BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/13584 21. Wahlperiode 03.07.18 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Carola Ensslen und Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 26.06.18 und Antwort des Senats Betr.: Trägt das Jobcenter t.a.h. zur Entstehung von Wohnungslosigkeit bei? In einer stadtsoziologischen 1 Studie der Humboldt-Universität zu Berlin wird ein tiefer Einblick gegeben in einen angespannten Berliner Wohnungsmarkt, Zwangsräumungen und ein systemisch überfordertes Hilfesystem, das dro- hende Wohnungslosigkeit nicht nur nicht verhindern kann, sondern ebenso mit produziert. Dabei wird insbesondere den Jobcentern eine Mitverantwor- tung für Zwangsräumungen und drohende Wohnungslosigkeit zugesprochen, die den Autoren/-innen zufolge vor allem durch die zu knapp bemessenen Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft (KdU), die langen Bear- beitungszeiten von SGB-II-Anträgen und durch die Zahlungslücken entstehen können sowie an der Sanktionspraxis liegen. 2 Gleichwohl verweisen die Autoren/-innen auf die defizitäre Datengrundlage, die sowohl die politische als auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik erschwert bis unmöglich macht. 3 Auch für Hamburg liegen kaum Daten vor. Der Senat beantwortet Anfragen regelmäßig dahin gehend, dass dazu keine Daten erhoben würden oder eine händische Auswertung nicht möglich sei (vergleiche beispielsweise Drs. 21/12383, 21/12403, 21/12004). Daher bleibt unklar, welches Ausmaß Zwangsräumungen angenommen haben und welche mögliche Rolle das Jobcenter t.a.h. hierbei spielt. Angesichts des angespannten Wohnungsmark- tes ist jede Zwangsräumung für die Betroffenen eine persönliche Katastrophe und eine verantwortungsvolle Politik sollte jede Möglichkeit ergreifen, um diese zu verhindern. Nicht von ungefähr fordert das Hamburger Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik das Aussetzen von Kostensenkungsauf- forderungen des Jobcenters 4 , bis sich der Hamburger Wohnungsmarkt auf dem preisgünstigen Segment deutlich entspannt hat. Ohne die entsprechen- de Datengrundlage ist die politische Auseinandersetzung damit jedoch unmöglich. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von Job- center team.arbeit.hamburg (Jobcenter) und der Agentur für Arbeit Hamburg (AA) wie folgt: 1 https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/archiv/nr1504/pm_150423_00. 2 Vergleiche ebenda, Seite 78 fortfolgende. 3 Vergleiche ebenda, Seite 16, Seite 93. 4 https://www.diakonie-hamburg.de/export/sites/default/.content/downloads/Fachbereiche/ME/ PM-und-Hintergrund-KDU-Moratorium.pdf.
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BÜRGERSCHAFT 21/13584 DER FREIEN UND HANSESTADT …...Drucksache 21/13584 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Abgelehnte Anträge nach § 22 Abs.
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BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1358421. Wahlperiode 03.07.18
Schriftliche Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Carola Ensslen und Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 26.06.18
und Antwort des Senats
Betr.: Trägt das Jobcenter t.a.h. zur Entstehung von Wohnungslosigkeit bei?
In einer stadtsoziologischen1 Studie der Humboldt-Universität zu Berlin wird ein tiefer Einblick gegeben in einen angespannten Berliner Wohnungsmarkt, Zwangsräumungen und ein systemisch überfordertes Hilfesystem, das dro-hende Wohnungslosigkeit nicht nur nicht verhindern kann, sondern ebenso mit produziert. Dabei wird insbesondere den Jobcentern eine Mitverantwor-tung für Zwangsräumungen und drohende Wohnungslosigkeit zugesprochen, die den Autoren/-innen zufolge vor allem durch die zu knapp bemessenen Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft (KdU), die langen Bear-beitungszeiten von SGB-II-Anträgen und durch die Zahlungslücken entstehen können sowie an der Sanktionspraxis liegen.2 Gleichwohl verweisen die Autoren/-innen auf die defizitäre Datengrundlage, die sowohl die politische als auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik erschwert bis unmöglich macht.3
Auch für Hamburg liegen kaum Daten vor. Der Senat beantwortet Anfragen regelmäßig dahin gehend, dass dazu keine Daten erhoben würden oder eine händische Auswertung nicht möglich sei (vergleiche beispielsweise Drs. 21/12383, 21/12403, 21/12004). Daher bleibt unklar, welches Ausmaß Zwangsräumungen angenommen haben und welche mögliche Rolle das Jobcenter t.a.h. hierbei spielt. Angesichts des angespannten Wohnungsmark-tes ist jede Zwangsräumung für die Betroffenen eine persönliche Katastrophe und eine verantwortungsvolle Politik sollte jede Möglichkeit ergreifen, um diese zu verhindern. Nicht von ungefähr fordert das Hamburger Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik das Aussetzen von Kostensenkungsauf-forderungen des Jobcenters4, bis sich der Hamburger Wohnungsmarkt auf dem preisgünstigen Segment deutlich entspannt hat. Ohne die entsprechen-de Datengrundlage ist die politische Auseinandersetzung damit jedoch unmöglich.
Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:
Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von Job-center team.arbeit.hamburg (Jobcenter) und der Agentur für Arbeit Hamburg (AA) wie folgt:
1 https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/archiv/nr1504/pm_150423_00. 2 Vergleiche ebenda, Seite 78 fortfolgende. 3 Vergleiche ebenda, Seite 16, Seite 93. 4 https://www.diakonie-hamburg.de/export/sites/default/.content/downloads/Fachbereiche/ME/
PM-und-Hintergrund-KDU-Moratorium.pdf.
Drucksache 21/13584 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode
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1. In welcher Weise werden Umfang und Ursachen von Zwangsräumungen statistisch erfasst? Wenn diese nicht erfasst werden, warum nicht?
Die Justizstatistik erfasst lediglich die bereits in den Drs. 21/12383, 21/12403 und 21/12004 gemeldeten Zahlen. Änderungen sind nur in Abstimmung mit allen Ländern gemeinsam zu erreichen, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
2. Der Hamburger Mietenspiegel 2017 verzeichnet einen Anstieg der Mie-ten von 5,2 Prozent im Vergleich zu 2015. Hingegen wurden die maximal zulässigen Kosten der Unterkunft nach SGB II, SGB XII und Asylbewer-berleistungsgesetz im Durchschnitt lediglich um 3,8 Prozent erhöht.5 Auf welcher Grundlage und mit welcher Begründung erfolgte die Erhöhung der KdU, wenn sie sich offenbar nicht am Mietenspiegel orientiert?
Die Anhebung der Angemessenheitsgrenze für die Bedarfe der Unterkunft und Hei-zung ist unter Berücksichtigung der Produkttheorie des Bundessozialgerichts erfolgt. Die Bruttokaltangemessenheitsgrenze in Hamburg setzt sich aus der angemessenen Kaltmiete und den angemessenen Betriebskosten ohne Wasser zusammen.
Mangels eigener Daten wird für die Ermittlung der kalten Betriebskosten auf die Erhe-bungen des Deutschen Mieterbundes zurückgegriffen. Dabei wurde die aktuelle Erhe-bung des Deutschen Mieterbundes für 2016/2017 auf Basis der Daten aus 2015 her-angezogen. Danach ergeben sich zwar Veränderungen bei einzelnen Betriebskosten-positionen, in der Summe sind die Ausgaben pro Quadratmeter allerdings gleich geblieben.
Hinsichtlich der Kaltmiete hat die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) eine Sonderauswertung auf Basis des Hamburger Mietenspiegels 2017 vorgenom-men, um die für die Festsetzung der Angemessenheitsgrenzen relevanten Quadrat-metermieten zu ermitteln. Der Hamburger Mietenspiegel umfasst Wohnungen von zwei verschiedenen Ausstattungsarten sowie Wohnungen in normalen und in guten Wohnlagen. Im Rahmen der Existenzsicherung besteht dagegen das Erfordernis, nur Wohnungen mit einfachem Wohnstandard zu berücksichtigen. Diesem wird dadurch Rechnung getragen, dass ausschließlich die Mieten für Wohnungen mit Bad und Sammelheizung in normalen Wohnlagen, nicht jedoch in guten Wohnlagen berück-sichtigt wurden. Hierdurch ergibt sich die geringere Steigerungsrate.
3. Wie viele Kostensenkungsverfahren gab es seit 2015 pro Jahr? Wie vie-le Kostensenkungsverfahren gab es bislang in 2018?
Kostensenkungsverfahren* 2015 2016 2017 bis April 2018 1.140 923 1.037 83*
* Hinweis: Seit Dezember 2017 sind Kostensenkungsverfahren aufgrund einer Überarbeitung der fachlichen Vorgaben ausgesetzt. Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Bruttokalt-miete mindestens 20 Prozent über der jeweiligen Angemessenheitsgrenze liegt.
4. Wie lange ist die Bearbeitungszeit des Jobcenters t.a.h. für
a) Erstanträge?
b) Weiterbewilligungsanträge?
c) Änderungsanträge?
Bitte für jedes Jahr ab 2015 einzeln darstellen und differenzieren nach Minimum, Maximum, Median und Durchschnitt.
Die zur Beantwortung benötigten Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst. Hierfür wäre eine Einzelfallauszählung von rund 100.000 Leistungsakten erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehen Zeit nicht möglich.
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5. Wie viele Vollsanktionen (inklusive Kürzung der KdU) wurden pro Jahr seit 2015 verhängt gegen
a) unter 25-Jährige?
b) über 25-Jährige?
Bitte für jedes Jahr ab 2015 einzeln darstellen und nicht nur den jährli-chen Durchschnitt der sanktionierten Leistungsempfänger/-innen pro Monat, sondern auch den Gesamtwert aller in diesem Jahr Sanktionier-ten angeben.
Eine statistische Erhebung und Auswertung im Sinne der Fragestellung erfolgt durch den Statistik-Service der Bundesagentur für Arbeit nicht. Hilfsweise wird die statisti-sche Auswertung „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB), zum Stichtag wirksame Sanktionen gegenüber ELB, ELB mit mindestens 1 am Stichtag wirksamen Sanktion sowie vollsanktionierte ELB nach Alter“ des Statistik Service der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt (Anlage).
6. In wie vielen Fällen mussten die Jobcenter t.a.h. seit 2015 Leistungsbe-rechtigte an die Fachstellen für Wohnungsnotfälle verweisen? Bitte auch die Gründe nach Fallgruppen (zum Beispiel verspätete Antragsbearbei-tung, verspätete Zahlung durch die Jobcenter t.a.h., Sanktionen, Miet-schulden et cetera) dafür nennen.
Siehe Antwort zu 4.
7. Wie viele Anträge auf Mietschuldenübernahme gemäß § 22 Absatz 8 SGB II wurden seit 2015 gestellt?
a) Wie viele Anträge wurden positiv beschieden? Wie viele davon als Darlehen, wie viele als Zuschuss?
Eine getrennte Erfassung im Dokumentationssystem der Fachstellen für Wohnungs-notfälle, ob die Mietschuldenübernahme als Darlehen oder Beihilfe bewilligt wurde, erfolgt nicht. Hierfür wäre eine Einzelfallauszählung von rund 100.000 Leistungsakten erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehen Zeit nicht möglich. Die Anzahl aller Mietschuldenübernahmen auf-gegliedert nach Bezirken stellt sich wie folgt dar:
Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II 2015 2016 2017 bis Mai 2018
1) Bei vollsanktionierten Personen übersteigt die Höhe des Sanktionsbetrages die Höhe des laufenden Leistungsanspruchs im Berichtsmonat, d.h. es liegt eine komplette Leistungskürzung vor.
Insgesamtdavon (Spalte 10)
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern. Wenn dem ELB Arbeit zumutbar ist, muss er sich aktiv darumbemühen, Arbeitslosigkeit zu beenden und aktiv an allen Maßnahmen mitwirken, die dieses Ziel unterstützen. Kommen die Leistungsberechtigten diesen Verpflichtungen ohne wichtigen Grund nicht nach,treten Sanktionen ein, die eine Kürzung bis hin zum völligen Wegfall des Arbeitslosengeldes II vorsehen können.
Insgesamtdavon (Spalte 1)
Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB), zum Stichtag wirksame Sanktionen gegenüber ELB, ELB mit mindestens 1 am Stichtag wirksamen Sanktion sowie vollsanktionierte ELB nach Alter
Insgesamtdavon (Spalte 4)
Daten zu Leistungen nach dem SGB II nach einer Wartezeit von 3 Monaten.
Rechtsgrundlage für die Sanktionierung von Personen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen – also erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) oder nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (NEF) –bildet § 31 in Verbindung mit § 31a SGB II bzw. § 32 SGB II.
Bestand ELBZum Stichtag wirksame Sanktionen
gegenüber ELBBestand ELB mit mindestens einer
Sanktion Bestand vollsanktionierte ELB 1)
BerichtsmonatInsgesamt
davon (Spalte 7)
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