AUSTRIA, Grafiken. In:
https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung
/wanderungen/wanderungen_mit_dem_ausland_aussenwanderungen/index.html (am:
12.02.2019).
103
9. Anhang
9.1 Transkriptionen
Familie 1
Omer
52 Jahre alt
ehem. Schlosser
Wo sind sie aufgewachsen und wie war ihre Kindheit?
Aufgewachsen bin ich in Bosnien. Meine Kindheit war schwierig. Da wo es am Schönsten war,
kam der Krieg.
Wie und unter welchen Umständen sind sie nach Österreich gekommen?
Ja, in Bosnien brach der Krieg aus. Es war schrecklich. Ich hatte Glück, da ich zu dieser Zeit
mit meinem Vater in Kroatien arbeitete. Das Leben war nicht einfach. Ich wusste nichts von
meiner restlichen Familie. Ich hatte keinen Kontakt nach Bosnien. Wir lebten unter schlechten
Bedingungen in Zagreb, aber zu dieser Zeit habe ich dann meine Frau kennengelernt. In jedem
Übel gibt es etwas Gutes. Nach einer gewissen Zeit entschlossen meine Frau und ich nach
Österreich weiter zu reisen. Der Krieg dauerte noch an und die Lebensbedingungen in Kroatien
waren schrecklich. Meine Frau war zu dieser Zeit schon Schwanger, also das war 1993. Ja wir
sind dann mit einem Bus nach Österreich eingereist, aber in Österreich wurden schon Gesetze
geändert. Wir waren nicht wirklich Willkommen und eine Aufenthaltsbewilligung haben wir
für eine längere Zeit nicht bekommen. Aber mit der Zeit ist es besser geworden.
Als sie nach Österreich kamen, wie war ihr erster Eindruck?
Wir kamen als Flüchtlinge in eine Pension in einem Aufnahmecenter. Meine Frau war
schwanger. Wir waren zwanzig Familien, jede Familie hatte ein Zimmer. In diesem Zimmer
war das Bett, WC, Dusche, alles war in dem einen Raum. Es waren zehn bis fünfzehn
Quadratmeter.
Wir hatten zwar vom Staat Hilfe, aber das reichte gerade einmal zum Überleben. (...)
Es war schwierig am Anfang, weil wir nicht gleich eine Arbeit bekommen konnten. Wir haben
vieles durchlebt und es war nicht einfach.
Welche positiven und negativen Erinnerungen haben Sie noch an diese Zeit?
Positiv ist, dass sie uns aufgenommen haben. Wir hatten Essen und Trinken und es war kein
Krieg. Negative Erinnerungen waren, dass es schwierig war sich zu integrieren und vor allem
die Sprache zu erlernen. Das dauerte eine ziemlich lange Zeit, um sich zu integrieren.
Ich konnte vier Jahre keine Arbeit bekommen, weil ich auch keine Arbeitserlaubnis bekam. Der
Bürgermeister schrieb jedoch damals einen Brief an das Innenministerium. Nach vier Jahren
bekam ich endlich die Arbeitserlaubnis. (...). In der Pension, wo wir unterkamen hatte man die
Möglichkeit einen Sprachkurs zu besuchen, jedoch war das nicht viel. Es half mir nicht wirklich
die Sprache zu lernen.
Konnten Sie Bekanntschaften und Freundschaften schließen in ihrer Zeit in Österreich?
Ja, ich habe einige Personen kennengelernt und konnte Freundschaften schließen. Ich ging
damals von Haus zu Haus, um etwas für meine Familie dazu zu verdienen. Wir hatten in der
Pension nur Essen und Trinken. Die Österreicher haben sich mir gegenüber sehr nett verhalten,
genauso wie ich mich ihnen gegenüber verhalten habe. Ich habe eine gute Freundschaft
104
aufbauen können zu einem etwas älteren Österreicher, bei dem wir später wohnten und auch
arbeiteten. Er war eine große Hilfe.
Hat sich etwas in der Zwischenzeit verändert?
Es hat sich Vieles in der Zwischenzeit verändert. Wir sind ein geschicktes Volk, wir arbeiten
sehr hart und alles was wir heute haben, haben wir durch harte Arbeit erreicht. Es wird dir
niemand etwas Gratis geben. Alles was wir haben, haben wir durch harte Arbeit und Fleiß
bekommen. Man musste von früh bis spät arbeiten. Ich habe 20 Jahre in einer Firma gearbeitet
überall in Europa, bis ich etwas erreicht habe.
Mit was verbinden Sie Bosnien und Herzegowina?
Unten bin ich geboren, unten bin ich aufgewachsen. Wie soll ich sagen, es zieht mich nach
unten. Wenn ich solide Einnahmen hätte, mit einer vernünftigen Arbeit, würde ich wieder nach
Bosnien ziehen. Aber ich sehe die Jugend in Bosnien geht nach Europa, dann denke ich mir,
was soll ich in Bosnien.
Wie oft fahren Sie nach Bosnien?
Meistens vier bis fünf Mal im Jahr.
Haben Sie regelmäßigen Kontakt zur Familie und Verwandten in Bosnien?
Ja, habe ich. Mutter ist gestorben, aber ich telefoniere regelmäßig mit meinem Vater, Bruder
und meinen Cousins. Mein Cousin ist auch zu Besuch gekommen, damit wir etwas Zeit
gemeinsam verbringen.
Wo fühlen Sie sich daheim?
Ja, hier habe ich mehr Zeit meines Lebens verbracht als in Bosnien. Hier habe ich meine Jugend
gelassen. Meine Arbeit und alles ist hier.
Was machen Sie in ihrer Freizeit?
Ich mache viel im Garten, mähe Rasen und Rund ums Haus. Aber ich habe auch nicht viel
Freizeit, ich arbeite mehr. Ich habe ein Boot, aber ich fahre nicht oft mit dem Boot. Ich schaue
auch gerne Nachrichten, vor allem aber bosnische Nachrichten. Sehr selten schaue ich
österreichische Nachrichten auf Deutsch. Ich schaue auch sehr gerne Fußball.
Zu wem halten Sie?
Zu Bosnien. Ich war auch in Wien, wo Bosnien gegen Österreich gespielt hat. Wenn jedoch
Österreich spielt gegen andere Länder, halte ich natürlich zu Österreich.
Glauben Sie, dass ihre Kinder eine bessere oder schlechtere Verbindung zu Bosnien haben als
Sie?
Früher als sie kleiner waren, sind sie immer mit uns nach Bosnien gefahren, jetzt wo sie älter
geworden sind, wollen sie nicht mehr so oft mitfahren. In den letzten zwei Jahren wollten beide
nicht mitfahren nach Bosnien.
Glauben Sie, dass Sie aufgrund ihres Migrationshintergrundes irgendwelche Nachteile haben
bzw. Diskriminierung erleben?
Nein, würde ich nicht sagen.
105
Könnten Sie mir kurz über ihre Arbeit erzählen?
Es dauerte lange bis ich meine Arbeitserlaubnis bekommen habe. Ich wechselte oft die Firma,
habe in der letzten Firma auch gut bezahlt bekommen. Ich war nicht oft Zuhause, ich habe vor
allem im Ausland gearbeitet. Derzeit arbeite ich nicht. Ich bin seit drei Jahren
auf Reha. Vorher war ich Schlosser.
Wie haben Sie sich mit ihren Kollegen verstanden?
Es war alles korrekt. Ich war eine lange Zeit dort. Der Chef und auch alle anderen haben mich
geschätzt und ich habe geschaut, dass ich meine Arbeit verantwortungsvoll verrichte.
Haben Sie eine Erinnerung aus ihrer Vergangenheit, welche Sie heut noch immer schätzen?
Ja, ich hatte einen Österreicher, der uns in sein Haus aufnahm. Er hat uns sehr geholfen. Als es
uns am schlechtesten ging, gab er uns eine Wohnung und er unterstützte mich bei der
Arbeitssuche. Er hatte eine Frau, jedoch als die Frau verstarb, wurde es immer schwieriger für
ihn sein Anwesen zu pflegen. Ich half ihm dabei und war eine Art Hausmeister. Ich war für ihn
wie ein Sohn. Als das Begräbnis war, bedankte sich der Pfarrer bei uns, weil wir uns um in
kümmerten.
Maida
Alter: 51
Beruf: Religionslehrerin
Könnten Sie mir erzählen, wo Sie aufgewachsen sind und wo Sie zu Schule gegangen sind?
Ich bin in Bosnien geboren und aufgewachsen im Gebiet von Ost Bosnien in der Nähe der
serbischen Grenze. Wir waren vier Kinder. Mein Vater ist gestorben, wo ich ganz klein war.
Wir hatten mehrere Grundstücke, wir hatten einen großen Bauernhof, wir haben selber viel
produziert, sind normal zur Schule gegangen. Wir waren gemischt Serben und Muslime. Ich
hatte eine schöne Kindheit, außer dass ich keinen Vater hatte und wir hatten keine Pension,
aufgrund dessen dass er krank geworden ist und die Arbeit nach kurzer Zeit abgebrochen hat,
bekamen wir keine Pension. Aber ansonsten haben wir eine ziemlich gute Kindheit gehabt.
War es schwierig finanziell?
In einigen Maßen schon, weil wir haben selber von unserem Bauernhof Produkte verkauft. Ich
war im Dorf bis zur vierten Klassen, danach ging ich in der Gemeindestadt zur Schule. Danach
wieder zurück ins Dorf. Danach haben wir auch eine neue Schule bekommen, da war ich zweite
Hauptschule. Ich bin 25 gewesen wo der Krieg ausgebrochen ist.
Ich bin rechtzeitig nach Österreich gekommen. Zuerst von Bosnien nach Kroatien, von dort
über Slowenien nach Österreich. Das war noch die Zeit, wo man über die Brücke des Flusses
Sava gehen konnte. Zwei Tage nachdem ich die Brücke überquert habe, wurde die Brücke
gesprengt. Ich habe Glück gehabt, dass ich rechtzeitig rüber gegangen bin. Eigentlich bin ich
nicht direkt nach Österreich. Ich war so ca. 1,5 Jahre in Zagreb, da ich immer gedacht habe,
dass der Krieg nicht so lange dauern wird. Man hat nicht damit gerechnet, dass er so lange
dauern wird. Wir haben gedacht, dass es nach ein paar Monaten aufhört. Ich hatte nur eine
Adidas Tasche, eine Decke, einen Regenschirm und mit Stiefel und Mantel bin ich
rausgegangen. Drei Wochen danach war es so warm, dass man mit Sandalen gehen konnte. Ich
hatte etwas Geld und habe mir dann damit Sandalen und einen Trainingsanzug gekauft. In
Kroatien bin ich von einer Firma, dort arbeitete ein Cousin von mir, in Baracken untergebracht
worden, es wurden vor allem Familien der Arbeiter dort untergebracht. (...)
106
Ich habe meinen Cousin gefragt, ob er Platz für mich finden kann. Das hat er auch getan, für
mich und für ein paar meiner Freundinnen. Wir sind zusammen von Bosnien aufgebrochen.
Wir blieben alle vier in Zagreb. Später, ein paar Monate danach, haben wir mitbekommen, dass
ein Zug aus Deutschland kommt mit 5000 Plätzen. Die Menschen haben sich dann dafür
eingeschrieben, viele sind dann nach Deutschland, Schweden usw. Ich wollte nicht und bin in
Zagreb geblieben mit der Hoffnung einen Kontakt zu meiner Familie nach Bosnien aufzubauen.
(...)
In Kroatien habe ich meinen Mann kennengelernt, er arbeitete dort mit seinem Vater. Wir haben
uns kennengelernt. Ich habe dann beschlossen zu Heiraten. Ich dachte es wäre sinnvoll,
stattdessen hatte ich andere Möglichkeiten, ich hätte nach Holland gehen können. Ich wollte
aber nicht, Hoffnung auf ein Ende des Krieges bestand bei mir noch immer. Aber leider hat es
länger gedauert. Da die Bedingungen in Kroatien sehr schlecht waren, beschloss ich mit
meinem Mann nach Österreich zu kommen. Das war 1993, da war ich schon Schwanger und in
Kroatien, wo wir wohnten, gab es nur eine Kloanlage mit mehreren Klos für alle die dort
wohnten. Es war so ekelhaft und ich war Schwanger. Ich musst immer speiben. Wir sind nach
Österreich gekommen und zwar weniger als einen Monat zu spät, denn Österreich hat da schon
irgendwelche Gesetze geändert, dass sie keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Alle die danach
kommen sind nicht willkommen oder sagen wir so, legal nahmen sie Niemanden mehr und wer
illegal kommt und wir wurden auch so tretiert. Am Anfang war es so, dass sie und nicht ins
Kriegsgebiet zurückschicken haben können, nach der Genfer Konvention dürften sie das nicht.
Jede sechs Monate haben sie uns das Visum verlängert. Nachdem Kriegsende hätten wir gleich
abgeschoben werden sollen, aber da haben wir eine große Barriere gehabt. Da wir gleich nach
der Ankunft, konnte mein Mann arbeiten. Drei Wochen nachdem wir ankamen, hat mein Mann
einen Job in einer Autowerkstatt gefunden. Der Chef hat Arbeiter gebraucht, aber mein Mann
musste zum Arbeitsamt gehen, aber beim Arbeitsamt gaben sie ihm keine Erlaubnis, weil wir
illegal gekommen sind. Obwohl wir später beim Flüchtlingsreferat Flüchtlinge sahen, die nach
uns kamen, aber in anderen Bezirken lebten, hatten keine Probleme. Fast bis Ende des Krieges
bekam mein Mann keine Arbeitserlaubnis, wir waren im Ungewissen. Gott sei Dank haben wir
gute Leute um uns gehabt. Viele Österreicher haben uns geholfen. Ein Chef von einer Villa,
der Gäste Touristen hatte. Er war sehr interessiert meinen Mann einzustellen. Er hat uns auch
eine Wohnung vermietet und da hat er uns in diesem Jahr geholfen. Im gleichen Jahr ist seine
Frau verstorben und er konnte das alleine nicht mehr machen. So hat er ein Apartment uns zur
Verfügung gestellt. Er hat uns einen neuen Küchenblock gekauft. Ich dürfte sogar mit ihm und
meinem Mann zum Geschäft fahren und selber eine Küche aussuchen. Das hat mir sehr viel
bedeutet, es war ein unbeschreibliches Gefühl, dass dich jemand so würdigt. Ich wollte die
Billigste kaufen, dann hat er gemeint, dass wäre eine schlechte Entscheidung, wegen dem
Beige, es ist eine empfindliche Farbe. Er sagte mir, ich soll nicht auf den Preis schauen. Einen
ganzen Monat hat mein Mann mit ihm die Küche montiert. Mein Mann hat ihn überall gefahren.
Er half uns, wir halfen ihm. Er hat sich dann für uns engagiert. Er hat den Bürgermeister zu sich
eingeladen, hat von ihm verlangt, dass der Bürgermeister ein Schreiben in das
Innenministerium schickt, um für uns die Aufenthaltsgenehmigung anzusuchen. Dann hat der
Bürgermeister gemeint, er ist sich nicht sicher ob er was bewirken kann. Er schlug ihm sogar
vor eine Pflegerin zu ihm zu schicken, die sich um ihn sorgen sollte anstatt uns. Wir haben alles
gemacht. Mein Mann war wie ein Hausmeister. Wir haben geputzt, gekehrt, geheizt. Er war
sehr zufrieden mit uns. Er hat zum Bürgermeister gesagt, ich will keine Pflegerin, ich will nur
diese Familie und dann hat der Bürgermeister tatsächlich einen Brief geschrieben. (...) Er bekam
eine Antwort. Der Minister würde gerne helfen, aber aufgrund des Gesetzes wäre es schwierig.
Eine weitere Organisation, die sich für Flüchtlinge engagiert hat, versuchte etwas zu ändern.
(...) Warum können wir diesen Menschen nicht die gleiche Chancen geben, wie den
Flüchtlingen, die früher in Österreich ankamen. Wenn sich Menschen integrieren können,
107
sollen sie auch in Österreich bleiben können. Das Parlament hat das Gesetz dann schließlich
wieder geändert und wir bekamen unser Visum Ende 1995. Unser Chef war so erfreut, dass wir
das Visum bekommen haben. Danach bekam mein Mann auch einen Job, leider ist dieser Chef
kurz danach gestorben. Wir sind dann ausgezogen, wir mussten nicht, da die Tochter, die das
ganze Anwesen geerbt bekam, nichts dagegen hatte. Sie wollte uns da lassen und behalten, wir
kannten uns gut aus und sie vertraute uns. Mein Mann und ich wollten nicht, wir haben einen
guten Menschen verloren, wir haben ihn ins Herz geschlossen. Alles hat uns an ihn erinnert. Zu
viele Erinnerungen. (...) Wir haben ein anderes Quartier gesucht.
Haben Sie in dieser Zeit Freundschaften und Bekanntschaften mit Österreicher_innen schließen
können?
Es war ganze Zeit, die Freundschaften sind nie weniger geworden, ganz im Gegenteil. Wir
kannten viele Leute und konnten auch Bekanntschaften und immer mehr Freundschaften
schließen. Als wir noch bei diesem Mann, dem Chef, wie wir ihn nannten, haben wir durch ihn
sehr viele Leute kennengelernt. Unter anderem die Tochter seiner Frau, seine Tochter, die nicht
mit ihm lebte und seine Enkelin und seine Freunde und die Freunde seiner Frau wurden unsere
Freunde. Also unsere damalige Nachbarin, auch mit ihr haben wir Freundschaften geschlossen.
Die ersten Stiefel, die meine Tochter bekommen hat, waren von dieser Nachbarin. Eines Tages
haben wir uns das nicht leisten können, ich habe mir beim Caritas meistens etwas Gebrauchtes
gekauft. Eines Tages hat mich diese Nachbarin mitgenommen, mich und meine Tochter und
wir sind mit dem Auto in ein Schuhgeschäft gebracht. Dort sollte ich für meine Tochter warme
Schuhe aussuchen. Das ist eine schöne Erinnerung.
Durch diese Familie haben wir auch unsere zukünftigen Vermieter kennengelernt. Sehr nette
Frau und Mann. Sie hatten ein Haus renoviert und das Alte war leer und wir fragten ob wir dort
einziehen dürfen. Wir renovierten diese Wohnung und diese Vermieter sagten, dass wir das
Geld, welches wir für die Renovierung aufbrauchen von ihnen zurückerstattet bekommen. So
haben wir das dann auch gemacht. Durch diese Familie haben wir auch andere Leute
kennengelernt. Zum Beispiel einen Mann, der bei der Gemeinde arbeitete, mittlerweile ist er in
Pension. Wir sind noch immer Freunde. Jetzt vor den Weihnachtsferien haben wir sie besucht
und haben ihnen Geschenke gebracht. Seit damals haben wir viele viele Leute kennengelernt.
Haben sie die Möglichkeit gehabt Deutschkurse zu besuchen?
Ja, sobald als ich kam hatten wir in unserem Quartier, das war eine verlassene Pension in der
Umgebung eines Sees, sind Kurse angeboten worden. Ich konnte diese Kurse nicht besuchen,
da ich ein Baby hatte und aufgrund dessen war ich alleine mit dem Baby, da ich niemanden
hatte, wo ich das Kind hätte lassen können. Ich habe in Bosnien, wo ich aufgewachsen bin, in
der Hauptschule von der 5. bis 8. Klasse Deutsch als Fremdsprache gehabt. Das war eine gute
Basis, wo ich später sehr profitiert habe. Ich konnte kleine Dinge bewältigen, natürlich mit
Fehlern. Ich habe sehr gute und strenge Lehrer gehabt. Ich habe mich bemüht, weil ich Deutsch
auch mochte. Hier habe ich dann die Sprache weiter aufgebaut. Ich war sehr bemüht. (...)
Ich habe sehr viel Zeitung gelesen. Ich habe auch oft Leute gefragt, was gewisse Wörter
bedeuten. Ich habe mit meinem Kind auch Fernsehen geschaut. Ich habe ein Wörterbuch von
einer Frau in Bosnien ausgeborgt und habe in den drei Tagen, wo es zur Geburt kam, habe ich
Wörter und Sätze auf Papier geschrieben. Ich habe mich auf Niemanden verlassen, es hat mir
Spaß gemacht.
Meine Brüder haben später auch Deutsch gelernt. Ich bin jedoch nach der Hauptschule auf
Englisch gewechselt. Mein Bruder der Bautechniker war, hat sich für ein Studium der
Germanistik und Linguistik beworben. Es lag anscheinend in der Familie, wir mochten alle die
deutsche Sprache. (...)
108
Hat sich in der Zeit von damals auf Heute etwas an dem Verhältnis zu Österreich geändert?
Man kann nicht mit einem kurzen Ja oder Nein es beschreiben. Wir haben damals viele Leute
kennengelernt. Haben viele Bekanntschaften gemacht und pflegen die noch heute. Wir sind
sehr dankbar. Wir sind angenommen als Freunde und Gleichwertige. Sie waren einsichtig,
hilfsbereit, sensibel und hatten gute Nerven mit uns gehabt, waren geduldig mit uns, bis wir uns
abfinden konnten. Das war wirklich, außer die Problem mit dem Visum, war es für mich
Gastfreundschaft.
Damals gab es nichts Negatives. ich kann mich an nichts erinnern. Immer wirklich korrekt und
so. Bis jetzt war fast immer alles in Ordnung. Jetzt merke ich schon, dass durch die medialen
Einflüsse, seit dem 11. September 2001 und der schlechten Darstellung von Islam und
Muslimen, merke ich schon Unterschiede. Zum Beispiel mir kommt es vor, dass die Leute
generell nicht mehr so geduldig sind wie früher. Wenn man etwas nicht kann, das Leben ist
generell sehr schnell und hektisch geworden. Alle leiden darunter. Aber was dieses Klima
betrifft, kann ich sagen, ich habe einige Überraschung erlebt. Zum Beispiel aufgrund meines
Kopftuchs habe ich Bemerkungen gehört, so auf dieser Ebene merke ich schon, dass es
Schwierigkeiten gibt. Ich habe selber erlebt, auf einem öffentlichen Platz, wo eine Schülerin
auf mich zukam und mich versuchte zu provozieren aufgrund meines Kopftuches. Ich merke
auch früher bin ich oft mit Verständnis, Ehre und Würde empfangen, wenn ich irgendwo
hinkam, jetzt schauen sie manchmal bei Lidl oder irgendwo anders in der Öffentlichkeit,
schauen sie mich an als wäre ich vom Mars gefallen. So wie als hätten sie nie eine Frau mit
einem Kopftuch gesehen. Früher war es ganz normal, überhaupt nicht bemerkbar, aus meiner
Sicht und jetzt schauen sie mit Verachtung.
Allein auch diese in der letzten Zeit die Propaganda und immer irgendwelche neue Vorschläge
des Kopftuchverbots im Kindesalter, im Kindergarten, Volksschule. Obwohl ich noch, nie habe
ich gesehen, dass ein Mädchen in diesem Alter ein Kopftuch trägt. Eigentlich ist es auch religiös
keine Vorschrift. (...) Das Neueste mit dem Zeugnis, unsere Kinder haben auf dem Zeugnis
nicht mehr Islam als Religionsbekenntnis, sondern IGGÖ. Was ist das? Warum nicht Islam?
Generell geht es nicht nur um Integration, sondern auch um die Grundwerte, die mit allen
Konventionen garantiert wurden. (...) Wir haben alle Wurzeln, man soll diese nicht einfach
wegschneiden. Es kommt immer mehr zu Demütigungen, immer mehr Vernachlässigungen,
immer mehr Entwürdigungen, immer mehr Unterdrückung und Diskriminierung. Wir haben
nicht die gleichen Chancen. Angelich möchte uns (muslimische Frauen) die Regierung
schützen, vor unseren Männern, Väter. Sie greifen ein auf unsere Identität und Freiheit.
Andererseits tun sie uns das an. (...)
Ich hatte eine Bekannte, sie arbeitete mehrere Jahre bei der Gemeinde in einer großen Stadt in
Bosnien und Herzegowina in der Verwaltung. Sie kam nach Österreich. Sie war nur gut genug
fürs putzen, sie war froh einen Job zu bekommen. Sie kannte die Sprache nicht, ihr Diplom
konnte nicht nostrifiziert werden. Sie arbeitete mehrere Jahre in diesem Job und danach hat sie
sich entschieden ein Kopftuch zu tragen und ihre Chefin hat sie nicht gekündigt. Aber wo die
Chefin sie in mehrere Institutionen zum putzen schickte, unter anderem auch in ein
Polizeigebäude, da haben einige nichts dagegen gehabt, aber einige waren dagegen. Warum
sollte diese Frau bei uns putzen? Sie hatten Vorurteile. Ich weiß nicht welche Motivation und
Gründe sie gehabt haben. Vielleicht waren sie misstrauisch. Ich weiß es nicht. Sie verlangten
eine neue Frau, die das Gebäude putzen solle. Die Chefin hat diese Frau in mehrere andere
Gebäude geschickt, jedoch wollten sie diese auch nicht. Die Chefin wusste nicht was sie mit
ihr machen sollte. Sie musst sie dann kündigen. (...)
Ich kannte noch eine Frau, die mit ihrem Mann selbstständig war. Sie haben einen großen LKW
Schlepper gekauft, beide haben damit gearbeitet. Sie fuhr überall hin. Sie hatte ein Kind. Dann
haben sie beschlossen, das zu verkaufen und einen anderen Job zu finden. Der Mann hat einen
109
Job als Busfahrer gefunden. Die Frau blieb auf der Strecke. Sie begann Kopftuch zu tragen und
konnte dadurch auch keinen Job finden. Später wurde sie in einer Metzgerei eingestellt als
Putzfrau. Sie hat im Anschluss eine Ausbildung gemacht zur Pflegeassistentin. (...)
Das zeigt uns wie sich die Gesellschaft gegenüber Frauen mit Kopftuch verhalten und wie sie
sie betrachten. (…)
Was machen Sie gerne in ihrer Freizeit?
Ich verbringe meine Freizeit gerne damit, dass ich Bücher lese. Ich lese sowohl auf Deutsch als
auch auf Bosnisch. Da wir ein Haus haben und einen sehr großen Garten haben, bin ich gern
dort und pflanze Unterschiedliches an. Ich habe gerne mein eigenes Gemüse und Obst, es
schmeckt einfach besser. Ansonsten hat man auch nicht so viel Freizeit, aber viel davon
verbringe ich mit meiner Familie.
Wenn sie an Bosnien und Herzegowina denken mit was verbinden sie dieses Land?
Bosnien ist eines meiner Heimatländer. Mittlerweile habe ich zwei Heimatländer. Eines wo ich
geboren bin, wo ich 25 Jahre lebte und das Zweite wo ich schon mehr als 25 Jahre lebe. Ich
kann sagen mich verbinden sehr schöne Gefühle, da ich im Kindesalter und im Jugendalter
schöne Erfahrungen machen konnte. Ich habe vor dem Krieg sogar gearbeitet. Bosnien ist nicht
weit weg von Österreich. Es hat eine schöne Geographie, schöne Berge, schöne Flüsse, Seen,
es hat ein Teil des Meeres. Es hat natürliche Voraussetzungen, dass man dort Urlaub macht und
kulinarisch kann man sich die schönen Köstlichkeiten gönnen. Viel Schönes.
Haben Sie regelmäßigen Kontakt zu Freunden und Verwandten in Bosnien und Herzegowina?
Ja, schon. Wir haben auch Verwandte. Allerdings ist meine Mama verstorben. Aber ich habe
Tanten, Onkel und viele andere Verwandten. Wir habe regelmäßigen Kontakt.
Würden Sie sagen, dass sie oft nach Bosnien fahren?
Nicht so oft wie früher. Früher öfters, wo die Mama von mir und meinem Mann am Leben war
und wo die Kinder kleiner waren. Es ist schwieriger geworden Zeit zu finden, die für alle in
Ordnung geht und die Kinder alleine lassen ist auch nicht optimal. Man macht sich sorgen, wie
werden sie da alleine sein, obwohl sie groß sind. Wir fahren ein oder zwei Mal im Jahr.
Würden Sie sagen, dass Sie Bosnien vermissen und würden Sie dorthin für immer zurückziehen
wollen?
Ich kann sagen, dass ich mir vorstellen kann dort wieder zu leben. Wenn ich meinen Job dort
finden würde und irgendwie ein solides Einkommen hätte, könnte ich mir vorstellen
zurückzukehren. Mittlerweile haben wir Kinder hier, die groß sind. Das ist eine Barriere, wie
können wir die Kinder hier lassen. Wir hätten Sehnsucht nach ihnen. Die Kinder sind noch
nicht familiär, was auch eine Schwierigkeit ist. Da könnte man sich dann trotzdem nicht leicht
entscheiden. Wenn es nur um mich ginge, wäre das kein Problem. Aber es geht nicht nur um
mich. Jetzt habe ich Kinder, die hier geboren sind, die sich hier mehr angewöhnt haben als
unten. Ich bin auch gerne hier. Wie gesagt, man kann die Kinder nicht alleine da lassen. (...)
Wir möchten schon zusammen mit unseren Kindern und Enkelkinder sein
Glauben Sie, dass ihre Kinder eine schlechtere Verbindung zu Bosnien haben als Sie? Und
warum?
Ja, ich glaube schon. Sie sind hier geboren und aufgewachsen. Sie haben sich in Österreich
mehr angewöhnt als in Bosnien. Ich glaube nicht, dass man das Vergleichen kann mit mir, ich
bin immerhin eine lange Zeit in Bosnien gewesen und habe dadurch auch mehr Erfahrungen
und Erinnerungen sammeln können, die mich an Bosnien stärker binden.
110
Wo sind sie daheim?
Österreich, da wo ich lebe. Es gibt mehrere Gründe, ich arbeite, lebe da, wir haben ein Haus
gebaut, wir haben da unsere Kinder, die Schule gehen, studieren und so weiter.
Wie hat sich ihre Berufslaufbahn entwickelt?
Damals war ganz normal. Ich habe Glück gehabt, dass ich das arbeite, da wo ich mich geschult
habe in Bosnien, dass mein Diplom anerkannt wurde. Nicht jeder hat so ein Glück gehabt. Ich
bin Gott dankbar und auch diesem Land, dass ich das machen kann, was ich gelernt. Ich bin
Religionslehrerin für Islam. Ich bin dankbar, dass mir das ermöglicht wurde und das alle
Religionsgemeinschaften und Bekenntnisse ihre Religion frei ausüben dürfen und in Schulen
unterrichten dürfen. (...)
Das was mir besonders an Österreich gefällt ist die religiöse Freiheit und ich hoffe, dass da
weiterhin so bleibt. Dass das nicht eingeschränkt wird. Das wir eine Demokratie, in jedem Sinne
bleiben. Ich fühle mich hier wohl. Ich habe eigentlich gute Erfahrungen, ich habe nette
Nachbarn und Freunde, Bekannte. Ich habe viele Leute, die ich sehr mag. Meiner Nachbarin
habe ich meine Kinder anvertraut, wo ich mit meinem Mann auf Urlaub war. Dass ist schon
großartig, dass sich meine Nachbarin um meine Kinder kümmern möchte, genauso wie meine
ältere Schwester und wie gesagt wir haben viele. Ich bin gut aufgenommen, von den Kollegen
und Kolleginnen in der Schule. Mittlerweile habe ich auch unter den Kollegen sehr viele die
ich mag. Ich habe wie gesagt, durch diese Erfahrungen habe ich viele Freunde gewonnen. Ich
fühle mich wohl. Wenn es so bleibt, gibt es keinen Grund zu meckern.
Naila
25 Jahre alt
Studentin
Erzähl mir etwas über deine Kindheit?
Also, meine Kindheit kann ich so beschreiben, dass sie zwar schön, aber auch nicht so leicht
war. Finde ich halt persönlich. Meine Kindheit war halt so, dass meine Eltern so hierher
geflüchtet sind, bevor ich geboren wurde. Ich habe es als Kind nicht so leicht gehabt, habe ich
so empfunden. Ich war also mit Eltern da, die mit einer neuen Kultur konfrontiert wurden. Ich
war irgendwie anders in der Schule. Ich habe das schon gemerkt. Wir haben in der Nähe von
dem Klopeinersee gewohnt, zuerst in einer Flüchtlingsunterkunft, jedoch an das kann ich mich
noch nicht erinnern, da habe ich noch keine Erinnerungen gehabt als Kind. Dann sind wir
umgezogen in ein Privathaus. Es waren zwei Häuser. In einem Haus hat unsere Vermieterin
gewohnt und im anderen Haus habe ich mit meinen Eltern gewohnt. Das Haus war ein bisschen
heruntergekommen. Es war schimmlig, es gab Mäuse und Ratten, mit denen wir immer zu
kämpfen hatten. Mein Vater war damals am Klopeinersee tätig als Tellerwäscher. Es war für
ihn keine gute Arbeit, es hat ihn schon sehr belastet. Es war auch nur Saisonarbeit. Flüchtlinge
mussten damals den erst besten Job annehmen. Ich kann mich erinnern, dass meine Mama bis
zu meinem siebenten Lebensjahr nicht berufstätig war. Danach ist sie in den Beruf eingestiegen.
Für mich war das eine große Umstellung, als die Mama anfing zu arbeiten. Von acht bis
siebzehn Uhr nicht daheim. Ich bin dann in den Kindergarten gekommen, das war ein
Horrorerlebnis für mich. (…)
111
Ich habe im Kindergarten schon gut Deutsch gekonnt, also es lag nicht an der Sprache. Bis zu
meinem fünften Lebensjahr habe ich zu Hause mit meiner Mama ausschließlich Bosnisch
geredet, aber meine Mama hat immer Deutsch gekonnt, weil wir Fernsehen viel geschaut haben.
Ich habe dadurch auch viel Deutsch gelernt. Ich habe mit meiner Mama dann sehr ausgiebig
Fernsehserien geschaut und als ich in den Kindergarten gekommen bin, habe ich gut Deutsch
gekonnt. Ich war aber immer ein verschlossenes Kind, weil ich dann in den Kindergarten
gekommen bin. Dort bin ich in meine Kuschelecke gegangen und bin den ganzen Tag von dort
nicht weggegangen, außer wenn wir etwas basteln haben müssen oder wenn wir essen haben
müssen. Ich finde es auch komisch, dass die Tanten damals nie Alarm geschlagen haben, ich
denke mir, man kann ja versuchen das Kind sozial einzubinden, aber das hat nie stattgefunden.
(…)
Ich wurde gleich eingeschult und musste nicht in die Vorschule gehen. In der ersten Klasse
habe ich sehr stark Ausgrenzung erlebt in meiner Klasse. Also, ich wurde, ich kann mich
erinnern, da war ein Mädchen sie hat mich sehr stark gemobbt. Ich kann mich noch an eine
Szene erinnern. Ich versuchte diese Erlebnisse aber zu verdrängen. wir haben alle Bauklötze
gespielt. Sie kam und schrie mich an und sagte: "Du darfst nicht mit den Bauklötzen spielen!“
Gleich darauf zerstörte sie meinen Turm. Dies war für mich ein prägendes Erlebnis. Da habe
ich schon gemerkt, da finde ich auch keinen Anschluss. Warum das so ist, kann ich mir nicht
erklären. Ob das an meiner Schüchternheit lag oder ob es mein Migrationshintergrund war.
Zum Glück sind wir dann umgezogen, dort kam ich in eine neue Klasse. Wir waren nur neun
Kinder, weil es eine zweisprachige Klasse war. Ich kann mich erinnern, dass hier endlich eine
gute Zeit für mich begann. Die Kinder waren sehr nett und man wurde immer zum Geburtstag
eingeladen. Ich konnte da neue Freundschaften schließen. Dadurch, dass wir eine
zweisprachige Klasse waren, war es ein besseres Klima, da sich die Eltern bewusst dafür
entschieden haben, dass sie ihre Kinder in diese Klasse schicken. Die Eltern waren meiner
Meinung weltoffener. (…)
Ich bin immer vor der Mama Heim gekommen und manchmal konnte es länger dauern und ich
war immer so in Panik, wenn der Mama was passiert. Dann habe ich meistens ihre Sachen
genommen und bin aus dem Haus gegangen und habe geweint. Meine Mama wundert sich jetzt
im Nachhinein, dass unsere Vermieterin, die gleich gegenüber von uns wohnte, dass die nie
reagierte darauf. Sie war sehr oft daheim, dass sie mich nicht zu sich gerufen hat, wenn sie sieht
das Kind ist da allein. Das ist aber nie passiert. Meine Eltern hatten zur Vermieterin eigentlich
einen guten Kontakt bzw. Verhältnis. Sie hat uns aber sehr selten zu sich eingeladen. Sie war
mehr auf Distanz. Nach einem Jahr wo wir dort gewohnt haben, sind wir zu ihr eingeladen
worden und ich bin einmal zu ihrer Tochter ins Zimmer gegangen und ich habe mich gewundert,
was für ein schönes Zimmer sie hatte. Es war das Verhältnis distanziert, aber man hat sich gut
verstanden. Ich glaube, dass hat überhaupt etwas mit der österreichischen Mentalität zu tun.
Schulisch gesehen war ich immer gezwungen mit Österreichern zu kontaktieren und
Österreicher als Freunde zu haben. Ich bin da, wo wir jetzt leben zur Schule gegangen, es gab
112
wenige Bosnier. Außer zwei in meiner Klasse, diese waren aber österreichisch eingestellt. Sie
war assimiliert und wir haben keinen großen Kontakt gehabt. Irgendwie habe ich mich versucht
anzupassen und Anschluss zu finden. In der Hauptschule war das teilweise problematisch,
teilweise ist es gut gegangen. Ich hatte ein paar Freunde noch aus der Volksschule. Im
Nachhinein hat man sich auseinander gelebt, jeder hat seine eigene Gruppe gebildet und da bin
ich ein bisschen zu kurz gekommen. Ich war von mir aus immer ein Einzelgänger, habe ich das
Gefühl und manchmal war mir das einfach, ich war nie darauf aus, dass ich viele Freunde hab
oder, dass ich im Mittelpunkt einer Gruppe sein muss. Es war für mich nur wichtig, dass ich
nicht ausgegrenzt werde, das ich vielleicht ein zwei gute Freundinnen hab und
Ansprechpartnerinnen und das waren die Zwillinge aus der Volksschule. Jedoch in der
Hauptschule waren Sie dann in der Parallelklasse und haben dort neue Freunde gefunden. (…)
Dann bin ich Zweisprachige HAK gegangen und da habe ich auch schlimme Ausgrenzung
erfahren und ich wurde gemobbt von meinen Mitschülerinnen. Dort war der weibliche Anteil
höher und das waren eher Mädchen die auf das Aussehen fixiert waren. Ich zog aber meisten
immer die gleichen Sachen an. Nach der zweiten Klasse wollte ich dann wechseln, es war schon
so schlimm, dass mich sogar die Parallelklasse im Zug zur Schule gemobbt hat. Das war
schlimm für mich. Deshalb habe ich eigentlich keine guten Erfahrungen mit Österreichern
gemacht.
Woran liegt es, dass du so stark gemobbt wurdest?
Dadurch dass ich in eine zweisprachige Schule gegangen bin, war das glaube ich nicht wegen
meinem Migrationshintergrund. Man hat ein Opfer in der Klasse gesucht. Diese Person, die das
angestachelt hat, sie kommt selber aus einem schwierigen Familienkreis. Es war primär wegen
meinem Kleidungsstil bzw. Aussehen. (…) Meine Eltern haben dann nach einer gewissen Zeit
interveniert und sind in die Schule gekommen. Als man dann sah, dass sie Kopftuch trägt ist
die Situation sogar schlimmer geworden. Also die Lehrer haben bis dahin nichts unternommen
und wo meine Eltern zu Direktorin gegangen sind, sie hat dann mich versucht zu überreden
doch zu bleiben, weil es der Reputation der Schule hätte schaden können. Das Verhältnis mit
manchen Lehrern ist schlechter geworden. So zum Beispiel mit meinem Deutschlehrer. Ich
hatte immer Einser und Zweier und bei der Matura bekam ich dann einen Dreier. Und dann hat
er mir bei der Matura gesagt: "Ich hoffe, dass du trotz des Dreiers eine gute Arbeit finden wirst."
So als hätte er es absichtlich gemacht. In der Vierten habe ich als Einzige im Verhalten ein
Zufriedenstellend bekommen, alle anderen hatten ein Sehr Zufriedenstellend. Ich weiß wirklich
nicht wieso. Ich war selten anwesend, ich habe keinen Mehrwert gesehen und da mich dort
niemand leiden konnte, bin ich nicht gerne in die Schule gegangen. (…) Es gab zwei Slowenen
die in die neu dazu kamen und sie bekamen in Deutsch teilweise Einser und dabei konnten Sie
nicht einmal einen deutschen Satz formulieren haben können. Ein paar Jahre später habe ich
erfahren, dass das alles mit Hilfe von Korruption entstanden ist. Es besteht ein Gerücht, dass
der Deutschlehrer Geld erhalten hat, diesen Personen eine gute Note zu geben.
Es war für mich gut als ich dann auf die Uni gekommen bin und meinen Freundeskreis selber
suchen habe können. In dieser Zeit habe ich auch sehr viele Bosnierinnen kennengelernt. Auf
einmal war ich nicht mehr die Außenseiterin. Ich war die ganze Zeit mit Bosniern befreundet
113
und fast gar nicht mit Österreichern. Ich war immer so eine Person, ich bin im Kurs drinnen
gesessen und habe sehr wenig mich mitgeteilt oder habe Anschluss gesucht zu anderen
Kursteilnehmern, weil ich nicht so kommunikativ und offen bin oder war. Es gab natürlich
Personen die sofort Anschluss gefunden haben und die haben sofort ihre Nachbarin in ein
Gespräch entwickelt.
Erst die letzten zwei, drei Jahr bin ich mehr mit Österreichern in Kontakt gekommen und auch
mit Menschen mit denen ich mich gut verstehe. Es gab aber immer Diskriminierungserlebnisse.
Bei meiner DaF/DaZ Ausbildung hat die Frau auch gesagt, dass das keine deutschen Sätze sind,
die ich da formuliert habe oder am Slawistik Institut, hat die Institutsvorständin gemeint, wo
ich denn Deutsch gelernt habe und einmal wollte ich wo arbeiten und die Chefin hat mich wegen
meiner Religionszugehörigkeit diskriminiert. Sie wollte mich wegen meiner
Religionszugehörigkeit nicht nehmen und ja es hat viele schlechte Erfahrungen gegeben, jetzt
fällt mir nichts mehr ein. Aber ja das zum Kontakt mir Österreichern.
Mir reichen meine bosnischen Freunde und ich wollte damals nicht mit Österreichern in
Kontakt treten. Da ich in meiner Kindheit anders behandelt wurde und ich wusste nicht warum.
Als ich dann älter wurde, wollte ich nicht mehr in so einer Situation sein.
Aber in der Hauptschule habe ich das dann gemerkt, da meine Mama Religionslehrerin ist und
mit dem Kopftuch in die Schule gegangen ist, jeder hat gewusst das ist meine Mama, dann habe
ich vermieden, dass meine Klassenkameraden mich direkt mit ihr sehen, da ich Angst gehabt
habe, wie die Reaktion von denen sein wird. Natürlich war das nicht immer möglich. (…)
Wie verbringst du deine Freizeit?
In meiner Freizeit lerne ich gerne neue Menschen kennen oder treffe mich gerne mit Menschen
mit denen ich mich austauschen kann über verschiedene Sachen, wo ich einen Mehrwert daraus
ziehen kann. Also ich schaue gerne Serien, vorwiegend amerikanische Serien. Türkische Serien
sind mir zu viel Drama und dauern für mich zu lange, ich brauche Action und das in jeder Folge
etwas passiert. Sherlock Homes, Haus des Geldes. Wo etwas Spannung dabei ist. Wo man die
Serie gerne weiter schaut. Neben Filmen gehe ich gerne Eislaufen, wenn die Kärntner Seen
zugefroren sind. Ein typisches österreichisches Hobby. Ich gehe gerne Essen, chinesisch oder
probiere neue Sachen aus. Ich reise gerne, aber reisen ist zurzeit finanziell oder auch zeitlich
nicht möglich. Reisen würde ich gerne als Hobby und diesen Punkt mehr auslasten und mehr
den Fokus darauf zu legen.Ich habe etwas Flugangst, wurde aber gerne nach Marokko und
Tunesien reisen. Dann später irgendwann Europa, Rom, Südeuropa vor allem. Was ich noch
gerne mache ist mit meiner Schwester Unternehmungen zu machen. (…)
Was verbindest du mit Bosnien und Herzegowina?
Primär fällt mir in den Sinn, dass man dort in den Ferien hinfährt. Alle Ferien werden für eine
Bosnien Reise genutzt. Egal wie lang man frei hat. Auch wenn es nur 4 Tag sind, reist man
nach Bosnien und besucht seine lebenden Verwandten. Was ich noch mit Bosnien assoziiere
ist die Kaffeekultur. Also dass man sehr viel Kaffee trinkt, dass man beieinandersitzt, dass man
viel kommuniziert, dass man einen mehr Generationen Haushalt hat, wo dann alle
114
zusammenkommen und dann assoziiere ich damit sehr intelligente und gebildete Menschen, so
weit ich das mitbekommen habe. In Bosnien sind sie perspektivenlos im Vergleich, was ihnen
die Welt bieten könnte. Weiters assoziiere ich mit Bosnien Konflikte zwischen den drei
anerkannten Ethnien, den Bosniaken, den Kroaten und Serben und zwischen den drei
Religionen. Ich assoziiere damit aber auch eine Bereitschaft von den Menschen, dass man
miteinander in Einklang und in Frieden leben kann. Dann assoziiere ich damit irgendwie
Rahatluk, so ein Ankommen, Zuhause sein, wo man zuhause ist, jeder spricht deine Sprache.
Es ist interessant zu sehen, dass sie mit dem Bosnischen, wenn ich Bosnisch spreche, bin ich
ein anderer Mensch. Man sagt ja, so viele Sprachen du spricht, so oft bist du Mensch. Mit dem
Bosnischen habe ich einen anderen Bezug zu Dingen oder zur bosnischen Literatur, zu
bosnischen Musik. Mit dem Deutschen habe ich wiederum andere Einstellungen, anderen
Bezug zur Literatur und Kultur. Ich höre auch österreichische Lieder, ich höre Vieles quer
durch. Man kann meinen Musikgeschmack nicht eingrenzen.
Wo liegt der Unterschied für dich zwischen den zwei Kulturen?
Es ist schwierig einen Unterschied festzumachen. Jede Sprache besteht in mir irgendwie
gleichwertig und besteht irgendwie, ich würde auch sagen bei den Kulturen und Nationalitäten,
wenn man das so nennen kann, bestehen in mir und das eine schließt das andere nicht aus.
Sowohl mit dem Bosnischen als auch mit dem Deutschen kann ich mich assoziieren. Es gibt
keinen Unterschied für mich. Die Gewichtung der Sprache ist für mich nicht eine Andere. Ich
tretiere das Bosnische nicht als weniger Wert als das Deutsche. Es gibt sehr viel schöne Poesie
und sehr viel gute Literatur in Bosnien, obwohl es global anders aussieht, das Bosnische ist
nicht so eine Lingua Franca. Das Deutsche wird eher gesprochen, man kann mit der deutschen
Sprache mehr anfangen als mit der bosnischen. Gewisse Dinge kann ich im Bosnischen besser
ausdrücken, aber auch umgekehrt besteht der Fall. Es ist immer so für mich ein Pluspunkt, wenn
mein Adressat oder die Person, die mir gegenübersitzt, beide Sprachen kann, dann ist es für
mich ein Mehrwert, dann kann ich mich besser mitteilen und besser sagen, was ich denke.
Wo fühlst du dich daheim?
Das ist eine sehr sehr schwierige Frage, die man so nicht beantworten kann. Früher war es halt
immer so, wir waren in Bosnien, die Eltern sind runtergefahren, sie habe auch einen größeren
Bezug zu Bosnien, weil sie dort geboren und aufgewachsen sind und wir waren zwei Jahre nicht
in Bosnien und das hat mir teilweise nichts ausgemacht und es hat mir nichts gefehlt. Ich war
da so okkupiert mit meinen eigenen Dingen und mit meinem Leben in Österreich, ich habe
nicht einmal Zeit gehabt darüber nachzudenken, ob ich nach Bosnien will. Aber dann ist es
irgendwie mit der Zeit, wo ich wieder Luft zum Atmen gehabt hab vom Alltag und so, wo ich
nicht mehr so okkupiert war, habe ich dann bemerkt, dass ich Bosnien vermisse und ich wollte
nach Bosnien, man ist immer nur kurzzeitig in Bosnien. Man sieht nur die positiven Sachen,
man kommt mit Geld dorthin, isst wo man will und man mach Urlaub in Bosnien. Das ist eine
ganz andere Einstellung, wenn man Urlaub macht als wenn man dort leben müsste und so.
In Bosnien fühle ich mich mit einem Teil als Bosnierin, aber es ist interessant, dass in Bosnien
mein österreichischer Teil zum Vorschein kommt und in Österreich eher mein bosnischer Teil
115
zum Ausdruck. Es war zum Beispiel interessant. Ich war bei einer Friseurin in Bosnien und sie
hat dann gemeint, ah du bist ja nicht von da und man erkennt es sofort an deinem Kleidungsstil.
Man ist hier nicht ganz zugehörig und man ist dort nicht ganz zugehörig. Man kann sich damit
manchen Dingen besser identifizieren und man kann sich in Bosnien mit manchen Dingen
besser identifizieren. Hauptsächlich ist mein Lebensmittelpunkt hier und ich versuche da etwas
auf die Beine zu bekommen oder da mein Leben in eine Richtung zu lenken und mir hier etwas
aufzubauen. Natürlich kämpft man dann auch um die Aufmerksamkeit der Österreicher und
Österreicherinnen und man versucht sich zu integrieren, man versucht es jedem Recht zu
machen. Diese Stereotypen aufzubrechen und gegen diese Vorurteile gegen zu wirken. Das ist
für mich immer so eine Herausforderung jeden Tag aufs Neue.
Könntest du dir vorstellen in Bosnien zu leben für immer?
Ich glaube nicht, nein. Also weil meine Eltern hier sind. In Bosnien weilt nur noch mein Opa
unter den Lebenden. Aber sonst habe ich noch meine Tante. Aber ich kann mich eben nicht zu
hundert Prozent damit identifizieren, dass ich in Bosnien für immer leben würde. Für ein halbes
oder einem Jahr würde es in Ordnung sein. Aber ich habe Angst, wenn ich in Bosnien länger
leben würde, dass ich enttäuscht werden würde oder dass sich mein Bild von Bosnien verändern
könnte. Es ist so schon an sich eine schwierige politische Situation und die Menschen hassen
sich teilweise untereinander. (…)
Hast du regelmäßigen Kontakt zu Verwandten, Freunden oder Bekannten?
Meine Eltern haben regelmäßigen Kontakt zu meiner Tante, ich eher weniger. Ich habe nur
Kontakt zu meiner Cousine. Teilweise haben sie aber nicht in Bosnien gelebt, da war unser
Kontakt nicht so gut. Manchmal war es besser manchmal schlechter. Ich kontaktiere auch über
Facebook Leute, die in Bosnien leben, sogar oft.
Glaubst du, dass deine Eltern eine stärkere Verbindung zu Bosnien habe als du?
Auf jeden Fall. Ja, ich glaube schon. Die Kindheit ist für einen Menschen die prägendste und
wichtigste Zeit im Leben und meine Eltern sind in Bosnien geboren und aufgewachsen. Sie
waren bis in das junge Erwachsenenalter in Bosnien. Betrachtet auf die Lebenszeit, ist es
vielleicht ein Drittel. Aber ich glaube trotzdem, dass diese Zeit höhere Gewichtung für sie hat.
Was ist dein Wunschberuf?
Also, was ich genau werden will. Als Kind wollte ich immer Ärztin werden, diesen Wunsch
habe ich bei der Inskription verworfen. Im Nachhinein bereue ich es. Viele Dinge haben
dagegengesprochen, weil es auch sehr schwer war den Aufnahmetest zu bestehen. Aber jetzt
habe ich keinen konkreten Berufswunsch. Momentan bin ich so, dass ich mir viele Türen
offenhalte. Es ist aber schwierig, wenn man sich viele Türen offenhält, dann verbringt man
wahrscheinlich sein Leben am Gang. Ich würde aber gerne im Bildungsbereich arbeiten. Ich
würde gerne als Vermittlerin agieren. Vielleicht DaF/DaZ unterrichten. Ich mache auch noch
Slawistik, da war mein Gedanke vor allem, dass ich vielleicht einmal muttersprachlichen
116
Unterricht in der Schule mache und es wäre für mich interessant, Kinder zu fördern ihre eigene
Sprache zu erlernen. (...)
Würdest du irgendetwas an Österreich ändern?
Momentan in welche Richtung sich Österreich entwickelt ist sehr Besorgnis erregend, also
momentan bin ich der Meinung, ich will aus Österreich auswandern. Als Erstes würde ich die
derzeitige Bundesregierung abschaffen und den Bundeskanzler wurde ich abschaffen.
Österreich ist auch historisch bedingt mit Bosnien ein wenig verbunden, durch Österreich-
Ungarn. Ich glaube, dass sich Österreich derzeit in eine schlechte Richtung entwickelt, weil
damals als meine Eltern nach Österreich gekommen sind, haben sie nicht so eine große
Ausgrenzung erlebt. Die Menschen waren damals etwas offener, jetzt ist es aber so, dass durch
den Syrienkrieg und durch die Migrantenwelle, gibt es Medienberichte, wo es heißt, dass
Österreicher überwandert werden. Schlechte Assoziationen zu Migranten entstehen.
Österreicher werden langsam fremdenfeindlich und sie haben eine Phobie über die
Andersartigkeit und das merkt man vor allem in den ländlichen Gebieten. Momentan hetzen
die Medien und jeder hat Zeitung und einen Fernseher Zuhause und die Österreicher richten
sich danach und sie hören das und nehmen das so auf, wie es dort steht. Man geht nicht hinaus
und macht seine eigenen Erfahrungen. Auch wenn man Vorurteile hat, manche Menschen
wollen gar nicht vom Gegenteil überzeugt werden, man sollte trotzdem versuchen in Interaktion
zu treten mit anderen Menschen und mit fremden Menschen, die nicht weiß und blauäugig sind.
Ich wünsche mir für Österreich, dass es offener wird. Ich wünsche mir eine offene und tolerante
Gesellschaft. (...) Sie sollen sehen, dass wir alle gleich sind. Dass man nicht jemanden gleich
minder behandeln kann nur, weil er eine andere Herkunft hat und so weiter. Österreich ist
jedoch verschlossen gegenüber neuen Dingen, egal was es anbelangt. (...)
Naza
18 Jahre alt
Schülerin
Erzähl mir etwas über deine Kindheit?
Aufgewachsen bin ich eben in Österreich, in einer Wohnung, damals hatten wir kein Haus. Es
war gerade in der Bauphase. Also, wir haben in der Nähe meiner damaligen Volksschule gelebt
und der Kindergarten war genau daneben und da bin ich genau immer auch zum Kindergarten
gegangen und dann wo ich hätte eingeschult werden sollen, bin ich, sind wir umgezogen in
einen anderen Ort. Ich war darüber sehr traurig, da ich eben schon meine Freunde hat und haben
immer über den Zaun zur Volksschule geschaut und immer so gedacht, ja nächstes Jahr, dann
gehen wir dorthin zur Schule. Daraus ist dann nichts geworden.
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Würdest du sagen, dass du schnell Anschluss gefunden hast?
Ja, ich denke, dass das auch an meiner Persönlichkeit liegt, dass ich generell eher
aufgeschlossener bin und mich eher irgendwo integriere und keine Schwierigkeiten habe mich
irgendwo einzufinden.
Hast du Schwierigkeiten gehabt?
Also, ich habe mich nie so gefühlt als hätte ich Schwierigkeiten, irgendwie mit der Sprache
umzugehen oder auch mit der Kultur oder mit den Menschen oder so, da fällt mir nichts ein.
Würdest du sagen, dass du viele Freundschaften hast knüpfen können?
Klar, man hat seine engeren Freunde und so, weil ich würde schon sagen, dass ich viele Freunde
habe und ich komme mit jeden gut klar und jeder auch mit mir. Ich würde auch nie aufgrund
der Nationalität eine Freundschaft nicht beginnen, sondern ich schaue wie die Person selbst ist.
Es ist mir egal woher die Person kommt. Ich habe sogar manchmal den Eindruck, dass man mit
Österreicherinnen besser klarkommt.
Warum glaubst du das?
Weil manchmal Bosnierinnen und Bosnier generell, habe ich den Eindruck, die Eigenschaft
haben, also dadurch, dass die Familien verknüpft sind, denke ich einmal, dass da mehr
Eifersucht oder Neid oder sowas auch mitspielt, dass dann die Person, die vielleicht nicht, wenn
du sie um Rat fragst, dir nicht den Rat geben würden, den sie einer anderen Person geben
würden, sondern vielleicht eher auf deinen Nachteil aus sind. Ich glaube, dass Österreicherinnen
eher auf Abstand sind und eher ein bisschen objektiver sind, denke ich einmal. Natürlich ist es
auch personenabhängig und es ist schwierig das von der Nationalität abhängig zu machen, weil
jede Person für sich ist anders.
Würdest du eine Freundschaft mit Österreichern bevorzugen?
Nicht zwangsläufig, aber so als wenn man es als Vorurteil betiteln möchte, schon, in erster
Linie aber, wenn man die Person besser kennt, vielleicht dann auch wieder nicht.
Was schätzt du an Österreich bzw. ÖsterreicherInnen besonders?
Ich denke eh, dass was ich schon erwähnt habe, eher dieses unbeschwertere, ohne
Hintergedanken jemanden etwas Gutes zu wünschen so zu sagen. Also ohne auf seinen Vorteil
aus zu sein. Jedenfalls habe ich solche Erfahrungen eher gemacht.
Hast du da ein Beispiel?
Wenn man eben jemanden etwas erzählt oder einer Person etwas anvertraut, dann habe ich die
Erfahrung gemacht, dass es eher nicht weiter erzählt wird, wenn man es, wenn ich es meiner
österreichischen besten Freundin erzählt habe, als meiner angeblich besten Freundin, die aus
Bosnien eben stammt und wenn ich es der bosnischen Freundin erzählt habe, hat es irgendwie
gleich jeder gewusst und meine Eltern gleich mit und die gleiche Community gleich mit und
mit der Österreicherin hatte ich das Gefühl, dass sie etwas distanzierter ist von ihren Eltern oder
so und gar nicht so das Bedürfnis hat ihnen was zu erzählen von ihren Freundinnen oder dass
sie das gar nicht interessiert oder es gar nicht üblich ist. Ich meine generell, dass bei den
Österreichern die Eltern eher für sich und die Kinder eher für sich sind, aber einen anderen
Draht, als wir zu unseren Eltern haben. Also dann über andere Dinge offener reden. (...)
Wie verbringst du deine Freizeit?
Also klassisch sich mit Freunden treffen und dann abhängig vom Wetter oder wie man Lust hat
was zu machen, Zuhause chillen oder miteinander reden, wenn man sich schon länger nicht
118
gesehen hat. Neues Restaurants ausprobieren, die gemeinsame Essleidenschaft weiterhin
ausbauen und sonst eben klassisch schwimmen und so. Aber ich übe kein besonderes Hobby
aus, das geht sich mit meiner Schule nicht wirklich aus.
Würdest du sagen, dass du mehr Kontakt zu österreichischen oder bosnischen Freunden hast?
Also mein Freundeskreis ist durchmischt, aber vorwiegend österreichisch.
In welcher Sprache sprichst du mit deinen Freunden? und welche Sprache bevorzugst du, wenn
du Bücher liest oder Filme schaust?
Also wenn ich lese definitiv Deutsch, bei Filmen auch Deutsch und wenn ich eben mit einer
bosnischen Freundin unterwegs bin, die hier aufgewachsen ist und eben auch Deutsch spricht,
aber als Muttersprache Bosnisch hat, dann reden wir überwiegend Bosnisch und Deutsch
gemischt, je nachdem wie es gerade passt. Wir mischen Wörter oder erfinden neue Wörter und
ja, eine solche Kommunikation ist einfacher, manchmal, wenn man Deutsch redet, fällt einem
genau dieses eine deutsche Wort ein und das fällt einem auf Bosnisch ein und genau deswegen
ist es angenehmer, man kann dann auch das Bosnische sagen, dann ist es auch egal sie versteht
beides.
Bei der Verwendung welcher Sprache fühlst du dich am wohlsten?
Deutsch, man ist auch hier aufgewachsen und zur Schule gegangen, man kann die Grammatik,
man kann es schreiben, lesen und ja. Deswegen bin ich im Bosnischen nicht so selbstbewusst,
um zu sagen ich spreche perfektes Bosnisch, sogar im Gegenteil, ich würde sagen ich kann
besser Deutsch als Bosnisch. (...)
Wenn du an Bosnien und Herzegowina denkst, mit was verbindest du das Land?
Essen, Sommer und Familie.
Würdest du sagen das du viel Kontakt zu deinen Verwandten, Freunden und Bekannten in
Bosnien hast?
Ich persönlich eher nicht, man steht eben durch die Eltern im Kontakt. Wenn dann schon mit
Familienmitgliedern, aber viele davon leben selbst nicht mehr in Bosnien.
Würdest du sagen, dass du oft nach Bosnien reist?
Also aktuell nicht mehr so oft, ich würde jetzt behaupten ein bis zwei Mal im Jahr und früher
war es öfter. Also wir sind größer geworden und wir haben unsere Interessen vielleicht wo
anders. Wenn wir früher immer in Bosnien waren, dann hatten wir quasi keine andere Wahl als
mitzufahren, so zu sagen. Generell ist auch unsere Großmutter verstorben und wir haben unten
nicht mehr so viel Familie und deswegen zeiht uns auch quasi nichts nach Bosnien. Mein
Lebensmittelpunkt ist definitiv in Österreich.
Könntest du dir vorstellen permanent nach Bosnien zu ziehen und dort zu leben?
Nein, wegen der Kultur. Klar man kennt es und irgendwie ist es immer so ein zwiegespalten
sein, also man ist nicht ganz österreichisch und nicht ganz bosnisch bei weitem nicht. Man ist
hier aufgewachsen, aber man fühlt sich trotzdem irgendwie nicht so zugehörig, weil man doch
Unterschiede bemerkt, die eben von Zuhause aus sind oder von der Umgebung. In Bosnien
merkt man dann aber wiederum, wenn man in Bosnien ist, merkt man dann auch, dass man
nicht ganz bosnisch ist, man ist halt eben in Österreich aufgewachsen und man hat hier die
Kultur aufgenommen und die Gebräuche vielleicht und ich denke auch, dass die Mentalität in
Bosnien ganz anders ist als wie wir das jetzt kennen. Ich würde sagen, dass die Menschen unten
offener sind, generell etwas unruhiger und also irgendwie ist jeder mit jedem so befreundet oder
119
verwandt oder man findet irgendeine Verbindung, die einen verbindet und man fühlt sich gleich
dazugehörig. Wohingegen in Österreich zunächst zwischen zwei Unbekannten eine gewisse
Distanz herrscht. In Bosnien ist man gleich durch die Sprache, die Kultur durch das Essen,
keine Ahnung gleich verbunden und findet gleich irgendetwas was einen eben verbindet.
Warum fühlst du dich nicht hundert Prozent zu Österreich dazugehörig?
Ich denke, dass ist einfach im Alltag und im Kopf immer drinnen. Wenn man von Außen nicht
gleich erkennbar ist, als Mensch mit Migrationshintergrund quasi, sieht man es dann doch
spätestens beim Namen oder wenn man gefragt wird über die Eltern oder solche Dinge und ich
denke, dass dann Leute gleich einem so einen Stempel aufdrücken und gar nicht zulassen dass
man sich dazugehörig fühlt. Was mich persönlich nicht stört, ich fühle mich dadurch nicht
weniger dazugehörig oder integriert, das würde ich nicht sagen. Ausgeschlossen fühle ich mich
deswegen auch nicht, aber ich denke es ist immer so ein Fünkchen, du bist nicht ganz
österreichisch, dabei. Es gibt Tage da stört mich dieses Fünkchen und dann wieder gibt es Tage,
wo ich stolz bin beides zu haben. Ich sage immer ich nehme mir das Beste aus beiden Kulturen
und kann mir so zu sagen meine Eigene basteln. Aber manchmal nervt es auch, wenn man
irgendwie immer wieder gehört bekommt, irgendwelche Sachen, ich glaube es kommt auf die
Stimmung an.
Wo fühlst du dich daheim?
Ich denke, wenn man Wählen müsste, was ich nicht hoffe, dann wäre es Österreich. Wenn ich
in Österreich bin und sehr lange nicht in Bosnien war, dann habe ich schon Sehnsucht nach
Bosnien und dann möchte ich auch runter. Das hat auch mehrere Gründe. Erstens verbinde ich
damit sehr schöne Erinnerungen, Urlaube, dann meine Familie, aber ich denke, da nicht mehr
viel Familie in Bosnien übrig ist und mein Lebensmittelpunkt hier ist und ich hier aufgewachsen
bin, hier zur Schule gegangen bin und hier meine Freunde habe und meine engste Familie hier
habe, könnte ich auf Österreich nicht verzichten. Ich denke auch, dass desto mehr, meine Kinder
sich von Bosnien noch weiter distanzieren und desto länger die Familie hier lebt, desto mehr
entfernt sie sich von Bosnien. Die Generation, die bei mir die Verbindung zu Bosnien
aufrechterhalten haben, sind halt meine Eltern und ich denke, das sind die Großeltern meiner
Eltern, wenn diese dann versterben, dann bin ich noch übrig und ich bin nicht so arg an Bosnien
gebunden. Deswegen denke ich, dass es immer schwieriger wird beides aufrecht zu erhalten.
Würdest du also auch sagen, dass deine Eltern eine stärkere Verbindung zu Bosnien haben?
Definitiv, weil sie eben den größten Teil ihres Lebens untern verbracht haben, naja mittlerweile
ist es Fifty Fifty, aber eben die prägenden Jahre, die Kindheit und so was.
Erzähl mir kurz über deine Bildungslaufbahn und was ist dein Wunschberuf?
Ganz normal Volksschule, dann vier Jahre Gymnasium mit musikalischem Schwerpunkt, jetzt
besuche ich die HTL, die vierte Klasse der Mössingerstraße , die Abteilung Biomedizin und
Gesundheitstechnik und mache dann voraussichtlich nächstes Jahr meine Matura. Danach
würde ich gerne Medizin studieren und Ärztin werden, das ist mein Traumberuf. Wenn das
nicht klappen sollte, ist mein Plan B etwas Technisches und dann doch in die Medizin wechseln.
Gibt es etwas was du gerne ändern würdest an Österreich?
Vielleicht, dass sie etwas aufgeschlossener sind, also erst auf den Menschen schauen und dann
eben urteilen oder jemanden nach seinen Fähigkeiten bewerten und nicht nach seiner Herkunft,
seinem Namen oder ja diesen Dingen. Ich bekomme zum Beispiel sehr oft mit, wenn ich mit
meiner Mutter unterwegs bin und sie sich verständigen möchte, sie kann ziemlich gut Deutsch
und die Leute sobald sie ein Kopftuch sehen und sobald sie nicht perfekt den perfekten Kärntner
120
Dialekt spricht, dann fangen sie gleich so künstlich Hochdeutsch zu reden und extra
verständlich, laut und langsam, damit sie es ja versteht und das nervt manchmal wirklich. Also
sie versteht alles, man braucht nicht mit ihr anders umzugehen. Man darf natürlich nicht alle in
einen Topf geben, aber es erscheint mir schon, dass gewisse Menschen Vorurteile gegen
Menschen haben, die offensichtlich Migrationshintergrund haben und auch die die denken sie
haben keine Vorurteile, machen es dann irgendwie unbewusst doch.
Woran glaubst du liegt das?
Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass die Personen, Familien oder
Menschen, die relativ wenig Kontakt mit anders stämmigen und anders sprachigen Menschen
haben, dass die mehr Vorurteile haben. ich denke, je vielfältiger das Umfeld ist, desto weniger
Vorurteile hat man dann auch. (...)
Familie 2
Enis
51 Jahre Alt
Geburtsort: Bosnien und Herzegowina
Wo sind sie zur Schule gegangen?
Ich bin in Kozarac Volksschule und Hauptschule gegangen und dann bin ich in Prijedor
Gymnasium gegangen.
Wann und unter welchen Umständen sind sie nach Österreich gekommen?
Ich war 1987 bis 1992 in Sarajevo auf der Uni und dann im letzten Jahr in Belgrad. Wir sind
dann aus bekannten Gründen, dem Krieg in Bosnien und Herzegowina, nach Österreich
gezogen. Ich war auf der Uni in Belgrad und zwar im Bundesherr und wie sich das ganze
abgezeichnet hat, wir haben sehr wenig Informationen gehabt in Belgrad was gerade in Bosnien
passiert stattfindet. Wie wir dann über welche Wege auch immer erfahren haben, was dort
passiert, haben wir uns spontan entschlossen Jugoslawien zu verlassen, obwohl ich damals
keine Probleme gehabt habe mit der unmittelbaren Umgebung. Allerdings hätte das auch ganz
anders ablaufen können, wie ich später erfahren habe. Manchen Kollegen, die länger geblieben
sind, haben dann schon Probleme gekriegt. Manche sind dann, ich war im Bundesherr quasi
Offizier und meine Kollegen, die auch Offiziere geworden wären, solche Leute wurden dann
nicht gerne gesehen und sie haben sie dann zu Teil eingesperrt, zum Teil, ich weiß nur von
zwei, drei Beispielen, oder in Lagern.
1992 bin ich auch Belgrad nach Österreich gereist. Wir sind ganz normal in meiner
Blauäugigkeit, habe ich ganz offiziell angesucht um Entlassung aus dem Bundesherr, das ist
gut gegangen. Wir haben dann ganz normal ein Zugticket von Belgrad nach Wien gekauft, dann
über Ungern gefahren. In Ungarn bzw. auf der Grenze zu Ungarn hatte man schon ein Erlebnis
gehabt. Das hätte auch komplett anders ausgehen können. Der jugoslawische Reisepass hatte
bis zu dem Tag, wo wir ausreisen wollten Gültigkeit gehabt und ab dem Tag nicht mehr und
wir waren dann ungefähr zu Mitternacht auf der jugoslawisch-ungarischen Grenze und die
Zollbeamten wollten uns nicht weiterreisen lassen. Mit uns war ein Mädchen, 22 Jahre alt, sie
hat Dolmetschen können und sie hat uns da sehr gut geholfen. Von Ungarn nach Wien gab es
dann gar keine Probleme.
121
Als sie nach Österreich kamen, wie entwickelte sich die Situation?
Also ich habe damals einen Onkel und eine Tante in Wien gehabt und einen anderen Onkel, der
mittlerweile verstorben ist in Graz. Wir sind dann zu den Verwandten gefahren. Die ersten drei
Wochen haben wir in Wien verbracht und dann sind wir in die Steiermark gezogen.
Welche prägnanten Ereignisse haben Sie aus der anfänglichen Zeit in Österreich?
Ja, sehr viele sogar. Das ist Schicksal, genauso wie es Schicksal war bei der Grenze zu Ungarn
nicht stecken zu bleiben. Wir haben in Österreich in der anfänglichen Phase nur gute Leute
kennengelernt. Das baut einen auf. Wir wissen alle, dass es auch andere gibt.
Also zum Beispiel, wir haben in der West Steiermark bei einem Obsthändler gearbeitet. Dort
haben wir Erdbeeren gejätet, wir haben das Unkraut entfernt. Es war eine harte Arbeit vor allem,
weil ich so groß bin. Wir haben täglich auf Feldern gearbeitet. Wir waren schon so um halb
fünf spätestens fünf am Feld und haben gearbeitet. Das Feld ist neben der Bundesstraße und am
Abend war dort immer ein LKW geparkt und der Fahrer hätte sonst um dieses Feld einen
Kilometer gehen müssen, so ist er durch das Feld gegangen. In der Früh ist er um halb 6 von
seiner Wohnung zum LKW gegangen und am Abend umgekehrt. Wir waren damals zu viert.
Am dritten, vierten Tag ist der LKW-Fahrer zu mir gekommen, weiß nicht warum zu mir, aber
er hat mir dann 120 Schilling in die Hand gedrückt. Also klingt nicht so viel, für mich war das
verdammt viel. Dann habe ich gefragt für was und er einfach so und aufteilen auf Vier. Das
bleibt bis zum Ableben in Erinnerung.
Später haben wir zum Beispiel, wenn meine Eltern nach Österreich gekommen sind, haben wir
ein uraltes Haus zum Wohnen bekommen. Am ersten, zweiten Tag wo wir dort eingezogen
sind, klopft jemand an der Tür und ich sehe einen Polizisten. Da habe ich mir schon gedacht,
was habe ich verbrochen. Dabei hat er nur gefragt wie es uns geht, wie wir uns eingelebt haben
und so weiter. Im selben Haus, ist einer der Nachbarn mit einer Erdbeertorte gekommen,
abgegeben als Willkommensgeschenk.
Welche Schwierigkeiten haben sich ergeben?
Das man überhaupt angekommen sind, das ist die größte Schwierigkeit. Mal abgesehen davon,
dass wir die richtigen Leute kennengelernt haben, schon der Umstand das wir hierherziehen
haben müssen, war der Wahnsinn. Die Arbeiten die ich beschrieben habe waren keine legalen
Arbeiten. Im ersten Jahr habe ich schon Uni inskribiert und ich wollte weiter studieren und
mein Studium abschließen. Allerdings, das ist die Schwierigkeit in Österreich zu bleiben, eine
Wohnung zu haben, also ein Zimmer und mit anderen Parteien eine Küche und Bad geteilt.
Dafür zahlt man schon einmal 3000 Schilling und wo kommen diese her. Da hat dann schon
meine Frau in einem Gasthaus gearbeitet, halblegal so zu sagen. Ich bin dann studieren
gegangen und ich müsste eine Deutschprüfung ablegen und dann bist du ordentlicher
Studierender. (...)
Welches Studium haben sie absolviert?
Ich habe in Jugoslawien schon 10 Semester studiert gehabt und dann habe ich hier nur
inskribiert und den Sprachkurs gemacht und das hat schon 6 Monate gedauert. Nach 6 Monaten
habe ich einen 4er bekommen. Nach nur einem Semester, das war eine schlechte Erfahrung in
Österreich. Eines Tages habe ich einen Brief vom Ministerium der Wirtschaft und Kultur
bekommen, für bosnische Studierende, die länger als 6 Semester in Bosnien studiert haben und
die bedingt durch den Krieg nach Österreich gekommen sind, gab es ein Stipendium, 6000
Schilling, verdammt viel Geld für mich, wenn einer das einer hätte bekommen sollen dann ich,
ist aber leider nicht so gekommen, weil ich das Schreiben und das Ansuchen selber verfasst
habe, ich habe nicht von Kriegshandlungen oder Inhaftierungen erzählt, sondern nur so wie es
war und ob das mein schlechtes Verfassen war, oder dass ich nicht direkt aus dem Kriegsgebiet
122
gekommen bin, keine Ahnung, mein Antrag wurde nicht statt gegeben und abgelehnt. Das heißt
ohne 6000 Schilling im ersten Semester, habe ich dann schauen müssen, wie man überlebt.
Dann habe ich mein Studium wieder abgebrochen. Danach war ich als Maler tätig, da mein
Vater Maler war und der hat eigentlich gleich am zweiten Tag, wo er nach Österreich
gekommen ist, hat er schon die Arbeit gehabt. Nach drei Monaten hat er auch die
Arbeitsbewilligung bekommen. Über meinen Vater habe ich auch die Arbeit bekommen, ich
habe ihn immer unterstützt, unten habe ich auch quasi eine Ausbildung zum Stuckateur
gemacht. Das hat mir dann geholfen, in der Firma angestellt zu werden, obwohl ich praktisch
keine Erfahrung gehabt habe. Von 1993 bis 2000 habe ich dort gearbeitet. Dann habe ich eine
Ausschreibung gesehen über die HTL in Graz, sie suchen Schüler. Dann habe ich mir gedacht
ich muss weiterarbeiten, das war dann eine Abend HTL. (...)
Ich habe dann die HTL abgeschlossen, selbst mein Gymnasium wurde nicht ganz angenommen
und ich musste Geschichte und Geographie Österreichs und Englisch nachmachen müssen.
Nach der Arbeit Englisch zu lernen, war sehr anstrengend für mich. (...)
Wie hat sich ihre Bildungs- und Berufslaufbahn weiterentwickelt?
Ja, dann habe ich als Maler über die Firma immer wieder gemalen und dort habe ich viele
Kontakte gehabt. Dann habe ich geschaut ob es bei irgendeiner Firma einen Job gibt. In einer
Firma werden Generatoren produziert und dann habe ich im Jahr 2001 eine Stelle bekommen.
Das war keine Arbeit irgendwo als Berechner, sondern als einfacher Mitarbeiter. Inzwischen
Zeit habe ich die HTL abgeschlossen und bin aus diesem Prüffeld in die Entwicklung
gekommen. Allerdings am Anfang eher handwerklich unterwegs, weil dort einer der Kollegen
gekündigt hat, er wollte etwas Anderes machen. Ich war im Labor in der Entwicklung. Ein paar
Jahre später haben sie zusätzliche Leute gebraucht und sie haben gewusst, dass sie zusätzliche
Leute brauchen und haben mich gefragt ob ich programmieren kann. Ja, allerdings die
Programme, die es damals gegeben hat. Ich bin dann in die Gruppe gekommen, dann habe ich
die Programmsprachen am Abend gelernt. Das hat gut funktioniert.
Wie war die Beziehung zu ihren Mitarbeitern?
Ich habe nie irgendwie ein Gefühl gehabt, dass ich als nicht geborener Österreicher, einen
Nachteil gehabt habe. Damals habe ich wirklich gute Erfahrungen sogar mit FPÖ Wählern
gehabt. Damals gab es einen Obsthändler, der war Parteivorsitzender in dieser Gemeinde.
Meine Frau war damals schwanger. Sie hat auch Zwetschken geklaubt und er hat dann immer
gesagt, sie muss nicht irgendwo hoch, er hat Äste abgeschnitten, er hat ihr die Zwetschgen
gegeben und sie hat dann die Zwetschgen am Boden gepflückt. Ein anderer Kollege ist auch
ein Parteimitglied und mit ihm habe ich mich auch super verstanden, er ist mittlerweile
verstorben. Er hat mir die Sprache ziemlich gut beigebracht, nach der Arbeit haben wir immer
wieder Bier getrunken. Damals habe ich mit meinen Kollegen über Politik reden und
diskutieren können, heute schaut es anders aus. Früher waren die Leute offener. Damals hattest
du maximal 10 bis 15% FPÖ Wähler gehabt, heute sind es 30%, aber egal mit wem du redest
keiner wählt sie. Nichts desto trotz einer von drei ist FPÖ Wähler. Früher sind die Leute dazu
gestanden, sie haben sich nicht geschämt, haben Kontakt zu Ausländern gesucht. Heute gibt es
keiner zu oder nur Wenige. Davor fürchte ich mich. Das habe ich in Bosnien erlebt bzw. in
Jugoslawien, dass du mit Leuten redet und dich blendend verstehst und innerhalb von kürzester
Zeit sind manche von denen Täter geworden. Davor fürchte ich mich. Auch die aktuelle
Situation spricht nicht dafür, dass es besser wird.
Haben sie viele Freundschaften und Bekanntschaften mit ÖsterreicherInnen geschlossen?
Ja.
123
Wie würden Sie diese Beziehungen beschreiben?
Durch und durch positiv. Natürlich man sucht sich die Leute mit denen man sich versteht und
meine Kollegen, also das ist einfach traumhaft.
Hat sich das Verhalten der Österreicher ihnen gegenüber verändert im Laufe der Zeit?
Ich habe mich verändert. Am Anfang habe ich kaum Deutsch gekonnt, weil ich ohne Mittel
hergezogen bin. Damals, wo ich die Unterstützung gebraucht habe, habe ich sie auch
bekommen, also das kann ich hundert Mal unterstreichen, das war wirklich wie eine Heimat.
Jetzt bin ich nicht mehr so abhängig und sehe es differenzierter was jetzt passiert und was
damals passiert ist. Wenn ich heute mit Leuten rede, kann ich mit jedem in Augenhöhe reden
und das ist unterschiedlich ob du eine Arbeit um 35 Schilling brauchst oder du redest über
Politik mit Leuten bei einem Basketball oder Fußball Spiel oder irgendwo im Gasthaus. Da
kannst schon anders agieren. Aber auch die Leute haben sich geändert ganz sicher. Nicht alle
zum Glück, aber sehr viele.
Würden sie etwas ändern wollen in Österreich?
Eigentlich hmm, dass man weniger arbeiten geht, so 6 Stunden am Tag und dass man mehr
miteinander macht. Dass man sich nicht entfremdet. Meine Kollegen und Bekanntenkreis wir
halten zwar zueinander, aber auch das bröselt schon langsam, jeder ist mit sich selbst
beschäftigt. Der Druck nach mehr, mehr und mehr. Dass ist aber nicht Österreich bezogen,
sondern generell.
Wie verbringen Sie ihre Freizeit?
Ich war unten sportlich sehr aktiv, ich war nicht in Vereinen, aber ich habe Fußball gespielt,
habe dann Basketball für mich entdeckt. Ich habe dann in Sarajevo an den Uni Meisterschaften
teilgenommen. Natürlich muss man bedenken, dass damals die Uni Meisterschaft in Sarajevo
wahrscheinlich stärker war als hier, dann war das auch nicht schlecht. Basketball hat mir
geholfen mich in der Arbeit, im Studium hier mich richtig zu integrieren in Österreich. 1998
begann ich mich mit Basketball in Österreich zu beschäftigen. Davor war mir das überhaupt
nicht im Kopf, obwohl ich in den besten Jahren war, ich hätte spielen können, aber es gab
wichtigeres am Plan, eben Arbeit, Geld verdienen, um Wohnung und alles andere, was gerade
anfällt zu zahlen. Also die Arbeit und die Schule später empfinde ich als Pflicht, man ist dann
mit Arbeitskollegen, das ist alles schön, aber nichts desto trotz ist es aus einer Pflicht, das ist
keine richtige Freundschaft. Davor war ich pflichtintegriert, habe gearbeitet, aber mit
Basketball habe ich die Integration vollzogen, da habe ich Leute gefunden die gleichen
Interessen haben, mit denen ich nicht unbedingt zusammenziehen muss, dass wir uns
regelmäßig treffen, dass wir jeden Morgen um 7 vor der Firma steht und schaut wohin man
fährt, sondern wirklich, weil wir das wollen, da habe ich die Integration vervollständigt und das
haltet noch immer. Von diesen Kollegen, die ich damals kennengelernt habe, spielen noch
immer und wir gehen immer noch zusammen regelmäßig nach Fürstenfeld oder nach Graz
Basketball Spiele schauen, wir organisieren zusammen Rad Touren oder feiern Feste
miteinander. Zum Beispiel, wenn wir Lamm grillen, das ist so eine typisch bosnische
Spezialität, das ganze Lamm auf Spieß, sie können nicht warten bis wir das nächste ausstechen
und grillen.
Fernsehen tue ich nicht, man braucht heute fast kein Fernsehen, weil Internet und so weiter,
aber das tue ich nicht so viel. Lesen habe ich sehr viel früher, in letzter Zeit weniger. Vor allem
Fachliches. Meine Frau hat in den 90ern auch in einem Zoohandel gearbeitet und wir haben
früher viele Bücher über Fische und Tiere gelesen in Deutsch natürlich, weil du sonst die Leute
nicht beraten kannst. Freiwillig war wo die Kinder in die Schule gegangen sind und sie
124
bestimmte Bücher haben lesen müssen, haben wir diese Bücher auch gelesen, natürlich wieder
auf Deutsch. Ich habe auch manche Bücher auf Deutsch gelesen, weil ich sehen wollte, wie ein
Österreicher ein bosnisches Buch, es ist aber nicht das gleiche, jede Übersetzung schadet. Eine
Übersetzung kann nie so gut sein, wie das Buch. Wenn du ein gutes Buch hast in einer Sprache
und das übersetzt, kann es nie so gut sein. Wenn du ein schlechtes Buch übersetzt kann es
eventuell besser werden. (...)
Wenn ich Musik höre, dann höre ich gute Musik. Es gibt überall gute Musik. Ich habe
englischen Rock gehört, aber auch Balkan Rock. Ich ändere mich aber auch. Ich habe am
Anfang in Österreich, weil ich als Maler unterwegs war, habe ich viel Radio gehört im Auto
oder auf der Baustelle, da habe ich auch österreichische Schlager gehört. Mittlerweile tue ich
das nicht, damals habe ich das kennenlernen wollen, das habe ich auch als Pflicht gemacht, weil
andere Leute es auf der Baustelle gehört haben, finde ich gar nicht schlecht, ist aber nicht meine
Musik. ich werde es nicht abschalten, aber dass ich es gezielt abspiele, nein. Mozart und Co.
habe ich auch in Bosnien gehört, ist also nichts Neues. Was gerade am Steigen bei mir ist sind
bosnische Volkslieder.
Was verbinden Sie mit Bosnien und Herzegowina?
Ja meine Wurzeln sind dort, kann man nicht leugnen und ich will es nicht leugnen. Umso mehr
diese Entfremdung, die ich vorher beschrieben habe, spüre, desto mehr sieht man es. Vor zehn
Jahren habe ich mich mehr als Österreich als als Bosnier gesehen, heute ich es wahrscheinlich
vage, wenn nicht mehr Bosnier bin als Österreicher. Da ist die Tagespolitik schuld, also meine
Kollegen, da brauchen wir gar nicht reden, sie wissen das auch, wir werden uns immer gut
verstehen, aber sehr viel um uns herum, ist befremdend.
Wie oft fahren sie nach Bosnien? Wie oft haben Sie Kontakt zu Freunden und Familie?
Fünf, sechs Mal im Jahr fahr ich auf Urlaub in die alte Heimat, wenn Nationalmannschaft
Bosniens Basketball wichtige Spiele hat, sind wir dann für ein zwei Tag Ausflug nach Sarajevo
oder Zenica, je nachdem. Das mache ich einfach, damit die Kinder mehr Bezug bekommen,
weil die Kinder sind sicher viel mehr Österreicher als Bosnier. Man kann nicht Bosnier werden
ohne dass man die Atmosphäre dort mitbekommt und sie sollen beides hören und zum Beispiel,
wenn du bei einem Basketball Spiel bist, wo 5.000 Leute wie eins sind, schaut es anders aus,
als wenn du irgendwie in Graz jede Woche Basketball schaust und du hast das Gefühl du wärst
im Theater, ab und zu Applaus und das wars. Leider, vielleicht müssten wir vielleicht
Schifahren versuchen und dann eben diese Stimmung zustande kommt. Ich bin kein begeisterter
Schifahrer und ich bin nicht begeistert 5, 6 Stunden in der Kälte zu stehen, darweil die anderen
fahren a paar Minuten.
Vermissen Sie Bosnien? Würden Sie gerne zurückkehren?
Schwierige Frage. Ich glaube meine Kinder haben keine Zukunft in Bosnien und solange dass
der Fall ist. Wenn meine Kinder hierbleiben, werde ich wahrscheinlich nicht nach Bosnien
ziehen, aber wenn die Entwicklung so bedenklich bleibt und sich verschlimmert, dann bin ich
lieber in Armut in Bosnien, allerdings ist dort auch nicht geklärt wer und wie und was.
Ich glaube ich vermisse Bosnien nicht, ich trage es immer mit in meinem Herzen. Wenn es
schwer ist, dann höre ich Musik und dann bin ich gleich mitten drin.
Wo fühlen Sie sich daheim?
Das ist auf jeden Fall Österreich, weil ich hier arbeite, mein Freundeskreis ist hier, meine Kinder
sind hier, die Freizeitgestaltung, man lebt 365 Tage in Österreich, was will man mehr.
125
Welche Unterschiede bestehen zwischen Österreich und Bosnien für sie persönlich?
Also das ist basierend auf der Wirtschaft. Da ist schon sehr viel Reichtum und so im Vergleich
zu Bosnien, allerdings ist es schwierig. Ich bin da und ich weiß nicht wirklich wie die Leute
jetzt unten leben. Ich könnte es nur mit der Zeit, wo ich unten gelebt habe, vergleichen. Das
was ich jetzt in Bosnien erlebe, das ist sicher nicht das was die anderen Menschen dort erleben,
die 365 Tage im Jahr dort leben. Deswegen ist das gar nicht so leicht zu beschreiben. Ich bin
nur im Urlaub dort.
Fühlen sie sich fremd in Österreich?
Nein, ich fühl mich wie ein Österreicher. Überhaupt nicht. Aber weil ich meinen Freundeskreis
noch habe nicht.
Verbindung zu Bosnien?
Es ist nicht möglich, dass meine Kinder, die gleiche Verbindung zu Bosnien aufbauen wie ich,
ich bin dort zur Schule gegangen, ich habe dort meine Kindheit verbracht. Sie können da nicht,
es ist unmöglich. Aber deswegen versuche ich zumindest, dass sie einen Teil, der für mich
selbstverständlich war, dass sie zumindest das Land wo ich herkommen kennenlernen und dass
sie es auch lieben. Dass sie einmal sagen, wir wollen nach Bosnien ziehen, könnte sein,
erscheint mir aber nicht realistisch.
Glauben sie, dass sie aufgrund ihres Migrationshintergrundes einen Nachteil haben?
Hatten nicht, aber das kann sich ändern in der Zukunft, das ist die Befürchtung. Außer man hat
viel Geld. Das ist sicher so. Wenn man zum Beispiel von Doppel-Staatsbürgerschaften reden,
wenn man von den Türken redet, sind die Gesetzte so, wenn man aber von Ivica Vastić redet
oder Ana Netrebkov redet, schaut es schon anders aus.
Gibt es noch weiter persönliche Erfahrungen, die sie in Österreich gemacht haben, die sie noch
immer im Gedächtnis haben, die sie auch geformt haben zu der Person die Sie heute sind?
Das waren sicher die Erfahrungen, die ich schon einmal erwähnt habe, sonst allgemein im
Prinzip, dass die Österreicher sehr viel arbeiten, was einerseits nicht schlecht ist, aber es wäre
auch nicht schlecht, dass man allgemein weniger arbeitet, dafür mehr zusammenhalten. Das
fleißige Arbeiten hat mich sicher geformt.
Mineta
48 Jahre alt
Bürokauffrau
Geburtsort: Bosnien und Herzegowina.
Könnten Sie mir etwas über sich erzählen? Wo sind sie geboren und aufgewachsen? Schule?
Ich bin geboren in Jugoslawien in einer bosnischen Kleinstadt. Ich bin das Älteste von drei
Kindern, meine Eltern waren Arbeiter. Meine Mutter hat in der Fabrik als Ex-Bäckerin
gearbeitet und der Vater war Elektriker. Schule bin ich auch dort hingegangen. Ich habe die
normale Hauptschule abgeschlossen und danach eine kaufmännische Ausbildung gemacht. In
Prijedor war das.
Welchen Beruf übern sie jetzt aus? und wo wohnen sie heute?
Ich wohne im Bezirk Weiz, Premdsdorf. Ich arbeite in einem Großunternehmen im Einkauf seit
2001. In Österreich lebe ich schon seit 1992.
126
Unter welchen Umständen sind Sie nach Österreich gekommen? Wie war es damals für Sie?
Zu dieser Zeit war Krieg in Bosnien. Mein Mann war 19 und wir haben ein halbes Jahr vor dem
Ausbruch des Krieges geheiratet und er hat in Belgrad studiert. Wir haben gesehen, dass Krieg
auch zu uns kommt und ich bin zu ihm nach Belgrad gegangen. Wir waren dort drei Monate
und als wir sahen, dass sich der Krieg weiterentwickelt, haben wir uns entschieden das damalige
Jugoslawien zu verlassen. Er hat eine Tante in Wien gehabt, deshalb haben wir uns für
Österreich entschieden. Das heißt wir sind an einem Tag in den Zug gestiegen über Ungarn und
da waren die ersten Schwierigkeiten, wir konnten nicht nach Österreich einreisen, weil wir kein
Visum gehabt haben und dann doch, weil dieser Zug vor Mitternacht die Grenze erreicht hat.
Wir hatten da den Flüchtlingsstatus. Wir waren die ersten drei Wochen bei seiner Tante, die
haben eine sehr kleine Wohnung gehabt, vielleicht 50 Quadratmeter. Wir haben uns versucht
beim Arbeitsmarkt zu melden und einen Job zu suchen aber, weil wir keine
Aufenthaltsbewilligung gehabt haben, bekamen wir kein Arbeitsvisum. Nach drei Wochen,
dass in Wien nichts wird, haben wir beschlossen nach Graz zu einem Onkel von meinem Mann
zu gehen. Umstände waren dort noch schlimmer. Bei uns war es Brauch, dass die Vaters Familie
hilft, die Tante war von seiner Mutter, also gehen wir zur Familie seines Vaters. Dann waren
wir ganz viele Flüchtlinge. Wir sind zu 8 in einem Zimmer am Boden geschlafen. Es war eine
2-Zimmer Wohnung. Dann hat der Onkel uns als Flüchtlinge beim Caritas gemeldet. Der Enis
hat gleich inskribiert, weil er dachte er tut weiter studieren. Dann hat sein Onkel in ein Gasthaus
gefragt, wie es ausschaut. Blödsinn der erste Job war bei einem Bauern am Erdbeerfeld. Das
war unsere erste Einnahme. 35 Schilling pro Stunde. Eindrücke waren sehr schwierig. Ich habe
gar kein Deutsch gesprochen. Meine ganze Familie war in Bosnien. Es hat Krieg geherrscht
und ich hatte keinen Kontakt zu ihnen. Ich habe nicht gewusst was mit denen los ist. Der Druck
der Familienmitglieder in Österreich dass wir arbeiten gehen. Spannungen in der Familie, weil
so viele Leute am engsten Raum sind, ohne Geld, du weißt nicht was du machen sollst. Der
Onkel hat dann in einem Gasthaus gefragt, für mich, die hätten jemanden fürs putzen gebraucht,
das werde ich nie in meinem Leben vergessen. Mein erster Termin, ich war im Bus und habe
meinen Mann gefragt, was sag ich wenn ich dort ankomme, ich kann kein Deutsch. ich bin im
Bus gesessen und habe die Worte wiederholt, ich bin gekommen, allein das war schwer für
mich. Als ich dort angekommen bin war eine Slowenin, das war wie Sklavenarbeit. Ich habe
um sieben Uhr anfangen müssen, erst ihre Wohnung putzen, dann ihre Küche, dann das
Gasthaus, dann die ganze Wäsche, ich habe nicht nach Hause dürfen, bis nicht alles gebügelt
war. Das heißt, ich bin oft bis elf am Abend geblieben. Ich habe Tausend Schilling wieder
schwarz verdient. Ich habe gewusst, ich muss arbeiten. Wir wollten unbedingt von seinem
Onkel raus und wir haben uns ein Zimmer gefunden. Allein das Zimmer hat 3500 Schilling
gekostet.
Dann sind seine Eltern aus Bosnien gekommen, dann hat sein Vater in einem Kleinbetrieb als
Maler angefangen zu arbeiten und da hatte er eine Wohnung zu Verfügung bekommen in einem
ganz alten Haus. Die Nachbarn haben wir irgendwie kennen gelernt, weil wir oft zu Besuch
waren. Dann haben Sie in diesem alten Haus einen Hausmeister gesucht, dann hätten wir dort
eine Wohnung im Keller bekommen, ohne Bad und mit WC draußen. Wir haben dann das Haus
geputzt dafür, dass wir dort wohnen dürfen. Zu dieser Zeit haben wir dann eine
Aufenthaltsbewilligung bekommen. Den Flüchtlingsstatus bekamen wir nach 3 Monaten in
Österreich. Wir bekamen von der Caritas 1500 Schilling Hilfe, wir wussten aber am Anfang
nichts davon, weil der Onkel das zu sich genommen hat, bis wir dann erfahren haben, dass er
es verheimlicht hat. Als wir ausgezogen sind, haben wir es erfahren. (...)
Ich bin dann schwanger geworden, im schlimmsten Moment, wo man nicht weiß, wie man
überleben soll. Aber irgendwie haben wir uns so gefreut, von da an ist es immer besser und
besser geworden. Weil ich schwanger war, haben wir das dort aufgeben müssen, der Chef aus
dieser Maler Firma, hat uns in seinem Haus eine Wohnung im Keller richtig schön eingerichtet,
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komplett neu, da haben mein Mann, ich und seine Eltern gelebt. Dann was ganz interessant für
uns war. Dieser Malerbetrieb, der Chef, hatte immer den Wunsch einen Zoohandel zu eröffnen,
aber er hat gesagt, er hat nie vertrauen in jemanden. Er hat mich gefragt, ob ich Interesse hätte
daran. Er hat es dann auch später eröffnet und ich habe dort angefangen zu arbeiten. Ich habe
die Arbeitsbewilligung im April 1994 erhalten, da war meine Tochter 6 Monate alt. Dann habe
ich da 5 Jahre gearbeitet. Ich habe dort alles gemacht. ich bin Messe gefahren, Ware bestellt,
Preise kalkuliert. Ich habe Deutsch nicht gut können, aber das heißt nicht, dass ich den Job nicht
hätte machen können. Langsam ist auch Deutsch gekommen. Nachdem meine zweite Tochter
geboren wurde und ich die Karenz abgeschlossen hatte, ging ich zurück in das Geschäft. Ich
wollte mehr, ich wollte Deutsch lernen, ich wollte wieder in die Schule gehen, wir wussten,
dass wir in Österreich bleiben werden und wenn ich das machen will, dann muss ich in die
Zukunft investieren. Er war sehr schnell einverstanden. (...)
Damit ich eine Ausbildung machen konnte, war die Voraussetzung, dass ich ein Praktikum
mache. Ich habe dann ein Praktikum für drei Wochen gefunden. Ich konnte gleich arbeiten. Der
damalige Chef sagte zu mir, ob ich länger bleiben könnte. Wir haben es um einen Monat
bekommen und ich bekam dort eine Ausbildungsstelle. Dann bin ich für zwei Jahre habe ich
Wirtschaftsassistentin und alle Lehrgänge für Einkauf gemacht. Seit 2001 bin ich in dieser
Firma. (...)
Wir alle waren dort in der Firma eingestellt. Mein Mann und sein Vater waren als Maler und
ich als Verkäuferin angestellt und wir haben ganz normal Miete gezahlt. Als wir kamen, hatten
wir nichts gehabt und diese Chefin hat sich um alles gekümmert und hat uns alles zur Verfügung
gestellt. Sie haben uns mehr geholfen als alle anderen. Leider mit der Zeit, als wir die Familie
verlassen haben, ist es mit ihnen auch Berg runtergegangen. Sie gingen in Konkurs, sie haben
das Haus verloren. Wir haben zwar Kontakt, aber sie sind weitergezogen. (...)
Hatten Sie Möglichkeiten einen Deutsch Kurs zu besuchen?
Nein, wir haben uns das selber organisiert. Wir haben gehört, dass bei einer Kirche das ein paar
Frauen ehrenamtlich machen und das waren die ersten Kurse die wir besucht haben. Aber mein
Mann hat mir Deutsch am Abend am Meisten beigebracht. Neben meiner Arbeit hatte ich keine
Deutschkurse, ich habe es mir dann selber erarbeitet.
Würden Sie sagen, dass sie einen schwierigen Start hatten?
Schwierig war es, weil es ein fremdes Land ist, du kannst die Sprache nicht, du hast kein Geld,
du bist Last für alle. Bräuche, Essen, alles war anders. Trotzdem bin ich sehr dankbar, wir sind
immer auf nette Menschen getroffen. Auch bei der Arbeit haben sie uns geholfen. Ich kann
nichts Negatives berichten.
Ein paar Fälle hat es gegeben, aber ich bin eine Person, die auf das Positive sich konzentriert.
(...) Wo wir das erste Mal in das Haus gezogen sind, hatten wir keinen Kontakt zu unseren
Nachbarn. Dann ist vom Bürgermeister einmal eine Einladung gekommen, für ein Fest im Dorf.
Wir sollen kommen. Wir waren vielleicht ein Jahr in dem Haus. Elma war im Kindergarten und
hat sich dort mit einem Mädchen angefreundet und ihre Oma ist immer mit ihr zu uns
gekommen und ihre Mutter ist derzeit meine beste Freundin. Sie hat mir gesagt, vor Jahren, wo
sie erfahren hat, dass unsere Töchter befreundet sind, war ihr erster Gedanke, warum diese
Ausländerin. Am Land haben sie schon Vorurteile. Aber ich glaube wir haben den Menschen
dort gezeigt, dass wir ganz normal sind und das haben wir mit unserer Offenheit und
Freundlichkeit geschafft. Wenn wir gewartet hätten, bis die Leute auf uns zukommen, wäre das
nie passiert. Das ist meine Meinung. Da hat es auch einen Jungen gegeben, jetzt ist er ein
erwachsener Mann und er ist mit dem Auto bei uns vorbei gefahren und wenn er uns gesehen
hat, hat er geschrien, raus Ausländer und zum Beispiel ich habe das nicht verstanden. Er war
unser Nachbar und war 17 Jahre alt. Das hat sich danach dann eingestellt. Zuerst habe ich nicht
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einmal das Wort Ausländer verstanden, weil in unserer Sprache wird es nicht so abwertend
benutzt.
Würden Sie sagen, dass Sie viele österreichische Freundschaften und Bekanntschaften
geschlossen haben?
Ich habe mehr Freundinnen hier, es kann sein weil ich mit 19 hergekommen bin, meine Kinder
hier sind, hier habe ich einen Job. Was positiv ist bei uns bzw. was gut für unsere Integration
war, wir gingen nie in diese bosnischen Clubs, zu der Zeit als ich in diesem Geschäft gearbeitet
habe, sind viele Bosnier in das Geschäft gekommen, aber ich habe die Einstellung gehabt, nur
weil er meine Sprache spricht, muss er nicht mein Freund sein. Viele haben uns nach Hause
eingeladen, wollten mit uns Bekanntschaften machen, aber das wollte ich nicht. Vielleicht
hätten wir das gemacht, wenn wir ganz alleine hier gewesen wären, aber wir hatten eine große
Familie hier. Wenn jedes Wochenende jemand kommt, habe ich nicht das Bedürfnis gehabt
mehr Kontakt zu Bosniern zu haben. Deswegen habe ich meinen Freundeskreis danach gesucht,
ob die Chemie passt und ob wir Gemeinsamkeiten haben. Meine zwei besten Freundinnen sind
Österreicherinnen.
Wenn Sie jetzt zurückschauen, wo liegen die Unterschiede von damals und heute?
Die Situation hat sich eindeutig verschlimmert. Ich habe das Gefühl das ich ein Störfaktor bin
für die Anderen und dass sie Angst haben, weil ich Konkurrenz bin. Ich habe immer mehr
arbeiten müssen, ich habe immer gedacht, damit ich dazu gehören kann, muss ich mehr leisten.
Wir hatten vor ein paar Jahren eine Krise in der Firma gehabt, Wirtschaftskrise. Ich fühle mich
oft persönlich betroffen, wenn über Ausländer schlecht geredet wird, wenn es terroristische
Anschläge gibt und das lassen die Kollegen zu spüren. Das sind deine Leute, obwohl wir mit
diesen Terroristen, trotz des gleichen Glaubens, nichts zu tun haben. Aber es hat sich eindeutig
verschlimmert, früher, wenn was war hast du nur das Wort Ausländer gehört. Jetzt reden die
Kollegen untereinander und ich bekomme alles mit. Meine alte Arbeitskollegin, die jetzt in
Pension ist, sie hat mir sehr geholfen, sie war meine Lehrerin, wir hatten auch außerhalb des
Jobs Kontakt. Bevor die Wahlen zum Bundespräsidenten waren, gingen wir essen und dann
habe ich gesagt, wie kann man den Hofer wählen. Dann hat sie gemeint, sie hat ihn gewählt.
Für mich war es so, wenn du ihn gewählt hast, warst du gegen Ausländer. Ich bin Ausländerin.
Sie hat gesagt, ja Pech ein paar solcher müssen wir opfern, damit das so in Österreich nicht
weitergeht. (...)
Abgesehen von ihrer Arbeit. Was unternehmen sie in ihrer Freizeit?
Auf der einen Seite habe ich diese paar Freundinnen, die ich kennengelernt habe durch meine
Kinder. Auf der anderen Seite geh ich oft schwimmen, dann bin ich zum Verein gekommen
und dann habe ich auch ein paar Leute kennengelernt. Unterschied ist da, dass alles gebildete
Leute sind und da spüre ich das nicht. Es gibt einen Unterschied ob man in der Stadt oder am
Land ist. Wir leben am Land, aber wenn ich in die Stadt komme, dann glaube ich, dass es besser
ist. Ich habe nie was Schlechtes von ihnen gehört. Wir haben jede Woche zwei Mal trainiert
und danach etwas getrunken. Da fühle ich mich wohl. (...)In meiner Freizeit lese und höre ich
auch gerne Musik. Wenn ich Bücher lese, dann nur auf Deutsch, das ist wirklich interessant.
Am Anfang lag der Grund darin, dass ich die Sprache lernen wollte. Jetzt im Moment greift
man leichter, weil man hier lebt, zu diesen Büchern. Wir haben zwar im Sommer Mesa
Selimovic, Ivo Andric paar Bücher haben wir gekauft. Jetzt kommt das Interessante. Ich weiß,
dass mein Deutsch nicht so gut ist, aber ich habe das Gefühl, dass ich besser Deutsch kann als
Bosnisch. Es sind viele Worte, viele Vokabel habe ich vergessen. Keine Ahnung. Vielleicht
spielt das auch eine Rolle. Mit 19 bist gerade aus der Schule weg und was kann man in diesem
Alter und dann, ja. Einmal habe ich das in der Firma erlebt. Ich habe beruflich nach Zenica
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anrufen müssen und in Deutsch sind solche Verhandlungen für mich kein Problem, aber da
habe ich nicht gewusst was ich sagen soll, es war wirklich schwer. Small-Talk und so auf
Bosnisch das geht, aber wenn es um diesen Fachjargon geht, da muss ich gleich aussteigen.
Wenn sie jetzt an Bosnien und Herzegovina denken, mit was Verbinden sie das Land?
Schöne Zeiten mit der Familie, kein Stress.
Fahren Sie oft nach Bosnien?
Drei, vier Mal im Jahr. Also Sommerferien verbringen wir dann immer in Bosnien oder in
Kroatien am Meer und noch zwei drei Mal, so kürzere Ausflüge. Was wir in den letzten zwei,
drei Jahren im Vergleich jetzt öfter machen, wir fahren öfter nach Sarajevo, zB.: Basketball
Spiel anschauen. Da tank ich Energie. Ich habe meinem Mann gesagt, einfach in Sarajevo, auf
der Hauptstraße, egal ob Bier oder Kaffee trinken und einfach die Leute zuschauen, wie sie
gehen, das ist für mich die größte Entspannung. Mein Mann sagt auch, dass kann man hier nicht
machen. Man kann hier sitzen, aber es ist trotzdem dieser Husch Husch, schnell schnell. Dort
ist einfach Merak. Das Feeling ist einfach anders und das ist für mich nur in Bosnien möglich.
Manchmal schaffen wir das bei uns Zuhause im Garten, aber es ist trotzdem ein bisschen anders.
Ich habe vor zwei Jahren Nierenkrebs gehabt, früher war die Einstellung, hart arbeiten, alles
den Kindern geben, dann habe ich gesehen, wie kurz das Leben ist und wir sollten machen was
uns Spaß macht. In Österreich ist viel zu viel Arbeit und zu viel Stress. Wenn man in diesem
Rad drinnen kommt man schwer da raus. Ich könnte mir nie vorstellen nach Bosnien
zurückzukehren ich brauche diese Arbeit, aber immer wieder diese Auszeiten, nach Bosnien
gehen oder wird das, weil man älter wird und zu seinen Wurzeln zurück möchte. Ich weiß es
nicht, vielleicht werde ich es einmal wissen.
Vermissen Sie Bosnien und Herzegowina?
Ich weiß wann ich dort zurückgehe, wenn ich sterbe. In Österreich gibt es keinen Friedhof für
Muslime oder zumindest ist es ganz anders und ich bin nicht so religiös, ich gehe nicht
Moschee, ich trage kein Kopftuch, aber ich möchte zu meinen Wurzeln zurück. Vor ein paar
Jahren war der Gedanke, wenn meine Kinder dableiben, möchte ich auch hier begraben sein,
damit sie mich öfter besuchen können, aber als ich krank war, habe ich gesagt, dass wir keine
richtige Moschee hier haben, man hat keine Möglichkeit das frei zu machen. Jetzt wohne ich in
Sinabelkirchen, dort gibt es einen Teil vom Friedhof, wo nicht Katholiken begraben sind, aber
da bist mit allen, Roma, Juden begraben, das ist nicht was ich will. Ich fühle mich da Zuhause,
ich möchte da leben und vielleicht auch sterben, aber so lange es in Österreich eine solche
Möglichkeit nicht gibt, möchte ich hier nicht begraben werden. Wenn es die Möglichkeit gebe,
wenn wir alles hätten wie unten, wäre es vielleicht möglich.
ich sehe mein Leben in zwei Etappen, erste Etappe war Bosnien, da war ich bei meinen Eltern,
ich war behütet, hatte ein schönes freies Leben. Meine zweite Etappe fängt dann mit der Heirat
und dem Leben in Österreich an und auch damit der Ernst des Lebens. Zwei Lebensabschnitte.
Ich kann es nicht vergleichen.
Haben Sie regelmäßig Kontakt zu Verwandten nach Bosnien?
Kontakt, nur wenn ich runter fahre. Meine Eltern und Geschwister sind nach Amerika
ausgewandert, in Bosnien hat mein Mann seine Eltern in Bosnien und die besuchen wir dann.
Ich habe auch keine Freundinnen unten, die ich früher gehabt habe. Sie sind alle überall auf der
Welt, wenn wir uns kontaktieren, dann auf Facebook. In der Stadt in der ich geboren worden
bin, da gehe ich gerne spazieren, das ist so eine kleine Ortschaft neben einem Fluss, als Kind
gab es eine schöne Allee, das habe ich von wem malen lassen und dieses Stück Heimat habe
ich jetzt hier Zuhause.
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Wo fühlen sie sich daheim?
In Österreich, mein Haus, das haben wir geschafft, das gehört uns, für mich ist Österreich wie
eine Heirat. Ich bin mit Österreich verheiratet (lacht).
Wie würden Sie die Verbindung mit Bosnien heute beschreiben?
Die Erinnerungen an die Kindheit, Schulzeit und eben ein Gefühl, dass ich dort entspannen
kann, genießen kann, mir kommt vor die Luft ist dort anders, die Vögel singen anders. Keine
Ahnung, schwer zu erklären.
Haben ihre Kinder eine bessere oder schlechtere Verbindung mit Bosnien als Sie?
Ja, schon, das merke ich. es kommt mir vor, als hätten sie keine Verbindung, nur Opa und Oma.
Sie haben diese Gefühle nicht, was wir haben. (...) Meine zwei Mädchen habe nie die
Möglichkeit gehabt in Bosnien eine längere Zeit zu verbringen oder es war nicht unser Wunsch
damals. Vielleicht hatten wir auch Angst Sie in Bosnien über eine längere Zeit zu lassen,
während wir in Österreich sind. Keine Ahnung. Könnte auch sein.
Glauben Sie, dass Sie aufgrund ihres Migrationshintergrundes einen Nachteil haben?
Ja, ich glaube schon. Vielleicht ist das meine Einstellung, ich glaube, dass wir mit
ausländischen Hintergrund, wir müssen mehr machen, um uns zu beweisen und auch gleich
anerkannt zu werden. Ich habe zum Beispiel in dieser Firma 10 Jahre als Leihangestellte
gearbeitet, obwohl mir immer versprochen wurde ich werde aufgenommen, bis ich endlich
eines Tages gekündigt habe und dann haben sie mich behalten. Erst dann hat das Gefühl
begonnen, ich gehöre dazu.
Vorteil haben wir sicher keine, wenn, dann nur Nachteile. Es gehört viel mehr Aufklärung beim
Österreicher. Es kommt oft vor, dass viele Österreicher nicht normal mit mir reden, sonder
gebrochenes Deutsch, dieses Ausländerdeutsch, wenn mich jemand kennt, das ist aber am Land
und ich habe so oft gesagt: "Sprich mit mir normal!". Wenn ich es nicht verstehe, werde ich es
erst lernen, wenn du richtig mit mir sprichst. Es könnte auch mit den Gastarbeitern
zusammenhängen, diese haben nur schlecht bezahlte Jobs gemacht, dass die damals gedacht
haben, alle die aus dem Ausland kommen, sind keine gebildeten Menschen. Meiner Meinung
nach, wäre ein Ethik Kurs, wo man alle Religion durchnimmt. Angst hat man nur vor etwas,
was man nicht kennt und Österreicher sind dafür bekannt. Viel Aufklärung in der Schule.
Könnten Sie mir noch etwas über ihren Bildungs- und Berufslaufbahn erzählen?
Arbeitsbewilligung haben wir relativ leicht bekommen, der Chef damals hat jemanden gesucht
für die Zoohandlung. Ich habe sofort den Job bekommen. (...)
Vom AMS habe ich die Möglichkeit, wie jeder andere. Damals hatten wir auch keine
Staatsbürgerschaft. Meine Meinung ist, wenn man will und selber sucht, dann bekommt man
vieles, da wird kein Unterschied gemacht, ob man Staatsbürgerschaft hat oder nicht. Als ich
angefangen habe mit dem Praktikum, mein Chef hat einen Vorteil gehabt, weil das AMS meine
Nebenkosten bezahlt hat. Ich habe auch Fortbildungen, Englisch, Einkaufslehrgänge, das haben
wir regelmäßig. Es sind nur Kollegen, in Situationen, wo Krisen kommen, wo Kündigungen
kommen, wo sie sich sicherer fühlen als ich und das geben sie mir dann zu spüren. Zum Beispiel
kommt die Aussage, wir müssen für unsere Leute sorgen, kommt von meinen Kollegen. Das ist
heute passiert, eine Kollegin hat gesagt, das ist in Deutscher Hand. Sie ist schon sehr böse. Ich
habe das so aufgenommen, dass sie was Besseres ist, dass sie sich sicherer fühlt, weil sie
Österreicherin ist. Das Deutsche, dass kommt aus dem Zweiten Weltkrieg.
Wenn irgendetwas passiert und sie sich bedroht fühlen, dann geben sie mir sofort zu spüren,
dass ich anders bin, dass ich nicht eindeutig Österreicherin bin. Sie verstehen es nicht, dass ich
mich hier Zuhause fühle. Wenn mich jemand fragt, wann fährst du nach Hause? Für mich ich
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das eine Art Beleidigung, was meinst du mit Zuhause, da ist mein Zuhause oder oft auch die
Frage: "Woher kommst du?". Was meint er genau. Dass wird immer bleiben. Ich fühle mich
dann angegriffen, weil das werden andere Leute nicht gefragt. Wenn ich sage Österreich, dann
schauen sie so. Das sind so Kleinigkeiten, vielleicht ist das mein persönliches Problem, aber es
ist da. Das ist problematisch. Es bestehen Spannungen zwischen mir und meinen Kollegen. Ich
kann sagen, dass ich mich richtig gut integriert habe, da ist mein Zuhause, ich bin
Österreicherin, habe auch die Staatsbürgerschaft, aber ich werde nie gleich behandelt wie
normal, ich werde nie als Österreicherin gesehen. Ich habe eine Kollegin aus Deutschland und
dann erlaube ich mir immer einen Scherz und sage: "Du bist eine Ausländerin!". Aber sie
werden anders behandelt, vielleicht, weil sie die Sprache schon können. Allgemein fühle ich
mich wohl, außer in den vorher erwähnten Situationen.
Möchten Sie mir noch etwas über ihre persönlichen Erfahrungen erzählen?
Das ist wirklich etwas, diese Familie hat uns einen Start in Österreich ermöglicht, hat uns sehr
geholfen, an uns geglaubt, aber nichts desto trotz, glaube ich, dass wir das alles geschafft haben,
weil wir das so wollten. Es lag an uns diesen Weg zu gehen, man hätte sich auch mit wenige
zufriedengeben können, hätte weiter im Verkauf bleiben können, mein Mann als Malermeister
weitermachen können. Es ist unsere Entscheidung und es wird keiner zu dir kommen und sagen,
willst du weiter studieren oder willst du einen besseren Job.
Migranten, die schlecht integriert sind, es liegt die Schuld auch an ihnen und an der Regierung,
weil im Kindesalter zum Beispiel, warum dürfen mehr als die Hälfte der Kinder mit
Migrationshintergrund in einer Klasse sein. Wie sollen sie sich da integrieren? Meiner Meinung
nach, haben wir das leichter geschafft, weil wir unter Österreichern waren. Wenn Flüchtlinge
in ein Heim eingesperrt werden, dürfen nicht arbeiten, wie sollen sie sich integrieren. Das Beste
wäre, wenn Familien Familien adaptieren würden. Erstens lernen sie die Sprache, Bräuche, die
Möglichkeit zum Kontakt mit Österreichern. Aber man kann selber auch vieles tun. Man muss
nicht in der Stadt leben, in einem Viertel, wo nur Einheimische sind. Ich muss nicht mit ihm
befreundet sein, nur, weil er aus meinem Land kommt. Es ist an beiden Seiten und viele Leute
haben das nicht erkannt. Viele glauben, ja ich gehe in die Firma arbeiten, da ist der Vorarbeiter
Bosnier, der wird mir helfen, der wird dir nicht helfen. Das ist nur Einstellung. (…)
Du musst unter Österreichern sein, um dich zu integrieren.
Ich habe ein Herz und dieses Herz kann zwei Seiten lieben. Das kann man nicht trennen. Ich
kann nicht sagen ich mag nur Bosnien oder nur Österreich. Wir waren vor Jahren in Sarajevo
und zufällig hat Bosnien gegen Österreich gespielt. Alle haben gedacht wir spinnen. Wir haben
sowohl die österreichische als auch bosnische Fahne gehabt. Einerseits haben wir die Jungs in
der österreichischen Mannschaft alle gekannt und andererseits Bosnien, mein Heimatland. Da
habe ich gemerkt, dass eine Entscheidung zwischen den beiden Ländern nie gehen wird.
Wenn zum Beispiel die Fußball Mannschaft von Österreich gegen Bosnien spielt und wir
keinen Spieler kennen, dann haltet man ein bisschen mehr für Bosnien. Aber wenn Österreich
gegen alle anderen Länder spielt haltet man immer zu Österreich. Ich weiß nicht warum das so
ist. Wir sind ein armes Land, das ist alles was Bosnien hat. Österreich hat viel mehr und
zumindest so kann ich Bosnien unterstützen. Aber alles andere ist schwierig, da kann ich nicht
sagen, wie. In Österreich erkennen sie mich auch immer als Diaspora, aber woher wissen sie
das. Wir haben ganz normal Bosnisch geredet Ich weiß nicht, ob es unser Benehmen ist, unsere
Art, keine Ahnung, aber die Einheimischen unten wissen es. Unten bin ich fremd, da bin ich
fremd. Wo ist man nicht fremd? ich weiß es nicht. In meinem Haus, in meinem Grundstück, da
fühle ich mich nicht fremd. In der Ortschaft, wo mein Mann herkommt, da fühle ich mich auch
wohl. Nach zwei Wochen möchte ich aber wieder nach Hause. Unten möchte ich mich heimisch
fühlen, tue ich aber nicht. Sobald du unter fremden Leuten bist, bist du wieder Ausländer, Das
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lassen die Leute auch zu spüren, nicht aber im negativen Sinn. Ich habe in Bosnien nicht das
Gefühl, dass ich nicht mehr Wert bin, ich bin nicht von da. Das kann auch verletzend sein.
Elma
25 Jahre alt
Studentin
In Österreich geboren
Erzähl mir ganz kurz etwas über dich! Wo bist du aufgewachsen? Wie war deine Kindheit?
Ich bin die Ena. Ich bin in Österreich geboren, bin 25 Jahre alt. Meine Eltern sind ein Jahr vor
meiner Geburt nach Österreich gekommen. Meine Kindheit. Ich habe als Kind zuerst nur
Bosnisch gesprochen, weil meine Eltern nicht gut Deutsch sprechen konnten und sie dann nur
Bosnisch mit mir geredet haben. Im Kindergarten war das dann etwas schwierig, weil ich nichts
verstanden habe, wo ich in den Kindergarten gekommen bin. Es ist dann sehr schnell gegangen,
dass ich Deutsch gelernt habe. In der Volksschule war das dann gar kein Problem mehr. Schule
und so hatte ich sprachlich keine Probleme, ganz im Gegenteil ich habe mir damit sehr leicht
getan. Sonst hatte ich eine schöne Kindheit gehabt. Familie die für einen da ist, Freunde.
Welche Schulen hast du besucht?
Volksschule am Land in Premsdorf. Hauptschule vier Jahre und dann 4 Jahre Gymnasium
Oberstufe in Graz.
Wo wohnst du heute?
Ich wohne in Graz, schon seit meinem Maturajahr. Also seit 2012.
Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit?
Mir fallen eigentlich zuerst negative Erinnerungen ein, weil ich mir in der Schule schon etwas
schwergetan habe, jetzt zwar nicht sprachlich, ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich, weil
ich einen Migrationshintergrund habe. Ich wurde etwas gemobbt, in der Volksschule wenige,
aber dann in der Hauptschule viel und da war ich im Gymnasium eher zurückgezogen und
ruhig, habe auch Basketball dann gespielt und das war mein Freundeskreis damals. Positiv
wurde ich sagen hauptsächlich Familie und vielleicht ein, zwei Freunde noch. Aber
grundsätzlich eher Familie.
Welche Gründe gab es für das Mobbing?
Ich weiß es nicht. Gemobbt wurde ich vor allem in der Hauptschule am Land und bis auf mich
und zwei drei Mädels aus Rumänien, waren da keine Kinder mit Migrationshintergrund und es
kann vielleicht daran liegen. Ich erinnere mich jetzt so an einzelne Situationen, wo es auch
wirklich wegen meiner Familie war, dass ich gemobbt worden bin. Da will ich jetzt nicht
unbedingt ins Detail gehen, aber da erinnere ich mich schon an zwei drei Situationen wegen
der Familie, also denke ich schon, dass das mit dem Migrationshintergrund zu tun gehabt hat.
Das Mobbing was ich in der Hauptschule erlebt habe waren kindheitliche Sachen, es liegt
Schnee und dann wirst eingerieben oder du wirst gehänselt, weil du ein bisschen anders bist
und ich war allgemein deswegen immer etwas zurückgezogener, gleichzeitig habe ich mich
auch getraut, wenn mich was gestört hat, etwas zu sagen. Dadurch dass ich mich gewährt habe,
ist es noch mehr geworden.
Hast du trotzdem Anschluss finden können?
Ich habe schon Freunde gehabt, das war eine kleine Runde zwei, drei Mädels, die dann auch
öfter Opfer des Mobbings waren, aber auch oft in gewissen Situationen gegen mich gestellt,
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um nicht selber zum Opfer des Mobbings zu werden. Es war ja nichts Schlimmes, aber richtig
Anschluss gefunden habe ich erst, wo ich angefangen habe Sport zu machen, mit
Gleichgesinnten quasi gleiches Hobby gehabt habe, gleiches Interesse, dann habe ich Anschluss
gefunden. War aber auch schwer am Anfang, weil ich am Anfang mit viel Älteren trainiert
habe. (...)
Würdest du deine Kindheit als schwierig ansehen?
Ich würde meine Kindheit nicht als schwierig ansehen, weil ich immer meine Familie gehabt
habe, die hinter mir gestanden ist, aber ich habe, schwer zu sagen, ich hatte zwischen drinnen
Schwierigkeiten mich einzugliedern, aber nicht, weil ich einen kulturellen Unterschied gehabt
habe oder die Sprache nicht verstanden habe, sondern ich hatte das Gefühl, dass ich nicht
akzeptiert werde, weil ich ein bisschen anders war. Ich sehe mich selber nicht als anders als die
Kinder die aus Österreich sind, aber ich würde anders wahrgenommen. Dass meine Familie
anders ist, dass es bei uns Zuhause anders ist, dass andere Werte vielleicht, andere Erziehung,
dass es vielleicht etwas strenger war, dass mir nicht alles erlaubt wurde, zum Beispiel war es
nicht selbstverständlich, dass mir Übernachtungsparties erlaubt wurden. Dass war bei meinen
Klassenkameraden kein Problem. Ich hatte das Gefühl, dass sie froh waren ihre Kinder
loszuwerden und ich habe meine anbetteln müssen und wenn sie es mir einmal erlaubt haben,
dann eher selten, dass sie da ein bisschen strenger waren, dass es nicht selbstverständlich war,
dass ich alles bekomme. Handy´s waren auch im Kommen, ich hatte auch nie das Modernste,
da wurde ich auch gehänselt. (...)
Ich glaube auch dadurch, dass wir so wenige Kinder mit Migrationshintergrund waren, dass wir
es schwieriger hatten. Ich weiß nicht warum, vielleicht, weil die Kinder gesehen haben, wir
sprechen eine andere Sprache, wir haben vielleicht andere Werte, werden vielleicht anders
erzogen, einfach dieses anders, nicht so wie bei ihnen Zuhause, vielleicht kannten sie das nicht
und es machte sie unsicher und verknüpften das negativ. Ich kann mir das nicht besser erklären.
Hast du das Gefühl, dass du irgendwann diskriminiert worden bist?
Mir fällt auf Anhieb kein Beispiel ein. Mobbing war vor allem in der Hauptschule und nachher
habe ich keine Erfahrungen mehr damit gemacht. Also ich glaube, das ist mir nicht passiert,
dass ich einmal schlechter behandelt worden bin, weil ich einen anderen Nachnamen habe.
Nein.
Was schätzt du an Österreich ganz besonders?
Dass meine Familie, wie sie keinen anderen Weg gehabt haben, wie sie flüchten haben müssen,
hier aufgenommen wurden und hierbleiben durften, obwohl sie es schwer hatten, aber jeder hat
es schwer am Anfang. Mit Sprache lernen, kein Geld, viele verschiedene Jobs annehmen
müssen und dort arbeiten. Sie haben aber trotzdem eine Chance bekommen und das schätze ich
an Österreich. Ich glaube, das hat mir auch ermöglicht hier aufzuwachen, eine gute Ausbildung
zu genießen und nicht in Armut zu leben und doch eine soziale Sicherheit zu haben.
Wie verbringst du deine Freizeit?
Mein Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Österreichern, natürlich habe ich dann selber
auch entfernt Wurzeln irgendwo anders. Ich spreche hauptsächlich Deutsch. Seit ungefähr
einem Jahr zieht es mich mehr und mehr zu bosnischen Freunden, die aus Bosnien stammen
oder aus Ex-Jugoslawien. Ich merke auch, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben und wie ich
meine Freizeit verbringe. Ich mache gerne Sport, bin gerne draußen, schwimmen, solche
Sachen, viel mit Leuten, ich bin gerne draußen unterwegs. (…)
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Ich wollte immer gern einen bosnischen Freundeskreis haben, aber ich bin irgendwie dadurch,
dass ich immer in den österreichischen Freundeskreisen war, nie dazu gekommen. Meine
Verwandtschaft ist hauptsächlich, auch meine Schwester und Cousine, sind auch eher mit
Österreichern unterwegs, dass ich nie eine Chance gehabt habe mit Bosnier unterwegs zu sein,
aber seit einem Jahr, dadurch, dass mein Freund auch aus Bosnien kommt und hier lebt, seit
fünf Jahren und er hauptsächlich mit Bosnier befreundet ist und nicht mit Österreichern, habe
ich dadurch wieder viel mehr mit Bosnier zu tun. (…)
Ich studiere Deutsch und Englisch auf Lehramt. Ich tue schon gerne lesen aber meistens ist es
mit Universitätsgeschichten verbunden. Wenn ich was lese ist es hauptsächlich Deutsch und
Englisch. Wenn ich etwas persönlich lese dann ist es meistens Deutsch. Für die Uni ist es
vorwiegend Englisch. Filme zum Beispiel schaue ich zu hundert Prozent auf Englisch, weil ich
das Synchronisierte nicht mag und ja klingt einfach natürlicher für mich. Aber bosnische
Bücher lese ich gar nicht, ich habe vielleicht ein oder zwei Bücher angefangen, aber nach ein
paar Seiten gleich wieder aufgegeben. Ich spreche schon fließend Bosnisch, aber es ist mir
einfach zu anstrengend und da müsste ich gewisse Wörter nachgoogeln, was das bedeutet, das
ist mir zu viel Aufwand und dann lese ich es auch lieber auf Deutsch oder Englisch. Deutsch
habe ich in der Schule gelernt, dort die Grammatik gelernt, genauso wie Englisch und jetzt auch
im Studium. Die Grammatik aus Englisch und Deutsch beherrsche ich sehr gut, weil ich es
gelernt habe. Aber die bosnische Sprache habe ich nie gelernt, dass was ich kann ist nur
umgangssprachlich erlernt worden. Mit meinen Eltern, Familie und Freunden spreche ich es.
Ich kann es fließend, ich kann mich ausdrücken, ich kann alles verstehen, bis auf ein paar
spezielle Wörter, die man nicht tagtäglich verwendet, aber ich kann es nicht so gut wie Deutsch
und Englisch. Ich würde auch sagen, ich habe bis vor kurzem immer auf Deutsch gedacht, seit
kurzem fällt mir auf, wie ich auf Bosnisch denke, weil ich mittlerweile viel mehr Bosnisch
spreche, also dadurch, dass ich sehr viel Zeit mit meinem Freund und Familie verbringe,
spreche ich Zuhause im Privaten viel mehr Bosnisch als Deutsch. (...)
Mit meinen Eltern spreche ich noch immer nur Bosnisch, mit meiner Schwester, die drei Jahre
jünger ist, hat sich so eingependelt, dass ich nur Deutsch mit ihr spreche, sie hat auch einen
Freund als Österreicher und sie kann um einiges schlechter Bosnisch als ich und ist auch nicht
so interessiert wie ich, zumindest habe ich das Gefühl. Ich bin immer neugierig und will mehr
und mehr Wörter dazu lernen und will Bosnisch noch besser lernen. Bei ihr war das nicht so,
sie ist immer auf das Deutsche ausgewichen.
Warum glaubst du, dass du ein größeres Interesse hast die bosnische Sprache zu erlernen als
deine Schwester?
Selber kann ich nur sprechen, wenn ich nicht Bosnisch perfekt spreche, werde ich in meiner
Familie als die Österreicherin wahrgenommen und nicht als Bosnierin aufgenommen. Ich will
aber dieser bosnischen Familie gerecht werden, fließend Bosnisch sprechen, damit ich den
Ansprüchen gerecht werde. Die Ansprüche wurden nie an mich gestellt, aber unterbewusst hatte
ich sie. Wenn ich sage ich bin Bosnierin, ich muss auch dann Bosnisch reden. Mir ist es auch
peinlich in meinem Freundeskreis, die sind alle in Bonsien geboren und sind dann hergezogen,
sie reden auch perfekt Bonisch, dafür aber nicht so gut Deutsch. Also schon auch fließend aber
nicht so gut. Ich fühle mich dann unwohl, wenn ich was nicht auf Bosnisch kann, deswegen bin
ich so ehrgeizig zu lernen. Dann habe ich das Gefühl, es kommt dann rüber als sie ist eh keine
Bosnierin, sie kann kein Bosnisch. Obwohl es wahrscheinlich nicht so ist, aber das ist meine
eigene Wahrnehmung.
Fühlst du dich eher als Bosnierin oder als Österreicherin?
Das ist so schwer, also wenn ich mit dem Freundeskreis meines Freundes unterwegs bin, fühle
ich mich als Österreicherin, weil ich das Gefühl habe, ich werde von ihnen als Österreicherin
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wahrgenommen. Ich habe auch letztens mit einer Freundin gesprochen, sie hat gesagt, ich sei
Österreicherin, ich bin hier aufgewachsen, ich spreche perfekt Deutsch, ich habe nie in Bosnien
gelebt, aber wenn ich mit österreichischen Freunden unterwegs bin, fühle ich mich auch als
Österreicherin, aber auch als Bosnierin, weil keine direkte Person da ist mit der ich verglichen
werden kann, wie gut ich Bosnisch sprechen kann oder wie gut ich mich mit dem Land
auskenne. Aber wenn ich mit Bosnierinnen unterwegs bin, dann sitzt mir da wer gegenüber, der
von dort kommt und perfekt die Sprache spricht, da habe ich immer das Gefühl ich muss mich
vergleichen und bin nicht auf dem Niveau, deswegen hängt es immer ab mit wem ich unterwegs
bin. Ich tue mir schwer, ich würde sagen ich bin beides. Ich bin sicher nicht nur eins.
Was verbindest du mit Bosnien und Herzegowina?
Als aller Erstes meine Familie, weil ich würde ohne meine Familie gar nichts damit verbinden,
weil ich keinen Bezug dazu hätte, wenn sie nicht von Bosnien wären. Ich verbinde damit die
bosnische Sprache, die Religion, auch verschiedene Religionen, weil es dort gibt es auch
verschiedene, aber auch hauptsächlich Islam, weil meine Familie sich als islamisch bezeichnet
oder sie sehen sich als Moslems. Wobei ich sehe mich fast schon als Atheistin, ich glaube an
keinen Gott, bin aber trotzdem in diesem islamischen aufgewachsen wegen meiner Familie.
Weiters gutes Essen verbinde ich mit Bosnien und Herzlichkeit, was ich mit Österreich nicht
verbinden würde. Herzlichkeit, offen, direkt, alle sind für einen da, einfach dieses offenere,
direktere und freundlicher, nicht so kaltherzig, sondern warm.
Österreich verbinde ich eher so als Mittel zum Zweck. Ich kann hier leben, ich kann hier
arbeiten, ich habe hier gute berufliche Chancen, aber eher das. Also schon auch Familie und
Warmherzigkeit, weil meine Familie hier ist, aber die österreichische Gesellschaft würde ich
jetzt kälter bezeichnen und nicht so, ich habe das Gefühl, dass ich mich in Bosnien wohler
fühle, auch wenn ich dort als unter Anführungszeichen als Ausländer wahrgenommen werde.
In Bosnien sind sie herzlicher und Österreich sehe ich so, ja ich bin hier nur weil meine Eltern
hier her geflohen sind und wir sind hier geblieben, weil du hast halt hier gute Chancen einen
Job zu finden, gut zu leben, das hast du halt in Bosnien nicht.
ich habe das Gefühl, dass sie in Österreich viel vorsichtiger und zurückhaltender und hier schaut
man sich die Situation zuerst an und dann abzuchecken, wie ist der so. Ich kann mich erinnern,
wo meine Eltern nach Österreich gekommen sind, haben sie mir erzählt, sie sind am Anfang in
Graz gewesen in der Stadt, dann sind sie aber auf das Land gezogen, dort sind sie aber natürlich
die Minderheit, also Leute mit Migrationshintergrund gibt es dort nicht so viel. Wie sie das
Haus gekauft haben, wo ich aufgewachsen bin, da hat es mit den Nachbarn schon öfter mal so,
keinen Streit, aber du wirst halt zuerst vorsichtig abgecheckt, wie sind die jetzt, was machen
die so. Ich habe auch so das Gefühl Vorurteile und da ist man dann eher vorsichtiger, also die
Österreicher. Da habe ich das Gefühl, dass es in Bosnien nicht so ist. Da wird man freundlich
aufgenommen, egal wer man ist oder wie man ist. (...)
Würdest du sagen, dass du oft nach Bosnien fährst? und wie oft?
Also, dadurch, dass nur noch meine Großeltern in Bosnien wohnen und der Rest meiner Familie
alle hier in Österreich sind, fahre ich selten runter. Also in den letzten zwei Jahren war ich drei
Mal. Von dem einen Mal war ich nicht bei meiner Familie, sondern bei der Familie von meinem
Freund. Eher selten, auch wenn es sehr nahe ist, man fahrt nur fünf Stunden, habe ich dort keine
Freunde. Meine Verwandten kann ich auch hier sehen und ich sehe keinen Grund, warum ich
dann hinfahren sollte, weil meine Großeltern kommen sehr oft zu Besuch nach Österreich. Öfter
als wir dort hinfahren. Außer zum Urlaub, ich war in Sarajevo, wenn ich Bosnien besuche, dann
eher aus touristischer Sicht.
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Hast du regelmäßigen Kontakt zu der Familie in Bosnien?
Ja, habe ich. Wir hören uns, variiert wie große der Uni Stress ist, zwischen einmal in zwei, drei
Wochen und einmal in eineinhalb Monaten.
Würdest du sagen, dass du Bosnien vermisst?
Nein, nicht unbedingt. Wenn, dann, wenn ich sage, jetzt reicht es mir in Graz und ich will
wieder wohin und dann ist der erste Gedanke Bosnien, weil sehr nah ist und sehr günstig ist,
als Student muss man das im Hinterkopf behalten. Aber dass ich sage ich bin jetzt hier und ich
vermisse Bosnien, nein.
Wo fühlst du dich daheim?
Daheim ist für mich egal wo, dort wo meine Familie ist, die die ich liebe und dadurch, dass alle
hier sind, eher Österreich. (...)
Kannst du mir etwas über deine Bildungslaufbahn und deinen Wunschberuf erzählen?
Ich bin Kindergarten, Volksschule, Hauptschule, Gymnasium gegangen und jetzt habe ich
angefangen zu studieren, nachdem ich sicher vier Jahre gesucht habe was ich machen soll und
es nicht gewusst habe, aber ich habe mich dann entschlossen NMS und Gymnasium Lehrerin
zu werden, weil ich arbeite sehr gerne mit Kindern, ich bin seit fünf Jahren Schwimmlehrerin
für Kinder zwischen vier bis neun Jahren. Ich möchte den Kindern neben dem Stoff auch andere
Dinge beibringen wie respektvoll zu sein, andere Kulturen respektiert, dass man sich versteht
egal wie man aussieht, wie man sich kleidet und dass man selber sich hinterfragt und reflektiert
und nicht nur auswendig lernt. (...)
Wenn du an die österreichische Gesellschaft denkst, würdest du gerne etwas ändern wollen?
Ja, offener auf jeden Fall für neue Religionen und Kulturen, nicht so verbissen auf alten
Traditionen und Werten und herzlicher, man kann ruhig Gefühle zeigen, man muss nicht so kalt
sein wie die Österreicher. Perfekt von Vorne, aber hinter der Fassade bröckelt deutlich. Ich
würde auch gerne ändern, dass sie mehr kämpfen, wenn ihnen was wichtig ist und nicht sobald
etwas nicht funktioniert es einfach hinschmeißt und die Zähne zusammenbeißen, manchmal
läuft es nicht gut, auch manchmal dankbar zu sein und mit weniger zufrieden sein. Skroman,
sagt das etwas über die Kultur aus? Ja ich würde schon sagen, Österreich war immer ein reiches
und stabiles Land und den Leuten fehlt hier an gar nichts, wenn man es vergleicht mit Bosnien.
Leute wissen teilweise nicht, wie es ist, nichts zu haben und sich daraus etwas aufzubauen, wie
zum Beispiel meine Eltern. Auch wenn du hier sehr tief fällst, wirst du nie so weit fallen, du
wirst vom Staat aufgefangen. Dem Staat geht es schon gut.
Fühlst du dich in Österreich wohl?
Ja, ich fühle mich in Österreich sehr wohl. Wie gesagt ich sehe es als mein Zuhause, ich bin
hier aufgewachsen, es ist meine Sprache, meine Familie lebt hier.
Würdest du sagen, dass deine Eltern eine bessere Verbindung haben zu Bosnien als du selber?
Falls ja, warum?
Ich glaube ja, ja, weil sie haben dort gelebt, meine Mama war Neunzehn wo sie geflüchtet ist,
mein Papa ich glaube einundzwanzig. Natürlich leben sie hier länger als sie dort gelebt haben,
aber die haben dort gelebt, sind zur Schule gegangen, haben diese Erfahrungen dort gemacht,
Sprache besser gelernt. Obwohl ich hier unter ihren Wertvorstellungen und ihrer kulturellen
Ansicht mitbekommen habe, kann man das mit ihrer Erfahrung nicht vergleichen.
137
Würdest du gerne an deinem persönlichen Leben etwas verändern wollen?
Eigentlich bin ich im Großen und Ganzen sehr zufrieden. Wenn man in Österreich lebt, dann
kann man nur zufrieden sein. Ich würde mir aber wünschen, dass die Leute etwas herzlicher
und offener werden und mit nicht so vielen Vorurteilen gegenüber Sachen, die sie vielleicht
nicht kennen, sondern Leuten eine Chance geben.
Hattest du Erfahrungen mit Vorurteilen?
Ich hatte mit meiner Mama gestern eine Diskussion, weil ich mich selber dabei erwischt habe
ein Vorurteil zu haben. Eine banale Geschichte, ich habe ein neues Bett gekauft und das alte
habe ich auf Facebook zum Verkauf gestellt. Dann hat sich ein Typ gemeldet, er würde es gerne
nehmen, hin und her. Mit dem Namen Mohammed Karim. Ich habe dann natürlich nicht
gezögert und wenn er es haben will kein Problem. Bin noch zehn Euro vom Preis
runtergegangen und wir haben ausgemacht wann er es holt. Dann sage ich noch zu meinem
Freund, Vorurteil Nummer eins, er hat auch sehr schlecht Deutsch geschrieben, bin ich davon
ausgegangen, dass er nicht so viel Geld hat und da habe ich auch gemeint, wir können ihm auch
das Bett schenken, wenn er möchte. Ich habe von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt,
keine Ahnung warum. Dann ist er gekommen und haben ihm geholfen das Bett rauszutragen
und dann ist das Missverständnis aufgetaucht, dass er dachte die Matratze sei inklusive. Habe
ich nicht hinzugeschrieben, könnte auch mein Fehler sein. Ich hätte ihm das vielleicht noch
einmal sagen sollen, weil ich bemerkt habe, dass er nicht so gut Deutsch kann. Auf jeden Fall
hat er dann gesagt und ist dann sehr unfreundlich geworden, ja ich brauch die Matratze, ist jetzt
dein Problem. Wir haben uns dann auch gestritten und ich bin auch sehr sauer geworden. Dann
ist er einfach gegangen und als ich mit meiner Mama geredet habe, habe ich gemeint, ja sie sind
eh alle gleich, das war klar, ich habe eh von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt und das
war mein zweites Vorurteil, ich werfe alle in einen Topf. Meine Mama hat mich beschuldigt,
woah du bist ja eine richtige Österreicherin, weil du bist genauso wie sie voller Vorurteile und
jetzt wirfst du alle in einen Topf. (...)
Ina
22 Jahre alt
Lehrling
15.03.2019, Graz
Könntest du dich kurz vorstellen sagen woher du bist?
Ich bin 22 Jahre und in Gleisdorf, in der Nähe von Gleisdorf aufgewachsen.
Wo hast du die Schule besucht?
Die Volksschule in einem Dorf, in Premsdorf und die Hauptschule in Sinabelkirchen und dann
die HLW in Graz.
Wo wohnst du zurzeit?
In einer Wohnung mit meinem Freund in Sinabelkirchen.
Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit?
Urlaube, soviel das wir unterwegs waren, nach Bosnien gefahren sind zu den Großeltern, so
sicher vier bis fünf Mal im Jahr. und so was gibt es da noch für Erinnerungen? Nichts
Besonderes.
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Hast du gleich Anschluss gefunden im Kindergarten und in der Schule?
Ja, ich kann mich nicht erinnern, dass es einmal nicht gepasst hätte.
Hast du negative Erinnerungen an deine Kindheit?
Sicher werden Scherze über deinen Nachnamen gemacht und so das ist das Einzige oder so
Fragen gestellt werden, warum bist du im Religionsunterricht nicht dabei, aber nichts
Bösartiges. Verletzt durch diese Scherze habe ich mich überhaupt nicht gefühlt.
In deiner Schulzeit konntest du dich leichter mit BosnierInnen oder mit Österreicher_innen
anfreunden?
Also, ich glaube, dadurch das ich am Land war, waren es nur Österreicher. Wir hatten gar keine
Leut mit Mitgrationshintergrund oder so und deshalb war ich nur mit Österreichern befreundet.
Ich habe auch heute gar keine Bosnischen Freunde.
Wie hat sich das auf dich persönlich ausgewirkt?
Ich fühl mich schon daheim in Österreich und ich würde niemals auswandern oder so und ich
möchte in Österreich bleiben, aber trotzdem fahr ich gerne Urlaub nach Bosnien oder zu den
Großeltern und Verwandten nach Bosnien.
Was schätzt du an Österreich besonders?
Das Bildungssystem, das Gesundheitssystem, also eigentlich das jeder ich rede jetzt vom Land,
ich weiß nicht wie es in der Stadt ist, aber jeder ist so freundschaftlich miteinander, jeder kennt
seine Nachbarn und versteht sich mit seinen Nachbarn und da kommt es gar nicht zur Sprache
woher jemand kommt oder diskriminierend sag ich jetzt Mal so. Ausländerfeindliche Sprüche
habe ich am Land schon gehört, aber nicht mir gegenüber. Meistens bekomme ich deren
politische Einstellung mit. Die meisten vergessen jedoch darauf, wenn Sie mit mir über Politik
reden, dass ich quasi Migrationshintergrund hab oder wenn so Sachen fallen, wie Jugos hin und
her, dass ist finde ich nicht auf mich bezogen, aber sie vergessen es meistens oder wissen es gar
nicht. Sie nehmen mich als Österreicherin wahr. Gar nicht so lange her, das war auch ein
Nachbar von mir, der war ziemlich rechts sag ich mal, der hat ziemlich wild, da war die
Flüchtlingskrise und so, da hat er auch wild geschimpft, das war auch nicht auf mich bezogen,
sondern generell und da habe ich meinen Senf dazugegeben. und gesagt, dass ich das nicht ok
finde und das ist seine Meinung und das ist meine Meinung, ja. Aber zum Glück ist er schon
ausgezogen [lacht].
Wie verbringst du deine Freizeit?
Ich habe einen Hund, das ist ein großer Zeitvertreib und ich hab eine Wohnung, was ziemlich
viel Arbeit ist. So viel Freizeit habe ich leider nicht. Unter der Woche arbeite ich von Montag
bis Donnerstag bis 17:00. Am Freitag bin ich den ganzen Tag am WIFI und Samstagvormittag
auch. Das heißt es bleibt eh nur Samstagnachmittag und Sonntag und da verbring ich meine
Zeit mit Freund, Haustiere, Familie und Freunde usw. Ich höre gerne Musik in meiner Freizeit,
manchmal lese ich auch gerne Bücher.
Auf welcher Sprache bevorzugst du deine Musik und Bücher?
Ich höre vor allem Rockmusik auf Englisch und Bücher vor allem auf Deutsch. Auf Bosnisch
höre oder lese ich nie etwas. Ab und zu schaue ich bei meinen Eltern bosnische TV Sendungen,
das heißt das ist nur nebenbei und wenn ich alleine bin, dann schaue ich Standard Serien wie
How I Met Your Mother und so. Also nichts Bosnisches.
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Wenn du an Bosnien und Herzegowina denkst, mit was verbindest du das Land?
Urlaub, Familie, Freizeit, schöne Landschaften, aber ich fahre sehr selten dorthin und ich würde
gerne öfters dorthin fahren, weil ich nur einmal im Jahr dorthin fahre. Mindestens zwei Mal,
vielleicht drei bis vier Mal würde ich schon gern fahren wollen.
Hast du Kontakt du Verwandten und Freunden in Bosnien und Herzegowina?
Nur zu den Großeltern und nur, wenn sie zu uns nach Österreich kommen. Aber telefonieren
oder schreiben tun wir eher selten.
Vermisst du Bosnien?
Wenn ich lange nicht dort bin dann schon und dann denk ich schon dran im Sommer manchmal
jetzt wäre es schon eine Woche Urlaub zu machen und dort hinzufahren und frei haben, aber
sonst kommt man eher selten dazu.
Könntest du dir vorstellen irgendwann in Bosnien und Herzegowina zu leben?
Nein, weil ich hier aufgewachsen bin, ich gebe es ehrlich zu ich rede besser Deutsch als
Bosnisch. Ich rede nur mit meinen Eltern Bosnisch sonst eigentlich mit niemanden, auch mit
meiner Schwester rede ich nur Deutsch. Oft kommt es auch vor, dass ich zwischen den
Sprachen hin und her springe. Wenn mir ein Wort nicht auf Bosnisch einfällt, verwende ich
dann immer gleich das Deutsche, zum Beispiel mit meinen Eltern. Ich war ehrlich gesagt am
überlegen, ob ich nicht mit meinem Freund einen Bosnisch Kurs am Wifi mach, weil mich das
schon interessiert hat. Bei meinem Onkel ist es auch so er ist Bosnierin und seine Freundin ist
Österreicherin und sie redet mittlerweile auch schon richtig gut Bosnisch. Ja gut, sie sind auch
schon mehrere Jahre zusammen. Mein Freund hätte auch nicht nein gesagt zu einem Kurs,
damit er sich zumindest ein wenig mit meinen Großeltern unterhalten könnte, weil so ist es
schwierig, sie können kein Deutsch, er kann kein Bosnisch. Du brauchst immer einen
Dolmetscher, das ist anstrengend.
Hättest du gerne einen größeren Bezug zu Bosnien und Bosniern in Österreich?
Eigentlich passt es so wie es ist. Über Bosnien kann ich mich mit meinen Eltern unterhalten
und Familie usw. Mit meinen Freunden, das interessiert eher keinen. Sag ich einmal.
Wo fühlst du dich daheim?
In Österreich.
Warum?
Es ist nicht Österreich, es ist glaub ich, in Niederösterreich würde ich mich auch nicht wohl
fühlen. Genau dort in der Ortschaft in der ich aufgewachsen bin, ein paar Kilometer weiter bin
ich vor kurzem hingezogen und genau in diesem Umfeld will ich auch nicht raus, ich kenne
jeden, ich bin dort aufgewachsen, ich kenne mich dort aus und ja.
Könntest du mir ein bisschen mehr über deine Bildungs- und Berufslaufbahn erzählen?
Ich bin Volksschule, Hauptschule und dann habe ich 4 Jahre HLW gemacht, die hab i dann
abgebrochen, weil ich ausziehen wollte und Geld verdienen wollte. Jetzt bin ich Lehrlings- und
Bürokauffrau. Mache auf dem Wifi nebenbei die Lehre mit Matura und English habe ich schon
hinter mir und jetzt habe ich noch Mathe, Deutsch und BWL vor mir. Ich überlege schon seit
einem Jahr was ich gerne in Zukunft machen möchte und interessieren würde mich
Arbeitsrecht, aber ja, so Beratung auf der Arbeiterkammer oder so wenn etwas nicht passt mit
Arbeitgeber oder so, dass man die Arbeitnehmer unterstützen kann. Eher in diese Richtung,
vielleicht beim AMS, wenn jemand eine Arbeit sucht, so als Beratung.
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Glaubst du, dass deine Eltern eine stärkere Verbindung zu Bosnien haben als du? und wenn ja,
warum?
Schwierig, ja ich glaube schon. Ist klar, ihnen geht es so wie es mir geht, ich bin hier
aufgewachsen und sie sind dort aufgewachsen und haben Familie und Freunde gehabt, aber ich
glaube mittlerweile sind sie schon länger in Österreich als sie in Bosnien gelebt haben und ich
glaube sie haben sich auch relativ gut eingelebt und integriert. Ich fühle mich mehr in Österreich
Zuhause als in Österreich. Ich war schon als Kind über die Sommerferien in Bosnien, aber ich
habe nie Freundschaften schließen können, weil man immer nur für ein paar Wochen dort war
und dann fürs restliche Jahr in Österreich war.
Wenn du könntest, was würdest du an deinem persönlichen Leben in Österreich verändern?
Die Wohnungssituation, ich will ein Haus haben mit viel Grund und Tieren usw. und ich bin
schon sechs Jahre mit meinem Freund zusammen und das heißt ich wurde schon gerne an Heirat
und so weiterdenken. Aber das ist in ein paar Jahren und nicht sofort.
Und generell würdest du gerne etwas verändern wollen in Österreich?
Ja, die Ausländerfeindlichkeit, weil ich habe von der Schule aus ein Praktikum machen müssen
und bei der Praktikum-Stelle habe ich eine Betreuerin gehabt, die hat mir erzählt, sie ist sicher
schon 60 und sie hat mir erzählt, wie damals als die Flüchtlingskrise war wie Bosnier nach
Österreich gekommen sind, haben sie sogar Leute aufgenommen Zuhause und denen geholfen
und hin und her und wenn man das jetzt anschaut, wird nur gehetzt und gestritten und
diskriminiert und hin und her. Die Leute sollten nicht abgeschoben werden und immer nur in
Gruppen sein. Syrer sollten nicht nur unter Syrern sein zum Beispiel. Sie sollten auch Kontakt
zu Österreichern aufbauen können und sich mit denen anfreunden können. Und dass sie nicht
im Asylverfahren arbeiten dürfen ist ein riesiges Problem, gerade in der Arbeit knüpft man
Bekanntschaften und Freundschaften. Oder der Fall was in Wien war, dass der eine Asylant
eine Lehre bekommen hat und dann abgeschoben worden ist, ohne einen triftigen Grund. Vor
allem in Österreich braucht man eh Fachkräfte und es gibt eh genug Arbeit und dann nehmen
sie die Leute nicht her. Solche Sachen.
Ich glaube auch, dass die Bosnier es leichter gehabt haben in den 1990er Jahren, weil die Leute
früher offener waren gegenüber Flüchtlingen als jetzt. Ich glaube die Österreicher haben eine
Angst, ich weiß zwar nicht wovor, aber einen anderen Grund kann ich mir nicht vorstellen. Sie
haben vielleicht Angst keine Arbeitsstellen zu bekommen, wenn andere herkommen und die
Arbeit übernehmen. Ich weiß es nicht.
Gibt es noch etwas was du anmerken möchtest?
Ich denke schon in ein paar Jahren ans Heiraten und Babies und dann denk ich mir es ist
schwierig, weil mein Freund Österreicher und christlich ist und ich Moslem bin und das
vielleicht schwierig wird mit seinen Eltern, weil die vielleicht wollen, dass die Kinder getauft
werden und hin und her und dass da Streitereien herauskommen könnten. Wir sind aber beide
fürs Heiraten in ein paar Jahren, da wir doch noch jung sind. Wir haben schon darüber geredet
und wir haben beide gesagt, dass es sind unsere Kinder wenn es soweit ist und da haben die
Eltern nicht wirklich so viel mitzureden. Würde ich jetzt so einmal behaupten. Entweder werden
sie nach beiden Religionen erzogen oder nach gar keiner. Wir sind jedoch beide überhaupt nicht
religiös.
141
Familie 3
Nezir
59 Jahre alt
in Firma für Holzverarbeitung
Wann und unter welchen Umständen sind Sie nach Österreich gekommen?
Das erst Mal kam ich im Jahr 1994 nach Österreich, weil ich in Bosnien blieb während des
Krieges. Meine Frau, mein erstes Kind und meine Eltern kamen im Jahr 1992 nach Österreich.
Ich blieb unten und bekam im Jahr 1994 einen Monat frei, in dieser Zeit besuchte ich meine
Familie in Österreich. kehrte jedoch nach einem Monat zurück. Im Jahr 1995 nach dem der
Krieg beendet war, reiste ich mithilfe der Familienzusammenführung im Jahr 1995 nach
Österreich. (...)
Könnten Sie mir etwas über ihre anfängliche Zeit in Österreich erzählen?
Am Anfang war es natürlich schwierig, ein anderes System des Lebens, man kennt die Sprache
nicht und muss mit 1500 Schilling pro Person auskommen. Wir hatten insgesamt 4500
Schilling, wir mussten mit diesem Geld leben. Uns wurden dann Jobs angeboten inklusive der
Arbeitserlaubnis. Österreich wollte zu dieser Zeit so viele Flüchtlinge wie möglich
beschäftigen, um das Sozialsystem zu entlasten. Ich bekam meine Arbeitserlaubnis in einer
Firma für Holzverarbeitung. Ich versuchte zuerst in einer Metallfirma einen Job zu bekommen,
jedoch zu dieser Zeit wurden vom AMS dort keine Stellen zur Verfügung gestellt. Ich habe 4-
5 Monate in der Firma für Holzverarbeitung gearbeitet. Ich bekam dann eine Kündigung und
besuchte dann einen Kurs am AMS für Holzverarbeitung. Danach begann ich wieder in der
Firma zu arbeiten. Ich besuchte nie einen Deutschkurs. Ich hatte Glück, dass ich am Anfang
mit bosnischen Kollegen gearbeitet habe und mir das die Kommunikation erleichterte. Ab 1998
begann ich in einer neuen Firma an zu arbeiten, in welcher nur Österreicher arbeiteten. Diese
Situation hat mir auch wahrscheinlich geholfen, die Sprache zu erlernen. Also ich war faktisch
gezwungen die Sprache zu lernen.
Wie haben die Österreicher sie in Österreich aufgenommen? Welche Erfahrungen konnten Sie
da machen?
Unterschiedlich. Als ich erst ankam bewegte ich mich vor allem in den Kreisen meiner Familie
und Menschen aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Ich erlebte Unterschiedliches. Ich
ging ab und zu schwarzarbeiten, um meine Einnahmen etwas zu erhöhen und da stieß ich auf
Betrüger, welche mir viel Geld schuldig blieben. Auf der anderen Seite gab es auch Menschen,
die uns besser aufnahmen und uns Jobs anboten. Ich muss sagen, dass es nicht nur negatives,
sondern auch positives gibt.
Wo genau lebten Sie am Anfang?
In St. Paul bei meiner Schwester. Dort waren auch meine Eltern und meine Frau und Kinder.
Als ich anfing zu arbeiten, zogen wir in eine Wohnung um. Dort lebten wir vier Jahre. Dadurch
dass ich immer mehr als 100km pendeln musst, entschlossen wir uns nach Bad St. Leonhard zu
ziehen. Nach 6 Monaten ging diese Firma pleite. Bald fand ich einen neuen Job und wir sind
noch immer in Bad St. Leonhard.
Was war für Sie in der anfänglichen Zeit positiv und was negativ?
Am Anfang kannten wir uns nicht aus, wir waren unentschlossen, ob wir bleiben sollten oder
doch nach Bosnien zurückkehren sollten. Ich habe auch nicht erwartet, dass der Krieg so lange
dauert. Man hatte immer den Gedanken im Hinterkopf, wir werden schon zurückkehren. Ich
142
glaube, dass ich mehr positive Dinge erleben konnte als negative. Zum Beispiel wo ich
angefangen habe zu arbeiten, sie haben mich wirklich sehr gut aufgenommen. Ich war der
einzige Ausländer und sie halfen mir mich zu Recht zu finden. Wenn ich etwas nicht wusste,
erklärten sie mir es manchmal sogar mehrmals. Natürlich gibt es überall gute und schlechte
Menschen. Es gab auch Situationen, wo mich manche Menschen anfingen zu beschimpfen.
Wahrscheinlich beschimpften sie mich weil ich ein Ausländer bin.
Gab es andere Schwierigkeiten?
Ich hatte eigentlich keine Schwierigkeiten, weil ich eine sehr kommunikative Person bin, fällt
es mir auch leichter Anschluss zu finden. Manche meiner Landsleute hatten vielleicht
Probleme, weil sie gewisse Dinge nicht erklären konnten. Wenn es zum Thema der Religion
kommt und ich sage meinen Kollegen, dass ich kein Fleisch esse, kommt auch gleich die Frage,
aber warum. Ich erkläre es ihnen und warum es in unserer Religion verboten ist. Nicht nur
Schweinefleisch ist verboten, sondern auch andere Dinge, die für den Körper schädlich sind.
(...)
Haben Sie neue Bekanntschaften und Freundschaften schließen können?
Ja, konnte ich. Vor allem auf der Arbeit. Auch wenn wir zum Beispiel nicht mehr miteinander
arbeiten, hören wir uns ab und zu und gehen manchmal etwas trinken. Hier wo ich wohne, habe
ich auch gute Beziehungen mit meinen Nachbarn. Ich bin schon zwanzig Jahre in dieser Stadt.
Es ist keine große Stadt, jeder kennt fast jeden hier. Aber die meiste Zeit verbringen wir mit
unseren bosnischen und kroatischen Nachbarn. Wir sprechen nicht über Politik und dann ist
alles gut. Ich glaube dadurch, dass wir die gleiche Mentalität haben und wir uns gegenseitig
immer helfen wollen, kann es sein dass wir deswegen mehr Zeit mit unseren bosnischen und
kroatische Nachbarn verbringen. Wenn jemand etwas braucht, sind wir immer zu stelle und es
fällt einem auch leichter seinen Mann zu fragen als einen Österreicher. (...)
Hat sich in der Zwischenzeit etwas verändert?
Es hat sich nicht viel verändert. Die Jahre haben sich verändert. Heute ist das Leben Firma und
Haus. Die Österreicher habe ihre Meinung über uns. Ich glaube, dass Sie ihre Meinung über
uns sich in den 1970er Jahren gebildet haben, wo die Gastarbeiter nach Österreich kamen. Das
waren vor allem ungebildete Menschen, mit 4 Jahren Grundschule. Sie haben nichts gewusst.
Als der Krieg war, kamen auch viele Menschen mit hoher Ausbildung. Aber Österreicher hatten
noch immer das Bild vom Jugo, welcher ungebildet ist und faktisch nichts wissen. Es brauchte
auch viel Zeit, um ihnen zeigen, dass du nicht ungebildet bist, dass du vielleicht auch mehr
Bildung hast als sie.
Was unternehmen Sie in ihrer Freizeit?
Man hat sehr wenig Freizeit (lacht). Vor allem besuche ich Familie, ich habe zwei Schwester,
ich besuche auch Nachbarn, weil meine Frau auch am Samstag arbeitet, haben wir nicht so viel
Zeit gemeinsam. Wenn ich Fernsehen schaue, dann schaue ich vor allem bosnische und Ex-
Jugoslawische Sender. Natürlich schaue ich ab und zu auch österreichische Kanäle. Meine
Kinder schauen aber mehr deutsche Programme als ich und meine Frau.
Sind sie als mehr zu ihrer Heimat verbunden als ihre Kinder?
Ja, würde ich sagen. Wir haben doch ein bisschen mehr Heimweh, wie man so sagt. Die
Nostalgie ist vorhanden. Wir haben uns von Bosnien auch nicht entzweit, wir gehen regelmäßig
vier bis fünf Mal dorthin. Meine Frau und ich haben beide noch Eltern in Bosnien, deswegen
sind wir noch immer sehr stark mit Bosnien verbunden. Wir haben auch regelmäßigen Kontakt
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zu unseren Verwandten. Auch unsere Kinder fahren gerne nach Bosnien, sie haben Bosnien nie
vergessen.
Wo fühlen sie dich daheim?
Ich fühle mich in Bosnien daheim. Dort ist mein Zuhause. Hier bin ich nur vorübergehend. Hier
in meiner Nähe ist eine Autowerkstatt. Dort gehe ich ziemlich oft hin. Der Chef der Werkstatt
fragt mich wie lange ich schon in Österreich bin. Ich habe ihm gesagt, dass ich schon siebzehn
Jahre hier bin. Er fragte mich dann, ob ich die Staatsbürgerschaft angenommen habe, weil ich
schon so lange hier bin. Ich antwortete mit Nein. Er war ganz verwundert und fragte aber warum
nicht. Wenn ich die Staatsbürgerschaft annehme, dann muss ich mich aus Bosnien ausschreiben
und wenn ich dann nach Bosnien fahre bin ich ein Ausländer und hier bin ich trotzdem auch
ein Ausländer. Ich wäre dann mein ganzes Leben ein Ausländer, denn ich werde nie ein
Österreicher werden. Ich könnte zehn Staatsbürgerschaften annehmen und ich wäre noch immer
ein Ausländer. Sie (die Österreicher) werden mich nie als Österreicher annehmen. Unten bin
ich geboren, untern bin ich aufgewachsen und dort gehöre ich auch hin.
Glauben Sie, dass Sie irgendwelche Nachteile habe aufgrund ihres Migrationshintergrundes?
Ja, vielleicht von vereinzelten Personen. Aber im Generellen würde ich sagen, dass es keine
Diskriminierung gibt. Es gab Situationen, wo manche nicht mit mir reden wollten und
überhaupt keinen Kontakt haben wollten. Das sind aber einzelne Personen.
Würden Sie gerne zurück nach Bosnien ziehen?
Wenn ich dann kann, ja. Vielleicht wenn ich in Pension bin. Ich habe untern ein Haus, also ganz
ausschließen möchte ich es nicht. Mein Wunsch wäre es zurückzugehen.
Sind Sie zufrieden mit ihrem Leben in Österreich?
Ja bin ich, obwohl ich es nicht geschafft habe, meine Schule aus Bosnien hier anerkennen zu
lassen. Ich glaube, dass es jetzt schon zu spät bin. Für die jüngere Generation ist es vielleicht
jetzt auch einfacher sich zu bilden. Es gab für mich auch die Möglichkeiten mit weiterzubilden,
jedoch aufgrund meiner damaligen Situation habe ich es nie gemacht.
Wollen Sie noch etwas abschließen sagen?
Ja, ich habe in vier unterschiedlichen Firmen gearbeitet und im Großen und Ganzen hatte ich
Glück in einem guten Umfeld zu arbeiten. Ich lernte gute Menschen kennen. Die vereinzelten
negativen Situationen, die vergisst man aber dann auch ziemlich schnell.
Seida
52 Jahre alt
Kochassistentin
Wann sind Sie nach Österreich gekommen?
Ich bin im Oktober 1992 nach Österreich gekommen. Zuerst waren wir aber in Kroatien und
von dort sind wir nach Österreich gekommen. Mein Mann war aber nicht mit uns geflüchtet. Er
war in Bosnien Soldat. Ich kann mich erinnern, dass er einmal frei bekommen hat und uns in
Österreich besucht hat. Er kehrte jedoch zurück. In dieser Zeit hatte ich jeden Tag Angst um
ihn, man wusste ja nicht was passiert. Wir hatten auch sehr wenig Kontakt. Ich flüchtete damals
mit meiner Tochter nach Österreich. Als wir in Österreich angekommen sind, konnten wir bei
der Schwester meines Mannes und ihrem Mann unterkommen. 10 Jahre lebten wir bei ihnen
und später kam mein Mann, leider weiß ich nicht in welchem Jahr er nach Österreich kam.
Nachdem mein Mann nach Österreich gekommen ist, suchte er sofort nach Arbeit. Es war nicht
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einfach die Zeit, aber wir haben es ausgehalten. Ich war die meiste Zeit Zuhause und bekam
später zwei weitere Töchter. In der Zwischenzeit sind die Kinder groß geworden und ich begann
zu arbeiten. Ich habe nicht viel gearbeitet, jetzt arbeite ich. Ich hatte nie irgendwelche Probleme,
dass ich mich irgendwie beschweren könnte.
Wo sind sie aufgewachsen?
Ich bin in Tesanj geboren und nach der Heirat zog ich nach Teslic. In Tesanj besuchte ich auch
die Schule.
Wie war ihre Situation in der anfänglichen Zeit in Österreich?
Es war schwierig am Anfang, da mein Mann unten war. Ich bin alleine mit meiner Tochter nach
Österreich geflüchtet. Es war nicht leicht. Wir bekamen jedoch Hilfe von Österreich und
bekamen monatlich 1500 Schilling. Wir hatten auch eine Gesundheitsversicherung.
Wie habe sie die Österreicher aufgenommen?
Ich kann mich nicht beschweren, ich hatte keine Probleme, wie ich von manchen Anderen
gehört habe. Ich arbeite schon 10 Jahre hier und hatte auch mit meinen Kollegen nie Probleme.
Welche Schwierigkeiten hatten Sie am Anfang?
Sprache war die Schwierigkeit Nummer eins, weiters fehlte mir die Familie, das eigene Land,
die Leute, also einfach alles. Ich konnte aber schnell Bekanntschaften schließen, was die ganze
Sache auch etwas erleichterte. Bis heute habe ich hier noch einige Freundschaften erhalten und
sie sind wie Familie für mich. Ich hatte einige Familien, wo ich früher gelebt habe, ich habe bei
ihnen ab und zu gearbeitet und sie gaben mir sehr oft Geschenke für meine Familie in Bosnien.
Hat sich in der Zwischenzeit etwas verändert?
Es hat sich nicht viel verändert für mich persönlich. Ich fühle mich in Bosnien und Herzegowina
noch immer Zuhause. Auch wenn ein Österreicher in mein Land kommen würde, wäre es nicht
das gleiche für ihn wie in seinem Land. Aufgrund der Sprache, des Nachnamens werde ich
mich nie wirklich als Österreicherin sehen können, auch wenn ich die österreichische
Staatsbürgerschaft annehme. Ich bin eine Ausländerin.
Gehen Sie oft nach Bosnien?
Ja, ich fahre oft nach Bosnien!
Haben Sie regelmäßigen Kontakt zu Verwandten in Bosnien?
Ja ich höre mich regelmäßig mit Verwandten. Wir telefonieren oder schreiben übers Internet
miteinander.
Würden Sie gerne für immer nach Bosnien ziehen?
Ja, ich würde sehr gerne zurück. Ich kann die Pension kaum erwarten. Ich gehe dann sofort
zurück. Das ist schon ein Wunsch von mir.
Ich vermisse Bosnien, ich bin dort geboren, meine Wurzeln liegen dort und dort bin ich
aufgewachsen. In Österreich fühlt es sich anders an, die Mentalität ist anders, alles ist anders.
Es sind nicht alles Österreicher gleich, genauso wie die Bosnier nicht alle gleich sind. Manche
haben Herz manche nicht. Aber Bosnien ist Bosnien.
Fühlen Sie sich wohl in ihrer Arbeit?
Ja ich fühle mich sehr wohl. Ich arbeite in einer Küche. Ich habe dort keine Probleme.
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Was machen Sie gerne in ihrer Freizeit?
Ich spaziere ein wenig, ich treffe Freundinnen und so. Also auf Bosnisch schaue ich regelmäßig
Fernsehen und höre regelmäßig Musik. Aber ich höre auch gerne deutsche Musik.
Unterschied zwischen Österreich und Bosnien?
Bosnier haben Herz und Seele. Sie sind anders. Ich habe das Gefühl, dass Österreicher kalte
Menschen sind. Persönlich habe ich nie eine schlechte Erfahrung gemacht, aber generell habe
ich schon das Gefühl bekommen, vor allem über Medien, dass es so ist.
Zum Beispiel konnte ich auch beobachten, wenn ihn Österreich jemand stirbt. Von außen
betrachtet, sieht es so aus als wäre es ihnen egal. Bei uns ist das irgendwie anders.
Glauben sie, dass ihre Kinder eine schlechtere Verbindung zu Bosnien haben? Und wenn Ja,
warum? Wenn Nein, warum nicht?
Sie lieben Bosnien. Sie fahren auch oft nach Bosnien. Sie lieben es hier aber auch. Sie haben
immerhin in Österreich viel mehr erlebt, im Kindergarten, in der Schule und so weiter.
Wie haben Sie Deutsch gelernt?
Ich hatte leider keine Gelegenheit einen Deutschkurs zu besuchen, weil die Kinder damals, wo
ich Zeit hatte klein waren. Ich habe dann mit ihnen zusammen ein wenig Deutsch gelernt. Später
dann wo ich arbeiten anfing, habe ich Deutsch noch besser erlernen können.
War es schwierig die Arbeitserlaubnis zu bekommen?
Es war nicht schwierig. Die Schwester meines Mannes hatte mit ihrem Mann ein Lokal, in
welchem wir arbeiteten. Wir lebten und arbeiteten mit der Familie dort, jedoch am Anfang
haben wir schwarzgearbeitet.
Wie gefällt ihnen ihre Leben heute in Österreich?
Für mich ist es super. Ich mag die Leute hier. Es ist mein Zweites Land, hier habe ich 23 Jahre
meines Lebens verbracht. Aber trotzdem zieht es mich zurück in meinen Ort, wo ich geboren
wurde.
Protokoll nach dem Gespräch:
Ich habe Niemanden hier, meine Brüder, Schwestern und alles meine Verwandten sind in
Bosnien. Ich hatte aber nie Probleme. So zum Beispiel meine Vermieterin, sie ist wie eine
Mutter für mich. Ich hatte einmal starke Bauchschmerzen und die Rettung kam und sie rannte
mir hinterher, um zu sehen was passiert war. Sie mag auch bosnische Pita und ich mache ihr
öfters Pita und dafür bringt sie mir dann auch unglaublich viele Dinge, um sich zu bedanken.
Aber mein Mann hatte Schwierigkeiten, wo er nach dem Krieg herkam und Arbeiten anfing.
Ein Mann hat in mal hintergangen. Er arbeitete einen ganzen Monat in Klagenfurt und bekam
von seinem Chef am Ende des Monats nur 100€ für den ganzen Monat. Er arbeitete schwarz,
niemand konnte Deutsch sprechen. Dieser Chef hatte seine eigene Baufirma und er wusste, dass
er machen kann was er will. (…) Ich wollte am Anfang als ich in Österreich angekommen bin,
die Sprache gar nicht wirklich lernen, weil ich mir dachte, dass wir bald nach dem Krieg
zurückkehren, aber es hat sich doch nicht so ergeben. Ich erinnere mich eines Abends im Lokal,
wo einige bosnische Männer in das Lokal kamen und riefen: "Sarajevo, Sarajevo wird
beschossen" und im Lokal waren auch ein paar andere österreichische Männer, die gleich darauf
erwiderten: "Sarajevo, Sarajevo, man muss Sarajevo verteidigen". So in der Art, warum geht
ihr nicht nach unten und hilfts, anstatt hier zu sitzen und zu mekern.
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Nadia
29 Jahre alt
Berufstätig
In Teslic geboren, Bosnien
Wann bist du nach Österreich gekommen?
1992, Ich war 2 Jahre alt.
Wie war es für dich in Österreich aufzuwachsen?
Also ich hatte eigentlich keine Probleme, ich hatte eine schöne Kindheit, wurde in der
Hauptschule akzeptiert und in der Volksschule. Klar gab es ab und zu Schimpfwörter wie Jugo
und so, aber das war jetzt nicht irgendwie, dass es mich negativ geprägt hätte oder so. Aber das
sind Kinder gewesen, aber für mich war das kein Problem, ich habe trotzdem Anschluss
gefunden.
Welche Schule hast du besucht? Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit?
Also, Volksschule, Hauptschule und dann noch 5 Jahre HLW. An die Kindheit. Da habe ich
nur positive Dinge. Also ich hatte voll Angst, wo wir hierher gezogen sind nach Bad St.
Leonhard, weil Kinder sind gemein in der Pubertät und Hauptschulzeit, da hatte ich voll Angst,
dass ich keinen Anschluss finde und Gott sei Dank war meine Nachbarin hier. Irgendwie in den
Sommerferien habe ich mich mit ihr angefreundet, durch meinen Papa, weil er mich gezwungen
hat, weil ich voll schüchtern war. Am ersten Schultag waren wir gemeinsam in der Klasse und
war eigentlich habe mich voll wohl gefühlt in der Klasse und war eigentlich fast die einzige
Ausländerin in der Klasse. Wenn ich jetzt zurückdenke, glaube ich, dadurch, dass ich fast die
einzige war, habe ich mich besser integrieren können. Wenn du jetzt schaust sind viele
Ausländer zusammen und dann merkst du schon, dass sie dieses "Ausländerdeutsch" haben und
keine Ahnung, mir persönlich fällt das auf. Hier in Bad St. Leonhard hatte ich gar keinen
Kontakt zu Ausländern. Erst später habe ich Ausländer kennengelernt.
Hattest du in deiner Kindheit irgendwelche Schwierigkeiten?
Nein, gar nicht und ich habe mich nie unwohl gefühlt.
Was schätzt du an Österreich ganz besonders?
Ich finde, dass die Österreicher extrem höflich sind im Gegensatz zu uns. Hier gibt es halt Bitte
und Danke, was es halt bei uns gar nicht gibt. Zum Teil finde ich halt. Ja, dass sie so ein System
für das Leben haben. Also ja nicht so ich mach das morgen.
Österreicher sind pünktlich und konsequent.
Konntest du viele Freundschaften in Österreich schließen?
Ja, durch die Schule konnte ich auch sehr viele Freundschaften mit Österreichern schließen. Ich
muss sagen ich habe einen gemischten Freundeskreis. Aber die Freunde, die ich schon längere
Zeit habe, sind schon teilweise Österreicher. Auch durch die Arbeit konnte ich neue
Freundschaften schließen. Meine bosnischen Freunde habe ich dann aber eher durch die Eltern
und durch das Fortgehen kennen gelernt.
Wo gehst du gerne fort?
Also ich mag es gerne gemischt. Also ich gehe halt gerne in bosnischen Clubs fort und ich gehe
auch gerne in österreichische Clubs fort. Abwechslung tut gut.
147
Wie verbringst du deine Freizeit sonst so?
Netflix und Chill, nein Spaß. Es ist immer verschieden. Ich habe keine Hobbys. Das einzige
was ich so mache ist ins Fitness Studio zu gehen, aber sonst nichts. Ich höre gerne Musik. Also
eher RnB und Hip Hop. Wenn ich mich mal zum Lesen bewege, sind das dann vor allem Bücher
auf Deutsch, weil ich es besser verstehe. Ich habe auch bosnische Bücher gelesen, aber ich kann
mich in deutsche Bücher viel mehr versetzen. Ich lese leichter auf Deutsch.
Wenn du an Bosnien und Herzegowina denkst, mit was verbindest du das Land?
Also eigentlich Heimat und Familie, weil es ist doch schon mein Heimatland und wenn ich
unten bin, dann merke ich schon, dass ich schon traurig bin ab und zu. Keine Ahnung ob das
ist, weil ich Familie, Großeltern noch unten habe, wenn die nicht mehr sind. Ich glaube es ist
trotzdem nicht so, dass man sich so arg verbunden fühlt. Es ist schwer zu sagen, was Heimat
ist. Ich fühle mich hier Zuhause und unten auch. Wenn du in Bosnien bist, bist du eher nur auf
Urlaub und hier ist es halt schon, du hast dein Leben aufgebaut, hast eigentlich deine ganze
Kindheit, bist groß gewachsen hier, aber es ist trotzdem, weiß nicht. ich fühle mich unten auch
mega Wohl.
Hast du regelmäßigen Kontakt zu Bekannten, Verwandten und Freunden?
Also ich würde sagen, Freunde habe ich noch einige, früher war es halt viel mehr, aber dadurch,
dass die meisten Partner habe und Kinder, ist es alles verlaufen. Freunde und Familie, hmm,
kommt drauf an, im Monat sicher ein paar Mal, aber jetzt nicht regelmäßig. Ich bin auch so ein
Mensch ich rufe immer meinen Opa an, so einmal die Woche und zu Tanten oder so über
WhatsApp.
Wie oft fährst du nach Bosnien und Herzegowina?
Im Durchschnitt würde ich sagen drei bis vier Mal im Jahr.
Vermisst du eigentlich Bosnien trotzdem?
Ich merke halt, dass desto länger ich unten bin, desto schwerer fällt es mir Heim zu fahren.
Irgendwie wenn es dann voll die schöne Zeit ist und viel unternimmst und mit Familie die ganze
Zeit bist, merke ich dann schon, dass es ein bisschen im Herzen weh tut und dann fällt die eine
oder die andere Träne beim Heimfahren, aber dass ich jetzt hier sitze und es vermisse, würde
ich nicht sagen. Also manchmal kommt schon die Sehnsucht runter zu fahren. Das ist dann eher
wegen der Familie.
Könntest du dir vorstellen einmal nach Bosnien zu ziehen?
Ja, also ich habe das öfters schon gesagt, wenn ich einen guten Job und ein gutes Gehalt hätte,
könnte ich mir schon vorstellen unten zu leben. Aber wenn, dann eher in einer Großstadt.
Glaubst du, dass du eine stärkere Verbindung zu Bosnien hast als deine Eltern und Geschwister?
Also als meine Eltern sicher nicht, aber als meine jüngeren Geschwister schon. Ich merke es
oft, dass meine Verwandten, weil ich dort geboren bin und die mehr Bezug zu mir haben, merke
ich schon den Unterschied bei den Kleinen, dass sie nicht so stark fokussiert sind wie ich.
Glaubst du, dass du aufgrund deines Migrationshintergrundes auf irgendeine Art und Weise
diskriminiert worden bist?
Also nein, persönlich nicht. Nicht direkt wegen des Migrationshintergrund. Wenn, dann eher
wegen der Religion. Also, dass halt immer dumme Fragen kommen, wo ich mir jedes Mal denk,
das habe ich schon hundert Mal gesagt. Was mich dann halt irgendwann einmal nervt. Zum
Beispiel, jedes Jahr zu Weihnachten werde ich gefragt: "Warum feierst du kein Weihnachten?"
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und dann sage ich, das habe ich schon hundert Mal erklärt, im Islam gibt es keine Weihnacht.
"Habt ihr einen Christbaum Zuhause?" "Nein, haben wir keinen!", "Und wieso habt ihr keinen
Christbaum?" und dann "Wieso ist du kein Schweinefleisch?" und dann sagst du schon so oft
und wenn dich dann die gleiche Person schon zum zehnten Mal fragt, dann irgendwann nervt
es halt. Das sind so Dinge wo ich mir denke, wenn man mir ein oder zwei Mal sagt ist so, dann
akzeptiere ich das. Aber nicht jedes Jahr vor Weihnachten so, "Aber schenkt ihr euch trotzdem
was?" [lacht]. Ich glaube auch, dass das Problem ist, das viele, es gibt vielleicht viele, ich sage
einmal Moslems, die Weihnachten feiern, also indirekt, wo zum Beispiel ich habe schon oft
gehört, dass Eltern ihren Kindern einfach Geschenke zu Weihnachten kaufen, damit sie nicht
benachteiligt werden. Dadurch dass manche so und manche so machen, ist es vielleicht für die
Österreicher verwirrend.
Gute Freundin Minute 20
Ich hatte in Graz immer so das Gefühl, dass sie hier Ausländer akzeptieren und dass es nicht so
schlimm ist und eine Freundin von mir, die ist dunkelhäutig und sie hat über 4 bis 5 Monate
eine Wohnung gesucht hat, mit der ich auch mit war. Ihr wurde ins Gesicht gesagt, dass sie
keine Wohnung bekommt, weil Sie schwarz ist. (...) Ich war so überrascht, dass die Leute so
schlimm sind. Du merkst schon, dass Leute die anders aussehen, Kopftuch oder Hautfarbe,
andere Blicke kassieren. ich beobachte das sehr oft im Bus. Dann denke ich mir so wow. Für
mich persönlich ist das nie ein Thema, weil ich akzeptiere die Menschen so wie sie sind und
egal woher der ist, solange wir uns verstehen ist mir das auch egal, aber anscheinend ist das bei
vielen nicht so.
Ich glaube, dass sich das auch mit der Zeit verschlechtert hat. Ich glaube wir damals hatten, für
uns war es da leichter, weil wir praktisch es nur wir waren und ich glaube durch den ganzen,
die ganze Flüchtlingspolitik ist es schlimmer geworden. Ich höre voll oft, ja du hast dich voll
gut integriert, bei dir merkt man keinen Dialekt, aber ich bin auch über zwanzig Jahre hier. Wie
soll jetzt jemand der mit Mitte 40 nach Österreich kommt Deutsch in einem Jahr lernen, das ist
ein Ding der Unmöglichkeit. Dass sie sich über solche Dinge aufregen finde ich schon schlimm.
Könntest du mir etwas über deinen Beruf erzählen?
Ich bin in einer Firma, die Antriebssysteme für Motoren macht und da bin ich in der Export-
und Zollabteilung und dort organisiere ich die ganzen Transporte, was von unserer Firma
gemacht werden.
Wie verstehst du dich mit deinen Kollegen?
Ich verstehe mich mit meinen Kollegen sehr gut und ich fühle mich dort sehr wohl.
Gibt es etwas was du verändern möchtest in Österreich?
Es ist halt einfach so, du hast einen Vollzeit Job, du gehst Arbeiten, kommst Heim und das ist
es. Also irgendwie ein bisschen mehr Leben, aber das ist sehr schwer und wird nicht möglich
sein. An der österreichischen Gesellschaft würde ich gerne die Kälte der Leute wegmachen,
dass sie ein bisschen herzlicher sind und nicht alle in eine Richtung blicken. Man merkt schon,
wie in Kärnten, die Leute sind ein bisschen zurückgeblieben, würde ich jetzt sagen, es klingt
böse, aber bei manchen Dingen denke ich mir. Zum Beispiel bei meinem Hauptschultreffen, da
waren zwanzig Leute und von diesen Leuten sind nur ich und noch einer nicht mehr hier und
alle anderen sind noch hier. Sie kennen nichts anderes als den Ort hier und das finde ich schade.
Sie sollten offener sein für neue Sachen. Vor allem die Leute am Land. In der Stadt ist es nicht
so stark verbreitet. Man merkt es immer wieder. Hier in Bad St. Leonhard wurde auch
Asylanten aufgenommen und die waren so, wie sie den ersten schwarzen Menschen gesehen
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haben, haben sie gleich so "Schau a Schwarzer!". Als wäre das was arges. Für die ist es so wow
ein Schwarzer
Almasa
20 Jahre alt
Buchhalterin
Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit?
Hauptsächlich spielen mit Freundinnen. Diese lernte ich durch die Freunde meiner Eltern
kennen und das waren meisten kroatische, serbische und bosnische Freundinnen, aber ich hatte
auch viele österreichische Freundinnen, die ich durch den Kindergarten kennengelernt habe.
Negative Erfahrungen in meiner Kindheit hatte ich Gott sei Dank nicht.
Was denkst du von Österreich?
Also ich finde Österreich ist schon ein tolles Land, weil hier die Gesetze streng eingehalten
werden, nicht so wie bei uns unten in Bosnien und das Gesundheitswesen ist auch nicht so wie
bei uns unten. Die Menschen sind viel organisierter und ordentlicher und tja das schätze ich an
Österreich sehr. Außerdem habe ich auch noch zwei sehr gute österreichische Freundinnen aus
der HLW, mit welchen ich noch immer befreundet bin.
Was unternimmst du gerne in deiner Freizeit?
Eigentlich Vieles zum Beispiel Kino gehen, mit Freundinnen treffen, shoppen. Ich höre auch
gerne österreichische Musik, aber doch lieber bosnische Musik. Die bosnische Musik gefällt
mir besser, wahrscheinlich ist es so, weil ich mit bosnischer Musik aufgewachsen bin. Ich muss
auch sagen, dass ich mehr Zeit mit meinen bosnischen und kroatischen Freunden verbringe als
mit meinen österreichischen Freunden.
Was unternimmt ihr dann zusammen?
Wir gehen was trinken, was essen, wenn wir fortgehen, dann fahren wir zum Beispiel nach
Villach oder Graz, solche Balkan Diskotheken oder, wenn wir einfach irgendwie was trinken
gehen, dann schon hier in Wolfsberg in normale Restaurants.
In welcher Sprache spricht ihr dann und warum?
Gemischt, halb halb. also halb Deutsch halb serbokroatisch. Warum das so ist weiß ich nicht,
es kommt einfach automatisch. Man überlegt nicht und man redet drauf los und wenn einen das
bosnische Wort oder das deutsche Wort nicht einfällt, sagt man automatisch das Wort auf der
anderen Sprache.
Hast du andere Hobbys?
Nein
Wenn du jetzt an Bosnien und Herzegowina denkst, was verbindest du mit dem Land?
Am meisten Familie, weil fast meine ganze Familie sich in Bosnien befindet, dann das
bosnische Essen, die bosnische Musik, dann dass die Menschen so offen sind und die gute
Laune, die Musik, das Tanzen.
Was würdest du sagen, sind die Unterschiede zwischen Bosnien und Österreich?
Die Österreicher sind nicht so gesellig wie wir, nicht so in Feierlaune wie wir und meiner
Meinung nach sind Österreicher ein bisschen geizig, also nicht so, wie soll ich sagen, wir geben
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mehr als sie. Dafür sind die Österreicher viel ordentlicher und organisierter als Bosnier. Zum
Beispiel, wenn es schneit dauert es in Bosnien zwei Tage bis einmal ein Traktor durch das Dorf
fährt und den Schnee wegräumt.
Wie siehst du dich? Mehr als Österreicherin oder mehr als Bosnierin? und warum?
Eher mehr als Bosnierin, weil ich mit meinen Eltern nur bosnisch sprechen und sie auch nicht
so gut Deutsch können, weil ich auch nur bosnische Verwandte und balkanische Freunde habe
und ich fast jeden Tag nur bosnisches Essen esse. Ich habe einen kleineren Bezug zu Österreich
und zu Österreicherinnen. Auch in der Schule war es irgendwie einfacher wenn man irgendwen
hat, wie zum Beispiel in der Schule hatte ich eine Freundin, sie war Kroatin und es ist irgendwie
einfacher, wenn man mit jemanden auf beiden Sprachen sprechen kann und etwas sprechen
kann was die anderen jetzt nicht verstehen sollen und es ist halt schön wenn man
irgendjemanden hat, der dich versteht und nicht so fragt ja, also, so, ich weiß nicht wie ich
sagen soll, so rassistische Fragen, wie zum Beispiel, seit ihr wirklich alle so streng gläubig?
Werdet ihr von euren Eltern geschlagen? oder echt so dumme Fragen von Mitschülern wie,
warum isst du kein Schweinefleisch? Explodierst du oder so wenn du Schweinefleisch ist? Das
sind schon provokante Fragen. Das könnte auch ein Grund sein, warum ich nicht so viele
österreichische Freunde habe.
Natürlich muss man hier unterscheiden, es gibt schon viele die akzeptieren dich schon, aber es
gibt auch viele, die auch in unserer Klasse über Ausländer schlecht geredet haben, obwohl sie
wissen, dass es Ausländer in der Klasse gibt, die mithören.
Gab es auch andere Situationen bei denen du dich unwohl gefühlt hast?
Ja bei einem Bewerbungsgespräch, dass ich im Juli hatte, da hat der Arbeitgeber auf mich
gefragt, ob ich faste, da habe ich gesagt nein, nur manchmal und da haben sie gesagt, wenn du
fastest, dann könntest du auch nicht bei uns arbeiten und ob ich einen Freund habe. Nicht dass
dieser mich ganz zwingt mich zu fasten und ob es stimmt, dass bei uns Frauen wirklich so
unterdrückt werden und der Mann die Macht über die Frauen hat. Diese Fragen haben mich
schon irgendwie sehr verletzt. Ich habe die Fragen aber ganz normal beantwortet und wurde
auch nicht wütend oder so ich blieb normal. Den Job habe ich dann nicht bekommen. Ich glaube
schon irgendwie, dass ich auf Grund meines Glaubens und Migrationshintergrundes diesen Job
nicht bekommen habe, weil sie meinten auch, dass sie eine bosnische Mitarbeiterin hatten und
die dann gekündigt hat, weil sie früh heiratete und nach Schweden zog. Deshalb glauben sie
jetzt, dass alle Ausländerinnen früh heiraten und den Job verlassen.
Andere Situationen in denen ich mich etwas unwohl fühlte war in der Schule. Da kamen schon
manchmal Lehrer mit rassistischen Sprüchen, wie zum Beispiel ich war immer im
Religionsunterricht, wegen meiner Freundin, weil sie römisch-katholisch war und sie wollte
nicht alleine im Unterricht bleiben und sie haben einmal einen Test geschrieben und da war
eine Vertretungslehrerin und sie hat den Test ausgeteilt und ich habe darweil Hausübungen
gemacht und Sie hat dann gemeint, was tust du da und ich so, ich schreibe den Test nicht mit,
weil ich nicht römisch-katholisch bin, sie meinte Entschuldigung, aber sie könnten den Test
auch mitschreiben, wäre ja nicht schlimm, wenn sie auch Christin wären, dann hätten wir nichts
gegen Moslems, Ich habe, dass auch nicht ganz verstanden. Aber ich habe es so aufgefasst als
hätte Sie etwas gegen Moslems.
Oder bei einer Weihnachtsfeier da mussten wir auch immer mit, also die muslimischen Schüler
und meine Freundin und ich sind als erstes bei Tür gestanden und wollten in den Saal, damit
wir einen besseren Sitzplatz kriegen und dann meinte die selbe Lehrerin auch ja schaut wie
gleich die Moslems einlaufen. Meine Freundin meinte dann sie ist Kroatin und römisch-
katholisch und keine Muslima und da meinte die Lehrerin war ja auch nur Spaß. Ich glaube
aber nicht, dass das Spaß war.
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Haben diese Ereignisse dazu beigetragen, dass du dich weniger als Österreicherin siehst?
Also ich fühl mich schon zu Bosnien mehr hingezogen, auch wenn ich nicht in Bosnien geboren
wurde, einfach wegen meiner Familie, weil wir so oft unten waren. Wir fahren so drei Mal im
Jahr nach Bosnien, aber, wenn ich könnte würde ich schon öfters dorthin fahren. Ich habe
Kontakt zu Verwandten. Leider habe ich keine Freunde in Bosnien, weil es in meiner Gegend
keine jungen Leute in meinem Alter gibt. Also nur Kinder und ganz alte Leute.
Was unternimmst du in Bosnien?
Also Schoppen oder in andere Städte fahren, Verwandte besuchen!
Vermisst du Bosnien?
Ja, manchmal schon aber, wenn ich zu lange unten bin, dann denk ich mir auch, ich will zurück
nach Österreich. Vor allem das Wasser in Österreich ist so gut. Das Wasser in Bosnien vertrage
ich überhaupt nicht. Ich vermisse Österreich schon und vor allem meine Freunde. Wenn ich
vielleicht älter bin, könnte ich mir vielleicht Vorstellen nach Bosnien zu ziehen, in der Pension
vielleicht, aber jetzt glaube ich nicht. Ich glaube ich habe mich schon zu sehr an Österreich
gewöhnt. Es sind schon unterschiedliche Länder, auch die Menschen sind anders. Hier ist alles
viel organisierter und auch die Wirtschaft ist viel besser. Von Bosnien flüchten auch viele
Menschen, einfach Wirtschaftsflüchtlinge, einfach, weil sie unten keine Arbeit finden.
Wo fühlst du dich daheim?
In beiden Ländern, es ist für mich beides gleich. Es gefällt mir in beiden Ländern sehr gut.
Erzähl mir mehr über deinen Beruf?
Ich habe erst vor einem Monat angefangen, deshalb kann ich noch nicht so viel sagen. Ich
mache Buchhaltung und besuche auch einen Abendkurs an der Wirtschaftskammer für
Personalverrechnung, damit ich dann auch die Personalverrechnung machen kann und ich helfe
auch der Sekretärin bei manchen Arbeiten. Ich fühle mich in meiner Arbeit sehr wohl. Ich bin
hier die Jüngste und die haben mich alle gut aufgenommen und die sind alle sehr nett zu mir.
Darweil fühle ich mich sehr wohl.
Glaubst du, dass deine Eltern eine stärkere Verbindung zu Österreich haben als du?
Ich glaube, dass meine Eltern eine stärkere Verbindung nach Bosnien haben, sie sind ja unten
geboren, aufgewachsen und wenn der Krieg nicht gewesen wäre, würden sie noch immer in
Bosnien leben und die Großeltern leben auch in Bosnien und deshalb fühlen sie sich bestimmt
stärker hingezogen als ich.
Glaubst du hat man Vorteile, wenn man in Österreich geboren würde?
Ich weiß es nicht, aber ich glaube schon, dass wenn du in Österreich geboren bist, sehen dich
die Menschen eher nicht so wie einen Ausländer als wenn du in einem anderen Land geboren
bist. Wenn mich irgendwer fragt, von wo kommst du und ich so aus Bosnien, dann kommt die
Antwort, du bist eh da geboren, du bist eh eine Österreicherin, sagen dann die Meisten und
wenn man dazu noch die Sprache perfekt beherrscht, sehen sie dich nicht so als Ausländer. Bei
meinen Eltern merkt man zum Beispiel an der Sprache, dass sie nicht so gut Deutsch können
und da sagen sie bestimmt Ausländer, aber bei uns nicht so. In Bad St. Leonhard gibt es
insgesamt 10 ausländische Familien und wir schauen vom Aussehen her normal aus, also wie
Österreicher, aber wenn jetzt die Asylanten oder die Türken durch die Stadt vorbeigehen, dann
schauen die Leute sie schon komisch an und bleiben stehen, drehen sich um.
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Emina
17 Jahre alt
Schülerin
am 10.03.2019 in Bad St. Leonhard
Wo bist du aufgewachsen?
Bad St. Leonhard
Könntest du mir etwas über deine Kindheit erzählen?
Ich wurde auf die bosnische Art erzogen, die Sprache wurde mir im Kindergarten beigebracht,
da meine Eltern kein Deutsch konnten. Dort wurde mir Deutsch beigebracht. Ich konnte auch
die österreichische Kultur kennenlernen. Ich habe keine Schwierigkeiten in meiner Kindheit
gehabt. Ich habe nicht geweint als ich zum Kindergarten gebracht wurde, ich habe das ganz
chillig gesehen.
Zur Schule bin ich auch in Bad St. Leonhard gegangen. Ich habe sehr schnell Anschluss
gefunden an die Klasse. Ich habe sehr leicht Freunde gefunden und in der Hauptschule waren
auch noch Kroaten, meistens war so eine Mischung. Ich habe sowohl österreichische,
bosnische, kroatische als auch serbische Freundschaften schließen können.
Gab es schlechte Erinnerungen aus deiner Kindheit`
Eigentlich gar nicht. In der Hauptschule kamen schon solche Sprüche wie Scheiß Jugo von den
Österreichern an mich persönlich, aber das sind halt Kinder, Kinder können damit halt nicht so
umgehen. Ich habe das trotzdem beleidigend empfunden. Meine Freundinnen und ich haben
diese Kinder angesprochen und dann kam unser Klassenvorstand und dann hat sie gesagt, dass
sie das nicht mehr sagen dürfen und dann war das auch nicht mehr.
Kannst du mir etwas Erfreuliches über Österreich erzählen?
Also ich bin eigentlich ziemlich froh, dass ich hier aufwachsen darf, weil ich finde der Staat ist
sehr gut geregelt. Zum Beispiel in Bosnien ist die Polizei achtet gar nicht auf die Gesetze oder
auch wenn man krank wird, geht man ins Krankenhaus und hat gar keine Schwierigkeiten
aufgenommen zu werden, das ist halt in Bosnien ziemlich schwierig.
Bestehen weitere Unterschiede zwischen Bosnien und Österreich?
Also in Österreich sind die Menschen sehr höflich, sie sind auch hilfsbereit und halt der Staat
ist sehr gut geregelt und es ist eine Gleichberechtigung, ja. Was meine Freundschaften in
Österreich angeht, glaube ich schon, dass manche hinter meinem Rücken reden, das gibt es
immer, aber so sind die Beziehungen zu meinen Freunden sehr gut, also keine Schwierigkeiten.
Was machst du in deiner Freizeit gerne?
Also ich geh halt in die Schule und das nimmt mir schon viel von meiner Freizeit aber, wenn
ich Freizeit hab, dann treffe ich mich mit meinen Freunden und dann gehen wir irgendwohin
was trinken oder in die Stadt.
In welcher Sprach sprichst du mit deinen bosnischen Freunden?
Beide Sprachen, sowohl Deutsch als auch Bosnisch, wir mischen das. Also ich glaube, wenn
man jetzt redet, dann fällt einem das Wort nicht auf Bosnisch ein und dann sagt man einfach
das deutsche Wort. Das hängt davon ab in welcher Sprache mir das Wort einfällt. Ich glaube
aber, dass ich besser Deutsch rede als Bosnisch. Wenn ich zum Beispiel Filme schaue, dann
bevorzuge ich die Filme auf Deutsch, da ich manche Wörter auf Bosnisch nicht verstehe und
dann fällt es mir auf Deutsch ziemlich leichter.
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Wenn du an Bosnien und Herzegowina denkst, mit was verbindest du das Land?
Also Erstes mit meiner Familie, mit den Menschen, wie sie offen sind und hilfsbereit. Also man
ist immer herzlich Willkommen. Man wird nie ausgeschlossen und mir gefällt auch das Essen
und dann die Kultur, also alles Positive.
Wie oft fährst du nach Bosnien?
Zwei bis drei Mal im Jahr.
Hast du Kontakt zu Verwandten und Freunden in Bosnien?
Ja.
Wenn du in Österreich bist, vermisst du Bosnien?
Ja, sicher. Ich würde gerne öfters nach Bosnien fahren. ich glaube ich habe einen starken Bezug
zu Bosnien.
Wo fühlst du dich Zuhause?
Schon eher hier, weil ich ja hier aufgewachsen bin und da habe ich auch meine Freunde und
meine Familie, meine Eltern, meine Geschwister, also eher hier.
Fühlst du dich in Österreich manchmal ausgeschlossen?
Also ich habe zum Beispiel die österreichische Staatsbürgerschaft nicht und dann darf man an
der Wahl nicht teilnehmen. Aber sonst fällt mir nichts ein. Aber da ich zurzeit Polizistin werden
will, dann brauchst man die österreichische Staatsbürgerschaft und da würde ich sie halt gerne
in Anspruch nehmen wollen.
Würdest du sagen, dass deine Eltern einen größeren Bezug zu Bosnien haben als du?
Definitiv haben meine Eltern einen größeren Bezug zu Bosnien, weil sie untern aufgewachsen
sind und sie wurden auch bosnisch erzogen, sie gehen deshalb das an uns weiter und ja.
Könntest du dir vorstellen irgendwann nach Bosnien für immer zu ziehen?
Für immer eher nicht, nein, weil ich die Sprache nicht so perfekt kann und also ich hätte auch
keine Freunde unten und generell könnte ich unten keinen Beruf so richtig ausüben, weil und
sind halt die Löhne oder Gehälter sehr niedrig.
Könntest du mir etwas mehr über deinen Wunschberuf erzählen?
Ja, also ich möchte einen abwechslungsreichen Job, also nicht etwa zum Beispiel in einem Büro
sitzen. Ich habe sehr viel darüber im Fernsehen gesehen und das hat mich sehr interessiert und
ja und dann habe ich mich informiert, wie die Prüfung abläuft und man braucht die
österreichische Staatsbürgerschaft und deswegen werde ich noch schauen.
Würdest du etwas an deinem Leben in Österreich ändern oder generell an der österreichischen
Gesellschaft?
Ich würde gerne die österreichische Staatsbürgerschaft in Anspruch nehmen, aber sonst
glaube ich nichts. Generell an der österreichischen Gesellschaft habe ich bemerkt, dass es
viele gibt, die ausländerfeindlich sind und manche Österreicher sind auch geizig. Aber das
hängt von der Person ab, also egal welche Nationalität. Durch die Medien bekommt man auch
sehr stark die Anfeindung von Muslimen mit und das finde ich sehr schade.