Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession Überlegungen zur ethischen Dimension Sozialer Arbeit
Frauke Meyer
1. Einleitung
Der nachfolgende Beitrag versucht Antworten auf zwei Fragen zu finden, welche auf das Engste mit
der Zukunft Sozialer Arbeit1 als Profession sowie mit der zukünftigen Gestaltung des Sozialen und des
Selbst- und Weltverhältnisses des Menschen verknüpft sind. Es sind (1) die ethische Frage nach der
besten, sowohl unserer Lebenswirklichkeit als auch unseren Werten angemessenen Haltung gegenüber
uns selbst, den Mitmenschen und der Erde, als einem uns gegebenen Wohnort; sowie (2) die Frage
nach den Aufgaben, Herausforderungen und dem (Mit-) Gestaltungspotential der Sozialen Arbeit im
Kontext dieses ethischen Entwurfes.
Die Bemerkung, daß wir in einer Zeit beständiger Veränderung und damit eines rasanten Wandels
unserer (Lebens-)Welt leben ist beinahe zu einer abgedroschenen Phrase geworden und man mag
hoffen, nicht erneut davon zu lesen; man weiß es doch! Trotzdem möchte ich mich hier noch einmal
dieser nicht zu leugnenden Tatsache widmen, um die korrelierende Verantwortung deutlich
herauszuarbeiten.
In den 80er Jahren formulierte Ulrich Beck ein neues, aufsehenerregendes Gesellschaftsbild, die
Risikogesellschaft, welche uns aufmerksam werden ließ auf Werteverlust, Sinnkrisen, Pluralität der
Lebensentwürfe, Individualisierung und Standardisierung der Biographien mit allen implizierten -
positiven und negativen - Konsequenzen. Bis zum heutigen Tag beschäftigt die Diagnose Becks von
den zunehmenden Risiken im Leben des Einzelnen und dem Zerfall sozialer Auffangnetze die
Öffentlichkeit und eine ethische Bewältigung dieser gesellschaftlichen Struktur scheint noch nicht
abgeschlossen zu sein. Und doch muß man derzeit fast sagen, es gibt dringlichere gesellschaftliche
Veränderungen zu diskutieren. Die neuen Informationstechniken und die Fortschritte in Biomedizin
und Gentechnik erfordern von uns eine Reflexion grundlegendster Säulen unseres Zusammenlebens,
nämlich des Humanismus mit seinem zugrundeliegenden Menschenbild, denn die wachsenden
Möglichkeiten, welche der Mensch sich auf diesen Gebieten erarbeitete, stellen ihn und das Soziale in
Frage, indem sie andere Konstellationen zwischen Natur und Kultur, zwischen Mensch und Maschine
machbar werden lassen, als man bisher zu denken wagte. Die In-Frage-Stellung muß dabei keine
Absage an „Urgesteine“, wie den Humanismus, die Idee der Freiheit oder die Menschenwürde sein, im
Gegenteil sie könnten hieran wachsen. Dafür aber ist es notwendig, die alten Werte mit den neuen
Möglichkeiten zu vergleichen und sie gemeinsam zu diskutieren. Soziale Arbeit muß an diesem
1Der Begriff „Soziale Arbeit“ subsumiert im Folgenden die Bezeichnungen „Sozialarbeit“ und „Sozialpädagogik“. Eine inhaltliche Unterscheidung der beiden Richtungen nehme ich nicht vor, da ich eine solche mindestens in der Praxis für nicht durchhaltbar und auch nicht sinnvoll erachte.
1
Prozeß besonders interessiert sein, ist sie doch die Profession, deren Feld die sozialen Beziehungen
und das Zusammenleben der Menschen in allen Aspekten ist. Soziale Arbeit ist nicht nur - als
gesellschaftliche Institution - in ihrer Akzeptanz und in ihren Handlungsmöglichkeiten von
Grundsatzentscheidungen dieser Art abhängig, sondern darüber hinaus aktiv mit der Ausgestaltung,
Pflege und Wiederherstellung sozialer Beziehungen beschäftigt. Sie hat sich folglich die Frage zu
stellen, welche Zielvorstellung sie bei dieser Aufgabe künftig leiten wird. Wie sehen zukunftsfähige
soziale Beziehungen aus, welche Kompetenzen benötig der/ die Einzelne und welche Bedingungen
müssen durch gesellschaftliche Institutionen geschützt werden?
Die zweite Frage, die diesen Beitrag initiierte, betrifft die Profession Sozialer Arbeit in ihrer Struktur
und ihrer Problematik als einer vermeintlichen Institution für die Rand- und Elendszonen die immer
wieder als das soziale Gewissen der ansonsten kapitalistisch-ökonomisch orientierten Öffentlichkeit
dienen soll. Es ist kritisch zu fragen, ob in der Sozialen Arbeit nicht bis heute versäumt wurde, nach
Verabschiedung der karitativen Intension der Anfangszeit, hinsichtlich der handlungsleitenden
Zielvorstellungen deutlich Stellung zu beziehen und sich damit die Möglichkeit zu schaffen als eine
eigenständige Profession mit Engagement und eigenen Ideen sowie einem klaren gesellschaftlichen
Auftrag aufzutreten. Hinderlich für ein derartiges Auftreten war und ist der Profession dabei sicherlich
ihre Zersplitterung in verschiedenste Arbeitsbereiche, die sich teils in Zielgruppen, Zielvorstellungen
sowie Anforderungen an die Professionellen, aber auch hinsichtlich gesellschaftlicher Anerkennung
und Unterstützung stark unterscheiden. Als notwendig wurde deshalb bereits vor einigen Jahren eine
identitätsstiftende Berufsethik erachtet, die wie eine Klammer die pluralen Felder des Berufs
zusammenfassen und auf eine gemeinsame Grundlage stellen sollte. Eine Berufsethik ist jedoch nicht
zu denken ohne eine umfassende Theorie Sozialer Arbeit. Erst auf dem Boden eines von allen
geteilten Verständnisses Sozialer Arbeit lassen sich einzelne Probleme und Wertkonflikte
berufsethisch sinnvoll diskutieren2. Der folgende Beitrag soll dieser, für die Zukunft Sozialer Arbeit so
notwendigen Theoriediskussion neue Anregungen und Ideen liefern. Es soll dabei die ebenso schlichte
wie komplizierte Frage im Mittelpunkt stehen: „Worum geht es eigentlich immer in der Sozialen
Arbeit ?“.
Die Menschen, davon kann bei aller Vorsicht gegenüber generalisierten Aussagen ausgegangen
werden, möchten ihr eigenes Leben in aller Regel als ein gutes und glückliches erfahren und begreifen
können. So konstatierte bereits Aristoteles, es käme für jeden darauf an, sein Leben so zu führen und
zu wählen, daß am Ende die eudaimonia, welche in der Regel mit „Glückseligkeit“ oder allgemeiner
dem „Gedeihen“ übersetzt wird, steht. Die Glückseligkeit ist für ihn dabei Zweck an sich und der
2vgl. Schneider, Johann (1999): Gut und Böse - Falsch und Richtig, Frankfurt a.M., S. 164. Schneider definiert hier als eines der Probleme der von den Berufsverbänden aufgestellten Ethikkodes, daß ohne einen umfassenden theoretischen Kontext „die Einzelgebote und -verbote merkwürdig blaß und abstrakt, d.h. aber auch wirkungslos, bleiben müssen.“ (164).
2
Endpunkt aller Erklärungsketten. Geteilt wird diese Auffassung von Epikur welcher in seinem
„Lehrbrief an Menoikeus“ davon spricht, es gelte „unseren vollen Eifer dem zuzuwenden, was uns zur
Glückseligkeit verhilft; denn haben wir sie, so haben wir alles, fehlt sie uns aber, so setzen wir alles
daran, sie uns zu eigen zu machen“3. Selbst Immanuel Kant stimmt zu, daß das Verlangen der
Menschen glücklich zu sein, als ein wesentlicher Grund für sein Handeln und Begehren ernst
genommen werden müsse und Robert Spaemann beschreibt das Gelingen des Lebens, dies ist seine
Übersetzung der eudaimonia, als ein nicht ausgedachtes, sondern immer schon vorgefundenes Ziel des
menschlichen Existierens, für dessen Ablehnung es kein Motiv geben kann4.
Berücksichtigt und respektiert man diese Sehnsucht jedes Menschen nach einem guten, gelingenden
und glücklichen Leben läßt sich zu Recht fragen, ob sich Soziale Arbeit überhaupt denken ließe, ohne
eine Vorstellung von und eine Orientierung an einem guten Leben5. Läßt sich nicht konsequenterweise
die These aufstellen, jeder Einsatz Sozialer Arbeit diene dem Zweck, einzelne oder Gruppen (wieder)
auf den Weg zu einem Leben zu bringen, welches sie bejahen und welches sie als zufriedenstellend
und glücklich empfinden können? Die Form und Möglichkeiten dieses Weges aber sind das ureigenste
Thema der Lebenskunst von der Antike bis zur Postmoderne. Ist also Soziale Arbeit
Lebenskunstarbeit? Könnte eine Theorie des guten Lebens und damit verbunden der Kunst gut zu
leben als existentieller Fähigkeit der Kern der Profession sein, auf welchen alle ihre theoretischen und
praktischen Elemente letztlich hinweisen? Doch ist es überhaupt möglich sich über eine konkrete
Theorie des guten Lebens im Kontext sozialpädagogischer/ sozialarbeiterischer Theorie und Praxis zu
verständigen? Ist es nicht anmaßend und paternalistisch Verbindliches über Glück und ein Gelingen
des Lebens festhalten zu wollen? Kann und darf sich Soziale Arbeit auf ein Fundament stützen,
welches sich aus den privatesten und fragilsten Bereiche des individuellen Lebens zusammensetzt?
Um diese Fragen zu beantworten ist es notwendig, etwas tiefer in die Debatte um die Idee des guten
Lebens einzusteigen, in deren semantischem Raum sich auch Fragen nach Glück, Sinn, Erfüllung,
Gedeihen, Zufriedenheit, Moral, Sittlichkeit, Tugend und anderem auftun.
2. Schöner Leben im 21. Jahrhundert
Ein Blick auf die verbreiteten Alltagsvorstellungen in den hochindustrialisierten, postmodernen6
Kulturen von dem, was ein gutes Leben ausmacht, zeigt, daß diese sich ausdrücklich nicht eignen, um
auf ihnen eine Soziale Arbeit zu begründen. Zu sehr ist das Streben nach Glück und Zufriedenheit hier
dominiert von egozentrischen „Privatethiken“ nach welchen Glück im Übertrumpfen oder - auf Kosten
von Mitmenschen und Umwelt - im eigenen Erleben gesucht, beziehungsweise durch Lebensprojekte
gleich einem Manöver geplant wird und dies insbesondere durch Aufstieg in der Besitz-,
3zit. nach Wieland, W. (Hrsg.) (1978): Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung - Antike, Stuttgart, S. 319 4vgl. Spaemann, Robert (1989): Glück und Wohlwollen, Stuttgart, S. 21 5Diese Frage wurde von Albert Mühlum (1998) in seinem Text Das Ethos der Sozialen Arbeit in der Berufsordnung, in der Ausbildung und im Diskurs der Profession aufgeworfen. Der Text ist zu finden unter: http://www.fh-fulda.de/dgs/mit16.htm 6Der Begriff „Postmodern“ soll hier nicht auf einen Epochenwandel hinweisen, sondern ist als ein Strukturbegriff im Sinne Lyotards zu verstehen, welcher eine radikale Pluralität der Gesellschaft kennzeichnet.
3
Einkommens- und Prestigehierachie. Diese Bestrebungen gehen einher mit dem, was Norbert Bolz das
„Glückszwangangebot eines Feel-Good-State“7 nennt, eine gesellschaftlich verordnete Glückspflicht,
die auf dem Glauben an vermeintlich vielfältige Zugängen zu Glück für jeden begründet ist und
Unglück als persönliches Versagen interpretiert wissen will. Aus diesen Konstellationen erwachsen
nicht selten individuelle Ängste und Überforderungen, welche die Sehnsucht nach einem guten Leben
zu einem Alptraum aus Konkurrenzdruck, Zeitknappheit und wahnhaftem Streben werden lassen.
Wahres Glücksempfinden, welches das dauerhafte Gefühl des Gelingens des Lebens und das
verweilende Staunen angesichts der Erfahrung zufälligen und augenblicklichen Glücks impliziert,
wird verdrängt und ersetzt durch ein „abruptes Geschehen ohne Hinführung und Erinnerung, in dem
ein Stück Himmel oder Ewigkeit mit den Händen auf die Erde zu reißen ist.8“
Die Situation mutet bedenklich an, wenn man sich klar macht, daß die menschliche Sehnsucht nach
einem guten und glücklichen Leben wesentliche Orientierung für sein Denken und Handeln ist und
auch sein soll, gerade in einer durch postmoderne und individualisierte Strukturen oftmals
orientierungslosen Gesellschaft. Es scheint also nicht nur im Kontext einer neuen Theorie Sozialer
Arbeit sondern auch im Interesse jedes Einzelnen angezeigt, sich einmal der Suche nach einer
konkreten und vertretbaren Theorie des guten Lebens zu widmen. Nun wird dies in aller Regel
vermieden, da das Glück und seine Verwandten seit längerem ausdrückliche Privatsache sind. Im
Angesicht der Herausforderungen unserer Zeit scheint es mir jedoch nicht angebracht, die Frage „Wie
sollen wir leben? / Was ist gutes Leben?“ im kollektiven und öffentlichen Diskurs deshalb gänzlich
unthematisiert zu lassen. So ist auch Jürgen Habermas der Auffassung, daß „die eugenische
Herausforderung [...] uns heute die ethische Grundfrage, wer wir sind und sein möchten, auf einer
anderen Ebene, sozusagen in anthropologischer Allgemeinheit auf[drängt]9“ und nicht mehr auf die
Lebensführung einzelner beschränkt bleiben kann. In diesem Zusammenhang erscheint die Frage nach
der Beschaffenheit guten und glücklichen Lebens als ein wesentliches gesellschaftliches Interesse mit
dem Ziel auf dieser Grundlage eine Ethik zu entwerfen, die die freiheitliche und friedliche Basis der
Gesellschaft schützt und stärkt sowie angesichts der beständigen Veränderungen und
Verunsicherungen das Streben nach gutem Leben als Navigationsinstrument positiv einzusetzen
vermag.
3. Lebenskunst als gesellschaftlicher Auftrag
Aufgrund der Komplexität unserer Welt ist es mit moralischem Sollen längst nicht mehr getan. Wie
Rafael Capurro fordert, muß dem „Prinzip des Lebenssollens [...] [das] des Lebenskönnens und des
Lebenswollens beigesellt werden10“. Dabei meint das Prinzip des Lebenskönnens die Aneignung von
Kompetenzen und Fähigkeiten für eine verantwortliche Lebensführung, welche um die Notwendigkeit
7Bolz, Norbert (1997): Die Sinngesellschaft, Düsseldorf, S.13 8Mührel, Eric (2000): Sinnhilfe in einer gespensterhaften Welt, in: Zeitschrift Erwachsenenbildung, Bd. 3/ 2000 9Habermas, Jürgen, zit. nach Assheuer/ Jessen (2002): Auf schiefer Ebene, in: Die Zeit Nr.5 vom 24.01.2002, S. 34 10Capurro, Rafael (1995): Leben im Informationszeitalter, Berlin, S.36
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von Reflexion und Begründung eigener Handlungen weiß. Eine solche Lebensführung des Einzelnen
ist nicht nur in Zeiten der Globalisierung - mit allen ihren, auch negativen, Konsequenzen - und des
neuen (religiösen) Fundamentalismus für die Arbeit an einer friedlichen Weltgesellschaft notwendig,
sondern wie Peter Zima und Jürgen Wertheimer in ihrem Buch Strategien der Verdummung darstellen,
bereits für den Fortbestand der Demokratien und eine Verteidigung der Kultur gegen
Verdummungsstrategien mittels derer ein manipulierbarer und marktgerechter Konsument geschaffen
werden soll11.
Der Begriff des Lebenswollens zielt im Kontext einer neuen Ethik auf die These, daß Menschen die ihr
eigenes Leben bejahen und als glücklich empfinden, in sehr viel größerem Ausmaß bereit und fähig
sind an der Gestaltung der Welt positiv teilzunehmen und ihre eigenen Handlungen zu verantworten,
als Menschen die sich vom Schicksal benachteiligt fühlen. Es ist evident, daß eine andauernde
Erfahrung von Unglück und Machtlosigkeit bezüglich des eigenen Lebensweges, Haß und Neid
gegenüber den Menschen forciert, denen vermeintlich ein glücklicheres Leben vergönnt ist, und daß
hiermit die Bereitschaft sinkt, aufmerksam für die Interessen und Belange des Anderen zu bleiben12.
Den Zusammenhang zwischen persönlichem Glück bzw. Wohlbefinden und prosozialem Verhalten13
haben u.a. Peter Schwenkmezger und Andrea Abele in dem Buch Wohlbefinden empirisch untersucht.
Dabei wurde deutlich in welcher Weise glücklich zu sein positive Auswirkungen auf das Denken und
Handeln der betreffenden Person hat. Glück und Wohlbefinden korrelieren danach u.a. mit
Soziabilität, emotionaler Stabilität und Selbstbewußtsein, mit größerem Engagement in sozialen
Aktivitäten, mit Hilfs- und Kooperationsbereitschaft und mit positiveren Einstellungen und Urteilen
(gegen)über Mitmenschen und der Welt14.
Leben zu wollen äußert sich in einer Sorge und einem Bemühen um sich selbst und das Leben. In
seinem Text Technologien des Selbst erinnert Michel Foucault an verschiedene Formen und Methoden
der Selbstgestaltung und Selbstsorge in der Antike und dem Mittelalter und weist dabei mehrfach auf
die direkte Verbindung von Selbstsorge und politischem Handeln im antiken Griechenland hin. So
wird z.B. in Platons Verteidigung des Sokrates deutlich, daß ein Bemühen um sich selbst, ein
11vgl. Wertheimer, J./ Zima, P. (Hrsg.) (2001): Strategien der Verdummung,, München, insb. S. 58 ff 12Eine solche Entwicklung hat z.B. Eckhart Schiffer in seinem Buch Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde im Blick, wenn er Möglichkeiten zur Entwicklung von Eigensinn, Phantasie und poietischer Aufsässigkeit, verstanden als das schöpferische Gestalten des eigenen Lebens und der Umwelt im Kontrast zu fremdbestimmten Zwecken, als Voraussetzungen dafür beschreibt, sich gegenüber sich selbst und Anderen verantwortlich zu verhalten. Wo diese Möglichkeiten nicht bestehen, so Schiffer, entstehen Öde und Langeweile, die nicht nur Vorstadien süchtigen Verhaltens darstellen, sondern auch blind machen, für die Anliegen des Anderen. Vgl. Schiffer, E. (1999): Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde, Weinheim 13Als prosoziales Verhalten kann hier verstanden werden. „Handlungsweisen, die in erster Linie motivational am Wohl einer/s einzelnen Anderen, einer Gruppe und/ oder der Umwelt orientiert sind und diesem/ dieser dienen. Dabei nehmen Handelnde zumindest zum Teil eigene Anstrengungen zu Gunsten der Adressaten in Kauf.“ (Buchkremer et al, 2001, 28). Zum Begriff und zur Geschichte prosozialen Verhaltens vergleiche den ersten Teil der Buchreihe „Versuchung zum Guten“ von Buchkremer et al (2001), Aachen. Die Autoren gehen hier den Fragen nach, ob Menschen wissen, was gutes Handeln ist und wie sie dieses Wissen im Laufe der Geschichte in Staatsanschauungen, Staatstheorien und Gesellschaftslehren umzusetzen versuchten. 14vgl. Abele, A.: Auswirkungen von Wohlbefinden (S. 297-325); und Schwenkmezger, P.: Persönlichkeit und Wohlbefinden (S. 119-137), beide in: Abele/ Becker (Hrsg.) (1994): Wohlbefinden, Weinheim
5
Bemühen um die Stadt und die Polis mit sich bringt bzw. impliziert15. Die Auffassung ein Gelingen
des eigenen Lebens erhöhe die Möglichkeiten einer Sorge um die Gemeinschaft, läßt sich auch bei
dem Identitätsforscher Heiner Keupp finden. Dieser hält eine gelingende Identität für „eine balancierte
Variante des gut geführten, des erfüllten Lebens16“ und konstatiert, sie umfasse Kompetenzen wie
technologische und ökologische Kompetenz, Gerechtigkeitskompetenz, historische Kompetenz und
zivilgesellschaftliche Kompetenz. Zusammengenommen ermöglichen diese dem Einzelnen - verkürzt
formuliert - technische, ökologische und gesellschaftliche Prozesse kritisch zu betrachten,
Ungerechtigkeiten festzustellen, durch Erinnerung an Alternativen Phantasien der Besserung zu
entwerfen und sich souverän zu engagieren.
Die Argumentation legt, wie ich meine, nahe, dem Lebenswollen des Einzelnen, folglich seinem
Glück und gelingenden Leben, als einem auch gesellschaftlichen Interesse größere Aufmerksamkeit zu
schenken. So verweisen nicht nur die Pflichten gegenüber den Mitmenschen und der Erde, nicht nur
die Notwendigkeit von Fähigkeiten zum Leben, sondern auch die Bejahung der Sehnsucht nach Glück
auf eine Theorie des guten Leben als Zentrum einer möglichen Ethik des 21. Jahrhunderts.
4. Eine Theorie des guten Lebens
Was jedoch ist ein gutes Leben? Ist es möglich hier ein allgemeingültiges und konkretes Verständnis
zu formulieren, welches die Rolle als Navigationsinstrument durch alle Entscheidungen und Konflikte
des Lebens übernehmen kann, gleichzeitig aber der Verschiedenheit der Menschen und der Freiheit
ihrer Selbst- und Lebensgestaltung gerecht wird?
Der Suche nach einer Antwort auf diese Fragen widmet sich Martin Seel in seinem Buch Versuch über
die Form des Glücks17. Er entwickelt hier eine formale Glückstheorie, welche nicht festzulegen
versucht, wonach Menschen in ihrem Leben (inhaltlich) zu streben haben, damit es als gelungen
bezeichnet werden kann, sondern welche vielmehr eine Haltung des Menschen zu sich und der Welt
vorschlägt, die einem guten Leben förderlich ist, weil sich durch sie eine aussichtsreiche
Lebenswirklichkeit erschließen und Glück erfahren läßt.
Als personale Lebewesen mit Zeit- und Selbstbewußtsein können Menschen zu ihrem Wünschen und
Wollen Distanz nehmen und es reflektieren. Diese Stellungnahme und dieser Bezug zu den eigenen
Wünschen macht zum einen die Glücksfähigkeit der Menschen aus und erlaubt zum anderen die
Ableitung eines wesentlichen Aspekts des guten Lebens: Wenn Menschen zu ihren Wünschen und
ihrem Leben wertend Stellung nehmen können, dann ist offensichtlich, daß sich zumindest einige der
wesentlichsten Wünsche erfüllen müssen, damit das Leben als gut bewertet werden kann. Zu diesem
Zweck ist es sinnvoll, die eigenen, selbstbestimmt - im Gegensatz zu vorgegebenen Zielen - und auf
Basis der Vernunft gewählten Wünsche in Lebenskonzeptionen und -plänen zu ordnen und sie auf
15vgl. Foucault, Michel: Technologien des Selbst, in: Ders. et al (1993): Technologien des Selbst, Frankfurt a.M., S. 29 16Keupp, Heiner (1999): Identitätskonstruktionen, Reinbeck, S. 275 17Seel, Martin (1999): Versuch über die Form des Glücks, Frankfurt a.M.
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diesen Wegen aktiv anzustreben. Als ein gutes Leben erscheint dann eines, in dem das Subjekt des
Lebens immer wieder auf gutem Weg ist, seine Lebenspläne sukzessiv zu erfüllen und in dem es so
das übergreifende Glück des Gelingens des Lebens erfährt.
Die aktive und selbstbestimmte Verfolgung von Lebenszielen ist ein wesentlicher Aspekt eines guten
Lebens, der jedoch für sich genommen, die Bandbreite eines glücklichen Lebens verfehlt. Denn neben
dem übergreifenden Glück eines im Ganzen gelingenden Lebens existiert eine zweite Form des
Glücks, welche durch rationale Lebenskonzeptionen weder angestrebt, noch initiiert werden kann. Es
ist das zufällige Glück erfüllter Augenblicke, welche Martin Seel Augenblicke erfüllter Freiheit nennt,
da sie das „zukunftsorientierte Wünschen auf eine unvorhersehbare Weise übersteig[en] 18“ und damit
die eigene Freiheit zur Wahl und Veränderung betonen. Ein gutes Leben ist folglich ebenso eines,
welches abseits jedes Strebens in vielen Momenten erfüllter Gegenwart steht und für die hierin zu
machende Erfahrung offen bleibt.
Eine Form der Lebensführung, die beiden Begriffen des Guten gerecht wird und somit ein in ganzer
Breite gutes Leben kennzeichnet, ist ein Leben, welches im Modus freier und weltoffener
Selbstbestimmung geführt wird. Die Betonung der Selbstbestimmung als freie weist dabei auf einen
bestimmten Gebrauch der Selbstbestimmung hin, nämlich die Beachtung der Prämisse, bei allen
Wahlen und Entscheidungen auch den zukünftigen Spielraum einer Selbstbestimmung zu wahren.
Dadurch wird es möglich, eigene Lebenspläne selbstbestimmt zu entwerfen und zu verfolgen, sich von
diesen aber nicht fesseln zu lassen, sondern für Zufälle und erfüllte Augenblicke offen zu bleiben, da
erster Zweck jeder Handlung und Entscheidung nicht das Streben nach Zielen, sondern die
Selbstbestimmung selbst bleibt, welche eine Abweichung von den gefassten Plänen erlaubt.
Das Paradigma der freien, weltoffenen Selbstbestimmung als Zentrum einer Ethik des guten Lebens ist
keine neue Version des Individualismus oder eine Legitimation von Lebenswettkämpfen nach dem
Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“. Im Gegenteil, von egozentrischen Versuchen ein gutes
Leben zu kreieren läßt sich die hier vorgestellte Theorie klar abgrenzen, sobald der Begriff der
weltoffenen Selbstbestimmung näher definiert wird. Gelingende Selbstbestimmung ist das
Selbstverhältnis eines ´gut Lebenden´ und als solches gekoppelt an ein Weltverhältnis, die
„Weltoffenheit“. Unter dem Begriff Selbstbestimmung ist zunächst die Fähigkeit zu verstehen,
pragmatisch zu überlegen und auf Grundlage dieser Überlegungen zwischen Handlungs- und
Lebensalternativen zu entscheiden, sie gegebenenfalls zu modifizieren, zu bewerten und auf sie zu
reagieren. Damit ist bereits deutlich, daß Selbstbestimmung nur auf dem Horizont einer mit Anderen
geteilten Welt möglich ist: Die gemeinsame Kultur der Individuen stellt die Perspektiven und
Alternativen bereit, die von einer selbstbestimmten Lebenspraxis aufgenommen und in ihr fortgeführt
werden können. Selbstbestimmung ist folglich als Antwortfähigkeit auf die Lebenswelt des
Individuums zu verstehen und erst in Konfrontation mit einer intersubjektiven Welt kommt ihr die
Bedeutung zu, ein Zeichen von Kompetenz zu sein, nämlich eigene Antworten geben zu können. Hier
18Seel, Martin (1999): a.a.O., S. 177
7
wird deutlich, warum Selbstbestimmung nur dann gut gelingen kann, wenn sich das Subjekt des
Lebens gegenüber der Welt offen verhält: Die Erschließung aussichtsreicher Lebensmöglichkeiten,
verstanden als Spielraum, in dem das eigene Leben als Antwort auf die Gegebenheiten des Lebens
geführt werden kann, gelingt umso besser, je größer die Offenheit gegenüber den Möglichkeiten, die
die Welt bietet, ist. Damit ist nicht nur gemeint, neuen Möglichkeiten gegenüber unvoreingenommen
zu sein, sondern auch, sie entdecken und erschließen zu können sowie sie zu nutzen wissen.
Es ist offensichtlich, daß eine so verstandene Selbstbestimmung und Welterschließung nur gelingen
kann, wenn eine Wirklichkeit oder Lebenswelt für das Individuum vorhanden ist, die erstens antwortet
- d.h. Möglichkeiten vorhält und auf das Individuum reagiert - und zweitens dem Individuum in
diesem Antworten die Handlungsspielräume beläßt, die es für ein selbstbestimmtes Leben benötigt.
Daraus folgt, daß ein gutes Leben nicht nur individueller Kompetenzen und Anstrengungen bedarf,
sondern auch und gerade einer gesellschaftlichen Gewährleistung von Lebensmöglichkeiten, die
Selbstbestimmung, sowie die Erfüllung wesentlicher Wünsche und die Erfahrung erfüllter
Augenblicke fördern oder wenigstens zulassen. Als ein minimaler Konsens von solchen
Voraussetzungen des guten Lebens kann und muß aus diesem Grund verbindlich formuliert werden:
„Glück ist nur dort möglich, wo Menschen einigermaßen unbedroht und unbeengt, ohne (zuviel)
physischen Schmerz und ohne psychische Qual leben können.“19 Dies erfordert vor allem anderen
relative Sicherheit und relative Freiheit, worunter eine Situation zu verstehen ist, in der der Einzelne
nicht in beständiger Angst um sein Leben, seine Integrität und einfache soziale Zuwendung lebt und in
der er wenigstens so frei ist, daß er sein Wohlergehen in einen Bezug zu seinem Tun und Unterlassen
setzen kann, d.h. die Freiheit zu eigenen Entscheidungen besitzt.
Die hier vorgestellte Idee eines guten Lebens als einem „das sich - auch durch krisenhafte Zustände
hindurch - in der Verfassung eines selbstbestimmten Lebens hält oder immer wieder zur Form eines
solchen Lebens findet20“ wird nicht nur dem humanistischen Menschenbild21 gerecht, indem die
konkrete Ausgestaltung des Lebens und dessen, was glücklich macht in der Verantwortung und
Entscheidung des Einzelnen belassen wird, sondern auch der Wirklichkeit einer immer
widersprüchlichen und facettenreichen menschlichen Existenz, aus der sich Leid und Konflikte nicht
ausschließen lassen. Gerade in einer Zeit der „Glückspflicht“, eines oftmals unhinterfragten Planungs-
und Machbarkeitswahns und der Vision einer gentechnisch optimierten, schönen neuen Welt mit von
(aller) Krankheit und Tod befreiten Menschen, ist es notwendig im Kontext einer Theorie des guten
19Seel, Martin ( 1999 ): Versuch über die Form des Glücks, Frankfurt a.M., S. 87 20Seel, Martin (1999): a.a.O., S. 179 21Die humanistische Idee vom Menschen betont seine Freiheit als einem unbestimmten Wesen mit offenen Möglichkeiten, dessen Aufgabe eine Selbstschöpfung in Freiheit ist. Denn nach dieser autonomen Bestimmung kommt es im Gegensatz zu theologischen oder naturgemäßen Bestimmungen die das Wesen des Menschen als vorgegeben betrachten, darauf an ,was der einzelne Mensch auf Basis seiner Selbstbestimmung und -verantwortung aus sich macht. Erst ein solches Menschenbild ermöglicht von Lebenskunst und gutem Leben im hier vorgeschlagenen Sinne als ein mögliches Verhalten und eine mögliche
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Lebens zu bedenken, daß ein sogenanntes perfektes Leben ohne Krisen nicht nur eine Schimäre,
sondern auch eine „Metamorphose des Todes“22 ist.
5. Der Begriff der Lebenskunst
Die Vorstellung eines guten, als einem weltoffen und selbstbestimmt geführten Lebens, läßt sich in
idealer Weise mit dem Begriff der Lebenskunst ergänzen, wie ihn Michel Foucault mit der
Formulierung der Ästhetik der Existenz, sowie Wilhelm Schmid mit deren Weiterführung und
Verfeinerung geprägt haben. Die wechselseitige Ergänzung dieser Ideen eröffnet dabei die Chance,
einer mögliche Ethik des guten Lebens näher zu kommen, die sowohl die Sehnsucht des Einzelnen
nach Glück und Wunscherfüllung, als auch die Notwendigkeit von sozial und politisch kompetenten
und verantwortungsbewußten Bürgern ernst nimmt und beantwortet.
Unter Lebenskunst kann die Aneignung des eigenen Lebens durch ein Individuum mittels der
Selbstsorge und mit dem Ziel der Selbstmächtigkeit verstanden werden. Was heißt dies differenziert?
Für Wilhelm Schmid ist Lebenskunst das, was nach dem Scheitern der großen gesellschaftlichen
Utopien zur Beglückung des Menschen übrig geblieben ist. Das Projekt der Lebenskunst ist die
Rückbesinnung des Individuums auf sich selbst und auf seine Möglichkeiten der Aneignung und
Gestaltung des eigenen Lebens - dabei aber kein erstarkter Individualismus. Lebenskunst ist aus
diesem Grund zunächst die Anstrengung das eigene Leben bewußt und reflektiert zu führen, durch
eine unabschließbare Arbeit an der Gestaltung des Selbst und des Lebens, als einer uns nicht
vorgegebenen, sondern aufgegebenen Existenz.
Häufig ist Lebenskunst dem Verdacht ausgesetzt, zu einer ästhetischen Verklärung des Lebens
beizutragen und/ oder als „Luxusinstitution“ Menschen, denen es bereits gut geht, ein ästhetisch
verfeinertes, „schönes Leben“ zu ermöglichen. Daneben scheint Lebenskunst im alltäglichen
Sprachgebrauch besonders exotischen Lebensstilen vorbehalten zu sein, die man bewundert oder
belächelt, aber nicht selbst anstrebt. Beide Assoziationen sind falsch und haben doch einen wahren
Kern: Lebenskunst heißt tatsächlich sich ein schönes Leben zu machen, aber nicht durch ästhetische
Verklärung oder materiellen Überfluß, sondern im Sinne dieser Arbeit am Selbst, am eigenen Leben
und dem Leben mit anderen mit dem Ziel ein für alle bejahenswertes Leben zu schaffen. Lebenskunst
ist in seiner vollen Ausprägung dabei etwas, das wir in aller Regel als Mangel wahrnehmen, was uns
fehlt, nicht zuletzt aufgrund struktureller Hindernisse. Insofern ist ein(e) echte(r) LebenskünstlerIn
tatsächlich ein(e) ExotIn.
Die Arbeit an sich selbst und seinem Leben, die die Lebenskunst auszeichnet, wird initiiert und
geleitet durch die Selbstsorge (epimelesthai sautou). Diese ist nach Michel Foucault eine Selbstkultur
die sich in praktischem Handeln und nicht nur in einem Habitus verwirklicht. Sie ist kein Ausdruck für
Haltung des Mesnchen sprechen zu könne. Vgl. zum humanistischen Menschenbild z.B. die Abhandlung des Renaissance- Philosophen Pico della Mirandola Über die Würde des Menschen (1997, Stuttgart, Reclam). 22Assheuer, Thomas ( 2002 ): Den Tod besiegt, das Leben vergessen, in: Die Zeit Nr. 14 vom 27.03.2002, S. 42
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Selbstverliebtheit oder Egozentrik, sondern eine Formel für all die Praktiken, Techniken,
Wissensbestände und Aufmerksamkeiten, mit denen das Selbst sich konstituiert und gestaltet23. Die
Sorge zeichnet darüber hinaus aus, daß sie nicht am Individuum und dessen Bemühen um sich
verhaftet bleibt, sondern ein vorausschauendes und kluges Denken und Handeln in allen Kontexten
bedeutet. Damit überschreitet sie die momentane Existenz und das einzelne Subjekt hin zu einer Arbeit
an der ganzen Kultur und der Zukunft.
Die Selbstsorge umfasst immer auch die Sorge um den Anderen. Sorge tragen für den Anderen heißt,
aufmerksam auf ihn zu sein und die Arbeit der Sorge mit ihm gemeinsam zu betreiben, ihn bei seiner
Selbstgestaltung zu unterstützen und daran teilzuhaben; schließlich beinhaltet eine Sorge die den
Anderen miteinschließt auch, dessen Hilfe wahrzunehmen und anzunehmen und sich selbst umsorgen
zu lassen. So wie eine Selbstsorge ohne die Sorge um den Anderen nicht denkbar ist, so kann letztere
auch nicht auf die Bemühungen des Einzelnen um sich selbst verzichten. Denn die Unterstützung von
und Aufmerksamkeit für Andere setzt eine Stärke und Selbstmächtigkeit des betreffenden Subjekts
voraus, die ihm erlaubt sich selbst zur Sorge zu verpflichten und die Verantwortung zu tragen.
Selbstsorge dient folglich auch dazu, dem Anderen ein guter Gastgeber zu sein und für seine Anliegen
wach zu bleiben24.
Nach Michel Foucault steht die Selbstsorge im Zentrum einer neuen, verantwortungsvollen Ethik des
Individuums, welche überholte Sollensethiken ablöst und auf das Fehlen einer übergreifenden Moral
antwortet. Diese Ethik beruht auf dem Anliegen, das eigene Leben nicht einem anonymen Sollen zu
überlassen, sondern sich gemäß der eigenen Wahl Form zu geben, sich selbst führen zu lernen und das
aufklärerische Postulat des Selberdenkens zu verwirklichen. Das Kernstück einer Ethik der
Lebenskunst ist die Selbstmächtigkeit des Individuums, als die Fähigkeit verstanden, die eigene
Existenz auf dem Horizont der, das Selbst durchziehenen, Strukturen zu verstehen, sowie diese
Strukturen und die Verstrickungen mit ihnen aufklären zu können. Sie dient der Entdeckung von
Ansatzpunkten für eigene Entscheidungen und Gestaltungsmöglichkeiten und schließlich der
Erlangung einer autonomen hermeneutischen Macht, die erlaubt das Leben auch anders zu deuten, als
es von heteronomen Mächten vorgegeben wird. Selbstmächtigkeit ermöglicht dem Subjekt des Lebens
eine zum Grad seiner Aufgeklärtheit relative Autonomie. Für Michel Foucault sind die Techniken der
Selbstgestaltung des Individuums mit dem Ziel der Erlangung von Selbstmächtigkeit eine „dringende,
politisch unerläßliche Aufgabe25“. Die modernen Massengesellschaften enthalten vielfältige,
übermächtige Techniken und Institutionen zur Beherrschung der Menschen, die Foucault in ihrer
Gesamtheit als Biomacht bezeichnet. Es sind solche Mächte, deren Ziel es ist, das Leben zu
normieren, zu disziplinieren, zu reglementieren und zu ihrem Objekt zu machen. Gegen diese
23vgl. Foucault, Michel (1993): Technologien des Selbst, Frankfurt a.M., S. 34 u. 37 und Schmid, Wilhelm (2000): Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, Frankfurt a.M., S. 245ff 24vgl. Mührel, Eric (2000): Sinnhilfe in einer gespensterhaften Welt, in: Zeitschrift Erwachsenenbildung, Bd. 3/ 2000 25Schmid, Wilhelm (2000): a.a.O., S. 257
10
Techniken der Biomacht gibt es keine andere Möglichkeit des Widerstands, als der Bezug auf sich
selbst und die engagierte Aneignung des eigenen Lebens, um für sich selbst sprechen zu können.
6. Lebenskunst und Profession
Die Förderung und der Schutz der Sorge als Methode der Aneignung des eigenen Lebens im Modus
der weltoffenen Selbstbestimmung erscheint mir, als eine Aufgabe zu der man sich berufen fühlt.
Berufen, oder angerufen durch die Sehnsucht des einzelnen Anderen nach einem guten Leben,
angerufen durch die Bedürfnisse einer Weltgesellschaft und berufen durch die Vision einer neuen
Ethik des Lebenswollens und Lebenskönnens.
Nach meiner Auffassung macht dieses Moment der Berufung den Begriff einer Profession, als
Zusammenschluß von Menschen mit demselben Beruf und als Institutionalisierung deren Handelns,
aus. Mit dieser Definition des Professionsbegriffs möchte ich mich aus der ebenso komplizierten, wie
undurchsichtigen Diskussion um die Begriffe „Profession“ und „Disziplin“ auf der
wissenschaftstheoretischen und berufssoziologischen Ebene heraushalten. Unabhängig davon, ob eine
Profession einem genuinen Aufgabenbereich zugehören muß, der von keiner anderen
gesellschaftlichen Institution bewältigt werden kann, unabhängig davon ob Profession „ein Beruf
besonderer Dignität26“ ist oder einfach das Ergebnis funktionaler Ausdifferenzierung, unabhängig
davon ob und in welchem Ausmaß eine Profession eigenes Handlungswissen, Forschung und Theorie
besitzen muß, möchte ich Soziale Arbeit hier als Profession verstehen, weil sie die Antwort auf den
Anruf Einzelner oder Gruppen ist27.
Professionelle soziale ArbeiterInnen sind tätig für die Rechte der Anderen und verwirklichen in ihrem
Handeln die Prinzipien der Achtung der Würde des Anderen und seines Menschseins. Nach dem
Deutschen Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e.V. (DBSH) ist
Soziale Arbeit mit dieser Ausrichtung „die Institution der beruflich geleisteten Solidarität mit
Menschen, insbesondere mit Menschen in sozialen Notlagen.28“ Oben wurde im Rahmen des
Lebenskunstbegriffs der Begriff der Sorge für den Anderen thematisiert. Wenn Berufung und
Solidarität wie die Arbeit für das Recht des Anderen Soziale Arbeit ausmachen, was läge dann näher
als die Sorge um den Anderen im Rahmen einer über den/ die soziale(n) ArbeiterIn hinausgehende
Selbstsorge, als das berufliche Prinzip schlechthin zu begreifen? Die Sorge für den Anderen kann, auf
Basis wohl verstandener Aufmerksamkeit für Nöte und Unterstützungsbedarf, den Charakter einer
beruflichen Befähigungshilfe zu einem selbstbestimmten Leben annehmen. Berufliche Beziehungen in
der Sozialen Arbeit könnten verstanden werden als Bewußtwerdungsprozesse der Möglichkeiten der
26Mühlum, Albert (ohne Jahreszahl): Vorüberlegungen für eine Positionsbestimmung der DGS, http://www.fh-fulda.de/dgs/ sozarbwi.htm, S.5 27vgl. Haupert, Bernhard ( 2000 ): Wider die neoliberale Invasion der Sozialen Arbeit, in: Neue Praxis, 6/ 2000, S. 562, 566 und Hundeck, Markus ( 2001 ): Durchbrochene Kontingenz und verdankte Existenz als Perspektiven Sozialer Arbeit, http://www.sozialarbeitswissenschaften.de, S. 16ff 28DBSH ( ohne Jahreszahl ): Berufsethische Prinzipien des DBSH, Essen, S. 12
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eigenen offenen Existenz, bei denen die professionell Tätigen ihre eigene Offenheit und ihre eigene
Sorge den AdressatInnen leihen, um diese zur Selbstsorge, zur übergreifenden Gestaltungsarbeit und
wiederum zur Sorge um Andere zu befähigen29.
Soziale Arbeit als Arbeit der Sorge würde reflektierte Arbeit an sich selbst, Befähigungshilfe für den
hilfesuchenden Anderen und kritisch-hermeneutische, sowie verändernde Arbeit an der Kultur und der
Gesellschaft umfassen. Dies wäre nach meiner Auffassung sowohl eine echte Herausforderung als
auch eine echte Chance für eine Profession, die sich notorisch in Identitäts- und Rechtfertigungskrisen
befindet. Ist es also möglich und richtig Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession zu bezeichnen?
7. Soziale Arbeit und das gute Leben
Im Beruf der Sozialen Arbeit tätig zu sein bedeutet „ressourcenerschließende, erziehende, beratende,
bildende, partizipations-fördernde, sozial vernetzende, ermächtigende, alltagsbegleitende, pflegende,
betreuende, verwaltende, organisierende und auswertende30“ Arbeit im Schnittfeld der drei - den Beruf
charakterisierenden - Felder Bildung und Sozialisation, Soziale Probleme sowie Menschen- und
Soziale Rechte zu leisten. Soziale Arbeit wird herausgefordert bzw. notwendig durch soziale Probleme
für welche sie Strategien der Prävention, der Bewältigung und der Lösung entwickelt sowie anwendet.
Dabei greift sie in Sozialisationsprozesse der Menschen ein, indem sie Lern- und Bildungsprozesse
fördert und/ oder selbst initiiert. Ihre Konzepte und Methoden basieren auf sozialen Rechten und
Menschenrechten, deren Umsetzung und Einforderung ebenfalls zu ihren Aufgaben gehören.
An dieser Standortbestimmung Sozialer Arbeit werde ich mich im Folgenden orientieren, da sie eine
sehr allgemeine und - wie ich meine - konsensfähige Grundlage bietet, auf der die These einer
Sozialen Arbeit als Lebenskunstprofession erörtert und begründet werden kann. Dafür werde ich zu
zeigen versuchen, daß sich in allen drei, der oben genannten, charakteristischen Felder Sozialer Arbeit
eine grundsätzliche Orientierung an dem Begriff des guten Lebens als möglich und als günstig erweist,
bzw. bereits ein Einfluß des Lebenskunstbegriffs besteht.
7.1. Soziale Probleme
Soziale Arbeit ist eine gesellschaftliche Institution deren gesellschaftlicher Auftrag in der
Wahrnehmung, Veröffentlichung und Lösung sozialer Probleme besteht. Solche Probleme entstehen
dann, wenn sich eine (wachsende) Zahl von Menschen in einer gemeinsamen, problematischen Lage
befinden, die daraufhin von Betroffenen, Politikern, Wissenschaftlern oder anderen als
gesellschaftliches Problem definiert und als veränderungsbedürftig erkannt wird. Als klassische
soziale Probleme gelten z.B. Armut, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung oder sogenanntes „abweichendes
Verhalten“.
29vgl. Capurro, Rafael ( 2001 ): Face-to-Face oder Interface?, http://www.capurro.de/face.htm, S.3 30von Heiner u.a. zit. nach Bundesanstalt für Arbeit (1997): Blätter zur Berufskunde - Diplom-Sozialarbeiter/ Diplom-Sozialpädagoge ( FH ), Bielefeld, S.5
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Aufgrund der Strukturen postmoderner Gesellschaften, dies heißt insbesondere aufgrund der
Komplexitätssteigerung in der Lebenswelt der Menschen bei gleichzeitigem Verlust von
Orientierungshilfen, erscheint jedoch zunehmend bereits die Lebensführung und Alltagsbewältigung
an sich als soziales Problem. Einer zunehmenden Zahl Menschen scheinen die Kompetenzen und/ oder
Handlungsmöglichkeiten für eine sie zufriedenstellende Lebensgestaltung, d.h. für ein gelingendes
Leben im weitesten Sinn zu fehlen. Diese Situation der Unzufriedenheit und Hilflosigkeit forciert
weitere soziale Probleme - wie aggressives oder autoaggressives Verhalten, psychische Erkrankungen,
Kriminalität und ähnliches - die auch als Versuche der Kompensation oder problematische Formen des
Strebens nach einem eigenen Leben verstanden werden können.
Wie oben bereits beschrieben ist Soziale Arbeit gefordert, auf soziale Probleme mit der Entwicklung
und Anwendung von Präventions-, Bewältigungs- und Lösungsstrategien zu reagieren. Aus diesem
Grund entwickelte Hans Thiersch das Konzept der lebenswelt- und alltagsorientierten Sozialarbeit, die
als Antwort auf das Problem „Lebensführung“ einen gelingenderen Alltag ermöglichen sollte31.
Ähnlich wie Hans Thiersch fordert Rita Sahle „Lebensführung“ als das gesellschaftliche
Handlungsproblem zu begreifen, welches den Einsatz von professioneller Hilfe notwendig macht, die
über Forschung und theoriegestütztes Handlungswissen bezüglich der Möglichkeiten eines
erfolgreichen Lebens verfügt. Dabei verweist sie auch auf den, von mir bereits aufgegriffenen Aspekt
des gesellschaftlichen Interesses an einem gelingenden Leben des Einzelnen: „Während das
gescheiterte Leben lange als individuelle, als private Angelegenheit behandelt wurde, mag mit der
Steigerung der gesellschaftlich induzierten Anforderungen die Frage der Bewältigung zu einer
öffentlichen, einer sozialen Angelegenheit werden. In dem Maße, in dem sich ein Bewußtsein für die
gesellschaftliche Sprengkraft dieses Problems herausbildet, kann sich Soziale Arbeit als
professioneller Agent [...] für dessen Lösung/ Bearbeitung weiterentwickeln.“32 Um diese
Weiterentwicklung geht es mir hier. Dabei schlage ich vor, daß sie in der Entwicklung von Konzepten
der Hilfe und Unterstützung bezüglich des sozialen Problems „Lebensführung“ bestehen könnte, die
sich an der Theorie des guten Lebens ausrichten und dessen Förderung zum Ziel haben33.
Was bedeutet dies konkret für eine Sozialarbeit als Lebenskunstprofession?
31Zur Einführung vgl. Engelke, Ernst (1998): Theorien der Sozialen Arbeit,Freiburg i.B., S. 325-338 32Sahle, Rita ( ohne Jahreszahl ): Überlegungen zur Gegenstandsbestimmung Sozialer Arbeit, http://www.fh-fulda.de/dgs/ sozarbwi.htm 33Mit dem Aspekt der Lebensführung/ Lebensbewältigung und den Aufgaben Sozialer Arbeit in diesem Kontext beschäftigt sich auch die März/ April Ausgabe der Zeitschrift Blätter der Wohlfahrtspflege (2002, herausgegben vom Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg). Dies spiegelt eine aktuelle Rückbesinnung auf die alltäglichen Belange der Klienten als Ansatzpunkt und Herausforderung für Soziale Arbeit. Rita Sahle stellt in diesem Heft ihren oben bereits erwähnten Ansatz vor, bei welchem das aus der Soziologie stammende Konzept der alltäglichen Lebensführung „als Matrix für die Organisation des Bezugswissens zu einem transdisziplinären Beschreibungs- und Erklärungsmodell“ (a.a.O., S.49) für die Sozialen Arbeit vorgeschlagen wird. Da in diesem Ansatz eine gelungene Lebensführung als eine sichtbar gelungene Konstruktion eines Systems „Alltag“ verstanden wird aus dem die Tragweite von Emotionen/ Stimmungen (Zufriedenheit, Glück ect.) und subjektiven Sinndeutungen ausgeklammert bleibt, unterscheidet er sich jedoch stark von dem hier vorgeschlagenen Konzept einer Sozialen Arbeit als Lebenskunstprofession als Antwort auf das soziale Problem „Lebensführung“.
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Auf der Ebene der präventiven Begegnung des grundlegenden, sozialen Problems „Lebensführung“
ist eine Soziale Arbeit der Lebenskunst gefordert, durch Begleitung und Hilfe bei der
Lebensgestaltung und der Entwicklung von Lebensentwürfen prophylaktisch tätig zu werden und
durch die Förderung eines weltoffen selbstbestimmten Lebens, von Selbstmächtigkeit und Selbstsorge,
ein grundsätzliches Mißlingen des Lebens im Voraus zu verhindern. Dies schließt die Vermittlung von
Orientierungsvorschlägen und -hilfen die auf dem entwickelten Begriff des guten Lebens beruhen, die
Bereitstellung eines pädagogischen Schonraums in dem Lebensentwürfe in „Situationen des
existentiellen Probehandelns34“ getestet werden können, sowie die direkte Vermittlung von Wissen
und Kompetenzen bezüglich des guten Lebens mit ein. Grundsätzlich sorgt sich eine präventive
Soziale Arbeit, die sich als Lebenskunstprofession versteht, um den Schutz und die Wahrnehmung der
Möglichkeiten guten Lebens seitens aller Menschen. Insofern ist sie ein Angebot für jeden und nicht
auf die Arbeit mit Menschen in Rand- und Elendszonen beschränkt.
Konzepte der Bewältigung des sozialen Problems der Lebensführung sind in den Fällen notwendig,
in denen der Lebensentwurf von Einzelnen oder von Gruppen bereits gescheitert ist oder zu scheitern
droht und die Ressourcen der betreffenden Personen für eine selbständige Bewältigung der Situation
nicht mehr ausreichen. Die Ziele einer Sozialen Arbeit als Lebenskunstprofession müssen auf der
Ebene der Problembewältigung deshalb in der Widerherstellung der Handlungsmöglichkeiten des
Einzelnen, sowie seiner Fähigkeit den eigenen Lebensweg zu kontrollieren liegen. Hierzu kann eine
nachholende Bildung oder Resozialisation, die Befähigung zum Umgang mit Brüchen und
Widersprüchen im eigenen Leben oder die Befähigung zur Lösung und Emanzipation aus unnötigen
Abhängigkeiten dienen. Michael Winkler nennt diese Vorgänge, ´die Sicherung von Subjektivität´ und
bezeichnet sie in seiner Theorie Sozialer Arbeit als die genuine Aufgabe der Profession. Dabei ist er
der Meinung, daß Soziale Arbeit aufgrund der derzeitigen, gesellschaftlichen Strukturen die einzige
Institution ist, die „Subjektivität in allen Dimensionen noch verbürgen kann und verbürgen muß [...]
[indem sie einen Ort der] Selbstbewältigung der modernen Gesellschaften und ihrer
Folgeerscheinungen35“ vorhält. Nach meiner Auffassung kann gerade eine Soziale Arbeit die sich der
Förderung von Lebenskunst - im Sinne von Selbstmächtigkeit und einer Selbstsorge die über das
Individuum hinausgeht - widmet, diesen so notwendigen Ort der Bewältigung moderner
Gesellschaftsstrukturen, sowie der Rückbesinnung auf das Individuum, erfolgsversprechend
ausgestalten und anbieten.
Zur Bewältigung des sozialen Problems „Lebensführung“ sind alle Interventionen Sozialer Arbeit als
Lebenskunstprofession auf die schrittweise Befähigung zu einer weltoffen selbstbestimmten
Lebensführung, d.h. auf die Entwicklung eigener Lebenspläne in gelingender Antwortfähigkeit,
auszurichten. Als leitende Methode läßt sich von einer Klugheitserziehung sprechen, wie Wilhelm
Schmid sie in seinem Buch Philosophie der Lebenskunst vorstellt: Danach geht Klugheitserziehung
34Krawitz, Rudi ( 1996 ): Pädagogik statt Therapie, Bad Heilbrunn, S. 214 35Winkler, Michael: Modernisierungsrisiken, in: Rauschenbacher/ Gängler (Hrsg) (1992): Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft, Neuwied, S. 72
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von den Fähigkeiten und Ressourcen des Einzelnen aus um in angemessenen Schritten diesen
persönlichen Handlungshorizont im Hinblick auf das Ziel kluger und umsichtiger Lebensführung zu
erweitern36. Damit ist ein weiterer, wichtiger Aspekt einer Sozialarbeit als Lebenskunstprofession
angesprochen, nämlich die grundsätzliche Orientierung an den Fähigkeiten und den gelungenen
Lebenssituationen des einzelnen Menschen, im Gegensatz zu einer Fokussierung seiner Defizite.
Zur umfassenden Lösung sozialer Probleme muß Soziale Arbeit sich auf ihre
gesellschaftsverändernde und politische Kraft besinnen, ein Vorgang der in der Praxis nach meiner
Auffassung zusehends vernachlässigt wird. Dabei ist die Veränderung sozialer Verhältnisse und des
sozialen Verhaltens Einzelner im Hinblick auf die „Zielvorstellung einer auf Freiheit, Gleichheit,
sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und dem Abbau von überflüssiger Herrschaft begründeten
Gesellschaft37“ im Kontext sozialer Probleme ebenso ein gesellschaftlicher Auftrag wie die
Bewältigung des Problems auf individueller Ebene. Die Scheu sich zu einer solchen Vision einer
„besseren“ Gesellschaft zu bekennen und aktiv dafür einzutreten mag in der, von Silvia Staub-
Bernasconi festgestellten, falschen Bescheidenheit sozialer ArbeiterInnen begründet sein, die den
Vorwurf von Allmachtsphantasien und diffuser Allzuständigkeit fürchten und sich - anstelle der
Formulierung eigener Ziele - Themen und Konzepte von außen vorgeben lassen38. Unkonstruktiv ist
diese Haltung in jedem Fall. Zum einen bleibt Soziale Arbeit auf diese Weise eine Institution, die
„Trümmer wegräumt“ und politische, wie gesellschaftliche und ökonomische Fehlentwicklungen und
Fehlentscheidungen kaschiert. Zum anderen läßt sich das Ziel, Menschen ein gelingendes und gutes
Leben zu ermöglichen nur dann erreichen, wenn Soziale Arbeit auch bereit ist mit dem Wissen um
förderliche Umstände sowie Hindernisse eines guten Lebens, provokant und politisch engagiert
aufzutreten, um die notwendigen strukturellen Bedingungen zu fordern bzw. zu schützen. Soziale
Arbeit als die „Vertretung der Lebensrechte aller, vor allem der Zu-Kurz-Gekommenen, Hilflosen,
Unterprivilegierten und Schwachen [...] [muß auch] Stachel im Fleisch bestehender
Machtverhältnisse39“ sein. Eine Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession ist sich dieser
Herausforderung bewußt und engagiert sich auf Basis eines Selbstverständnisses - die
Lebenskunstarbeit - welches ihr hilft selbstbewußt aufzutreten und in Öffentlichkeit und Politik für
sich die Position zu erkämpfen, die sie zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigt.
7.2. Bildung und Sozialisation
Der Mensch kommt unfertig auf die Welt. Dies erfordert und ermöglicht gleichzeitig die Erziehung
des jungen Menschen im Hinblick auf seine kompetente Beteiligung an allen Dimensionen des Lebens
sowie dem Aufbau eines gelungenen, verantwortlichen, eigenen Lebensstils.
36vgl. Schmid, Wilhelm (1998): Philosophie der Lebenskunst, Frankfurt a.M., S.312 ff 37Bundesanstalt für Arbeit (1997): a.a.O., S. 9; vgl. auch IFSW (ohne Jahreszahl): Soziale Ausgrenzung und Soziale Arbeit in Europa, Copenhagen, S. 10 38vgl. Staub-Bernasconi, Silvia: Das fachliche Selbstverständnis Sozialer Arbeit, in: Wendt, Wolf (Hrsg.) (1995): Soziale Arbeit im Wandel ihres Selbstverständnisses, Freiburg i.B., S.63 ff 39Thiersch, Hans, zit. nach Engelke, Ernst (1998): Theorien der Sozialen Arbeit, Freiburg i.B., S. 334
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Dieser Erziehungsauftrag ist zu Anteilen in der Sozialen Arbeit institutionalisiert. Sie steuert und
gestaltet die Bildungs- und Sozialisationsprozesse des Menschen mit, indem sie eine pädagogische
Praxis - in Anlehnung an Rudi Krawitz soll hierunter das gesamte Spektrum von Erziehung, Bildung,
Sozialisation und Unterricht verstanden werden40 - vorhält, die Hilfe beim verantwortlichen
Erwachsenwerden leistet. Der Gegenstand der Pädagogik ist jedoch gerade in der Sozialen Arbeit, dies
sei hier ausdrücklich angemerkt, nicht auf die Begleitung Heranwachsender beschränkt, sondern
umfaßt auch die Arbeit mit Erwachsenen in nachholenden Lernprozessen, Prozessen des Umlernens
oder der Unterstützung bei Formen von Selbstbildung.
Eine Sozialarbeit als Lebenskunstprofession muß (und darf), aus mindestens drei Gründen, in allen
Dimensionen ihres Handelns und in allen Arbeitsfeldern ein besonderes Augenmerk auf die Bildung
des Menschen legen:
Zum Einen kommt sie hierdurch der wesentlichsten Aufgabe unserer Zeit nach, die in der Erziehung
gebildeter Menschen besteht, die sich in der Gesellschaft behaupten und kritisch-konstruktiv für
bessere Verhältnisse engagieren können. Wenn hierzu, wie Rudi Krawitz sagt, „eine pädagogische
Praxis notwendig [ist], in der den Heranwachsenden geholfen wird, individuell verlorengegangene
Orientierung zurückzugewinnen, neue hoffnungsvolle Utopien zu entwickeln, die weitere Verknappung
der „Ressource Sinn“ ( Habermas ) durch aktive philosophische Reflexion aufzuhalten und neue
ökologische und humane Lebensformen zu entwickeln, zu erproben und zu praktizieren41“, dann wird
deutlich, daß Soziale Arbeit mit der Orientierung der Lebenskunstförderung, sofern es ihr gelingt,
Leistungsaspekte aus Lernprozessen herauszuhalten, in besonderer Weise für die Umsetzung dieses
Bildungsziels prädestiniert ist.
Eine Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession muß an einer „Erziehung zum Guten42“ und zur
Mündigkeit festhalten. Ihre Bildungsprozesse dienen deshalb explizit der Befähigung zur Selbstsorge
und damit auch zur Sorge um Andere, sowie der Unterstützung bei der Erlangung und Gestaltung von
Selbstmächtigkeit und Freiheit. In diesem Sinne ist eine Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession eine
emanzipatorische Sozialarbeit - als gesellschaftskritischer Gegenentwurf zu einer Erziehung zur
Anpassung sowie Erziehungstechnologien die vorgegebenen Zwecken folgen - mit dem Ziel der
Unterstützung der Subjektwerdung des Menschen, d.h. einer selbstbestimmten und selbstbewußten
Lebensführung, der Immunisierung gegen Manipulation und Verführung sowie der Emanzipation aus
(unnützen) Abhängigkeiten43. Mit diesem Ansatz einer eigenständigen, pädagogischen Intension
emanzipiert sich Soziale Arbeit aus dem Image einer „Reparaturinstanz“ und verweigert sich
Aufträgen der reinen Kontrolle oder Disziplinierung.
40vgl. Krawitz, Rudi (1996): Pädagogik statt Therapie, Bad Heilbrunn, S. 229 41Krawitz, Rudi (1996): a.a.O., S. 220 42Liebau, Eckhart ( 1999 ): Erfahrung und Verantwortung, Weinheim, S. 151 43Für eine so verstandene, emanzipatorische Soziale Arbeit lassen sich wertvolle Konkretisierungen und Ansätze aus dem Konzept Subjektorientierter Jugendarbeit von Albert Scherr ableiten: Scherr, Albert (1997): Subjektorientierte Jugendarbeit, Weinheim
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Es versteht sich von selbst, daß das Ziel der Autonomie und Mündigkeit des Menschen in der
pädagogischen Beziehung selbst zum Ausdruck kommen muß. So ist ein dialogisches Verhältnis
zwischen den professionellen sozialen ArbeiterInnen und den AdressatInnen der Unterstützung die
grundsätzliche Basis einer Sozialen Arbeit als Lebenskunstprofession. Dies bedeutet, daß die
AdressatInnen an der Ausgestaltung der Lernprozesse immer teilhaben, daß Ziele und
Handlungsschritte im Dialog ausgehandelt werden und daß sie in argumentativen
Auseinandersetzungen „ihre eigene Grundhaltung im Wider-Spruch des Dialogs und im Wider-Stand
der Person und ihrer Haltungen sukzessiv aufbauen44“ bzw. verändern können.
Der zweite Grund für die besondere Fokussierung des Bildungsaspekts in einer Sozialen Arbeit als
Lebenskunstprofession besteht darin, daß Bildung als die Fähigkeit verstanden, sich in der Lebenswelt
verläßlich orientieren und aussichtsreiche Lebensmöglichkeiten erschließen zu können, eine
Grundvoraussetzung von Glücksfähigkeit und gutem Leben ist. Einer Sozialen Arbeit als
Lebenskunstprofession kommt folglich die Aufgabe zu, Menschen in Bezug auf Lebenwissen45 zu
bilden. Lebenwissen ist ein Wissen vom Leben, d.h. von seinen Strukturen und Dimensionen und ein
Wissen für das Leben, d.h. ein Wissen von den grundsätzlichen Möglichkeiten ein Leben gut zu
führen. Es ist dabei ein Konglomerat aus vorgefundenem, wissenschaftlichem Wissen, welches in den
eigenen Lebensentwurf einverleibt wurde und Erfahrungswissen, d.h. solchem welches durch eigene
Erfahrung sowie deren Reflexion gewonnen wurde. Eine Soziale Arbeit die ihre Aufgabe in der
Vermittlung von Lebenwissen sieht, muß folglich zum einen so weit es möglich und angemessen ist,
wissenschaftliches Wissen ausbreiten und anbieten und das „wählerische, rezeptive Heranziehen,
Aneignen und Einverleiben von verfügbarem Wissen46“ für die Bildung subjektiven Lebenwissens
unterstützen. Zum anderen muß sie pädagogische Ort so gestalten, daß die Erwerbung und Reflexion
von Erfahrung möglich ist. Deshalb sind erzieherische Maßnahmen die in pädagogischer
Künstlichkeit, gleichsam in einem Labor stattfinden, wenig geeignet um Lebenwissen weiterzugeben.
Vielmehr ist eine pädagogische Praxis gefordert, die sich um die aktive Teilhabe und Teilnahme ihrer
AdressatInnen am konkreten Leben bemüht und die auf diese Weise sozusagen „vor Ort“ den
Entfremdungstendenzen und dem Verlust unmittelbarer Erfahrungen in modernen Gesellschaften
entgegenwirkt.
Die dritte und - zumindestens in meinen Ausführungen - letzte Begründung einer pädagogischen
Praxis in einer Sozialen Arbeit als Lebenskunstprofession, läßt sich schnell formulieren. Dies darf
jedoch nicht über ihre große Bedeutung hinwegtäuschen. Nach Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte hat jeder Mensch das Recht auf Bildung. Die Ausbildung soll dabei „die volle
Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten zum Ziele haben. [...]“ (Art. 26, Abs. 2). Soziale Arbeit ist den Menschenrechten
44Krawitz, Rudi ( 1996 ): a.a.O, S. 217 45Der Begriff des „Lebenwissens“ sowie die folgenden Ausführungen beruhen auf der Arbeit Wilhelm Schmids (1998) in seinem Buch Philosophie der Lebenskunst, S. 297 - 310 46Schmid, Wilhelm ( 1998 ): Philosophie der Lebenskunst, Frankfurt a.M., S.300
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verpflichtet und achtet auf deren Umsetzung und Anwendung im Einzelfall (siehe auch unten). Eines
ihrer grundsätzlichen Prinzipien muß folglich die konkrete Verwirklichung des Rechts auf Bildung,
welches Lernprozesse, das Sammeln von Erfahrungen, persönliche Entfaltung und Erziehung zur
Mündigkeit umfaßt, sein. Es ist hierbei darauf hinzuweisen, daß, da dieses Recht auf Bildung für jeden
Menschen gilt, Soziale Arbeit auch und gerade dann gefordert ist, Bildung im Sinne von
Lebenskunstförderung umzusetzen, wenn ihre Adressaten „schwierig“ sind.
7.3. Menschenrechte und Soziale Rechte
Menschenrechte sind solche Rechte, die als dem menschlichen Wesen unveräußerlich erachtet werden
und welche Raum für seine volle, persönliche Entfaltung gewährleisten. Zu diesem Zweck schützen
und gewährleisten sie die Grundrechte der Menschen an persönlicher Freiheit, politischer Teilhabe,
sowie an sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Teilhabe.
Da Soziale Arbeit eine Profession ist, die alltäglich mit der mangelhaften Befriedigung grundlegender,
menschlicher Bedürfnisse konfrontiert ist und welche die daraus resultierende Not ermessen kann,
wurde die Durchsetzung der Menschenrechte und damit die Bekämpfung dieser Mangelsituationen ein
wesentliches Prinzip des beruflichen Handelns. Die „unmißverständliche und rückhaltlose47“
Förderung der Menschenrechte, welche die International Federation of Social Workers (IFSW) und
die International Association of Schools of Social Work (IASSW) von allen, in der Sozialen Arbeit
Tätigen fordern, dient der Vermeidung und Bekämpfung sozialer Ausgrenzung, unter welcher nach
der IFSW der Ausschluß von Menschen an der Mitbestimmung und an der Teilhabe am
wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Leben zu verstehen ist.
Die soziale Ausgrenzung von Menschen durch die Verweigerung von Bedürfnisbefriedigung und/
oder Teilhabemöglichkeiten impliziert eine vollständige Vorenthaltung der Möglichkeiten guten
Lebens für die betroffenen Menschen. Das Engagement gegen Ausgrenzung und für die breite
Gültigkeit und Anwendung von Menschenrechten ist folglich ganz basale Arbeit an den Grundlagen
von Lebenskunst und Glück. Weiter oben wurde ein Minimalkonsens über äußere Bedingungen des
Glücks, welcher in relativer Freiheit und relativer Sicherheit besteht, formuliert. Dieser muß in den
einzelnen Gesellschaften unter Berücksichtigung ihrer historischen und kulturellen Situation
konkretisiert werden. Die Menschenrechte können als der Versuch interpretiert werden, diese
Konkretisierungsarbeit auf einer globalen Ebene für eine Weltbürgerschaft vorzunehmen. Gerade eine
Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession muß sich aus diesem Grund mittels ihrer Kenntnisse und
Fähigkeiten, der Weiterentwicklung, der Einforderung und dem Schutz dieser Rechte widmen und
verpflichten.
8. Die Kunst Sozialer Arbeit
47zit. nach Schneider, Johann (1999): Gut und Böse - Falsch und Richtig, Frankfurt a.M:, S. 167
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Eine Soziale Arbeit der Lebenskunst, wie ich sie hier entworfen habe, ist in vieler Hinsicht selbst eine
Kunst. Ebenso wie das gute Leben verstehen sich die Fertigkeiten der Profession nicht von selbst.
Professionelles sozialarbeiterisches/ sozialpädagogisches Handeln ist ein Können welches entsteht,
wenn die Berufung erkannt, die Verantwortung angenommen und alle Bemühungen auf die
(kunstvolle) Erweiterung und Vertiefung der eigenen Fähigkeiten gelenkt werden. Aus diesem Grund
braucht es eine fundierte Ausbildung, die ihren Fokus - neben der Vermittlung instrumenteller,
reflexiver und sozialer Kompetenz für das sozialpädagogische/ sozialarbeiterische Handeln48 - auf die
Persönlichkeitsentwicklung bzw. -bildung der angehenden SozialarbeiterInnen legen muß. Das
Studium muß auch Arbeit am eigenen Selbst und am eigenen Leben sein können, denn die konkrete
Lebenshilfe, die eine Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession auszeichnet, wird durch ein positives
Vorbild, durch dialogischen Austausch über Erfahrungen und/ oder durch persönliches Beraten
vermittelt, bei dem die professionell Tätigen als emphatische Menschen und nicht nur als
Funktionsträger erscheinen. Um dies in guter Qualität leisten zu können, wird eine starke
Persönlichkeit benötigt, die der Selbstsorge fähig ist.
Auch viele Haltungen, die eine Sozialarbeit als Lebenskunstprofession einnimmt und viele Praktiken
die sie pflegt, fallen selbst unter Lebenskunst und das Konzept eines guten Lebens. Soziale Arbeit
sollte eine Ethik des guten Lebens nicht nur vermitteln sondern ihr selbst folgen, indem sie sich um
Weltoffenheit und Selbstbestimmung ihrer Profession bemüht, ihre Horizonte durch Erfahrungswissen
und Klugheit erweitert, sowie gesellschaftliche Strukturen kritisch-hermeneutisch durchleuchtet, um
selbstmächtig zu bleiben. Nicht zuletzt sollte sie Erfolge und Glücksmomente bewußt wahrnehmen
und zulassen, um das Vertrauen in die eigenen Werte und Fertigkeiten zu bestärken, wo es angebracht
ist.
Wenn ich hier abstrakt von Sozialer Arbeit spreche, so denke ich v.a. an die theoretische und
wissenschaftliche Ausgestaltung der Profession, an die Theorie Sozialer Arbeit, die diese Aspekte
berücksichtigen muß. Auf der praktischen Eben ist selbstverständlich immer ein Mensch betroffen,
welcher diesen Anforderungen gerecht werden muß. Was bedeutet dies? SozialarbeiterInnen und
SozialpädagogInnen müssen nicht nur theoretisch „LebenskunstexpertInnen“ sein, sondern sie sind
gefordert persönlich und für ihr eigenes Leben die Kunst des guten Lebens zu beherrschen. Eine
vorgeschobene intellektuelle „Weisheit“ reicht hier nicht aus um zu vermitteln, was ihnen wichtig sein
muß: „Arbeit an den Grundlagen für ein bejahenswertes Leben weit über das Selbst hinaus49“.
Dies, so ist mir bewußt, ist eine hohe, aber auch eine unumgängliche Anforderung. Denn an der
Person der sozialen ArbeiterInnen entscheidet sich, ob das Modell des guten Lebens glaubwürdig ist,
ob Andere (die AdressatInnen ihrer Arbeit) es annehmen, modifizieren und weitertragen wollen, ob es
attraktiv erscheint. Die Art und Weise des Handelns der sozialen ArbeiterInnen entscheidet auch
darüber, ob die AddressatInnen ihrer Arbeit überhaupt eine Chance besitzen im Kontext der
48vgl. Geißler/ Hege (1999): Konzepte sozialpädagogischen Handelns, Weinheim, Kapitel 10 49Schmid, Wilhelm ( 1998 ): Philosophie der Lebenskunst, Frankfurt a.M., S. 246
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Intervention ein gutes Leben zu erstreben und zu erlernen: Nur wenn die professionell Tätigen selbst
urteils-, konflikt- und konsensfähig sind, wenn sie über Verantwortungsbewußtsein und
Selbstbestimmung verfügen, können sie in ihren Handlungen einen Spielraum schaffen, welcher den
AdressatInnen eine Chance auf den Erwerb von Mündigkeit und auf produktive Entwicklung
einräumt.
Soziale Arbeit als Lebenskunstprofession zu verstehen ist ein Ansatz für eine Theorie Sozialer Arbeit.
Da aber das gute Leben - welches nie abschließend erreicht werden kann, sondern ein andauernder
Prozeß bleibt - ihr Kern wäre, bliebe sie immer offen und um endgültige Antworten verlegen; mit
Vorsatz. Ein solches Verständnis Sozialer Arbeit ist undogmatisch und bewahrt langfristig den Raum
für Reflexion, für Selbstkritik, für Dialog und für Diskurs. Und nur mit diesen handlungsleitenden
Prinzipien wird Soziale Arbeit an sich, ganz besonders aber eine Soziale Arbeit die als ihre Aufgabe
die Förderung von Lebenskunst versteht, in Zukunft zwischen Anthropotechniken, Weltmarkt und
technisch-rationalen Selbstverhältnissen ihren Platz behaupten können und eine Chance haben. Mit ihr
die Vision einer humaneren, sozial gerechteren, aber glücklicherweise noch geheimnisvollen und
überraschenden Welt, in der es sich leben läßt.
Literatur
• Abele, A./ Becker, P. (Hrsg.) (1994): Wohlbefinden - Theorie-Empirie-Diagnostik, Weinheim, Juventa, 2. Auflage
• Assheuer, Thomas/ Jessen, Jens (2002): Auf schiefer Ebene - Vor der Bundestagsdebatte: Ein Gespräch mit Jürgen Habermas über Gefahren der Gentechnik und neue Menschenbilder, in: Die Zeit Nr. 5 vom 24.01.2002, S. 33
• Assheuer, Thomas (2002): Den Tod besiegt, das Leben vergessen, in: Die Zeit Nr. 14, vom 27.03.2002, S. 42
• Bolz, Norbert ( 1997 ): Die Sinngesellschaft, Düsseldorf, Econ • Buchkremer, Hansjosef/ Culp, Werner/ Debiel, Stefanie/ Emmerich, Michaela/ Müller, Carsten (2001):
Versuchung zum Guten, Teil 1: Spurensuche - Prosozialität in Staatsanschauungen, Staatstheorien und Gesellschaftslehren, Aachen, Verlag Mainz
• Bundesanstalt für Arbeit ( 1997 ): Blätter zur Berufskunde. Diplom-SozialarbeiterIn/ Diplom-SozialpädagogIn ( FH ), Bielefeld, Bertelsmann Verlag, 6. Auflage
• Capurro, Rafael ( 1995 ): Leben im Informationszeitalter, Berlin, Akademie Verlag • Ders. ( 2001 ): Face-To-Face oder Interface? Möglichkeiten und Grenzen der Beratung per Internet,
http://www.capurro.de/face.htm • Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e.V. ( ohne Jahreszahl ):
Professionell handeln auf ethischen Grundlagen - Berufsethische Prinzipien des DBSH, Anschrift: Friedrich-Ebert-Straße 30, 45127 Essen
• Engelke, Ernst ( 1998 ): Theorien der Sozialen Arbeit: Eine Einführung, Freiburg i.B., Lambertus • Foucault, Michel: Technologien des Selbst, in: Foucault/ Martin/ Paden/ Rothwell/ Gutman/ Hutton ( Hrsg. )
( 1993 ): Technologien des Selbst, Frankfurt a.M., Fischer Verlag, S. 15 - 62 • Geißler, Karlheinz/ Hege, Marianne (1999): Konzepte sozialpädagogischen Handelns - Ein Leitfaden für
soziale Berufe, Weinheim und Basel, Beltz Verlag, 9.Auflage • Haupert, Bernhard ( 2000 ): Wider die neoliberale Invasion der Sozialen Arbeit, in: Neue Praxis, 6/ 2000, S.
544 - 569 • Hundeck, Markus (2001): Durchbrochene Kontingenz und verdankte Existenz als Perspektiven Sozialer
Arbeit -Ein Beitrag zur Profession Sozialer Arbeit aus christlicher Sicht, http://www.sozialarbeitswissenschaften.de/
20
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• Keupp, Heiner ( 1999 ): Identitätskonstruktionen - Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbeck, Rowohlt
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