Krijnen Ferrari Fiorato (Hrsg) mdash
Kulturphilosophie
Studien und Materialien zum Neukantianismus
herausgegeben von
Helmut Holzhey und Ernst Wolfgang Orth
unter Mitwirkung von
Karl-Heinz Lembeck und Peter-Ulrich Merz-Benz
Band 34
Kulturphilosophie
Probleme und Perspektiven des Neukantianismus
Herausgegeben von
Christian Krijnen Massimo Ferrari
Pierfrancesco Fiorato
Koumlnigshausen amp Neumann
CHRISTIAN KRIJNEN (Amsterdam)
Das Dasein der Freiheit
Geltungsrealisierung bei Hegel und in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie
1 Problemexposition
Spuumlrt man dem Begriff des Sozialen in der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie und im spekulativen Idealismus Hegels nach dann wird
sichtbar da mit ihm eine Vielzahl eigentuumlmlicher Probleme aufgeworfen
sind die sich daraus ergeben da der Begriff des Sozialen problemge-
schichtlich gesehen eine sbquopraktischelsquo Faumlrbung hat und erst mit der Heraus-
bildung der Sozialwissenschaen im Laufe des 19 Jahrhunderts ein
wissenschaliches Bewutsein dafuumlr entsteht die spezifische Objektivitaumlt
oder Gegenstaumlndlichkeit des Sozialen zu klaumlren Mit dieser Klaumlrung kommt
es zur theoretischen Ausdifferenzierung des Sozialen als einer eigenen
Sphaumlre und damit zur Losloumlsung des Sozialen von seiner tradierten sbquoprakti-
schenlsquo Ruumlckbindung Angesichts dessen wundert es nicht da man die
Anfaumlnge der Sozialphilosophie in derjenigen Philosophie zu lokalisieren
versucht hat die das letzte Drittel des 19 und das erste des 20 Jahrhun-
derts akademisch dominierte im Neukantianismus1
Namentlich im suumldwestdeutschen Neukantianismus kommt es dabei zu
einer Fassung des Sozialen2 die systematisch gesehen in ihrem Ansatz
auch bestimmend geworden ist fuumlr Entwuumlrfe gegenwaumlrtiger Transzenden-
talphilosophie Zwar identifiziert Rickert zum einen das Soziale mit dem
Praktischen als eines der beiden Hauptgruppen des Systems zum anderen
aber und aufs Ganze gesehen uumlbersteigt er diese Identifikation er kommt
zu einer umfassenderen und fundamentaleren Bedeutung des Sozialen Es
ergibt sich naumlmlich eine Dimension aller Werte die notwendig sozial be-
1 Vgl Roumlttgers 2002 25ff 2 ndash eine von Roumlttgers verkannte freilich Vgl dazu sowie zum Problem der
Konstruktion des Sozialen aus der Perspektive Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie Krijnen 2011a
Christian Krijnen
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stimmt ist die Dimension der Realisierung von Werten dh die Dimensi-
on der Gestaltung des Realen nach Magabe des Wertes Dieses Kultur-
schaffen ist als reales Geschehen immer Produktion durch ein wirkliches
Subjekt das als solches Kulturguumlter produzierendes und darin Geltung
realisierendes Subjekt Person im weiten Sinne ist Das Soziale entpuppt
sich als ebendiese Realisierungsbedingung der Geltung und damit des Ent-
stehens von Kultur ganz gleich ob eine durch sbquosozialelsquo oder sbquoasozialelsquo
Werte konstituierte Entsprechend ist das Soziale als Zusammenhang von
Personen ganz allgemein genommen Realisierungsbedingung von Werten
In dieser Grundbestimmung des Sozialen kommt ein Verhaumlltnis zum
Ausdruck das als das fundierende des philosophischen Systems Rickerts
gelten mag das axiotische Grundverhaumlltnis Diesem Verhaumlltnis zufolge laumlt
sich schon die Sphaumlre der Erkenntnis nicht bestimmen ohne den Begriff
einer (objektiven) Normierungsinstanz fuumlr das theoretische Tun und Las-
sen (wie dies heute etwa Brandom in seiner inferentialistischen Semantik
und Wissenschasphilosophen der epistemic values unterstreichen)3 Gera-
de die suumldwestdeutschen Neukantianer haben den Finger darauf gelegt
da Normierungsverhaumlltnisse das fundierende Verhaumlltnis fuumlr die gesamte
Welt des Menschen ausmachen die verschiedenen Kultur- oder Geltungs-
sphaumlren ndash Wissenscha Moral Recht Kunst Religion usw ndash sind alle Spe-
zifikationen des axiotischen Grundverhaumlltnisses Es ist ein Bedingungsver-
haumlltnis von Wert wertendem Subjekt und Kulturgut Bei dieser wertgemaumls-
sen Selbstgestaltung des Subjekts handelt es sich letztlich um eine Selbst-
gestaltung gemauml Werten die mit der Subjektitaumlt des Subjekts und damit
seiner Freiheit selbst verbunden sind um autonome Werte oder Eigenwer-
te Der Begriff der Selbstgestaltung betri also die Wertbestimmtheit
uumlberhaupt des Subjekts Als Realisierungsinstanz der Werte mu es selbst
eine reale Groumle sein Als reale Groumle ist der Mensch qua Subjekt Subjekt
unter und mit Subjekten Das axiotische Grundverhaumlltnis schliet folglich
eine Pluralitaumlt von Subjekten ein
Ist das Soziale nun die Dimension der Wert- oder Geltungsverwirkli-
chung selbst dann gewinnt durch es ndash mit Hegels Philosophie des Geistes
gesprochen ndash Vernun und damit Freiheit Dasein (E sectsect 482-486) Hegels
Sphaumlre des Rechts ist ebendiese Daseinssphaumlre der Freiheit (E sectsect 483ff)
Es handelt sich folglich um einen weiten Rechtsbegriff in welchem Wille
als ἐνέργεια (Wirklichkeit) als Am-Werk-Sein der Freiheit als sich vernuumlnf-
3 Vgl Brandom 1994 Schoumlnrich 2009 Haddock Millar and Pritchard 2009
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
37
tig zum Dasein Bestimmen des Geistes ist Diesem weiten Begriff des
Rechts gemauml gilt es den Begriff des Rechts als Daseins des freien Willens
des Willens der die Freiheit zu seiner bdquoinneren Bestimmung und Zweckldquo
hat in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo zu verwirklichen und
damit den Begriff der Freiheit in der bdquoaumluerlich objektiven Seiteldquo zu reali-
sieren freilich so da er sich zur bdquoIdeeldquo vollendet (E sect 483f) Den Anfang
macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo (E sect 487) qua Dasein des wirklich frei-
en Willens in einzelnen Personen die ihren Willen in ihnen aumluerlichen
Gegenstaumlnden legen (E sectsect 488ff) Zu Beginn der Ausfuumlhrungen uumlber das
abstrakte Recht haben wir es mit dem Fall eines sich maximal aumluerlich
Seins des freien Geistes (di desjenigen Geistes der Abschlugestalt der
Philosophie des subjektiven Geistes ist) zu tun So kommt ein Proze
begrifflicher Entwicklung in Gang der beim freien Willen in seinem sbquoun-
mittelbarenlsquo Auftreten ansetzt (abstraktes Recht) sodann in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt uumlbergeht (Moralitaumlt) und im Rahmen des objektiven
Geistes dh bezuumlglich des willentlichen Aspektes des freien Geistes endet
beim bdquosubstantiellenldquo Willen in dem Subjektivitaumlt und Objektivitaumlt in
Uumlbereinstimmung gebracht sind (Sittlichkeit) (E sect 487)
In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie indes ist die Glie-
derung des Sozialen auffallend uneinheitlich was sich etwa schon an der
Stellung des Rechts selbst (nicht als Daseins der Vernun sui generis son-
dern im engen Sinne als spezifisches Dasein der Regelung aumluerer Will-
kuumlrverhaumlltnisse) aufzeigen laumlt Waumlhrend das Recht bei den Neukantianern
als Bestandteil der praktischen Philosophie aufgefat wird4 gehoumlrt es bei
gegenwaumlrtigen Transzendentalphilosophen wie Wagner oder Flach in dezi-
dierter Abhebung von der Tradition primaumlr zur Sphaumlre der Nuumltzlichkeit5
Schon mit dieser Feststellung werden grundsaumltzliche Probleme aufgewor-
fen die im folgenden zur Sprache kommen sollen Einheitlich ist in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie jedoch da Philosophie
konzipiert wird als Philosophie von Geltungssphaumlren und damit als The-
matik der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt Philosophie als
Philosophie von Kulturgebieten (Geltungs- Wert- oder Ideensphaumlren)6
4 Vgl Windelband 1923 sect 15 spez S 321ff Cohn 1932 88 Rickert 1921 330
1929 721ff spez 724 1934 188ff Bauch 1924 266ff 1935 212ff 5 Wagner 1980 sect 28 spez S 301f mit 306ff und 81f Flach 1997 Kap 6 spez S
144 mit 152 und 85 6 Vgl dazu eingehend Krijnen (2001 2008) Windelband beispielsweise hat als das
bdquoWesen der Philosophieldquo verstanden wissen wollen da sie auf eine bdquoideelle
Christian Krijnen
38
Im Folgenden gehe ich zunaumlchst ein auf die neukantianische Wendung
von einer Vernunarchitektonik die sich an Gemuumltsvermoumlgen orientiert
zu einer die sich an der Kultur orientiert Es zeigt sich da bestimmte
Kulturgebiete ndash namentlich das fuumlr den Realisierungsgedanken wichtige
Kulturgebiet der Moral ndash eine andere Gebiete uumlbergreifende Sonderstel-
lung erhalten Daher gilt es zu klaumlren in welchem Sinne Kulturgebiete
eigentlich sbquovorliegenlsquo Verkommt die Geltungsreflexion nolens volens zu
einer Krypto-Ontik (2)
Zwar laumlt sich dieses Bedenken zerstreuen dennoch zieht die neukan-
tianische Konzeption Probleme der Gliederung der Kultur nach sich die
gerade auch die Geltungsrealisierung betreffen Sie werden sichtbar unter-
zieht man den suumldwestdeutschen Neukantianismus und dessen Weiterbil-
dung eines Fichteschen Primats der praktischen Vernun einer eingehen-
den Analyse Der Primat der praktischen Vernun wird zum axiotischen
Grundverhaumlltnis und damit zu einem Primat der Selbstgestaltung gemo-
delt Wie aber ist dann noch praktische Philosophie moumlglich Das im Zuge
der Axiotisierungstendenz zu uumlberwindende Verhaumlltnis von theoretischer
und praktischer Vernun kehrt sogar in sublimierter Form zuruumlck wobei
das Praktische letztlich als Dimension der Geltungsrealisierung in An-
schlag gebracht wird (3)
Schon in diesem Kontext laumlt sich auf einen aumlquivoken Subjektbegriff
bzw Realisierungsbegriff aufmerksam machen Zudem uumlberwindet Hegels
spekulatives Selbsterkenntnismodell die wirkungsmaumlchtige noch fuumlr Kant
magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Vernun-
architektonik Damit erhaumllt der Realisierungsgedanke ein durchgaumlngig
anderes Format als im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophie Zunaumlchst gilt es freilich die angedeutete Aumlquivo-
kation naumlher zu bestimmen das Subjekt ist als Vollzugsgroumle der Geltung
(Intentionalitaumlt) und als Realisierungsinstanz der Geltung (Person) in An-
spruch genommen Das Praktische bleibt ein Enigma (4)
Selbstverstaumlndigung der tiefsten Motive des gesamten Kulturlebensldquo aus sei dessen bdquoprinzipielle Einheitldquo es in einer bdquobegrifflichen Formldquo zu erfassen gelte (Windelband 1915d 2) Cassirer will mit seiner Philosophie der symbolischen For-men Kants bdquoKritik der Vernunldquo zur bdquoKritik der Kulturldquo weiterbilden (1994a 11) Kant kommt dabei ein besonderer sachlich-methodischer Stellenwert zu Rickert (1924) hat Kant entsprechend zum sbquoPhilosophen der modernen Kulturlsquo hochstili-siert
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
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das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
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praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
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Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
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zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
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Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
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Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Studien und Materialien zum Neukantianismus
herausgegeben von
Helmut Holzhey und Ernst Wolfgang Orth
unter Mitwirkung von
Karl-Heinz Lembeck und Peter-Ulrich Merz-Benz
Band 34
Kulturphilosophie
Probleme und Perspektiven des Neukantianismus
Herausgegeben von
Christian Krijnen Massimo Ferrari
Pierfrancesco Fiorato
Koumlnigshausen amp Neumann
CHRISTIAN KRIJNEN (Amsterdam)
Das Dasein der Freiheit
Geltungsrealisierung bei Hegel und in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie
1 Problemexposition
Spuumlrt man dem Begriff des Sozialen in der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie und im spekulativen Idealismus Hegels nach dann wird
sichtbar da mit ihm eine Vielzahl eigentuumlmlicher Probleme aufgeworfen
sind die sich daraus ergeben da der Begriff des Sozialen problemge-
schichtlich gesehen eine sbquopraktischelsquo Faumlrbung hat und erst mit der Heraus-
bildung der Sozialwissenschaen im Laufe des 19 Jahrhunderts ein
wissenschaliches Bewutsein dafuumlr entsteht die spezifische Objektivitaumlt
oder Gegenstaumlndlichkeit des Sozialen zu klaumlren Mit dieser Klaumlrung kommt
es zur theoretischen Ausdifferenzierung des Sozialen als einer eigenen
Sphaumlre und damit zur Losloumlsung des Sozialen von seiner tradierten sbquoprakti-
schenlsquo Ruumlckbindung Angesichts dessen wundert es nicht da man die
Anfaumlnge der Sozialphilosophie in derjenigen Philosophie zu lokalisieren
versucht hat die das letzte Drittel des 19 und das erste des 20 Jahrhun-
derts akademisch dominierte im Neukantianismus1
Namentlich im suumldwestdeutschen Neukantianismus kommt es dabei zu
einer Fassung des Sozialen2 die systematisch gesehen in ihrem Ansatz
auch bestimmend geworden ist fuumlr Entwuumlrfe gegenwaumlrtiger Transzenden-
talphilosophie Zwar identifiziert Rickert zum einen das Soziale mit dem
Praktischen als eines der beiden Hauptgruppen des Systems zum anderen
aber und aufs Ganze gesehen uumlbersteigt er diese Identifikation er kommt
zu einer umfassenderen und fundamentaleren Bedeutung des Sozialen Es
ergibt sich naumlmlich eine Dimension aller Werte die notwendig sozial be-
1 Vgl Roumlttgers 2002 25ff 2 ndash eine von Roumlttgers verkannte freilich Vgl dazu sowie zum Problem der
Konstruktion des Sozialen aus der Perspektive Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie Krijnen 2011a
Christian Krijnen
36
stimmt ist die Dimension der Realisierung von Werten dh die Dimensi-
on der Gestaltung des Realen nach Magabe des Wertes Dieses Kultur-
schaffen ist als reales Geschehen immer Produktion durch ein wirkliches
Subjekt das als solches Kulturguumlter produzierendes und darin Geltung
realisierendes Subjekt Person im weiten Sinne ist Das Soziale entpuppt
sich als ebendiese Realisierungsbedingung der Geltung und damit des Ent-
stehens von Kultur ganz gleich ob eine durch sbquosozialelsquo oder sbquoasozialelsquo
Werte konstituierte Entsprechend ist das Soziale als Zusammenhang von
Personen ganz allgemein genommen Realisierungsbedingung von Werten
In dieser Grundbestimmung des Sozialen kommt ein Verhaumlltnis zum
Ausdruck das als das fundierende des philosophischen Systems Rickerts
gelten mag das axiotische Grundverhaumlltnis Diesem Verhaumlltnis zufolge laumlt
sich schon die Sphaumlre der Erkenntnis nicht bestimmen ohne den Begriff
einer (objektiven) Normierungsinstanz fuumlr das theoretische Tun und Las-
sen (wie dies heute etwa Brandom in seiner inferentialistischen Semantik
und Wissenschasphilosophen der epistemic values unterstreichen)3 Gera-
de die suumldwestdeutschen Neukantianer haben den Finger darauf gelegt
da Normierungsverhaumlltnisse das fundierende Verhaumlltnis fuumlr die gesamte
Welt des Menschen ausmachen die verschiedenen Kultur- oder Geltungs-
sphaumlren ndash Wissenscha Moral Recht Kunst Religion usw ndash sind alle Spe-
zifikationen des axiotischen Grundverhaumlltnisses Es ist ein Bedingungsver-
haumlltnis von Wert wertendem Subjekt und Kulturgut Bei dieser wertgemaumls-
sen Selbstgestaltung des Subjekts handelt es sich letztlich um eine Selbst-
gestaltung gemauml Werten die mit der Subjektitaumlt des Subjekts und damit
seiner Freiheit selbst verbunden sind um autonome Werte oder Eigenwer-
te Der Begriff der Selbstgestaltung betri also die Wertbestimmtheit
uumlberhaupt des Subjekts Als Realisierungsinstanz der Werte mu es selbst
eine reale Groumle sein Als reale Groumle ist der Mensch qua Subjekt Subjekt
unter und mit Subjekten Das axiotische Grundverhaumlltnis schliet folglich
eine Pluralitaumlt von Subjekten ein
Ist das Soziale nun die Dimension der Wert- oder Geltungsverwirkli-
chung selbst dann gewinnt durch es ndash mit Hegels Philosophie des Geistes
gesprochen ndash Vernun und damit Freiheit Dasein (E sectsect 482-486) Hegels
Sphaumlre des Rechts ist ebendiese Daseinssphaumlre der Freiheit (E sectsect 483ff)
Es handelt sich folglich um einen weiten Rechtsbegriff in welchem Wille
als ἐνέργεια (Wirklichkeit) als Am-Werk-Sein der Freiheit als sich vernuumlnf-
3 Vgl Brandom 1994 Schoumlnrich 2009 Haddock Millar and Pritchard 2009
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
37
tig zum Dasein Bestimmen des Geistes ist Diesem weiten Begriff des
Rechts gemauml gilt es den Begriff des Rechts als Daseins des freien Willens
des Willens der die Freiheit zu seiner bdquoinneren Bestimmung und Zweckldquo
hat in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo zu verwirklichen und
damit den Begriff der Freiheit in der bdquoaumluerlich objektiven Seiteldquo zu reali-
sieren freilich so da er sich zur bdquoIdeeldquo vollendet (E sect 483f) Den Anfang
macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo (E sect 487) qua Dasein des wirklich frei-
en Willens in einzelnen Personen die ihren Willen in ihnen aumluerlichen
Gegenstaumlnden legen (E sectsect 488ff) Zu Beginn der Ausfuumlhrungen uumlber das
abstrakte Recht haben wir es mit dem Fall eines sich maximal aumluerlich
Seins des freien Geistes (di desjenigen Geistes der Abschlugestalt der
Philosophie des subjektiven Geistes ist) zu tun So kommt ein Proze
begrifflicher Entwicklung in Gang der beim freien Willen in seinem sbquoun-
mittelbarenlsquo Auftreten ansetzt (abstraktes Recht) sodann in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt uumlbergeht (Moralitaumlt) und im Rahmen des objektiven
Geistes dh bezuumlglich des willentlichen Aspektes des freien Geistes endet
beim bdquosubstantiellenldquo Willen in dem Subjektivitaumlt und Objektivitaumlt in
Uumlbereinstimmung gebracht sind (Sittlichkeit) (E sect 487)
In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie indes ist die Glie-
derung des Sozialen auffallend uneinheitlich was sich etwa schon an der
Stellung des Rechts selbst (nicht als Daseins der Vernun sui generis son-
dern im engen Sinne als spezifisches Dasein der Regelung aumluerer Will-
kuumlrverhaumlltnisse) aufzeigen laumlt Waumlhrend das Recht bei den Neukantianern
als Bestandteil der praktischen Philosophie aufgefat wird4 gehoumlrt es bei
gegenwaumlrtigen Transzendentalphilosophen wie Wagner oder Flach in dezi-
dierter Abhebung von der Tradition primaumlr zur Sphaumlre der Nuumltzlichkeit5
Schon mit dieser Feststellung werden grundsaumltzliche Probleme aufgewor-
fen die im folgenden zur Sprache kommen sollen Einheitlich ist in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie jedoch da Philosophie
konzipiert wird als Philosophie von Geltungssphaumlren und damit als The-
matik der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt Philosophie als
Philosophie von Kulturgebieten (Geltungs- Wert- oder Ideensphaumlren)6
4 Vgl Windelband 1923 sect 15 spez S 321ff Cohn 1932 88 Rickert 1921 330
1929 721ff spez 724 1934 188ff Bauch 1924 266ff 1935 212ff 5 Wagner 1980 sect 28 spez S 301f mit 306ff und 81f Flach 1997 Kap 6 spez S
144 mit 152 und 85 6 Vgl dazu eingehend Krijnen (2001 2008) Windelband beispielsweise hat als das
bdquoWesen der Philosophieldquo verstanden wissen wollen da sie auf eine bdquoideelle
Christian Krijnen
38
Im Folgenden gehe ich zunaumlchst ein auf die neukantianische Wendung
von einer Vernunarchitektonik die sich an Gemuumltsvermoumlgen orientiert
zu einer die sich an der Kultur orientiert Es zeigt sich da bestimmte
Kulturgebiete ndash namentlich das fuumlr den Realisierungsgedanken wichtige
Kulturgebiet der Moral ndash eine andere Gebiete uumlbergreifende Sonderstel-
lung erhalten Daher gilt es zu klaumlren in welchem Sinne Kulturgebiete
eigentlich sbquovorliegenlsquo Verkommt die Geltungsreflexion nolens volens zu
einer Krypto-Ontik (2)
Zwar laumlt sich dieses Bedenken zerstreuen dennoch zieht die neukan-
tianische Konzeption Probleme der Gliederung der Kultur nach sich die
gerade auch die Geltungsrealisierung betreffen Sie werden sichtbar unter-
zieht man den suumldwestdeutschen Neukantianismus und dessen Weiterbil-
dung eines Fichteschen Primats der praktischen Vernun einer eingehen-
den Analyse Der Primat der praktischen Vernun wird zum axiotischen
Grundverhaumlltnis und damit zu einem Primat der Selbstgestaltung gemo-
delt Wie aber ist dann noch praktische Philosophie moumlglich Das im Zuge
der Axiotisierungstendenz zu uumlberwindende Verhaumlltnis von theoretischer
und praktischer Vernun kehrt sogar in sublimierter Form zuruumlck wobei
das Praktische letztlich als Dimension der Geltungsrealisierung in An-
schlag gebracht wird (3)
Schon in diesem Kontext laumlt sich auf einen aumlquivoken Subjektbegriff
bzw Realisierungsbegriff aufmerksam machen Zudem uumlberwindet Hegels
spekulatives Selbsterkenntnismodell die wirkungsmaumlchtige noch fuumlr Kant
magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Vernun-
architektonik Damit erhaumllt der Realisierungsgedanke ein durchgaumlngig
anderes Format als im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophie Zunaumlchst gilt es freilich die angedeutete Aumlquivo-
kation naumlher zu bestimmen das Subjekt ist als Vollzugsgroumle der Geltung
(Intentionalitaumlt) und als Realisierungsinstanz der Geltung (Person) in An-
spruch genommen Das Praktische bleibt ein Enigma (4)
Selbstverstaumlndigung der tiefsten Motive des gesamten Kulturlebensldquo aus sei dessen bdquoprinzipielle Einheitldquo es in einer bdquobegrifflichen Formldquo zu erfassen gelte (Windelband 1915d 2) Cassirer will mit seiner Philosophie der symbolischen For-men Kants bdquoKritik der Vernunldquo zur bdquoKritik der Kulturldquo weiterbilden (1994a 11) Kant kommt dabei ein besonderer sachlich-methodischer Stellenwert zu Rickert (1924) hat Kant entsprechend zum sbquoPhilosophen der modernen Kulturlsquo hochstili-siert
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
39
Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
40
das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
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[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit
Geltungsrealisierung bei Hegel und in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie
1 Problemexposition
Spuumlrt man dem Begriff des Sozialen in der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie und im spekulativen Idealismus Hegels nach dann wird
sichtbar da mit ihm eine Vielzahl eigentuumlmlicher Probleme aufgeworfen
sind die sich daraus ergeben da der Begriff des Sozialen problemge-
schichtlich gesehen eine sbquopraktischelsquo Faumlrbung hat und erst mit der Heraus-
bildung der Sozialwissenschaen im Laufe des 19 Jahrhunderts ein
wissenschaliches Bewutsein dafuumlr entsteht die spezifische Objektivitaumlt
oder Gegenstaumlndlichkeit des Sozialen zu klaumlren Mit dieser Klaumlrung kommt
es zur theoretischen Ausdifferenzierung des Sozialen als einer eigenen
Sphaumlre und damit zur Losloumlsung des Sozialen von seiner tradierten sbquoprakti-
schenlsquo Ruumlckbindung Angesichts dessen wundert es nicht da man die
Anfaumlnge der Sozialphilosophie in derjenigen Philosophie zu lokalisieren
versucht hat die das letzte Drittel des 19 und das erste des 20 Jahrhun-
derts akademisch dominierte im Neukantianismus1
Namentlich im suumldwestdeutschen Neukantianismus kommt es dabei zu
einer Fassung des Sozialen2 die systematisch gesehen in ihrem Ansatz
auch bestimmend geworden ist fuumlr Entwuumlrfe gegenwaumlrtiger Transzenden-
talphilosophie Zwar identifiziert Rickert zum einen das Soziale mit dem
Praktischen als eines der beiden Hauptgruppen des Systems zum anderen
aber und aufs Ganze gesehen uumlbersteigt er diese Identifikation er kommt
zu einer umfassenderen und fundamentaleren Bedeutung des Sozialen Es
ergibt sich naumlmlich eine Dimension aller Werte die notwendig sozial be-
1 Vgl Roumlttgers 2002 25ff 2 ndash eine von Roumlttgers verkannte freilich Vgl dazu sowie zum Problem der
Konstruktion des Sozialen aus der Perspektive Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie Krijnen 2011a
Christian Krijnen
36
stimmt ist die Dimension der Realisierung von Werten dh die Dimensi-
on der Gestaltung des Realen nach Magabe des Wertes Dieses Kultur-
schaffen ist als reales Geschehen immer Produktion durch ein wirkliches
Subjekt das als solches Kulturguumlter produzierendes und darin Geltung
realisierendes Subjekt Person im weiten Sinne ist Das Soziale entpuppt
sich als ebendiese Realisierungsbedingung der Geltung und damit des Ent-
stehens von Kultur ganz gleich ob eine durch sbquosozialelsquo oder sbquoasozialelsquo
Werte konstituierte Entsprechend ist das Soziale als Zusammenhang von
Personen ganz allgemein genommen Realisierungsbedingung von Werten
In dieser Grundbestimmung des Sozialen kommt ein Verhaumlltnis zum
Ausdruck das als das fundierende des philosophischen Systems Rickerts
gelten mag das axiotische Grundverhaumlltnis Diesem Verhaumlltnis zufolge laumlt
sich schon die Sphaumlre der Erkenntnis nicht bestimmen ohne den Begriff
einer (objektiven) Normierungsinstanz fuumlr das theoretische Tun und Las-
sen (wie dies heute etwa Brandom in seiner inferentialistischen Semantik
und Wissenschasphilosophen der epistemic values unterstreichen)3 Gera-
de die suumldwestdeutschen Neukantianer haben den Finger darauf gelegt
da Normierungsverhaumlltnisse das fundierende Verhaumlltnis fuumlr die gesamte
Welt des Menschen ausmachen die verschiedenen Kultur- oder Geltungs-
sphaumlren ndash Wissenscha Moral Recht Kunst Religion usw ndash sind alle Spe-
zifikationen des axiotischen Grundverhaumlltnisses Es ist ein Bedingungsver-
haumlltnis von Wert wertendem Subjekt und Kulturgut Bei dieser wertgemaumls-
sen Selbstgestaltung des Subjekts handelt es sich letztlich um eine Selbst-
gestaltung gemauml Werten die mit der Subjektitaumlt des Subjekts und damit
seiner Freiheit selbst verbunden sind um autonome Werte oder Eigenwer-
te Der Begriff der Selbstgestaltung betri also die Wertbestimmtheit
uumlberhaupt des Subjekts Als Realisierungsinstanz der Werte mu es selbst
eine reale Groumle sein Als reale Groumle ist der Mensch qua Subjekt Subjekt
unter und mit Subjekten Das axiotische Grundverhaumlltnis schliet folglich
eine Pluralitaumlt von Subjekten ein
Ist das Soziale nun die Dimension der Wert- oder Geltungsverwirkli-
chung selbst dann gewinnt durch es ndash mit Hegels Philosophie des Geistes
gesprochen ndash Vernun und damit Freiheit Dasein (E sectsect 482-486) Hegels
Sphaumlre des Rechts ist ebendiese Daseinssphaumlre der Freiheit (E sectsect 483ff)
Es handelt sich folglich um einen weiten Rechtsbegriff in welchem Wille
als ἐνέργεια (Wirklichkeit) als Am-Werk-Sein der Freiheit als sich vernuumlnf-
3 Vgl Brandom 1994 Schoumlnrich 2009 Haddock Millar and Pritchard 2009
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
37
tig zum Dasein Bestimmen des Geistes ist Diesem weiten Begriff des
Rechts gemauml gilt es den Begriff des Rechts als Daseins des freien Willens
des Willens der die Freiheit zu seiner bdquoinneren Bestimmung und Zweckldquo
hat in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo zu verwirklichen und
damit den Begriff der Freiheit in der bdquoaumluerlich objektiven Seiteldquo zu reali-
sieren freilich so da er sich zur bdquoIdeeldquo vollendet (E sect 483f) Den Anfang
macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo (E sect 487) qua Dasein des wirklich frei-
en Willens in einzelnen Personen die ihren Willen in ihnen aumluerlichen
Gegenstaumlnden legen (E sectsect 488ff) Zu Beginn der Ausfuumlhrungen uumlber das
abstrakte Recht haben wir es mit dem Fall eines sich maximal aumluerlich
Seins des freien Geistes (di desjenigen Geistes der Abschlugestalt der
Philosophie des subjektiven Geistes ist) zu tun So kommt ein Proze
begrifflicher Entwicklung in Gang der beim freien Willen in seinem sbquoun-
mittelbarenlsquo Auftreten ansetzt (abstraktes Recht) sodann in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt uumlbergeht (Moralitaumlt) und im Rahmen des objektiven
Geistes dh bezuumlglich des willentlichen Aspektes des freien Geistes endet
beim bdquosubstantiellenldquo Willen in dem Subjektivitaumlt und Objektivitaumlt in
Uumlbereinstimmung gebracht sind (Sittlichkeit) (E sect 487)
In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie indes ist die Glie-
derung des Sozialen auffallend uneinheitlich was sich etwa schon an der
Stellung des Rechts selbst (nicht als Daseins der Vernun sui generis son-
dern im engen Sinne als spezifisches Dasein der Regelung aumluerer Will-
kuumlrverhaumlltnisse) aufzeigen laumlt Waumlhrend das Recht bei den Neukantianern
als Bestandteil der praktischen Philosophie aufgefat wird4 gehoumlrt es bei
gegenwaumlrtigen Transzendentalphilosophen wie Wagner oder Flach in dezi-
dierter Abhebung von der Tradition primaumlr zur Sphaumlre der Nuumltzlichkeit5
Schon mit dieser Feststellung werden grundsaumltzliche Probleme aufgewor-
fen die im folgenden zur Sprache kommen sollen Einheitlich ist in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie jedoch da Philosophie
konzipiert wird als Philosophie von Geltungssphaumlren und damit als The-
matik der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt Philosophie als
Philosophie von Kulturgebieten (Geltungs- Wert- oder Ideensphaumlren)6
4 Vgl Windelband 1923 sect 15 spez S 321ff Cohn 1932 88 Rickert 1921 330
1929 721ff spez 724 1934 188ff Bauch 1924 266ff 1935 212ff 5 Wagner 1980 sect 28 spez S 301f mit 306ff und 81f Flach 1997 Kap 6 spez S
144 mit 152 und 85 6 Vgl dazu eingehend Krijnen (2001 2008) Windelband beispielsweise hat als das
bdquoWesen der Philosophieldquo verstanden wissen wollen da sie auf eine bdquoideelle
Christian Krijnen
38
Im Folgenden gehe ich zunaumlchst ein auf die neukantianische Wendung
von einer Vernunarchitektonik die sich an Gemuumltsvermoumlgen orientiert
zu einer die sich an der Kultur orientiert Es zeigt sich da bestimmte
Kulturgebiete ndash namentlich das fuumlr den Realisierungsgedanken wichtige
Kulturgebiet der Moral ndash eine andere Gebiete uumlbergreifende Sonderstel-
lung erhalten Daher gilt es zu klaumlren in welchem Sinne Kulturgebiete
eigentlich sbquovorliegenlsquo Verkommt die Geltungsreflexion nolens volens zu
einer Krypto-Ontik (2)
Zwar laumlt sich dieses Bedenken zerstreuen dennoch zieht die neukan-
tianische Konzeption Probleme der Gliederung der Kultur nach sich die
gerade auch die Geltungsrealisierung betreffen Sie werden sichtbar unter-
zieht man den suumldwestdeutschen Neukantianismus und dessen Weiterbil-
dung eines Fichteschen Primats der praktischen Vernun einer eingehen-
den Analyse Der Primat der praktischen Vernun wird zum axiotischen
Grundverhaumlltnis und damit zu einem Primat der Selbstgestaltung gemo-
delt Wie aber ist dann noch praktische Philosophie moumlglich Das im Zuge
der Axiotisierungstendenz zu uumlberwindende Verhaumlltnis von theoretischer
und praktischer Vernun kehrt sogar in sublimierter Form zuruumlck wobei
das Praktische letztlich als Dimension der Geltungsrealisierung in An-
schlag gebracht wird (3)
Schon in diesem Kontext laumlt sich auf einen aumlquivoken Subjektbegriff
bzw Realisierungsbegriff aufmerksam machen Zudem uumlberwindet Hegels
spekulatives Selbsterkenntnismodell die wirkungsmaumlchtige noch fuumlr Kant
magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Vernun-
architektonik Damit erhaumllt der Realisierungsgedanke ein durchgaumlngig
anderes Format als im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophie Zunaumlchst gilt es freilich die angedeutete Aumlquivo-
kation naumlher zu bestimmen das Subjekt ist als Vollzugsgroumle der Geltung
(Intentionalitaumlt) und als Realisierungsinstanz der Geltung (Person) in An-
spruch genommen Das Praktische bleibt ein Enigma (4)
Selbstverstaumlndigung der tiefsten Motive des gesamten Kulturlebensldquo aus sei dessen bdquoprinzipielle Einheitldquo es in einer bdquobegrifflichen Formldquo zu erfassen gelte (Windelband 1915d 2) Cassirer will mit seiner Philosophie der symbolischen For-men Kants bdquoKritik der Vernunldquo zur bdquoKritik der Kulturldquo weiterbilden (1994a 11) Kant kommt dabei ein besonderer sachlich-methodischer Stellenwert zu Rickert (1924) hat Kant entsprechend zum sbquoPhilosophen der modernen Kulturlsquo hochstili-siert
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
39
Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
40
das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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CHRISTIAN KRIJNEN (Amsterdam)
Das Dasein der Freiheit
Geltungsrealisierung bei Hegel und in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie
1 Problemexposition
Spuumlrt man dem Begriff des Sozialen in der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie und im spekulativen Idealismus Hegels nach dann wird
sichtbar da mit ihm eine Vielzahl eigentuumlmlicher Probleme aufgeworfen
sind die sich daraus ergeben da der Begriff des Sozialen problemge-
schichtlich gesehen eine sbquopraktischelsquo Faumlrbung hat und erst mit der Heraus-
bildung der Sozialwissenschaen im Laufe des 19 Jahrhunderts ein
wissenschaliches Bewutsein dafuumlr entsteht die spezifische Objektivitaumlt
oder Gegenstaumlndlichkeit des Sozialen zu klaumlren Mit dieser Klaumlrung kommt
es zur theoretischen Ausdifferenzierung des Sozialen als einer eigenen
Sphaumlre und damit zur Losloumlsung des Sozialen von seiner tradierten sbquoprakti-
schenlsquo Ruumlckbindung Angesichts dessen wundert es nicht da man die
Anfaumlnge der Sozialphilosophie in derjenigen Philosophie zu lokalisieren
versucht hat die das letzte Drittel des 19 und das erste des 20 Jahrhun-
derts akademisch dominierte im Neukantianismus1
Namentlich im suumldwestdeutschen Neukantianismus kommt es dabei zu
einer Fassung des Sozialen2 die systematisch gesehen in ihrem Ansatz
auch bestimmend geworden ist fuumlr Entwuumlrfe gegenwaumlrtiger Transzenden-
talphilosophie Zwar identifiziert Rickert zum einen das Soziale mit dem
Praktischen als eines der beiden Hauptgruppen des Systems zum anderen
aber und aufs Ganze gesehen uumlbersteigt er diese Identifikation er kommt
zu einer umfassenderen und fundamentaleren Bedeutung des Sozialen Es
ergibt sich naumlmlich eine Dimension aller Werte die notwendig sozial be-
1 Vgl Roumlttgers 2002 25ff 2 ndash eine von Roumlttgers verkannte freilich Vgl dazu sowie zum Problem der
Konstruktion des Sozialen aus der Perspektive Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie Krijnen 2011a
Christian Krijnen
36
stimmt ist die Dimension der Realisierung von Werten dh die Dimensi-
on der Gestaltung des Realen nach Magabe des Wertes Dieses Kultur-
schaffen ist als reales Geschehen immer Produktion durch ein wirkliches
Subjekt das als solches Kulturguumlter produzierendes und darin Geltung
realisierendes Subjekt Person im weiten Sinne ist Das Soziale entpuppt
sich als ebendiese Realisierungsbedingung der Geltung und damit des Ent-
stehens von Kultur ganz gleich ob eine durch sbquosozialelsquo oder sbquoasozialelsquo
Werte konstituierte Entsprechend ist das Soziale als Zusammenhang von
Personen ganz allgemein genommen Realisierungsbedingung von Werten
In dieser Grundbestimmung des Sozialen kommt ein Verhaumlltnis zum
Ausdruck das als das fundierende des philosophischen Systems Rickerts
gelten mag das axiotische Grundverhaumlltnis Diesem Verhaumlltnis zufolge laumlt
sich schon die Sphaumlre der Erkenntnis nicht bestimmen ohne den Begriff
einer (objektiven) Normierungsinstanz fuumlr das theoretische Tun und Las-
sen (wie dies heute etwa Brandom in seiner inferentialistischen Semantik
und Wissenschasphilosophen der epistemic values unterstreichen)3 Gera-
de die suumldwestdeutschen Neukantianer haben den Finger darauf gelegt
da Normierungsverhaumlltnisse das fundierende Verhaumlltnis fuumlr die gesamte
Welt des Menschen ausmachen die verschiedenen Kultur- oder Geltungs-
sphaumlren ndash Wissenscha Moral Recht Kunst Religion usw ndash sind alle Spe-
zifikationen des axiotischen Grundverhaumlltnisses Es ist ein Bedingungsver-
haumlltnis von Wert wertendem Subjekt und Kulturgut Bei dieser wertgemaumls-
sen Selbstgestaltung des Subjekts handelt es sich letztlich um eine Selbst-
gestaltung gemauml Werten die mit der Subjektitaumlt des Subjekts und damit
seiner Freiheit selbst verbunden sind um autonome Werte oder Eigenwer-
te Der Begriff der Selbstgestaltung betri also die Wertbestimmtheit
uumlberhaupt des Subjekts Als Realisierungsinstanz der Werte mu es selbst
eine reale Groumle sein Als reale Groumle ist der Mensch qua Subjekt Subjekt
unter und mit Subjekten Das axiotische Grundverhaumlltnis schliet folglich
eine Pluralitaumlt von Subjekten ein
Ist das Soziale nun die Dimension der Wert- oder Geltungsverwirkli-
chung selbst dann gewinnt durch es ndash mit Hegels Philosophie des Geistes
gesprochen ndash Vernun und damit Freiheit Dasein (E sectsect 482-486) Hegels
Sphaumlre des Rechts ist ebendiese Daseinssphaumlre der Freiheit (E sectsect 483ff)
Es handelt sich folglich um einen weiten Rechtsbegriff in welchem Wille
als ἐνέργεια (Wirklichkeit) als Am-Werk-Sein der Freiheit als sich vernuumlnf-
3 Vgl Brandom 1994 Schoumlnrich 2009 Haddock Millar and Pritchard 2009
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
37
tig zum Dasein Bestimmen des Geistes ist Diesem weiten Begriff des
Rechts gemauml gilt es den Begriff des Rechts als Daseins des freien Willens
des Willens der die Freiheit zu seiner bdquoinneren Bestimmung und Zweckldquo
hat in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo zu verwirklichen und
damit den Begriff der Freiheit in der bdquoaumluerlich objektiven Seiteldquo zu reali-
sieren freilich so da er sich zur bdquoIdeeldquo vollendet (E sect 483f) Den Anfang
macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo (E sect 487) qua Dasein des wirklich frei-
en Willens in einzelnen Personen die ihren Willen in ihnen aumluerlichen
Gegenstaumlnden legen (E sectsect 488ff) Zu Beginn der Ausfuumlhrungen uumlber das
abstrakte Recht haben wir es mit dem Fall eines sich maximal aumluerlich
Seins des freien Geistes (di desjenigen Geistes der Abschlugestalt der
Philosophie des subjektiven Geistes ist) zu tun So kommt ein Proze
begrifflicher Entwicklung in Gang der beim freien Willen in seinem sbquoun-
mittelbarenlsquo Auftreten ansetzt (abstraktes Recht) sodann in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt uumlbergeht (Moralitaumlt) und im Rahmen des objektiven
Geistes dh bezuumlglich des willentlichen Aspektes des freien Geistes endet
beim bdquosubstantiellenldquo Willen in dem Subjektivitaumlt und Objektivitaumlt in
Uumlbereinstimmung gebracht sind (Sittlichkeit) (E sect 487)
In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie indes ist die Glie-
derung des Sozialen auffallend uneinheitlich was sich etwa schon an der
Stellung des Rechts selbst (nicht als Daseins der Vernun sui generis son-
dern im engen Sinne als spezifisches Dasein der Regelung aumluerer Will-
kuumlrverhaumlltnisse) aufzeigen laumlt Waumlhrend das Recht bei den Neukantianern
als Bestandteil der praktischen Philosophie aufgefat wird4 gehoumlrt es bei
gegenwaumlrtigen Transzendentalphilosophen wie Wagner oder Flach in dezi-
dierter Abhebung von der Tradition primaumlr zur Sphaumlre der Nuumltzlichkeit5
Schon mit dieser Feststellung werden grundsaumltzliche Probleme aufgewor-
fen die im folgenden zur Sprache kommen sollen Einheitlich ist in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie jedoch da Philosophie
konzipiert wird als Philosophie von Geltungssphaumlren und damit als The-
matik der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt Philosophie als
Philosophie von Kulturgebieten (Geltungs- Wert- oder Ideensphaumlren)6
4 Vgl Windelband 1923 sect 15 spez S 321ff Cohn 1932 88 Rickert 1921 330
1929 721ff spez 724 1934 188ff Bauch 1924 266ff 1935 212ff 5 Wagner 1980 sect 28 spez S 301f mit 306ff und 81f Flach 1997 Kap 6 spez S
144 mit 152 und 85 6 Vgl dazu eingehend Krijnen (2001 2008) Windelband beispielsweise hat als das
bdquoWesen der Philosophieldquo verstanden wissen wollen da sie auf eine bdquoideelle
Christian Krijnen
38
Im Folgenden gehe ich zunaumlchst ein auf die neukantianische Wendung
von einer Vernunarchitektonik die sich an Gemuumltsvermoumlgen orientiert
zu einer die sich an der Kultur orientiert Es zeigt sich da bestimmte
Kulturgebiete ndash namentlich das fuumlr den Realisierungsgedanken wichtige
Kulturgebiet der Moral ndash eine andere Gebiete uumlbergreifende Sonderstel-
lung erhalten Daher gilt es zu klaumlren in welchem Sinne Kulturgebiete
eigentlich sbquovorliegenlsquo Verkommt die Geltungsreflexion nolens volens zu
einer Krypto-Ontik (2)
Zwar laumlt sich dieses Bedenken zerstreuen dennoch zieht die neukan-
tianische Konzeption Probleme der Gliederung der Kultur nach sich die
gerade auch die Geltungsrealisierung betreffen Sie werden sichtbar unter-
zieht man den suumldwestdeutschen Neukantianismus und dessen Weiterbil-
dung eines Fichteschen Primats der praktischen Vernun einer eingehen-
den Analyse Der Primat der praktischen Vernun wird zum axiotischen
Grundverhaumlltnis und damit zu einem Primat der Selbstgestaltung gemo-
delt Wie aber ist dann noch praktische Philosophie moumlglich Das im Zuge
der Axiotisierungstendenz zu uumlberwindende Verhaumlltnis von theoretischer
und praktischer Vernun kehrt sogar in sublimierter Form zuruumlck wobei
das Praktische letztlich als Dimension der Geltungsrealisierung in An-
schlag gebracht wird (3)
Schon in diesem Kontext laumlt sich auf einen aumlquivoken Subjektbegriff
bzw Realisierungsbegriff aufmerksam machen Zudem uumlberwindet Hegels
spekulatives Selbsterkenntnismodell die wirkungsmaumlchtige noch fuumlr Kant
magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Vernun-
architektonik Damit erhaumllt der Realisierungsgedanke ein durchgaumlngig
anderes Format als im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophie Zunaumlchst gilt es freilich die angedeutete Aumlquivo-
kation naumlher zu bestimmen das Subjekt ist als Vollzugsgroumle der Geltung
(Intentionalitaumlt) und als Realisierungsinstanz der Geltung (Person) in An-
spruch genommen Das Praktische bleibt ein Enigma (4)
Selbstverstaumlndigung der tiefsten Motive des gesamten Kulturlebensldquo aus sei dessen bdquoprinzipielle Einheitldquo es in einer bdquobegrifflichen Formldquo zu erfassen gelte (Windelband 1915d 2) Cassirer will mit seiner Philosophie der symbolischen For-men Kants bdquoKritik der Vernunldquo zur bdquoKritik der Kulturldquo weiterbilden (1994a 11) Kant kommt dabei ein besonderer sachlich-methodischer Stellenwert zu Rickert (1924) hat Kant entsprechend zum sbquoPhilosophen der modernen Kulturlsquo hochstili-siert
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
39
Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
40
das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
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Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
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Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
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bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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stimmt ist die Dimension der Realisierung von Werten dh die Dimensi-
on der Gestaltung des Realen nach Magabe des Wertes Dieses Kultur-
schaffen ist als reales Geschehen immer Produktion durch ein wirkliches
Subjekt das als solches Kulturguumlter produzierendes und darin Geltung
realisierendes Subjekt Person im weiten Sinne ist Das Soziale entpuppt
sich als ebendiese Realisierungsbedingung der Geltung und damit des Ent-
stehens von Kultur ganz gleich ob eine durch sbquosozialelsquo oder sbquoasozialelsquo
Werte konstituierte Entsprechend ist das Soziale als Zusammenhang von
Personen ganz allgemein genommen Realisierungsbedingung von Werten
In dieser Grundbestimmung des Sozialen kommt ein Verhaumlltnis zum
Ausdruck das als das fundierende des philosophischen Systems Rickerts
gelten mag das axiotische Grundverhaumlltnis Diesem Verhaumlltnis zufolge laumlt
sich schon die Sphaumlre der Erkenntnis nicht bestimmen ohne den Begriff
einer (objektiven) Normierungsinstanz fuumlr das theoretische Tun und Las-
sen (wie dies heute etwa Brandom in seiner inferentialistischen Semantik
und Wissenschasphilosophen der epistemic values unterstreichen)3 Gera-
de die suumldwestdeutschen Neukantianer haben den Finger darauf gelegt
da Normierungsverhaumlltnisse das fundierende Verhaumlltnis fuumlr die gesamte
Welt des Menschen ausmachen die verschiedenen Kultur- oder Geltungs-
sphaumlren ndash Wissenscha Moral Recht Kunst Religion usw ndash sind alle Spe-
zifikationen des axiotischen Grundverhaumlltnisses Es ist ein Bedingungsver-
haumlltnis von Wert wertendem Subjekt und Kulturgut Bei dieser wertgemaumls-
sen Selbstgestaltung des Subjekts handelt es sich letztlich um eine Selbst-
gestaltung gemauml Werten die mit der Subjektitaumlt des Subjekts und damit
seiner Freiheit selbst verbunden sind um autonome Werte oder Eigenwer-
te Der Begriff der Selbstgestaltung betri also die Wertbestimmtheit
uumlberhaupt des Subjekts Als Realisierungsinstanz der Werte mu es selbst
eine reale Groumle sein Als reale Groumle ist der Mensch qua Subjekt Subjekt
unter und mit Subjekten Das axiotische Grundverhaumlltnis schliet folglich
eine Pluralitaumlt von Subjekten ein
Ist das Soziale nun die Dimension der Wert- oder Geltungsverwirkli-
chung selbst dann gewinnt durch es ndash mit Hegels Philosophie des Geistes
gesprochen ndash Vernun und damit Freiheit Dasein (E sectsect 482-486) Hegels
Sphaumlre des Rechts ist ebendiese Daseinssphaumlre der Freiheit (E sectsect 483ff)
Es handelt sich folglich um einen weiten Rechtsbegriff in welchem Wille
als ἐνέργεια (Wirklichkeit) als Am-Werk-Sein der Freiheit als sich vernuumlnf-
3 Vgl Brandom 1994 Schoumlnrich 2009 Haddock Millar and Pritchard 2009
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
37
tig zum Dasein Bestimmen des Geistes ist Diesem weiten Begriff des
Rechts gemauml gilt es den Begriff des Rechts als Daseins des freien Willens
des Willens der die Freiheit zu seiner bdquoinneren Bestimmung und Zweckldquo
hat in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo zu verwirklichen und
damit den Begriff der Freiheit in der bdquoaumluerlich objektiven Seiteldquo zu reali-
sieren freilich so da er sich zur bdquoIdeeldquo vollendet (E sect 483f) Den Anfang
macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo (E sect 487) qua Dasein des wirklich frei-
en Willens in einzelnen Personen die ihren Willen in ihnen aumluerlichen
Gegenstaumlnden legen (E sectsect 488ff) Zu Beginn der Ausfuumlhrungen uumlber das
abstrakte Recht haben wir es mit dem Fall eines sich maximal aumluerlich
Seins des freien Geistes (di desjenigen Geistes der Abschlugestalt der
Philosophie des subjektiven Geistes ist) zu tun So kommt ein Proze
begrifflicher Entwicklung in Gang der beim freien Willen in seinem sbquoun-
mittelbarenlsquo Auftreten ansetzt (abstraktes Recht) sodann in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt uumlbergeht (Moralitaumlt) und im Rahmen des objektiven
Geistes dh bezuumlglich des willentlichen Aspektes des freien Geistes endet
beim bdquosubstantiellenldquo Willen in dem Subjektivitaumlt und Objektivitaumlt in
Uumlbereinstimmung gebracht sind (Sittlichkeit) (E sect 487)
In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie indes ist die Glie-
derung des Sozialen auffallend uneinheitlich was sich etwa schon an der
Stellung des Rechts selbst (nicht als Daseins der Vernun sui generis son-
dern im engen Sinne als spezifisches Dasein der Regelung aumluerer Will-
kuumlrverhaumlltnisse) aufzeigen laumlt Waumlhrend das Recht bei den Neukantianern
als Bestandteil der praktischen Philosophie aufgefat wird4 gehoumlrt es bei
gegenwaumlrtigen Transzendentalphilosophen wie Wagner oder Flach in dezi-
dierter Abhebung von der Tradition primaumlr zur Sphaumlre der Nuumltzlichkeit5
Schon mit dieser Feststellung werden grundsaumltzliche Probleme aufgewor-
fen die im folgenden zur Sprache kommen sollen Einheitlich ist in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie jedoch da Philosophie
konzipiert wird als Philosophie von Geltungssphaumlren und damit als The-
matik der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt Philosophie als
Philosophie von Kulturgebieten (Geltungs- Wert- oder Ideensphaumlren)6
4 Vgl Windelband 1923 sect 15 spez S 321ff Cohn 1932 88 Rickert 1921 330
1929 721ff spez 724 1934 188ff Bauch 1924 266ff 1935 212ff 5 Wagner 1980 sect 28 spez S 301f mit 306ff und 81f Flach 1997 Kap 6 spez S
144 mit 152 und 85 6 Vgl dazu eingehend Krijnen (2001 2008) Windelband beispielsweise hat als das
bdquoWesen der Philosophieldquo verstanden wissen wollen da sie auf eine bdquoideelle
Christian Krijnen
38
Im Folgenden gehe ich zunaumlchst ein auf die neukantianische Wendung
von einer Vernunarchitektonik die sich an Gemuumltsvermoumlgen orientiert
zu einer die sich an der Kultur orientiert Es zeigt sich da bestimmte
Kulturgebiete ndash namentlich das fuumlr den Realisierungsgedanken wichtige
Kulturgebiet der Moral ndash eine andere Gebiete uumlbergreifende Sonderstel-
lung erhalten Daher gilt es zu klaumlren in welchem Sinne Kulturgebiete
eigentlich sbquovorliegenlsquo Verkommt die Geltungsreflexion nolens volens zu
einer Krypto-Ontik (2)
Zwar laumlt sich dieses Bedenken zerstreuen dennoch zieht die neukan-
tianische Konzeption Probleme der Gliederung der Kultur nach sich die
gerade auch die Geltungsrealisierung betreffen Sie werden sichtbar unter-
zieht man den suumldwestdeutschen Neukantianismus und dessen Weiterbil-
dung eines Fichteschen Primats der praktischen Vernun einer eingehen-
den Analyse Der Primat der praktischen Vernun wird zum axiotischen
Grundverhaumlltnis und damit zu einem Primat der Selbstgestaltung gemo-
delt Wie aber ist dann noch praktische Philosophie moumlglich Das im Zuge
der Axiotisierungstendenz zu uumlberwindende Verhaumlltnis von theoretischer
und praktischer Vernun kehrt sogar in sublimierter Form zuruumlck wobei
das Praktische letztlich als Dimension der Geltungsrealisierung in An-
schlag gebracht wird (3)
Schon in diesem Kontext laumlt sich auf einen aumlquivoken Subjektbegriff
bzw Realisierungsbegriff aufmerksam machen Zudem uumlberwindet Hegels
spekulatives Selbsterkenntnismodell die wirkungsmaumlchtige noch fuumlr Kant
magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Vernun-
architektonik Damit erhaumllt der Realisierungsgedanke ein durchgaumlngig
anderes Format als im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophie Zunaumlchst gilt es freilich die angedeutete Aumlquivo-
kation naumlher zu bestimmen das Subjekt ist als Vollzugsgroumle der Geltung
(Intentionalitaumlt) und als Realisierungsinstanz der Geltung (Person) in An-
spruch genommen Das Praktische bleibt ein Enigma (4)
Selbstverstaumlndigung der tiefsten Motive des gesamten Kulturlebensldquo aus sei dessen bdquoprinzipielle Einheitldquo es in einer bdquobegrifflichen Formldquo zu erfassen gelte (Windelband 1915d 2) Cassirer will mit seiner Philosophie der symbolischen For-men Kants bdquoKritik der Vernunldquo zur bdquoKritik der Kulturldquo weiterbilden (1994a 11) Kant kommt dabei ein besonderer sachlich-methodischer Stellenwert zu Rickert (1924) hat Kant entsprechend zum sbquoPhilosophen der modernen Kulturlsquo hochstili-siert
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
39
Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
40
das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
37
tig zum Dasein Bestimmen des Geistes ist Diesem weiten Begriff des
Rechts gemauml gilt es den Begriff des Rechts als Daseins des freien Willens
des Willens der die Freiheit zu seiner bdquoinneren Bestimmung und Zweckldquo
hat in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo zu verwirklichen und
damit den Begriff der Freiheit in der bdquoaumluerlich objektiven Seiteldquo zu reali-
sieren freilich so da er sich zur bdquoIdeeldquo vollendet (E sect 483f) Den Anfang
macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo (E sect 487) qua Dasein des wirklich frei-
en Willens in einzelnen Personen die ihren Willen in ihnen aumluerlichen
Gegenstaumlnden legen (E sectsect 488ff) Zu Beginn der Ausfuumlhrungen uumlber das
abstrakte Recht haben wir es mit dem Fall eines sich maximal aumluerlich
Seins des freien Geistes (di desjenigen Geistes der Abschlugestalt der
Philosophie des subjektiven Geistes ist) zu tun So kommt ein Proze
begrifflicher Entwicklung in Gang der beim freien Willen in seinem sbquoun-
mittelbarenlsquo Auftreten ansetzt (abstraktes Recht) sodann in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt uumlbergeht (Moralitaumlt) und im Rahmen des objektiven
Geistes dh bezuumlglich des willentlichen Aspektes des freien Geistes endet
beim bdquosubstantiellenldquo Willen in dem Subjektivitaumlt und Objektivitaumlt in
Uumlbereinstimmung gebracht sind (Sittlichkeit) (E sect 487)
In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie indes ist die Glie-
derung des Sozialen auffallend uneinheitlich was sich etwa schon an der
Stellung des Rechts selbst (nicht als Daseins der Vernun sui generis son-
dern im engen Sinne als spezifisches Dasein der Regelung aumluerer Will-
kuumlrverhaumlltnisse) aufzeigen laumlt Waumlhrend das Recht bei den Neukantianern
als Bestandteil der praktischen Philosophie aufgefat wird4 gehoumlrt es bei
gegenwaumlrtigen Transzendentalphilosophen wie Wagner oder Flach in dezi-
dierter Abhebung von der Tradition primaumlr zur Sphaumlre der Nuumltzlichkeit5
Schon mit dieser Feststellung werden grundsaumltzliche Probleme aufgewor-
fen die im folgenden zur Sprache kommen sollen Einheitlich ist in der
kantianisierenden Transzendentalphilosophie jedoch da Philosophie
konzipiert wird als Philosophie von Geltungssphaumlren und damit als The-
matik der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt Philosophie als
Philosophie von Kulturgebieten (Geltungs- Wert- oder Ideensphaumlren)6
4 Vgl Windelband 1923 sect 15 spez S 321ff Cohn 1932 88 Rickert 1921 330
1929 721ff spez 724 1934 188ff Bauch 1924 266ff 1935 212ff 5 Wagner 1980 sect 28 spez S 301f mit 306ff und 81f Flach 1997 Kap 6 spez S
144 mit 152 und 85 6 Vgl dazu eingehend Krijnen (2001 2008) Windelband beispielsweise hat als das
bdquoWesen der Philosophieldquo verstanden wissen wollen da sie auf eine bdquoideelle
Christian Krijnen
38
Im Folgenden gehe ich zunaumlchst ein auf die neukantianische Wendung
von einer Vernunarchitektonik die sich an Gemuumltsvermoumlgen orientiert
zu einer die sich an der Kultur orientiert Es zeigt sich da bestimmte
Kulturgebiete ndash namentlich das fuumlr den Realisierungsgedanken wichtige
Kulturgebiet der Moral ndash eine andere Gebiete uumlbergreifende Sonderstel-
lung erhalten Daher gilt es zu klaumlren in welchem Sinne Kulturgebiete
eigentlich sbquovorliegenlsquo Verkommt die Geltungsreflexion nolens volens zu
einer Krypto-Ontik (2)
Zwar laumlt sich dieses Bedenken zerstreuen dennoch zieht die neukan-
tianische Konzeption Probleme der Gliederung der Kultur nach sich die
gerade auch die Geltungsrealisierung betreffen Sie werden sichtbar unter-
zieht man den suumldwestdeutschen Neukantianismus und dessen Weiterbil-
dung eines Fichteschen Primats der praktischen Vernun einer eingehen-
den Analyse Der Primat der praktischen Vernun wird zum axiotischen
Grundverhaumlltnis und damit zu einem Primat der Selbstgestaltung gemo-
delt Wie aber ist dann noch praktische Philosophie moumlglich Das im Zuge
der Axiotisierungstendenz zu uumlberwindende Verhaumlltnis von theoretischer
und praktischer Vernun kehrt sogar in sublimierter Form zuruumlck wobei
das Praktische letztlich als Dimension der Geltungsrealisierung in An-
schlag gebracht wird (3)
Schon in diesem Kontext laumlt sich auf einen aumlquivoken Subjektbegriff
bzw Realisierungsbegriff aufmerksam machen Zudem uumlberwindet Hegels
spekulatives Selbsterkenntnismodell die wirkungsmaumlchtige noch fuumlr Kant
magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Vernun-
architektonik Damit erhaumllt der Realisierungsgedanke ein durchgaumlngig
anderes Format als im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophie Zunaumlchst gilt es freilich die angedeutete Aumlquivo-
kation naumlher zu bestimmen das Subjekt ist als Vollzugsgroumle der Geltung
(Intentionalitaumlt) und als Realisierungsinstanz der Geltung (Person) in An-
spruch genommen Das Praktische bleibt ein Enigma (4)
Selbstverstaumlndigung der tiefsten Motive des gesamten Kulturlebensldquo aus sei dessen bdquoprinzipielle Einheitldquo es in einer bdquobegrifflichen Formldquo zu erfassen gelte (Windelband 1915d 2) Cassirer will mit seiner Philosophie der symbolischen For-men Kants bdquoKritik der Vernunldquo zur bdquoKritik der Kulturldquo weiterbilden (1994a 11) Kant kommt dabei ein besonderer sachlich-methodischer Stellenwert zu Rickert (1924) hat Kant entsprechend zum sbquoPhilosophen der modernen Kulturlsquo hochstili-siert
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
39
Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
40
das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
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gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
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Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Christian Krijnen
38
Im Folgenden gehe ich zunaumlchst ein auf die neukantianische Wendung
von einer Vernunarchitektonik die sich an Gemuumltsvermoumlgen orientiert
zu einer die sich an der Kultur orientiert Es zeigt sich da bestimmte
Kulturgebiete ndash namentlich das fuumlr den Realisierungsgedanken wichtige
Kulturgebiet der Moral ndash eine andere Gebiete uumlbergreifende Sonderstel-
lung erhalten Daher gilt es zu klaumlren in welchem Sinne Kulturgebiete
eigentlich sbquovorliegenlsquo Verkommt die Geltungsreflexion nolens volens zu
einer Krypto-Ontik (2)
Zwar laumlt sich dieses Bedenken zerstreuen dennoch zieht die neukan-
tianische Konzeption Probleme der Gliederung der Kultur nach sich die
gerade auch die Geltungsrealisierung betreffen Sie werden sichtbar unter-
zieht man den suumldwestdeutschen Neukantianismus und dessen Weiterbil-
dung eines Fichteschen Primats der praktischen Vernun einer eingehen-
den Analyse Der Primat der praktischen Vernun wird zum axiotischen
Grundverhaumlltnis und damit zu einem Primat der Selbstgestaltung gemo-
delt Wie aber ist dann noch praktische Philosophie moumlglich Das im Zuge
der Axiotisierungstendenz zu uumlberwindende Verhaumlltnis von theoretischer
und praktischer Vernun kehrt sogar in sublimierter Form zuruumlck wobei
das Praktische letztlich als Dimension der Geltungsrealisierung in An-
schlag gebracht wird (3)
Schon in diesem Kontext laumlt sich auf einen aumlquivoken Subjektbegriff
bzw Realisierungsbegriff aufmerksam machen Zudem uumlberwindet Hegels
spekulatives Selbsterkenntnismodell die wirkungsmaumlchtige noch fuumlr Kant
magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Vernun-
architektonik Damit erhaumllt der Realisierungsgedanke ein durchgaumlngig
anderes Format als im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophie Zunaumlchst gilt es freilich die angedeutete Aumlquivo-
kation naumlher zu bestimmen das Subjekt ist als Vollzugsgroumle der Geltung
(Intentionalitaumlt) und als Realisierungsinstanz der Geltung (Person) in An-
spruch genommen Das Praktische bleibt ein Enigma (4)
Selbstverstaumlndigung der tiefsten Motive des gesamten Kulturlebensldquo aus sei dessen bdquoprinzipielle Einheitldquo es in einer bdquobegrifflichen Formldquo zu erfassen gelte (Windelband 1915d 2) Cassirer will mit seiner Philosophie der symbolischen For-men Kants bdquoKritik der Vernunldquo zur bdquoKritik der Kulturldquo weiterbilden (1994a 11) Kant kommt dabei ein besonderer sachlich-methodischer Stellenwert zu Rickert (1924) hat Kant entsprechend zum sbquoPhilosophen der modernen Kulturlsquo hochstili-siert
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
39
Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
40
das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
39
Offenbar sind im System der Philosophie was die Realisierung der Gel-
tung betri komplexere Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die es explizit zu
machen gilt (5) Ein Problemzusammenhang betri die Stellung der sog
Bedingungswerte Zivilisation u dgl Diesem Typus von Wertbestimmtheit
kommt im Neukantianismus primaumlr ein instrumenteller Sinn fuumlr Eigenwer-
te autonome Werten Kultur (im engen Sinne) u dgl zu Waumlhrend aber im
Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte angesiedelte
Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konnotiert ist wird
in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und Flach die Idee
des utile und mit ihr die Idee des Oumlkonomisch-Sozialen als eine eigenstaumln-
dige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Sphaumlre im Kontext
seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des freien
Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung von
Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung von Ei-
genwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend der Sachverhalt
hinein da Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung
von Geltung und Verwirklichung der Geltung Insgesamt erweist sich die
Realisierung der Geltung qua Dasein der Freiheit als ein komplexer Sach-
verhalt der sich im Rahmen des axiotischen Grundverhaumlltnisses der kann-
tianisierenden Transzendentalphilosophie nur unzureichend klaumlren laumlt
(51) Damit ist Raum geschaffen fuumlr eine Diskussion des Hegelschen Rea-
lisierungsgedankens speziell hinsichtlich der Auspraumlgung die der Realisie-
rungsgedanke in Hegels Philosophie des objektiven Geistes (Rechtsphilo-
sophie) erfaumlhrt (52)
Das Erreichte erlaubt es schlielich die kantianisierende Transzenden-
talphilosophie und den spekulativen Idealismus Hegels bezuumlglich des Da-
seins der Freiheit miteinander zu konfrontieren besonders bezuumlglich der
Stellung des Rechts der Stellung von bedingten Werten in der Realisierung
von Freiheit sowie des darin liegenden Monismus der Hegelschen Ideen-
lehre der eine einheitliche Entfaltung und damit Ausdifferenzierung von
Freiheit ermoumlglicht die die Abstraktheit der Verhaumlltnisse zwischen den
verschiedenen Ideensphaumlren uumlberwindet ndash wodurch es auch zu einem spe-
zifischen Realisierungsbegriff der Geltung kommt Kants Architektonik
von theoretischer und praktischer Vernun mag zwar fuumlr Hegel wie fuumlr die
kantianisierende Transzendentalphilosophie als Ausgangspunkt der ganzen
Fortbildungsdebatte fungieren das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun erfaumlhrt jedoch im Laufe der philosophiegeschichtlichen
Entwicklung ein solches Ma an Differenziertheit da sich mit Blick auf
Christian Krijnen
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das Problem der Geltungsrealisierung eine bloe Wiederholung der Hegel-
schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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schen Kritik an Kants Vernunarchitektonik verbietet (6)
2 sbquoVorliegendelsquo Kulturgebiete
In der Fruumlhphase neukantianischer Schulentwicklung di beim Marburger
Schulhaupt Cohen und beim suumldwestdeutschen Schulhaupt Windelband
ist fuumlr die Gliederung von Gebieten des Sinns eine aumlltere noch Kants Ar-
chitektonik beherrschende Tradition mageblich die Einteilung der Ver-
nun nach drei Gemuumltsvermoumlgen Juumlngeren Neukantianern wie Rickert
Cassirer Bauch und Cohn genuumlgt sie ebensowenig wie den gegenwaumlrtigen
Transzendentalphilosophen Wagner oder Flach7 Diese Denker fassen die
Gebiete der Vernun als Gebiete der Kultur und gliedern sie nach sbquoWer-
tenlsquo oder sbquoIdeenlsquo
Mit der Orientierung nicht am Leisten des Subjekts am Akt (νόησις)
sondern am Ergebnis am Geleisteten oder Gehalt (νόημα) und somit an
Kulturgebieten mag die Suggestion von Kulturgebieten als ausgliederba-
ren Sonderexistenzen einhergehen wie sie etwa die gaumlngige neukantia-
nische Redeweise von sbquovorliegenden Kulturgebietenlsquo als Analysanda der
philosophischen Reflexion nahelegt Es ist jedoch wichtig dieser Suggesti-
on zu widerstehen wenn das geltungsreflexive Format der Philosophie
nicht zu einer Krypto-Ontik depravieren soll Es gilt also darauf zu ach-
ten wie Kulturgebiete gegeben sind bzw vorliegen
Sie sind gegeben bzw liegen vor als Geltungsanspruumlche und damit als
Sinnsphaumlren Das sog Faktumtheorem der kantianisierenden Transzenden-
talphilosophie schreibt ebensowenig wie Kant selbst irgendwelche Geltun-
gen treuherzig fest um aus einem solchen dogmatischen Bestand dessen
Prinzipien herauszupraumlparieren8 Wie bei Kant ist im Neukantianismus die
7 Vgl Cohens Einteilung des System der Philosophie in Erkennen bzw eine Logik
der Erkenntnis (1902) Wollen bzw eine Ethik des reinen Willens (1904) und Fuumlhlen bzw eine Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls (1912) und Windelbands Einteilung eigenstaumlndiger Geltungsgebiete nach dem sbquovermoumlgenspsychologischen Leitfadenlsquo der Dreiteilung des Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo (1915e 26f 1909 476 1923 256 1980 458) Vgl hingegen etwa Rickert (1921) Cassirer (1994a 1994b 1994c) Bauch (1926) Cohn (1932) Wagner (1980) oder Flach (1997) ndash Vgl zur Thematik Krijnen 2001 7313 mit 61 und 2422
8 Vgl Suumldwestdeutsche wie Rickert (1928 440 1921 320 1929 701 1934 183) Windelband (1915e 40ff 1915b 1919 55f 1923 193ff) oder Bauch (1923a
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
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ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
41
methodische Stellung des Faktums die des Geltungsanspruchs und damit
die eines Problems eines Ausgangspunkts Rickert etwa konzipiert die
Kultur als wertbehaftete Wirklichkeit Damit ist sie der Ort an dem sich
die Geltung realisiert Entsprechend ist die Kultur einerseits das bdquoempi-
risch gegebene sbquoMateriallsquoldquo und anderseits der bdquoGegenstandldquo der auf sei-
nen Begriff zu bringen ist (Rickert 1934 161) Wie Bauch es praumlgnant aus-
druumlckt Erfahrung ist Anfang und Ende der transzendentalen Methode ndash
Anfang in ihrer Wirklichkeit Ende in ihrer Moumlglichkeit (1923a 131f
1923b 359f)
Begrei man Kulturgebiete als Arten objektiver Geltungsanspruumlche
dann lassen sich zunaumlchst Bedenken zerstreuen die damit zusammenhaumln-
gen da bestimmte Geltungssphaumlren eine die anderen Gebiete uumlbergrei-
fende Funktion besitzen und somit wegen ihrer Sonderstellung schwerlich
gleichermaen als eigenes Wertgebiet neben anderen ausgegliedert werden
koumlnnen
Die Bedenken haumlngen keinesfalls blo mit der Orientierung an Kants
Einteilung der Gemuumltsvermoumlgen zusammen Freilich die Dreiteilung des
Seelenlebens in sbquoVorstellenlsquo (sbquoDenkenlsquo) sbquoWollenlsquo und sbquoFuumlhlenlsquo samt der da-
mit verbundenen drei eigenstaumlndigen Geltungsgebiete (des Wahren Guten
und Schoumlnen) sowie der diesen koordinierten drei philosophischen Diszip-
linen (Logik Ethik Aumlsthetik) hat beispielsweise Windelband dazu veran-
lat der Religion eine eigenstaumlndige Geltungsqualifikation abzusprechen
Sie bilde zwar ein eigenes Wertgebiet ndash das des Heiligen ndash dieses Wertge-
biet aber zeichne sich dadurch aus da es sich nicht als eigenstaumlndiges Ge-
biet von Vernunwerten qualifiziere sondern sie entnehme ihre Werte den
Gebieten des Wahren Guten und Schoumlnen und faumlrbe sie religioumls dh sie
setze sie in bezug auf eine uumlbersinnliche Wirklichkeit Entsprechend steht
fuumlr Windelband das bdquosachliche Gesamtprinzipldquo der Religionsphilosophie
bdquouumlber oder hinterldquo der Logik Ethik und Aumlsthetik (1915a 299)9
130ff 1923b 357ff) Vgl nicht weniger die Marburger In bezug auf den Marbur-ger Cohen dem gemeinhin unterstellt wird dem sbquoZirkelvorwurflsquo anheimzufallen schreibt Cassirer (1912 253) ganz zu Recht Cohen gehe zwar vom Faktum der Wissenscha aus verwandele dieses Faktum jedoch mit Kant wiederum in ein Problem Vgl zum Faktumtheorem des Neukantianismus Krijnen (2001 7311 2008 13)
9 Vgl zu diesem Ansatz Windelband 1915a 1915c 288f 1923 390ff Vgl dazu auch Krijnen (2002)
Christian Krijnen
42
Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
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Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
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praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
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Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Vielmehr ist es gerade in bezug auf das Problem der Geltungsrealisie-
rung bemerkenswert da dem Wertgebiet der Moral eine eigentuumlmliche
Stellung zufaumlllt Obwohl die Sphaumlre der Moral als ein Teil des Systems der
Werte konzipiert ist zeichnet sie sich (auch) dadurch aus da sie sich wie-
derum zu den Werten dieses System verhalten soll Bei Cohn fuumlhrt dies
sogar dazu dem ethischen (sittlichen moralischen) Wert abzusprechen
ein eigenes (autonomes) Kulturgebiet zu konstituieren betreffe er doch
ganz allgemein Verhalten das sich um der Geltung willen selbst vollzieht
sbquoKulturgebietlsquo fat Cohn dabei in einem ganz engen Sinne als Gebiet das
nicht nur durch einen bestimmten Wert beherrscht wird und sich also bdquoin
Gedankenldquo isolieren lasse (und somit eine reine Sinnsphaumlre bilde) son-
dern als ein Gebiet das sich zugleich als bdquoTeilldquo in der Kultur bdquotatsaumlchlich
aussondernldquo lasse (1932 563) Eben weil der ethische Wert das Handeln
ganz allgemein normiert ganz gleich auf welche autonomen Werte (Wahr-
heit Schoumlnheit usw) er sonst noch bezogen ist konstituiert er Cohn
zufolge fuumlr sich kein Kulturgebiet (1932 564 623 vgl 318ff)
Diese Doppelstellung des Moralischen findet sich ebenfalls bei Bauch
Bauch vertritt geradezu einen Primat der praktischen Vernun dergestalt
da der ethische Wert als bezogen auf das Handeln uumlberhaupt und inso-
fern als der umfassende Wert gedacht wird der Primat der praktischen
Vernun bedeute die generelle Umspannungsfaumlhigkeit des praktischen
Wertes dessen Spezies die anderen Werte seien10 Gemauml Bauchs sog sbquoWe-
sensforderunglsquo des ethischen Prinzips ist das Wertverhalten der Person auf
das bdquoSystem der Werteldquo ausgelegt (1935 102 vgl 95 106) Die Person ist
jedoch nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes aus-
gelegt Gemauml Bauchs sog sbquoWillensforderunglsquo naumlmlich die den spezifisch
ethischen oder moralischen Grundwert betri und das zentrale Prinzip
der Ethik bildet haumlngt die moralische Qualitaumlt des Verhaltens der Person
am Willen und damit an der Ziel- oder Zwecksetzung wodurch sich bei
Bauch das moralische Gesetz als Grundgesetz menschlichen Verhaltens
ergibt So eigenstaumlndig und eigenbestimmt die uumlbrigen Werte auch sein
moumlgen sie alle sind in den ethischen Grundwert einbezogen11 Die Wert-
realisierung oder wie Bauch auch sagt Wertdarstellung ist offenbar kom-
10 Bauch 1923b 478ff vgl Bauch 1924 259 1926 167ff 1935 6 81f Vgl zum
Primat des Praktischen bei Bauch Krijnen (2014a) 11 Wie Bauch auch mal sagt (1932 117) verharrt durch diesen Bezug auf das Reich
der Werte das was Kant als bdquoGrundgesetz der praktischen Vernunldquo bezeichnet hat nicht in bdquoabstrakter Isolationldquo
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
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Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
43
plexer als sie durch ein sbquoSystem objektiver Wertelsquo abgebildet werden kann
auf das die Person als Person ausgelegt ist das System ist durch houmlher-
stufige Zusammenhaumlnge bestimmt die das Nebeneinander von Kulturge-
bieten uumlberformen und damit freilich auch den Gedanken der Realisierung
komplizieren
Im Grunde liegt die monierte Doppelstellung des Moralischen auch bei
Rickert vor Praumlgnant greifbar ist sie in seiner Bestimmung des Sittlichen
Fuumlr Rickerts Wertsphaumlre des Sittlichen ist entscheidend da der Wille
selbst als das zu realisierende Kulturgut fuumlr den Willen des (konkreten)
Subjekts fungiert Im Sittlichen wollen wir sbquosubjektivlsquo (Subjekt) das objek-
tiv sbquoSittlichelsquo (Objekt Kulturgut) um seiner Sittlichkeit willen (Wert) Der
sittliche sbquoErfolglsquo ist daher nichts anderes als die Realisierung der sittlichen
sbquoGesinnunglsquo das sittliche Gut die Verwirklichung des sittlichen Subjektver-
haltens des sittlichen Willens selbst Das bdquoEigentuumlmliche des Sittlichenldquo
(1921 359) liege geradezu darin da sich das Verhalten des Subjekts nicht
so vom Kulturgut abloumlsen lasse wie im Kontemplativen denn der sittliche
Wert des Subjektverhaltens hafte nicht am bdquoaumlueren Erfolgldquo (Handlung
samt Wirkungen) sondern am bdquoWillenldquo des Subjekts (1921 358-60)
Offenbar ist in einer solchen Konstellation das Subjekt zum einen als in-
tentionale Leistungsgroumle in Anspruch genommen die sich auf Werte zu
beziehen vermag und zum anderen als Person die sich so oder so verhaumllt
und deren Wille darin eine bestimmte Qualitaumlt aufweist Diese Qualitaumlt be-
sagt da der Wille bdquosubjektiv ethischldquo das bdquoobjektiv Ethischeldquo will bdquoauto-
nom die Autonomieldquo (1921 360) Ein solcher Wille ist fuumlr Rickert ein
freier Wille er bildet selbst das zu realisierende zentrale ethische Gut das
Rickert auch als die bdquoPersoumlnlichkeitldquo bezeichnet (1921 360f) Da nun aber
die Werte des Systems der Werte autonome Werte sind und damit Werte
die das Subjekt in seiner Subjektitaumlt in seiner Selbstbestimmungsmoumlglich-
keit und -faumlhigkeit kennzeichnen kommt systematisch gesehen durch diese
Fassung des Sittlichen wie bei Bauch und Cohn das objektive Wertreich
das nichts anderes als das Reich der Freiheit ist in die sittliche Selbstbe-
stimmung hinein
Kurzum Ganz sicher sind Kulturgebiete keine ausgliederbaren Sonder-
existenzen Hiergegen spricht uumlbrigens auch schon die von Rickert Bauch
oder etwa Cassirer betonte Tatsache12 da Konkretes immer durch eine
12 Vgl etwa Bauch (1926 214ff 230ff) uumlber das Problem der Wertkategorien Rik-
kert uumlber Kulturguumlter die Traumlger verschiedener Werte sind (1934 194) oder
Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
44
Mehrheit von Wertformen bestimmt ist Die Kultur als Welt der Synthesis
wird nicht in fuumlr sich bestehende reale Elemente auseinandergerissen son-
dern als Zusammen von Momenten des Sinns konzipiert
3 Praktische Philosophie und Geltungsrealisierung
Gleichwohl zieht diese Konzeption wie insinuiert Probleme der Gliede-
rung der Kultur nach sich die nicht zuletzt auch das Moment der Gel-
tungsrealisierung betreffen Diesbezuumlglich sind verschiedene Aspekte her-
vorzukehren
Erstens mu der Blick auf die andersartige Anlage philosophischer
Begriffsbildung Hegels im Vergleich zur kantianisierenden Transzendental-
philosophie fallen Denn nicht nur wird bei ersterem das System der Philo-
sophie als ein Selbstbestimmungsgang der Idee konzipiert waumlhrend bei
letzterer das axiotische Grundverhaumlltnis ein Verhaumlltnis der Selbstgestaltung
ist wobei diese Selbstgestaltung nicht wiederum wie bei Hegel als Funkti-
on der Selbsterkenntnis gefat wird Diese philosophie-methodologische
Differenz fuumlhrt zu einer anderen Systemgliederung und damit auch zu an-
deren Bestimmungen der Glieder des Systems Da die Philosophien
Hegels und der kantianisierenden Transzendentalphilosophie dem An-
spruch nach dem Problem der Selbsterkenntnis des Denkens verpflichtet
sind lassen sich durchaus prinzipientheoretische Vorzuumlge der Systemord-
nung Hegels aufzeigen denn hier wird die Aufgabe der Selbsterkenntnis
zugleich zum fundierenden Strukturprinzip der Systemordnung selbst
Zwar ist fuumlr die Neukantianer und die spaumlteren kantianisierenden Trans-
zendentalphilosophen die Erkenntnislehre Erste Philosophie dennoch
bilden sie das Selbstgestaltungsverhaumlltnis nicht zu einer Selbstgestaltung
fort die Selbsterkenntnis ist und zwar als fundierendes Verhaumlltnis der
Systementwicklung13 Genau dies tut Hegel mit der absoluten Idee ist der
geforderte Ruumlckgang in den Begriff vollzogen Ein solcher Ruumlckgang in
den Begriff ist fuumlr die Philosophie schlechterdings unerlaumllich haumlngt er
doch am Erkenntnisanspruch der Philosophie als Wissenscha vom sbquoGan-
Cassirer (1994d 210ff 1994c 232ff 1927) fuumlr den ein sinnliches Erlebnis nicht blo Traumlger eines Sinns ist sondern verschiedene Sinn-Welten Modalitaumlten von Sinn exemplifizieren
13 ndash sofern es hier eine Rangordnung von Systemsphaumlren gibt bildet entsprechend nicht die Philosophie sondern die Religion die houmlchste oder letzte Systemsphaumlre
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
45
zenlsquo14 Was das Soziale betri waumlre dieses dann nicht blo Realisierungs-
bedingung der Freiheit qua Selbstbestimmung des Subjekts sondern diese
Selbstbestimmung stuumlnde wiederum in einem erkenntnisfunktionalen Zu-
sammenhang
Zweitens Dieses Argument gegen eine Systemgliederung die auf die
Vergewisserung der Prinzipien jeweiliger kulturgebietsspezifischer Weisen
der Selbstgestaltung des Subjekts ausgelegt ist ist philosophie-metho-
discher Art und insofern abstrakt Blickt man auf den suumldwestdeutschen
Neukantianismus und dessen von Fichte inspirierte Weiterbildung des
Primats der praktischen Vernun dann laumlt sich auch unmittelbar aus der
Sache selbst ein Problem aufzeigen Was kann denn das spezifisch Prakti-
sche sein nachdem es axiotisiert wurde wie ist praktische Philosophie
noch moumlglich15
Das axiotische Grundverhaumlltnis integriert seinem Anspruch nach sbquotheo-
retischelsquo und sbquopraktischelsquo Vernun Schon das Erkennen schliet Rickert
zufolge ein sbquoAnerkennen von Wertenlsquo ein und damit ein gewisses sbquoprakti-
scheslsquo Verhalten16 Dadurch soll der alte Gegensatz von Theorie und
Praxis oder allgemeiner von theoretischen und atheoretischen Werten
uumlberwunden werden (1928 438 1929 689) In einem und zugleich aber
gibt der Primat der praktischen Vernun damit sein spezifisch praktisches
Format preis er entpuppt sich als Primat der Selbstgestaltung wobei sich
innerhalb dieser Selbstgestaltung verschiedene sbquoKulturgebietersquo unterschei-
den lassen Aus diesem Ansatz ergibt sich sodann das Problem der spezifi-
schen Bestimmtheit praktischer Philosophie Eine Analyse des Praktischen
in der suumldwestdeutschen Schule macht klar da das Projekt die praktische
Vernun zu einer werthaften Grundlage uumlberhaupt zu transformieren ein
schwieriges Unterfangen ist17 Trotz aller Versuche die praktische Ver-
nun zu universalisieren kehrt das Verhaumlltnis von theoretischer und prak-
tischer Vernun sogar in sublimierter Form zuruumlck
Rickert unterscheidet im System der Philosophie zwar eine Vielzahl von
Kulturgebieten bringt diese Gebiete jedoch aufgrund philosophie-syste-
mischer Erwaumlgungen letztlich in zwei Hauptgruppen unter deren eine die
14 Vgl zum Verhaumlltnis von Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis Krijnen (2006
2008 Kap 4) 15 Um diesen Problemkomplex kreisen mehrere meiner neueren Untersuchungen
(vgl 2012 2014a 2014b) 16 Vgl 1914 208ff 1928 185f 434 438 1929 689ff 17 Vgl dazu und zum folgenden ausfuumlhrlich Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
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Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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46
praktische Philosophie und deren andere die theoretische Philosophie im
weiten etymologischen Sinne von θεπωία ist (als Beobachten Betrachten
(An-)Schauen) Es stellt sich jedoch naumlherhin heraus da das Praktische
zugleich in einer Bedeutung sui generis in Anspruch genommen wird die
die zweigliedrige Systemeinteilung konterkariert das Praktische das dann
mit dem Sozialen zusammenfaumlllt erweist sich auch als die Dimension der
Realisierung von Werten Mit diesem Verhaumlltnis von Geltung und Verwirk-
lichung (Realisierung Darstellung) der Werte erhaumllt das praktische Gebiet
allerdings eine auf das Theoretische oder Kontemplative uumlbergreifende
Bedeutung bezuumlglich der Dimension der Geltungsverwirklichung ergibt
sich ein Quasi-Primat der praktischen Vernun So gesehen waumlre der an-
faumlnglich zu uumlberwindende denn zu restriktive Primat der praktischen Ver-
nun durchaus restituiert Dazu mu man das Subjekt das in einem logi-
schen Sinne eine intentionale Leistungsgroumle und damit Vereinzelungs-
instanz der Geltung ist denken als Realisierungsinstanz Als Realisierungs-
instanz ist das Subjekt Person taumltiger handelnder Mensch und damit das
Soziale oder Praktische Realisierungsbedingung von Werten reale Voraus-
setzung des Entstehens von Kulturguumltern
In der weiteren Entwicklung des suumldwestdeutschen Neukantianismus
namentlich bei Bruno Bauch und Jonas Cohn wird der bei Rickert hervor-
gekehrte Impuls wirksam das Praktische als Dimension der Geltungsrea-
lisierung in Anschlag zu bringen und somit einer Systemeinteilung in
Geltung der Werte und Realisierung der Werte das Wort zu reden die
praktische Vernun geraumlt dezidiert in eine Primatstellung Gerade Bauch
hat dieses Verhaumlltnis von Geltung und Ethik bzw Sittlichkeit im Sinne von
Verhalten das sich um der Geltung willen vollzieht fuumlr eine Lehre vom
Primat der praktischen Vernun fruchtbar zu machen versucht Bauch
denkt den ethischen Wert als bezogen auf das Handeln in seinem ganzen
Umfang auf das πράττειν Insofern fungiert der ethische Wert als umfas-
sender Wert dessen Spezies die anderen Werte seien18 Indem Bauchs Aus-
fuumlhrungen auf die Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung des
Wertes hinauslaufen bricht auch bei ihm das axiotische Grundverhaumlltnis
durch Gleichwohl kommt im Vergleich zu Rickert etwas hinzu Es ergibt
sich eine Zweiteilung von theoretischer und praktischer Vernun von lo-
gischem und ethischem naumlherhin moralischem Wert im System der Werte
die das axiotische Grundverhaumlltnis uumlberformt durch spezifische Werte ndash
18 Vgl Bauch 1923b 478ff 1926 167ff 1935 6 81f
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
47
und sich so bei Rickert nicht findet Hieraus ergibt sich nicht nur eine sys-
temische Primatstellung des Wahrheitswertes sondern auch eine Spezifizie-
rung des Moralischen als Grundgesetz des Ethischen Die bdquoPersonldquo wird
Bauch zum wirklichen Subjekt der Wertbezogenheit und Wertverwirkli-
chung19 Nur eine solche sinnlich-geistige Einheit kann sich auf Werte als
Aufgaben beziehen und sie in die Wirklichkeit bdquohineinbildenldquo wie es heit
ist sie in ihrem bdquosubjektiven sinnlich-vernuumlnigen Seinldquo Moumlglichkeitsbe-
dingung fuumlr die bdquoobjektive Vernunversinnlichungldquo (1935 94f) Nun ist
die Person nicht nur auf das System objektiver Werte als zu Realisierendes
ausgelegt sondern speziell an ihrem Willen und damit an der Qualitaumlt der
Ziel- oder Zwecksetzung haumlngt gut Kantisch die moralische Qualitaumlt ihres
Verhaltens So ergibt sich bei Bauch das moralische Gesetz als Grundge-
setz des menschlichen Verhaltens
In Rickerts Subjektlehre (Geltungsnoetik) hingegen verwischt sich die
Differenz dieser beiden Dimensionen von Subjektivitaumlt von wertbezoge-
nem Subjekt und Person von Intentionalitaumlt (subjektivem Sinn) und Wert-
verwirklichung von Akt- und Realisierungsdimension der Geltung Das
Verhaumlltnis von Eigengesetzlichkeit einer Wertsphaumlre sowie dem dazugehouml-
rigen Subjekt als Vollzugsgroumle (sbquoimmanenten Sinnlsquo) einerseits und Ver-
wirklichung des Wertgehalts sowie dem dazugehoumlrigen Subjekt als Reali-
sierungsinstanz andererseits wird unzureichend reflektiert (wie schon bei
Kant das Verhaumlltnis von Spontaneitaumlt und Freiheit)20 Damit bleibt auch
das Verhaumlltnis zwischen dem Akt der Stellungnahme und der Handlung
unterbestimmt Dies hat bei Rickert zur Folge da er das Praktische uumlber
den Begriff des Sozialen ausgliedern mu (auch klassische Begriffe des
Praktischen wie Autonomie Pflicht Gewissen stehen ihm der Axiotisie-
rung wegen nicht mehr zur Verfuumlgung)21 Bei Bauch indes erfolgt die
Ausgliederung des Praktischen uumlber die Wertverwirklichung
19 Vgl Bauch 1935 85-87 94f 98ff 20 Natuumlrlich wei Rickert um deren Differenz etwa wenn er Handlung und Akt der
Stellungnahme unterscheidet (1921 324) bzw soziale persoumlnliche Freiheit vom freien autonomen Aktsinn uumlberhaupt (1921 331) oder das bdquowirklicheldquo Erkennen von einem Erkennen-Wollen des bdquoIndividuumsldquo das bdquorealeldquo theoretische Wissen von einem realen Willen abhaumlngig denkt (1928 309f) ndash Vgl zu Kant Krijnen (2014c)
21 ndash sie sind zu Bestimmtheiten der noetischen Dimension des axiotischen Grund-verhaumlltnisses geworden kehren also in allen seinen Spezifikationen wieder (vgl Rickert 191112 161 1914 209 1921 309f 1928 435ff 1929 690 694 1934 179ff)
Christian Krijnen
48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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48
Bei beiden aber ergibt sich trotz aller suumldwestdeutschen Polemik gegen
den Primat der praktischen Vernun ein zweigliedriges Grundverhaumlltnis
im System der Philosophie das von theoretisch und praktisch Bauch ver-
mag es dabei den bei Rickert wirksamen weiten Sinn von theoretisch und
praktisch auf einen engen Sinn zuruumlckzufuumlhren er kennt sowohl einen
Primat der theoretischen (logischen) Vernun als auch einen Primat der
praktischen Vernun deren Grundgesetz wiederum das moralische Ge-
setz ist Bekanntlich laumlu dies bei Bauch auf eine Gliederung von Geltung
und Verwirklichung der Werte hinaus
Der Hintergrund der Unterscheidung von Geltung und Verwirklichung
der Werte ganz offenbar in der Gestalt die sie bei Bauch erfahren hat laumlt
sich durchaus als eine systematische Aneignung von Kants Vernunarchi-
tektonik verstehen jedenfalls sofern sie das Praktische betri Kant teilt
die Philosophie durchgaumlngig ein in theoretische und praktische sowie die
ihr korrespondierenden Gegenstaumlnde in Natur und Freiheit entsprechend
unterscheidet er theoretische Erkenntnis und Willensbestimmung bzw Na-
turphilosophie und Moralphilosophie (als bdquopraktische Gesetzgebung der
Vernun nach dem Freiheitsbegriffeldquo)22 Naumlherhin fat Kant den mensch-
lichen Intellekt insgesamt qua oberes Erkenntnisvermoumlgen di die
Vernun im weiten Sinne als Denk- und damit als Urteilsvermoumlgen Den-
ken ist fuumlr Kant eine sich im Urteil vollziehende Synthesis Die theore-
tische Vernun und die praktische Vernun sind beide Weisen des Den-
kens und damit des Urteilens die Bestimmung von Erfahrungsgegen-
staumlnden erfolgt in theoretischen Urteilen die Bestimmung des Willens in
praktischen Es betri eine und dieselbe reine Vernun die sich in theore-
tischer oder in praktischer Hinsicht betaumltigt23 Waumlhrend die theoretische
Vernun auf Gegenstaumlnde geht die ihr anderswoher gegeben sind naumlmlich
durch die sinnliche Anschauung bezieht sich die praktische Vernun auf
Gegenstaumlnde die sie selber hervorbringen kann denn sie betri unmittel-
bar die Bestimmung des Willens Entsprechend besteht der Gegenstands-
bezug der theoretischen Vernun darin den Gegenstand bdquoblo zu bestim-
menldquo (= theoretische Vernunerkenntnis) der praktischen Vernun hin-
22 Vgl KrV B 868f 830 KpV A 29 KdU V 167f 171 174 178f 416 uouml Vgl zu
Kants Architektonik auch Krijnen (2011b 2014c) 23 Vgl Kant KpV A 31f 96f 159 GMS 391
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
84
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durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
49
gegen geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo (= praktische Vernunerkenntnis)24
Hegel freilich uumlberwindet die wirkungsmaumlchtige und eben auch fuumlr
Kant magebliche am Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo orientierte Ver-
nunarchitektonik25 Durch sie hindurch kommt er nicht so sehr zu einer
Systemeinteilung von Kulturgebieten als vielmehr zu einer Einteilung von
Logischem Natur und Geist als Dimensionen der absoluten Idee Folglich
kommt er zu einer Konzeption von Selbstgestaltung als Selbsterkenntnis
im Sinne einer Selbstrealisierung des Begriffs Dadurch erhaumllt das Verhaumllt-
nis von Geltung und Verwirklichung ein durchgaumlngig anderes Format als
im Selbstgestaltungsmodell der kantianisierenden Tradition der Transzen-
dentalphilosophie Das jeweils andere Format des Realisierungsgedankens
miteinander zu konfrontieren ist ein wichtiger Beitrag zur Klaumlrung der
Systemgliederung Dabei mu vor allem diejenige Dimension in den Vor-
dergrund ruumlcken in der mit Hegel gesprochen der freie Wille und damit
die Vernun sich Dasein verscha di das Recht und dessen Philosophie
die Philosophie des objektiven Geistes Die Klaumlrung des Realisierungs-
gedankens fuumlhrt somit auch zu einer Klaumlrung von Prinzipien der Glie-
derung des Sozialen
4 Ein aumlquivoker Realisierungsbegriff
Aufgrund der obigen Analyse des neukantianischen Ansatzes laumlt sich ein
aumlquivoker Realisierungsbegriff bzw Subjektbegriff diagnostizieren
Zum einen ist Realisierung bzw das Subjekt als die Realisierungsin-
stanz die es ist gedacht als eine intentionale Leistungsgroumle ganz gleich
welche Werte es intendiert Das Subjekt als intentionaler Grund ist im
Theoretischen wie im Praktischen wirksam auch wenn sich die logische
Struktur theoretischer und praktischer Geltungsvollzuumlge unterscheiden
wodurch Akte zu spezifisch theoretischen bzw praktischen Akten werden
Als intentionales bildet das Subjekt zunaumlchst blo ein Korrelationsmoment
im Gefuumlge einer Geltungsgesetzlichkeit Als solches Moment ist es logi-
sche Vollzugsinstanz der Geltung und damit logische Vereinzelungs-
funktion Denkt man deshalb das Subjekt schon als frei (und nicht blo als
24 Vgl KpV A 160 mit KrV B IXf 25 Vgl dazu Fulda (2004) und Krijnen (2014b)
Christian Krijnen
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zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
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werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
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Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
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bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
50
zufaumlllig agierend) ndash immerhin mu das Subjekt als Aktvollzugsgroumle durch
eine andere Bestimmtheit als durch die der Natur bestimmbar sein (naumlm-
lich durch Geltungsgesetzlichkeit) ndash dann liee sich eine logische Dimen-
sion des Daseins der Freiheit ausmachen Bei Rickert etwa waumlre was die
Struktur dieser Intentionalitaumlt betri zunaumlchst zu denken an das axio-
tische Grundverhaumlltnis und die damit verbundene Bestimmung da Sub-
jektverhalten ein durch Werte geleitetes Stellung nehmen ist sodann ginge
es um die Typen von Subjektverhalten die sich aus der Verschiedenheit
der Werte ergeben ndash Ein Blick auf Kants Architektonik ist diesbezuumlglich
erhellend Die theoretische Vernun hat es mit der Erkenntnis von Ge-
genstaumlnden zu tun hat die ihr bdquogegebenldquo sind der praktischen Vernun
indes geht es darum ihre Gegenstaumlnde gemauml ihrer Erkenntnis bdquowirklich
zu machenldquo Theoretische Erkenntnis (sbquoErfahrunglsquo) zeichnet sich als ein
rezeptives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand aus praktische Erkenntnis
(sbquoWollenlsquo) als ein aktives produktives Verhaumlltnis zu ihrem Gegenstand Bei
Rickert kehren dergleichen Bestimmungen jedenfalls systematisch in der
Weise zuruumlck da er das Subjektverhalten zu den Werten konzipiert als
entweder ein aktives (sbquoaumluere Handlunglsquo sbquoTatlsquo) oder ein kontemplatives
Verhalten (sbquoinnere Handlunglsquo sbquoBetrachtunglsquo) Von der kontemplativ-sach-
lichen Sphaumlre heit es dann da der Inhalt zur Sache wird und dabei in
seiner Selbstaumlndigkeit bewahrt bleibt die Form folglich den Inhalt um-
schliet (1921 366f) In der aktiv-persoumlnlichen Sphaumlre wiederum verliert
der Inhalt seine Selbstaumlndigkeit der Form gegenuumlber ndash der Wille genauer
die Willkuumlr ist vielmehr zur Sittlichkeit zu gestalten (1921 367) die Form
durchdringt hier daher den Inhalt (1921 368)26
Wie dem auch sei Zum anderen jedenfalls ist von dieser Bestimmung
des Subjekts in seiner logischen Akt- oder Intentionalitaumltsstruktur vom
Subjekt als logischer Vollzugsgroumle der Geltung zu unterscheiden die Be-
stimmung des Subjekts qua Realisierungsinstanz der Geltung Als Realisie-
rungsinstanz ist das Subjekt qua Aktvollzugsgroumle freilich in der Selbst-
bestimmung des realen konkreten Subjekts vorausgesetzt Es handelt sich
also um ein Fundierungsverhaumlltnis nicht um Alternativen auf derselben
Ebene von Subjektbestimmtheit Bei Kant ist das Subjekt im Praktischen
entsprechend thematisch in bezug auf die Gruumlnde seiner Selbstbestimmung
dh bezuumlglich der Weise seines Determiniertseins durch die Geltung wie
26 Vgl zu Rickerts Konzeption Krijnen (2001 73223)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
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57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
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bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
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traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
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waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
51
Kant sich ausdruumlckt bezuumlglich der Gruumlnde der Zwecksetzung27 Daraus
ergibt sich eine eigene Art der Geltungsgesetzlichkeit die praktische Mit
Rickert Bauch oder auch Cohn gesprochen ist das Subjekt Person taumltiger
handelnder Mensch Die Produktion von Kulturguumltern Ergebnis eines
Geltung realisierenden Subjekts ist als reales Geschehen immer Produkti-
on durch ein wirkliches Subjekt di durch eine Person Als reale Bedin-
gung ist sie eine notwendige Voraussetzung des Entstehens von Kultur-
guumltern Realbedingung von Kultur Somit liegt eine zweite Ebene des Da-
seins der Freiheit vor
Aus dieser Verquickung zweier Freiheits- bzw Subjektbegriffe und da-
mit zweier Realisierungsbegriffe ergibt sich aufs Ganze gesehen durchaus
eine problematische Stellung des Praktischen im System der Philosophie
ist die suumldwestdeutsche Schule doch darauf erpicht den sog Primat der
praktischen Vernun zu einem Primat umfassender Wertbestimmtheit und
folglich umfassender Freiheit zu einem Primat durchgaumlngiger Selbstgestal-
tung zu modeln28
5 Geltungsrealisierung als komplexer
Sachverhalt umstrittene Nuumltzlichkeit
Offenbar sind in der suumldwestdeutschen Systemkonzeption was die Reali-
sierung der Geltung betri Zusammenhaumlnge vorausgesetzt die implizit
bleiben anstatt explizit gemacht zu werden Auf eine dieser Voraussetzun-
gen will ich im Folgenden naumlher eingehen gerade weil sie in der spaumlteren
Transzendentalphilosophie eine grundsaumltzlich andere Behandlung erfahren
hat und diese sich dabei systematisch gesehen ein stuumlckweit in Richtung
Hegel bewegt so da sich von hieraus auch eine pointierte Diskussion mit
Hegel inszenieren laumlt
Innerhalb der jeweiligen neukantianischen Wertsphaumlren werden Wert-
oder Geltungsstufen in einer Weise unterschieden die prima facie vielver-
sprechend erscheint secunda facie jedoch den Realisierungsgedanken der
Geltung nur unzureichend erfat Ich meine das Verhaumlltnis von sog Eigen-
27 Der Wille ist bei Kant als bdquoVermoumlgen der Zweckeldquo (KpV A 103) gedacht und das
Begehrungsvermoumlgen ist geradezu das Vermoumlgen bdquodurch seine Vorstellungen Ur-sache von der Wirklichkeit der Gegenstaumlnde dieser Vorstellungen zu seinldquo (KpV A 16 Anm)
28 Vgl Krijnen (2014a)
Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
52
werten (autonomen Werten unbedingten Werten objektiven Werten Kul-
turwerten (im engen Sinne)) und Bedingungswerten (Lebenswerten be-
dingten Werten subjektiven Werten Zivilisationswerten) Letztere fungie-
ren im wesentlichen als Realisierungsbedingungen von Eigenwerten ihnen
kommt also nur ein instrumenteller Sinn zu sie sind bloe Mittel fuumlr die
Realisierung von Eigenwerten
Waumlhrend im Neukantianismus der auf der Ebene der Bedingungswerte
angesiedelte Wert der Nuumltzlichkeit ebendeshalb durchwegs negativ konno-
tiert ist wird in der spaumlteren Transzendentalphilosophie von Wagner und
Flach die Idee des utile und mit ihr das Oumlkonomisch-Soziale als eine ei-
genstaumlndige Ideensphaumlre konzipiert Und Hegel denkt diese Idee im Kon-
text seiner Philosophie des objektiven Geistes und damit als Gestalt des
freien Geistes lehnt somit ebenfalls die neukantianische Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten ab In diese Entgegensetzung
von Eigenwerten und Bedingungswerten spielt komplizierend hinein da
Verwirklichung auch gedacht ist im Sinne der Systemeinteilung von Gel-
tung und Verwirklichung der Geltung
51 Geltungsrealisierung von der Bedingtheitssphaumlre zur Unbedingtheits-
sphaumlre
[1] Rickert hat in verschiedenen Arbeiten das Verhaumlltnis von Leben und
Kultur und den damit verbundenen Werten erkundet Diese Erkundung
fuumlhrt zur Entwicklung eines Modells das der Sache nach fuumlr die Schulmit-
glieder bestimmend ist29 Essentiell ist die Unterscheidung verschiedener
Wert- bzw Geltungsstufen Beispielsweise trennt Rickert bdquoindividuell sub-
jektive Werteldquo von bdquoallgemein subjektiven Wertenldquo und diese Gruppe der
subjektiven Werte wiederum von den bdquoobjektiven Wertenldquo (1921 132ff
vgl 1928 235) Ebenso arbeitet er mit der Unterscheidung von bdquoBedin-
gungswertenldquo und bdquoEigenwertenldquo (1934 167ff) bzw von bdquoLebens- und
Zivilisationswertenldquo versus bdquoKulturwertenldquo (1934 170ff vgl 191112)
Derartige Differenzierungen zielen darauf ab durch die Unterscheidung
von bedingter und unbedingter Geltung Ordnung in die Welt des Men-
schen zu bringen und zugleich eine allseitige Schaumltzung der sinnstiftenden
Konstitutiva dieser Welt zu bewerkstelligen
29 Vgl zu Rickerts Modell Krijnen (2001 7312)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
53
Das magebende Lehrstuumlck der bedingten und der unbedingten Gel-
tung ist schon von Kant vorgebildet Gerade Kant hat gesehen da es im
Wertganzen nicht nur Anspruumlche auf unbedingte (objektive) Geltung ndash
bzw objektive Werte ndash gibt sondern auch vieles dem blo bedingte Gel-
tung zukommt30 Hinzukommt Im Deutschen enthaumllt die Unterscheidung
sbquoKultur ndash Zivilisationlsquo durchaus einen kulturkritischen um nicht zu sagen
einen antithetischen Unterton (nicht zuletzt auch im Neukantianismus)
der als solcher keineswegs schon in der Etymologie von Kultur (cultura)
und Zivilisation (civis civitas) liegt Er ist der Sache nach jedoch durchaus
bei Kant vorgebildet Fuumlr Kant zeigt sich die Geschichte als Entwicklung
der Freiheit des Menschen naumlherhin als disziplinierender Proze von Kul-
tivierung Zivilisierung und Moralisierung di der fortschreitenden und in
einen weltbuumlrgerlichen Zustand kulminierenden Aufklaumlrung31 Fuumlr Kant
sind diese Formen menschlicher Selbst- und Weltgestaltung keinesfalls
wertebenbuumlrtig auch wenn ihm selbst die Opposition von nur wirtscha-
lich-technischer Zivilisation und geistiger Kultur fremd ist (Kant ordnet
Zivilisierung gar der Kultivierung uumlber)
30 Vgl Kants Aumlsthetik in der das Schoumlne (Unbedingte) vom Angenehmen (Beding-
ten) unterschieden wird vgl seine praktische Philosophie fuumlr die Unterschei-dungen wie kategorische und hypothetische Imperative das Moralisch-Praktische und Technisch-Praktische das Gute und das Nuumltzliche u dgl magebend sind Wenn man bedenkt da Meinung (δόξα) gegenuumlber dem Wissen (ἐπιστήμη) eben-sowenig ein eigenes Recht in der Sphaumlre theoretischer Erkenntnis hat wie das bloe sbquoWahrnehmungsurteillsquo gegenuumlber dem sbquoErfahrungsurteillsquo ist die Differen-zierung von Bedingtheit und Unbedingtheit auch im Bereich des theoretischen Vernungebrauchs jedenfalls greifbar
31 Kants Verwendung von Kultivierung Zivilisierung und Moralisierung ist zwar nicht gaumlnzlich einheitlich gleichwohl verstaumlndlich Im bdquosiebten Satzldquo der Idee un-terscheidet Kant Kultur Zivilisation und Moralitaumlt welche letztere houmlher als Zivi-lisation und sich auf die bdquomoralisch-gute Gesinnungldquo als Kern des bdquoGutenldquo be-zieht (AA VIII 26) Zivilisation und Moral sind hier Bestandteil der Kultur (die jegliche Zwecksetzung umfat) Vgl auch Uumlber Paumldagogik (AA IX 449f) Hier unterscheidet Kant Disziplinierung (Zaumlhmung der bdquoWildheitldquo) Kultivierung (Ge-schicklichkeit zu bdquoallen beliebigen Zweckenldquo) Zivilisierung (Angepatheit an das gesellschalich Schickliche das comme-il-faut) und Moralisierung (nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sondern dazu notwendigerweise von allen zu billigende Zwecken zu haben) Vgl zu Kants Gebrauch auch die Anthropologie in pragmati-scher Hinsicht in die auch die aus der praktischen Philosophie bekannte Trias sbquotechnisch ndash pragmatisch ndash moralischlsquo eingebaut wird (AA VII 321ff) Zu Kants Lehre von Disziplinieren Kultivieren Zivilisieren und Moralisieren vgl neuer-dings etwa Houmlffe (2012 403ff) Zu Kants Geschichtsphilosophie vgl auch Flach (2002) und Krijnen (2013)
Christian Krijnen
54
Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
56
Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
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Bevor nun die angefuumlhrten Unterscheidungen eigens thematisch wer-
den ist es wichtig gleich von Anfang an dreierlei festzuhalten a) Die
Unterscheidung verschiedener Geltungsstufen ermoumlglicht erst die Bestim-
mung bedingter Geltungen als solcher dh in ihrer Bedingtheit Sie sind
also der unbedingten Geltung bzw derjenigen philosophischen Diszipli-
nen die die unbedingten (sbquoreinenlsquo) Wertsphaumlren thematisieren koordiniert
b) Zumindest im Grundsaumltzlichen hat sich Kants Lehre der bedingten und
der unbedingten Geltung uumlber den Neukantianismus hinaus bis in die
Transzendentalphilosophie Wagners und Flachs erhalten32 Immer stellt
sich heraus da der Mensch nicht nur als ein Wesen gedacht werden mu
das sich blo ndash seirsquos rein natuumlrlich oder durch plan- und zweckvolles Agie-
ren ndash orientiert an den biotischen Anspruumlchen am bedingt-guumlltigen Prin-
zip der sbquoLebensdienlichkeitlsquo Vielmehr vermag der Mensch dieser lebens-
dienlichen sbquoheteronomenlsquo Determination gegenuumlber eine Distanz einzu-
nehmen und seine Fremdbestimmtheit durch eine Bestimmtheit aus reinen
Werten zu uumlberformen Die Geltungsprinzipien der autonomen Geltungs-
sphaumlren (des Wahren Schoumlnen Guten usf) werden unmittelbar bestim-
mend fuumlr das Subjekt das damit unbedingt-vernuumlnig agiert c) Gerade die
Sphaumlre der sbquoNuumltzlichkeitlsquo wird von den genannten gegenwaumlrtigen Tran-
szendentalphilosophen grundsaumltzlich anders gefat als im Neukantia-
nismus
[2] Blickt man auf Rickerts Systembuch dann springt in erster Linie die
Unterscheidung von subjektiver und objektiver Wertgeltung ins Auge
(1921 132ff) Der subjektive Wert ist entweder individuell-subjektiver
Wert dh er gilt nur sbquofuumlr dieses oder jenes Subjektlsquo oder allgemein-subjek-
tiver Wert dh er gilt fuumlr eine numerische Allheit von Subjekten in beiden
Faumlllen gruumlndet seine Geltung in der realen Anerkennung in bdquofaktischen
Wertungenldquo (1921 132) Als allgemein-subjektive Werte fungieren eben
jene die den Inbegriff dessen angeben was der Mensch von sich aus auf-
grund seiner natuumlrlichen Lebensbelange anstrebt (Kant sbquoGluumlckseligkeitlsquo)
Fuumlr sich genommen sbquoverbuumlrgenlsquo sie nur bdquoSubjektivitaumltldquo (1921 133) keine
sbquokategorischelsquo unbedingte Geltung sondern blo sbquohypothetischelsquo bedingte
Geltung Werte indes die unabhaumlngig vom Akt der Anerkennung realer
Subjekte gelten sind objektive Werte (1921 133ff)
32 Vgl Wagner 1980 sect 25f Flach 1997 61ff
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Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
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Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
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wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
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bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
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delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
55
Diese Unterscheidung von subjektiven und objektiven Werten laumlt sich
in eine andere uumlberfuumlhren die terminologisch nicht nur naumlher an das logi-
sche Stufenverhaumlltnis heranfuumlhrt sondern auch geeignet ist den Sinn des
natuumlrlichen Lebens zu charakterisieren die von sbquoEigenwertenlsquo und sbquoBedin-
gungswertenlsquo Mit ihr haumlngt die Unterscheidung sbquoLebenswerte ndash Zivilisa-
tionswerte ndash Kulturwertelsquo eng zusammen
Fuumlr Rickert ist der Mensch aus direkt-gegenstaumlndlicher naturwissen-
schalicher Sicht als naturwissenschaliches Objekt also (methodisch) als
wertfreie Wirklichkeit bestimmt Als Subjekt genommen jedoch ist der
Mensch zugleich Prinzip der Geltungsrealisierung Die menschliche Kultur
ist immer auch eine von Menschen geschaffene Welt kein bloes Natur-
produkt Um als wertbestimmtes Wesen wirken zu koumlnnen mu der
Mensch im naturwissenschalichen Sinne leben Das Problem der Gel-
tungs- oder Wertrealisierung fuumlhrt somit auf einen Inbegriff notwendiger
natuumlrlicher Bedingungen die das Subjekt naturaliter am Leben erhalten
und damit Wertrealisierung faktisch ermoumlglichen Die Natur ist also nicht
blo ein Inbegriff wertfreier Gegenstaumlnde die Philosophie naumlmlich be-
grei sie geltungsfunktional dh in ihrer Bedeutung fuumlr den Wert die
Natur entpuppt sich als Mittel zum Wert Bedingung der Verwirklichung
von Werten Entsprechend qualifiziert Rickert die Natur als Bedingungs-
wert der Kultur (1934 167f vgl 191112 153f 165) und spricht von die-
sem Wert als vom Lebenswert bzw von Lebenswerten als Inbegriff solcher
Werte (1922 135f 1934 170 182f)
Zwar ist der Mensch durch sein Vermoumlgen zu denken (hier im Sinne
von Beurteilen Uumlberlegen Entscheiden Planen Verstehen usf) faumlhig
seine biotischen Beduumlrfnisse in einem der uumlbrigen Naturwelt qua Effizienz
und Effektivitaumlt weit uumlberlegenen Umfang zu befriedigen und die Mangel-
haigkeit seiner sonstigen natuumlrlichen Ausstattung lebensdienlich zu kom-
pensieren Aber trotz der daraus resultierenden Komplexitaumlt und Differen-
ziertheit der menschlichen Lebenswirklichkeit bleibt auf dieser Ebene von
Wertbestimmtheit des Subjekts das Leben (die Lebensdienlichkeit) der
unmittelbar bedingende Faktor seines Leistens Dieser natuumlrlichen Primaumlr-
bestimmtheit zufolge ist das Denken strikt genommen nicht selbstbe-
stimmt (autonom) sondern fremdbestimmt (heteronom)
Dieser Sachverhalt der unmittelbaren Naturbestimmtheit fuumlhrt zum Be-
griff der Zivilisation im Unterschied von der Kultur Auch die Zivilisation
ist gekennzeichnet durch ihr Bedingungsein fuumlr Anderes sbquoWirtschalsquo und
sbquoTechniklsquo sind die meist ins Auge springenden Bereiche zivilisatorischer
Christian Krijnen
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Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
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bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
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betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
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traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Wertbestimmtheit Naumlherin koumlnnen Rickert (1934 168ff 182f) zufolge
Zivilisationswerte a) als Mittel fuumlr die Erhaltung des natuumlrlichen Lebens
fungieren damit sind sie von indirekter Bedeutung fuumlr die (sbquoeigentlichenlsquo)
Kulturwerte Mittel zur Verwirklichung eines Mittels Sie lassen sich jedoch
auch b) direkt in den Dienst von Kulturwerten stellen Zivilisationswerte
betreffen dann zwar anderes als Naturgeschehen kommen jedoch mit den
Lebenswerten darin uumlberein da sie Bedingungswerte bleiben
Bedingungswerte sind zu unterschieden von der bdquoKultur im engen Sin-
neldquo von Eigenwerten bdquoautonomen Wertenldquo (Rickert 1934 169ff vgl
182f) Eigenwerte haben ihre Geltung ganz unabhaumlngig davon ob sie als
Mittel dem Leben oder anderen Werten dienen ihre Geltung ruht in sich
nicht in Anderem sie gelten nicht sbquobedingtlsquo (hypothetisch) sondern sbquounbe-
dingtlsquo (kategorisch) Schon die Rede von einer geplanten Lebensbewaumllti-
gung in der Zivilisation weist uumlber diese hinaus In der Erkenntnis aus
welchen Gruumlnden auch immer sie angestrebt wird stellt der Mensch als
Subjekt sich unter die unmittelbare Determination durch den sbquoWert der
Wahrheitlsquo und negiert damit die Universalitaumlt nicht-epistemischer Deter-
mination (ohne sie freilich zu eliminieren Realbestimmtheit und die dazu-
gehoumlrige Wertverfassung werden uumlberformt durch Eigenwerte) Er unter-
wir sich damit einer Bestimmtheit die nicht unmittelbar in den Belangen
des Lebens fundiert ist sondern in denen seiner Subjektitaumlt
Aus der skizzierten Rickertschen Perspektive ist die menschliche Wirk-
lichkeit von drei Wertarten konstituiert von (a) Lebenswerten (b) Zivilisa-
tionswerten (c) Eigenwerten Lebenswerte und Zivilisationswerte sind
strikte genommen Bedingungswerte sie gelten fuumlr sich genommen sbquosubjek-
tivlsquo haumlngt ihre Geltung doch vom Wert des Zwecks ab fuumlr den sie Mittel
sind Dagegen gelten Eigenwerte fuumlr sich genommen sbquoobjektivlsquo
Eigenwerte geraten dabei wie schon erwaumlhnt wegen ihrer begruumlnden-
den Funktion fuumlr Bedingungswerte in eine eindeutige Vorzugsstellung
Subjektive Geltung ist nur durch objektive Geltung als subjektive Geltung
bestimmbar Bedingungswerte verdanken ihre Bestimmtheit also nur ihren
Bezug auf Eigenwerte33 sie setzen Eigenwerte voraus34 Als Bedingungs-
werte erhalten sie uumlberhaupt erst bdquoWertldquo durch ihre Beziehung zum Eigen-
33 Gerade Rickert weist mehrfach darauf hin da der bdquoWert des Mittelsldquo (seine Gel-
tung) abhaumlngig ist von der Geltung oder vom bdquoWert des Zwecksldquo (1934 169 vgl 191112 165 1922 135)
34 ndash man mu also den Eigenwert kennen um dessentwillen die Kulturmittel erst bdquoWertldquo erhalten (Rickert 1934 170)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
57
wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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wert (191112 154 162 f 165 1922 136) Um die Wertigkeit des Bedin-
gungswertes zu verstehen (etwas als Bedingung) ist also der Begriff dessen
vorausgesetzt wozu die Bedingung Bedingung ist nur durch den Begriff
des Eigenwertes ist der Begriff des Bedingungswertes bestimmbar Indem
die Eigenwerte der Kultur gegliedert und geordnet werden werden die
Bedingungswerte daher zugleich mitgegliedert und mitgeordnet
Eigenwerte machen die Eigenbestimmtheit der Kultur aus als Kultur ist
diese fundamental bestimmt durch den Begriff des Eigenwertes und so-
dann durch Begriffe der geltungsregional verschiedenen Inbegriffe von
Eigenwerten Diese urspruumlngliche Bestimmtheit des bestimmenden Be-
griffs sbquoKulturlsquo ist in jeder konkreten Bestimmung eines kulturellen Konkre-
tums als Geltungsgrund dieser Bestimmung praumlsupponiert (vgl Rickert
1934 42ff) Kultur sbquoim engen Sinnelsquo fungiert somit als Prinzip aller Kul-
turalitaumlt Wie Rickert sich ausdruumlckt bilden Eigenwerte die bdquoallgemeinen
Formen der Kulturldquo (1934 174) sie garantieren die bdquounbedingte Allge-
meinheit des Wertes der Kulturldquo und sind prinzipiell unhintergehbar
solange bdquoKultur als Kultur dh als Inbegriff des um seines Wertes sbquoGe-
pflegtenlsquoldquo auf dem Spiel steht (1934 175) Deshalb bestimmt Rickert die
Eigenwerte auch als sbquoVoraussetzungenlsquo verschiedener Kulturgebiete Nur
deshalb lassen sich uumlberhaupt konkret-inhaltliche immer historische situ-
ierte Auspraumlgungen und Wandlungen als Konkretionen desselben Prinzips
verstehen (1934 176f)
[3] Dieses Lehrstuumlck von der bedingten und der unbedingten Geltung ist
Bestandteil der suumldwestdeutschen Schuldoktrin Es findet sich daher mit
dieser oder jener Akzentuierung etwa auch bei Bauch oder Cohn
Bauch unterscheidet immer wieder scharf die bdquoobjektiven Werteldquo vom
bdquosubjektiven Nutzen und Interessenldquo und fat diese Subjektivitaumltssphaumlre
als bdquoInbegriff der Realisationsbedingungen der eigentlichen Wertdarstel-
lungenldquo (1924 262) Entsprechend gehoumlrt ihm das bdquoWirtschaslebenldquo
zum bdquoUnterbauldquo des Kulturlebens im eigentlichen Sinne es ist nur bdquoMittel
zum Zweckldquo (1924 262) der Darstellung der Werte des bdquoGeisteslebenldquo
(1935 229) Bauch bindet damit die Wirtscha an die bdquoWillkuumlr der Interes-
senldquo der Individuen zuruumlck (1935 229) Als bdquoeigentlicher Zweckldquo (Rickert
Eigenwert) gesetzt sei das Wirtschasleben bdquosinnlos und zwecklosldquo
bdquowahrhaftenldquo Sinn erhalte es aus dem Reich objektiver Werte (1935 230)
Die Hochstilisierung oder bdquoVerabsolutierung der Wirtschaldquo zum Selbst-
zweck indes beraube ihm nicht nur allen Sinn sondern druumlcke die
Christian Krijnen
58
bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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bdquoMenschheitldquo zur bdquoTierheitldquo herab (1935 230) Ganz gemauml Rickerts Ver-
haumlltnisbestimmung von Eigenwert und Bedingungswert ist auch Bauch
zufolge das Wirtschasleben nur als Mittel im Rahmen eines Zweck-Mit-
tel-Verhaumlltnisses selbst wertbezogen hat also seine bdquoGrundlagenldquo in den
bdquoobjektiven Wertenldquo die als solche niemals Mittel sondern immer nur
Zweck an sich selbst sind so da auch bei Bauch eine Rangordnung kultu-
reller Taumltigkeit vorliegt (1924 262 vgl 269) Und wie Rickert denkt eben-
falls Bauch die Natur als bdquoMittel zur Wertdarstellungldquo (1935 163 vgl
166f) und dadurch als sinnha (vgl bes 1923b 512-31) Die Natur ist ihm
bdquoMediumldquo fuumlr das unmittelbar wertbezogene Wirken ist Medium der
Wertgestaltung also bdquosinnbedingtldquo (1935 271 279) ndash nicht selbst schon
Kultur sondern eine bdquovorkulturliche Stufe zu Kulturldquo (1935 280) bdquoZivili-
sationldquo hat Bauch dahingehend bestimmt da in ihr die Vernun den
bloen Interessen des biologischen Menschenlebens dienstbar gemacht
wird was bdquoim ganzen Umfang des Wirtschaslebensldquo der Fall sei (1923b
515) Von dieser lebensmaumligen Bedingtheitssphaumlre unterscheidet er die
Sphaumlre des bdquomenschlichen Geisteslebensldquo di der bdquoKulturldquo (1923b 515)
Die Einebnung beider Sphaumlren hat er harsch kritisiert (1923b 514ff) vom
Geistesleben als Vasalle des bloen Wirtschaslebens ist die Rede vom
bdquoSklavendienstldquo der Vernun gegenuumlber der bdquoIchsuchtldquo von der Vernun
des Menschen im bdquoDienst seiner Tierheitldquo usw Durch die rhetorisch
schwer aufgeladene Zivilisationskritik hindurch wird jedoch der Sache
nach wie bei Rickert sichtbar Der Mensch ist nicht blo biologisches Le-
bewesen sondern auch durch Vernun und damit durch Werte bestimm-
bar Diese Wertbestimmbarkeit steht entweder blo im Dienst des Lebens
(Naturbedingtheit) oder laumlt sich von der Vernun selbst fuumlhren (Ver-
nunbestimmtheit) Fuumlr Bauch ist Geistesleben im strikten Sinne von Kul-
turwerten geleitet bdquoEigenwerteldquo sind damit nicht der bdquoNuumltzlichkeitldquo sub-
ordiniert bzw bdquoMittel zum Zweck des Nutzensldquo (1932 108) Vielmehr ist
wie bei Rickert das Leben nach Werten zu gestalten (1932 95ff) Werte als
Werte aber sind fuumlr Bauch strikte genommen objektiv so da die Rede von
einem subjektivem Wert immer schon den objektiven Wert voraussetzt
(1932 102)
Bei Cohn liegt es der Sache nach nicht anders Deshalb fat er den Wert
bdquoangenehmldquo als dem einzelnen Erlebnis unmittelbar in seiner Einmaligkeit
zugehoumlrig verbindet mit ihm allenfalls eine kollektiv-allgemeine Geltung
jedenfalls nur eine empirische Geltung (1932 293) gleiches gilt fuumlr den
Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo er gehoumlre dem Erleben nicht unmittelbar an son-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
59
dern beziehe die bdquoferneren Folgenldquo ein Cohn zufolge entstammen beide
Werte demselben bdquourspruumlnglichen Lebensdrangldquo (1932 294) beide seien
bdquokausative Gefolgwerteldquo (1932 sectsect 72 mit 60) Nuumltzlichkeit gehoumlre zu den
bdquoselbstischen Wertenldquo (1932 sect 75) Wirtscha (wie uumlbrigens auch Technik)
ist Cohn sodann vom kausativen Wert der bdquoNuumltzlichkeitldquo geleitet (1932
61) ganz gleich welche bdquoEigenwerteldquo es sind auf die hin gewirtschaet
wird Entsprechend behandelt Cohn die Wirtscha in seiner sbquoErgetiklsquo
(Wertverwirklichungslehre) wie bei Rickert und Bauch besteht auch fuumlr
ihn die bdquoBedeutung der kausativen Werteldquo in der bdquoVerwirklichung der Ei-
genwerteldquo (1932 75) Und auch bei Cohn enthaumllt die bdquoZivilisationldquo (1932
141ff) die Sphaumlren der bdquoTechnikldquo und der bdquoWirtschaldquo besteht also aus
Guumltern die von kausativen Werten geleitetet sind Wie in der suumldwestdeut-
schen Schule uumlblich werden sie als bdquoMittelldquo gedacht erhalten daher ihren
Sinn von dem dem sie als Mittel dienen Diese zivilisatorischen Sphaumlren
gleich ob man sie als vitale oder als geistige auffat gruumlnden so oder so in
bdquoNutzwertenldquo (1932 551f) Auch fuumlr Cohn droht durch ihre Losloumlsung
von den eigenwertigen Kulturgebieten der Verlust des Eigenwertes und
damit des bdquoZielsldquo und der bdquoinneren Erfuumlllungldquo (1932 556 vgl 1932 141
143) Naumlherhin besteht fuumlr Cohn der bdquokulturelle Wert der Zivilisationldquo da-
rin da in einer freien Kultur (einer Kultur freier Personen) rationale
Technik und Wirtscha im Interesse der allgemeinen Versorgung und Be-
freiung von den alle Kultur hemmenden vitalen Noumlten gewollt werden da-
durch hat die Zivilisation eine dienende Funktion sie empfaumlngt ihre bdquoZie-
leldquo wird in ein bdquohoumlheres Ganzesldquo eingeordnet ist bdquonuumltzlichldquo indem sie
bdquodienendldquo wird (1932 562) Es ist dann weiter nicht mehr uumlberraschend
da Cohn von der Sphaumlre der Zivilisation die bdquoautonomen Kulturgebieteldquo
unterscheidet (1932 144ff) Wie fuumlr Rickert und Bauch koumlnnen auch fuumlr
Cohn zivilisatorische Kulturgebiete nicht wahrha autonom sein haumlngen
doch die kausativen Werte vom Eigenwert des Guts ab dem sie zugehouml-
ren in der Sphaumlre der Autonomie hingegen ist auch gemauml Cohns Wert-
lehre der gebietbildende Wert ein geltender Eigenwert (1932 563f)
[4] In der kantianisierenden Transzendentalphilosophie der Gegenwart
vollzieht sich gerade in puncto neukantianischer Herabstufung der Zivili-
sation bzw Nuumltzlichkeit zum Bedingungswert eine bemerkenswerte Wen-
de bei Wagner und Flach erhaumllt sie den Rang eines Eigenwertes Daraus
ergibt sich eine grundsaumltzlich andere Ordnung im System der Werte Das
Verhaumlltnis von Bedingungswert und Eigenwert bleibt zwar erhalten mo-
Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
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Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Christian Krijnen
60
delt sich aber am konsequentesten bei Flach zu einem Gliederungsver-
haumlltnis innerhalb der jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren Dabei erfaumlhrt
zugleich die Sphaumlre des Sozialen eine eigentuumlmliche Transformation sie
wird aus der praktischen Philosophie ausgegliedert und der eigenstaumlndi-
gen unbedingten Ideensphaumlre der Nuumltzlichkeit ndash einst das Paradigma
bedingter Geltung ndash zugeordnet35
Nuumltzlichkeit wird also positiv konnotiert Entgegen der philosophi-
schen Tradition erblicken Wagner und Flach in der Nuumltzlichkeit nicht nur
sbquoUtilitaumltlsquo im Sinne eines bloen Bedingungswerts sondern Unbedingtheit
Warum Und wie praumlgt sich dabei der Gedanke der Realisierung der Gel-
tung aus
Fuumlr Wagner ist die Sphaumlre die uns als Personen und damit als konkrete
Subjekte baumlndigt die unseres Realdaseins in der Welt (1980 300) Natur
und Gesellscha spielen hier eine bestimmende Rolle Gegen beide bringe
der Mensch spezifische Maumlchte in Anschlag Zivilisation und Technik ge-
gen die Macht der Natur das Recht und den Staat gegen uumlberbordende
Anspruumlche der Gesellscha Wagner erblickt in diesen Maumlchten eigene und
eigenstaumlndige Vernunideen
Darin liegt zum einen da Wagner gegen die Tradition einklagt den
Rechtswert von seiner ausschlielich sittlichen bzw moralischen Praumlgung
zu befreien und ihn im Kontext eines umfassenderen Freiheitsbegriffs zu
denken (1980 301f) gleiches gilt fuumlr den Wert des Staates und auch die
Gesellscha enthaumllt eigene Prinzipien der Sozialitaumlt (1980 302) Zum an-
deren loumlst er die Ideen oder Werte der Wirtscha der Technik und der
Zivilisation aus ihrem angestammten Bereich bloer Utilitaumlt Er fat sie als
Bereiche von Utilitaumlt denen Gestaltung gemauml einer in sich selbst begruumln-
deten (sbquounbedingtenlsquo) Idee zukommt (1980 302f) Damit transformiert
Wagner den Utilitaumltsbegriff was einst Bedingungswert war erhaumllt den Sta-
tus eines Eigenwertes
Entscheidend fuumlr diese Transformation und damit fuumlr die Unbedingt-
heit von Wirtscha Technik und Zivilisation ist da Wagner all diese
Bereiche als Bereiche konzipiert in denen das Subjekt aus seiner sbquoInner-
lichkeitlsquo (des Denkens Wollens und Fuumlhlens) in sein sbquoAuenlsquo tritt (1980
303f) Utilitaumlt ist also nicht blo als Mittel oder Bedingung gedacht son-
dern das Mittel- oder Bedingungsein wird selbst als Realisierungsbedin-
gung der Subjektivitaumlt konzipiert Dadurch wird die durchaus abstrakte
35 Vgl dazu auch Krijnen (2011a 215ff)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
61
neukantianische Entgegensetzung von Eigen- und Bedingungswert in ei-
nen intrinsischen Zusammenhang uumlberfuumlhrt Dies scheint mir insgesamt
ein berechtigtes Anliegen zu sein das den Realisierungsgedanken auf eine
houmlhere Ebene seiner Bestimmtheit bringt Ein solcher Gedanke ist im
Neukantianismus zwar angelegt sofern subjektive Geltung in objektiver
Geltung gruumlndet und Kultur insgesamt auch an die Sphaumlre der Realbe-
dingtheit ruumlckgebunden wird gleichwohl wird im Neukantianismus die
Sphaumlre der Utilitaumlt nicht als Moment der Selbstentfaltung der Subjektivitaumlt
entwickelt Vielmehr durchkreuzt die oben herausgestellte neukantianische
Systemeinteilung von Geltung und Realisierung der Geltung sowie von
sbquotheoretisch ndash praktischlsquo eine solche Funktionalisierung der Utilitaumltssphaumlre
Jedenfalls sind mindestens zwei unterschiedliche Bedeutungen von Reali-
sierung wirksam
Bei Wagner fuumlhrt die Entwicklung der Subjektivitaumlt aus ihrer Innerlich-
keit hinaus in ihr Auen zur Idee einer unbedingten (freien) Gestaltung
von Natur und Welt uumlberhaupt und damit zur sie fundierenden Idee einer
Selbstgestaltung des Realdaseins des Subjekts in Natur und Welt (1980
304f 317) Deren Komponenten nimmt Wagner zusammen als bdquooumlkono-
misch-soziale Ideeldquo Recht freie Gesellscha und Staat machen die
bdquosozialenldquo Momente dieser Idee aus Wirtscha Zivilisation und Technik
die bdquooumlkonomischenldquo (1980 316) Offenbar haben wir es hier mit der Sphauml-
re der Gestaltung der Wirklichkeit durch das Subjekt gemauml Werten tun
also mit der Realisierung der Geltung Die oumlkonomisch-soziale Idee (di
der Wert des Oumlkonomisch-Sozialen) begruumlndet und regelt ein spezifisches
Verhaumlltnis des Subjekts zur Welt Durch dieses Verhaumlltnis wird das Reale
unter die Herrscha der Idee gebracht Wagner legt sich das so zurecht
Bestimmt durch die Ideen des Wahren (Denkens) Guten (Wollens) und
Schoumlnen (Gefuumlhls) geht das Subjekt unter Aumlgide der oumlkonomisch-sozialen
Idee an die Arbeit (1980 317) Auch in seinem Auenbezug soll das Sub-
jekt unbedingt sein
Das gemauml seiner Freiheit oder Unbedingtheit ins Auen ins Objektive
(wie Wagner wohl in Anspielung auf Hegels Philosophie des objektiven
Geistes sagt) tretende Subjekt ist Person (1980 305f) Die Person aber ist
als konkretes (reales faktisches) Subjekt Person unter Anderen also Glied
einer Pluralitaumlt von Personen Die Realisierung der Werte des Wahren
Schoumlnen und Guten konfrontiert das Subjekt folglich mit einer vernuumlnftig
zu regelnden Pluralitaumlt von Subjekten sowie mit dem Erfordernis einer
Umgestaltung von Natur und Welt durch Arbeit Das Soziale Wagners
Christian Krijnen
62
betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
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6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
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gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
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Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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betri die Realisierungsdimension von jenen zunaumlchst im Inneren verhar-
renden Werten in bezug auf deren Hinaustreten ins Auen Dieses Hinaus-
treten erfolgt in einer Gemeinscha von Subjekten oder wie es dann heit
im Zusammen von Personen Jedenfalls scheint es so denn Wagner spielt
darauf an da die Gesellscha nicht-staatliche Formen der Vergesellschaf-
tung enthaumllt um sodann Wirtscha Zivilisation und Technik in den
Vordergrund zu ruumlcken (1980 302) Ebenso streicht Wagner heraus da
der Staat sich funktionsteilig gliedert und gemauml der Regel der Funktions-
verteilung Befugnisse verteilt (1980 310ff) also wohl auch die oumlkonomi-
sche Ordnung bestimmt Das Oumlkonomische ist somit auch sozial Worin
steckt der Unterschied zwischen dem sbquoSoziallsquo-Sozialen und dem sbquoOumlkono-
mischlsquo-Sozialen Das Verhaumlltnis von Sozialem und Oumlkonomischem bleibt
bei Wagner unterbestimmt Warum ist das Soziale nicht schlicht die Sphaumlre
unseres Realdaseins in der Welt und unserer Arbeit Diese Sphaumlre enthielte
sodann das Moment der freiheitlichen Regelung des Miteinanders wie auch
des effektiven und effizienten Umgangs Miteinander und der Natur Zu-
dem ist Wagners Arbeitsbegriff schwammig bald betri er die ganze
Sphaumlre des Realdaseins dann wieder blo das Oumlkonomische darin Nicht
zuletzt uumlberzeugt Wagners Entgegensetzung sbquoInnen ndash Auenlsquo und damit
der Uumlbergang von der inneren in die aumluere Sphaumlre nicht Denn Wagners
Begriff der Innerlichkeit (und folglich des Subjekts) ist doppeldeutig (auch
die Gedanken des Wissenschalers haben eine aumluere Gestalt der zu ge-
staltende Wille ist Wille der Person usw) Das Soziale ist bei Wagner also
doch keine Sphaumlre der Realisierung von Werten sui generis Schlielich hat
es wegen der Unterscheidung sbquoInnen ndash Auenlsquo sogar einen instrumentellen
Grundzug trotz aller von Wagner proklamierten Eigenstaumlndigkeit der Idee
des Sozialen Durch diesen instrumentellen Grundzug haumllt es die neukan-
tianische Positionierung der Utilitaumlt als Bedingtheitssphaumlre im Unterschied
von einer Sphaumlre der Unbedingtheit am Leben So gesehen bleibt etwa die
Begruumlndung von Technik und Wirtscha in ihrer Eigenwertigkeit unzurei-
chend Technik und Wirtscha betreffen durchaus noch die Realisierung
von Anderem (den unbedingten Ideen des Wahren Guten und Schoumlnen)
und sind damit Bedingungswerte notwendige Bedingungen fuumlr die Reali-
sierung von Eigenwerten Da Wirtscha und Technik von eigenen Geset-
zen regiert werden denen gemauml man besser oder schlechter (effizienter
effektiver u dgl) Wirtschaen und Technisieren kann ist ebenso unbestrit-
ten wie fuumlr die Eigenwertigkeit der technischen und wirtschalichen Idee
irrelevant
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
63
Zweifelsohne ist es gerade Wagners Absicht diese Instrumentalitaumlt des
utile zu uumlberwinden Und trotz aller Monita laumlt sich bei Wagner deutlich
eine Tendenz erkennen das Soziale als Charakterisierung des Realdaseins
des Subjekts auszuzeichnen und dieses objektive Dasein der Vernun als
Realisierungsdimension der Geltung zu konzipieren
Flach folgt Wagners Ansatz anders als Wagner aber gelingt ihm eine
einwandfreie Herausarbeitung der Unbedingtheit der Idee des utileIm
Rahmen seiner Ideenlehre sieht auch Flach die Idee des Oumlkonomisch-
Sozialen im bdquotaumltigen Lebenldquo und den in ihm verfolgten Interessen fundiert
(1997 137) Auch Flach zeichnet das taumltige Leben durch ein doppeltes In-
teresse aus ein Interesse an der Natur verstanden als das woran sich der
Mensch seine Subsistenz erarbeitet und ein Interesse an den Mitmen-
schen in deren Gemeinscha der Mensch seine bdquomonadisch-intermona-
discheldquo Bestimmtheit lebt (1997 137) also Subjekt unter Subjekten ist
Um die Eigenwertigkeit dieser Idee der Nuumltzlichkeit di der Idee des
Oumlkonomisch-Sozialen auszuweisen mu Flach zeigen da dem sozialen
und dem oumlkonomischen Agieren des Menschen Unbedingtheit eignet
Dann ist es nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Kultur sondern der
Begriff der Kultur selbst haumltte in der Idee des utile eines seiner grundle-
genden Bestimmungsstuumlcke Entsprechend handelt es sich fuumlr Flach beim
oumlkonomisch-sozialen Interesse um ein Verhaumlltnis von bedingter Subsis-
tenzsicherung und Vergemeinschaung einerseits und unbedingter Sub-
sistenzsicherung und Vergemeinschaung anderseits
Subsistenzerhaltung und Vergemeinschaung ist Arbeit di bdquoZuberei-
tung zu etwas Nuumltzlichemldquo (1997 138) Normierungsdeterminante ideen-
bestimmter Arbeit ist somit die Durchsetzung der Nuumltzlichkeit der Natur
und des Menschen Im Zuge der Beherrschung der Natur wird die Verge-
meinschaung immer mehr zu einer essentiellen Bestimmung des Men-
schen Damit kann Flach die sozialen Institutionen ebenfalls als Selbstge-
staltung der Arbeit begreifen (1997 140) Die Grundwerte des Oumlkono-
misch-Sozialen sind eben die Prinzipien der Geltungswertigkeit des Wirt-
schaens und der Gemeinschasbildung qua je differente Akzentuierun-
gen der Arbeit (1997 141) Als solche Grundwerte sind sie definierende
Bestimmungsstuumlcke der Idee des utile Sie sind folglich um die Bauchsche
Wendung aufzugreifen kein sbquoTribut an die Tierheitlsquo des Menschen son-
dern vielmehr an seine Bestimmtheit als Subjekt Naumlherhin ergeben sich
die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen und sozialen
Ergiebigkeit (Herstellung guumlnstiger Verhaumlltnisse) Nachhaltigkeit und Ein-
Christian Krijnen
64
traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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traumlglichkeit (optimalen Allokation) der Arbeit (1997 142) Flachs Arbeits-
begriff fuumlhrt sodann zu nachrangigen (und damit komplexeren) Bestim-
mungen wie der Bestimmung des Rechts des Staates und der Politik
(1997 144f mit 152 u 156)
So wird nicht nur sichtbar da Geltungsbereiche die auch im Neukan-
tianismus der sbquopraktischen Philosophielsquo zugerechnet werden aus diesem
Verbund herausgeloumlst und als Realisierungsfunktionen gedeutet werden
Das Oumlkonomisch-Soziale ist diese Sphaumlre des sbquotaumltigen Lebenslsquo die sie fun-
dierende Idee ist die der Nuumltzlichkeit Nuumltzlichkeit charakterisiert damit
nicht mehr eine Bedingung fuumlr die Realisierung von Eigenwerten in der
Weise eines Bedingungswertes sondern fat die Darstellung von Werten in
der Wirklichkeit als geregelt von ganz eigenartigen Prinzipien die das Sub-
jekt in seiner Subjektitaumlt und damit den Begriff der Kultur als die Welt des
Menschen qualifizieren Das Soziale erweist sich sodann als eine eigen-
staumlndige Geltungssphaumlre die entsprechend den Weg von der bedingten
Vergemeinschaung zur unbedingten abdeckt dieser Weg endet in einer
Vergemeinschaung die jedem zu Nutzen gereicht wie man sagen koumlnnte
die freie sich selbst bestimmende Vergemeinschaung des Subjekts ist
Utilitaumlt ist nicht eine bloe Bedingtheitssphaumlre sondern jenes Moment der
Unbedingtheit des Subjekts das das sbquotaumltige Lebenlsquo als solches normiert
[5] Es hat sich gezeigt da Wagners Konzeption des Oumlkonomisch-Sozia-
len trotz aller proklamierten Eigenstaumlndigkeit an einem instrumentellen
Grundzug leidet und darum nolens volens die Erblast der Utilitaumlt als
bloer Bedingtheitssphaumlre mit sich schleppt Auch Flach ist in diesem
Punkt mit Wagner unzufrieden Er moniert dessen Bindung des Arbeits-
begriffs an die Sphaumlre des sbquoRealdaseinslsquo ndash bdquoals ob die uumlbrigen Interessen
[hellip] nichts mit dem Realdasein des Menschen zu tun haumlttenldquo ndash und er-
blickt darin eine Gleichsetzung von Arbeit mit bdquoinstrumentellem Han-
delnldquo da Arbeit so jedem Interesse integriert wuumlrde kaumlme ihr ihre eigen-
staumlndige Geltungsqualifikation abhanden (1997 152) Flachs Bestimmung
der Idee des utile laumlt sich jedoch mit der Ruumlckseite seiner eigenen Wagner-
Kritik konfrontieren Flach pocht so sehr auf die Eigenstaumlndigkeit der
oumlkonomisch-sozialen Sphaumlre da undurchsichtig wird was denn sbquodas taumltige
Lebenlsquo und die in diesem verfolgten Interessen di die oumlkonomisch-
sozialen mit den sbquouumlbrigen Interessenlsquo des Menschen zu tun haben die
Flach in seiner Ideenlehre als die grundlegenden unterscheidet (Erkennt-
nis Sittlichkeit Aumlsthetik) Fraglos haben Erkenntnis Sittlichkeit und
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
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Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
65
Aumlsthetik auch mit dem taumltigen Leben zu tun Waumlhrend Wagner ihren Zu-
sammenhang instrumentell fat ist bei Flach wiederum kein Zusammen-
hang erkennbar
Interessanterweise jedoch laumlt sich ein solcher Zusammenhang wenigs-
tens erahnen wenn man Wagners Vorlage einbezieht und speziell auf die
Stellung des Rechts in der Ideenlehre achtet
Bekanntlich ist Wagner daran gelegen das Recht aus der Ethik heraus-
zuloumlsen und diese auf die Selbstgestaltung des sbquoWillenslsquo und die dafuumlr ma-
geblichen Prinzipien zu fixieren (1980 26 mit 28) Wie es heit nehme der
Rechtsgedanke zwar sittliche (moralische) Prinzipien in sich auf aber eben
auch andere vor allem uumlberforme er die aufgenommenen Prinzipien in-
dem er sie unter sein eigenes Gesetz stelle (1980 301) Er schaffe und
sichere eben dem Subjekt den erforderlichen Freiraum im Objektiven
(Auen Realdasein) damit dieses der Aufgabe der unbedingten Selbstge-
staltung seines Denkens Wollens und Fuumlhlens nachkommen koumlnne (1980
307) Zwar wuumlrden an den Werten des Oumlkonomisch-Sozialen Momente
auftreten die zu den Sphaumlren der theoretischen ethischen und aumlstheti-
schen Werte gehoumlrten aber ebenso gebe es Momente die sich auf diese
Werte nicht zuruumlckfuumlhren lieen bdquovoumlllig autochtone Momenteldquo die der
Selbstaumlndigkeit der oumlkonomisch-sozialen Idee selbst verdankt und damit
bdquospezifische Werteldquo seien Wagner meint das wohl nicht so da das Recht
(unsinnigerweise) ein compositum aus ethischen und oumlkonomisch-sozialen
Werten bildet sondern da in die Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen Quali-
taumlten aus den anderen Ideensphaumlren eingehen die aber bdquoeigenartig ange-
wandelt und uumlberformtldquo werden durch ein bdquoselbstaumlndiges und fuumlhrendes
Wertmomentldquo eben des Oumlkonomisch-Sozialen (1980 317) so da diese
Sphaumlre als eigenstaumlndige zu einem totum einer Ganzheit wird
Flach denkt sich dies im Grunde nicht anders Im Rahmen seiner Be-
stimmung des sittlichen Interesses (di der Selbstgestaltung des Willens)
stoumlt er zwar auf den Wert der Gerechtigkeit und damit auf das Problem
des Rechts Phaumlnomene der sittlichen Kultur seien jedoch nicht bdquodirektldquo
Rechtsphaumlnomene (1997 85) Recht Staat Politik gehoumlren fuumlr Flach viel-
mehr zum Bereich des Oumlkonomisch-Sozialen (1997 144f mit 152 u 156)
Erstaunlicherweise aber soll der Staat bdquonicht nur und nicht zuerstldquo Ausflu
des oumlkonomisch-sozialen Interesses sein (Flach 1997 144) damit wuumlrde er
doch wiederum sbquozuerstlsquo als sittliches Phaumlnomen gedacht was Flachs sonsti-
gen Aussagen und vor allem seiner Intention die Lehre vom Oumlkonomisch-
Sozialen aus der praktischen Philosophie herauszuloumlsen voumlllig zuwider
Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
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52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
66
waumlre36 Diese Ungenauigkeit mag als Index fuumlr die Unbestimmtheit der
Verhaumlltnisse zwischen den anderen unbedingten Ideen und der Idee des
utile gelten
Es laumlt sich dieses Ergebnis auch unter einem anderen Aspekt formu-
lieren der den Begriff der Realisierung der Geltung in den Vordergrund
ruumlckt Dieser Begriff enthaumllt offenbar mehrere Dimensionen die zwar ge-
legentlich terminologisch und auch sachlich unterschieden werden jedoch
im Ergebnis in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie (wie bei
Kant selbst) noch nicht zu einem klaren und deutlichen Realisierungs-
begriff gefuumlhrt haben Naumlherhin differenziert sich die Geltungsfunktiona-
litaumlt wie folgt aus
Erstens ist das Subjekt in Anspruch genommen als intentionale Voll-
zugsgroumle der Geltung und damit als Korrelationsmoment im Gefuumlge einer
Geltungsgesetzlichkeit das Subjekt ist logisches Vereinzelungsmoment der
Geltung
Zweitens fungiert das Subjekt als die Geltungsfunktion die es so
oder so immer ist als reale Groumle als sinnlich-intelligible Einheit als rea-
les konkretes Subjekt als Person als etwas das nicht nur durch Natur
bestimmt sondern auch durch sbquoFreiheitlsquo sbquoIdeenlsquo sbquoWertelsquo bestimmbar ist
also als Mensch im kulturphilosophischen Sinne des Wortes Noch Flach
formuliert das so da die Ideenlehre als philosophia secunda die Interes-
senbestimmtheit des Menschen thematisiert (1997 14) so da die Ideen-
lehre der Erkenntnislehre die philosophia prima ist den bdquoanthropologi-
schen Akzentldquo hinzufuumlgt (1997 43) Es wird die Sollensbestimmtheit des
Subjekts hervorgekehrt und mit ihr freilich auch die Wertbestimmtheit
selbst dh die zur Sollensbestimmtheit gehoumlrigen Orientierungsdetermi-
nanten die Werte die das Subjekt normieren und deren Anerkennung
sbquoKulturlsquo die theoretische sittliche aumlsthetische Kultur usw scha
Drittens ist das Subjekt speziell in seinem sbquoRealdaseinlsquo sbquotaumltigen Le-
benlsquo als Realisierungsinstanz als reale Voraussetzung des Entstehens von
36 Es wundert nicht da Flach in einem bislang unveroumlffentlichten Aufsatz bdquoKant zur
Gruumlndung von Recht und Rechtswissenschaldquo versucht hat Kants Begruumlndung des Rechts von ihrer exklusiven Ruumlckbindung an die praktische Philosophie na-mentlich die Sittenlehre loszuloumlsen und sie primaumlr der Kantischen Kultur- bzw Geschichtsphilosophie zuzuordnen (Dieser Text soll in einer von Wolfgang Bock besorgten Sammlung von Flachs Aufsaumltzen zu Kant erscheinen)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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losophie 6 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1929) Die Grenzen der naturwissenschalichen Begriffsbildung Eine logische
Einleitung in die historischen Wissenschaen 5 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1934) Grundprobleme der Philosophie Methodologie Ontologie Anthropolo-
gie Tuumlbingen Mohr
Roumlttgers Kurt (2002) Kategorien der Sozialphilosophie Magdeburg Scriptum
Schoumlnrich Gerhard Hg (2009) Wissen und Werte Paderborn mentis
Wagner Hans (1980) Philosophie und Reflexion 3 Aufl MuumlnchenBasel Ernst Reinhardt
Windelband Wilhelm (1909) Die neuere Philosophie In Die Kultur der Gegen-wart Hg v P Hinneberg 382ndash543 Teil I Abt V Berlin Leipzig
ndashndash (1915) Praumlludien Aufsaumltze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte 5 Aufl 2 Bd Tuumlbingen Mohr 1915
ndashndash (1915a) Das Heilige Skizze zur Religionsphilosophie (1902) In Praumlludien Bd 2 295ndash332
ndashndash (1915b) Kritische oder genetische Methode (1883) In Praumlludien Bd 2 99ndash135
Christian Krijnen
84
ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
67
Kulturguumltern thematisch wie man es mit Blick auf Rickert formulieren
koumlnnte als soziales Subjekt also
Denkt man an Rickerts Unterscheidung unterschiedlicher Wert- bzw Gel-
tungsstufen dann laumlt sich das Erreichte etwa auch dahingehend akzen-
tuieren da es zusaumltzlich zur Bedeutung von Bedingung als Bedingungs-
wert fuumlr die Realisierung von Werten die Bedeutung von sbquoBedingunglsquo als
Sphaumlre der Geltungsrealisierung gibt Diese letztere Realisierungsdimensi-
on aber ist mit jedem Wert verbunden (auch Bedingungswerte werden rea-
lisiert durch Subjekte) Die Unterscheidung sbquoEigenwerte ndash Bedingungs-
wertelsquo spielt sich ab auf der Ebene der Werte und ihrer Geltung die von
sbquoGeltung der Werte ndash Realisierung der Wertelsquo indes arbeitet die mit der
Geltung uumlberhaupt verbundene Dimension der Realisierung als Realisie-
rung durch Subjekte heraus Ebenso verhaumllt es sich wenn man vor diesem
Hintergrund auf die Einteilung sbquotheoretisch ndash praktischlsquo blickt denn die
praktische Philosophie enthaumllt sowohl Bedingungswerte als auch die Sol-
lensbestimmtheit des Subjekts wie das Subjekt speziell als Realisierungs-
instanz
Das Dasein der Freiheit ist offenbar ein komplexer Sachverhalt Das
axiotische Grundverhaumlltnis der kantianisierenden Transzendentalphiloso-
phie vermag diese Komplexitaumlt nur unzureichend in einem einheitlichen
Gedankengang explizit zu machen Die neukantianische Einteilung des
Systems in eine Sphaumlre des Kontemplativen und des Aktiven lief letztlich
auf eine Einteilung in Geltung und Verwirklichung hinaus Sie fuumlhrte in
der neueren Transzendentalphilosophie dazu das Sich-im-taumltigen-Leben-
gemauml-dem-Wert-Organisieren als determiniert von der Idee des Nuumltzli-
chen zu fassen und die Ethik auf das bonum im Sinne der Reinheit des
Willens der Zwecksetzung von zu Verwirklichendem auszurichten Die
Sphaumlre des Oumlkonomisch-Sozialen lie sich uumlber den Gedanken der Reali-
sierung Verwirklichung Gestaltung Darstellung der Geltung als Mittel-
Sein von Mensch und Natur als Idee oder Wert des Nuumltzlichen ausglie-
dern Das axiotische Grundverhaumlltnis enthaumllt das Subjekt als logisches und
reales es enthaumllt objektive Werte die es zu realisieren gilt sowie objektive
Werte die Werte ebendieser Realisierung sind und als solche eine Dimen-
sion aller Werte ausmachen zugleich aber selbst ein Wert im System der
Werte sind das wiederum der Kultur und ihrer Gliederung zugrunde lie-
gen soll
Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
68
52 Realisierung als Manifestation der Idee
[1] Was nun allgemein Hegels Gedanken der Realisierung als Bestimmung
des Begriffs zur Idee betri 37 ist es zunaumlchst wichtig hervorzukehren da
der Begriff am Anfang einer spekulativen Begriffssequenz blo sbquokonkrete
Totalitaumltlsquo sbquoan sichlsquo ist die sodann sbquofuumlr sichlsquo sbquogesetztlsquo werden mu der An-
fang erfaumlhrt als das unbestimmte zu bestimmende Unmittelbare seine
inhaltliche Bestimmung Waumlhrend in der Logik diese bdquoRealisationldquo oder
Bestimmung des Begriffs zur Idee bdquoinnerhalb derselben Sphaumlreldquo bleibt
Denken sich also im Element des Denkens bestimmt (II 504f) sind die
Realphilosophien Wissenschaen der Idee im Element des sbquoReellenlsquo es
wird die reale Dimension der Idee entwickelt Das Element der Realphilo-
sophie ist nicht der Begriff sondern das sbquoDaseinlsquo des Begriffs38 Natur und
Geist sind unterschiedliche Weisen das bdquoDaseinldquo der absoluten Idee bdquodar-
zustellenldquo (II 484)39 Zum einen wird somit der logische Begriff im realen
Element als in seinem Dasein entwickelt zum andern die Realitaumlt (Natur
Geist) ihrer begrifflichen Struktur nach bestimmt Die Bestimmung des
Realen erfolgt dabei gemauml dem Verfahren der Logik di der Methode
begreifenden Denkens nur da das Verfahren nicht mehr blo an reinen
Gedankenbestimmungen ausgeuumlbt wird sondern an Realem Folglich wird
in der Realphilosophie Naturales und Geistiges als Konkretion von Logi-
schem begriffen Der Anfangsbegriff der Naturphilosophie wird von der
Logik in begruumlndeter Weise bereitgestellt der der Geistphilosophie wiede-
rum von der Naturphilosophie Anders also als die Logik die der Kautele
schlechthinniger Voraussetzungslosigkeit verbunden ist und daher das Sein
als das unbestimmte Unmittelbare selbst zum Anfangsbegriff hat der An-
fang folglich bdquoabsoluterldquo oder bdquoabstrakterldquo Anfang ist (I 54) gehen beide
Realphilosophien von einem gegebenen Begriff aus Dieser wird sodann in
methodisch geregelter Weise sbquorealisiertlsquo Dadurch zeigt sich wie die Idee
sich in der Natur und der geistigen Wirklichkeit Dasein gibt es schlieen
sich die logische und die sbquodaseiendelsquo Dimension des Begriffs zusammen
entsprechend wird die Begriffsbewegung eine Bewegung zur wie auch eine
Bewegung der sbquoIdeelsquo di dem in der Objektivitaumlt mit sich zur Uumlbereinstim-
37 Vgl dazu ausfuumlhrlicher Krijnen (2008 342 mit 4212) 38 Vgl dazu auch Nuzzo (1997 56ff) Zum Verhaumlltnis von Logik und Realphiloso-
phie vgl auch Fulda (2003 Kap 6 u 7) 39 ndash anders als in der Logik hat der Begriff in der Natur und im Geist also eine
bdquoaumluerliche Darstellungldquo (II 456)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
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[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
69
mung gekommenen Begriff Indem der Begriff sich im Element des Da-
seins zur Idee verwirklicht entwickelt er seine verschiedenen sbquoGestaltenlsquo
Bestimmungs- und Gestaltungsbewegung verlaufen ineins40 Die bdquoBestim-
mungenldquo der Entwicklung sind also sowohl selbst Begriffe als auch bdquoin der
Form des Daseinsldquo so da die sich ergebende Begriffsreihe bdquozugleich eine
Reihe von Gestaltungenldquo ist (R sect 32)
[2] Was speziell die Philosophie des Geistes betri Als subjektiver Geist
bezieht sich die Entwicklung des freien Geistes in einem engeren Sinne
auf diesen selbst Damit ist nicht nur das Wesen des Geistes Freiheit son-
dern indem der bdquoBegriffldquo des Geistes bdquofuumlr ihnldquo wird wird ihm sein bdquoSeinldquo
bdquobei sich di frei zu seinldquo (E sect 385) Anschlieend objektiviert der freie
Geist sich zu einer geistigen Welt die er sich allmaumlhlich adaumlquat macht zu
einer Welt in der bdquoFreiheit als vorhandene Notwendigkeitldquo ist in dieser
Form seiner Taumltigkeit und deren Produkt(e) ist der Geist bdquoobjektiverldquo eine
geistige Welt hervorbringender Freiheit in der Realitaumlt verwirklichender
Geist (E sect 385)
Die Realisierung der (absoluten) Idee im Element des Geistes ist voll-
endet sobald dieser zu einem Dasein gelangt in dem er voumlllig befreit ist
von Formen die seinem Begriff nicht adaumlquat sind Erst dann ist der Geist
bdquoder Wirklichkeit nachldquo frei diese Freiheit erlangt der Geist als etwas
bdquodurch seine Taumltigkeit Hervorzubringendesldquo entsprechend thematisiert
die Geistphilosophie den Geist als bdquoHervorbringer seiner Freiheitldquo die
Entwicklung des Geistbegriffs stellt sodann bdquodas Sichfreimachen des Geis-
tes von allen seinem Begriffe nicht entsprechenden Formen seines Daseins
darldquo (T WA 8 sect 382 Z) Formell genommen ist das Wesen des Geistes die
Freiheit (E sect 382) der Geist im Reich des Geistes ist sbquofreier Geistlsquo (E sect 382
mit 384)
Am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel den
freien Geist als Einheit von theoretischem und praktischem Geist bdquofreier
Wille der fuumlr sich als freier Wille istldquo bdquoWille als freie Intelligenzldquo (E sect
481) Geist der sich als frei bdquoweildquo und bdquowillldquo dh Geist der sich seine
Freiheit zum bdquoZweckldquo macht (E sect 482) Die Einheit von theoretischem
40 In der Einleitung in die Rechtsphilosophie heit es bdquoDie Gestaltung welche sich
der Begriff in seiner Verwirklichung gibt ist zur Erkenntnis des Begriffs selbst das andere von der Form nur als Begriff zu sein unterschiedene wesentliche Moment der Ideeldquo (R sect 1 A)
Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Christian Krijnen
70
Geist und praktischem Geist besteht in der Freiheit (Selbstbestimmung)
Damit ist der Uumlbergang in das objektive Dasein des freien Geistes greifbar
In der Philosophie des objektiven Geistes kommt es darauf an den freien
Geist in diesem seinem objektiven Dasein zu erkennen dh ihn philoso-
phisch zu begreifen gemauml der Logik des Begriffs Die Realisierung von
Freiheit im Objektiven laumlu also darauf hinaus das Implizite hinsichtlich
dieser Zweckrealisierung explizit zu machen Der freie Geist als Endergeb-
nis des subjektiven Geistes ist naumlmlich bdquowirklichldquo (E sectsect 480f) freier Wille
als wirklich freier Wille hat er Freiheit nicht blo zu seinem bdquoWesenldquo son-
dern dieses Wesen eben zugleich zu seiner bdquoBestimmungldquo und seinem
bdquoZweckeldquo (E sect 482 vgl sect 483) Der objektive Geist ist derjenige freie Wil-
le der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat
Das ist das Eine ndash das Andere ist Die Verwirklichung dieses Zwecks
findet in einer bdquoaumluerlich vorgefundenen Objektivitaumltldquo statt die das bdquoMate-
rial fuumlr das Dasein des Willensldquo ausmacht (E sect 483) Indem der freie Wille
seinen Begriff (Freiheit) bdquoin der aumluerlich objektiven Seiteldquo realisiert ist er
bdquoin ihr bei sich selbst mit sich selbst zusammengeschlossenldquo (E sect 484)
Die Welt die bdquoaumluerlich objektive Seiteldquo erhaumllt so die bdquoForm der Notwen-
digkeitldquo deren bdquosubstantieller Zusammenhangldquo ist die Freiheit der bdquoer-
scheinende Zusammenhangldquo indes ist ihr bdquoAnerkanntseinldquo ihr bdquoGelten im
Bewutseinldquo (E sect 484) Der dergestalt erreichte Zusammenschlu von
freiem (sbquovernuumlnigemlsquo E sectsect 482 485) und einzelnem Willen ndash bdquoElementldquo
der bdquoBetaumltigungldquo des freien Willens ndash macht die bdquoWirklichkeit der Freiheitldquo
aus (E sect 485) Durch diese Vereinzelung des wirklich freien Willens wird
das sbquoaumluerliche Materiallsquo durch Freiheit uumlberformt kommt Freiheit in die
Welt und zwar zuerst als bdquoRechtldquo dann als bdquoMoralitaumltldquo und schlielich als
bdquoSittlichkeitldquo (vgl E sect 487) Recht Moralitaumlt und Sittlichkeit sind Gestal-
ten die die Idee sich gibt und damit Formen in denen sie sich Dasein
verscha
Beim Geist als zu ihrem Fuumlrsichsein gelangter Idee deren Subjekt wie
Objekt der Begriff ist (E sect 381) kann es sich also nicht um einen abstrak-
ten Allgemeinbegriff moumlglicher geistiger Taumltigkeiten bzw Geister handeln
Hegel denkt den Geist vielmehr als das Am-Werk-Sein (ἐνέργεια) der Frei-
heit auf den Zweck ausgerichtet sich hervorzubringen und mit sich als
Freiheit in Uumlbereinstimmung zu kommen41 Es sind die Bedingungen her-
41 In der Forschungsliteratur uumlber die Philosophie des objektiven Geistes bzw Hegels
Rechtsphilosophie kommt dieser systemphilosophische und insofern formale Zu-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
71
auszuarbeiten unter denen Freiheit in die Welt kommt dh die Gestalten
in denen sich die Freiheit des freien Geistes im Objektiven verwirklicht
Von der Logik des Systems her gesehen gibt sich der bdquoBegriffldquo in seiner
bdquoVerwirklichungldquo eine bdquoGestaltungldquo die ein bdquoMomentldquo der Idee qua Ein-
heit des Begriffs und seiner Verwirklichung ist (R sect 1 A) Der Stufengang
der Entwicklung der Idee geht also mit verschiedenen Gestaltungen ein-
her die je unterschiedliche bdquoSphaumlrenldquo des objektiven Geistes sind (R sect 33)
Dies heit nun nicht da die Gestalt des abstrakten Rechts und die der
Moralitaumlt insofern bdquoabstrakte Momenteldquo der Sittlichkeit sind als blo letz-
tere die objektiv-geistige Wirklichkeit ausmacht Vielmehr handelt es sich
bei ihnen allen um ein Dasein des freien Willens immer betri es Momen-
te Das Dasein der Freiheit aber das die Sittlichkeit ist ist die bdquoEinheit und
Wahrheitldquo der beiden vorhergehenden Gestalten oder Sphaumlren von
bdquoaumluerlicher Weltldquo (abstraktem Recht) und bdquoreflektiertem Willenldquo (Morali-
taumlt) so da in der Sittlichkeit Freiheit ebensosehr objektiv wie subjektiv
existiert der freie Wille substantieller Wille ist Wille der die seinem
Begriff gemaumle bdquoWirklichkeitldquo hat ndash an (abstraktes Recht) und fuumlr sich
(Moralitaumlt) freier Wille ist Sittlichkeit (R sect 33 mit E sect 487) Gleichwohl
Keine Sphaumlre ist vor der anderen irgendwie sbquoontologischlsquo ausgezeichnet
Stets ist ein Dasein der Freiheit thematisch Dieses Dasein reicht jedoch
von einer minimalen Uumlbereinstimmung mit seinem Begriff bis zur maxima-
len es handelt sich also um je differente Sinngestalten Von ihnen allen gilt
was uumlberhaupt vom Geist gilt da naumlmlich die Betrachtung der bdquokonkreten
Naturldquo des Geistes die eigentuumlmliche Schwierigkeit mit sich bringt da die
Entwicklungsstufen des Begriffs des Geistes nicht als bdquobesondere Existen-
zenldquo zuruumlckbleiben sondern bdquowesentlich nur als Momente Zustaumlnde
Bestimmungen an den houmlheren Entwicklungsstufenldquo sind wie es heit
findet sich an einer bdquoniedrigern abstraktern Bestimmungldquo das Houmlhere
schon bdquoempirischldquo (E sect 380) Immer aber handelt es sich um ein geistiges
Dasein um eine geistige Wirklichkeit die wirkliche Welt des Menschen ist
nicht nur Sittlichkeit (bloe Familien gibt es ebensowenig wie ein bloes
formales Rechtssystem) ndash der freie Wille gibt sich durchgaumlngig Dasein
sammenhang von spekulativer Ideenlehre und Objektivierung der Freiheit durch-aus zu kurz weil der Blick sofort auf die inhaltlichen Bestimmungen faumlllt Eine willkommene Ausnahme bilden die Arbeiten von Fulda (vgl etwa 2003 und 2011)
Christian Krijnen
72
[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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[3] In diesem Sinne ist Hegels Philosophie des objektiven Geistes als
sbquoRechtsphilosophielsquo konzipiert Ganz allgemein heit bdquoRechtldquo hier das
Dasein des freien Willens (E sect 486) Das Recht ist also bestimmt als Aus-
zeichnung des freien sich Dasein gebenden und darin sein Wesen
(Freiheit) verwirklichenden Willens Dasein der Freiheit Die Rechtsphilo-
sophie bzw die Philosophie des objektiven Geistes hat die Aufgabe das
Dasein von Freiheit zu begreifen
Gemauml der Logik spekulativer Begriffsbildung42 mu es sich am An-
fang der Philosophie des objektiven Geistes um einen Begriff von Geist
handeln der dem erreichten Endbegriff des subjektiven Geistes als dem
des freien Willens maximal aumluerlich ist Dieses Dasein des freien Willens
ist Hegel zufolge das Recht Wie gesagt ist es keineswegs in beschraumlnkter
Weise gefat sondern bdquoumfassendldquo als bdquodas Dasein aller Bestimmungen
der Freiheitldquo (E sect 486) Es ist im Zuge der Logik spekulativer Begriffsent-
wicklung auch nachvollziehbar da Hegel den Aspekt des Willens im
freien Geist praumlvalieren laumlt und zum Grundbegriff des objektiven Geistes
macht (waumlhrend im absoluten Geist das Denken im Vordergrund steht)
Hegel fat den Willen nicht als etwas vom Denken Getrenntes sondern
geradezu als eine Art von Denken ndash Denken bdquoals sich uumlbersetzend ins Da-
sein als Trieb sich Dasein zu gebenldquo (R sect 4 Z vgl E sect 233) als bdquodenken-
den Willenldquo (E sect 469) Innerhalb des freien Geistes macht ebendieses
Moment des Willens als Trieb das maximal aumluerliche Moment des Den-
kens und damit der Freiheitsrealisierung des Geistes aus
Auf das Denken ist der Entwicklungsgang der Enzyklopaumldie als Selbst-
erkenntnis der absoluten Idee angelegt Am Ende der begrifflichen Ent-
wicklung des subjektiven Geistes ist ein freier Wille konstituiert dh der
Wille ist ein wirklich freier Wille freier Wille der fuumlr sich als freier Wille
ist Insofern ist der Wille nicht bloe Bestimmungskompetenz oder Inten-
tionalitaumlt des Subjekts Vielmehr ist er in sich bestimmt und sich in dieser
seiner Bestimmtheit wissend und wollend sowie in dieser Einheit von the-
oretischem und praktischem Geist zugleich Moment im Selbsterkenntnis-
proze der Idee Als dieses Moment macht der freie Wille das bdquoDasein der
Vernunldquo (E sect 482) aus als freier Wille ist er darauf aus sich in einer
42 Vgl zur Logik des Fortgangs spekulativer Begriffsentwicklung Krijnen (2008
342 was speziell die Realphilosophie betri vgl 4212)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
74
gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
75
Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
73
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Dasein zu geben seinen Begriff
(Freiheit) zu verwirklichen43
Beim exponierten Begriff des Rechts handelt es sich um einen weiten
Rechtsbegriff in welchem der Wille als sich vernuumlnig zum Dasein Be-
stimmen des Geistes ist44 Den Anfang macht dabei das bdquoabstrakte Rechtldquo
(E sect 487) Der wirklich freie Wille erlangt hier sein Dasein in einzelnen
Personen die ihren Willen in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (E sectsect
488ff) In dieser Gestalt ist der freie Geist sich maximal aumluerlich sein
Subjektsein manifestiert sich noch gar nicht an ihm selbst sondern an ei-
ner bdquoaumluerlichen Sacheldquo (E sectsect 488f) Der objektiv-geistige Proze begriff-
licher Entwicklung der damit in Gang kommt geht von diesem sbquounmittel-
barenlsquo Auftreten des freien Geistes (abstraktem Recht) uumlber in eine sbquoin sich
reflektiertelsquo Gestalt (Moralitaumlt) und endet bei der Gestalt des bdquosubstantiel-
lenldquo Willens als Einheit beider Vorgaumlngergestalten und damit von Objekti-
vitaumlt und Subjektivitaumlt (Sittlichkeit) (E sect 487)45 Von der Logik spekulativer
Begriffsentwicklung her gesehen laumlt sich also durch den Anfang mit dem
abstrakten Recht die Freiheitsrealisierung im Objektiven begreifen Die
Realisierungsperspektive der Freiheit ist das uumlbergeordnete Moment die
Ausrichtung auf das abstrakte Recht (im Sinne des bdquobeschraumlnkt juristi-
schen Rechtsldquo (E sect 486) dh des positiven Rechts wie des tradierten
Naturrechts) entsprechend funktionalisiert und die Realisierungsperspek-
tive der Freiheit noch fundierend fuumlr den tradierten abstrakten Rechtsbe-
griff Die Daseinsgestalten des freien Geistes als des objektiven Geistes
selbst und ihr Zusammenhang sind das Thema der Philosophie des objek-
tiven Geistes
So handelt Hegels Rechtsphilosophie als Philosophie des objektiven
Geistes von der Idee des Rechts Sie soll aufzuzeigen wie der Begriff des
Rechts sich in einer ihm adaumlquaten Objektivitaumlt verwirklicht (R sect 1) Ent-
sprechend denkt Hegel den freien Geist als bdquoZwecktaumltigkeitldquo (E sect 484) die
darauf aus ist seiner inneren (wesentlichen) Bestimmung objektives Da-
sein zu verschaffen Unter welchen begrifflichen Bedingungen ist dies an-
43 ndash und insofern selbsterkenntnisfunktional gesprochen ist er bdquoan sich die [absolute
ck] Ideeldquo bdquonur Begriff des absoluten Geistesldquo (E sect 482 vgl sect 483) 44 Vgl zum ideengeschichtlichen Hintergrund von Hegels Rechtsbestimmung Fulda
(2003 735) 45 ndash was den willentlichen Aspekt im freien Geist anbelangt freilich denn der Ent-
wicklungsgang schreitet fort zum absoluten Geist wo das Sich-Wissen der Idee als Geist thematisch ist
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
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6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
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gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
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Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Roumlttgers Kurt (2002) Kategorien der Sozialphilosophie Magdeburg Scriptum
Schoumlnrich Gerhard Hg (2009) Wissen und Werte Paderborn mentis
Wagner Hans (1980) Philosophie und Reflexion 3 Aufl MuumlnchenBasel Ernst Reinhardt
Windelband Wilhelm (1909) Die neuere Philosophie In Die Kultur der Gegen-wart Hg v P Hinneberg 382ndash543 Teil I Abt V Berlin Leipzig
ndashndash (1915) Praumlludien Aufsaumltze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte 5 Aufl 2 Bd Tuumlbingen Mohr 1915
ndashndash (1915a) Das Heilige Skizze zur Religionsphilosophie (1902) In Praumlludien Bd 2 295ndash332
ndashndash (1915b) Kritische oder genetische Methode (1883) In Praumlludien Bd 2 99ndash135
Christian Krijnen
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ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Christian Krijnen
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gesichts des geschichtlich vorliegenden Kenntnisstandes objektiv-geistiger
Verhaumlltnisse moumlglich Hegel zufolge erschoumlpfen sich die Bedingungen ob-
jektiv-geistiger Freiheitsrealisierung weder in einer vertragstheoretischen
Konzeption des abstrakten Rechts vereinzelter Personen als Rechtsperso-
nen noch in einer moralischen Rechtsbegruumlndung aus dem Wollen von
Willenssubjekten Vielmehr erweist sich der Einbezug politischer Gemein-
schalichkeit vonnoumlten
Das Dasein der Freiheit setzt bekanntlich an mit einer Gestalt von Sub-
jektsein des freien Geistes das sich noch gar nicht an diesem selbst
manifestiert sondern an einer bdquoaumluerlichen Sacheldquo darin da bdquoIchldquo mei-
nen bdquoWillenldquo in eine Sache hineinlege (E sectsect 488f) Konzipiert man das
Dasein der Freiheit jedoch nur als Dasein von Personen die ihren Willen
in ihnen aumluerliche Gegenstaumlnde legen (di als abstraktes Recht) dann
fuumlhrt diese Gestalt von Freiheit von sich aus zu einer anderen zur Morali-
taumlt Denn das abstrakte Recht laumlt sich am Ende nicht mehr von einzelnen
sbquosubjektivenlsquo Willen unterscheiden di vom moralischen Standpunkt des-
sen die Realitaumlt des Rechts jedoch bedarf und durch den es folglich bdquover-
mitteltldquo ist (E sectsect 502ff) In der Moralitaumlt ist der Wille und damit das
Dasein der Freiheit konzipiert als bdquoin sich reflektierter Willeldquo nicht als
Freiheit der (Rechts-)Person sondern als freies Individuum das bdquoSubjektldquo
qua in sich reflektierter Wille ist in Hegels Moralphilosophie ist die Wil-
lensbestimmtheit bdquoim Innernldquo thematisch nicht wie im abstrakten Recht
das Dasein der Freiheit in aumlueren Sachen (E sect 503) Auch das Dasein der
Freiheit verstanden als Moralitaumlt bricht am Ende begrifflich in sich zusam-
men entpuppt es sich doch als eine zum Absoluten aufgespreizte Subjekti-
vitaumlt die sich gleichwohl als identisch mit dem Guten als einem substan-
tiell (und nicht mehr blo abstrakt) Allgemeinen setzt46 Das Begreifen des
Daseins der Freiheit schreitet infolgedessen zu einer naumlchsten Gestalt fort
zum substantiellen Willen di zur Gestalt der Sittlichkeit (E sectsect 511ff R sectsect
140f)
Weder das abstrakte Recht noch die Moralitaumlt vermag das Dasein der
Freiheit begrifflich zu erhalten Vielmehr haben beide wie Hegel sagt bdquodas
Sittliche zum Traumlger und zur Grundlageldquo (R sect 141 Z) Dem abstrakten
46 ndash sie gipfelt in der bdquoabsoluten Eitelkeitldquo einem bdquonicht-objektiven sondern nur sei-
ner selbst gewissen Gutseinldquo eben durch sein bdquotiefstes In-sich-gehenldquo geht das Allgemeine Objektive Gute verloren auf das das Subjekt aus ist (E sectsect 512 mit 511)
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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Recht fehlt das Moment der (besonderen) Subjektivitaumlt der Moralitaumlt das
der Objektivitaumlt Hegels Sittlichkeit ist die bdquoEinheit des subjektiven und
objektiven an sich und fuumlr sich seienden Gutenldquo (R sect 141 Z) die bdquoEinheit
und Wahrheitldquo beider Momente die Idee des Guten realisiert im bdquoin sich
reflektierten Willenldquo und in der bdquoaumluerlichen Weltldquo (R sect 33 vgl E sectsect 487
513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
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6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
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Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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513) So ist die Gestalt der Sittlichkeit allererst Bedingung47 individueller
Selbstverwirklichung im Sinne von Freiheitsrealisierung im Objektiven
Hegel fat die Sphaumlre oder die Gestalt der Sittlichkeit nicht wie im
uumlberlieferten Naturrecht als absichtlich hergestelltes Sozialgebilde das es
seinen Mitgliedern ermoumlglicht von der Moralitaumlt her entworfene Zwecke
zu erreichen48 Ganz im Gegenteil die Sittlichkeit erweist sich vielmehr als
Moumlglichkeitsbedingung fuumlr die Verwirklichung ebensolcher Zwecke Tat-
saumlchlich kommt es Hegel gar nicht primaumlr auf die Sittlichkeit als Sozialitaumlt
an sondern auf die Sittlichkeit als Dasein von Freiheit Sittlichkeit als Da-
seinsgestalt von Freiheit zeichnet sich dadurch aus da in ihr die bdquosubjek-
tive Freiheitldquo des freien Geistes in Gesinnung und Betaumltigung bdquounmittel-
bare und allgemeine Wirklichkeitldquo gewinnt und damit die bdquoselbstbewute
Freiheitldquo zur (zweiten di sittlichen) bdquoNaturldquo geworden ist (E sect 513) ndash
freilich ohne den modernen Kantischen Begriff des autonomen Subjekts
auf dem Altar des antiken Aristotelischen Polisbegriffs zu opfern In der
Sittlichkeit ist die selbstbewute Freiheit zur Natur (E sect 513) das bdquoabsolu-
te Sollenldquo zum bdquoSeinldquo geworden (E sect 514) Entsprechend traktiert Hegel
die Gestalten der Sittlichkeit ndash Familie buumlrgerliche Gesellscha und Staat
ndash in ihrer sittlichen Struktur und in ihrem Sinn sie sind thematisch als je
differente gestufte Momente im Selbsterkenntnisgang der Idee49
47 ndash im begrifflichen Sinne nicht als zeitliches Vorangehen (vgl R sect 32 A) 48 Darauf weist Fulda (2003 212) hin 49 Die buumlrgerliche Gesellscha ist dabei eine Gestalt menschlichen Zusammenlebens
in der sich die Sittlichkeit (zunaumlchst) geradezu in begriffliche bdquoExtremeldquo (R sect 184) verloren hat ndash Sie deshalb nicht mehr als bdquoGestaltldquo aufzufassen wie Fulda es tut (2003 215) ist zwar pointiert scheint aber uumlberzogen Nicht nur arbeitet Hegel selbst durchaus auch mit einem allgemeineren Begriff von Gestalt (vgl oben) der die buumlrgerliche Gesellscha einschliet Zudem und vor allem kann das Sich-verlieren-in-begriffliche-Extreme nicht besagen da die Sittlichkeit voumlllig ver-schwunden ist sie mu in einem minimalen Bestand noch im bdquoSystem der Ato-mistikldquo (E sect 523 vgl R sectsect 182f) erhalten sein wenn die buumlrgerliche Gesellscha sich soll darbieten koumlnnen auf dem bdquoStandpunkt der Entzweiungldquo (R sect 186) der sie auszeichnet als bdquoSchauspiel ebenso der Ausschweifung des Elends und des beiden gemeinschalichen physischen und sittlichen Verderbensldquo (R sect 185)
Christian Krijnen
76
6 Schlu
Was ergibt eine Summe des Erreichten und damit eine Konfrontation von
kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
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kantianisierender Transzendentalphilosophie und Hegelschem spekulati-
vem Idealismus bezuumlglich des Daseins der Freiheit Folgende Aspekte
scheinen besonders bedeutsam
1) Ganz allgemein erfaumlhrt die Stellung des Rechts im System der Philo-
sophie eine durchaus heterogene Bestimmung Waumlhrend das Recht im
Neukantianismus Teil der praktischen Philosophie ist und die praktische
Philosophie selbst erst in einem weiteren Schritt als Dimension der Gel-
tungsrealisierung gedeutet werden konnte findet sich bei Hegel ein weiter
Rechtsbegriff der das Recht primaumlr als Dasein der Freiheit und damit als
die Dimension der Geltungsrealisierung auffat Der neukantianische und
post-neukantianische Rechtsbegriff der Transzendentalphilosophie rangiert
dabei unter Hegels Begriff des abstrakten oder formalen Rechts Gerade
Wagner und Flach ordnen dieses Recht der Idee des utile zu und begreifen
es damit als Bestimmungsstuumlck der Geltungsrealisierung sie sehen Gel-
tungsrealisierung als von eigenen nicht-praktischen Prinzipien geregelt
und lassen sie in einer unbedingten und damit freien Gestaltung dieser Re-
alisierung kulminieren Insofern liegt hier durchaus eine Konvergenz mit
Hegels Rechtsbegriff als Dasein der Freiheit im Objektiven vor
2) Diese Konvergenz aber wird sofort konterkariert durch eine wichti-
ge Divergenz die erneut in den Neukantianismus zuruumlckfuumlhrt Zwar gilt
fuumlr Hegel wie die kantianisierende Transzendentalphilosophie da die ide-
elle werthafte oder geistige Uumlberformung der Natur und des natuumlrlichen
Lebens den Mastab ihrer Beurteilung nicht in der Natur sondern in der
Idee im Wert oder Geist hat das menschliche Leben ist geistiges wert-
oder ideenbestimmtes Leben und damit nicht blo vom Selbsterhaltungs-
trieb bestimmt sondern ebenfalls durch Prinzipien der Selbstbestimmung
bestimmbar und damit der Perspektive der Freiheit unmittelbar verbunden
Das axiotische Grundverhaumlltnis ist dafuumlr ebenso das ausschlaggebende
Lehrstuumlck wie Hegels Lehre von der Selbsterkenntnis der Idee als Geist
Anders als Hegel jedoch mu die kantianisierende Transzendentalphi-
losophie diese Bestimmung durch Freiheit selbst erst systemisch in den
jeweiligen Wert- oder Ideensphaumlren erreichen sie ordnet nach Bedin-
gungswerten und Eigenwerten (Neukantianismus) bzw konzipiert einen
geltungsreflexiven Bildungsgang von der Bedingtheit zur Unbedingtheit
(post-neukantianische Transzendentalphilosophie) Hegels Lehre vom Da-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
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gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
Literaturverzeichnis
Bauch Bruno (1923a) Immanuel Kant 3 Aufl Berlin Leipzig de Gruyter ndashndash (1923b) Wahrheit Wert und Wirklichkeit Leipzig Meiner ndashndash (1924) Ethik In Die Kultur der Gegenwart Hg v P Hinneberg 3 Aufl
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Erbe Hgg v C Halbig M Quante u L Siep 78ndash137 Frankfurt am Main Suhrkamp
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Christian Krijnen
82
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Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
83
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Christian Krijnen
84
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durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
77
sein der Freiheit indes nimmt den Geist von Anfang an als freien Geist
und wendet sich sodann der Realisierung seines Wesens (Freiheit) zu Die
Faumlhigkeit des Geistes sich gemauml Allgemeinem gemauml unbedingter Nor-
mativitaumlt zu bestimmen wird nicht erst in der Philosophie des objektiven
Geistes sondern schon in der Philosophie des subjektiven Geistes erreicht
naumlmlich im praktischen Geist Wie im axiotischen Grundverhaumlltnis der
Geltungsbezug von der bedingten bis hin zur unbedingten Selbstgestaltung
herausgearbeitet wird ganz dezidiert bei Wagner und Flach50 arbeitet He-
gel ihn in seiner Lehre vom praktischen Geist heraus fundiert ihn damit
jedoch subjektiv-geistig Im sbquopraktischen Gefuumlhllsquo (des Angenehmen und
Unangenehmen) wirkt das Sollen qua Selbstbestimmung in einer maximal
unmittelbaren Weise es entwickelt sich uumlber die sbquoTriebelsquo (Beduumlrfnisse zu
befriedigen) die sbquoWillkuumlrlsquo (sich fuumlr oder gegen Triebe zu entscheiden) und
die sbquoGluumlckseligkeitlsquo (als durch Willkuumlrentscheidungen herbeizufuumlhrenden
Idealzustand maximaler Triebbefriedigung) zur maximalen Selbstbestim-
mung damit wird Selbstbestimmung ndash also die sbquoFreiheitlsquo die das Wesen
des Geistes ist ndash selbst zur Bestimmtheit des Willens zum sbquoInhalt und
Zwecklsquo des Willens gemacht und die Triebhaigkeit seines Inhalts uumlber-
wunden (E sectsect 471-480)
3) So wird zudem sichtbar da Hegel ndash anders als im Selbstgestal-
tungsmodell der Transzendentalphilosophie ndash die Realisierung der Geltung
gemauml einem Monismus der sich selbst erkennenden Idee entwir Daher
gibt es nicht die Unterscheidung von Wert- oder Ideensphaumlren und der
Sphaumlre ihrer Realisierung im taumltigen Leben Die Eine Idee gibt sich Dasein
im Objektiven Das axiotische Grundverhaumlltnis wird daher auch nicht nach
bedingter und unbedingter Vergemeinschaftung spezifiziert (wie bei
Flach) sondern die Eine Idee entfaltet sich durch Gestaltungen des objek-
tiven Geistes hindurch der (zusammen mit dem subjektiven Geist) als
bdquoWegldquo anzusehen ist auf dem sich die bdquoRealitaumlt oder Existenzldquo des Geis-
tes ausbildet (E sect 553) Es handelt sich auf der Ebene des objektiven
Geistes um eine Ausdifferenzierung der Unbedingtheit (Freiheit) in einer
aumluerlich vorgefundenen Objektivitaumlt Diese Ausdifferenzierung fuumlhrt zu
Gestalten des freien Geistes als Realisierungsbedingungen des Daseins der
Freiheit Zu diesen Gestalten gehoumlrt auch die der Moralitaumlt als Dimension
des in sich reflektierten Willens Das Moralische wird also nicht jenseits
der Realisierungsdimension der Idee des bonum bzw der Ethik zugeschla-
50 Vgl Wagner 1980 25ndash28 Flach 1997 Kap 2ff
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
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philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
Literaturverzeichnis
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ndashndash (2002) Religion als philosophisches Problem Zur Religionsphilosophie des Neukantianismus und Gideon Spickers In bdquoEine Religion in philosophischer Form auf naturwissenschalicher Grundlageldquo Hgg v U Hoyer u H Schwaetzer 177ndash202 Hildesheim et al Olms
ndashndash (2006) Systemphilosophie als Selbsterkenntnis Hegel und der Neukantianis-mus In Systemphilosophie als Selbsterkenntnis Hegel und der Neukantianis-mus Hgg v HF Fulda u Ch Krijnen 113ndash32 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2008) Philosophie als System Prinzipientheoretische Untersuchungen zum Sy-stemgedanken bei Hegel im Neukantianismus und in der Gegenwartsphiloso-phie Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2011a) Das Soziale bei Hegel Eine Konstruktion in Auseinandersetzung mit der kantianisierenden Transzendentalphilosophie In Gegenstandsbestimmung und Selbstgestaltung Transzendentalphilosophie im Anschluss an Werner Flach Hgg v Ch Krijnen u KW Zeidler 189ndash226 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2011b) Teleology in Kantlsquos Philosophy of Culture and History A Problem for the Architectonic of Reason In The Sublime and its Teleology Kant German Idealism Phenomenology Ed by Donald Loose 115ndash32 Leiden et al Brill
ndashndash (2012) Metaphysik in der Realphilosophie Hegels Hegels Lehre vom freien Geist und das axiotische Grundverhaumlltnis kantianisierender Transzendentalph i-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
83
losophie In Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie Hgg v M Gerhard A Sell u L de Vos 171ndash210 Hamburg Meiner
ndashndash (2013) Geschichtsphilosophie bei Kant im Neukantianismus und im gegenwaumlr-tigen Kantianismus In Der Begriff der Geschichte im Marburger und suumld-westdeutschen Neukantianismus Hgg v Ch Krijnen u M de Launay 29ndash57 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2014a) Anerkennung Wirklichkeit und praktische Vernun im Neukantianis-mus In Das Wirklichkeitsproblem in Metaphysik und Transzendentalphilo-sophie Hg v Ch Graf Basel Schwabe (im Erscheinen)
ndashndash (2014b) Recognition Future Hegelian Challenges for a Contemporary Philo-sophical Paradigm In Recognition German Idealism as Ongoing Challenge Ed by Ch Krijnen 99ndash127 Leiden Boston Brill
ndashndash (2014c) Kants Kategorien der Freiheit und das Problem der Einheit der Vernun In Kant und die Kategorien der Freiheit Hg v St Zimmermann Berlin et al De Gruyter (im Erscheinen)
Nuzzo Angelica (1997) Die Differenz zwischen dialektischer und realphilosophi-scher Dialektik In Das Problem der Dialektik Hg v D Wandschneider 52ndash76 Bonn Bouvier
Rickert Heinrich (191112) Lebenswerte und Kulturwerte Logos 4 131ndash66 ndashndash (1914) Uumlber logische und ethische Geltung Kant-Studien 19 182ndash221 ndashndash (1921) System der Philosophie Erster Teil Allgemeine Grundlegung der Phi-
losophie Tuumlbingen Mohr ndashndash (1922) Die Philosophie des Lebens Darstellung und Kritik der philosophischen
Modestroumlmungen unserer Zeit 2 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1924) Kant als Philosoph der modernen Kultur Ein geschichtsphilosophischer
Versuch Tuumlbingen Mohr ndashndash (1928) Der Gegenstand der Erkenntnis Einfuumlhrung in die Transzendentalphi-
losophie 6 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1929) Die Grenzen der naturwissenschalichen Begriffsbildung Eine logische
Einleitung in die historischen Wissenschaen 5 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1934) Grundprobleme der Philosophie Methodologie Ontologie Anthropolo-
gie Tuumlbingen Mohr
Roumlttgers Kurt (2002) Kategorien der Sozialphilosophie Magdeburg Scriptum
Schoumlnrich Gerhard Hg (2009) Wissen und Werte Paderborn mentis
Wagner Hans (1980) Philosophie und Reflexion 3 Aufl MuumlnchenBasel Ernst Reinhardt
Windelband Wilhelm (1909) Die neuere Philosophie In Die Kultur der Gegen-wart Hg v P Hinneberg 382ndash543 Teil I Abt V Berlin Leipzig
ndashndash (1915) Praumlludien Aufsaumltze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte 5 Aufl 2 Bd Tuumlbingen Mohr 1915
ndashndash (1915a) Das Heilige Skizze zur Religionsphilosophie (1902) In Praumlludien Bd 2 295ndash332
ndashndash (1915b) Kritische oder genetische Methode (1883) In Praumlludien Bd 2 99ndash135
Christian Krijnen
84
ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Christian Krijnen
78
gen (und etwa als Tugendlehre ausgearbeitet) sondern der Standpunkt der
Moralitaumlt selbst und damit die Funktion der Moralitaumlt fuumlr das Dasein der
Freiheit wird bestimmt und systemisch verortet (die Selbstbestimmungs-
kompetenz des Subjekts ist bekanntlich schon im subjektiven Geist
erreicht) Im Zuge des einheitlichen Gedankens einer Selbsterkenntnis der
Idee die sich durch die Logik und die Naturphilosophie hindurch zur
Geistphilosophie entwickelt ergibt sich ein spezifischer Realisierungs-
begriff Geltungsrealisierung als Selbstermoumlglichung wahrha subjektiven
Agierens im Objektiven ndash unter welchen sozialen i e objektiv-geistigen
Bedingungen ist Dasein der Freiheit moumlglich Die relevanten Systemsphauml-
ren werden von Hegel also nochmals selbsterkenntnisfunktional gefat sie
sind Prinzipien der Selbsterkenntnis der Idee und als solche Momente des
Selbsterkenntnisgangs Dadurch schwindet die Abstraktheit der Verhaumlltnis-
se zwischen den verschiedenen Ideensphaumlren und ihren Unterformen sie
werden explizit indem Hegel sie aus ihrem Einheitsgrund begrei der die
Idee als Subjekt-Objekt-Einheit und damit als sich selbst erkennendes be-
greifendes Denken ist Geltungsrealisierung ist nicht als praktische Philo-
sophie gedacht sie ist auch nicht gedacht in der Weise einer Unterschei-
dung von Eigenwerten und Bedingungswerten und ebensowenig als Idee
des utile die sich von der bedingten zur unbedingten Vergemeinschaftung
gestaltet und schlielich in (abstraktem) Recht Staat usw objektiviert
Mit dieser unterschiedlichen Fassung des Daseins der Freiheit als Ent-
wicklung von Unbedingtheit bzw von Bedingtheit zur Unbedingtheit geht
einher da Hegel die Gestalten des objektiven Geistes herausarbeitet die
Ausdruck dieser Unbedingtheit sind Flachs Analyse der Idee des utile hin-
gegen laumlu auf die oumlkonomisch-sozialen Grundwerte der wirtschalichen
und sozialen Ergiebigkeit Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit der Arbeit
hinaus Damit tritt moumlglicherweise ein bei Hegel wiederum unthematischer
Gesichtspunkt hervor der zwar mit Freiheit verbunden ist jedoch auf der
Ebene der Unbedingtheit nicht selbst Unbedingtheitsgestalten qualifiziert
sondern eine Dimension ihrer inneren instrumentellen Zweckmaumligkeit
unmiverstaumlndlicher gesagt der Dimension ihrer inneren Organisation
gemauml dem Wert des Nutzens und damit den Werten der Ergiebigkeit
Nachhaltigkeit und Eintraumlglichkeit di der zweckgemaumlen Organisation
objektiver Gestalten Es ergibt sich aufgrund des Erreichten also eine
hochkomplexe und zweifelsohne forschungsbeduumlrftige sozialphilosophi-
sche Anschluthematik die Exposition des sozialwissenschalichen Orga-
nisationsbegriffs
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
Literaturverzeichnis
Bauch Bruno (1923a) Immanuel Kant 3 Aufl Berlin Leipzig de Gruyter ndashndash (1923b) Wahrheit Wert und Wirklichkeit Leipzig Meiner ndashndash (1924) Ethik In Die Kultur der Gegenwart Hg v P Hinneberg 3 Aufl
239ndash75 Teil I Abt 6 BerlinLeipzig ndashndash (1926) Die Idee Leipzig Meiner ndashndash (1932) Anfangsgruumlnde der Philosophie 2 Aufl Leipzig Meiner ndashndash (1935) Grundzuumlge der Ethik Stuttgart Kohlhammer
Brandom Robert (1994) Making it explicit Reasoning representing and discur-sive commitment Cambridge et al Harvard Univ Press
Cassirer Ernst (1912) Hermann Cohen und die Erneuerung der Kantischen Philo-sophie Kant-Studien 17 252ndash82
ndashndash (1927) Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie Zeitschri fuumlr Aumlsthetik und allgemeine Kunstwissenscha 21 191ndash208
ndashndash (1994a) Philosophie der symbolischen Formen Teil 1 Die Sprache 10 Aufl (Nachdr d 2 Aufl) Darmstadt Wiss Buchges
ndashndash (1994b) Philosophie der symbolischen Formen Teil 2 Das mythische Denken 9 Aufl Darmstadt Wiss Buchges
ndashndash (1994c) Philosophie der symbolischen Formen Teil 3 Phaumlnomenologie 10 Aufl (Nachdr d 2 Aufl) Darmstadt Wiss Buchges
ndashndash (1994d) Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs (1938) 8 Aufl Darmstadt Wiss Buchges
Cohen Hermann (1902) Logik der reinen Erkenntnis Berlin Cassirer ndashndash (1904) Ethik des reinen Willens Berlin Cassirer ndashndash (1912) Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls Berlin Cassirer
Cohn Jonas (1932) Wertwissenscha Stuttgart Fromanns
Flach Werner (1997) Grundzuumlge der Ideenlehre Die Themen der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt der Kultur Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neu-mann
ndashndash (2002) Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie In Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschlu an Kant Hgg v R Hiltscher u A Georgi 105ndash15 Freiburg i BMuumlnchen Alber
Fulda Hans F (2003) G W F Hegel Muumlnchen Beck ndashndash (2004) Hegels Logik der Idee und ihre epistemologische Bedeutung In Hegels
Erbe Hgg v C Halbig M Quante u L Siep 78ndash137 Frankfurt am Main Suhrkamp
ndashndash (2011) Frei sein ndash in lebendiger Vernuumlnigkeit und unter objektiv-rechtlichen Normen Internationales Jahrbuch des deutschen Idealismus International Yearbook of German Idealism 9 265ndash288
Haddock AdrianAlan MillarDuncan Pritchard eds (2009) Epistemic value Oxford New York Oxford Univ Press
Christian Krijnen
82
Hegel Georg W F (I)Wissenscha der Logik Erster Teil Hg v G Lasson Leip-zig 1951 Meiner
ndashndash (II) Wissenscha der Logik Zweiter Teil Hg v G Lasson Leipzig 1951 Mei-ner
ndashndash (R) Grundlinien der Philosophie des Rechts Hg v J Hoffmeister Hamburg 1955 Meiner
ndashndash (E) Enzyklopaumldie der philosophischen Wissenschaen im Grundrisse (1830 8 Aufl Hgg v F Nicolin u O Poumlggeler Hamburg 1991 Meiner
ndashndash (T WA) Werke in zwanzig Baumlnden Hgg v E Moldenhauer u KM Michel Frankfurt am Main 1971 Suhrkamp
Houmlffe Otfried (2012) Kants Kritik der praktischen Vernun Eine Philosophie der Freiheit Muumlnchen Beck
Kant Immanuel (AA) Kants gesammelte Schrien Hg v Koumlniglich-Preuische Akademie der Wissenschaen Berlin 1900ff (zit n Bd u S)
ndashndash (GMS) Grundlegung zur Metaphysik der Sitten In AA Bd IV
ndashndash (KrV) Kritik der reinen Vernun In Kant-Werke Bd 2 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
ndashndash (KpV) Kritik der praktischen Vernun In Kant-Werke Bd 5 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
ndashndash (KdU) Kritik der Urteilskra In Kant-Werke Bd 5 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
Krijnen Christian (2001) Nachmetaphysischer Sinn Eine problemgeschichtliche und systematische Studie zu den Prinzipien der Wertphilosophie Heinrich Rickerts Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2002) Religion als philosophisches Problem Zur Religionsphilosophie des Neukantianismus und Gideon Spickers In bdquoEine Religion in philosophischer Form auf naturwissenschalicher Grundlageldquo Hgg v U Hoyer u H Schwaetzer 177ndash202 Hildesheim et al Olms
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Christian Krijnen
84
ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
79
Statt diesem nachzugehen schliee ich mit einer knappen Antwort auf
eine naheliegende Frage Warum ist denn der ganze Weg durch die kannti-
anisierende Transzendentalphilosophie hindurch noumltig um Kants Archi-
tektonik von theoretischer und praktischer Vernun zu uumlberwinden und
zu einem bestimmten Begriff der Geltungsrealisierung zu kommen Reicht
Hegels Uumlberwindung wie sie in seiner Logik und Geistphilosophie vor-
liegt nicht aus
Ruumlckblickend wurde zunaumlchst klar da das Soziale in der kantianisie-
renden Transzendentalphilosophie gedacht ist als Dimension der Gel-
tungsrealisierung dh der Gestaltung des Wirklichen nach Magabe des
Wertes Das Soziale betri somit eine Dimension aller Werte seien sie
theoretische praktische oder sonst welche In dieser Grundbestimmung
des Sozialen die fuumlr sich schon den Gegensatz sbquotheoretisch ndash praktischlsquo
uumlbersteigt kommt ein fundamentaleres Verhaumlltnis zum Ausdruck das fuumlr
die Systemanlage fundierend ist das axiotische Grundverhaumlltnis Hiernach
sind Normierungsverhaumlltnisse fuumlr die ganze Welt des Menschen fuumlr sein
theoretisches wie praktisches oder sonstiges Agieren und dessen Ergebnis-
se leitend so da die tradierte Entgegensetzung von theoretischer und
praktischer Vernun auf ein urspruumlnglicheres Verhaumlltnis zuruumlckgefuumlhrt
wird Das Verhaumlltnis von theoretisch und praktisch so wie es paradigma-
tisch dann doch wieder bei Rickert ua zuruumlckkehrt steht also von vorn-
hinein in einem anderen Bestimmungskontext als der Kantischen Ver-
nunarchitektonik in einem der auf die Einheit von theoretischer und
praktischer Vernun abgestellt ist
Zu diesem Bestimmungskontext gehoumlrt auch da von Hegel aus gese-
hen dem axiotischen Grundverhaumlltnis eine sbquologischelsquo und eine sbquogeistphilo-
sophischelsquo Dimension eignet51 Gerade was das Problem der Geltungs-
realisierung betri mu dabei die geistphilosophische Dimension in den
Vordergrund ruumlcken Tatsaumlchlich laumlt sich erst in Hegels Philosophie des
Geistes sinnvollerweise von einer Distanz zwischen Wert (Normierendem)
und Subjekt sowie den dazugehoumlrigen Implikationen der Lehre vom sog
sbquoPrimat der praktischen Vernunlsquo reden hier hat die Konstellation eines
sbquoSubjektslsquo das sich sbquoWertenlsquo unterworfen wei und darin sbquoKulturlsquo scha
ihren genuinen Sinn Es ist vielsagend da Hegel am Uumlbergang von der
51 Vgl Krijnen (2008 54) fuumlr einen Vergleich der logischen Dimension des
axiotischen Grundverhaumlltnisses mit Hegels Ideenlehre und ders (2012 2011a) fuumlr eine Auseinandersetzung mit der geistphilosophischen Dimension
Christian Krijnen
80
Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
Literaturverzeichnis
Bauch Bruno (1923a) Immanuel Kant 3 Aufl Berlin Leipzig de Gruyter ndashndash (1923b) Wahrheit Wert und Wirklichkeit Leipzig Meiner ndashndash (1924) Ethik In Die Kultur der Gegenwart Hg v P Hinneberg 3 Aufl
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Cassirer Ernst (1912) Hermann Cohen und die Erneuerung der Kantischen Philo-sophie Kant-Studien 17 252ndash82
ndashndash (1927) Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie Zeitschri fuumlr Aumlsthetik und allgemeine Kunstwissenscha 21 191ndash208
ndashndash (1994a) Philosophie der symbolischen Formen Teil 1 Die Sprache 10 Aufl (Nachdr d 2 Aufl) Darmstadt Wiss Buchges
ndashndash (1994b) Philosophie der symbolischen Formen Teil 2 Das mythische Denken 9 Aufl Darmstadt Wiss Buchges
ndashndash (1994c) Philosophie der symbolischen Formen Teil 3 Phaumlnomenologie 10 Aufl (Nachdr d 2 Aufl) Darmstadt Wiss Buchges
ndashndash (1994d) Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs (1938) 8 Aufl Darmstadt Wiss Buchges
Cohen Hermann (1902) Logik der reinen Erkenntnis Berlin Cassirer ndashndash (1904) Ethik des reinen Willens Berlin Cassirer ndashndash (1912) Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls Berlin Cassirer
Cohn Jonas (1932) Wertwissenscha Stuttgart Fromanns
Flach Werner (1997) Grundzuumlge der Ideenlehre Die Themen der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt der Kultur Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neu-mann
ndashndash (2002) Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie In Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschlu an Kant Hgg v R Hiltscher u A Georgi 105ndash15 Freiburg i BMuumlnchen Alber
Fulda Hans F (2003) G W F Hegel Muumlnchen Beck ndashndash (2004) Hegels Logik der Idee und ihre epistemologische Bedeutung In Hegels
Erbe Hgg v C Halbig M Quante u L Siep 78ndash137 Frankfurt am Main Suhrkamp
ndashndash (2011) Frei sein ndash in lebendiger Vernuumlnigkeit und unter objektiv-rechtlichen Normen Internationales Jahrbuch des deutschen Idealismus International Yearbook of German Idealism 9 265ndash288
Haddock AdrianAlan MillarDuncan Pritchard eds (2009) Epistemic value Oxford New York Oxford Univ Press
Christian Krijnen
82
Hegel Georg W F (I)Wissenscha der Logik Erster Teil Hg v G Lasson Leip-zig 1951 Meiner
ndashndash (II) Wissenscha der Logik Zweiter Teil Hg v G Lasson Leipzig 1951 Mei-ner
ndashndash (R) Grundlinien der Philosophie des Rechts Hg v J Hoffmeister Hamburg 1955 Meiner
ndashndash (E) Enzyklopaumldie der philosophischen Wissenschaen im Grundrisse (1830 8 Aufl Hgg v F Nicolin u O Poumlggeler Hamburg 1991 Meiner
ndashndash (T WA) Werke in zwanzig Baumlnden Hgg v E Moldenhauer u KM Michel Frankfurt am Main 1971 Suhrkamp
Houmlffe Otfried (2012) Kants Kritik der praktischen Vernun Eine Philosophie der Freiheit Muumlnchen Beck
Kant Immanuel (AA) Kants gesammelte Schrien Hg v Koumlniglich-Preuische Akademie der Wissenschaen Berlin 1900ff (zit n Bd u S)
ndashndash (GMS) Grundlegung zur Metaphysik der Sitten In AA Bd IV
ndashndash (KrV) Kritik der reinen Vernun In Kant-Werke Bd 2 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
ndashndash (KpV) Kritik der praktischen Vernun In Kant-Werke Bd 5 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
ndashndash (KdU) Kritik der Urteilskra In Kant-Werke Bd 5 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
Krijnen Christian (2001) Nachmetaphysischer Sinn Eine problemgeschichtliche und systematische Studie zu den Prinzipien der Wertphilosophie Heinrich Rickerts Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2002) Religion als philosophisches Problem Zur Religionsphilosophie des Neukantianismus und Gideon Spickers In bdquoEine Religion in philosophischer Form auf naturwissenschalicher Grundlageldquo Hgg v U Hoyer u H Schwaetzer 177ndash202 Hildesheim et al Olms
ndashndash (2006) Systemphilosophie als Selbsterkenntnis Hegel und der Neukantianis-mus In Systemphilosophie als Selbsterkenntnis Hegel und der Neukantianis-mus Hgg v HF Fulda u Ch Krijnen 113ndash32 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2008) Philosophie als System Prinzipientheoretische Untersuchungen zum Sy-stemgedanken bei Hegel im Neukantianismus und in der Gegenwartsphiloso-phie Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2011a) Das Soziale bei Hegel Eine Konstruktion in Auseinandersetzung mit der kantianisierenden Transzendentalphilosophie In Gegenstandsbestimmung und Selbstgestaltung Transzendentalphilosophie im Anschluss an Werner Flach Hgg v Ch Krijnen u KW Zeidler 189ndash226 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2011b) Teleology in Kantlsquos Philosophy of Culture and History A Problem for the Architectonic of Reason In The Sublime and its Teleology Kant German Idealism Phenomenology Ed by Donald Loose 115ndash32 Leiden et al Brill
ndashndash (2012) Metaphysik in der Realphilosophie Hegels Hegels Lehre vom freien Geist und das axiotische Grundverhaumlltnis kantianisierender Transzendentalph i-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
83
losophie In Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie Hgg v M Gerhard A Sell u L de Vos 171ndash210 Hamburg Meiner
ndashndash (2013) Geschichtsphilosophie bei Kant im Neukantianismus und im gegenwaumlr-tigen Kantianismus In Der Begriff der Geschichte im Marburger und suumld-westdeutschen Neukantianismus Hgg v Ch Krijnen u M de Launay 29ndash57 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2014a) Anerkennung Wirklichkeit und praktische Vernun im Neukantianis-mus In Das Wirklichkeitsproblem in Metaphysik und Transzendentalphilo-sophie Hg v Ch Graf Basel Schwabe (im Erscheinen)
ndashndash (2014b) Recognition Future Hegelian Challenges for a Contemporary Philo-sophical Paradigm In Recognition German Idealism as Ongoing Challenge Ed by Ch Krijnen 99ndash127 Leiden Boston Brill
ndashndash (2014c) Kants Kategorien der Freiheit und das Problem der Einheit der Vernun In Kant und die Kategorien der Freiheit Hg v St Zimmermann Berlin et al De Gruyter (im Erscheinen)
Nuzzo Angelica (1997) Die Differenz zwischen dialektischer und realphilosophi-scher Dialektik In Das Problem der Dialektik Hg v D Wandschneider 52ndash76 Bonn Bouvier
Rickert Heinrich (191112) Lebenswerte und Kulturwerte Logos 4 131ndash66 ndashndash (1914) Uumlber logische und ethische Geltung Kant-Studien 19 182ndash221 ndashndash (1921) System der Philosophie Erster Teil Allgemeine Grundlegung der Phi-
losophie Tuumlbingen Mohr ndashndash (1922) Die Philosophie des Lebens Darstellung und Kritik der philosophischen
Modestroumlmungen unserer Zeit 2 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1924) Kant als Philosoph der modernen Kultur Ein geschichtsphilosophischer
Versuch Tuumlbingen Mohr ndashndash (1928) Der Gegenstand der Erkenntnis Einfuumlhrung in die Transzendentalphi-
losophie 6 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1929) Die Grenzen der naturwissenschalichen Begriffsbildung Eine logische
Einleitung in die historischen Wissenschaen 5 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1934) Grundprobleme der Philosophie Methodologie Ontologie Anthropolo-
gie Tuumlbingen Mohr
Roumlttgers Kurt (2002) Kategorien der Sozialphilosophie Magdeburg Scriptum
Schoumlnrich Gerhard Hg (2009) Wissen und Werte Paderborn mentis
Wagner Hans (1980) Philosophie und Reflexion 3 Aufl MuumlnchenBasel Ernst Reinhardt
Windelband Wilhelm (1909) Die neuere Philosophie In Die Kultur der Gegen-wart Hg v P Hinneberg 382ndash543 Teil I Abt V Berlin Leipzig
ndashndash (1915) Praumlludien Aufsaumltze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte 5 Aufl 2 Bd Tuumlbingen Mohr 1915
ndashndash (1915a) Das Heilige Skizze zur Religionsphilosophie (1902) In Praumlludien Bd 2 295ndash332
ndashndash (1915b) Kritische oder genetische Methode (1883) In Praumlludien Bd 2 99ndash135
Christian Krijnen
84
ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Christian Krijnen
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Philosophie des subjektiven in die des objektiven Geistes den Begriff der
sbquoGeltunglsquo herausstreicht (R sect 29 Z vgl dazu sect 35 Z) bdquoRecht soll gelten - α)
Ich will β) guumlltig γ) warum guumlltig Allgemeinheit ndash Freiheit [hellip]rdquo Geltung
wird so in Hegels spekulativer Ideenlehre unmittelbar mit der Objektivitaumlt
qua Dasein der Freiheit und dem sie hervorbringenden normierten Subjekt
verbunden nicht zunaumlchst als Subjektivitaumlt im Sinne der logischen Dimen-
sion des axiotischen Grundverhaumlltnisses konzipiert Geltung qua Subjekt-
bezug erweist sich als ein realphilosophisches Moment im Selbstentwick-
lungsgang der Idee
Indes entstehen in der kantianisierenden Transzendentalphilosophie
aus der Axiotisierung der praktischen Philosophie und der damit einher-
gehenden Aufgabe einen umfassenden die Entgegensetzung von theo-
retisch und praktisch uumlbersteigenden Freiheitsbegriff zu denken Probleme
systemischer Art Sie wurden mit Blick auf das Dasein der Freiheit und
den darin liegenden aumlquivoken Realisierungsbegriff exploriert Die Explo-
ration fuumlhrte nicht anhand einer aumluerlichen Anwendung Hegelscher
Gedankengaumlnge sondern durch die Sache selbst hindurch in seine Rechts-
philosophie als Philosophie des objektiven Geistes und die sie grund-
legende Ideenlehre Diese naumlmlich uumlberwindet nicht nur die Abstraktheit
der Kantischen Architektonik sondern auch die darin steckende Erblast
die trotz ihrer Transformation durch die kantianisierende Transzendental-
philosophie in ebendieser erhalten bleibt So kommt ein tragfaumlhiger Reali-
sierungsbegriff der Geltung in Sicht
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
81
Literaturverzeichnis
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Cohen Hermann (1902) Logik der reinen Erkenntnis Berlin Cassirer ndashndash (1904) Ethik des reinen Willens Berlin Cassirer ndashndash (1912) Aumlsthetik des reinen Gefuumlhls Berlin Cassirer
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Erbe Hgg v C Halbig M Quante u L Siep 78ndash137 Frankfurt am Main Suhrkamp
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Haddock AdrianAlan MillarDuncan Pritchard eds (2009) Epistemic value Oxford New York Oxford Univ Press
Christian Krijnen
82
Hegel Georg W F (I)Wissenscha der Logik Erster Teil Hg v G Lasson Leip-zig 1951 Meiner
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ndashndash (R) Grundlinien der Philosophie des Rechts Hg v J Hoffmeister Hamburg 1955 Meiner
ndashndash (E) Enzyklopaumldie der philosophischen Wissenschaen im Grundrisse (1830 8 Aufl Hgg v F Nicolin u O Poumlggeler Hamburg 1991 Meiner
ndashndash (T WA) Werke in zwanzig Baumlnden Hgg v E Moldenhauer u KM Michel Frankfurt am Main 1971 Suhrkamp
Houmlffe Otfried (2012) Kants Kritik der praktischen Vernun Eine Philosophie der Freiheit Muumlnchen Beck
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Literaturverzeichnis
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ndashndash (2014c) Kants Kategorien der Freiheit und das Problem der Einheit der Vernun In Kant und die Kategorien der Freiheit Hg v St Zimmermann Berlin et al De Gruyter (im Erscheinen)
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ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
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durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Christian Krijnen
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ndashndash (II) Wissenscha der Logik Zweiter Teil Hg v G Lasson Leipzig 1951 Mei-ner
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ndashndash (E) Enzyklopaumldie der philosophischen Wissenschaen im Grundrisse (1830 8 Aufl Hgg v F Nicolin u O Poumlggeler Hamburg 1991 Meiner
ndashndash (T WA) Werke in zwanzig Baumlnden Hgg v E Moldenhauer u KM Michel Frankfurt am Main 1971 Suhrkamp
Houmlffe Otfried (2012) Kants Kritik der praktischen Vernun Eine Philosophie der Freiheit Muumlnchen Beck
Kant Immanuel (AA) Kants gesammelte Schrien Hg v Koumlniglich-Preuische Akademie der Wissenschaen Berlin 1900ff (zit n Bd u S)
ndashndash (GMS) Grundlegung zur Metaphysik der Sitten In AA Bd IV
ndashndash (KrV) Kritik der reinen Vernun In Kant-Werke Bd 2 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
ndashndash (KpV) Kritik der praktischen Vernun In Kant-Werke Bd 5 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
ndashndash (KdU) Kritik der Urteilskra In Kant-Werke Bd 5 Hg v W Weischedel 5 Aufl Darmstadt 1983 Wiss Buchges
Krijnen Christian (2001) Nachmetaphysischer Sinn Eine problemgeschichtliche und systematische Studie zu den Prinzipien der Wertphilosophie Heinrich Rickerts Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2002) Religion als philosophisches Problem Zur Religionsphilosophie des Neukantianismus und Gideon Spickers In bdquoEine Religion in philosophischer Form auf naturwissenschalicher Grundlageldquo Hgg v U Hoyer u H Schwaetzer 177ndash202 Hildesheim et al Olms
ndashndash (2006) Systemphilosophie als Selbsterkenntnis Hegel und der Neukantianis-mus In Systemphilosophie als Selbsterkenntnis Hegel und der Neukantianis-mus Hgg v HF Fulda u Ch Krijnen 113ndash32 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2008) Philosophie als System Prinzipientheoretische Untersuchungen zum Sy-stemgedanken bei Hegel im Neukantianismus und in der Gegenwartsphiloso-phie Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2011a) Das Soziale bei Hegel Eine Konstruktion in Auseinandersetzung mit der kantianisierenden Transzendentalphilosophie In Gegenstandsbestimmung und Selbstgestaltung Transzendentalphilosophie im Anschluss an Werner Flach Hgg v Ch Krijnen u KW Zeidler 189ndash226 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2011b) Teleology in Kantlsquos Philosophy of Culture and History A Problem for the Architectonic of Reason In The Sublime and its Teleology Kant German Idealism Phenomenology Ed by Donald Loose 115ndash32 Leiden et al Brill
ndashndash (2012) Metaphysik in der Realphilosophie Hegels Hegels Lehre vom freien Geist und das axiotische Grundverhaumlltnis kantianisierender Transzendentalph i-
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
83
losophie In Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie Hgg v M Gerhard A Sell u L de Vos 171ndash210 Hamburg Meiner
ndashndash (2013) Geschichtsphilosophie bei Kant im Neukantianismus und im gegenwaumlr-tigen Kantianismus In Der Begriff der Geschichte im Marburger und suumld-westdeutschen Neukantianismus Hgg v Ch Krijnen u M de Launay 29ndash57 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2014a) Anerkennung Wirklichkeit und praktische Vernun im Neukantianis-mus In Das Wirklichkeitsproblem in Metaphysik und Transzendentalphilo-sophie Hg v Ch Graf Basel Schwabe (im Erscheinen)
ndashndash (2014b) Recognition Future Hegelian Challenges for a Contemporary Philo-sophical Paradigm In Recognition German Idealism as Ongoing Challenge Ed by Ch Krijnen 99ndash127 Leiden Boston Brill
ndashndash (2014c) Kants Kategorien der Freiheit und das Problem der Einheit der Vernun In Kant und die Kategorien der Freiheit Hg v St Zimmermann Berlin et al De Gruyter (im Erscheinen)
Nuzzo Angelica (1997) Die Differenz zwischen dialektischer und realphilosophi-scher Dialektik In Das Problem der Dialektik Hg v D Wandschneider 52ndash76 Bonn Bouvier
Rickert Heinrich (191112) Lebenswerte und Kulturwerte Logos 4 131ndash66 ndashndash (1914) Uumlber logische und ethische Geltung Kant-Studien 19 182ndash221 ndashndash (1921) System der Philosophie Erster Teil Allgemeine Grundlegung der Phi-
losophie Tuumlbingen Mohr ndashndash (1922) Die Philosophie des Lebens Darstellung und Kritik der philosophischen
Modestroumlmungen unserer Zeit 2 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1924) Kant als Philosoph der modernen Kultur Ein geschichtsphilosophischer
Versuch Tuumlbingen Mohr ndashndash (1928) Der Gegenstand der Erkenntnis Einfuumlhrung in die Transzendentalphi-
losophie 6 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1929) Die Grenzen der naturwissenschalichen Begriffsbildung Eine logische
Einleitung in die historischen Wissenschaen 5 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1934) Grundprobleme der Philosophie Methodologie Ontologie Anthropolo-
gie Tuumlbingen Mohr
Roumlttgers Kurt (2002) Kategorien der Sozialphilosophie Magdeburg Scriptum
Schoumlnrich Gerhard Hg (2009) Wissen und Werte Paderborn mentis
Wagner Hans (1980) Philosophie und Reflexion 3 Aufl MuumlnchenBasel Ernst Reinhardt
Windelband Wilhelm (1909) Die neuere Philosophie In Die Kultur der Gegen-wart Hg v P Hinneberg 382ndash543 Teil I Abt V Berlin Leipzig
ndashndash (1915) Praumlludien Aufsaumltze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte 5 Aufl 2 Bd Tuumlbingen Mohr 1915
ndashndash (1915a) Das Heilige Skizze zur Religionsphilosophie (1902) In Praumlludien Bd 2 295ndash332
ndashndash (1915b) Kritische oder genetische Methode (1883) In Praumlludien Bd 2 99ndash135
Christian Krijnen
84
ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Das Dasein der Freiheit Denken als Ursprung
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losophie In Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie Hgg v M Gerhard A Sell u L de Vos 171ndash210 Hamburg Meiner
ndashndash (2013) Geschichtsphilosophie bei Kant im Neukantianismus und im gegenwaumlr-tigen Kantianismus In Der Begriff der Geschichte im Marburger und suumld-westdeutschen Neukantianismus Hgg v Ch Krijnen u M de Launay 29ndash57 Wuumlrzburg Koumlnigshausen amp Neumann
ndashndash (2014a) Anerkennung Wirklichkeit und praktische Vernun im Neukantianis-mus In Das Wirklichkeitsproblem in Metaphysik und Transzendentalphilo-sophie Hg v Ch Graf Basel Schwabe (im Erscheinen)
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Rickert Heinrich (191112) Lebenswerte und Kulturwerte Logos 4 131ndash66 ndashndash (1914) Uumlber logische und ethische Geltung Kant-Studien 19 182ndash221 ndashndash (1921) System der Philosophie Erster Teil Allgemeine Grundlegung der Phi-
losophie Tuumlbingen Mohr ndashndash (1922) Die Philosophie des Lebens Darstellung und Kritik der philosophischen
Modestroumlmungen unserer Zeit 2 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1924) Kant als Philosoph der modernen Kultur Ein geschichtsphilosophischer
Versuch Tuumlbingen Mohr ndashndash (1928) Der Gegenstand der Erkenntnis Einfuumlhrung in die Transzendentalphi-
losophie 6 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1929) Die Grenzen der naturwissenschalichen Begriffsbildung Eine logische
Einleitung in die historischen Wissenschaen 5 verb Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1934) Grundprobleme der Philosophie Methodologie Ontologie Anthropolo-
gie Tuumlbingen Mohr
Roumlttgers Kurt (2002) Kategorien der Sozialphilosophie Magdeburg Scriptum
Schoumlnrich Gerhard Hg (2009) Wissen und Werte Paderborn mentis
Wagner Hans (1980) Philosophie und Reflexion 3 Aufl MuumlnchenBasel Ernst Reinhardt
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ndashndash (1915) Praumlludien Aufsaumltze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte 5 Aufl 2 Bd Tuumlbingen Mohr 1915
ndashndash (1915a) Das Heilige Skizze zur Religionsphilosophie (1902) In Praumlludien Bd 2 295ndash332
ndashndash (1915b) Kritische oder genetische Methode (1883) In Praumlludien Bd 2 99ndash135
Christian Krijnen
84
ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr
Christian Krijnen
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ndashndash (1915c) Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus (1910) In Praumlludi-en Bd 2 279ndash94
ndashndash (1915d) Uumlber die gegenwaumlrtige Lage und Aufgabe der Philosophie (1907) In Praumlludien Bd 2 1-23
ndashndash (1915e) Was ist Philosophie Uumlber Begriff und Geschichte der Philosophie (1882) In Praumlludien Bd 1 1ndash54
ndashndash (1919) Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen Wissenschaen 6 Aufl 2 Bd Leip-zig
ndashndash (1923) Einleitung in die Philosophie 3 Aufl Tuumlbingen Mohr ndashndash (1980) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie 17 Aufl unv Nachdr d 15
durchges u erg Aufl Hg v H Heimsoeth Tuumlbingen Mohr