hifi& recordshochwertige Musikwiedergabe
Das Magazin für
»Fest der Sinne«:
Musical Fidelity AMS 35i
SonderdruckAusgabe 3/2010
Wenn ich die Augen schließe und auf die vor mir spie-
lenden Instrumente zeige, auf den Dudelsack, die
E-Gitarre, einen Bass, das Tamburin und weitere, teils
ungewöhnliche Perkussionsinstrumente sowie einige exotische
Flöten, dann weise ich auch auf Bereiche hin, die deutlich über die
Strecke zwischen meinen Lautsprechern hinausgehen: Was für ein
verschwenderisch in die Breite gehender Raum! Nun spielt diese
Produktion von Loreena McKennitt (»The Mask And The Mirror«,
WEA) ganz bewusst damit, vor dem Hörer eine bisher unbekann-
te Welt auf akustische Weise zu öffnen, ja ihn da geradezu hinein-
zuziehen. Jedes Instrument und erst recht die Stimme von Loree-
na McKennitt trägt den eigenen Hall wie einen Heiligenschein und
wirkt übergroß. Und trotzdem: So überzeugend wie hier habe ich
die CD, der man sicher vorwerfen kann, eine etwas süßliche At-
mosphäre zu erzeugen, eine Ewigkeit nicht mehr gehört.
Ein breitflächig und tieffrequent eingesetzter Synthesizer sowie
ein Chor verleihen dem Klangbild zusätzliche Tiefe. Das gibt ihm
vollends die Ausmaße einer Halle, man fühlt sich förmlich einge-
laden, in der so weit erscheinenden Musik herumzuwandeln. Be-
sonders schön finde ich, wie der Klang von seinem Entstehungs-
punkt in scheinbar weiter Ferne auf einen zukommt, sich einem
geradezu entgegenzuwölben scheint – nicht auf die etwas aufdring-
liche Art und Weise, die wir von »auf live« abgestimmter Elektro-
nik kennen, sondern recht nah an dem Eindruck, den man bei rea-
len Instrumenten in einem realen Raum erlebt. Ja, ja, das klingt
jetzt alles ein wenig esoterisch, zumal das Klangbeispiel ein wenig,
nun ja, suspekt erscheinen muss, weil es auf Effekte setzt, die auf
Dauer etwas klebrig wirken. Aber dafür kann der Musical Fidelity
AMS 35i ja nichts. Der setzt nur um, was über ein HMS Gran Fina-
le Jubilee als Musiksignal vom Benchmark DAC in seine XLR-Ein-
gänge strömt. Womit wir etwas ganz Wichtiges schonmal wissen:
Dieser große Class-A-Amp gibt Musik ungewöhnlich dreidimensio-
nal und räumlich wieder, und wir lassen dabei mal beiseite, dass
»räumlich« ein ziemlich problematischer Begriff ist, wenn es um
die Stereo-Wiedergabe geht. Ich zügle an dieser Stel-
le meine Begeisterung, um die Kurve zu ein paar
sachlichen Informationen zu kriegen...
Der Musical Fidelity AMS 35i ist ein britischer Voll-
verstärker, der in »reinem« Class-A-Betrieb, also mit
hohem Ruhestrom arbeitet, was den Vorteil geringer
Übernahmeverzerrungen und den Nachteil einer
erheblichen Verlustwärme hat. Auf diese Weise kön-
nen die Transistoren dem Musiksignal besonders gut
folgen. Das ist wie auf der stark befahrenen A 40 im
Ruhrgebiet: Wer dort im Leerlauf auf der Beschleu-
nigungsspur steht, um sich einzufädeln, bekommt
Schwierigkeiten und wird Ȇbernahmeverzerrun-
gen« produzieren, weil er stark beschleunigen muss
und den fließenden Verkehr zum Bremsen und zu
Spurwechseln zwingt, wenn wir das Musiksignal
jetzt mal mit dem Verkehr gleichsetzen. Aber wenn
man schonmal ordentlich in Fahrt ist, läuft alles ganz
geschmeidig. Damit sind die Vorteile von Class-A
vergleichbar: Der Transistor ist schon gut in Fahrt.
Freilich lassen viele ihren Verstärker gleichsam stän-
dig mit laufendem Motor in der Garage stehen, was
vielleicht keine ganz so gute Idee wie das Prinzip
selbst ist. Der Stromverbrauch beträgt laut Herstel-
ler 330 Watt im Drittelmix nach Euronorm. Einen
AMS 35i eingeschaltet zu lassen, ist also weder
ökonomisch noch ökologisch sinnvoll – und auch gar
nicht nötig. Schließlich hat der AMS 35i vorne links
einen Netzschalter. Da kann man ihn kurz vor dem
Musikhören einschalten. Das reicht vollkommen.
Der Netzstrom durchläuft im AMS 35i zunächst
eine Filterstufe und wird dann zwei großen Trafos
zugeführt. Separate Trafo-Windungen versorgen die
Vorstufensektion. Der Doppelmono-Aufbau setzt
sich in der weiteren Gerätearchitektur konsequent
fort. Für die Grundversorgung jeden Stereo-Kanals
stehen erhebliche Siebkapazitäten in Form von vier
Jamicon-Elkos à 10.000 Pikofarad zur Verfügung,
die um weitere kleine Depots ergänzt werden. Vier
Sanken-Darlington-Transformatoren vom Typ
STD03N sind je Seite an die mächtigen Kühlkörper
des AMS 35i angeflanscht. Ach, die Technik...
Diesmal eine CD, die uns nichts vorgaukelt: Die
wundervolle Anne Sofie von Otter singt Lieder aus
V E R S T Ä R K E R
Class-A in Bestform: Musical Fidelitys neuer
Vollverstärker AMS 35i ist nicht nur im
übertragenen Sinne ein heißes Teil.
Test: Vollverstärker Musical Fidelity AMS 35i
Fest der Sinne
der Barockzeit (»Mu-
sic for a while«, DG). Die Aufnahme ist
ausgesprochen intim, vor allem bei den
drei Dowland-Liedern, die nur von ei-
nem Lautenisten begleitet werden. Die
Mezzosopranistin hat ganz andere Inter-
pretationsmöglichkeiten als Sting, der
sich 2006 an Dowland verhoben hat (DG)
und dessen Darbietung man schon nicht
mehr holzschnittartig, sondern höchstens
wie mit der Kettensäge gepflügt beschrei-
ben kann. Anne Sofie von Otter nutzt je-
den Parameter, der beim Singen eine
Rolle spielt, um diesen tie-
fen Texten den angemes-
senen Ausdruck zu ge-
ben. »In darkness let me
dwell« beginnt sie sehr
leise, als käme dieser Kla-
gegesang aus dem Nichts.
Sie geht einige Töne an-
fangs bewusst zu tief an,
was ihnen einen flehend-
verzweifelten Ausdruck
gibt. Über weite Strecken
singt sie nahezu ohne Vi-
brato, wenn sie es dann
aber einsetzt, oft in Ver-
bindung mit einem Lau-
terwerden der Stimme,
V E R S T Ä R K E R
erzielt sie eine unge-
heuer eindringliche
Wirkung. In baro-
cken Instrumental-
schulen wurde das
Vibrato als »Beben«
bezeichnet – hier er-
lebt man, dass dieser
ja zumindest unter-
schwellig auch eine
emotionale Bedeu-
tung tragende Be-
griff die Sache viel
besser trifft: Beben
vor Angst, Verzweif-
lung, Wut, Beben als
starkes musikali-
sches Ausdrucksmit-
tel. Warum mir das
im Zusammenhang
mit dem AMS 35i
wichtig ist? Weil manche Verstärker –
gerade bei dieser Musik, die man sich
nicht intim genug denken kann – hier
rummachen wie jener singende Pop-
Millionär mit dem ungeschulten Bari-
ton. Es gibt nicht viele Amps, welche die
allerfeinsten Interpretationsentschei-
dungen beim Singen – manchmal wird
ja nur auf die Farbe eines Vokals ein
Schatten gelegt oder dem Gesang ein
Hauch mehr Energie hinzugegeben – so
akribisch nachzeichnen wie der AMS 35i.
Er ist ein Seismograph für jene Schwe-
bungen, die beim klassischen Gesang
Labor-Report
Musical Fidelity AMS 35i
Nennleistung 8Ω (1% THD) 32,7WNennleistung 4Ω (1% THD) 58WKlirrfaktor (THD+N, 10W/4Ω) 0,0060%IM-Verzerrungen (SMPTE, 5W/4Ω) 0,005%IM-Verzerrungen (CCIF, 5W/4Ω) 0,002%Fremdspannung (20 kHz) -85,5dB Geräuschspannung (A-bewertet) -88,2dB Obere Grenzfrequenz (-3dB /10W) 111kHzKanaldifferenz 0,07dBEingangswiderstand 39,4kΩDC-Ausgangs-Offset <0,5mVLeerlauf-Leistungsaufnahme 282W
Eines muss man Antony Michaelson
lassen, bei Verstärkern hat er den Bo-
gen raus. Da sitzt im AMS 35i zum Bei-
spiel ein ganz einfaches Motorpoti hinter
der dicken Frontplatte (siehe Bild rechts),
und doch ist die Kanaldifferenz auf dem
Niveau von Widerstandsnetzwerken.
Auch das Klirrspektrum – nur die ersten
beiden Harmonischen – ist schlichtweg
ideal. Und auch bei den Intermodulations-
verzerrungen gibt sich der AMS35i keine
Blöße. Wenn die Leistung ausreicht, ist
das ein ganz feiner Vollverstärker.
Frequenzgang: Musical Fidelity AMS 35i
Klirrspektrum: Musical Fidelity AMS 35i
Störspektrum: Musical Fidelity AMS 35i
V E R S T Ä R K E R
Authentische Klang-
farben, eine großzü-
gige Raumdarstel-
lung, feinste dynamische Nuancen und
jederzeit genügend Kraftreserven – dem
Musical Fidelity AMS 35i verfällt man
gerne. Seiner Musikwiedergabe fehlt je-
der technische Beigeschmack. Stimmen
und akustische Instrumente sind bei
ihm in besten Händen. Musikhören als
Fest der Sinne! Heinz Gelking
Fazit
manchmal das Umkippen von »himmel-
hoch-jauchzend« auf »zu Tode betrübt«
einleiten. Was für ein Wunder an Trans-
parenz!
Man sieht das dem kantigen Brocken
nicht unbedingt an. Ohnehin hat Antony
Michaelson seine Vorreiterrolle in punc-
to Design seit Jahren gründlich abgelegt.
Beim AMS 35i schlägt auch er die übliche
Materialschlacht, was in einer vertrauen-
erweckenden Gehäusestabilität und dem
Kampfgewicht von 28 Kilogramm mün-
det, aber für jemanden, der einst eine
Design-Ikone wie den A 1 verantwortet
hat, auch eine ziemlich schwache Lei-
stung darstellt. Uncool, Mr. Michaelson!
Fünf Blasinstrumente von der Flöte bis
zum Fagott spielen im Ma’alot Quintett –
eine wundervolle Palette kontrastreicher
Klangfarben. Über den AMS werden sie
mit der größten nur irgendwie vorstell-
baren Authentizität präsentiert. An die-
ser Aufnahme von Harmoniemusiken
nach Rossini-Opern (MDG) stimmt ein-
fach alles: der deutlich wahrnehmbare
»natürliche« Raum; die Dynamik, mit
der sich der Klang der Instrumente ent-
faltet; die griffige Plastizität, mit der sie
vor dem Hörer erscheinen. Der AMS 35i
überträgt das wundervoll – ein idealer
Verstärker nicht nur für Stimmen, son-
dern auch für akustische Instrumente.
Ein paar Tage später höre ich eine Auf-
nahme mit Quartetten von Haydn (Leip-
ziger Streichquartett, MDG), und diese
womöglich noch größere Herausforde-
rung an das Differenzierungsvermögen
bestätigt den Eindruck nur. Eine reine
Streicherbesetzung ist ja noch schwieri-
ger darzustellen, weil sich die Instru-
mente in der Art der Klangerzeugung
gleichen. »Irgendwie« kriegt das jeder
Verstärker hin, aber selten gelingt es auf
diesem Niveau – der AMS macht sogar
deutlich, dass sich der im Verhältnis zu
den übrigen Instrumenten leuchtendere
Klang der Primgeige nicht nur aus der
Spielweise und dem Instrument, son-
dern auch aus günstigeren geometrischen
Verhältnissen zum Mikrophon ergibt.
Grandios, mit welcher Energie und
Wucht, aber auch Ordnung und Stabilität
er das Los Angeles Philharmonic die
»Nacht auf dem kahlen Berge« spielen
lässt (DG). Knapp 35 Watt pro Kanal an
8 Ohm reichen offensichtlich in meinem
Raum und an der Revel Performa F 32 für
eine begeisternde Musikwiedergabe oh-
ne jede Limitation aus. An Kraft für dy-
namische Aufschwünge und hohe un-
verzerrte Pegel fehlt es in keinem
Moment. Wirklich ohne Limitation? Viel-
leicht doch nicht ganz. Im tiefsten
Frequenzkeller klingt der AMS 35i ein
wenig buttrig. Allerdings stellt die F 32
für ein solches Class-A-Design wohl auch
keine ideale Last dar. Ein hartes Transi-
stor-Konzept mit hohem Dämpfungsfak-
tor wie meine SAC-Monoblöcke kontrol-
lieren ihre Basstreiber präziser und
spielen trotzdem leichtfüßig. Dafür
punktet der Vollverstärker ab dem
Grundton aufwärts mit einem herrlich
geschmeidigen, schlackenlosen Klang –
Class A in Bestform!
Musical FidelityAMS 35i
BxHxT 48,3 x 15 x 41,5 cm
Garantie 2 Jahre
Preis 6.900 Euro
Vertrieb Reichmann Audio
Graneggstraße 4
78078 Niedereschach
Telefon 077 28 - 10 64
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