Gedichtvergleich / Gedichtinterpretation zur Wahl 4f bZ 2016 3 Möglichkeiten: entweder eines der Gedichte interpretieren oder beide vergleichend interpretieren. Der Aufbau von Einzelinterpretationen wird umfassender und genauer bewertet als beim Vergleich. Gertrud Kolmar 1 Die Kröte Ein blaues Dämmer sinkt mit triefender Feuchte; Es schleppt einen breiten rosiggoldenen Saum. Schwarz steilt eine Pappel auf in das weiche Geleuchte, Und mildere Birken verzittern zu fahlerem Schaum. Wie Totenhaupt kollert so dumpf ein Apfel zur Furche, Und knisternd verflackert mählich das herbstbraune Blatt. Mit Lichtchen gespenstert ferne die düsternde Stadt. Weißer Wiesennebel braut Lurche. Ich bin die Kröte. Und ich liebe die Gestirne der Nacht. Abends hohe Röte Schwelt in purpurne Teiche, kaum entfacht. Unter der Regentonne Morschen Brettern hock‘ ich duckig und dick; Auf das Verenden der Sonne lauert mein schmerzlicher Mondenblick. Ich bin die Kröte. Und ich liebe das Gewisper der Nacht. Eine feine Flöte Ist im schwebenden Schilf, in den Seggen 2 erwacht, Eine zarte Geige Flirrt und fiedelt am Felderrain. Ich horch‘ und schweige, Zerr‘ mich an fingrigem Bein Unter fauliger Planke 3 Aus Morastigem Glied um Glied, Wie versunkner Gedanke Aus dem Wust, aus dem Schlamm sich zieht. Durch Gekräut, um Kiesel Hüpf‘ ich als dunkler, bescheidener Sinn; Tauiges Laubgeriesel, Schwarzgrüner Efeu spült mich dahin. Ich atme, schwimme In einer tiefen, beruhigten Pracht, 1 Gertrud Kolmar (Pseudonym für Gertrud Käthe Chodziesner), * 10. Dezember 1894 in Berlin; † vermutlich Anfang März 1943 in Auschwitz. Aus: Das lyrische Werk. Gedichte 1927- 1937. Hg. R. Nörtemann. Göttingen, Wallstein, 2003. S. 358f.