archithese 33 Episoden über Architektur und Information Eine Positionierung des CAAD Computertechnologie – ein Plädoyer für offene Standards Lars Spuybroek und der flexible Schinkel Innovative Technologie, traditionelle Arbeitsteilung Handwerk im Computerzeitalter Die Programmierte Wand – ein Forschungsbericht An den Grenzen der Standardisierung Computerspiele und ihr Einfluss auf die Stadtplanung Vers un mode de production non-standard Computing and alternative design proposals Digital Morphogenesis – a paradigmatic shift huggen_berger Schulhauserweiterung, Uetikon David Chipperfield Literaturmuseum, Marbach 4.2006 Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur Revue thématique d’architecture CAAD CAAO
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archithese33 Episoden über Architektur und Information
Eine Positionierung des CAAD
Computertechnologie – ein Plädoyer für offene Standards
Computerspiele und ihr Einfluss auf die Stadtplanung
Vers un mode de production non-standard
Computing and alternative design proposals
Digital Morphogenesis – a paradigmatic shift
huggen_berger Schulhauserweiterung, Uetikon
David Chipperfield Literaturmuseum, Marbach
4.2006
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Revue thématique d’architecture
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Leserdienst 156
000_Umschlag 14.7.2006 7:44 Uhr Seite 1
2 archithese 4.2006
E D I T O R I A L
CAAD
Die digitale Revolution hat die Welt verändert und mit ihr die Architektur. Oder zu-
mindest die Architekten: Schwankten Studierende im ersten Semester noch vor ei-
nem Jahrzehnt zwischen kabelgeführter Mayline und einfachem T-Lineal – und
entschieden sich mehrheitlich vorerst für das günstige T-Lineal –, tragen heute alle
einen Laptop unter dem Arm, der mit ungleich höheren Anschaffungskosten ver-
bunden ist. Ohne CAAD (Computer Aided Architectural Design) geht in heutigen
Architekturbüros gar nichts mehr. Mit seiner Hilfe werden Pläne und Visualisie-
rungen gezeichnet, Kraftverläufe und Temperaturschwankungen simuliert, Licht-
situationen getestet, Kosten berechnet und Offerten erstellt. Die Kommunikation
zwischen den am Bau Beteiligten hat sich beschleunigt, die Zusammenarbeit ist
intensiver geworden. Dies bedeutet eine Befreiung von undankbarer Knochenar-
beit und die Möglichkeit, sich auf andere Dinge zu konzentrieren – aber auch, wie
Stefan Jauslins Essay in diesem Heft herausstreicht, eine neue Abhängigkeit der
Architektinnen und Architekten von Softwareherstellern, die verständlicherweise
wenig Interesse daran haben, die Situation zu entschärfen.
Doch inwiefern hat die Digitalisierung des architektonischen Alltags die Archi-
tektur selbst verändert? Sind neoorganische Blobs wirklich das letzte Wort? Wer in
diesem Heft jene spektakulären Bilder sucht, die man im Zusammenhang mit
CAAD zu sehen gewohnt ist, findet statt dessen Texte von Bernard Cache, Neil
Leach und Peter Szalapaj – in den jeweiligen Orginalsprachen – sowie eine Posi-
tionierung des CAAD von Ludger Hovestadt. Hier soll es nicht primär darum gehen,
wilde Formen zu zeigen, die ohne Computer nicht realisierbar gewesen wären.
Vielmehr werden neue Möglichkeiten von Entwurf und Planung untersucht. In
einem Interview legt Lars Spuybroek seine Idee einer neuen Architektur der Kon-
tinuität dar. Der Beitrag von Fabio Gramazio und Mathias Kohler lässt erahnen, was
geschieht, wenn Architektur nicht mehr gezeichnet, sondern programmiert wird –
als Beispiel dient ein Industrieroboter, der mauern kann. Reto Durrer zeigt ein Pro-
jekt für anpassbare städtische Abfallcontainer, welches das Potenzial, aber auch
die Grenzen des parametrischen Entwerfens illustriert.
Mit Mass Customization beschäftigt sich auch Oliver Fritz, der vor allem die Um-
setzung in die Praxis thematisiert: Genaue Planung vorausgesetzt, gibt es heute
dank computerunterstützter Bauproduktion (Computerized Numerical Control )
keinen Preisunterschied mehr zwischen Standard- und Ausnahmeelementen. Dies
beschert der Vorfabrikation ungeahnte neue Möglichkeiten, die nicht zuletzt auch
das konventionelle Berufsbild des Architekten in Frage stellen – zumal sich in der
engen Zusammenarbeit mit Spezialisten und ausführenden Firmen auch die Kom-
petenzbereiche zwischen den Beteiligten verschieben müssten.
Für eine neue Art der Kooperation plädiert auch der Ingenieur Mutsuru Sasaki,
der mittels digitaler Technologie komplexe Tragkonstruktionen für Toyo Ito und an-
dere international tätige Architekturbüros entwirft – obschon sich seiner Meinung
nach, wie er in einem Beitrag von Marco Rossi erläutert, die Art und Weise der
Zusammenarbeit trotz neuer technischer Werkzeuge bisher kaum verändert habe.
Eine ungewöhnliche Perspektive eröffnen schliesslich Friedrich von Borries,
Matthias Böttger und Steffen P. Walz hinsichtlich der Anwendung von Computer-
spielen in der Stadtplanung.
Redaktion
NOX / Lars Spuy-broek: Son-O-House, Son enBreugel, Nieder-lande, 2000–2004Modellstudie
Kunstwerk imöffentlichen Bereichfür den Industrie-schap Ekkersrijt, inZusammenarbeitmit dem Komponis-ten Edwin van derHeide
An der Autobahnzwischen Son enBreugel und Eindho-ven liegt ein grosserIndustriepark miteinem Bereich fürdie IT- und Neue-Medien-Branche.Das Kunstwerk solldie Identität diesesGebiets stärken – alstechnologischesStatement und alsRaum, wo sichMenschen zwanglostreffen und entspan-nen können. DieKonstruktionermöglicht es, Tönein einer musikali-schen Struktur zuhören und sich auchan der Kompositionzu beteiligen. Sie istInstrument, Partiturund Studio in einem.23 strategischplatzierte Sensorenbeeinflussen die
Musik indirekt.Dieses Klangsystem,komponiert undprogrammiert vomKlangkünstler Edwinvan der Heide,basiert auf Moiré-Effekten bei denInterferenzen engverwandter Fre-quenzen. DerBesucher beeinflusstden Klang nichtdirekt, wie dies beiinteraktiver Kunstoft der Fall ist,sondern die Echt-zeit-Kompositionselbst, welche dieKlänge generiert.Die Partitur ist eineevolutionäreErinnerungsland-schaft, die sich mitdem Verhalten derKörper im Raumentwickelt.
der Architektur die Aufgabe, eine reale Backsteinwand von
drei Metern Länge und zwei Metern Höhe mit dem Roboter zu
gestalten. Jedem klassischen Mauerwerkverband liegt im
Prinzip ein einfacher Algorithmus zu Grunde. Die Studieren-
den konnten daraus Kriterien für den Aufbau, die Standfes-
tigkeit und die Verbundwirkung einer Backsteinwand ablei-
ten und aus diesen Kriterien die Regeln für die Programmie-
rung ihres Entwurfs herleiten. Da es für den Roboter – im
Unterschied zum Maurer – keine Rolle spielt, mit welchem
Winkel er einen Backstein ablegt, konnten die Studierenden
diesen neuen Freiheitsgrad in ihrer Entwurfsstrategie krea-
tiv nutzen. Die aus diesem Prozess entstandenen gebauten
Wände beinhalten sowohl die archaische Präsenz des Mate-
rials als auch die differenzierten Eigenschaften ihrer proze-
duralen Gestaltung. Durch die Anreicherung mit Information
entstand aus einem altbekannten, bewährten Element der
Bauindustrie ein neues, in dieser Form unbekanntes archi-
tektonisches Bauteil.
Autoren: Fabio Gramazio und Matthias Kohlersind Inhaber des Architekturbüros Gramazio &Kohler in Zürich. Seit Oktober 2005 bauen sie amDepartement Architektur der ETH Zürich dieAssistenzprofessur für Architektur und DigitaleFabrikation auf.
Projektteam «Die Programmierte Wand»:Professur: Fabio Gramazio, Matthias Kohler;Assistenz: Tobias Bonwetsch, Daniel Kobel,Michael Lyrenmann; Studierende: MatthiasBühler, Michael Knauss, Leonard Kocan, SilvanOesterle, Gonçalo Manteigas, Dominik Sigg;Industriepartner: Keller AG Ziegeleien
Roboter im Einsatzund verschiedeneErgebnisse(Fotos: Architekturund Digitale Fabri-kation, ETH Zürich)
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Parametrisches Entwerfen am Beispiel städtischer Abfallcontainer Wenn sich das Objekt dem System unter-
ordnet, anstatt dass sich das System dem Objekt anpassen muss, wird eine Optimierung auf beiden Seiten mög-
lich. Neue Generationen von Stadtmöblierung demonstrieren, wie Serien von standortspezifisch variablen Objek-
ten eingesetzt werden können.
AN DEN GRENZENDER STANDARDISIERUNG
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1 Aufsicht desparametrischen 3D-Modells
2 Kunststoffmo-delle von Contai-nern im Massstab1:10, hergestellt mit einer CNC-Milling-Maschine.Die Formen wurdenmit dem assozia-tiven Entwurf aufGrund von Para-metern verschiede-ner Standorte in der Innenstadt vonRotterdam generiert
Text: Reto Durrer
Der erste einheitliche Abfallcontainer wurde 1875 zur Ent-
sorgung der Asche von Heizungen in London eingeführt, was
eine effiziente Organisation der städtischen Müllabfuhr er-
möglichte. Seither hat er sich laufend modernisiert und ist –
entsprechend der gestiegenen Abfallproduktion unserer
postindustriellen Gesellschaft – für das Funktionieren der
Städte immer bedeutender geworden. In vielen europäischen
Städten werden heute Sammel- und Recyclingcontainer für
Haushaltsmüll im öffentlichen Raum installiert: Anstatt
Säcke in den Strassen zu deponieren, bringen die Städter Ab-
fall, Altpapier und Altglas unabhängig vom Fahrplan der
Sammelfahrzeuge zur nächsten Entsorgungsstelle in der
Nachbarschaft. Das Abfallmanagement der Stadt Rotterdam
beispielsweise, das weltweit zu den effizientesten gehört,
platziert Container innerhalb einer Reichweite von 70 Metern
ab jeder Wohnungstür. Somit verteilen sich in der städtischen
Landschaft ca. 5000 Objekte, die in verschiedenen Systemen
wie Netzwerk, Mechanismus, Identifikation, Betrieb und
Unterhalt funktionieren. Was der heutige Container indes im-
mer noch mit dem historischen Londoner dustbin gemeinsam
hat, ist die Idee der Standardisierung.
Neuere und immer grössere Modelle, die in einen Schacht
im Boden eingelassen sind, bieten mehr Kapazität und neh-
men weniger Platz im Strassenraum in Anspruch. Da sie
jedoch zu einem Zeitpunkt eingeführt werden, zu dem die In-
frastruktur in den Strassen und im Erdreich bereits sehr dicht
ist, lassen sie sich mit ihren festen Abmessungen nur selten
ideal platzieren. Besonders in Altstadtzentren ist es schwie-
rig, den optimalen Standort zu realisieren, der zum Beispiel
nahe beim Eingang eines Supermarktes liegen würde. Häufig
müssen anstelle der bevorzugten Untergrundcontainer meh-
rere kleinere, überirdische Modelle platziert werden – oder
der Standort wird um die Ecke verlegt, wo der Recyclingcon-
tainer schlechter frequentiert wird. Ein weiteres Problem ist
die Auslastung. Während einzelne Behälter schnell überfüllt
sind, bleiben andere praktisch unbenutzt: Im Durchschnitt
sind die Container zum Zeitpunkt ihrer Entleerung nur halb
voll. Da die städtischen Betriebe aber nicht die Container,
sondern nur den Fahrplan variieren können, lässt sich die Ef-
fizienz des Entsorgungssystems nur noch bedingt optimieren.
Umkehrung des Prinzips
Die Einführung von individuell anpassbaren Containern als
eine standortspezifische Serie von Objekten würde dieses
Prinzip umkehren. Auf diese Weise könnten die ideale Route
und der Fahrplan der Sammelfahrzeuge festgelegt und der
ideale Standort für die Container zuerst bestimmt werden;
dann würden die Container so angepasst, dass sie den je-
weiligen räumlichen und betrieblichen Anforderungen ent-
sprechen.
Für das Design, die Anpassung und die Herstellung ent-
sprechender Objekte stellen sich anspruchsvolle, aber lös-
bare Probleme. Interessant und ökonomisch realistisch wird
die Anfertigung der erforderlichen Anzahl von Unikaten
durch die Technologie des assoziativen Designs, verlinkt mit 2
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Computing and alternative design proposals The design process in architecture is changing
in response to the pervasive influence of digital technologies, and increasingly so because of
their role in the exploration of alternative design proposals. This represents a move away from
their traditional role in the presentation of completed design schemes. Digital representations
are central not only to form generation and structural analysis, but also to the integration of
fabrication and construction directly with the earlier design stages. It is becoming increasingly
feasible to develop a rapid succession of distinct digital models, some of which in turn generate
prototypical physical counterparts, in early design stages. These can be tested and evaluated
with respect to a range of analytical criteria, and the results of these analyses can affect further
model development thus forming a cyclical process of 3D digital model generation.
DIGITAL REALITY
curvilinear form, but also to resolve the structural issues aris-
ing from that form.
Early computer-aided design (CAD) systems allowed the
expression of the rectilinearity and orthogonality often found
in modernist architecture. More recent developments in digi-
tal representations of curved surfaces, however, have enabled
support for more sculptural approaches. Digital technologies
in contemporary architecture are therefore becoming more
neutral in terms of the range of visual design expressions that
they offer. Designers can now focus on exploiting computing
environments for the purposes of digital exploration rather
than for mere presentation.
Some digital technologies allow designers to re-connect
with the material aspects of traditional design processes in
the form of sketches and physical models. This material con-
nection is sometimes referred to as an associative architec-
ture,1 and is concerned with the relationships between geo-
metric control points in CAD modelling environments and the