1
Was wollen und brauchen ältere Menschen in Hinblick auf Mobilität?
Dr. Heidrun MollenkopfVorsitzende der Expertengruppe "Universal Accessibility and Independent Living"
von AGE, der Europäischen Plattform älterer MenschenExpertenrat der BAGSO e.V.
Transnationaler Infoday 'Ambient Assisted Living Joint Programme' Call 4Innsbruck, 11. April 2011
2 Dr. Heidrun Mollenkopf
Im Alter mobil bleiben: Was wollen und brauchen ältere Menschen?
Mobilität für Ältere – warum ist das wichtig? Demographische Entwicklungen Individuelle Entwicklungen Individuelle Bedeutung von Mobilität
Chancen für Mobilität im Alter
Mobilitätsbarrieren Verbesserungswünsche
3
Durchschnittliche Lebenserwartung 1900: für Männer rund 46 Jahre, für Frauen rund 52 Jahre.
Durchschnittliche Lebenserwartung zur Zeit:
für Männer 76 Jahre, für Frauen 82 Jahre= 30 Jahre mehr als vor 100 Jahren!
Das 60. Lebensjahr erreichten vor 100 Jahren rund 30% - heute 88% der Männer und 93% der Frauen.
Mit 60 Jahren können Männer noch weitere 20 Jahre, Frauen noch weitere 24 Jahre erwarten.
Demographische Entwicklung: Steigende Lebenserwartung
Dr. Heidrun Mollenkopf
4
Wesentliche Trends
Weniger Kinder – mehr alte und mehr hochaltrige Menschen Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung Unterschiedliche regionale Verteilung:
Wachstumsregionen und Schrumpfungsregionen
Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung vor allem in ländlichen Regionen.
Dr. Heidrun Mollenkopf
5
Veränderte Rahmenbedingungen
Wachsender Anteil der Älteren bei steigender Lebenserwartung und stagnierenden Geburtenraten.
Abnahme der Bevölkerung => gefährdete Infrastruktur
Veränderungen in den sozialen Netzwerken: kleinere Familien, brüchigere Partnerschaften.
Wachsende Ungleichheit individueller und regionaler Lebensbedingungen.
=> Wachsende Ungleichheit zwischen Regionen – und zwischen älteren Menschen.
Dr. Heidrun Mollenkopf
6
Grundüberlegungen zu Mobilität
Mobilität = Bewegung in Raum und Zeit, sich von einem Ort zu einem anderen begeben.
Wie, warum, wann und wie lange hängt von vielen Bedingungen ab Mobilität ergibt sich aus der Wechselbeziehung von
Person (Gesundheit, sensorische und kognitive Fähigkeiten /
Einschränkungen, Motive und Interessen, finanzielle Mittel)
Umwelt (geographische Bedingungen, Infrastruktur, Barrieren, soziale Ressourcen) („Ökologische Gerontologie“) und
Fortbewegungsmitteln (privat und öffentlich). Dr. Heidrun Mollenkopf
7
Individuelle Veränderungen im Alternsprozess
Was ändert sich im Verlauf des Alternsprozesses ?
Dr. Heidrun Mollenkopf
8
Empirische Grundlagen hier:
Die Mobilitätsstudie "Erhaltung von Mobilität im Alter" (1995)
Das Projekt MOBILATE – Enhancing Outdoor Mobility in Later Life (2000)
Untersuchung in 5 europäischen Ländern Jeweils städtische und ländliche Regionen Insgesamt rund 4800 Befragte ab 55 Jahre
Das Projekt "Kontinuität und Veränderung" (2005; nur D) Konstanz und Veränderung außerhäuslicher Mobilität
(Follow-up und Kohortenvergleich)
Dr. Heidrun Mollenkopf
Individuelle Veränderungen im Alternsprozess
9
Körperliche Bewegungsfähigkeit (Selbsteinschätzung; %)
98
Skala von 1 (sehr schlecht) bis 5 (sehr gut)
Dr. Heidrun Mollenkopf
10
Sehfähigkeit (Visus Score)
98
Skala von 1 (100% Sehfähigkeit) bis 0.02 (2% Sehfähigkeit)
Dr. Heidrun Mollenkopf
11
Veränderungen im Mobilitätsverhalten 1995 - 2000
3,9
9,3
3,3
7,2
0
5
10
Wege Teilwege
1995 2000
******
Durchschnittliche Zahl der Wege/Teilwege während 3 Tagen(Deutschland, Städte)
Dr. Heidrun Mollenkopf
12
1995 2000 2005
Gesamtgruppe (N=82) 8,4 8,3 7,8 nach Altersgruppen
65 – 74 Jahre (N=41) 8,3 8,4 8,2 75+ Jahre (N=41) 8,5 8,1 7,4
nach Geschlecht
Frauen (N=39) 7,9 7,8 7,6 Männer (N=43) 8,8 8,7 8,0
nach
Mobilitätseinschränkung
Einschränkung (N=28) 8,6 7,6 5,8 Keine Einschränkung (N=54) 8,3 8,5 8,7
Mobilitätsmöglichkeiten: Zufriedenheit 1995 - 2005
11 Punkte-Skala: 0 = sehr unzufrieden, 10 = voll und ganz zufrieden Dr. Heidrun Mollenkopf
13
Folgen eingeschränkter Mobilität
• Eingeschränkte Teilnahme an außerhäuslichen Aktivitäten
• Verringerung sozialer Kontakte
• Aufgabe von Verkehrsmitteln
• Verringerung von Freizeit- und Urlaubsaktivitäten
• Angewiesensein auf Hilfe und Unterstützung
Veränderungen im Leben insgesamt - auch in der Lebenszufriedenheit
Dr. Heidrun Mollenkopf
14
Mobilitätseinschränkungen und Lebenszufriedenheit
11 Punkte-Skala: 0 = sehr unzufrieden, 10 = voll und ganz zufrieden Dr. Heidrun Mollenkopf
15
Was bedeutet es für Ältere, aus dem Haus gehen zu können?Emotionales Erleben
1995: "Freude!"2005: "Für mich einfach zu leben, sonst nichts!"
Bedürfnis nach körperlicher Bewegung1995: "Ich will mich bewegen und fühl‘ mich dabei wohl!"
2005: "Die Bewegung an sich im Freien … !"
Bewegung in der natürlichen Umwelt1995: "Ich muss raus, muss wissen, was in der Natur los ist!"
2005: " Wie e Vogel an der frische Luft …. !"
Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe1995: "Um nicht zu vereinsamen!"
2005: "Freunde treffen, Bekannte treffen, kommunizieren … "
Dr. Heidrun Mollenkopf
16
Voraussetzung für ein freies, selbstbestimmtes Leben1995: "Jederzeit, wenn ich will, auch rausgehen können."
2005: "Dass man rausgehen kann, wann man will und sich frei bewegen kann."
Quelle neuer Eindrücke1995: "Sonst fällt mir hier die Decke auf den Kopf!"
2005: "En bissel was muss man ja auch sehn, was es Neues gibt! "
Ausdruck von (noch vorhandener) Lebenskraft1995: "Ein Beweis, dass ich noch ein Mensch bin wie andere Menschen
auch."2005: "Ich bin glücklich, dass ich noch selber raus kann!"
Was bedeutet es für Ältere, aus dem Haus gehen zu können?
Dr. Heidrun Mollenkopf
17
Mobilitätsmöglichkeiten – Zusammenfassung (1)
Den größten Einfluss auf die Zufriedenheit mit den Mobilitätsmöglichkeiten haben
gute körperliche Mobilität, die Zufriedenheit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, und ein Auto zu haben und fahren zu können.
Lassen sich verschiedene Typen von Mobilität und gesellschaftlicher Teilhabe identifizieren?
Dr. Heidrun Mollenkopf
18
Vier Gruppen außerhäuslicher Mobilität (Basis: Projekt MOBILATE)
-1,5
-1
-0,5
0
0,5
1
1,5
1 2 3 4Teilgruppen
Vielfalt an Fortbewegungsmitteln Vielfalt an außerhäuslichen AktivitätenRealisierte Wege Zufriedenheit mit Mobilitätsmöglichkeiten
Bemerkung. Alle Werte sind z-standardisiert (M = 0; SD = 1), um Vergleiche zu erleichtern.
Dr. Heidrun Mollenkopf
19
Gruppe 1: „Hoch mobil / hoch zufrieden“ = die „Mobility rich“ (hauptsächlich Männer, „junge“ Senioren, Autofahrer, Gesunde, finanziell Bessergestellte).
Gruppe 2: „Auf mittlerem Niveau mobil / hoch zufrieden“ = Durchschnittliche Mobilität.
Gruppe 3: „Wenig mobil / noch zufrieden“ = Beginnende körperlich-psychische Einbußen.
Gruppe 4: „Wenig mobil / unzufrieden mit Mobilität“ = die “Mobility poor“ = mit Unterstützungsbedarf (überwiegend Frauen, Alleinlebende, Hochaltrige, Beeinträchtigte, Ältere auf dem Land).
Kurzcharakterisierung der TeilgruppenVier Gruppen älterer Personen können bezüglich ihrer Mobilität und gesellschaftlichen Teilhabe unterschieden werden:
Dr. Heidrun Mollenkopf
20
Die wichtigsten Hindernisse für Mobilität –
Vielfältige Probleme
Dr. Heidrun Mollenkopf
21
Die größten Schwierigkeiten im Straßenverkehr (alle Städte)
■ Viele Auto- und Motorradfahrer fahren zu schnell an Fußgänger- überwege heran (83% / 68%)
■ Autos fahren ganz allgemein zu schnell (74% / 66%)■ Autos fahren zu nahe an den Bürgersteigen (67% / 58%)■ Als ältere Person fühlt man sich im Verkehr benachteiligt (55% / 62%)
■ Der Verkehr ist zu hektisch (47% / 59%) ■ Heutzutage fühle ich mich im Verkehr oft hilflos (39% / 58%)
Rot: gesundheitlich beeinträchtigte Personen
Andere Verkehrsteilnehmer
Dr. Heidrun Mollenkopf
22
Die größten Schwierigkeiten im Straßenverkehr (alle Städte)
■ Radfahrer auf dem Bürgersteig (75% / 65%)
■ Zu kurze Grünphasen and Fußgängerampeln (63% / 51% [34%])
■ Fehlende Fahrradwege (60% / 39% [51%])
■ Zu schmale Bürgersteige (55% / 46% [25%])
■ Nicht genügend Fußgängerüberwege (51% / 46% [34%])
[ ] = weiß ich nicht / nutze ich nicht (mehr)
Rot: gesundheitlich beeinträchtigte Personen
Straßen- und Verkehrsverhältnisse
Dr. Heidrun Mollenkopf
23
Die größten Schwierigkeiten mit dem ÖPNV
Öffentliche Verkehrsmittel(Städte)
■ Zu wenig Jüngere bieten Älteren ihren Sitzplatz an (74% / 51% [39%])
■ Haltestellen ohne Sitzplätze und Wetterschutz (58% / 46% [39%])
■ Die Busse fahren zu ruckartig (53% / 46% [37%])
■ Busse / Bahnen fahren zu selten (46% / 38% [41%])
Dr. Heidrun Mollenkopf
24
Die größten Schwierigkeiten mit dem ÖPNV
Probleme mit Öffentlichen Verkehrsmitteln (Land):
■ Busse / Bahnen fahren zu selten (51% / 37% [49%])
■ Keine Sitzgelegenheiten und Wetterschutz an Haltestellen (47% / 35% [51%])
■ Zu wenig Jüngere bieten Älteren ihren Sitzplatz an (45% / 32% [57%])
■ Zu hohe Stufen beim Ein- und Aussteigen (32% / 35% [55%])
■ Die Busse fahren zu ruckartig (28% / 26% [58%])
[ ] = weiß ich nicht / nutze ich nicht (mehr)Rot: gesundheitlich beeinträchtigte Personen
Dr. Heidrun Mollenkopf
25
Mobil bleiben –Was kann und sollte verbessert werden?
Dr. Heidrun Mollenkopf
26
Verbesserungswünsche
■ Mehr Rücksichtnahme im Straßenverkehr (55%)■ Bessere finanzielle Ausstattung älterer Menschen (49%)■ Mehr Begleitpersonen (42%)■ Preiswerte Fahrdienste für Gehbehinderte (40%)
■ Mehr Sicherheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen durch Kamera-Überwachung oder Personal (35%)■ Sammelpunkte an großen Bahnhöfen (11%)
Soziale Bedingungen
Sicherheitsaspekte
Dr. Heidrun Mollenkopf
27
Verbesserungswünsche
ÖPNV
■ Mehr Parkplätze an Bahnhöfen und Haltestellen (24%)■ Mehr Personal an Haltestellen und Bahnhöfen (17%)
■ Kürzere Entfernungen zwischen Haltestellen (16%)
■ Mehr Verkehrssicherheit (47%) ■ Mehr Bänke/Sitzgelegenheiten zum Ausruhen unterwegs (39%)
Dr. Heidrun Mollenkopf
28
Verbesserungswünsche
■ Preiswertere Fahrscheine für ÖPNV (46%)■ Altersgerechtere Busse und Bahnen (38%)
ÖPNV
■ Besser auf einander abgestimmte Fahrpläne (30%)
■ Bessere Bus- und Bahnverbindungen (29%)
■ Verständlichere und einfacher zu erhaltende Informationen (28%)
Dr. Heidrun Mollenkopf
29
Veränderungen beim Autobesitz (Survey 2000; Ostdeutschland)
Anmerkung. Prozentwerte; N=768 Befragte.
Stadt Land
43
29
77
48 45
19
84
54
24
4
84
33
1712
76 75
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
55-74 75+ 55-74 75+ 55-74 75+ 55-74 75+
MännerFrauen
Ein-Personen-Haushalte
Mehr-Personen-Haushalte
Ein-Personen-Haushalte
Mehr-Personen-Haushalte
Dr. Heidrun Mollenkopf
30
Veränderungen beim Autobesitz (Survey 2000; Westdeutschland)
Anmerkung. Prozentwerte; N=751 Befragte.
Stadt Land
47
25
86
48 50
37
87
67
39
7
75
37
51
14
91
67
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
55-74 75+ 55-74 75+ 55-74 75+ 55-74 75+
MännerFrauen
Ein-Personen-Haushalte
Mehr-Personen-Haushalte
Ein-Personen-Haushalte
Mehr-Personen-Haushalte
Dr. Heidrun Mollenkopf
31
Ältere Menschen und mobilitätsbeeinträchtigte Personen – auch in Zukunft keine homogene Gruppe – eher noch heterogener als heute schon.
Deshalb notwendig:
Soziale, organisatorische, bauliche und technische Maßnahmen.
Im Alter mobil bleiben: Was wollen und brauchen ältere Menschen?
Dr. Heidrun Mollenkopf
32
Technische Unterstützungs- und Kompensationsmöglichkeiten
Im Alter mobil bleiben: Was wollen und brauchen ältere Menschen?
Dr. Heidrun Mollenkopf
Verkehrsinfrastruktur (z.B. Verkehrsleitsysteme) Verkehrsorganisation (z.B. Ampelphasen) Fahrzeuggestaltung (Bahnen, Busse, PKW, Fahrräder) Fahrerassistenzsysteme Informationssysteme
Aber: Alternsbedingte Fähigkeiten beachten(Sehfähigkeit, Wahrnehmung, Reaktionsfähigkeit, Beweglichkeit …)
33
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Und viel Erfolg bei der Entwicklung neuer Möglichkeiten für alle, auch in Zukunft mobil zu bleiben!
Im Alter mobil bleiben: Was wollen und brauchen ältere Menschen?
34
Weiterführende LiteraturZu Mobilität 1995: Mollenkopf, Heidrun & Flaschenträger, Pia (2001). Erhaltung von Mobilität im Alter.
Schriftenreihe des BFSFJ, Band 197. Stuttgart: Kohlhammer. Mollenkopf, H., Marcellini, F., Ruoppila, I., & Tacken, M. (Eds.)(2004). Ageing and
Outdoor Mobility. A European Study. Amsterdam: IOS Press
Zu Mobilität 2000: Mollenkopf, H., Marcellini, F., Ruoppila, I., Széman, Z., & Tacken, M. (Eds.)(2005).
Enhancing mobility in later life - Personal coping, environmental resources, and technical support. The out-of-home mobility of older adults in urban and rural regions of five European countries. Amsterdam: IOS Press.
Zu Mobilität 2005: Hieber, A., Mollenkopf, H., Kloé, U. & Wahl, H. W. (2006). Kontinuität und
Veränderung in der alltäglichen Mobilität älterer Menschen. Qualitative und quantitative Befunde einer 10-Jahres-Studie. Schriftenreihe ‚Mobilität und Alter’ der Eugen-Otto-Butz Stiftung, Bd. 02. Köln: TÜV Media GmbH.