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Yahya Hassan »Yahya Hassan« Gedichte Inhalt: Kurzinformation zu Buch und Autor Langtext Dänische Pressestimmen Year Y – Ein Aufsatz über die Bedeutung Yahya Hassans für die dänische Literatur Beitrag von Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung vom 26.11.2013 Kontakt: Ullstein Verlag Leitung Presse und Kommunikation Christine Heinrich Tel. 030-23456-433 [email protected]
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Yahya Hassan »Yahya Hassan« - Ullstein Verlag · 2014-02-14 · Yahya Hassan »Yahya Hassan« Gedichte Inhalt: Kurzinformation zu Buch und Autor Langtext Dänische Pressestimmen

Aug 14, 2020

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Yahya Hassan

»Yahya Hassan« Gedichte

Inhalt:

Kurzinformation zu Buch und Autor

Langtext

Dänische Pressestimmen

Year Y – Ein Aufsatz über die Bedeutung Yahya Hassans für die dänische Literatur

Beitrag von Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung vom 26.11.2013

Kontakt:

Ullstein Verlag

Leitung Presse und Kommunikation

Christine Heinrich

Tel. 030-23456-433

[email protected]

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Yahya Hassan

Gedichte

Ich schütte zwanzig Liter Dunkelheit aus/und eine Kindheit an einer Mauer/eine Steinzeithand

ein Taschenbuch-Koran/Vielleicht hätte ich dich geliebt/wenn ich dein Vater wäre und nicht

dein Sohn

Aus dem Dänischen von Annette Hellmut und

Michel Schleh

192 Seiten

€ (D) 16,00/ € (A) 16,50/ sFr 22,90

ISBN: 978-3-550-08083-8

Erscheint am 17. März 2014

Ganz Dänemark liest das Buch, egal ob jung oder alt, Mig-

rant oder Ur-Däne. Und alle wollen Yahya Hassan für sich

vereinnahmen: die Linken, die Rechten, die Konservativen

und die Liberalen. Für Kritiker sind seine Gedichte eine

»Befreiung für die Kulturradikalen«.

Der 18-jährige Sohn palästinensischer Flüchtlinge wuchs

im schlimmsten Migrantenviertel Dänemarks auf und

wurde regelmäßig von seinem Vater verprügelt. Nur ein-mal pro Woche, beim Besuch der Moschee, verwandelte

sich der bigotte Vater in einen liebenswerten Menschen.

Früh machte Hassan Karriere als Dieb und Räuber, wo-

raufhin er sich einige Zeit in einer Besserungsanstalt für

straffällige Jugendliche aufhalten musste. Dort wendete

er sich der Literatur zu und begann zu schreiben.

Das Besondere an Hassans Gedichten ist ihr Ton. In offe-

ner Weise schreibt er konkret und alltagsnah mit starkem

Rhythmus. Aber sie haben auch etwas Weiches, Lyrisches,

wenn er seine eigenen Unsicherheiten reflektiert.

Yahya Hassan, 18, bezeichnet sich selbst

als »staatenloser Palästinenser mit däni-

schem Pass». Er verbrachte seine Kindheit

und Jugend in einem muslimischen, weit-

gehend sozialstaatlich finanzierten Milieu.

Er ist Preisträger von: Award for best First

Novel, Politiken's Literary Award und Wee-

kendavisen's Literary Award

© Morten Holtum

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Zorn, Verletztheit und Angriffslust sprechen aus den eruptiven Gedichten von Yahya Hassan. „Ich

liebe euch nicht Eltern Ich hasse euer Unglück / Ich hasse eure Kopftücher und eure Korane“. Die

ungekünstelten Verse des 18-Jährigen sind eine gnadenlose Abrechnung: „Ich hasse das Land das

eures war / und das Land das unseres wurde / das Land das nie eures wird / und das Land das nie unseres wird“. Yahya Hassan dichtet über ein Dasein zwischen Palästina und Dänemark, Islam und

Gottlosigkeit, Verbrechen und Strafe. Seine rasanten Texte geben aufregende Einblicke in fremdarti-

ge Sphären und formen nebenbei eine stringente Autobiografie – in ungeschönter Diktion und poli-

tisch völlig inkorrekt. Er kritisiert eine muslimische Unterschicht, die bequem von Sozialleistungen

lebt und ihre Kinder vielfältig misshandelt. Oft klagen seine Verse „Inzest Indoktrinierung“ an: die

Scheinheiligkeit der Väter, die Passivität der Mütter, das Gerede von Ehre und Familie. Der Flucht aus

diesem geistig engen Milieu hilft nur zynisches Straßengangstertum und, als Rettung in letzter Minu-

te, die Literatur.

Angst ist das herrschende Gefühl der hier beschriebenen Kindheit: Angst vor dem sadistisch strafen-den Vater, Angst vor israelischen Bomben, Angst vor Diskriminierung des „Kanaken“ und sogar Angst

vor dem Weihnachtsmann. In der Schule darf er nicht arabisch sprechen, zu Hause nicht dänisch.

Seine Eltern sind Palästinenser, die sich mental nicht vom Nahen Osten lösen können. Sie sparen

Geld für „die Krankheiten der anderen“, im Libanon trifft man Verwandtschaft in einem Flüchtlings-

lager: „Sie ähnelten den dänischen Tanten und Onkeln / in zerlumpterer Ausgabe“. Dann zerfällt die

Sippe, als der Vater eine neue Frau nimmt, „Mutter von drei fremden Geschwistern“ und brutal auch

sie. Für den Erzähler beginnt eine lange Phase destruktiver Auflehnung gegen jede Autorität, die Ein-

weisung in Heime und Therapieanstalten: „Ich schlug mich mit allen und jedem / Sie kriegten genug

von mir und machten gemeinsame Front“. Seine kriminelle Energie lässt vom Diebstahl über Einbrü-

che bis zum Drogendealen nichts aus; davon erzählt Hassan mit Tempo und Witz.

Zwar hat er auch für den repressiven Staat keine Sympathien, doch seine wütende Schmähung gilt

der migrantischen Parallelgesellschaft auf dänischem Boden: „Heilige Worte und Hehlerware / Ein

Analphabet hat nichts als seine Sprichworte / und das Dogma seines dummen Stammes“. Er skizziert

trostlose Bilder eines rigiden Ghettos. Die paschahaften Väter sitzen in den Moscheen und begeis-

tern sich am Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. Die Cousinen sind „ein paar Köpfe mit Kopftü-

chern“ und sollen Cousins heiraten, um für den Rest des Lebens in einem anderen Wohnblock zu

verschwinden; auch der Erzähler „befummelte die Cousinen in Allahs Namen“. Gegen all dies und vor

allem die geheuchelte Tugend rebelliert Hassan, dem „das Elend der Lüste“ lieber ist: „Meine Kokain-

seele meine Internetseele / meine Pornoseele meine Geldseele meine Gefängnisseele“. Eine neue Dimension erschließt ihm eine Lehrerin, die ihm Gedichte und Dostojewskis „Schuld und Sühne“ zu

lesen gibt. Bald schreibt er Verse und wird „Dichter“ gerufen.

In einem entfesselten Langgedicht zum Ende des Bandes wird die Ambivalenz seiner neuen Existenz

deutlich: „Den einen Tag / bin ich gesunder und gut integrierter Dichter / Den anderen bin ich be-

schuldigt für Autodiebstahl“. Hassan macht klar, dass er seine Herkunft nicht abschütteln kann, auch

wenn er nun einen Verlag und einen „Judenlektor“ hat, also doch noch einen Weg zur Chiffre Däne-

mark findet: „Zu mein Cousin sag ich fick nicht mein Glückssträhne / mit euer Hurengrammatik“.

Solche Anklänge an einen hybriden Gossenslang, den man Kanak Sprak genannt hat, kapern die Ton-

art erst im Moment der bildungsbürgerlichen Apotheose. Zuvor dominieren archaische Hauptsatzrei-hen in Großbuchstaben, die auf Selbstbehauptung pochen: Zumeist mehr Plot als Poesie, aber auch

mit exzellenten Details und erstaunlicher Metaphorik wie in „Kriegerische Al-Quaeda-Katzen / fau-

chen die Nachtschwärze fort“. Yahya Hassan zeigt sich in diesem außergewöhnlichen Debüt als kraft-

voller Erzähler, der die absurden Szenen und kruden Sinnsprüche einer verstörenden Welt sammelt.

Was er mit 18 Jahren schon durchlebt hat, macht ihn – da er ungefiltert und originell davon berichtet

– zur markanten neuen Stimme einer an den sozialen Rändern bereicherten Literatur.

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POLITIKEN 13. Oktober 2013 YAHYA HASSANS GEDICHTE SIND VOLLER FEUER UND INNOVATION

Der 18-jährige Dichter schafft ein Literatur-Debüt, das nicht auf seine Umstrittenheit reduziert wer-

den darf.

Von Lillian Munk Rösing

Es passiert selten, dass ein Buch einem das Gefühl gibt, in den eigenen Händen zu verbrennen. Aber

für mich fühlte es sich ehrlich so an, als ich den Umschlag mit Yahya Hassans Gedichtband – noch

heiß und frisch aus dem Druck – in die Hand bekam. Selten (wenn überhaupt) hat ein dänisches Poe-

sie-Debüt noch vor seiner Veröffentlichung so viel Aufmerksamkeit durch die Presse bekommen.

FEUER UND WORTE

Das Gefühl von Feuer und Glut vergeht auch nicht während der Lektüre.

Eine frühe Kindheitserinnerung baut sich im Buch so auf: „IN DER WOHNUNG DIE ICH ANGEZÜNDET

HABE/ASSEN WIR IMMER VOM BODEN“ (und JA, das Buch ist durchgehend in GROSSBUCHSTABEN

geschrieben).

Dann hören wir von einer Mutter, die mit Vaters Feuerzeug droht: „WENN DU NICHT AUFHÖRST

DEINE GESCHWISTER ZU STÖREN/ZÜNDE ICH DICH AN“. Und ein kleiner Sohn, der das Feuerzeug in

die eigene Hand nimmt und: „LIESS DIE FLAMMEN DEN PLASTIKSTIEL KÜSSEN“, was dem dramati-schen Gedicht den dezenten Titel PLASTIKBLUME verleiht.

Wir hören von Feuern in der Schule, Flaggenverbrennungen, brennenden Autos, in Wirklichkeit und

in Form von Drohungen. Wir haben es mit einem lyrischen Ich-Erzähler zu tun, der „die Worte in

Brand steckt“ und wegsieht, wenn „sie leiden“.

Es ist möglich, dass die Worte unter Yahyas brutaler Behandlung leiden, aber in diesem Fall ist das

ein glühendes, produktives Leiden, bei dem die dänische Sprache so gequält wird, dass etwas ent-

steht, was man vorher nicht für möglich gehalten hätte.

SPRACHLICHE INNOVATION

„Yahya Hassan“ ist beides, sowohl der Name des Autors als auch der Titel der Gedichtsammlung.

Yahya Hassan schreibt über sich selbst. Und wenn man der Presseerklärung Glauben schenken darf,

sind ihm die Diskussionen, ob er nun autobiografische oder fiktionale Texte schreibt, ziemlich egal:

„Das hier ist meine Geschichte. Viel mehr kann man dazu nicht sagen.“

Was natürlich nicht davon abhält, dass „Ich“ auch zu Position, Einstellung, Objekt und Stimme wird,

und als Hinterfragung und Definition fungiert: „MIR ICH SAG LEBWOHL / MIR ICH SAG TSCHÜS / MIR

ICH SAG SALAM:“

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Wir hören die Geschichte über Yahya Hassans Leben, von der frühen Kindheit geprägt von väterlicher

Gewalt über die Zeit als Teenager mit Unterbringungen und Kriminalität bis hin zur aktuellen Situati-

on als Student an der dänischen Schriftstellerschule, der noch immer in Kontakt mit Gefängnis und Bewährungshelfern steht.

Es beginnt mit sehr starken Gedichten aus der Kindheit. Das erste Gedicht mit dem Titel „KINDHEIT“

beginnt so: „FÜNF KINDER IN AUFSTELLUNG UND EIN VATER MIT KNÜPPEL/VIELFLENNEREI UND EINE

PFÜTZE MIT PISSE“ BUMM!

Es ist nicht nur die Thematik, die einen wie ein Schlag trifft; das übernehmen auch Rhythmus und

Klang (die Ps in der PFÜTZE MIT PISSE) und die sprachliche Innovation (VIELFLENNEREI).

Wenn wir später im Gedicht erfahren, dass Al-Jazeera eine Sendung namens „HYPERAKTIVE BULLDO-ZER UND ZORNIGE KÖRPERTEILE“ überträgt, springen einem die lyrischen Mittel nahezu ins Gesicht;

die Personifizierung von Bulldozern und Körperteilen; die Kollision einer Realität des Mittleren Os-

tens (Bulldozer) mit dänischem Sozialpädagogen-Jargon (hyperaktiv).

Dies ist Sozialrealismus, aber nicht im Freien Vers; es ist starke lyrische Form-Arbeit.

WUT ALS MOTIVATION

Yahya beschreibt seine völlig verrückte Kindheit ziemlich gefühllos. Dennoch, und gleichzeitig aus genau diesem Grund, bringen einige seiner Gedichte mein Mutterherz, und wahrscheinlich auch

mein Mädchenherz, zum Bluten.

Wenn Yahya (im Gedicht mit dem Titel „12 JAHRE“) heimlich die vollgepinkelte, nasse Bettwäsche

seines jüngeren Bruders zu seiner von zu Hause ausgezogenen Mutter bringt und sie sauber wieder

nach Hause trägt, um der brutalen Wut des Vaters zu entgehen.

Wenn Papas neue Frau vorgestellt wird unter dem Titel „MUTTER VON DREI FREMDEN GESCHWIS-

TERN“ und ihre Kinder aus diesem Grund bezeichnet werden als: „SO KLEINE GESCHÖPFE GESCHWIS-

TER DIE ICH NICHT BERÜHREN DARF“:

Wenn ein einsamer Moment zu Weihnachten in der Kindergartengarderobe auf eine Art und Weise

verewigt wird, dass er auch aus meiner eigenen Kindheit hätte stammen können („ICH SASS IN DER

GARDEROBE MIT EINEM ZIMTSTERN IN DER HAND/UND LERNTE IN ALLER STILLE DIE SCHUHE ZU

BINDEN“) und der darauffolgende metaphorische Vergleich zwischen Orangen mit Gewürznelken

und Voodoo-Puppen mich nach Luft schnappen lässt.

Wenn Yahya über das Vergnügen schreibt, zu FAKTA (einem Supermarkt) geschickt zu werden, um

kurz vor Ladenschluss Olivenöl zu kaufen („WAS AN DIESEN SPAZIERGÄNGEN SCHÖN WAR

WIE EIN EXIL AUF DEM KLO“), bekomme ich das Gefühl, als wären das die kleinen friedlichen Mo-mente inmitten eines beschwerlichen Alltags, selbst wenn mein eigener beschwerlicher Alltag nie

damit zu tun hatte, dass mein Vater mich mit einer Holzlatte verprügelt hat.

Yahyas Wut ist von der Sorte, die die Motivation in vielen großen literarischen Werken war: die Wut

des Sohns auf den Vater. Der Vater wird dargestellt als scheinheiliger gewalttätiger Psychopath, der

ohne Vorwarnung die Holzlatte in die Finger bekommt und damit Frau und Kinder verprügelt.

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Der sich aber auch zeitweise poetisch darstellen lässt: „ICH ABER BIN STOLZ AUF DICH/WIE DU

STEHST UND HALAL GRILLST/NICHT NUR EIN FLÜCHTLING MIT VOLLBART UND JOGGINGKLUFT/JETZT

LANDET EINE LIBELLE AUF DEINEM ARM“ (aus dem Gedicht „RAMADAN“, das beginnt mit dem groß-artigen Vers: „RAUBPELZ IN DER FRESSE IM RÜCKSPIEGEL EINES TEUREN WAGENS “).

Und dann wird der Leser, emotional und überhaupt, aus der Bahn geworfen mit dem kleinen stein-

harten Gedicht, das den erschütternden Titel „VATER MEIN UNGEBORENER SOHN“ trägt und wie

folgt endet: „VIELLEICHT HÄTTE ICH DICH GELIEBT/WENN ICH DEIN VATER WÄRE UND NICHT DEIN

SOHN“:

LITERARISCHE KUNST, KEINE UMSTRITTENEN FRAGMENTE Das abschließende Gedicht der Sammlung LANGGEDICHT beschleunigt von 0 auf 100 in Ghettospra-che. Das trifft den Nerv dieser außerordentlichen Literaturprofessorin, die sich seit Jahren danach

sehnt und wünscht, dass jemand poetisches Potenzial aus dem Paki-Dänisch herausholt. Gleichzeitig

habe ich das Gefühl, dass darin gleichzeitig ein ironischer Gruß an genau diese hoffnungsvolle Profes-

sorin vorkommt: Okay, jetzt benehme ich mich mal wie die Person, die Sie gerne hätten und posiere

als dynamischer nicht-urwüchsiger Däne mit kreativen Sprachpatzern: „MIR ICH VERPFUSCHE IN

MEINER WORDREIHENFOLGE/UND ICH SAGE WALLAH / MIR ICH SAGE DER BULLE IST HÄSSLICH /

WALLAH DE DUM!“

Und ja, die Professorin applaudiert dem Input an neuen Worten: „NACH EINER JAHRESZEIT LIESSEN

SIE MICH FREI“, „EIN WASCHECHTER VOLLTROTTEL“, „ES SELBST IM SPIEGEL SCHAUT AUF MICH“. Und sie ist unglaublich amüsiert von dem ausgeklügelten Paki-Witz: „ SIE DIESE HURE VON DER

JOURNALISTENSCHULE/SAGTE DASS ICH NICHT AUSSEHE WIR EIN POET/UND ICH SAGTE DU SIEHST

NICHT AUS WIE EINE HURE “.

Yahya Hassans wütende Stimme hat eine immense Kraft. Diese Kraft darf nicht missbraucht werden

von Journalisten, die die Gedichte in umstrittene Fragmente zerlegen oder Politikern, die sie im

Dienst von Fremdenhass einsetzen.

Einzelne Verse aus der Sammlung herauszunehmen und diese als Überschriften und politische

Standpunkte zu verwenden, entspricht nicht der Tatsache, dass wir es hier mit einem literarischen Kunstwerk zu tun haben.

Yahya Hassan hat keine Schmähschrift verfasst, kein Manifest, er hat uns mit Worten und Bildern

gezeigt, wie es ist, Yahya Hassan zu sein: Sohn von Flüchtlingen aus dem Mittleren Osten, Sohn zwei-

er Sprachen, Sohn Dänemarks.

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BERLINGSKE

14. Oktober 2013

„ICH LIEBE EUCH NICHT ELTERN ICH HASSE EUER UNGLÜCK”

Mit seinem verstörend scharfen Schreibstil und eindringlichem Rhythmus, prügelt der 18-jährige

Yahya Hassan seine brutalen Erfahrungen als Einwanderer in die Köpfe der Leser, bis es wehtut.

Der Titel des Buchs lautet „YAHYA HASSAN“. Außer dem Titel zieren nur zwei weitere Wörter den

schwarzen Einband: Gedichte und Gyldendal. Auf der Rückseite nichts. Es gibt keinen Klappentext mit

biografischen Informationen zum Autor und auf der ersten Seite des Buchs, findet sich lediglich die

Information, dass „YAHYA HASSAN“ neben dem Titel auch der Autor ist. Wer dieser Autor ist, steht nirgends. Auch nicht wie alt er ist oder woher er kommt. Oder ob die Gedichte autobiografisch sind.

Das Buch beginnt einfach. Hier die ersten Worte:

FÜNF KINDER IN AUFSTELLUNG UND EIN VATER MIT KNÜPPEL

VIELFLENNEREI UND EINE PFÜTZE MIT PISSE

WIR STRECKEN EINS NACH DEM ANDEREN DIE HAND AUS

DER VORHERSEHBARKEIT WEGEN

DANN DAS GERÄUSCH WENN DER SCHLAG TRIFFT

DIE SCHWESTER AM SPRINGEN

VON DEM EINEN FUSS AUF DEN ANDEREN DIE PISSE EIN WASSERFALL IHRE BEINE HINUNTER

Heute wissen wir, dass es in „YAHYA HASSAN“ um das wirkliche Leben geht, oder zumindest um die

Wirklichkeit des Dichters. Wir wissen es, obwohl das Buch erst Donnerstag erscheinen wird, weil er,

Yahya Hassan, entdeckt wurde und inzwischen schon überall präsent ist: im Fernsehen, der Zeitung,

sozialen Medien. Wir wissen, dass der meist diskutierte dänische Autor des Jahres ein 18-jähriger

Schüler der dänischen Schriftstellerschule ist, der pakistanische Wurzeln hat. Wir wissen, dass das

Buch von seinem eigenen Leben handelt, seinen Erfahrungen, seinen Gedanken über die Dänen und

die „Pakis“, wie er sie selbst bezeichnet, dass es ein Buch ist übers Schreiben und über das Leben als

Krimineller. Was wiederum bedeutet, dass die bemerkenswerte und wohldurchdachte beständige Fast-Anonymität, die das Buch ausmacht schon seit langem durchschlagen, ausradiert, eliminiert

wurde. Macht diese Tatsache das Buch zur Nebensache? Haben wir bereits genug gehört?

Nein! „YAHYA HASSAN“ ist außerdem – neben allem anderen – die auf verstörende Art und Weise

geniale Dichtkunst eines sehr jungen Dichters. Aus diesem Grund muss das Buch ernst genommen

werden; nicht nur als Stellungnahme zu etwas, sondern als Poesie. Zur Familie des Jungen/Dichters in

Jutland:

WIR HATTEN KEINE PLÄNE

DENN ALLAH HATTE PLÄNE FÜR UNS

Zum Jungen/Dichter und seinen gewalttätigen Vater:

ALS ER FERTIG WAR KONNTE ICH FAST NICHT GEHEN

ODER STEHEN AN DER WAND

DIE ARME GESTRECKT UND EIN FUSS IN DER HÖHE

GENAU SO WIE ER DAS WOLLTE

ER RAUCHTE EINE ZIGARETTE UND SAMMELTE KRÄFTE

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Man könnte „YAHYA HASSAN“ auch als Autobiografie in Form von Poesie bezeichnen, weil es nicht

nur um ihn geht, sondern auch um seine Chronik, sein Heranwachsen vom Kind zum Erwachsenen,

vom verprügelten Jungen zum jungen Poeten. Einen Teil seines Lebens verbringt der junge Yahya in der Kriminalität:

SO FAHREN WIR 300 KILOMETER

IN EINEM KURZGESCHLOSSENEN WAGEN OHNE BREMSE

HANDSCHUHE IN DER HOSENTASCHE SIND GERICHTSVERFAHREN IN DER ZUKUNFT

Einige Zeit verbringt er auch mit den Konsequenzen seiner Taten:

NACH DER ERSTVERNEHMUNG

KAM ICH IN U-HAFT VIER WOCHEN ICH WURDE VERLEGT IN DIE SICHERHEITSABTEILUNG AUF SEELAND

ICH WARTETE IN EINER ZELLE

WÄHREND DIE POLIZEI MEINE WOHNUNG DURCHSUCHTE

Die Dinge lassen sich so einfach, so leidenschaftslos und so bestimmt erzählen, dass es wehtut. Und

manchmal tut es tatsächlich weh, Yahya Hassan zu lesen. Der Ich-Erzähler ist hart zu seiner Familie

und zu sich selbst, er ist schonungslos gegenüber religiösen Bräuchen und er kommt völlig, völlig,

völlig ohne ein Verständnis für andere Lebensarten aus, ohne die Tatsache, dass wir alle hier sein

müssen, ohne das Wissen, dass alles gut werden wird...

Wie hier:

EIN MUSLIM VOM GELLERUPPARK

FINDET UNSEREN TREPPENAUFGANG

LIEST AN DEN BRIEFKÄSTEN

UND KLOPFT AN DIE TÜR MIT DEN MEISTEN MÄDCHENNAMEN

TAXIERT DIE NACHKOMMENSCHAFT

WILL MEINE KLEINE SCHWESTER ZUR HAUSFRAU

EIN PARADIES FÜR SIE SCHAFFEN IN EINEM ANDEREN BETONBLOCK

MIT ALLAHS FÜHRUNG UND 20 JAHREN ALTERSUNTERSCHIED DER ERSTE MANN SEIN IN DER ERSTEN NACHT

FICKEN MIT SEINEM BART UND ALLAH DANKEN FÜR ALLES

Oder hier:

ICH LIEBE EUCH NICHT ELTERN ICH HASSE EUER UNGLÜCK

ICH HASSE EURE KOPFTÜCHER UND EURE KORANE

UND EURE ANALPHABETISCHEN PROPHETEN

EURE INDOKTRINIERTEN ELTERN

UND EURE INDOKTRINIERTEN KINDER EURE GEBRECHEN UND EURE GEBETE UND EUREN BEISTAND

Am Ende von „YAHYA HASSAN“ angekommen, beginnen die Gedichte damit, ganz im Sinne des

Grundgedankens des Buches, eine Art Paki-Dänisch zu sprechen und am Ende steht der paki-dänisch

sprechende Yahya Hassan, der zum Dichter wird, weil Gyldendal „YAHYA HASSAN“ auf seinen Ge-

dichtband geschrieben hat:

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ICH TAUCHE AUF BEI MEINEM VERLAG

MIT DIESEM GESICHT WIE MEIN VATER ES HAT

ZEIGE ES HER MIT LEBENDIGEM SCHWANZ UND DER SEKRETÄRIN IN MEINEN GEDANKEN

GEBE ICH DAS MANUSKRIPT AB DAS KEIN MANUSKRIPT IST

DAS MANUSKRIPT IST JETZT EIN UMBRUCH

SAGT DIE FRAU DIE LEKTOR SPIELT

WÄHREND MEIN JUDENLEKTOR IM KURZURLAUB IST

Ist es relevant zu fragen, ob „YAHYA HASSAN“ ein erfolgreicher Gedichtband ist? Ja, es ist relevant.

Warum? Weil Gedichte immer Gedichte sind, bevor sie zu etwas anderem werden; und weil Gedich-

te, die etwas über etwas aussagen wollen – nicht aus diesem Grund – weniger Anspruch haben,

ernstgenommen zu werden. Als Poesie.

Ist also „YAHYA HASSAN“ ein erfolgreicher Dichtband? Ja, das ist es. Warum? Es ist erfolgreich, weil

es mit von Rap inspirierter In-Ya-Face-heit genau auf den Punkt trifft, so kommt es mir zumindest

vor: dass es das, was Yahya Hassan aussagen will; so exakt trifft; und das bemerkenswerterweise

nicht mit poetischen Umformulierungen und subtilen Metaphern, sodass es dem Leser direkt ins

Gesicht schlägt und ihn zumindest für diesen kurzen Moment verändert.

Ob das worüber Yahya Hassan schreibt, tatsächlich wiedergibt, was sich heute in dänischen Einwan-

dererkreisen abspielt, ist eine Frage, die man sich zwangsläufig stellen muss. Die Frage wurde auch

schon mehrfach gestellt und hat bereits zu Reaktionen sowohl von rechts als auch von links geführt, genauso wie zu Drohungen und Beschimpfungen in den sozialen Medien. Natürlich wirkt „YAHYA

HASSAN“ wie ein rohes und genaues Bild, wie der gleichnamige Dichter die Realität wahrnimmt. In

der Welt der Poesie ist das real genug.

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YAHYA HASSAN

POLITIKEN 17. Oktober 2013

DICHTER: ICH BIN FUCKING WÜTEND AUF DIE GENERATION MEINER ELTERN

Wir, die wir aus dem Bildungssystem rausgeflogen waren, wurden zu Kriminellen, zu ziemlichen Är-

schen – es war nicht das System, das an uns gescheitert ist, sondern unsere Eltern, sagt ein junger

Dichter.

Von Tarek Omar

„Ich bin fucking wütend auf die Generation meiner Eltern, die in den späten 1980ern nach Dänemark

gekommen ist. Diese riesengroße Gruppe Flüchtlinge, die eigentlich Eltern hätten sein sollen, haben

ihre Kinder komplett im Stich gelassen. In dem Moment, als unsere Eltern am Flughafen angekom-

men waren, war es, als wäre ihre Elternrolle einfach erloschen. Und dann durften wir mit ansehen

wie unsere Väter teilnahmslos auf Staatskosten versumpften, mit der Fernbedienung in der Hand vor

den Fernsehern fläzten, dazu passend eine desillusionierte Mutter, die einfach nichts dazu sagte –

nichts dafür und auch nichts dagegen. Wir, die wir aus dem Bildungssystem rausgeflogen waren, wie,

die wir zu Kriminellen wurden und wir, die wir zu ziemlichen Ärschen wurden – wurden nicht vom

System im Stich gelassen, sondern von unseren Eltern. Wir sind eine verwaiste Generation.“

Diese Worte stammen vom 18-jährigen Yahya Hassan, dessen erster Gedichtband Ende des Monats

im Gyldendal-Verlag erscheinen wird.

Neben seiner anstehenden Publikation wurde er auch im September an der dänischen Schriftsteller-

schule in Kopenhagen angenommen. Auf den ersten Blick wirkt sein Leben wie eine Erfolgsgeschich-

te, doch noch vor einem Jahr ist er von einer Schule geflogen, im Jahr zuvor war er wegen Raubes in

Arrest und noch ein Jahr vorher lebte er aus einer Reisetasche, die er immer wieder aufs Neue zu-

sammenpackte, wenn er wegen Verhaltensstörungen die Unterbringung wechseln musste.

„Ich wurde als Kind verprügelt. Systematisch verprügelt. All meine Freunde sind auch mit Schlägen aufgewachsen. Mein Vater verbrachte seine Zeit damit, nach Wegen zu suchen, mich und meine

Geschwister zu bestrafen. Er zwang uns, auf einem Bein zu stehen, das Gesicht zur Wand und dabei

beide Arme zur Seite auszustrecken. Es ist krank! Es geht nicht darum, dass sie uns nicht mit den

Hausaufgaben helfen konnten und für uns klassische Gedichte rezitierten, es geht darum, dass sie

sich einen Dreck um uns gekümmert haben; dass sie nicht die Kraft hatten, sich um ihre eigenen Kin-

der zu kümmern, das macht mich heute so wütend. Das ist es, was ich in meinen Gedichten attackie-

re. Sie waren nur Zuschauer, die uns hin und wieder schlugen, um das Gefühl zu bekommen, dass sie

eine gewisse Ordnung aufrecht erhalten konnten.“

Eine Ordnung aufrecht erhalten?

„Ja, dass sie immer noch eine Art Elterngefühl hatten. Das Schlimmste daran war, dass sie ja tatsäch-

lich genug Zeit gehabt hätten, um sie mit uns zu verbringen, die sie aber für alles andere verwende-

ten. Die Männer spielten Karten, taten nichts, gingen in die Moschee und sahen sich die Nachrichten

aus dem Mittleren Osten an, während die Frauen ihre ganze Zeit mit lästern und Schnäppchenjagd

im Supermarkt verbrachten. Wenn sich ein verwöhnter Junge aus der Oberschicht heutzutage be-

schwert, dass sein Vater nie zu Hause war, weil er immer so lange arbeiten musste, ist das eine Lo-

gik, die ich verstehen kann. Der Vater war nicht da, weil er arbeiten war. Die Mehrheit der Väter in

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der Gegend, wo ich aufgewachsen bin, in Aarhus West, hatten keine Arbeit und lebten von Sozialhil-

fe. Sie hatten alle Zeit der Welt, aber verbrachten sie eben nie mit uns. Irgendwann bekam mein Va-

ter einen Job als Taxifahrer, das hieß aber nur, dass er nun auch körperlich nicht mehr anwesend war. Es hatte sich nichts geändert.“

Soziale Korruption

Im Alter von 13 Jahren wurde Yahya Hassan nach mehreren Jahren in der Kriminalität im Heim unter-

gebracht. Er erinnert sich klar an den Abend, an dem zwei Polizisten und ein Sozialarbeiter an die

Wohnungstür klopften.

„Meine Schwester rannte dem Polizeiauto hinterher, trommelte gegen die Tür, ihr liefen Tränen

übers Gesicht und Schnodder aus der Nase. Es war irgendwie der Höhepunkt von all dem Elend und all der Korruption meiner Kindheit. Diese Fäulnis der Unterschicht konnte ich nie loswerden.“

Sie hatten persönlich eine sehr harte Erziehung. Glauben Sie nicht, dass Sie ein Einzelfall unter vielen

erfolgreichen Familien in der Unterschicht sind?

„Nein. Diese Fäulnis ist einfach überall in den Ghettos. Schauen Sie sich doch mal an, wie viele Men-

schen es in der Unterschicht gibt, die von Sozialleistungen und dem Staat leben. Die Tatsache, dass

erwachsene Männer den gesamten Koran zitieren können, jeden Tag in die Moschee gehen und sich

doch ach so heilig verhalten – während sie wiederum kein Problem damit haben, das System zu be-

trügen und auszunutzen – vor allem wenn es um die frühzeitige Rente geht. Die soziale Korruption ist allgegenwärtig. Schauen Sie sich mal an, wie viele junge, gesunde Männer es in den dänischen Ghet-

tos gibt, die locker 100 Kilo Metall in der Muckibude stemmen und gleichzeitig Frührente erhalten,

weil sie für den Arbeitsmarkt ungeeignet sind. Frührente ist in dieser Realität etwas, was angestrebt

wird, und wenn sie dann endlich genehmigt wird, wird sie erstmal ordentlich gefeiert.“

Das klingt ähnlich wie die Unterschichten, die Karina Pedersen und Lisbeth Zornig beschreiben. Erken-

nen Sie einen Unterschied zwischen der dänisch-stämmigen Unterschicht und der der Einwanderer?

„Die Unterschicht der Einwanderer ist noch nicht so erfahren, wie die dänische, die mit den Sozial-

leistungen großgeworden ist. Aber die Scheinheiligkeit ist ohne Frage bei den Einwanderern schlim-mer, die auf der einen Seite mit Stolz betonen, dass sie streng muslimisch leben und auf der anderen

die Gesellschaft betrügen. Es ist lächerlich, wenn jemand aus meiner Heimatstadt Aarhus, von dem

ich weiß, dass er heimlich schwarzarbeitet, während er Sozialhilfe kassiert, mir Vorträge hält, wie ich

mich zu verhalten habe. Das kann man dann schwer erst nehmen. So einer lässt seine Töchter Kopf-

tücher tragen und starrt gleichzeitig die Frauen an, die ihm auf der Straße begegnen. Als ich als Kind

auf dem Computer meines Onkels gespielt habe, war ich ehrlich schockiert, als ich bemerkte, dass

das Ding voll war mit Pornos. Er hatte immer damit angegeben, was er doch für ein Heiliger wäre.

Diese Männer leben in einer Fantasiewelt, in der sie vögeln können, trinken und stehlen – und

abends gehen sie in die Moschee und suchen dort Vergebung. So können sie alle am nächsten Tag in

ein neues Leben starten, weil Gott ihnen ja vergeben wird. Das ist eine groteske Herangehensweise an Religion. Ich habe keinerlei Respekt für diese Scheinheiligkeit. Wenn Araber aus dem Mittleren

Osten auf Araber aus Dänemark treffen würden, kämen sie nie im Leben darauf, dass sie Araber

sind.“

Was meinen Sie damit?

„Die wissen nichts über arabische Literatur, Geschichte, Sprache und leben eine Art Unterschichten-

Islam, aus dem sie sich herauspicken, was ihnen passt, und den Rest einfach von Bord werfen. Natür

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lich geht die Mehrheit der Dänen mit Migrationshintergrund arbeiten und hält sich an die Gesetze,

aber die Unterschicht wächst gerade auf Ausmaße an, die sich nicht mehr ignorieren lassen.“

Meine Lehrer dachten, dass ich betrüge

Als Yahya Hassan 13 wurde, kam er zum ersten Mal ins Heim. Dort passte er nicht in die Gemein-

schaft, und die Lehrer kamen nicht mit ihm zurecht, sodass er in eine andere Unterbringung zog.

Nach diesem Muster lebte er mehrere Jahre, bis er ins Heim in Solhaven in Nord-Jutland kam, wo er

zum ersten Mal mit Literatur in Berührung kam.

„In Solhaven dachten sie zuerst, ich wäre wie alle anderen Störenfriede. Darum setzten sie mich von

morgens bis abends vor Matador. Aber eines Tages sollten wir einen Aufsatz über Facebook abge-ben. Ich habe das gesamte Wochenende an diesem Aufsatz gearbeitet. Nachdem ich ihn abgegeben

hatte, sah meine Lehrerin mich kurz an, gab ihn mir zurück und sagte: 'Wo hast du das denn geklaut?

Das hast du nicht selbst geschrieben.' Ich wurde so wütend, dass ich ihr sagte, dann würde ich eben

einen neuen schreiben und am gleichen Tag noch abgeben. Das tat ich dann auch. Sie traute ihren

Augen nicht. Von diesem Tag an, sah ich keine einzige Matador-Folge mehr. Sie gab mir dänische

Klassiker, Gedichte, Kurzgeschichten und anspruchsvolle Romane zu lesen. Und das ist die Geschich-

te, wie mir zum ersten Mal aufgefallen ist, dass ich schreiben kann. Meine Lehrerein in Solhaven

kümmerte sich von da ab darum, dass ich mich weiterentwickelte und Schreib- und weiterführende

Kurse besuchte.“

War das die Zeit, in der Sie anfingen, Gedichte zu schreiben?

„Ja, es war, als wäre eine alte Wunde aufgerissen worden und die Worte kamen nur aus mir heraus-

gesprudelt. Wütende Worte. Ich schrieb an meinem Gedichtband, während ich außerhalb Solhavens

die neunte Klasse besuchen durfte. Dort habe ich wirklich erfahren, was es bedeutet, ausgeschlossen

zu sein. Viele der Mittelschicht-Eltern wollten nicht, dass ihre Kinder Kontakt zu mir hatten, darum

wurde ich zu keiner einzigen Party eingeladen. Wahrscheinlich habe ich es ihnen auch nicht gerade

einfach gemacht, aber ich habe mich eben mal wieder wie der Kanake gefühlt.“

Inwiefern?

„Plötzlich war ich der einzige aus der Unterschicht unter all diesen erfolgreichen Kindern. Wenn ich

mir heute mein Leben ansehe, habe ich das Gefühl, dass ich mich irgendwie vom Unterschicht-

Kanaken zum Oberschicht-Kanaken entwickelt habe. Den einen Tag laufe ich noch vor der Polizei weg

und den nächsten bin ich zum großen Herbstempfang bei Gyldendal eingeladen, wo ich mit den an-

deren bejubelten Schriftstellern Wein trinke. Aber ich bin immer noch ein Kanake. Eine der ersten

Dinge, die mir mein Lektor bei Gyldendal über den Gedichtband gesagt hatte, war, dass wir ihm den

Titel 'Ghetto-Gedichte' geben könnten. Ich mache ihm daraus keinen Vorwurf, weil er weiß, dass es

genau das ist, was die Medien erwarten. Sie wollen eine Kanaken-Trophäe. Aber ich bin verdammt

nochmal kein Naser Khader, Farshad Kholghi oder Hassan Preisler, der sich benimmt wie eine Kana-ken-Trophäe. Es geht einzig und allein um die Umstände. Ich schreibe autobiografische Gedichte aus

der Unterschicht über ein episches Verlassenwerden von den Eltern. Ich bin kein Vorbild oder Ideal

für andere Dänen aus Einwandererfamilien, versprechen Sie mir bloß, dass Sie mich im Interview

nicht so darstellen werden.“

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Die Konfrontation, die niemals kam

Wenn es nach Yahya Hassan geht, ist das größte Problem nicht das Verlassenwerden von den Eltern an sich, sondern die ganze verlassene Generation, die es nicht schafft, die eigenen Eltern zu kritisie-

ren.

„Meine Generation hat es nicht geschafft, die Schlacht zu kämpfen gegen das gigantische Versagen,

das ihnen ihre Eltern eingebrockt haben. Vor allem die gut ausgebildeten und so genannten intellek-

tuellen Dänen aus Einwandererfamilien haben ihre Verantwortung, die Probleme, die wir bis auf

wenige Ausnahmen durchlaufen haben, in der öffentlichen Debatte infrage zu stellen, zu kritisieren

und auszusprechen, nicht erfüllt. Sie sind die weltbesten Kritiker wenn es um Menschenrechte und

Kriege im Mittleren Osten geht, aber was den eigenen Hinterhof angeht, bleiben sie passiv.“

Warum glauben Sie, dass ihre Generation nicht kritisieren konnte?

„Viele Eltern haben ihren Kindern die Ohren abgekaut mit Vorträgen, dass sie dankbar sein sollten,

dass ihre Eltern es geschafft haben, nach Dänemark zu kommen, denn was wäre nur aus ihnen ge-

worden, wenn sie im Flüchtlingslager geblieben wären? Als ob sie uns einen Gefallen getan hätten.

Das ist emotionale Erpressung, wenn Sie mich fragen und ein ganz lächerliches Argument, das die

Eltern in keinem Fall von ihrer Verantwortung befreit.“

Denken Sie nicht, dass es daran liegt, dass Ihre Generation aus gut ausgebildeten Dänen aus Einwan-

dererfamilien weiß, dass die Eltern aus schlechten Bedingungen stammen und dass sie aus diesem

Grund so tolerant gegenüber ihren Schwächen und Fehlern sind?

„Ja, viele Menschen dachten: Tritt niemanden, der schon am Boden liegt. Aber ich denke auch, dass

die öffentliche Diskussion in Dänemark einen sehr negativen Effekt gehabt hat. Dänen mit Migrati-

onshintergrund waren schon immer in der Defensive, seit sie hierhergekommen sind. Und oft hatten

sie allen Grund dazu. Wenn jemand defensiv sein muss, entwickelt er sich nicht innerhalb seiner

Minderheit, weil Selbstkritik als Entsprechung für die Kritik am 'Feind' angesehen wird. Aber dennoch

überrascht es mich, dass meine Generation so still war. Die Eltern sind ja das Problem, ihnen ist es zu

verdanken, dass so viele Jungs aus Einwandererfamilien kriminell und von der Schule geschmissen

werden und von Sozialhilfe leben.“

Aber wenn Sie so eindeutig die Eltern beschuldigen, vergessen Sie da nicht, dass diese Jungs auch eine

Verantwortung für ihre eigene Zukunft haben?

„Wenn Sie zu Hause nie gelernt haben, was richtig ist und was falsch, ist es schwer, als junger

Mensch richtige Entscheidungen zu treffen. Wenn Ihre Eltern Sie nur mit Schlägen und Koran-Zitaten

erziehen und nicht mit sinnvollen Gesprächen, ist es schwierig, sich auf die Gesellschaft vorzuberei-

ten. Wenn die Eltern ihren Teil dazu beigetragen haben, einen gesunden und guten Menschen aus

einem zu machen, dann kann man über persönliche Verantwortung sprechen.“

Jetzt haben wir einen intelligenten jungen Mann wie Sie, der nun aufsteht und die Verlassenheit von

den Eltern auf den Tisch bringt. Was sollte man ihrer Meinung nach tun?

„Zuerst müssen wir dieses riesige Problem, das wir hier haben, anerkennen. Und wenn ich sage

„wir“, meine ich damit die Dänen mit Migrationshintergrund. Die Angst vor der Eingliederung kommt

lustigerweise nämlich nicht von den urwüchsigen Dänen, sondern von denen aus Einwandererfami-

lien selbst. Zweitens gab es diese große Tendenz, Kinder aus Einwandererfamilien nicht in Heime zu

geben, auch wenn für jeden klar

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war, dass die Eltern nicht in der Lage waren, Eltern zu sein. Aufgrund ihres abweichenden kulturellen

Hintergrunds gab es ein größeres Verständnis dafür, dass sie ihre Kinder schlagen. So ist das eben im

Mittleren Osten. In dieser Fehleinschätzung liegt das Versäumnis der Dänen. Aber das wichtigste und allererste, was es von meiner Generation zu konfrontieren gilt, ist die Vernachlässigung durch die

Eltern.“

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YEAR Y Ein Aufsatz über die Bedeutung Yahya Hassans für di e dänische Literatur. PABLO HENRIK LLAMBIAS, AUTOR, MEDIENKÜNSTLER UND LE ITER DER SCHRIFTSTELLERSCHULE Im Oktober gab Yahya Hassan einen Empfang zum Erscheinen seines Buches „YAHYA HASSAN“ an der Schriftstellerschule, die er besucht. Viele dänische Autoren, Literaten und Verlagsmitarbeiter waren anwesend. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht der einzige war, der glaubte, dass die Publikation nicht nur für unsere Art und Weise über Integration zu sprechen bedeutend war, sondern auch für die dänische Literatur. Ich habe noch keinen Überblick, wie sich diese Bedeutung auswirken wird aber für mich haben die seither gehaltenen Lesungen den Eindruck bestätigt, dass wir Zeuge von etwas ganz Besonderem geworden sind. „YAHYA HASSAN“ spricht zur dänischen Literatur auf eine Art, wie ich es noch nie wahrgenommen habe. Das Buch hinterfragt unsere Art zu arbeiten. Es hinterfragt unsere Bücher. Das ist mein Gefühl. Womöglich projektiere ich auch nur meine eigene Erfahrung in etwas anderes, aber ich glaube, dass man den Effekt Menschen anmerkt; das lässt sich nicht ignorieren. Das Buch spricht etwas in uns an. Es erinnert uns an etwas Wichtiges. Es ist eine wunderbare Erfahrung, die uns aber auch erschüttert hat. Was passiert hier? Es gibt Menschen, die fälschlicherweise glauben, dass das Material „YAHYA HASSAN“ seine Bedeu-tung gegeben hat. Das ist falsch. Ich will es erklären. Versuchen wir es, einem frei erfundenen Bei-spiel gegenüberzustellen. Man könnte sich ganz einfach eine heikle, halbwegs gut geschriebene Fallstudie aus dem Ghetto vornehmen, die inhaltlich dieselben Kernthemen enthält. Hier einige Beispiele: Die Aufmerksamkeit auf Untreue in der muslimischen Unterschicht zu lenken. Die Aufmerksamkeit auf Scheinheiligkeit in religiösen Kreisen zu lenken. Die Ausnutzung des Sozialstaats. Wo läge der Unterschied? Der Unterschied läge in der Präzision. Präzision ist alles. Was ist Präzision? Man denkt häufig, dass sich Präzision durch Objektivität im Sprachgebrauch aus-zeichnet wie bei einem technischen Text. Ein Vater ist ein Vater. Ein Sozialstaat ein Sozialstaat. Ein Schmerz ein Schmerz. Vor allem das letzte Beispiel zeigt das Problem auf: die Sprache verhält sich nicht so, wie man es von ihr erwartet. Trotz der Tatsache, dass das Wort „Schmerz“ in seinem Kontext ein Phänomen bezeich-net, mit dem die meisten Menschen vertraut sind, ist es nichts mehr als ein Kennzeichen. Das Wort „Schmerz“ ist ein Kennzeichen, das aussagt, dass an dieser Stelle des Texts auf einen Komplex angespielt wird, dessen Nuancen komplett verloren gegangen sind und für den quasi keine Voraussetzungen existieren. In anderen Worten ist der Begriff unpräzise. Dasselbe gilt für „Sozialstaat“, ein Überbegriff, der eine ganze Reihe Elemente in sich vereint, deren Ausmaß und vor allem deren Inhalt abweichend wahrge-nommen werden können. Genauso kann es schließlich mit dem Vater in dem Wort „Vater“ gehandhabt werden, dem einen Va-ter, der nicht existiert und nie existieren wird, einfach ein Vater wie alle anderen Väter, sondern ein

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besonderer, einzigartiger Vater mit einer ganz spezifischen Psychologie, Lebensart und Erscheinung. Natürlich ist es wichtig, diese Dinge mit einzuschließen; wenn wir verstehen wollen, wie komplex die Situation ist, woraus Schmerz eigentlich besteht, wer das eigentlich ist, der da unterdrückt, wie das geschieht und vor allem warum, müssen wir uns sehr genau mit den Umständen vertraut machen. Yahya schafft eine solche Beschreibung. Was ist Schmerz? Schauen wir uns den Schmerz einmal an. Wenn wir uns den Schmerz ansehen, stellen wir fest, dass es dabei um viel mehr geht als nur um die Überschriften, die alle Zeitungen fül-len. Yahya schafft es, alles darin unterzubringen. Es ist keine eindeutige Geschichte über Anschuldi-gungen und Enthüllungen. Es geht um den Schmerz, der mit der Feststellung einhergeht, dass es den eigenen Eltern nicht ge-lungen ist, ihrer Elternrolle gerecht zu werden. Es geht um den Schmerz, wenn man feststellt, dass man ihnen nicht helfen kann; dass es nicht in seiner Macht steht, irgendetwas daran zu ändern. Es geht um den Schmerz, wenn man merkt, dass man Ihnen bestenfalls die Wahrheit sagen kann. Yahya hat den Mut, die Wahrheit zu sagen, weil er sie tatsächlich liebt. Es ist allerdings eine ohn-mächtige Liebe, die vom besten Gedicht in „YAHYA HASSAN“ widergespiegelt wird: „JETLAGFINS-TERNIS“. Die Intensität zeigt sich bereits zu Beginn des Gedichts, das nach einer Feier einsetzt. Durch die Ge-wissensbisse aufgrund von erniedrigenden Sehnsüchten und dem Drang zu beichten über die Suche nach der verlorenen Vorhaut zum Gebet über den Fluch der Unabhängigkeit – von Mutter, Eltern, Glaube – der es dem Erzähler ermöglicht hat, zur Ausgeburt Satans zu werden. Auf keinen Fall geht es dabei nur darum, sich einfach von seiner Familie und dem muslimischen Glauben zu distanzieren. Es ist ein Lied vom Leiden über die damit verbundenen Kosten. Alles hat seinen Preis, wie Yahya es ausdrückt. Seine Bilder sind genauso brutal wie seine Art zu erzählen, was für mich die Präzision ausmacht: Es ist nicht möglich, präzise zu sein, ohne sich präzise auszudrücken. Das Wort „Schmerz“ hat keine Aussage. Die folgenden Sätze dagegen schon: » WEIN UND URIN SIND DERSELBE FLUSS«, »ICH HABE DAS UNVOLLKOMMENE ZWISCHEN MEINEN BEINEN«, » ICH NOTIERTE DIE SÜNDEN/UND SCHICKTE SIE ZUR KORREKTUR AN DIE PROHETEN«, » DER HANDSCHMUCK DEN ICH TRAGE/DEN BRINGT MIR DIE OBRIGKEIT MIT«. Und direkt im Anschluss: »DAS BELLEN DES HUNGRIGEN HUNDES BRINGT SIE«. Gefolgt von: »EINEN FETZEN PAPIER UND STAATSSCHULDEN BRINGT SIE DAS WAS IHR SAGT BIN ICH NICHT WERT IHR SEID ES ICH WILL ZUR HURE ICH WILL IHR DIE SCHULD FÜR DAS ELEND DER LÜSTE GEBEN DIE SICH FORTPFLANZEN IN MEINER SEELE WENN ICH IN DIESEM JAHRHUNDERT EINEN ANSPRUCH AUF SIE ERHEBEN KANN MEINE KOKAINSEELE MEINE INTERNETSEELE MEINE PORNOSEELE MEINE GELDSEELE MEINE GEFÄNGNISSEELE«. Ab hier kann man tatsächlich das restliche Gedicht Wort für Wort zitieren, so reich ist es. Ich setze aber erst beim Höhepunkt etwas später ein: » ICH GEHE AUF DIE JAGD NACH DEM MUTTERLEIB

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IHR MACHTET MICH UNABHÄNGIG IHR MACHTET MICH FÄHIG MUTTER ZU VERLETZEN IHR KAPPTET DIE NABELSCHNUR DAS HÄTTET IHR NIE TUN SOLLEN ICH HÄTTE DER HUND AN DER LEINE DER MUTTER SEIN SOLLEN ASCHE IST DAS WAS NICHT MEHR IST DAS DUNKEL IST DAS WAS NIE WIRD DOCH SIEHE WAS SATAN HINTERLASSEN HAT EINE EWIGE FLAMME AUS SEINER HÖLLE«. Und damit endet das Gedicht. Wut und Gewissensbisse halten sich in dem Gedicht die Waage, anfangs auf den Konflikt zwischen Reinheit und Schmutz, zwischen Religion und Verlangen abzielend, erreicht es seinen vorläufigen Höhepunkt im Gerassel der Seelen, deren Zerstörung durch die Versuchungen des Jahrhunderts her-beigeführt wird. Aber richtig explosiv wird das Gedicht erst am Schluss, wenn das Gebet, dass man doch nie hätte geboren werden sollen an die Eltern gerichtet wird, nachdem der Ich-Erzähler festgestellt hat, dass er deren Ansprüchen niemals genügen wird. Der Wunsch jemandes Mutters Hund an der Leine zu sein, ist in seiner gesamten Ambiguität herzzerreißend; der Wunsch ist real, wird aber zur gleichen Zeit nie erfüllt werden. Dieser Gedichtband ist voll von derartigen präzisen und überwältigenden Bildern. Beim Durchgehen des Buches finden sich viele dieser Beispiele. Die Intensität ist an den meisten Stellen auf ihrem Höhepunkt. Nicht alle Gedichte sind gleichermaßen bedeutsam, aber alles in allem übertrifft dieser Gedichtband im Gesamten all das, was sonst veröffentlicht wird. Und als Gedichtband erhält das Buch seine Bedeutung. Als Gedichtband erhält die Substanz Bedeu-tung. Als Gedichtband gibt es uns Gesprächsstoff, selbst wenn sich daraus eine Debatte über Ausdrucks-freiheit, Beziehungen unter Muslimen, ihren Beziehungen zu den Dänen, und so weiter ergibt. Ohne diese Präzision in seinen Beschreibungen, ohne die so völlig persönlichen Dinge, die Yahya Hassan dem Text verliehen hat, gäbe es keine Bedeutung, wenigstens nicht auf so überwältigende Art und Weise. Yahya Hassans Bedeutung ist zurückzuführen auf „YAHYA HASSAN“. Das Gedicht im Gedicht ist es, was dafür sorgt, dass er den richtigen Punkt trifft. Es ist nicht meine Aufgabe, „YAHYA HASSAN“ auf einen Suppenwürfel voll Bedeutung zu reduzieren und zu sagen, dass es das ist, und zwar nur das, um was es im Buch geht. Im oben gesagten habe ich mich auf nur einen Aspekt konzentriert: Schmerz als Illustration der Bedeutung von Präzision und lyrischer Poesie. In „YAHYA HASSAN“ geht es um viel mehr als Schmerz. Eine Deutung von „YAHYA HASSAN“ müss-te zwangsläufig im Kontext der Deutung aller Gedichte im Buch stattfinden. Doch dafür habe ich hier keinen Raum. Oft wurde „YAHYA HASSAN“ in einem politischen und soziologischen Kontext gedeutet. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die glauben, dass es eine bestimmte „literarische“ Art und Weise gibt, lyrische Poesie zu lesen, die keine politischen und soziologischen Assoziationen einschließt. Ich unterstütze hiermit Yahyas eigene offene Position darüber, wie das Buch zu lesen ist: Wie Sie das Buch verstehen, hängt von Ihnen ab und Sie tragen dafür die Verantwortung. Das soll aber nicht hei-ßen, dass alle Deutungen des Buchs auch gleichermaßen angemessen sind. Einige Deutungen sind angemessener als andere.

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Das muss überprüft werden. Die oben zusammengestellte Interpretation zum Beispiel wäre nicht an-gemessen, wenn ich zum Schluss gekommen wäre, dass es in „JETLAGFINSTERNIS “ um ein lilafar-benes Hühnchen auf Reisen geht. In der Schriftstellerschule, sind wir daran gewöhnt, mit dem alten Vorurteil konfrontiert zu werden, dass unsere Schüler keinerlei Substanz haben und sich stattdessen auf Form konzentrieren. Viele Kommentatoren lassen sich dazu hinreißen, von diesem Vorurteil Gebrauch zu machen, das die instinktive Aversion der Gesellschaft gegenüber „Institutionen“ bestätigt. Ich habe Jahre mit dem Versuch verbracht, dieses Vorurteil zunichte zu machen, weil es nicht auf Fakten basiert sondern auf Annahmen, sie sich über die Jahre selbst am Leben erhalten und vermehrt haben. Die Antwort war: Schauen Sie sich die Arbeiten an, lesen Sie die Bücher. Das hat die Kritik teilweise aussterben lassen, da die Vielseitigkeit und Reichhaltigkeit an Substanz größer war, als die Vorurteile behaupteten. Alle Studenten der Schriftstellerschule arbeiten mit einer mindestens so kämpferischen Wesentlichkeit wie Yahya. Dennoch bringt es uns zum Nachdenken wenn wir sehen, dass die Notwendigkeit so stark demons-triert wird wie in Yahyas Fall. „Notwendigkeit“ sagen wir gerne in Trinksprüchen wenn wir über die fundamentalen Voraussetzungen der Kunst sprechen sollen. Aber was ist die Notwendigkeit wert, wenn sie sich nicht in Mut widerspie-gelt? Die Notwendigkeit ist es, die uns mutig macht. Es liegt an fehlender Notwendigkeit wenn wir etwas nach der Hälfte abbrechen. „Sie schreiben nicht für das Milieu“ sage ich gerne bei der Willkommensansprache für die neuen Stu-denten. „Sie schreiben nicht für die Schule oder die Interpretationen.“ Damit meine ich, dass sie nicht Anerkennung oder Akzeptanz im Milieu suchen sollen, das die Schule und die literarische Gesellschaft Kopenhagens ausmacht. Sie müssen in einem größeren Kontext schreiben. Sie müssen schreiben, was notwendigerweise geschrieben werden muss, koste es was es wolle. Wenn das zur Folge hat, dass sie sich hier und da unbeliebt machen, dann ist das eben so. Nach meiner Ansicht hat uns Yahya daran erinnert, um was es eigentlich geht. Es gibt viele andere außer ihm, die ebenfalls Substanz haben. Auf der anderen Seite gibt es nur we-nige, die schreiben können. Die wenigen, die schreiben können, haben eine Verpflichtung ihrem Ge-schriebenen gegenüber. Sie müssen den ganzen Weg gehen, nicht nur den halben. Es braucht allen Mut, den ganzen Weg zu gehen. Man muss dazu bereit sein, wenn nötig beim Schreiben die Komfortzone eines anderen zu verlassen. Yahya und „YAHYA HASSAN“ demonstrieren das in aller erstrebenswerter und schockierender Klar-heit. Ein Aufsatz zu „YAHYA HASSAN“ kann wahrscheinlich nicht geschrieben werden, ohne Themen wie Redefreiheit anzuschneiden. Yahya selbst sagt ziemlich klar: in seinem Buch geht es nicht um Rede-freiheit. Egal was andere in seine Worte hinein lesen, es liegt in ihrer eigenen Verantwortung. Yahya ist ein echtes Naturtalent auf der Bühne. Ich sage damit nicht, dass er ein „Professioneller“ ist, wie viele Schriftsteller auf unerträgliche Weise zu „Professionellen“ werden, wenn sie ein Podium be-treten, um ihr „Buch zu verkaufen“ (so glauben die Menschen, ihr Handeln zu verstehen): sie erzählen Anekdoten, am liebsten humorvolle; flirten mit dem Interviewpartner, sie setzen ein ernstes Gesicht auf, wenn sie über die „ernsten Themen“ ihrer Arbeit sprechen (das müssen wir natürlich auch tun).

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Es ist peinlich und nicht schön anzusehen. Das Buchforum (dänische Buchmesse), die sonst eigent-lich ein gutes Schaufenster für Literatur ist, ist voll von derartigen Vorstellungen. „Professionalität“ ist eine Plage. Ein Schriftsteller der versucht, seine Arbeit auf diese Art und Weise zu verkaufen, ist nicht ernstzunehmen. Yahya ist weit davon entfernt, so ein „Professioneller“ zu sein. Er ist aufrichtig. Meistens bleibt er mit seinen Antworten in seiner eigenen Hälfte des Spielfelds und erzählt von seinen eigenen Erfahrungen. Während andere Schriftsteller überglücklich sein würden, zu sehen, wie ihre Arbeit in eine verallge-meinernde Perspektive transportiert wird („die Aufgaben von Integration“, „Identitätsprobleme“), weist Yahya immer wieder diese Art abstrahierte „Zusatzwerte“ zurück. Stattdessen sagt er, dass Unterdrückung immer spezifisch ist und von spezifischen Menschen in ei-nem spezifischen Kontext ausgeübt wird. In anderen Worten, Yahya versucht nicht höhere, allgemei-ne „Prinzipien“ anzusprechen, darunter die „Redefreiheit“. Ich gebe Yahya absolut Recht, dass es in „YAHYA HASSAN“ nicht um die Redefreiheit geht. Ich gehe daraufhin nicht näher auf dieses Thema ein. Ich bedaure es, dass es nötig ist, Yahya Polizeischutz zu geben. Das ist nicht akzeptabel. Dennoch geht es in seinem Buch nicht um die Redefreiheit. In der Debatte geht es unter anderem um die Frage, wer verallgemeinert. Fakten, Mythen sowie Sprachgebrauch und vermutete Absichten gehen in einer unüberschaubaren Art und Weise ineinander über. Ich möchte keine Meinung zur Angemessenheit dieser Punkte äußern. Ich merke zunächst einmal nur an, dass Yahya auch in seinem eigenen Milieu ganz allein eine Debat-te entflammt hat, die ihn selbst an den Pranger stellt. Viele Menschen haben gefragt, ob sich Yahya vielleicht einen Medienberater suchen sollte. Er schei-ne seine Antworten nicht an einen vorgegebenen Kontext anzupassen. Er scheine seine Redebeiträge nicht in Einklang zu bringen mit dem, was er erreichen will. Was will er erreichen? Yahya kann diese Frage wunderbar allein beantworten. Das muss ich nicht für ihn übernehmen. Selbstverständlich hatte ich Bedenken, aber Yahya betont immer und immer wieder, dass er selbst für die Dinge, die er sagt, verantwortlich ist. Alles hat seinen Preis. Viele Politiker mit Medienberater sind nicht bereit, diesen Preis zu bezahlen, wollen aber ihre Standpunkte dennoch umgesetzt wissen. Zum Glück sind sie nicht nur Politiker, sondern auch Dichter.

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Süddeutsche Zeitung Feuilleton Dienstag, 26. November 2013

Portrait Seite 11

Ghettojunge Dichter

Dänemark hat eine literarische Sensation: den achtzehnjährigen Yahya Hassan und seine Gedichte aus dem Milieu der Immigranten

VON THOMAS STEINFELD

Am vergangenen Samstag veröffentlichte Politiken , die größte dänische Tageszeitung, auf ihrer Meinungsseite ein Gedicht. Nichts anderes stand auf dieser Seite als diese sechsund-fünfzig, ausschließlich in Großbuchstaben verfassten weißen Zeilen auf schwarzem Grund. An Stelle einer Autorenzeile hatte jemand mit dünnem roten Stift den Namen „Yahya“ quer über die halbe Seite gekritzelt, zusammen mit dem Datum „18, 11, 13“.

Es dürfte aber keinen halbwegs gebildeten Menschen mehr in Dänemark gegeben haben, der nicht sofort gewusst hätte, wer hier in lyrischer Form davon erzählte, wie er an diesem Tag auf dem Hauptbahnhof von Kopenhagen angegriffen wurde, von einem verurteilten, aber auf Bewährung freigelassenen Terroristen, mit „Steinzeitschlägen auf den Hinterkopf“, worauf zuerst das Personal der Bahn und dann die Polizei eingriff, um den „Ghettoknecht Dichter“ zu befreien und zu schützen: Yahya Hassan, achtzehn Jahre alt und seit ein paar Wochen der bekannteste Poet, den das Land seit Vita Andersens Debüt im Jahr 1977 hervorgebracht hat.

Es ist, als ob Dänemark auf einen solchen Schriftsteller gewartet hätte. Denn viel tun musste er für seinen plötzlichen Ruhm nicht: Im Februar dieses Jahres war er zum ersten Mal mit seinen Gedichten auf einem Literaturfestival aufgetreten, das in einer Fernsehsendung do-kumentiert wurde, dann brachte Politiken Anfang Oktober ein Interview unter dem Titel „Gedichte: Ich bin fucking wütend auf die Generation meiner Eltern“, und gegen Ende dieses Monats erschien schließlich der Gedichtband selber, mit einer Startauflage von achthundert Exemplaren.

Das Buch wird nun in der achten Auflage vertrieben, insgesamt 47 000 Exemplare sind ver-kauft, und das Gerede will ebenso wenig ein Ende nehmen wie die Morddrohungen gegen Yahya Hassan – ein paar Dutzend waren es wohl bei der jüngsten Zählung. Das liegt viel-leicht auch an den Gedichten, gewiss, und es liegt auch am Dichter selber. Aber es liegt vor allem daran, dass hier ein junger Mann aus dem Elend der Überflüssigen kommt, aus dem hauptsächlich islamischen „Ghetto“ von Aarhus in Jütland, und gar nicht so überraschten Dänen auf zumindest halbbiographische Weise erzählt, wie es im Inneren einer solchen Pa-rallelwelt aussieht.

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Das geht dann so: „Denn neulich schlug Vater meine Schwestern nieder auf offener Straße / Er war zurückgezogen ins alte Ghetto / Ich fuhr hinaus zu ihm in meinem abgemeldeten Au-to / Schlug an seine Tür / Ich konnte die Kinder hören, doch keiner öffnete / Ich ging hinüber zu seiner anderen Tür / Er ist islamisch verheiratet, aber getrennt lebend bei der Kommune / So dass seine Frau eine alleinstehende Mutter ist bei der Sozialbehörde.“ In diesem oder ähn-lichen Ton spiegelt der Dichter das Leben seiner selbst und seiner Umgebung, den prügeln-den, zur Begleitung von arabischen Fernsehsendern dahindämmernden Vater, der manchmal Taxi fährt und einmal in der Woche, beim Besuch der Moschee am Freitag, zu einem lie-benswerten Menschen wird, die Jahre in einer Schule, die hauptsächlich von Immigranten-kindern besucht wird, die Ferien im Libanon, die von Krieg und militanten Islamisten durch-zogen werden, die Karriere als Dieb und Räuber, mitsamt anschließender Verwahrung in ei-ner Besserungsanstalt für jugendliche Straftäter – und schließlich die Hinwendung zur Lite-ratur. „An einem Tag / Bin ich ein gesunder und wohlintegrierter Dichter“, heißt es im „Langgedicht“, das den Band abschließt, über dreißig Seiten lang und eigentlich eine Art po-etisches Tagebuch ist, „am nächsten bin ich des Autodiebstahls verdächtig / und des Straßen-raubs und des Einbruchs“.

Die Form, die Yahya Hassan seinen Gedichten gibt, dürfte im eigenen Vortrag am besten zur Geltung kommen, einmal abgesehen davon, dass dann zu bemerken ist, dass er ein reines, feines Dänisch spricht. Zwar will er vom Rap nichts mehr wissen, weil dieser ihm zu einför-mig sei. Und doch ist da ein deutlicher Einfluss, den man sofort erkennt, wenn man ihn rezi-tieren sieht, wie zum Vorsagen und Behaupten aufgestellt, mit einem deutlichen Willen zum „beat“, geradeaus, so intensiv wie möglich und mit einer offensichtlichen Entschlossenheit, das Klischee eben nicht auszulassen. Denn es versteht ja jeder.

Gleichzeitig ist da etwas Lyrisches, wenn die geläufigen Bilder ins Rutschen kommen und hinter den vielen Behauptungen eine elementare Unsicherheit zum Vorschein kommt: „Ich hasse das Land, das ihres war / Und das Land, das unseres wurde / das Land, das niemals ih-res wurde / Und das Land, das niemals unseres wurde / Also warum flüsterst du in das ent-zündete Ohr / Dass ich die Bäume betrachten soll?“ Nicht in der Form, aber im Anspruch auf äußerste Wahrheit klingt hier zuweilen eine lyrische Tradition durch, für die ansonsten Paul Verlaine oder Charles Bukowski stehen. Der Dichter selber beruft sich auf den zumindest im eigenen Land sehr bekannten dänischen Punkpoeten Michael Strunge, der sich 1984 mit ei-nem Sprung aus dem Fenster das Leben nahm, oder auf den norwegischen Radikal-Autobiographen Karl Ove Knausgård und dessen Lebensprojekt „Mein Kampf“.

Seit „Folkepartiet“, die rechtspopulistische Partei, bei den Reichstagswahlen 2011 fast zwei Prozent der Stimmen verlor, also nur noch für gut zwölf Prozent der erwachsenen Wähler stand und die Regierung verlassen musste, scheint die Fremdenfeindlichkeit, für die Däne-mark zuvor im Ausland bekannt geworden war, schon beinahe besiegt zu sein – und die fünfhunderttausend oder zehn Prozent Immigranten und Immigrantenkinder fast schon inte-griert. Aber das ist ein Aberglaube. Der Nationalismus – und verschärft: der Nationalismus einer kleinen Nation – ist auch in diesem Land nach wie vor zu Hause, und das bemerken selbstverständlich zuallererst die Angehörigen des Subproletariats, der Überflüssigen oder der, wie es auf Dänisch heißt: „Sozialgruppe 5“, aus der dieser Dichter stammt.

Yahya Hassan lässt an dieser Fremdenfeindlichkeit keinen Zweifel, wenn er erzählt, wie er, nachdem er in seiner Schule einen besonders gelungenen Aufsatz abgegeben hatte, diesen

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mit der Bemerkung zurückbekam, er könne unmöglich von ihm sein. Oder wenn er in seinen Gedichten Polizisten auftreten lässt, auch solche, die ihm gegen den Islamisten helfen, der ihn totschlagen will. Bisher ist er so seiner exklusiven Vereinnahmung durch Rechtspopulis-ten und sogenannte Islamkritiker entgangen. Eher ist es so, dass ihn gegenwärtig alle politi-schen Lager, die Rechten wie die Linken, für sich beanspruchen wollen.

Wenn Jes Stein Pedersen, der für die Veröffentlichung des Überfall-Gedichts in Politiken verantwortliche Redakteur, meint, die Publikation der Gedichte sei eine große Befreiung, für die „Kulturradikalen“ ebenso wie für die Rechtspopulisten, liegt das vor allem daran, dass Yahya Hassan fast immer konkret bleibt, also vor allem von wiedererkennbaren Lebensläu-fen berichtet – dass man also weiß, dass er zuerst seinen Vater meint, wenn er sagt, er und seinesgleichen hätten keine Eltern mehr gehabt, nachdem diese in Dänemark als Flüchtlinge anerkannt worden waren und die Fernbedienung für den Fernseher nicht mehr aus der Hand legten. Befreiung kann hier nur heißen, dass nun von Verhältnissen die Rede ist, von denen zu reden vorher komplizierter war – dadurch etwa, dass sich den Rassismus der Anti-Islamisten kaum kritisieren ließ, ohne dass es hieß, man verteidige zugleich die Unterdrü-ckung der islamischen Frau oder sei als „Gutmensch“ ohnehin völlig verblendet.

Obwohl – so ganz zufriedengeben kann man sich mit dieser These nicht: Oder lassen sich Argumente neuerdings durch Kronzeugen ersetzen? Braucht man wirklich einen jungen, dem Milieu seiner Herkunft entlaufenen Muslim, um zwischen Gewalt und Persönlichkeit zu trennen? Der Dichter sagt zwar, er sei nur Dichter und nicht bereit, in der „Integrationsdebat-te“ das große Wort zu führen. Eine solche Weigerung wird jedoch weder seine Anhänger noch seine Gegner daran hindern, ihn als Projektionsfläche zu behandeln, schon weil er selbst zuweilen sagt, es gebe im Islam – wann? wo? unter welchen Bedingungen? – zu viel Feindschaft. Denn auch wenn er selbstbewusst und überlegt agiert: Er ist erst achtzehn Jahre alt.

Am Dienstag dieser Woche tritt Yahya Hassan in Odense auf, in der Heimatstadt Hans Christian Andersens, in einer Schule, die nach dem Märchendichter benannt ist und im Stadt-teil Vollsmose liegt, einer Betonsiedlung, die in den siebziger Jahren hochmodern war und nun im ganzen Land als Heimstatt arbeitsloser Muslime und krimineller Jugendlicher gilt. Nach dem Überfall in der vergangenen Woche hatte die örtliche Polizei abgeraten: Sie könne den Dichter nicht schützen. Darauf schrie nicht nur die liberale Presse auf. Auch die Kultur-ministerin Marianne Jelved meinte, so könne man nicht mit dem Recht auf freie Meinungs-äußerung umgehen. Der Polizeichef von Odense fügte sich nicht, ohne zu bemerken, dass er für diese Ereignis eine Mannschaft einberufen müsse, so groß wie das Einsatzpersonal für zwanzig Fußballspiele in der ersten Liga.

Allein eine solche Versammlung von Polizisten offenbart, wie groß die Konflikte, die Yahya Hassan mit seinen Gedichten berührt, tatsächlich sind, und zwar nicht nur in Dänemark, son-dern in ganz Europa. Zwar will „Folkepartiet“ beim Zusammenschluss der rechtspopulisti-schen Parteien vor der Europawahl nicht mitmachen, aus sehr dänischen Gründen. Bessere Chancen als bei der vergangenen Reichstagswahl rechnet sie sich aber ohnehin aus, vermut-lich aus guten Gründen. Die Auseinandersetzung um ethnische, kulturelle und religiöse Min-derheiten in den europäischen Ländern – und vor allem um die islamischen Minderheiten – hat bisher nicht zuletzt ein zuweilen militantes Repräsentationswesen hervorgebracht, in dem die einen für die westlichen Werte, die anderen für die Toleranz und die Dritten für den wah-ren Glauben stehen. Yahya Hassan unterläuft solche falschen Verallgemeinerungen, zumin-dest meistens. Es wäre gut, wenn er damit durchkäme.