KLAUS HELD
Klaus Held, Husserls neue Einfhrung in die Philosophie: Der
Begriff der LebensweltSeite 40Klaus Held, Husserls neue Einfhrung
in die Philosophie: Der Begriff der LebensweltIn: Carl Friedrich
Gethmann (Hg.), Lebenswelt und Wissenschaft. Studien zum Verhltnis
von Phnomenologie und Wissenschaftstheorie. Bonn [Bouvier Verlag]
1991, S.79-113Von allen Begriffen der durch Edmund Husserl
begrndeten Phnomenologie hat wohl der der Lebenswelt innerhalb und
auerhalb der Philosophie bis heute das strkste Echo ausgelst. Den
Gebrauch dieses Begriffs in der soziologischen, pdagogischen und
umweltkritischen Literatur des letzten Jahrzehnts in Deutschland
darf man bald schon als inflationr bezeichnen. Was dabei unter
Lebenswelt verstanden wird, hat freilich vielfach nur noch sehr
wenig mit den berlegungen des Werks zu tun, worin der Begriff
eingefhrt wurde. Es handelt sich um Husserls letzte von ihm selbst
verffentlichte Schrift: Die Kritis der europischen Wissenschaften
und die transzendentale Phnomenologie von 1936.[footnoteRef:1] [1:
Im folgenden verweise ich auf dieses Werk durch bloe in Klammern
gesetzte Seitenzahlen im Text. Die Zahlen beziehen sich auf die
historisch-kritische, von W. Biemel besorgte Ausgabe im 6. Band der
Hussiana, Den Haag 1954. Auf andere Werke Husss und
Sekundrliteratur verweise ich in den Funoten.]
Das erste Miverstndnis widerfuhr dem Begriff bereits innerhalb
der phnomenologisch orientierten Philosophie, als magebende
Husserl-Interpreten behaupteten, die Krisis-Abhandlung und der
darin im Mittelpunkt stehende Lebenswelt-Begriff bezeichneten eine
fundamentale Kehrtwendung des Husserlschen Denkens in seinen
letzten Lebensjahren. In Wahrheit stellt diese Abhandlung in
Husserls Entwicklung nichts umstrzend Neues dar, sondern steht in
einer Kontinuitt mit den programmatischen Werken, die Husserl
selbst vorher verffentlicht hatte, den Ideen Ivon 1913 und den
Cartesianischen Meditationen von 1930, aber auch mit den letzten
groen Vorlesungen, die er in den zwanziger Jahren gehalten hatte
und von denen die Phnomenologische Psychologie und die Erste
Philosophie im Nachla verffentlicht sind.Alle diese Texte kreisen
um eine Aufgabe, die Husserl zumindest in den letzten beiden
Jahrzehnten seines Lebens am meisten bewegt hat: den geeigneten Weg
zur transzendentalphnomenologischen Reduktion, d. h. allgemeiner
gesprochen: die Einfhrung in die transzendentale Phnomenologie,
also in das, was Husserl unter Philosophie begriffen hat. Auch die
Krisis versteht sich als solche Einfhrung, wie schon der zu wenig
beachtete Untertitel zeigt, mit dem Husserl sein Werk als eine
Einleitung in die phnomenologische Philosophie charakterisiert
(vgl. auch XIV, Anm. 3, u. 439). Der Begriff der Lebenswelt gehrt
so in den Zusammenhang der spezifisch Husserlschen Lsung fr ein
klassisches Problem der Philosophie und insbesondere der
Transzendentalphilosophie: das der Einfhrung in die Philosophie,
oder transzendentalphilosophisch ausgedrckt: des bergangs von der
natrlichen zur transzendental-philosophischen Einstellung. Man
knnte dieses Problem auch als das des Zusammenhangs von
philosophischer Propdeutik und Philosophie bezeichnen. Es ist
ebenso schon das Grundproblem der frhen Platonischen Dialoge wie
noch von Hegels Phnomenologie des Geistes.Der Weg der Einleitung in
die phnomenologische Transzendentalphilosophie, den Husserl in der
Krisis-Abhandlung einschlgt, unterscheidet sich nur dadurch von
seinen frheren Einfhrungsversuchen, da Husserl hier mit einer
Kritik der modernen Wissenschaften ansetzt (man knnte auch sagen:
mit einer Kritik unserer Epoche, denn die Wissenschaften prgen nach
Husserl das Leben im gegenwrtigen Zeitalter). Durch diesen Ansatz
entsteht die Lebensweltproblematik. Aber um zu verstehen, wie
Husserl dazu kam und welchen Sinn es fr ihn hatte, ber eine
Wissenschaftskritik in die Philosophie einzufhren, mu man sich
zunchst klarmachen, was Einfhrung in die Philosophie bei ihm schon
vor der Krisis bedeutet. Dann zeigt sich, da der Begriff der Welt
bereits im Rahmen der frheren Einfhrungsproblematik eine zentrale
Rolle spielt und da es nur der in seinen Grundbestimmungen lngst
festliegende Weltbegriff ist, der unter dem Titel Lebenswelt in der
Krisis aufgrund des Einstiegs bei der Wissenschaftskritik weiter
entfaltet wird.Ich werde im I. Teil den Weltbegriff im Zusammenhang
der frheren Husserlschen Einfhrungsproblematik entwickeln. Im II.
Teil mchte ich zeigen, wie sich diese allgemeine
Einfhrungsproblematik erstens dadurch spezifiziert, da Husserl sie
in der Krisis-Abhandlung ber eine Wissenschaftskritik laufen lt und
wie sich daraus zweitens die Fortbestimmung des Weltbegriffs zum
Lebensweltbegriff ergibt. Ich werde hier auch auf die
Hauptschwierigkeit eingehen, die die Interpreten im
Lebensweltbegriff gesehen haben, und werde eine Lsung vorschlagen,
von der ich glaube, da sie sich zwanglos aus Husserls Ansatz
ableiten lt.I.Das Einfhrungsproblem kann man zunchst formelhaft in
die Frage kleiden: Wie lt sich die natrliche Einstellung in die
philosophische berfhren? Unter natrliche Einstellung ist diejenige
Haltung zu verstehen, die allen Einstellungen zugrunde liegt, die
der Mensch in seinem Leben vor oder auerhalb der Philosophie
einnehmen mag. Alle diese Einstellungen knnen dem Menschen bewut
werden als Haltungen, die auf seiner Entscheidung, d. h. auf einem
von ihm verantworteten und in diesem Sinne subjektiven Vollzug
beruhen. Die natrliche Einstellung ist demgegenber diejenige
Einstellung, die der Mensch in seinem auenphilosophischen Leben
nicht als Einstellung zu durchschauen vermag. Da auch die Einnahme
dieser Einstellung ihm selbst als einem verantwortlich
entscheidenden Subjekt anheimgegeben ist, kommt berhaupt erst durch
den bergang zur philosophischen Einstellung zum Vorschein. Insofern
ist die natrliche Einstellung durch die Selbstvergessenheit ihres
Subjekts definiert. Entsprechend lt sich die philosophische
Einstellung kennzeichnen als die Aufhebung der
Subjektvergessenheit, die fr die natrliche Einstellung konstitutiv
ist.Nun ist jede Einstellung eine Einstellung-zu-etwas; jede
Einstellung hat in diesem Sinne ihr Korrelat: Bestimmte
Einstellungen machen uns blind oder auch aufgeschlossen fr
bestimmte Dinge, Menschen, Aufgaben usw., d. h. fr die jeweiligen
Gegenstnde im weitesten Sinne des Wortes, also alles, was jemandem
auf irgendeine Weise als identifizierbare Einheit begegnen kann. So
variieren mit dem Wechsel der vielfltigen Einstellungen im
auenphilosophischen Leben auch die Gegenstnde, mit denen wir im
Rahmen unserer jeweiligen Einstellung zu tun haben. Die natrliche
Einstellung berdauert als die schlechthin grundlegende Einstellung
alle Einstellungswechsel innerhalb unseres auenphilosophischen
Lebens. Daraus folgt, da es fr diese Einstellung keinen Wechsel
ihres Korrelats geben kann. Dieses Korrelat mte eine Konstante
bilden, mit der es der Mensch immer zu tun hat, unabhngig davon,
mit welchen Gegenstnden er sich entsprechend seinen wechselnden
Einstellungen jeweils beschftigen mag.Nach Husserl gibt es ein
solches Korrelat der natrlichen Einstellung. Er nennt es die Welt.
Wieso ist gerade die Welt die fragliche Konstante, also die
Voraussetzung fr jeden Gegenstandsbezug des Menschen im
auenphilosophischen Leben? Husserl antwortet: weil alle Gegenstnde
fr uns auftreten als Teile eines sie in ihrer Gesamtheit
umfassenden Ganzen, es begegnet uns kein Gegenstand, der vllig
isoliert wre; alles steht in irgendeinem Zusammenhang mit anderem,
und der Gesamtzusammenhang, dem sich alle diese Zusammenhnge
einfgen, ist die Welt.Allerdings lt sich gegen diese These sogleich
folgender Einwand erheben: Da alle Gegenstnde sich als Teile eines
Ganzen verstehen lassen, ist unbestreitbar, wenn man unter diesem
Ganzen nur die Summe aller Gegenstnde versteht. Eine Summe ist aber
nur das Resultat der Addition der Summanden; d. h., die Welt als
die Summe aller Gegenstnde setzt die Gegenstnde voraus und nicht
umgekehrt. Husserls Behauptung lautet aber, das Auftreten der
Gegenstnde fr uns setze die Habe der Welt voraus. Diese These
bedarf also eines eigenen Nachweises.Husserl fhrt ihn mit folgender
berlegung: In unserem alltglichen Leben kehrt stndig eine
berzeugung wieder, die berzeugung, da ein bestimmter Gegenstand
existiert und diese oder jene Beschaffenheiten aufweist.
Gleichermaen ist uns aber auch die Erfahrung vertraut, da solche
berzeugungen sich von Fall zu Fall als unhaltbar erweisen. Alle
solchen Enttuschungs- Erlebnisse haben nun eine Eigentmlichkeit: In
ihnen verlieren zwar einzelne Gegenstnde, die uns jeweils als
existierend und als so und so seiend gelten, diese ihre
Seinsgeltung; aber die Korrektur unseres Erfahrungszusammenhangs,
die wir mit der Durchstreichung einer Seinsgeltung vornehmen mssen,
fhrt nie zu einem vlligen Abbrechen der Erfahrung von Existenz und
Beschaffenheit, also nie zu einem vlligen Nichts, sondern immer nur
zu einem: nicht so, sondern anders. Ein Zusammenhang der
Erfahrbarkeit bleibt erhalten, und damit zeigt sich: Von allen
Enttuschungen und Durchstreichungen hinsichtlich der einzelnen
Gegenstnde bleibt eine Grundberzeugung unberhrt: der Glaube, da der
Gesamtzusammenhang der Erfahrbarkeit, in den wir alle Gegenstnde
einordnen, Bestand hat (vgl. 464). Die Welt ist nicht die Summe
aller Gegenstnde, sondern dieser Gesamtzusammenhang. Als das ist
sie, wie Husserl das ausdrckt, der Boden, auf den wir alle
Gegenstnde stellen. Dieser Weltboden bleibt durch alle
Modifikationen der Einzelerfahrung mit Gegenstnden hindurch
erhalten. Die Seinsgeltung der Gegenstnde besitzt immer nur
vorlufigen Charakter. Die Welt hingegen hat fr uns Endgeltung; sie
bleibt stillschweigend jederzeit als seiend vorausgesetzt. Dies
nennt Husserl die Generalthesis der natrlichen Einstellung oder
auch einfacher den Weltglauben (vgl. 112). Die natrliche
Einstellung lt sich in diesem Sinne kennzeichnen als die
weltglubige, oder wie Husserl sagt: mundane, Einstellung.Dieser
Aufweis zeigt in einer ersten und vorlufigen Weise: Der Weltglaube
ist bei jeder Gegenstandshabe vorausgesetzt. Also ist die Welt das
Korrelat der natrlichen Einstellung. Damit tritt neben die erste
Grundbestimmung der natrlichen Einstellung, die
Subjektvergessenheit, eine zweite: die Weltglubigkeit oder
Mundanitt.Mit Hilfe dieser Doppelbestimmung lt sich nun das
Einfhrungsproblem konkret formulieren. Dieses Problem enthlt zwei
Teilfragen: Die erste ist um eine Unterscheidung Kants aufzunehmen
die nach dem principium diiudicationis der Entscheidung fr die
philosophische Einstellung, d. h. die Frage nach dem Urteil, das
dieser Entscheidung zugrundeliegt. Die Frage knnte lauten: Wieso
ist es die natrliche Einstellung wert, verlassen zu werden, bzw.
die philosophische, angestrebt zu werden? Diese Frage beantworten,
heit fr die Philosophie: ihre eigene Existenz gegenber der
natrlichen Einstellung rechtfertigen. Die Rechtfertigung kann ihr
nur mit Hilfe einer Kritik der natrlichen Einstellung gelingen. Das
Einfhrungsproblem stellt sich so zunchst in Gestalt der Frage:
Wieso ist die natrliche Einstellung berhaupt kritikwrdig? Auf diese
Frage gibt Husserl, verglichen mit der
transzendentalphilosophischen Tradition vor ihm, sachlich keine
neue Antwort. Er argumentiert: Solange die natrliche Einstellung
nicht als Einstellung durchschaut wird, ist die grundlegende
Haltung, auf der unser ganzes Leben beruht, noch nicht zu einer
Sache der eigenen rechenschaftlich vollzogenen Entscheidung
geworden, d. h. wir haben die letzte Verantwortung fr unser Leben
noch nicht bernommen (vgl. 140, 272f.). Diese Auskunft wirft neue
Probleme auf, die ich jetzt ausklammere.Ich unterstelle einmal, die
Frage nach der Kritikwrdigkeit der natrlichen Einstellung wre
zureichend beantwortet. Dann nimmt das Einfhrungsproblem die
Gestalt der zweiten Teilfrage an. Diese Frage, die sich mit der
Beantwortung der ersten nicht erledigt, ist die nach dem principium
executionis der Entscheidung fr die philosophische Einstellung, d.
h. die Frage nach dem Beweggrund dafr, von der natrlichen
Einstellung zur philosophischen berzugehen. Einfhren heit im
Zusammenhang dieser Frage: den Menschen der natrlichen Einstellung
zur Annahme der philosophischen Einstellung motivieren. Diese
Aufgabe enthlt wiederum zwei Teilprobleme: Das erste ist die Frage:
Was kann berhaupt solchermaen motivieren; wie ist es in
Husserlscher Sprache formuliert wesensmig mglich, die natrliche
Einstellung zu verlassen? Das zweite ist die Frage: Was gibt
faktisch den Ansto dafr, da diese Mglichkeit von jemandem ergriffen
und Wirklichkeit wird? Diese Frage sei noch zurckgestellt, weil
ihre Beantwortung die Lsung des ersten Teilproblems voraussetzt.Die
Lsung des ersten Teilproblems scheint zunchst gegenber der eben
skizzierten Kritik der natrlichen Einstellung nichts Neues
enthalten zu knnen; denn es kann nur diese Kritik sein, die zum
Verlassen der natrlichen Einstellung motiviert. Aber was
garantiert, da die natrliche Einstellung sich durch diese Kritik
auch so getroffen fhlen kann, da dadurch eine Bereitschaft
entsteht, wirklich die Bewegung des bergangs zur philosophischen
Einstellung zu vollziehen? Das Problem der mglichen Motivation fr
den Einstellungswechsel stellt sich demnach als die Frage: Woran
kann die Kritik der natrlichen Einstellung innerhalb dieser
berhaupt anknpfen; wie ist es von dieser Einstellung selbst her
mglich, da sie sich den Schuh der philosophischen Kritik auch
anzieht?Die Schwierigkeit bei diesem Problem liegt darin, da die
natrliche Einstellung durch Subjektvergessenheit definiert ist, d.
h. dadurch, da diese Einstellung sich selbst grundstzlich nicht als
Einstellung durchschaut. Wie kann sie dann aber berhaupt von ihr
selbst her aufgebrochen werden? Sie mu einerseits von sich her ber
sich hinausweisen in Richtung auf die Philosophie; d. h., die
Subjektvergessenheit mu aufhebbar sein; sonst redet die
philosophische Kritik an der natrlichen Einstellung vorbei.
Andererseits ist diese Einstellung aber gerade als diejenige
Befangenheit definiert, die es unmglich macht, den subjektiven
Vollzugscharakter der Einstellung zu durchschauen.Aus der
Subjektvergessenheit der natrlichen Einstellung ergibt sich also fr
den Motivationsaspekt der Einfhrungsproblematik, da diese
Einstellung einen Doppelcharakter haben mu: Aufhebbarkeit der
Subjektvergessenheit bei gleichzeitiger Befangenheit in dieser
Vergessenheit. Wie lassen sich diese beiden Bestimmungen
miteinander vereinbaren? Husserl versucht die Lsung dieses
klassischen transzendentalphilosophischen Problems ber die zweite
Grundbestimmung der natrlichen Einstellung: den Weltglauben.Zunchst
liegt es nahe, folgenden Zusammenhang herzustellen: Wenn wir in der
natrlichen Einstellung subjektvergessen sind, dann deshalb, weil
das Andere zum Subjekt, der Gegenstand, gewissermaen unsere
Aufmerksamkeit absorbiert: Die Subjektvergessenheit ist ein
Verschossensein das ist ein Ausdruck Husserls (vgl. z. B. 179) in
den Gegenstand. Das natrliche Leben vollzieht sich ich gebrauche
eine weitere Husserlsche Wendung (vgl. z. B. 146, 153) im Geradehin
der Hingabe an die Gegenstnde. Mit dieser Denkfigur bewegt sich
Husserl, noch in den Bahnen des traditionellen
Subjekt-Objekt-Verhltnisses. Aber Husserls Grundbestimmung der
natrlichen Einstellung ist nicht der Gegenstandsbezug, sondern der
Weltglaube. Und mit den Konsequenzen, die sich hieraus ergeben,
geht er ber die klassische transzendentalphilosophische Tradition
hinaus.Freilich ist zu beachten: Husserl entwickelt die
Weltbezogenheit der natrlichen Einstellung vom Gegenstandsbezug her
(vgl. 160, 162). Dieses Vorgehen ist aber, wie sich noch zeigen
wird, durch die Struktur des Weltglaubens gerechtfertigt. Zunchst
stellt sich die Aufgabe, den Doppelcharakter der natrlichen
Einstellung am Gegenstandsbezug aufzuweisen. Er mu so beschaffen
sein, da wir einerseits sagen knnen: das Haben eines Gegenstandes
bedeutet Selbstvergessenheit des Subjekts, und andererseits: das
Haben eines Gegenstandes lt die Aufhebung der Subjektvergessenheit
mglich erscheinen; d. h. es verschliet dem Subjekt nicht vllig den
Zugang zu sich selbst. Im Gegenstandsbezug wei der Vollzieher der
Gegenstandshabe zugleich etwas von sich selbst, und zwar von sich
selbst als demjenigen, der seine Einstellung zu etwas ndern kann.Im
alltglichen Umgang mit irgendetwas wei ich, da das, womit ich zu
tun habe, sich mir anders zeigt je nach der Einstellung, die ich
dazu einnehme. Das einfachste und von Husserl bevorzugte Beispiel
hierfr ist die Wahrnehmung eines raumzeitlichen Gegenstandes.
Dieser Tisch hier weist fr mich andere Bestimmungen auf, je nachdem
ich mich entscheide, ihn von hier oder von dort aus zu betrachten.
Der Gegenstand bietet sich anders dar je nach der
Erlebnissituation, in die ich mich begebe und die mir okkasionell,
d. h. jeweils nach Magabe der sich bietenden Gelegenheit, gewisse
Perspektiven zur Erfassung des Gegenstands erffnet. Wenn man den
Begriff Perspektive ber die optische Bedeutung hinaus erweitert und
in einem ganz weiten Sinne benutzt, kann man sagen: Als was uns die
Gegenstnde gegeben sind, hngt von der situativ-okkasionellen
Perspektive ab, in der sie uns erscheinen. Die Wahl dieser
Perspektive aber ist Sache unseres subjektiven Vollzugs. Alle
Gegenstnde sind uns perspektivisch gegeben, und im Vollzug der
perspektivischen Erscheinungs- oder Gegebenheitsweisen bin ich
meiner selbst als desjenigen, der den Vollzug steuern kann, bewut.
Dieses Bewutsein bleibt zwar zumeist unausdrcklich. Ich kann aber
die subjektive Beteiligung am Vollzug des perspektivischen
Erscheinens auch ausdrcklich zum Thema meiner Aufmerksamkeit
machen, z. B. dann, wenn ich mich mit einem anderen streite und
sage: deine Auffassung des Gegenstandes ist nur eine Folge der von
dir gewhlten Perspektive, ein Resultat deiner Einstellung. Insofern
ist die Gegenstandserfahrung so beschaffen, da sich die
Subjektvergessenheit aufheben lt (vgl. zum ganzen 146ff.).Wieso
bedeutet die Gegenstandserfahrung dann aber zugleich eine
Befangenheit in dieser Vergessenheit? Bisher wurde klar: ich kann
auf meine oder irgendjemandes Verantwortlichkeit fr bestimmte
perspektivische Einstellungen aufmerksam werden. Aber normalerweise
geschieht dies gerade nicht. Ich interessiere mich nmlich im
Normalfalle nicht fr die Perspektive, in der mir etwas in
situativer Jeweiligkeit erscheint, sondern fr das, was da
erscheint, selbst; nicht die Mannigfaltigkeit der
Gegebenheitsweisen eines Gegenstandes bildet gewissermaen das Thema
meiner Aufmerksamkeit, sondern der Gegenstand selbst. Ich bin mir
zwar irgendwie dessen bewut: der Gegenstand kann mir nur in
irgendwelchen perspektivischen Erscheinungsweisen gegeben sein;
aber diese Erscheinungsweisen bleiben unthematisch, sie fungieren
fr mich nur als notwendiger Durchgang zum Gegenstand selbst. Ich
habe nmlich das Bewutsein: auf die Gegebenheitsweisen kommt es
nicht an; der Gegenstand ist, was er ist, an sich, d. h. unabhngig
von der Weise, wie er jeweils situativ fr mich ist, d. h.
erscheint. Der Gegenstand ist den Erscheinungsweisen, die von
meinem subjektiven Vollzug abhngen, transzendent. So bleiben diese
Erscheinungsweisen fr mein Bewutsein im Schatten zugunsten der
Helle, in der sich mir der Gegenstand thematisch darbietet. Und in
dieser Fixierung meines Interesses auf den Gegenstand, in diesem
berspringen der Gegebenheitsweisen auf ihn hin, bin ich
subjektvergessen; denn um ausdrcklich subjektbewut zu sein, mte ich
mich statt fr den Gegenstand fr seine perspektivischen
Erscheinungsweisen interessieren, deren Vollzug von mir selbst
abhngt.Damit ist das phnomenologische Grundmodell der
Gegenstandshabe skizziert. Das Phnomenologische an diesem Modell
liegt fr Husserl darin, da es sich am Erscheinen, nmlich am
Erscheinen-in-Gegebenheitsweisen orientiert. Dieses Modell bietet
fr Husserl nun aber auch die Grundlage fr die Aufklrung des
Zusammenhangs zwischen Weltglaube und Subjektvergessenheit der
natrlichen Einstellung. Der Weltglaube hat mit dem Gegenstandsbezug
eine Strukturhnlichkeit. Die natrliche Einstellung bezieht sich auf
die Welt in Form der Generalthesis. Diese Thesis besagt: Die Welt
als Boden ist, auch wenn sich die Einzelerfahrung von Gegenstnden
modifiziert. Eine entsprechende These liee sich auch mit Bezug auf
die einzelne Gegenstandserfahrung formulieren: Der einzelne
Gegenstand ist, auch wenn sich die Erscheinungsweisen, in denen er
perspektivisch gegeben ist, modifizieren; ob ich den Tisch von hier
oder von dort aus sehe, immer bin ich berzeugt: ich habe es mit
etwas zu tun, das sich zwar notwendig in einer Mannigfaltigkeit von
Erscheinungsweisen darbietet, aber in seiner verharrenden Identitt
diese Mannigfaltigkeit transzendiert. Ebenso ist die Welt in ihrer
Identitt etwas Beharrendes; daher der Ausdruck Boden.Soll sich
diese Parallelisierung der Strukturen als stichhaltig erweisen, mu
allerdings noch gezeigt werden, da die einzelnen
Gegenstandserlebnisse fr den Weltglauben so etwas sind wie die
notwendigen perspektivischen Erscheinungsweisen fr das
Gegenstandserlebnis. Dieser Parallelisierung scheint zunchst eine
einfache Beobachtung zu widersprechen: Die Erscheinungsweisen bei
der Gegenstandserfahrung sind das Unthematische, und der Gegenstand
ist das Thema. Beim Weltglauben ist es umgekehrt: Thematisch
interessiert bin ich an den einzelnen Gegenstandserfahrungen; wenn
ich in ihrem Verlauf Enttuschungs- oder Durchstreichungserlebnisse
habe, dann interessiert mich nicht der Umstand, da meine Erfahrung
trotz der Aufhebung der Seinsgeltung meines bisherigen Gegenstandes
nicht vllig ins Leere luft, d. h. da trotz der Enttuschung fr mich
Welt erhalten bleibt; sondern mein Interesse richtet sich auf den
neuen Gegenstand, der an die Stelle des alten tritt. Den
Fortbestand der Endgeltung der Welt und damit die Kontinuitt meiner
Erfahrung bemerke ich nicht als solche, sondern nur indirekt darin,
da mir die Kontinuitt des Weltglaubens erlaubt, die jeweils erlebte
Enttuschung durch eine Modifikation des gegenstndlichen Gehalts
meiner Erfahrung zu kompensieren.Die Welt ist also in der Tat fr
die natrliche Einstellung unthematisch, und zwar in einer radikalen
Weise: Wir bemerken in dieser Einstellung die stndig vorausgesetzte
Generalthesis so wenig, da wir stets nur den Gegenstnden, niemals
aber der Welt, auf deren Boden wir sie stellen, Sein zusprechen.
Wir knnen in der natrlichen Einstellung offenbar berhaupt nur in
der Weise Welt haben, da wir ihre Seinsgeltung gewissermaen abfrben
lassen auf die Seinsgeltung, die wir thematisch den einzelnen
Gegenstnden zuschreiben.Mit diesem Gedanken hat sich aber die
Parallelitt zwischen Gegenstandserlebnis und Weltbezug besttigt.
Die einzelnen Gegenstandserlebnisse sind fr die Welthabe in der
natrlichen Einstellung genauso notwendig wie die Erscheinungsweisen
fr die Habe des einzelnen Gegenstandes, und zwar gerade deswegen,
weil die Welt im Unterschied zum einzelnen Gegenstand prinzipiell
unthematisch bleibt.Aber ist das nicht doch eine ganz uerliche
Parallelisierung? Wenn die einzelnen Gegenstandserlebnisse fr die
Welthabe notwendig sind, heit das ja noch nicht, da sie ihrer
inneren Struktur nach so etwas wren wie die Erscheinungsweisen der
Welt. Dieses Bedenken erledigt sich durch eine weitere
Konkretisierung des Begriffs der Generalthesis.Die
Gegebenheitsweisen eines Gegenstandes stehen mir als ihrem
Vollzieher zur Disposition. Es liegt in meiner
Entscheidungsvollmacht, in welchen Erscheinungsweisen ich mir den
Gegenstand zur Gegebenheit bringe. Die Erscheinungsweisen sind
Mglichkeiten meines freien subjektiven Vollzugs, sie sind wie
Husserl dies ausdrckt meine Vermglichkeiten, d. h., sie sind Weisen
meines Erfahren-Knnens. Weil mein Vermgen, die Einstellungen bzw.
Perspektiven zu wechseln, frei ist, ist es nicht daran gebunden,
sich dabei jeweils ausschlielich auf einen Gegenstand zu beziehen,
und normalerweise wird es sich diese Bindung auch nicht auferlegen,
es wird vielmehr von Gegenstand zu Gegenstand schweifen oder mehr
oder weniger komplexe Zusammenhnge von Gegenstnden erfassen.
Allerdings wird dies in einer geregelten Weise vor sich gehen. Die
Vermglichkeiten, die sich in meinem gerade aktuellen Erlebnis eines
Gegenstandes oder Gegenstandszusammenhangs erffnen, werden auf
andere daran anschlieende Erscheinungsweisen anderer Gegenstnde
verweisen. Indem mir dieser Tisch beispielsweise als etwas bewut
ist, was in einem Raum steht, ist damit unthematisch schon die
Mglichkeit vorgezeichnet, die Aufmerksamkeit der Frage zuzuwenden,
wie man aus diesem Raum hinausgehen oder hinausschauen kann. Diese
Vermglichkeiten implizieren ihrerseits etwa den unthematischen
Verweis auf das Haus, in dem sich dieser Raum befindet, auf die
Stadt, in der das Haus steht, usw.Das unthematische Bewutsein der
Gegebenheitsweisen erweist sich damit bei gengend konkreter
Betrachtung als das Bewutsein von einem umfassenden
Verweisungszusammenhang, mit dem wir unthematisch in der Weise
vertraut sind, da wir ber Vermglichkeiten verfgen, die bereitliegen
und geweckt werden knnen. Diesen in den Gegebenheitsweisen bewuten
Verweisungszusammenhang nennt Husserl Horizont und das
Vermglichkeitsbewutsein, in dem der Horizont als weckbarer
Zusammenhang gegenwrtig ist, Horizontbewutsein (vgl. 152, 160 f,
165, 267)[footnoteRef:2] In jedem Erlebnis-von-etwas erffnen sich
Horizonte, aber diese Horizonte bestehen nicht isoliert
nebeneinander, sondern sind im konkreten Erlebniszusammenhang durch
Verweisungsverhltnisse aufeinander beziehbar. Der eine und einzige
umfassende Zusammenhang der Beziehbarkeit aller Horizonte
aufeinander hat selbst den Charakter des Horizonts. Dieser
Universalhorizont (147) ist nichts anderes als die Welt. [2: Vgl.
auch E Husserl: Erfahrung und Urteil. Redigiert und hrsg. von L.
Landgrebe. Hamburg 5. Aufl. 1976. 26 ff.]
Damit konkretisiert sich der Gedanke der Generalthesis und die
Behauptung, die Welt sei in allen einzelnen Gegenstandserfahrungen
vorausgesetzt. Der Weltboden, den wir mit keinem Durchstreichungs-
oder Enttuschungserlebnis verlassen knnen, ist die Welt als der
eine Universalhorizont. Hieraus wird nun ersichtlich, wieso die
einzelnen Gegenstandserlebnisse auch ihrer inneren Struktur nach so
etwas sind wie Gegebenheitsweisen von Welt. Jedes thematische
Gegenstandsbewutsein erffnet in Form von mannigfaltigen
Verweisungen einen unthematischen Spielraum von mglichen
Erlebnissen, also einen Horizont. Indem jeder solche Horizont
seinerseits unthematisch auf den umfassenden Universalhorizont
verweist, meldet sich in jedem Gegenstandserlebnis ber das jeweils
zugehrige Horizontbewutsein die eine Welt (vgl. 146, 267). In
diesem Sinne ist die Mannigfaltigkeit der einzelnen
Gegenstandserlebnisse so etwas wie die Mannigfaltigkeit der
Erscheinungsweisen der einen Welt.Die wirkliche und unthematische
Habe der einen identisch verharrenden Welt vollzieht sich im
Durchgang durch die Mannigfaltigkeit der horizonthaft mglichen
thematisch interessierten Gegenstandserlebnisse. Und komplementr
dazu: die wirkliche und thematisch interessierte Habe eines
einzelnen mit sich identischen Gegenstands vollzieht sich im
Durchgang durch die Mannigfaltigkeit der mglichen, unthematischen,
horizonthaft vorgegebenen Erscheinungsweisen. Welt- und
Gegenstandsbewutsein sind also ber das Mittelglied des jeweils im
Vollzug der Gegebenheitsweisen bewuten Horizonts miteinander
verschrnkt. Hierin liegt nun auch die sachliche Rechtfertigung
dafr, da Husserl bei der Analyse des Weltglaubens vom einzelnen
Gegenstandserlebnis ausgeht.Aus all dem ergibt sich fr das
Einfhrungsproblem folgendes: Der Doppelcharakter der natrlichen
Einstellung Aufhebbarkeit der Subjektvergessenheit bei
gleichzeitiger Befangenheit in dieser Vergessenheit war zunchst in
vorlufiger Weise am einzelnen Gegenstandserlebnis sichtbar
geworden. Jetzt lt sich dieser Doppelcharakter am Weltglauben
explizieren. Die berwindung der Subjektvergessenheit ist mglich,
weil der nie abreiende Weltglaube konkret im jeweiligen
Horizontbewutsein gegenwrtig ist und weil dieses ein Bewutsein von
Potentialitten subjektiven Vollzugs ist. Andererseits macht uns
derselbe Weltglaube normalerweise unaufhebbar befangen in der
Subjektvergessenheit, und zwar deswegen, weil die Welt fr die
natrliche Einstellung das grundstzlich Unthematische ist. Die
Fraglosigkeit der Endgeltung der Welt, also die Unverbrchlichkeit
des Weltglaubens ist nur die Kehrseite dieser Unthematizitt. Knnte
die Welt je in der natrlichen Einstellung zum Gegenstand eines
thematisierenden Interesses werden, dann wre ihre Seinsgeltung
ebenso durch Enttuschungs- und Durchstreichungserlebnisse gefhrdet
wie die Seinsgeltung der einzelnen thematischen Gegenstnde in der
Welt. Aber eben diese Konstanz des Weltglaubens hlt die natrliche
Einstellung in ihrer Subjektvergessenheit.Der Mensch in der
natrlichen Einstellung kann sich zwar der normalerweise
unthematischen Gegebenheitsweisen als subjektiver Vollzge bewut
werden, und damit werden ihm in gewisser Weise auch die damit
erffneten Horizonte als subjektive Potentialitten bewut. Aber die
Welt, der eine Universalhorizont fr die Mannigfaltigkeit dieser
vielen Horizonte, bleibt unthematisch, sie kann niemals Gegenstand
eines Thematisierungsinteresses werden. Die verharrende Identitt
dieser einen und einzigen Welt meldet sich immer nur indirekt in
der Identitt des jeweils in Seinsgeltung befindlichen Gegenstands
(vgl. 146). Sie frbt, wie ich sagte, gewissermaen auf ihn ab. Und
das ist der eigentliche Grund dafr, weshalb der Mensch in der
natrlichen Einstellung notwendig subjektvergessen in die Gegenstnde
seiner Erlebnisse verschossen bleibt und immer nur daran
interessiert ist, nach einem Enttuschungserlebnis einen neuen
Gegenstand zur Seinsgeltung zu bringen. Auch diese Behauptung
konnte im Rahmen der Errterung des Gegenstandserlebnisses nur
vorlufigen Charakter haben. Jetzt hat sie sich besttigt.Die
bisherigen berlegungen gaben nur auf die Frage nach der Bedingung
der Mglichkeit des bergangs von der natrlichen zur philosophischen
Einstellung eine Antwort, nicht hingegen auf die bisher
zurckgestellte Frage, die man die nach der Bedingung der
Wirklichkeit dieses bergangs nennen knnte. Bisher wurde nur die
wesensmig mgliche, aber nicht die faktische Motivation zum
Philosophietreiben erklrt, wie sie weltgeschichtlich erstmals bei
den Griechen stattgefunden hat und wie sie sich auch heute noch
wiederholen mu, wenn es geschehen soll, da irgendjemand in seinem
Leben zum Philosophieren gelangt. Eine faktische Motivation kann
nur von einem faktischen Ereignis, einer wirklichen Erfahrung
ausgehen. Welches ist diese Erfahrung? Im Wiener Vortrag, der
ersten Vorstufe der Krisis-Abhandlung (vgl. XIIIf) greift Husserl
auf die Auskunft von Platon und Aristoteles zurck, diese Erfahrung
sei das Staunen, das thaumzein (vgl. 331f).Warum er diese Auskunft
akzeptiert, deutet er dort nur an: Der Bruch mit der natrlichen
Einstellung fhrt zur Philosophie als einer wissenschaftlichen
Welterkenntnis, zu der wie zu jeder Erkenntnis ein Bereich von
erkannten Gegenstnden gehrt, auf die sich das thematisierende
Interesse der Wissenschaft richtet. Damit kommt es hier erneut zu
einem Thematisieren, wie es auch die natrliche Einstellung
gekennzeichnet hatte. In ihrer ursprnglichen Selbstunterscheidung
von der natrlichen Einstellung hat es die Philosophie aber gerade
mit der Welt als dem schlechthin Unthematischen zu tun. Im
philosophiemotivierenden Erlebnis des Staunens ist darum die Welt
nicht als Gegenstand eines thematisierenden Interesses bewut,
sondern auf vorgegenstndliche und nicht-interessenhafte Weise als
Welt. Im Staunen beginnt eine Haltung, die das Geradehin des
Thematisierungsinteresses, das Verschossensein in die Gegenstnde
nicht mehr mitmacht. Das thematisierende Interesse hat die Tendenz,
den Gegenstand in seiner Identitt zu erfassen, darum lst es eine
vom Vollzieher der Erfahrung ausgehende und auf den Gegenstand
gerichtete Aktivitt aus, die Husserl Intentionalitt nennt. Das
vorgegenstndliche Erlebnis der Welt als Welt ist von solchem
Interesse frei, es beruht auf einem Nichtmitvollziehen jeglichen
intentionalen Interesses, das Husserl mit einem Begriff aus der
stoisch-skeptischen Tradition als Epoch bezeichnet (vgl. 151f.)
Welt als Welt, d. h. als der immer schon vertraute, weil in seiner
Seinsgeltung niemals gefhrdete, Boden ist die Urvorgegebenheit, die
vor allem aktiven Intendieren blo hinzunehmen ist. Demgem hat das
philosophiemotivierende Erlebnis nicht den Charakter des aktiven
Sich-Richtens-auf, sondern den des hinnehmenden Empfangens. Im
Blick auf die so verstandene Desinteressiertheit und Passivitt
kennzeichnet Husserl das Staunen an der besagten Stelle im Wiener
Vortrag als bloe universale Schau (vgl. 332).Hiermit ist freilich
das Erlebnis des Staunens noch nicht hinreichend gekennzeichnet.
Wesentlich fr dieses Erlebnis ist sein affektiv-stimmungshafter
Charakter. Auf ihn geht Husserl im Wiener Vortrag nicht ein, aber
nur er erklrt, wieso es gerade das Staunen ist, welches faktisch
den Wechsel von der natrlichen zur philosophischen Einstellung
motiviert. Dieses Motivationserlebnis mu mehrere Bedingungen
erfllen. Als Bruch mit der natrlichen Einstellung mu es nicht nur
vom Verschossensein in die Gegenstnde und zur Offenheit fr die Welt
als Welt, sondern auch von der Subjektvergessenheit befreien. Die
Welt ist deswegen fr die natrliche Einstellung kein Gegenstand,
weil sie als universaler Verweisungszusammenhang der Spielraum
meiner Vermglichkeiten ist. Deshalb ist die vorgegenstndliche
Bewutwerdung der Welt meins die ebenso vorgegenstndliche
Bewutwerdung meiner selbst als desjenigen, der fr den Fortgang der
Welterfahrung im Ergreifen bestimmter Vermglichkeiten frei
verantwortlich ist. Eine solche Bewutwerdung von Welt und Ich in
einer vor-gegenstndlichen Einheit beider vollzieht sich aber in den
Daseinslagen, die wir Stimmungen nennen.Das Spezifische der
Gestimmtheitslage des Staunens zeigt sich bei Beachtung zweier
weiterer Bedingungen. Die berwindung der Subjektvergessenheit mu
erstens von der natrlichen Einstellung her und fr diese den
Charakter des vollkommen Unerwartbaren, absolut berraschenden
haben; denn das wesentliche Merkmal dieser Einstellung ist ihre
Subjektvergessenheit. Weil in der philosophiemotivierenden
Gestimmtheit Ich und Welt in einer Einheit bewut werden, mu dieser
berraschungscharakter zweitens auch an der Weise hervortreten, wie
hier Welt vorgegenstndlich als Welt erlebt wird. Fr die natrliche
Einstellung ist die Welt in ihrer Unthematizitt das vllig
Vertraute, der in seiner Existenz niemals fragliche Totalhorizont,
der in seiner Tragfhigkeit fr jegliche Erfahrung unerschtterliche
Boden. Die berraschung aller berraschungen kann nur die Erfahrung
sein, da dieses ganz und gar Vertraute sich pltzlich als etwas
Unvertrautes, Rtselhaftes erweist, als etwas, das in seinem Da
fraglich erscheint. Das sprachlose berwltigtwerden von diesem Da
sprachlos, weil es das auf Gegenstnde gerichtete Interesse an einem
Benennen hinter sich gelassen hat ist der spezifische
Gestimmtheitscharakter des Staunens.Die These, da das so
verstandene Staunen die Entstehung der Philosophie faktisch
motiviert, provoziert freilich eine weitere Frage: Wie ist dieses
Erlebnis wiederum von der natrlichen Einstellung her mglich? Wenn
im Staunen die Welt in einer nicht-interessehaft-aktiven,
sprachlosen Schau erscheint, dann mu sich diese Weise der Welthabe
irgendwie schon im Weltbezug der natrlichen Einstellung
vorbereiten, sonst knnte sie nicht im Akt des Staunens aufbrechen.
Die interessefrei-anschauende Haltung der Epoche mu schon im
natrlichen Weltverhltnis vorgebildet sein. Diese Konsequenz wird fr
den Begriff der Lebenswelt bedeutsam werden.II.In der Einfhrung in
die Philosophie, die Husserl in der Krisis versucht, tritt an die
Stelle der Kritik der natrlichen Einstellung die Kritik der
modernen Wissenschaften. Diese knnen deswegen die Stelle der
natrlichen Einstellung einnehmen, weil nach Husserls Auffassung in
der Erkenntnishaltung der Wissenschaft berhaupt und der
neuzeitlichen Wissenschaften im besonderen ein Grundzug der
natrlichen Einstellung wiederkehrt. Mit einer gewissen berspitzung,
auf deren mgliche Miverstndlichkeit ich im folgenden noch zu
sprechen komme, kann man deshalb HusserlS These so formulieren: Die
wissenschaftliche Einstellung ist eine natrliche Einstellung
zweiter Stufe. Das wissenschaftliche Erkennen hat zwar seinen
Ursprung in einem Bruch mit der natrlichen Einstellung; aber im
Selbstverstndnis der Wissenschaften wird deren berwindung nicht
konsequent eingehalten, und so fllt die wissenschaftliche in die
natrliche Einstellung zurck.Die These enthlt zwei Teilbehauptungen.
Die erste lautet: der Ursprung wissenschaftlicher Erkenntnis liegt
im Bruch mit der natrlichen Einstellung. Damit ist gesagt: der
Ursprung der Wissenschaft ist mit dem der Philosophie identisch,
denn: nicht mehr ungebrochen in der natrlichen Einstellung stehen
das heit ja nichts anderes als Philosophie treiben. Husserl siedelt
also die Philosophie nicht in einem Bereich vllig abseits der
Wissenschaften an, Philosophie und Wissenschaften liegen
ursprnglich auf einer Linie, weil sie gleichermaen aus der
Selbstunterscheidung von der natrlichen Einstellung hervorgehen.
Sie bilden vom ursprnglichen Sinn ihrer Motivation her (vgl. 360),
ihrer Urstiftung, wie Husserl sagt (vgl. z. B. 366), die Einheit
einer einzigen umfassenden Erkenntnisbewegung, einer einzigen
Universalwissenschaft (vgl. 197 f, 218, 321).Diese Einheit kommt
denn auch in der klassischen Tradition darin zum Vorschein, da die
Welt, der bis dahin unthematische Universalhorizont, in beiden
erstmals thematisch wird: in der Philosophie, insofern sie nach der
Auskunft des Aristoteles das Seiende als solches und im ganzen
befragt, in den Wissenschaften, sofern sie Gebiete bearbeiten, die
ausdrcklich durch Ausgrenzung aus dem Universalhorizont des
Seienden im ganzen definiert sind.Wie ist dann aber die zweite
Teilbehauptung zu verstehen, da die Wissenschaften trotzdem von der
natrlichen Einstellung wieder eingeholt werden? Man mu zunchst
darauf achten, wodurch sich das philosophische und das
wissenschaftliche Erkennen gemeinsam vom Erkennen auf dem Boden der
natrlichen Einstellung unterscheiden. Zwei Erkenntnisse knnen sich
durch ihren Gegenstand oder durch die Weise ihres Vollzugs, also
auf ihrer objektiven oder ihrer subjektiven Seite voneinander
unterscheiden. Im I. Teil zeigte sich: das Korrelat der natrlichen
Einstellung ist die Welt, und die Philosophie macht eben diese bis
dahin unthematische Welt als solche zum Thema. Also bedeutet der
Bruch des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens mit der
natrlichen Einstellung nicht, da das Erkennen nun mit etwas anderem
zu tun htte. Es befat sich mit demselben, der Welt, aber auf andere
Weise. Der Grund fr den Unterschied zwischen natrlicher und
philosophisch-wissenschaftlicher Erkenntnis liegt ursprnglich nicht
auf ihrer objektiven Seite.Demnach kann es innerhalb des
philosophisch-wissenschaftlichen Denkens nur dadurch zu einem
Rckfall in die natrliche Einstellung kommen, da dieses Denken den
Grund fr seine Unterschiedenheit vom natrlichen Erkennen nicht in
der neuen Weise des Erkenntnisvollzugs sieht, sondern ihn auf die
objektive Seite verlagert. Genau dies ist nach Husserl in der
Geschichte des Denkens geschehen, und zwar mit einer gewissen
Unvermeidlichkkeit:Das philosophisch-wissenschaftliche Denken
thematisiert die Welt, die in der natrlichen Einstellung
schlechthin aller Thematisierung entzogen war. Aber die von der
Philosophie und Wissenschaft thematisierte Welt ist dieselbe wie
die der natrlichen Einstellung. Sie bleibt also das prinzipiell
unthematische Korrelat der natrlichen Einstellung.[footnoteRef:3]
Folglich darf sie im philosophisch-wissenschaftlichen Denken nicht
so zum Thema gemacht werden, als ob sie dasselbe wie einer der
thematischen Gegenstnde wre, wie sie die natrliche Einstellung
kennt. D. h., sie mu von der Philosophie als das prinzipiell
Unthematische thematisiert werden. Eine solche Thematisierung der
Welt als des Unthematischen-als-solchen hat nach Husserl in der
geforderten Bewutheit und Konsequenz erst die durch ihn
inaugurierte phnomenologische Philosophie in Angriff genommen,
nmlich vermittels der systematischen Reflexion auf die
Gegebenheits- oder Erscheinungsweisen, die ich im I. Teil skizziert
habe. Die ganze philosophisch-wissenschaftliche Tradition hingegen
ist der naheliegenden Gefahr erlegen: Sie hat der Welt durch ihre
Thematisierung den Charakter der Unthematizitt genommen und sie zu
einem thematischen Gegenstand wie andere Gegenstnde gemacht. [3:
Diese Unthematizitt fr die natrliche Einstellung ist das sei noch
einmal unterstrichen die Husserlsche Grundbestimmung der Welt und
damit dann auch der Lebenswelt. Im wichtigen 38 der Krisis wird
dieser Gedanke mit Nachdruck vorgetragen. Die berschrift des
Paragraphen, worin -die naiv-natrliche Geradehineinstellung als
eine Weise der Thematisierung der Welt bezeichnet wird, ist falsch.
Nur die ebenfalls in der berschrift genannte und im Paragraphentext
behandelte Philosophisch-reflexive Einstellung auf die
Gegebenheitsweisen ist die Thematisierung der Welt.]
Husserl stellt den Ursprung dieses Irrwegs in einer Beilage der
Krisis (Beilage XVII, 459 M folgendermaen dar: Mit der Entstehung
des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens kommt es zu der
Mglichkeit, da Menschen sich zu solchem Denken berufen fhlen und es
in diesem Sinne zu ihrem Beruf machen. Fr die in diesem Beruf
Ttigen wird nun erstmals die Welt Thema, und zwar als der Horizont
ihres Denkens so wie auch fr andere Berufs-Ttige das Gebiet, auf
dem sie arbeiten, den thematisch artikulierbaren Horizont ihrer
Ttigkeit bildet. Damit aber droht auch schon die Gefahr, da die zum
thematisier-baren Berufshorizont gewordene Welt mit der schlechthin
aller Thematisierung entzogenen Welt verwechselt wird. Alle
Berufshorizonte, auch der eines philosophisch-wissenschaftlichen
Erkennens, stellen nur in gewissen Grenzen thematisierbare
Sonderwelten, niemals aber die Welt, den niemals thematisierbaren
einen Horizont aller Horizonte dar.Das zum Beruf gewordene
philosophisch-wissenschaftliche Denken hlt die Unthematizitt als
grundlegende Bestimmung des von ihm thematisierten
Universalhorizonts, der Welt, nicht fest. Das bedeutet zugleich: Es
verbleibt nicht in der Einstellung des reinen Staunens, welches die
philosophisch-wissenschaftliche Erkenntnisbewegung auslst. Das
Staunen, die vorgegenstndliche Verwunderung darber, da Welt
berhaupt ist anstatt nicht zu sein und da sie als Universalhorizont
den Reichtum des vermglich Erfahrbaren erscheinen lt, ist
ursprnglich, als Gestimmtheit, die sprachlose berwltigung durch das
Wunder der Welt. Es drngt aber ber die Sprachlosigkeit hinaus zu
einem Fragen und Sprechen und motiviert so eine neuartige Neugier,
die theoretische Neugier (vgl. 332). Diese richtet sich nun im
Rahmen des beruflich werdenden philosophisch-wissenschaftlichen
Denkens auf das zur wissenschaftlichen wie zu jeder Berufsttigkeit
gehrige Gebiet und auf die Gegenstnde innerhalb seiner. Das
philosophisch-wissenschaftliche Erkennen etabliert und reklamiert
so fr sich ein Gebiet, nmlich die Welt. Indem diese so zum
thematischen Gegenstand wird, erscheint sie wegen der Universalitt,
die sie als Universalhorizont besa, als derjenige Gegenstand, der
alle Einzelgegenstnde in sich enthlt. Damit wird die Welt zum
Inbegriff der in theoretischer Neugier befragbaren und
erforschbaren Gegenstnde, die das wissenschaftliche Erkennen zu
seinem Thema hat.Durch die Vergessenheit der Welt-Unthematizitt als
solcher kommt die Welt nur als Inbegriff von Gegenstnden und nicht
in ihrem Horizontcharakter, d. h. nicht als Wie des
Erscheinens-von-Gegenstnden, zum Vorschein. Nur wenn Welt als
Horizont gedacht wird, kann aber das Subjekt als der Vollzieher
dieses Erscheinens bewut werden. Geschieht dies nicht, vergit sich
das Vollzugs-Ich an die von ihm thematisierten Gegenstnde. So
entsteht mit der Verberuflichung der
philosophisch-wissenschaftlichen Welterkenntnis und der damit
einhergehenden ersten Institutionalisierung eines Forschens aus
theoretischer Neugier eine neue Subjektvergessenheit in der Hingabe
an die Objekte der Forschung. Husserl nennt diese innerhalb des
philosophisch-wissenschaftlichen Denkens selbst angesiedelte
Subjektvergessenheit Objektivismus (vgl. 339).Zufolge dieses
Objektivismus erscheint nun als Gegenstand der
philosophisch-wissenschaftlichen Erkenntnis, griechisch gesprochen
der epistme, nicht mehr dieselbe Welt wie die der natrlichen
Einstellung, nur in anderer Einstellung betrachtet, sondern eine
andere Welt. Die epistme erklrt gegen die natrliche Einstellung:
Die Welt, mit der es der Mensch vor dem Eintritt in das
philosophisch-wissenschaftliche Denken im alltglichen Leben zu tun
hat, ist nicht die wahre Welt, die wahre Welt ist die von der
Wissenschaft erkannte. Durch das objektivistische Selbstverstndnis
des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens entwickelt sich
innerhalb seiner ein von der Neugier fr bestimmte Gebiete der
wahren Welt geleitetes Forschen: die Wissenschaften. Aber auch der
Kernbereich des Denkens, der auf das Ganze schlechthin gerichtet
bleibt, die Philosophie, verfllt weitgehend dem Objektivismus (vgl.
194f.).Dieser ganze Vorgang lt sich leicht mit klassischen
Beispielen illustrieren, wobei der Unterschied von antiker und
moderner Wissenschaft in diesem Stadium der berlegungen noch auer
Betracht bleiben kann. Die antike Wissenschaft zeigt nur
deutlicher, wie sich der objektivistische Abfall vom Ursprung,
durch den sich das wissenschaftliche Denken von der eigentlichen
Philosophie abspaltet, noch innerhalb der Einheit von
philosophischer und wissenschaftlicher episteme abspielt. Wenn
Platon etwa eine wahre Welt der Ideen oder Demokrit eine wahre Welt
der Atome der Welt, wie sie uns unmittelbar alltglich erscheint,
entgegenstellen, so kann Husserl darin Besttigungen fr seine
Interpretation der inneren Entwicklung des
philosophisch-wissenschaftlichen Denkens erblicken. Ein klassisches
Beispiel fr die moderne Wissenschaft wre die Lehre von den primren
und sekundren Qualitten, die Husserl schon in den Ideen I, also 23
Jahre vor der Krisis kritisiert hatte.[footnoteRef:4] Die
Wissenschaft, in diesem Falle die neuzeitliche Physik, erklrt,
untersttzt durch erkenntnistheoretische und ontologische Argumente
der Philosophie: Die Dinge erscheinen uns zwar auerwissenschaftlich
z. B. als farbig, aber diese Erscheinungsweise ist sekundr, in ihr
kommt nur etwas Anderes, Primres zum Vorschein, nmlich gewisse
mathematisch bestimmbare Verhltnisse im atomaren Bereich. Dieser
Bereich ist die wahre Welt. Die Farben, die wir alltglich sehen,
sind zwar kein bloer Schein, aber doch nur Erscheinung, Erscheinung
hier verstanden als Anzeichen von Verhltnissen in einer Welt hinter
unserer alltglichen Welt. [4: Vgl. E. Husserl: Ideen zu einer
reinen Phnomenologie und phnomenologischen Philosophie. 1. Buch.
Husserliana. Bd III. Hrsg. v. W. Biemel. Den Haag 1950. 89 ff, 125
ff; vgl. auch Krisis. 54.]
Jede Behauptung einer solchen anderen, wahren Welt, wie immer
das Verhltnis dieser Welt zu unserer Alltagswelt auch nherhin
bestimmt werden mag, bedeutet nun aber einen Rckfall in die
natrliche Einstellung. Mit jeder solchen Behauptung tritt die
wissenschaftliche mit der vorwissenschaftlichen Erkenntnis in eine
Konkurrenz um die Seinsgeltung der Gegenstnde dieser beiden Weisen
des Erkennens. Eine solche Konkurrenz gibt es aber auch schon
innerhalb der natrlichen Einstellung. Der eine Erkennende erhebt
gegenber dem anderen den Anspruch: mein Gegenstand ist der wahre,
er ist seiend, der deine nicht. Wer sich in eine solche Konkurrenz
begibt, setzt sich dem Risiko der Durchstreichung der von ihm
angenommenen Seinsgeltung aus. Dieses Risiko kann er aber nur
eingehen, weil die Endgeltung der Welt durch einzelne
Enttuschungserlebnisse nicht tangiert wird. Die Konkurrenz der
Erkenntnis von wahrer und alltglicher Welt ist also nur auf dem den
Konkurrenten gemeinsamen Boden der unbefragt festgehaltenen
Seinsgeltung der Welt mglich. Das heit: der Weltglaube ist
ungebrochen.Wenn die Wissenschaft dem alltglichen Erkennen eine
wahre Welt entgegenstellt, macht sie schon gar nicht mehr die eine
in der natrlichen Einstellung unthematisch bleibende Welt als
solche zum Thema, sondern Gegenstnde in der bereits wieder
unthematisch vorausgesetzten Welt. Das Erkennen vollzieht sich
wieder in der Mundanitt, und das heit zugleich: in der
Subjektvergessenheit. Diese Vergessenheit kehrt jetzt im
objektivistischen Selbstmiverstndnis des
philosophisch-wissenschaftlichen Welterkennens wieder: Es verkennt,
da der Grund der Unterscheidung seiner selbst von der alltglichen
Erkenntnis in der Weise des Vollzugs der Einstellung zur Welt und
nicht auf Seiten der Welt zu suchen ist. Die philosophische
Dimension der Letztverantwortung fr diese Einstellung, die schon in
Sicht war, entschwindet damit erneut dem Blick.Eine solche
Wiederkehr der natrlichen Einstellung im Gewande einer Einstellung,
die doch gerade aus dem Bruch mit ihr hervorgegangen war, ist fr
die Philosophie hchst bedrohlich. Indem die neue Einstellung die
wahre Welt gegen die unwahre des vorwissenschaftlichen Lebens
ausspielt, erweckt sie den Schein, als sei sie von der natrlichen
Einstellung unterschieden. In diesem Schein von Philosophie liegt
eine Herausforderung fr diejenige Philosophie, die dem Schein nicht
verfllt. Sie mu ihre eigene Existenz hiergegen erneut
rechtfertigen. Die Philosophie mu so in eine Kritik der
objektivistischen wissenschaftlichen Einstellung als natrlicher
Einstellung zweiter Stufe eintreten. Die Durchschlagskraft dieser
Kritik hngt aber wiederum davon ab, da die kritikbedrftige
Einstellung von sich her die Kritik zult. Das heit, die Einstellung
mu eine Mglichkeit zur Aufhebung der Subjektvergessenheit
enthalten. Die Kritik der objektivistischen wissenschaftlichen
Einstellung kann also konkret nur in dem Nachweis dieser Mglichkeit
bestehen. Und damit ist die Aufgabe bezeichnet, die sich Husserl in
der Krisis-Abhandlung gestellt hat.Der wissenschaftliche
Objektivismus als zweite natrliche Einstellung bedarf nun einer
geschichtlichen Differenzierung, die ich bisher auer acht gelassen
habe. Nach Husserls Auffassung steigert sich die
Subjektvergessenheit, die bereits die vorneuzeitliche
wissenschaftliche Einstellung beherrschte, mit der Entstehung der
neuzeitlichen Wissenschaft. Htte die Philosophie heute die
Auseinandersetzung mit der weniger subjektvergessenen
vorneuzeitlichen Wissenschaft zu fhren, so wrde es ihr nicht schwer
fallen, das Subjektbewutsein aufzuspren, an das sie bei ihrer
Kritik anknpfen knnte. Dies kann man sich auf folgende Weise
klarmachen.Die wissenschaftliche Einstellung entsteht dadurch, da
das vorgegenstndliche, nicht-thematisierende Staunen ein neugierig
thematisierendes, an Gegenstnden interessiertes Fragen aus sich
hervortreibt. Das gegenstndlich gerichtete Interesse hat das
wissenschaftliche Fragen mit dem
vorphilosophisch-vorwissenschaftlichen Leben in der natrlichen
Einstellung gemeinsam. Nun kommt die Interessiertheit des
natrlichen Lebens in einem Zug dieses Lebens zum Vorschein, den ich
in den bisherigen Errterungen bergangen habe, der aber fr die
weiteren berlegungen zentrale Bedeutung bekommen wird. Das Leben in
der natrlichen Einstellung spielt sich alltglich ab in Handlungen,
in denen wir mit irgendwelchen Gegenstnden zu tun haben. Solchem
Handeln begegnen seine Gegenstnde in gewissen Horizonten, die sich
aus den Verweisungsstrukturen ergeben, die jeweils bestimmten
Handlungsarten eigentmlich sind. Die spezifischen
Handlungshorizonte sind uns unthematisch vertraut in den
verschiedenen Weisen praktischen Sich-Auskennens und
Bescheidwissens, des Sich-Verstehens-auf, die die Griechen tichnai
nannten. Die technai als praktische Knste (26) ermglichen jeweils
entsprechende Arten von gegenstandsbezogenem Handeln. So verlangt
beispielsweise die Beteiligung an der Praxis des Handels ein
Sich-Auskennen in der Kunst des Zhlens und Rechnens, die Ttigkeit
des Baumeisters oder des Landvermessers eine Vertrautheit mit der
Kunst des Messens, das Tun des Arztes oder des Heilkundigen eine
Beherrschung der Kunst des Heilens, die Seefahrt die Kunst, sich in
geographisch-kulturellen Bereichen auerhalb der Heimat
zurechtzufinden, usw. Jede solche Kunst tchne erffnet unthematisch
einen spezifischen Horizont, in dem letztlich die unthematisch und
selbstverstndlich vorausgesetzte Welt erscheint.Zufolge der
Wiederkehr des gegenstndlichen Interesses in Gestalt der
theoretischen Neugier kann die Wissenschaft an die Horizontbildung
der natrlichen tchne-geleiteten Praxis anknpfen. Entsprechend der
Vielfltigkeit solcher Praxis spezifizieren sich ihre Horizonte.
Damit ist die Differenzierung des Plurals der Wissenschaften durch
Ausgrenzung ihrer Gebiete aus dem Totalhorizont der Welt
vorgezeichnet. So entstehen durch Thematisierung von Teilhorizonten
bestimmter tchnai, wie ich sie eben als Beispiele angefhrt habe,
typische Gebiete vorneuzeitlicher Wissenschaften: das Gebiet der
Zahlen als solcher, das der geometrischen Verhltnisse als solcher,
das der Ursachen fr Gesundheit und Krankheit als solcher, das des
geographisch Wibaren als solchen, usw.Indem die Wissenschaften
derartige Horizonte als solche, d. h. als eigens abgesteckte und
zugleich durch die Weise ihrer Erforschbarkeit definierte Gebiete
thematisieren, bleiben sie auf die technische Lebenspraxis
zurckbezogen. Sie knnen nun als Fortsetzung oder Abwandlung von
Erkenntnisprozessen interpretiert werden, die schon innerhalb der
natrlichen Einstellung in Gang gekommen waren (vgl. 24f., 340f.),
obwohl sie in ihrem eigentlichen, mit der Philosophie gemeinsamen
Ursprung gerade nicht durch das Bestreben motiviert sind, die
natrliche Erkenntnispraxis irgendwie zu verbessern. Dieses
Bestreben ist von einem Gegenstnde thematisierenden Interesse
geleitet. Den Ursprung des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens
hingegen bildet die jegliches gegenstndlich gerichtete Interesse
transzendierende Gestimmtheit des Staunens, worin der Bruch mit der
natrlichen Einstellung faktisch erlebt wird. Sofern die
philosophisch-wissenschaftliche Welterkenntnis im Staunen aus der
bloen universalen Schau hervorgeht, hat sie den Charakter der
Anschauung, wie dies auch das griechische Wort theora zum Ausdruck
bringt. Zufolge der gegenstndlich interessierten Neugier vollzieht
sich die so verstandene Theorie aber als eine Erkenntnispraxis, und
so entsteht die natrliche Einstellung zweiter Stufe. Die neue nach
Gebieten gegliederte Erkenntnispraxis erhebt nun den Anspruch,
dasjenige mit Bestimmtheit und Verbindlichkeit zu erkennen, was in
der jeweils entsprechenden vorwissenschaftlichen praxisleitenden
tchne nur vage, mit einer gewissen Unbestimmtheit, nmlich in den
Grenzen dessen, was man fr den Alltag braucht, bekannt war.Durch
diesen Rckbezug auf die alltgliche Erkenntnispraxis bleibt die
vor-neuzeitliche wissenschaftliche Erkenntnispraxis abhngig von den
Horizonten, die der alltglichen Erkenntnispraxis ihren Sinn geben.
Die Horizonte aber sind nichts Freischwebendes, sondern nur im
Horizontbewutsein, d. h. in subjektiven Vermglichkeiten gegenwrtig.
Also htte die Subjektvergessenheit der vor-neuzeitlichen
Wissenschaften aufgehoben werden knnen, indem die Philosophie sie
an die Rckbezogenheit ihrer Gebiete und der darauf bezglichen
Erkenntnispraktiken auf das Horizontbewutsein erinnert htte.Viel
schwieriger ist die Lage fr die Philosophie in der
Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Einstellung der
Neuzeit. Das wesentlich Neue an dieser Einstellung gegenber den
vorneuzeitlichen Wissenschaften ist fr Husserl die Freisetzung der
Methode (vgl. 56f.). Hinter dieser Freisetzung steht ein genuin
philosophisches Motiv. Durch den Rckbezug der theoretischen auf die
vorwissenschaftliche Erkenntnispraxis hatte sich das
wissenschaftliche Denken an die Teilhorizonte
vorwissenschaftlich-praktischen Sich-Auskennens gebunden und hatte
damit die Universalitt des umfassendsten Horizonts, der einen Welt,
aus den Augen verloren. Um ihren Bezug zur einen Welt
zurckzugewinnen, lst sich die neuzeitliche Wissenschaft von ihrer
Bindung an die Teilhorizonte. Aufgrund dieser Bindung konnte sich
die vorneuzeitliche Wissenschaft nur endliche Erkenntnisaufgaben
stellen. Horizont heit ja Begrenzungslinie, Grenze. Ein Horizont
legt zwar nicht fest, was faktisch alles in ihm an Gegenstnden
vorkommt, aber er bestimmt doch, was berhaupt in ihm auftreten
kann.[footnoteRef:5] Die Grenzen der wissenschaftlichen
Erkenntnisgebiete und die entsprechend endlichen Aufgabenstellungen
ergaben sich aus den Grenzen, die die Horizonte vorzeichneten. Mit
der Lockerung und in der Endabsicht vlligen Aufhebung der
Rckbindung der wissenschaftlichen Erkenntnispraxis an die
vorgegebenen Teilhorizonte entschrnkt sich das Gesamtgebiet und
ineins damit die Aufgabenstellung der Wissenschaften berhaupt. Die
Wissenschaft kann sich nun zum Ziel setzen, den Universalhorizont,
das Ganze schlechthin, in seiner alle Teilhorizonte
transzendierenden Unendlichkkeit zu erforschen (vgl. 19f., 359f.).
Gegenstand der Wissenschaft wird, wie Husserl dies ausdrckt, die
Welt als unendliche Idee. [5: Vgl. U. Claesges: Zweideutigkeiten in
Husserls Lebenswelt-Begriff. In: Perspektiven
transzendentalphnomenologischer Forschung. Fr L. Landgrebe zum 70.
Geburtstag von seinen Klner Schlern. Den Haag 1972.
(Phaenomenologica. Bd 49. Hrsg. von U. Claesges und K Held)
95.]
Die radikale Ablsung der Wissenschaft von ihren
vorwissenschaftlich vorgegebenen Horizonten bedeutet nun aber, da
sich der praktische Charakter, den die Wissenschaft zufolge der
Entstehung einer gegenstndlich interessierten Einstellung zweiter
Stufe bekommen hatte, endgltig gegen ihre philosophische Herkunft
aus dem Bruch mit der natrlichen Einstellung im Staunen durchsetzt;
denn mit der radikalen Lsung von der Horizontgebundenheit mu sich
die Verfahrensweise des wissenschaftlichen Erkennens als Verfahren
verselbstndigen: Weil es gleichgltig gegen die vorgegebenen
Horizonte wird, kann es seine Regelung nur noch aus sich selbst
finden. In diesem Sinne wird es, wie Husserl sagt, zu einer bloen
tchne (vgl. 46ff., 197ff.). Bloe tchne das besagt, da es sich
gerade nicht mehr um das horizontgebundene Sich-Auskennen, also
tchne im griechischen Sinne, handelt, sondern um ein immanent an
seiner eigenen Effektivitt ausgerichtetes Operieren. Dieses
vollzieht sich in einem unendlichen Fortschreiten der
Forschungsarbeit, unendlich deshalb, weil diese Arbeit auf die Welt
als unendliche Idee bezogen ist.Das unendliche Fortschreiten ist
aber nur unter der Voraussetzung sinnvoll, da jeder einzelne
Erkenntnisfortschritt etwas von der einen unendlichen Welt zutage
frdert. Damit wird vorausgesetzt, da diese eine Welt vorab und
unabhngig von jenem Fortschreiten der Erkenntnis ihren Bestand hat.
Mit dieser Voraussetzung kehrt nun die Generalthesis der natrlichen
Einstellung in einer merkwrdigen Weise wieder. Zum Weltglauben der
vorwissenschaftlichen natrlichen Einstellung gehrt schon die
unausgesprochene berzeugung, da die Welt die Horizonte, in denen
sie sich bei der jeweiligen Gegenstandserfahrung meldet,
transzendiert; die Welt ist mehr als alle diese Horizonte. Aber das
Weltbewutsein bedarf ihrer doch notwendig. Welt kann berhaupt nur
in der Gegebenheitsweise eines jeweiligen okkasionell-situativen
Horizontbewutseins unthematisch zum Vorschein kommen. Die
Transzendierung der Horizonte durch die Welt besteht nur darin, da
das Bewutsein von Welt nicht an irgendeinen bestimmten Horizont
gebunden ist; die Horizonte sind variabel. Demgegenber bekommt die
Welt als unendliche Idee eine Transzendenz, die besagt: das Sein
der so verstandenen Welt ist berhaupt nicht mehr an das Erscheinen
in Horizonten gebunden. Es findet statt unabhngig von jeglichem
Bezug auf das Horizontbewutsein als subjektive Vermglichkeit. Das
Sein der so verstandenen Welt ist gnzlich subjekt-irrelativ.Das
bedeutet aber: In der Annahme einer solchermaen an sich seienden,
schlechthin nicht mehr in Horizontbewutsein eingebetteten,
objektiven Welt erreicht die Subjektvergessenheit der natrlichen
Einstellung eine extreme Gestalt. In der vorwissenschaftlichen
natrlichen Einstellung verga sich das Subjekt im Glauben an das
Ansichsein des Gegenstandes; aber es konnte sich durch den Vollzug
der Gegebenheitsweisen seiner selbst erinnern. In der schon durch
Wissenschaft geprgten, aber noch vorneuzeitlichen natrlichen
Einstellung verga sich das Subjekt in einem Objektivismus erster
Stufe, nmlich im Glauben an das Ansichsein einer wahren Welt der
Wissenschaft; aber es konnte sich durch die Rckbezogenheit der
wissenschaftlichen Erkenntnispraxis auf die endlichen
vorwissenschaftlichen Praxishorizonte seiner selbst erinnern. In
der durch die moderne Wissenschaft entstandenen zweiten natrlichen
Einstellung mit ihrem ins Extrem gesteigerten Objektivismus vergit
sich das Subjekt im Glauben an das absolut subjekt-irrelative
Ansichsein einer wahren unendlichen Welt.Diese neue Einstellung
stellt nun die philosophische Kritik vor eine fast unlsbare
Aufgabe. Zwar wird in dieser Einstellung die Welt selbst, nmlich in
ihrer alle Teilhorizonte transzendierenden Unendlichkeit
thematisiert. Aber mit dem totalen Praktischwerden der
wissenschaftlichen Erkenntnis, wodurch die Welt als unendliche Idee
Thema wird, ist diejenige Welterfahrung verschttet, in der die
unthematische Weltvertrautheit selbst als das berwltigend
Rtselhafte erlebt und so die Mundanitt aufgesprengt wird. Nur in
dieser philosophischen Welterfahrung des Staunens wird aber auch
der Bann der Subjektvergessenheit gebrochen. Von daher kann man
zwar die Kritik formulieren, da die durch die Methodisierung der
Wissenschaft erreichte zweite natrliche Einstellung eine nicht mehr
berbietbare Befangenheit in der Mundanitt und Subjektvergessenheit
bedeutet. Aber es macht die Radikalitt dieser Befangenheit aus, da
die natrliche Einstellung sich in diesem Stadium gegen die
philosophische Kritik immunisiert hat; denn die Erkenntnispraxis in
dieser Einstellung ist durch ihren Bezug auf die Welt als
unendliche Idee philosophisch und bedarf insofern nicht mehr der
Philosophie. So lt sie die philosophische Kritik leerlaufen.
Insofern war mein Reden von einer zweiten natrlichen
Einstellung[footnoteRef:6] in gewissem Sinne miverstndlich. Die
moderne wissenschaftliche Einstellung teilt zwar mit der natrlichen
Einstellung die Subjektvergessenheit und Mundanitt, aber gerade
deswegen, weil sie die extreme Steigerung des Versuchs darstellt,
entgegen der natrlichen Einstellung die Welt selbst zu
thematisieren. [6: Die Formulierung zweite natrliche Einstellung
stammt von mir, aber sie entspricht Husserls Charakterisierung der
wissenschaftlichen Einstellung. Ob theoretisch interessiertes Leben
in dieser Einstellung oder vorwissenschaftlich-praktisch
eingestelltes vorwissenschaftliches Leben, beide Weisen des Lebens
sind Spielarten des einen natrlichen nmlich in der natrlichen
Einstellung vollzogenen Lebens, das dadurch gekennzeichnet ist, da
es Welt zu seinem unthematischen Universalhorizont hat. In diesem
Sinne heit es auf Seite 148: Das natrliche Leben ist, ob
vorwissenschaftlich oder wissenschaftlich, ob theoretisch oder
praktisch interessiertes, Leben in einem universalen unthematischen
Horizont.]
Soll der zweiten natrlichen Einstellung der Schuh der
philosophischen Kritik passen, so mu die Kritik wiederum an ein
natrliches Bewutsein von Subjektrelativitt der Welt anknpfen knnen.
Genau dieses Bewutsein ist aber mit dem neuzeitlichen
Objektivismus, der Idee der unendlichen Welt als einer absolut
subjekt-irrelativen Welt verschttet. Ist unter diesen Umstnden
berhaupt noch Philosophie mglich? Wenn ja, mu Husserl nachweisen,
da auch die moderne wissenschaftliche Welterkenntnis noch von
unthematisch vollzogenen Erscheinungsweisen bzw. unthematisch
bewuten Horizonten abhngig bleibt. Die zur bloen tchne gewordene
Welterkenntnis ist definiert durch ihre Gleichgltigkeit gegenber
den aus der vorwissenschaftlichen Erkenntnispraxis vertrauten
Horizonten. Also kann der geforderte Nachweis konkret nur darin
bestehen, da Husserl zeigt: die Gleichgltigkeit der methodisierten
Welterkenntnis gegen alle solchen Horizonte ist selbst noch
subjektrelativ; sie beruht selbst noch auf der horizontgebundenen
Erkenntnispraxis.Um der Aufgabe, dies zu zeigen, gewachsen zu sein,
bedarf die Kritik der natrlichen Einstellung einer neuen Dimension.
Sie mu historisch werden, genauer gesagt: bewutseinsgeschichtlich
(vgl. 16, 365f., 378ff., 443f., 495ff.). Sie mu erstens
rekonstruieren (20f.), wie aus der vorneuzeitlichen
horizontgebundenen Erkenntnispraxis und nur aus dieser Praxis die
horizontindifferente Methode entstehen konnte; und sie mu zweitens
zeigen, da diese Methode in die Horizontgebundenheit ihres
Herkunftsbereichs eingebettet bleibt.Die historisch erste und fr
alle weitere Methodisierung magebende Gestalt technisch werdender
Erkenntnispraxis ist die neuzeitliche Physik. Die Welt als
unendliche Idee erscheint als Forschungsgegenstand der Physik in
Gestalt der mathematisierten Natur. Die methodische Erforschung
dieser Natur setzt ihre Mathematisierung voraus. Die
Mathematisierung der Natur ist selbst der grundlegende Schritt des
Methodischwerdens der physikalischen Erkenntnis. Deshalb entwickelt
Husserl in dem bekannten Galilei-Paragraphen der Krisis ( 9) den
Hervorgang der horizontindifferenten Methode aus der
horizontgebundenen Erkenntnispraxis, indem er die
bewutseinsgeschichtliche Herkunft der Mathematisierung der Natur
analysiert.Natur meint dabei die Welt als vorgefundene Welt. Die
Rede von Mathematisierung setzt voraus, da die so verstandene Welt
in ihrem unthematischen Erscheinen in der vorwissenschaftlichen
horizontgebundenen Erkenntnispraxis noch nicht auf mathematische
Weise bewut wird. Husserl mu zeigen, da und wie die mathematische
Weise des thematisch-wissenschaftlichen Erscheinens der
vorgefundenen Welt aus der noch nicht mathematischen Weise ihres
unthematischen Erscheinens in der natrlichen Praxis entstehen kann.
Dieser Nachweis setzt voraus, da schon im Vollzug des
nicht-thematischen Erscheinens die Mglichkeit angelegt ist, dazu
berzugehen, die Natur auf mathematische Weise zum Erscheinen zu
bringen. Diese Mglichkeit liegt in dem, was Husserl die Induktivitt
oder auch den universalen Kausalstil des Lebens in der
vorwissenschaftlichen natrlichen Einstellung nennt (vgl. 28ff.,
37ff., 50ff., 130, 349f., 464f.). Der Begriff der Induktivitt trgt
die ganze Rekonstruktion der Methodisierung der Erkenntnispraxis
als einer Mathematisierung der Naturerkenntnis. Was ist diese
Induktivitt, und wieso kennzeichnet sie universal die
Erkenntnispraxis in der natrlichen Einstellung?Das Erkennen in der
natrlichen Einstellung ist nicht statisch, sondern dynamisch
verfat: es ist gerichtet auf die eine Welt, den Universalhorizont.
Jeder Erkennende versucht bestndig, in der jeweiligen
Gegenstandshabe der Einheit dieser einen Welt gewissermaen habhaft
zu werden. Aber die eine Welt als das schlechthin Unthematische ist
uneinholbar. So mu sich das Erkennen an die jeweiligen
Gegenstandserkenntnisse halten, in denen sich die Einheit der
Weltindirekt meldet. Das Sein der Gegenstnde wiederum ist aber in
Enttuschungserlebnissen durchstreichbar, und es ist in den
horizonthaften Verweisungszusammenhang eingebettet. Das heit, der
Erkennende, der der Einheit des Gegenstandes habhaft werden mchte,
mu immer wieder neue in Horizonten bereitliegende Viermglichkeiten
ergreifen. Schon vom schlichtesten Wahrnehmungsgegenstand wei ich,
da er eine mir unbekannte Rckseite hat, die ich mir auch ansehen
mte, wenn ich den drohenden Enttuschungserlebnissen zuvorkommen und
wirklich ber ihn Bescheid wissen wollte. Ich kann aber nicht alle
Rckseiten erforschen; die Perspektivitt ist unerschpflich. So ist
Weltorientierung nur mglich, indem der Erkennende auf der Grundlage
seiner bisherigen horizonthaften Erfahrung gegenstndliche
Identitten antizipiert, von deren Sein er sich mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit durch ein Hineinfragen in bestimmte Horizonte
berzeugen knnte. Die Weltorientierung bedarf in diesem Sinne immer
einer gewissen Voraussicht (vgl. 50ff.). Der Erkennende kann sich
seinen Weltglauben in der enttuschbaren Gegenstandserkenntnis nur
erhalten, indem er die horizonthafte Perspektivitt bestndig auf
antizipierte Identitten hin entperspektiviert. Das ist die
universale Induktivitt. Die ganze Vielfalt der Horizontbildung in
den verschiedenen Arten praxisleitenden Sich-Auskennens in der
natrlichen Einstellung ist nur eine Entfaltung dieser induktiven
Aktivitt mit ihrer Voraussicht.Die Induktivitt ist die Tendenz, den
unthematisch vertrauten perspektivischen Verweisungszusammenhang
durch Thematisierung antizipierter Identitten zu berschreiten.
Diese Identitten haben im Vergleich zum unthematisch Vertrauten den
Charakter der Unanschaulichkeit. Die Wahrnehmung dieses Tisches
hier ist merkwrdig januskpfig: Einerseits bin ich mir seines
Daseins und Soseins (seiner Seinsgeltung) gewi, sofern er mir durch
die Einbettung meiner Wahrnehmung in das vorgegebene
Horizontbewutsein unmittelbar als etwas Vertrautes und Bekanntes
erscheint, und in diesem Sinne hat das Erscheinen des Tisches den
Charakter der Anschauung. Andererseits beruht die Tisch-Wahrnehmung
immer auch auf anschauungstranszendierender Voraussicht; sie enthlt
unthematisch-selbstverstndliche Elementarannahmen wie z. B. die, da
ein solches Ding eine Rckseite hat und da es mir darum bei Einnahme
einer geeigneten Perspektive eine Flche zeigen mte, von der ich
jetzt bereits sicher bin, da sie sich mir im Normalfalle zumindest
mit Farb- und Tastqualitten darbieten wrde. Das Ding ist mir
eigentlich nie gegeben; ich habe es nur als Gegenstand im Medium
weitgehend unthematisch bleibender Antizipationen (vgl. 167). Mache
ich solche Antizipationen, etwa die gerade erwhnten
Elementarannahmen thematisch, d. h. erwacht in mir ein aktives
Interesse z. B. fr die Rckseite, die ich jetzt gerade nicht sehe,
deren Anblick ich aber im Interesse dafr antizipiere, so kommt
heraus: Das Erscheinen des Tisches hat, so betrachtet, gerade nicht
den Charakter der Anschauung. Die in diesem Erscheinen liegende
Antizipation ist als Antizipation unanschaulich. Die universale
Induktivitt ist die Tendenz, die im Horizontbewutsein schlummernden
Antizipationsmglichkeiten durch thematisierende Interessenahmen
eigens zu ergreifen und so jeweils von der anschaulichen Weise des
Erscheinungsvollzugs zur Unanschaulichkeit berzugehen.Hier zeigt
sich, warum sich in der Induktivitt die Mglichkeit vorbereitet, die
noch nicht mathematische Weise des Erscheinungsvollzugs in eine
mathematische zu berfhren: Der grundlegende Unterschied zwischen
einem nicht-mathematischen und einem mathematischen Erscheinen von
Gegenstnden ist der von Anschaulichkeit und Unanschaulichkeit. Die
prinzipiell jeglicher Thematisierung entzogene und insofern gnzlich
unanschauliche Welt ist der Bezugspol jeglicher
induktiv-entperspektivierenden Antizipation von Identitten; in ihr
terminiert schlielich alle Voraussicht. Aber sie selbst ist
diejenige Identitt, der alles Induzieren immer nur nachluft, ohne
sie jemals einholen zu knnen. Mit der Philosophie als der
Thematisierung der prinzipiell jeglicher Thematisierung entzogenen
Welt in ihrer Unthematizitt kommt in das Erkennen eine
Unanschaulichkeit, die die Unanschaulichkeit aller in der
natrlichen Einstellung mglichen Induktionen in einer von dieser
Einstellung her niemals zu ahnenden Weise bersteigt. Diese
philosophische Unanschaulichkeit steigert sich in der neuzeitlichen
Wissenschaft, die sich auf die Welt in ihrer alle Grenzen des
praxisleitenden Horizontbewutseins sprengenden Unendlichkeit
richtet, ins Extrem. Den so im Superlativ seiner Unanschaulichkeit
thematisierten Universalhorizont nennt Husserl, wie erwhnt, die
Welt als unendliche Idee (499). Im Vorblick auf diese Kulmination
des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens in der Ausrichtung auf
eine Idee lt sich der bergang von der natrlichen Induktivitt mit
ihrer Tendenz auf Unanschaulichkeit zur
philosophisch-wissenschaftlichen Praxis der Welterkenntnis als
Idealisierung interpretieren (vgl. 49ff., 289ff., 359ff., 499ff.).
Die Idealisierung ist der Versuch, die rohe Voraussicht (52) in den
tchnai der natrlichen Einstellung zu optimieren durch Ausdehnung
der Voraussicht ins Unendliche, indem bestimmte
Antizipationsmglichkeiten der tchnai als durchlaufen gedacht (359)
werden.So liegen die bewutseinsgeschichtlichen Wurzeln der
Mathematisierung der Naturerkenntnis in der natrlichen Induktivitt
mit ihrer Tendenz auf Unanschaulichkeit. Die Mathematisierung der
Erkenntnis der vorgefundenen Welt vollzieht sich konkret so, da die
auf der Induktivitt beruhenden praxisleitenden tchnai sich
idealisieren. Die hchste Steigerung dieses Prozesses ist die zur
bloen tchne gewordene und auf die Welt als unendliche Idee
gerichtete mathematisierte neuzeitliche Wissenschaft. Wie dieser
Proze in seinen Motivationsverlufen zu rekonstruieren ist, hat
Husserl am Musterbeispiel der neuzeitlichen Physik im
Galilei-Paragraphen der Krisis skizziert (S. 32ff., vgl. dazu
357ff., 365ff.). Die Stichhaltigkeit dieser Rekonstruktion im
einzelnen zu berprfen, wre eine eigene Aufgabe. Hier mu der Hinweis
gengen, da Husserl fr die Grundlegung einer solchen
Rekonstruktionsmglichkeit das Begriffspaar Induktivitt und
Idealisierung bereitgestellt hat.Damit das auf diese Weise
gewonnene Instrumentarium fr eine Kritik der modernen natrlichen
Einstellung zweiter Stufe genutzt werden kann, bedarf es freilich
eines weiteren Nachweises. Selbst wenn man unterstellt, da die
mathematisierende Naturerkenntnis eine uerste Steigerung von
Idealisierungsprozessen darstellt, die sich ihrerseits in der
natrlichen Induktivitt vorbereiten, kann man immer noch annehmen,
diese Herkunft der modernen Forschung aus der Erkenntnispraxis der
natrlichen Einstellung habe fr die Wissenschaft gegenwrtig keine
Bedeutung mehr. Es kommt darauf an zu zeigen, da die Herkunft fr
sie nicht blo ein berholter historischer Ansto war, sondern auch
heute noch ihre Grundlage bildet.Husserl fhrt hierfr zwei Indizien
an. Beide sind triviale Beobachtungen, aber vor dem Hintergrund der
Rekonstruierbarkeit der mathematisierten Erkenntnispraxis aus der
natrlichen Induktivitt und ihrer Idealisierung bekommen sie eine
nicht-triviale Bedeutung. Die erste Beobachtung bezieht sich auf
die Situation des Forschers, der die moderne wissenschaftliche
Erkenntnispraxis vollzieht (vgl. 123f., 128f., 135f., 342f.): Er
bedarf zu ihrer Ausbung vielfltiger Mittel, die ihrerseits in der
Weise der Anschauung gegeben sind. Beispielsweise benutzt er
Meapparaturen mit irgendwelchen Teilstrichen, die er abliest, wobei
er sich auf seine unmittelbaren optischen Eindrcke verlt. Oder er
spricht mit anderen Forschern, er liest deren Aufstze, und immer
ist er berzeugt, da das, was er unmittelbar hrt oder sieht, als
etwas Seiendes vorliegt. Dieser Seinsglaube beruht wie jeder
Seinsglaube auf der fraglos vorausgesetzten Selbstverstndlichkkeit,
da der Forscher wei: ich knnte mich vom Sein dessen, was mir da so
unmittelbar begegnet, gegebenenfalls durch Aktualisierung
geeigneter Gegebenheitsweisen berzeugen. Aber die
Aktualisierbarkeit dieser horizonthaft bereitliegenden Mglichkeiten
bleibt unthematisch. Im Thema steht allein das unanschauliche
Erkannte. Das Verfgenknnen ber Anschauungsmglichkeiten ist etwas so
Selbstverstndliches, da deshalb auch die gerade angefhrte
Beobachtung, die an diese Selbstverstndlichkeit erinnert, trivial
klingt. Diese Trivialitt (vgl. 50f.) ist aber nur der Widerschein
der Tatsache, da die Anschauungswelt, in der sich der Vollzieher
der unanschaulichen Naturerkentnis bewegt und die er
selbstverstndlich voraussetzt, den Charakter der Unthematizitt hat,
wie Husserl nachdrcklich hervorhebt (vgl. 452f.).Den Begriff
Lebenswelt" fhrt Husserl in der Krisis zunchst ein als Titel fr
diese unthematische Anschauungswelt (vgl. 49).[footnoteRef:7]
Sofern der Wissenschaftler als Vollzieher einer unanschaulichen
Erkenntnispraxis unaufhebbar in der Situation steht, sich auf
anschauliche Gegebenheiten verlassen zu mssen, bildet der in diesen
Gegebenheitsweisen bewute Horizont von Anschaulichkeit den Boden,
auf dem er bei seinen Forschungen steht. In diesem Sinne ist die
Lebenswelt der Anschauungsboden, wie Husserl sagt. Obwohl der
neuzeitliche Forscher es mit einer Welt zu tun hat, die in ihrer
Unendlichkeit alle Anschauungshorizonte der natrlichen
Erkenntnispraxis transzendiert, bleibt doch seine auf diese
Unendlichkeit bezogene methodisierte Erkenntnispraxis eingebettet
in eine Erkenntnispraxis, die noch immer und unaufhebbar auf eine
Welt bezogen ist, die in Anschauungshorizonten
auerwissenschaftlicher Praxis erscheint. Diese Welt ist die
Lebenswelt (vgl. 130ff.). [7: Im Wiener Vortrag heit die so
ursprnglich eingefhrte Lebenswelt noch Lebenumwelt (342) und
anschauliche Umwelt (343).]
Husserls Hinweis auf die lebensweltliche Situation des modernen
Forschers reicht freilich als Indiz dafr, da die Erkenntnispraxis
der natrlichen Einstellung die bleibende Grundlage auch der
methodisierten Erkenntnispraxis bildet, noch nicht aus. Man kann
gegen den Hinweis einwenden, das unthematisch-selbstverstndliche
Gebrauchmachen von lebensweltlichen Anschauungen sei zwar fr den
einzelnen Forscher notwendig, aber das Tun der verschiedenen
forschenden Subjekte sei fr die transsubjektiven, objektiven
Ergebnisse der Forschung in ihrem allgemeinen Fortgang
auerwesentlich. Was in der Forschung zhlt, ist das Resultat,
solange die moderne Forschung nur ber das Tun der Forscher, nicht
aber auch ber ihre Resultate zur Lebenswelt in Beziehung gesetzt
wird, bleibt Husserls Hinweis unvollstndig.Deshalb bringt Husserl
ein zweites Indiz, dessen Einfhrung folgende berlegung voraussetzt:
Obwohl wir, wie sich vorhin herausgestellt hat, in der
vorwissenschaftlichen Praxis ber alle unsere Gegenstnde genau
genommen nur aufgrund von anschauungstranszendierenden
Identittsantizipationen verfgen, ermglicht uns das
Horizontbewutsein, uns dieser Gegenstnde doch so zu bedienen, als
seien sie uns unmittelbar anschaulich gegeben. Das heit: sie gehren
nun ihrerseits zum horizonthaft unthematischen Vorrat meiner
Erfahrungsmglichkeiten. Wenn ich aus meinem Arbeitszimmer blicke,
sehe ich auf eine wolkig-grne Flche, von der ich gewi bin, da es
sich um einen Wald handelt, in dem ich spazierengehen kann, obwohl
ich die Zusammensetzung dieses Gebildes aus einzelnen Gegenstnden,
die von nahem betrachtet Bume sind, und die wirkliche Begehbarkeit
dieses Gebietes nur zu einem Bruchteil verifiziert habe; und diese
Gewiheit habe ich unthematisch. Entsprechend geht es uns aber auch
mit den Gegenstnden, die uns nur deswegen zur Verfgung stehen, weil
wir unsere unanschauliche Kenntnis der mathematisierten Natur zur
industriellen Anfertigung technischer Produkte benutzt haben. Wir
bettigen den Lichtschalter und knipsen das Fernsehgert an, und wir
ergreifen diese Verhaltensmglichkeiten, ohne eigens thematisieren
zu mssen, was diese Gegenstnde eigentlich, d. h.
wissenschaftlich-technisch gesehen, sind. Dies ist im Prinzip
deshalb mglich, weil alle Resultate von entperspektivierender,
anschauungstranszendierender Gegenstandsantizipation im
Zusammenhang des Weltglaubens der natrlichen Einstellung und damit
auch alle durch die hchste Idealisierungsstufe gewonnenen
Gegenstnde in den Fundus der unthematisch horizonthaft vorgegebenen
Mglichkeiten unserer Praxis absinken. Sie sedimentieren sich, wie
Husserl sagt. Das durch Entperspektivierung Erworbene aller
Idealisierungsstufen reperspektiviert sich gewissermaen und wird
zum Bestandteil der Welt, die in den Anschauungshorizonten unserer
auerwissenschaftlichen Praxis erscheint (vgl. 133f.). Husserl
bezeichnet diesen Proze in der Krisis als ein Einstrmen in die
Lebenswelt (vgl. 115, 141 Anm., 213, 466).Mit dieser Beobachtung
ist nun die moderne, zur extremen Unanschaulichkeit gesteigerte
Erkenntnispraxis nicht nur ber die lebensweltliche
Anschauungssituation der forschenden Individuen, sondern auch ber
die Resultate ihrer Forschung mit der Lebenswelt in Verbindung
gebracht. Das Einstrmen zeigt: die methodisierte Praxis bleibt in
die auerwissenschaftliche Praxis eingebettet; denn sonst knnten
ihre Ergebnisse nicht in Form einer unthematischen Vertrautheit mit
ihnen in den Horizont dieser Praxis eingehen und in ihr auf dieser
Grundlage verwendbar werden.Mit der Theorie des Einstrmens enthllt
sich ein Aspekt des Lebensweltbegriffs, der so lange nicht
hervortritt, als man nur auf die lebensweltliche Situation der
Forscher achtet. In dieser Blickrichtung konnte die Lebenswelt
vorhin als Anschauungswelt eingefhrt werden. In seiner
Grundbedeutung als Anschauungswelt lt sich der Lebensweltbegriff
als Kontrastbegriff zur unanschaulichen Welt der Wissenschaft
verwenden (vgl. etwa 127, 129, 463). Nun gehen aber zufolge der
universalen Induktivitt die vergegenstndlichten Resultate jeglicher
anschauungstranszendierenden Praxis und so auch die der modernen
auf Idealisierung beruhenden technischen Praxis in die
Anschauungshorizonte der auerwissenschaftlichen Praxis ein, und die
in diesen Horizonten unthematisch erscheinende Welt ist die
Lebenswelt. Damit verliert dieser Begriff seinen Charakter als
Kontrastbegriff. Der Universalhorizont sowohl fr die horizont- und
damit anschauungsgebundene auerwissenschaftliche Praxis in der
natrlichen Einstellung erster Stufe als auch fr die radikal
anschauungstranszendierende Erkenntnispraxis in der natrlichen
Einstellung zweiter Stufe ist die Lebenswelt.Das bedeutet aber:
Lebenswelt in diesem Sinne, in ihrer konkreten Universalitt, wie
Husserl sagt (136), ist nichts anderes als die eine umfassende Welt
der natrlichen Einstellung berhaupt, der
Universalhorizont.[footnoteRef:8] Freilich hat der Weltbegriff nun
eine wesentliche Bereicherung gegenber seiner frheren Fassung
erfahren: Die Welt der natrlichen Einstellung ist nun eine Welt,
die sich geschichtlich durch die in ihr stattfindende Praxis und
ihre Sedimentierungen, durch das Einstrmen, anreichert. Es ist die
konkrete geschichtliche Welt. In diese sich geschichtlich
fortentwickelnde Welt der natrlichen Einstellung gehen auch die
Resultate des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens, das sich
ber die erste natrliche Einstellung erhebt, ein (vgl. 176). [8:
Diese Auffassung vertritt auch L. Landgrebe in seinem Aufsatz
Lebenswelt und Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins. In:
Phnomenologie und Marxismus. Bd 2. Hrsg. von B. Waldenfels u. a.
Frankfurt a. M. 1977, 13 ff. Die Deckung des konkreten
Lebensweltbegriffs mit dem schon vor der Krisis entwickelten
Weltbegriff dokumentiert sich darin, da Husserl nach Abschlu der
vorbereitenden, zum Lebensweltbegriff hinleitenden berlegungen in
der Krisis diesen Begriff ab Seite 146 systematisch genau so
entwickelt, wie er hier im Anschlu an seine Werke vor der Krisis im
I. Teil eingefhrt wurde: nmlich als unthematisches Korrelat der
natrlichen Geradehin-Einstellung und als Thema der philosophischen
Einstellung, die das Erscheinen-in-Gegebenheitsweisen ins Licht der
reflexiven Aufmerksamkeit rckt.]
Wie verhlt sich dieser konkret geschichtliche umfassende
Lebensweltbegriff zum Kontrastbegriff von Lebenswelt als
Anschauungsboden? Liegt in diesem Doppelsinn des
Lebensweltbegriffes (vgl. 134, 462) ein Widerspruch, wie viele
Husserl-Interpreten bis heute meinen? Die vorangegangene
Darstellung sollte zeigen, da ein Widerspruch im Prinzip nicht
besteht. Jegliche an irgendwelchen Gegenstnden interessierte Praxis
hat die Lebenswelt zu ihrem Universalhorizont und bewegt sich als
so verstandene lebensweltliche Praxis immer in der Spannung
zwischen zwei Seiten. Die eine Seite ist das unthematische Verfgen
ber einen unthematischen Horizont der Vertrautheit, der uns die
Gegenstnde als unmittelbar anschaulich gegeben erscheinen lt. Diese
Seite des umfassend geschichtlich konkreten Lebensweltbegriffs kann
man als Lebenswelt im engeren Sinne, d. h. als Anschauungsboden,
fassen. Die andere Seite der lebensweltlichen Praxis ist das
antizipativ-induktiv-entperspektivierende berschreiten der
Lebenswelt im engeren Sinne. Indem sich aber jegliches berschreiten
auch reperspektiviert, stellt sich Lebenswelt als Anschauungsboden
immer wieder her und behlt so konstant ihren Charakter (vgl.
51).[footnoteRef:9] So treffen auf die Lebenswelt gleichermaen die
folgenden, nur dem ersten Anschein nach einander widersprechenden
Bestimmungen zu: 1. Sie ist die Anschauungswelt. 2. Sie ist
Horizont jeder, auch der anschauungstranszendierenden Praxis. 3.
Sie ist geschichtlich wandelbar (nmlich sofern sie fr eine
jeweilige Entperspektivierung in geschichtlicher Praxis den
vorgegebenen unthematischen Anschauungshorizont bildet). 4. Sie ist
bergeschichtlich verharrend (nmlich sofern die thematischen Erwerbe
in die Unthematizitt der Anschauungswelt zurckstrmen). [9: Da sich
die Widersprchlichkeiten in Husserls Lebenswelt-Begriffwenn
berhaupt, dann nur auf diese Weise ausrumen lassen, hatte U.
Claesges schon am Ende seines Anm. 5 erwhnten wichtigen Aufsatzes
Zweideutigkeiten in Husserls Lebenswelt-Begriff 99 ff, angedeutet.
Meine Interpretation stimmt auch berein mit der im Kapitel Die
Lebenswelt bei A. Aguirre: Die Phnomenologie Husserls im Licht
ihrer gegenwrtigen Interpretation und Kritik. Darmstadt 1982. 86
ff. Diese Darstellung hat in meinen Augen das Verdienst, da sie zum
ersten Mal die verborgene Systematik, von der die
Lebenswelt-Problematik in der Krisis getragen ist, in allen
wesentlichen Bezgen ans Licht bringt. Zur Interpretation des
Lebenswelt-Begriffs verweise ich im brigen auf folgende
Verffentlichungen: H. Blumenberg: Lebenswelt und Technisierung
unter Aspekten der Phnomenologie (1963). Wiederverffentlicht in:
Wirklichkeiten in denen wir leben. Stuttgart 1981, 7 ff; G. Funke:
Das topische Bewutsein und der utopische Rckgang auf
Letzterfahrungen der Lebenswelt. In: Phnomenologie Metaphysik oder
Methode? Bonn 1966, 136 ff-, W. Marx: Vernunft und Lebenswelt; und:
Lebenswelt und Lebenswelten. In: Vernunft und Welt.
(Phaenomenologica. Bd 36.) Den Haag 1970, 45 ff; P Janssen:
Geschichte und Lebenswelt. (Phaenomenologica. Bd. 35) Den Haag
1970; L. Landgrebe: Lebenswelt und Geschichtlichkeiten des
menschlichen Daseins (vgl. Anm. 8); Lebenswelt und Wissenschaft in
der Philosophie E. Husserls. Hrsg. v. E. Strker. Frankfurt a. M.
1979; R. Welterz Der Begriff der Lebenswelt. Theorien
vortheoretischer Erfahrungswelt. Mnchen 1986. 90 ff (Ws
Unterscheidung zwischen der einen Lebenswelt und den vielen
Kultur-Umwelten erbrigt sich durch diese Interpretation).]
Die grten Schwierigkeiten bei der Interpretation des
Husserlschen Verstndnisses von Lebenswelt sind im Zusammenhang
ihrer Bestimmung als Anschauungswelt entstanden. Die eigentliche
Wurzel dieser Schwierigkeiten liegt darin, da mit der Entstehung
einer natrlichen Einstellung zweiter Stufe das Verhltnis zwischen
philosophischer und natrlicher Einstellung zweideutig wird. Die
Entwicklung des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens zur
neuzeitlichen methodisierten Wissenschaft ist in sich gegenlufig.
Als extrem idealisierende Erkenntnis von der Welt selbst fhrt sie
von der natrlichen Einstellung, fr die die Welt als Welt
unthematisch bleibt, weg. Als Entstehung eines in sich selbst total
zur Praxis gewordenen Erkennens fhrt sie zur natrlichen Einstellung
zurck. Unter dem ersten Aspekt steht die moderne Wissenschaft
zusammen mit der Philosophie der natrlichen Einstellung gegenber,
unter dem zweiten Aspekt emanzipiert sie sich von der Philosophie
und kommt auf die Seite der natrlichen Einstellung zu stehen.Um
einen Ansatzpunkt zur philosophischen Kritik der modernen
Wissenschaft unter dem zweiten Aspekt zu finden, mu Husserl die
Kontinuitt zwischen der natrlichen Einstellung erster und zweiter
Stufe ins Blickfeld der Aufmerksamkeit rcken. Er mu die Herkunft
der mathematisierten Naturerkenntnis so darstellen, als liee sich
die Entstehung einer bloen tchne bruchlos aus einer in der
Induktivitt liegenden Tendenz zu sich steigernder Unanschaulichkeit
herleiten. So erweckt die Idealisierungstheorie im
Galilei-Paragraphen den Anschein, als ob sich von der
vorwissenschaftlichen Erkenntnispraxis in den verschiedenen tchnai
selbst her kontinuierlich ein Proze steigender Idealisierung
entwickelte. Aber dies ist nur ein Schein, in der Retrospektive aus
der Warte der zur bloen techne gewordenen Erkenntnispraxis mu der
Eindruck entstehen, als ginge das Operieren der horizontgebundenen
tchne ohne Bruch in das horizontindifferente technisch-methodische
Operieren ber (vgl. etwa 24ff., 50f.). In Wahrheit liegt zwischen
der natrlichen Induktivitt der tchnai und dem auf Welt als Welt
bezogenen Idealisierungsproze ein Bruch (vgl. z. B. 25: Erst im
Gefolge des Strebens nach philosophischer Erkenntnis idealisiert
sich die natrliche empirische Mekunst zur wissenschaftlichen
Geometrie), eben der Bruch zwischen Philosophie und natrlicher
Einstellung, zufolgedessen die Wissenschaft als ursprnglich
philosophisch motivierte Erkenntnis auch in ihrer modernen Gestalt
noch auf eine Seite mit der Philosophie gehrt.Um diesen Aspekt in
seiner Analyse nicht verloren gehen zu lassen, mu Husserl, die
Diskontinuitt zwischen der vorphilosophisch-vorwissenschaftlichen
Erfahrung einerseits und dem philosophisch-wissenschaftlichen
Denken andererseits ins Spiel bringen. Als Thematisierung der Welt
als Welt hat das philosophisch-wissenschaftliche Denken den
Grundcharakter der Unanschaulichkeit. Demgem kann Husserl die
Diskontinuitt darin erblicken, da der vorphilosophisch-vorwisse