Italien in der deutschen Romantik
3. Der Kavalier auf Grand Tour
Mignon Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm
Meisters Lehrjahre (Berlin 1795) Kennst du das Land, wo die Citronen
blühn,Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,Die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht.Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin!Mögt ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
Stereotyp
Mignon 1925 Erich Mühsam Kennst Du das Land, wo die Faschisten blühn
im dunklen Laub die Diebslaternen glühn,ein Moderduft von hundert Leichen weht,die Freiheit still und hoch der Duce steht?Kennst Du es wohl?
Dahin! Dahinmöcht ich mit Dir, mein Adolf Hitler, ziehn!
Die Idee von Italien
Wilhelm Waetzoldt: Das klassische Land. Wandlungen der Italiensehnsucht (Leipzig 1927)
seit dem Zeitalter des Humanismus Albrecht Dürer: 1494 und 1509 in seinen frühen Aquarellen – Interesse für
die Sprachgrenze bei Trient die Südgrenzen seiner „Germania“
Gottes geliebtes Land Francesco Petrarca: Italia Rettor del Cielo, io cheggio
che la pietà che ti condusse in terrati volga al tuo diletto almo paese.
Verlagerung des Römischen Imperiums nach Norden = translatio imperii zur Zeit der Karolinger
Antike und Christentum Wilhelm von Humboldt: Rom = das
Symbol zugleich der Vergänglichkeit und des Weltzusammenhanges
Die Auseinandersetzung
Waetzoldt: Um die Auseinandersetzung mit Italien kommt keiner herum, dem Bildung noch ein Ziel ist.
Reisen Rom Wunder der göttlichen
Natur und der menschlichen Baukunst
Gryphius: Als Er auß Rom geschieden Ade! begriff der welt! Stadt der nichts gleich
gewesen/Vnd nichts zu gleichen ist/ Jn der man alles sihtWas zwischen Ost vnd West/ vnd Nord vnd Suden blüht/Was die Natur erdacht/ was je ein Mensch gelesen.Du/ derer Aschen man/ nur nicht vorhin mit BäsenAuff einen hauffen kährt/ in der man sich bemühtZu suchen wo dein grauß/ (fliht trüben Jahre! fliht/)Bist nach dem fall erhöht/ nach langem Ach/ genäsen.Jhr Wunder der gemäld/ jhr prächtigen Palläst/Ob den die kunst erstarrt/ du starck bewehrte Fest/Du Herrlichs Vatican/ dem man nichts gleich kann bawen;Jhr Bücher/ Gärten/ grüfft’; Jhr Bilder/ Nadeln/ Stein/Jhr/ die diß vnd noch mehr schliß’t in die Sinnen eyn/Ade! Man kan euch nicht satt mit zwey Augen schawen.
Die direkte Begegnung mit Italien Kavalierstour im 17. und
18. Jahrhundert Studienreisen die
rechtswissenschaftlichen Fakultäten von Padua und Bologna
Sprachkenntnisse weltmännische
Umgangsformen Erziehungstraktate des 16.
Jahrhunderts
Grand Tour junge Männer,
17-21 Jahre in Begleitung
eines Hofmeisters Konversation, Tanzen,
Reiten oder Fechten Reiseführer Referenzbücher Kunstproduktion (Gemälde, Stiche usw.) in der eigenen Kalesche mit
Postkutschern und vorgespannten Extrapostpferden
Grand Tour von Poststation
zu Poststation Extrapost ↔
Ordinari-Post ~100 km / Tag Postgeld,
Bezahlungund Trinkgelderfür Kutscher undWagenmeister,Unterkunft undVerpflegung
Stationen Kunststädte und Bildungszentren Venedig und Florenz Mailand, Padua, Bologna und Siena Rom antike Monumente, Museen und Kirchen liturgische Festlichkeiten der römische Karneval die Opernsaison in Venedig Neapel mit seinem exotischen Prunk Vesuv als Naturschauspiel Ausgrabungen von Pompeji
Reiseberichte Johann Caspar Goethe: Viaggio per
l’Italia, 1740 Karl Friedrich von Jülich-Kleve-Berg 1571-
75 durch Pocken in Rom Stephanus Vinandus Pighius: Hercules
Prodicius (Antwerpen 1587) Hans Christoph Teufel (1567-1624) Studium in Padua, Bologna und Siena 1587 von Venedig aus Orientreise Viaggio fatto di Constantinopoli verso il
Levante, Wien 1598
Reiseberichte August d.J. zu Braunschweig und
Lüneburg (1579-1666) am 6. Oktober 1598 zwei Jahre Tagebuch
Kunstkammervon Florenz
Bibliotheken von Bologna, Siena und Rom
Reiseführer ab 1600 Franciscus Schott: Itinerarium Italiae,
Antwerpen 1600 Itinerario, ovvero Nova descritttione de’
viaggiprincipali d’Italia, Padua 1629
Georg Kranitz von Wertheim:Delitiæ Italiæ, Das ist: EigentlicheBeschreibung/ was durch gantz Welschland in einer jeden Statt vnd Ort/ von Antiquiteten/Pallästen/ Pyramiden/ Lustgärten/Begräbnüssen/ vnd andern denckwürdigenSachen zu sehen ist. Frankfurt am Mayn 1601
Reiseführer Johann Heinrich von Pflaumern: Mercurius
Italicus. Augsburg 1625 Hieronymus Welsch: Warhafftige Reiß-
Beschreibung auß eigener Erfahrung von Teutschland, Croatien, Italien, denen Insuln [...]. Stuttgart 1658
Martin Zeiller: Topographia Italiæ, Das ist: Warhaffte und Curiöse Beschreibung von gantz Jtalien. Frankfurt a. M. 1688
Heinrich von Huyssen: Curieuse und vollständige Reiß-Beschreibung von gantz Jtalien. Freiburg 1701
Joachim Christoph Nemeitz: Nachlese besonderer Nachrichten von Jtalien. Leipzig 1726
Reiseführer Johann Georg Keyßler: Neüeste Reisen durch
Teütschland, Böhmen, Ungarn, die Schweitz, Jtalien, und Lothringen. Hannover 1740-41
François Maximilien Misson: Nouveau voyage d’Italie, faite en l’année 1688,Den Haag 1691
fünfte AuflageUtrecht 1722 –Goethes Vater
Johann Joachim Winckelmann ab 1755 in Rom am 7. Juli 1756 an
Hieronymus Dietrich Berendis:
Ich glaube, ich bin nach Rom gekommen, denjenigen, die Rom nach mir sehen werden, die Augen ein wenig zu öffnen: ich rede nur von Künstlern: denn alle Cavaliere kommen als Narren her und gehen als Esel wieder weg; dieses Geschlecht der Menschen verdienet nicht, daß man sie unterrichte und lehre.
Winckelmann Apollo von Belvedere, Laokoon-Gruppe
und griechische Tempel von Paestum Ich strebe nach nichts, und wer, wie ich,
weder etwas zu fürchten noch zu wünschen hat, der ist freier und vergnügter als ein König. Ich bin so fröhlich und mit meinem Schicksale zufrieden, daß ich nach meiner Zurückkunft aus Deutschland eine Reise nach Griechenland zu machen gedenke.
Geschichte der Kunst des Alterthums (Dresden1764)
Anton Raphael Mengs: Gedanken über die Schönheit und über den Geschmak in der Malerey (Zürich 1762)
Winckelmann Griechen ↔ Ägypter oder Römer das antike Hellas mit seinen
Stadtrepubliken das Land der Kunst und Freiheit edle Einfalt und stille Größe an Natur und Vernunft orientierte
Kunst Idealformen sinnliche Erscheinung des Göttlichen Manifestation des vollkommenen
Menschen
Kunstdebatten Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon, oder
über die Grenzen der Malerei und Poesie, 1766
Darstellung eines erhabenen Augenblicks Schilderung einer fließenden Handlung Giovanni Battista Piranesi Alcune vedute di archi trionfali (Rom
1756) Antichità romane de’ tempi della
Repubblica (Rom 1748) Della magnificenza ed architettura de’
Romani (Rom 1761) griechische Kunst = Vorform der
römischen Perfektion
Klassizisten
Giovanni PaoloPannini
Bernardo Bellotto Francesco Zuccarelli Motiv der antiken Ruinen Roms Cappricci
Magna Græcia von Sizilien bis Neapel Tempelbauten von Paestum
Magna Græcia vorklassische Zeit,
vor Perikles massive
Proportionen am Parthenon
ausgerichtete Ideale Tempel von
Agrigent, Segesta, Selinunt und Syrakus
primitiver Kolonialstil
ideale Klassik dekadenter
Hellenismus
Gotthold Ephraim Lessing (1729-81) seit 1770
Bibliothekar in Wolfenbüttel
1775 im Gefolge von Herzog Leopold zu Braunschweig und Lüneburg nach Italien
in Wien Anstellung als
Hofbibliothekar?
Lessing über Tirol nach Mailand acht Monate in Italien am 7. Mai 1775 an seinen Bruder Karl Dieser Vorschmack – will ich Dir nur mit
wenigem sagen, hat meinen alten Gedanken, in Italien zu leben und zu sterben, auch schon wieder ganz erneuert: so sehr gefällt mir noch alles, was ich in dieser Gegend höre und sehe.
„Von der italienischen Litteratur überhaupt“
„Zur Geschichte des Italienischen Theaters überhaupt“
„Bücher, die ich noch zu haben suchen muß“
Reiseführer Johann Hermann von Riedesel: Reise
durch Sicilien und Großgriechenland (Zürich 1771)
Goethe: ein Brevier oder Talisman Johann Jacob Volkmann: Historisch-
kritische Nachrichten von Italien, welche eine genaue Beschreibung dieses Landes, der Sitten und Gebräuche, der Regierungsform, Handlung, Ökonomie, des Zustandes der Wissenschaften, und insonderheit der Werke der Kunst nebst einer Beurtheilung derselben enthalten (3 Bände, Leipzig 1770-71)
vermehrte Folgeausgabe 1777
Reiseführer Volkmann: Ein Reisender, der feine
Empfindung genug hat, um durch die Schönheiten, woran die Natur in Italien so reich ist, und welche die Kunst weit übertreffen, gerührt zu werden, der trifft in diesem Lande eine Menge von Scenen an, welche ihm die größte Abwechselung darbieten.
Johann Bernoulli: Zusätze zu den neuesten Reisebeschreibungen von Italien. Leipzig 1771-82
Johann Jakob Ferber: Briefe aus Wälschland über natürliche Merkwürdigkeiten dieses Landes. Prag 1773
Gottlob Friedrich Krebel: Die vornehmsten europäischen Reisen, wie solche durch Deutschland, die Schweitz, die Niederlande, England, Portugall, Spanien, Frankreich, Italien, Dännemark, Schweden, Ungarn, Polen, Preussen und Rußland. Hamburg 1775
Karl Philipp Moritz kunsttheoretische
Überlegungen Über die bildende
Nachahmung des Schönen (Braunschweig 1788)
Gespräche mit Goethe in Rom
Anthusa oder Roms Alterthümer. Ein Buch für die Menschheit. Die heiligen Gebräuche der Römer (Berlin 1791)
Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788 (Berlin 1792-93)
Friedrich Johann Lorenz Meyer 1783-84 Kirchenstaat Golf von Neapel Darstellungen aus Italien
(Berlin 1792) Titelvignette mit Zitat aus
Martials Epigrammata: Terrarum Dea,
gentiumque RomaCui par est nihil, et nihil secundum.
Ruinenstädte rund um den Vesuv Vulkanausbruch 79 1738 Herculanum Marcello Venuti:
Descrizione della primascoperta dell’antica cittàdi Ercolano. Rom 1748
Winckelmann: Sendschreiben von den herculanischen Entdeckungen (Dresden 1762)
Nachrichten von den neuesten herculanischen Entdeckungen (Dresden 1764)
Pompeji ab 1748 in systematischen
Kampagnen Grenzen zwischen
Athen und Rom ? griechische Bibliothek
in der Villa dei papiri Wandmalereien Sonderstellung Thorsten Fitzon: Reisen in das
befremdliche Pompeji. Antiklassizistische Antikenwahrnehmung deutscher Italienreisender 1750-1870 (Berlin 2004)
Pompeji Jakob Georg Christian Adler 15 Monate in Rom 1781 von Neapel nach Herculanum, Portici,
Pompeji und Paestum Reisebemerkungen auf einer Reise nach Rom
(Hamburg 1783) FA 1784, 1792 Georg Arnold Jacobi in Begleitung von Friedrich Leopold zu
Stolberg Tempel von Paestum, Crotone, Girgenti und
Siracusa Theater von Taormina Briefe aus der Schweiz und Italien (Lübeck /
Leipzig 1796-97)
Königreich Neapel Karl Joseph Stegmann: Fragment über Italien
aus dem Tagebuch eines jungen Deutschen (Tübingen / Stuttgart 1798)
Geographie und Klima, Nationalcharakter und gesellschaftlicher Umgang
Anhänger derFranzösischen Revolution
fortschrittliches Italienbild Enteignungen
von Kunstwerken
Napoleonische Raubkunst Ludwig I. von Bayern: Klage der römischen
Kunstwerke zu Paris nach dem Frieden im Jahre 1814
Trauernd sehnen nach dem VaterlandeWir uns, nach Jtaliens schöner Flur,Wo uns Jeder fühlte, jeder kannte,Nach der immer blühenden Natur.
Eine immerwährende AnklageBleiben wir, daß noch die künft’ge ZeitVon der falschen Großmuth zürnend sage,Von verübter Ungerechtigkeit.
Restitution nach dem Wiener Kongress 1815 Roms Antiken zu Paris im Jahre 1815, vor
ihrer Befreyung
Golf von Baiä Johann Isaak von Gerning: Reise durch
Oestreich und Italien (Frankfurt a.M. 1802) Widmung an Goethe und Herder gegen verbreiteten Subjektivismus
Pompeji Gedicht in sieben vierzeiligen Strophen Gerning: Pompeji Was seh’ ich, was entstieg aus der Erde
Schooß?O was gebahr sie? – Ein zartes Römer=Kind, Das Jahrtausende schlummerte, Giebt sie uns wieder.
O Mutter=Erde! holde Gebährerin!Was ist verlohren in deinem milden Schooß? Alles bringst du der guten Zeit Wieder in’s Leben.
Neapel Carl Friedrich Benkowitz 1802 Grab Vergils im Wald von
Capodimonte Reise von Neapel in die umliegenden
Gegenden (Berlin 1806) Pompeji vor dem Vulkan Wahrheit in der Darstellung nützlicher als
jede Illusion Wer mit meinen Büchern nach Italien
reis’t, der wird kein Paradies suchen, und nicht unwillig werden, wenn er es nicht findet. Die Einbildungskraft wird seinen Verstand nicht überflügeln, und ihm den Genuß bei Gegenständen rauben, die er unter seiner Erwartung findet.
Neapel August Wilhelm
Kephalides in Begleitung von
August Wilhelm Förster
Reise durch Italien und Sicilien (Leipzig 1818)
Rom und Sizilien Paestum und Neapel
Pompeji Ludwig Goro von Agyagfalva:
Wanderungen durch Pompeii (Wien 1825) präzise Aufnahme der Stätten 20 Bildtafeln Plan des
Zustandsvon 1825
Pompeji Goro von Agyagfalva: Hier wäre nun meine
Wanderung zu Ende. An demselben Thore, wodurch ich meinen Leser nach Pompeji’s geheiligter Stätte geleitete, nehme ich nun Abschied von ihm, mit dem Wunsche: möchten Schroffheit und Öde der schutt- und trümmervollen Pfade, die er mit mir bewandelt, ihn weder seines Ganges, noch meiner Geleitschaft gereuen lassen; möchte er einst zu diesen ehrwürdigen Denkmalen der Vorwelt auf bequemeren Wegen, als mir beschieden waren, gelangen, und aus dem Guten und Schönen, dessen Mäler den Aufruhr der Elemente, und den Wandel so vieler Jahrhunderte sieghaft überdauerten, für Mit- und Nachwelt manchen Vortheil zu ziehen wissen.
Pompeji Friedrich Schiller: Pompeji und Herkulanum,
1796 Welches Wunder begiebt sich? Wir flehten um
trinkbare QuellenErde! dich an und was sendet dein Schooß uns herauf!
Nichts ist verloren, getreu hat es die Erde bewahrt.Auch die Penaten sie stellen sich ein, es finden sich alleGötter wieder, warum bleiben die Priester nur aus?Den Caduceus schwingt der zierlich geschenkelte Hermes,Und die Viktoria fliegt leicht aus der haltenden Hand.Die Altäre, sie stehen noch da, o kommet, o zündetLand schon entbehrte der Gott, zündet die Opfer ihm an!
Pompeji Ludwig I. von Bayern – Elegie auf Pompeji Grab bist du, Pompeji, der eigenen Gräber
gewordenUnd die Urne bewahrt selber die Asche noch heut.Namlose Wehmuth wohnet in dir, du todte, […]
Jhr nur fehlet, Bewohner, es mangeln die Menschen alleine,Alles sonsten ist da, kommet, o! kommet herbey,Kommet und nehmet Besitz von dem Eigenthum, aber
vergeblich!Jn das Leben nicht mehr kehret das Todte zurück.
Sittenstudien Voraussetzungen für politischen und
sozialen Fortschritt Rangordnung der europäischen Völker spätere Rassentheorie negatives Urteil über die Südländer Johann Heinrich Eichholz: Neue Briefe über
Italien, oder Schilderung der Einwohner von Venedig, Rom, Neapel und Florenz, in Hinsicht auf Charakter, Cultur des Geistes und Industrie derselben; nebst Bemerkungen über Alterthümer und Kunst (Zürich 1806-11)
Friederike Brun: Sitten- und Landschaftsstudien von Neapel und seinen Umgebungen (Leipzig 1818)