Aus der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (Leiter: Univ.- Prof. Dr. med. Dr. h.c. Axel Ekkernkamp) der Klinik und Poliklinik für Chirurgie (Direktor: Univ.- Prof. Dr. med. C. D. Heidecke) der Universitätsmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Untersuchungen der Thoraxwanddicke vor dem Hintergrund gängiger Empfehlungen zur Nadeldekompression des Spannungspneumothorax Inaugural – Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Medizin (Dr. med.) der Universitätsmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 2015 vorgelegt von: Matthias Hecker geboren am 26. Oktober 1987 in Potsdam
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Aus der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
(Leiter: Univ.- Prof. Dr. med. Dr. h.c. Axel Ekkernkamp)
der Klinik und Poliklinik für Chirurgie
(Direktor: Univ.- Prof. Dr. med. C. D. Heidecke)
der Universitätsmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Untersuchungen der Thoraxwanddicke
vor dem Hintergrund gängiger Empfehlungen zur
Nadeldekompression des Spannungspneumothorax
Inaugural – Dissertation
zur
Erlangung des akademischen
Grades
Doktor der Medizin(Dr. med.)
der
Universitätsmedizin
der
Ernst-Moritz-Arndt-Universität
Greifswald
2015
vorgelegt von:
Matthias Hecker
geboren am 26. Oktober 1987
in Potsdam
Dekan: Prof. Dr. rer. nat. Max P. Baur
1. Gutachter: PD. Dr. M. Frank
2. Gutachter: Prof. Dr. Th. Mittlmeier
Tag der Disputation: 10.11.2015
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis I
1 Einleitung 1
1.1 Forschungsaktivitäten zur Schwerverletztenversorgung in der Unfall- und
Wiederherstellungschirurgie der Universitätsmedizin Greifswald 1
1.2 Thoraxtrauma 2
1.3 Therapie des Spannungspneumothorax 4
1.4 Hypothesen 8
2 Material und Methoden 9
2.1 Study of Health in Pomerania 9
2.2 Geräte und Software 10
2.3 Variablen 11
2.4 Messprotokoll 12
2.5 Bildanalyse 12
2.6 Untersuchervariabilität 15
2.7 Datenanalyse und Tests 16
3 Ergebnisse 17
3.1 Probanden 17
3.2 Allgemeine Auswertung 18
3.2.1 Ergebnisse der gemessenen Variablen 18
3.2.2 Ergebnisse der berechneten Variablen 19
3.2.3 Prüfung auf Seitenunterschiede 19
3.3 Spezielle Auswertung 20
3.3.1 Ergebnisse stratifiziert nach Geschlecht 20
3.3.2 Ergebnisse stratifiziert nach Body-Mass-Index 22
I
3.4 Korrelation zwischen ausgewählten Variablen 25
3.5 Gruppierung der Probanden nach Dicke der Thoraxwand 26
3.6 Erfolgsrate einer Nadeldekompression in Abhängigkeit vom Verhältnis der
Thoraxwanddicke zur Nadellänge 28
4 Diskussion 29
4.1 Rolle der Nadeldekompression 29
4.2 Komplikationen 30
4.2.1 Iatrogene Komplikationen 30
4.2.2 Mechanische Komplikationen 32
4.3 Limitationen 38
4.4 Schlussfolgerung 39
5 Zusammenfassung 40
Literaturverzeichnis III
Abbildungsverzeichnis VIII
Tabellenverzeichnis IX
Anhang X
Eidesstattliche Erklärung XV
Danksagung XVI
II
1 Einleitung
1.1 Forschungsaktivitäten zur Schwerverletztenversorgung in der Unfall- und
Wiederherstellungschirurgie der Universitätsmedizin Greifswald
Das Trauma hat weltweit für jedes betroffene Individuum sowie für die Gesellschaft eine
große Bedeutung. Circa 10 % aller Todesfälle sind auf Verletzungen zurückzuführen. Absolut
gesehen sterben jährlich 5,8 Millionen Menschen infolge eines Traumas. Fast ein Viertel
(23 %) der Traumata sind dem Straßenverkehr zuzuordnen. Im Jahr 2004 belegten
Verkehrsunfälle weltweit Platz neun der häufigsten Todesursachen. Aufgrund steigender
Mobilität in den Schwellen- und Entwicklungsländern wird prognostiziert, dass die Zahl der
Verkehrstoten in diesen Regionen weiter zunimmt. Prognosen der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehen davon aus, dass Verkehrsunfälle im Jahr 2030 auf
Platz fünf der häufigsten Todesarten vorrücken [1]. Von den circa 1,24 Millionen Menschen,
welche jährlich bei Verkehrsunfällen ihr Leben verlieren, gehören die meisten Personen
Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen an. Die Zahl der Verkehrstoten ist in diesen
Ländern von 2007 bis 2010 weiter angestiegen, wohingegen die Anzahl der Unfalltoten in
Staaten mit hohem Einkommen abnimmt. Auf dem afrikanischen Kontinent ist die
unfallbedingte Mortalität mit 24,1 pro 100 000 Einwohner am höchsten. Die niedrigste
Mortalität kann Europa mit 10,3 pro 100 000 Einwohnern vorweisen. Deutschland liegt unter
dem europäischen Mittelwert. Hier beträgt die Mortalität 4,7 pro 100 000 Einwohner [2].
Die Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Klinik für Chirurgie der
Universitätsmedizin Greifswald ist als überregionales Traumazentrum für die Versorgung
Unfallverletzter im Nordosten Deutschlands zuständig. Seit Einrichtung des Erwin-Payr-
Lehrstuhls für Unfallchirurgie im Jahre 1999 spielt die Abteilung für Unfall- und
Wiederherstellungschirurgie national und international eine wichtige Rolle in der
wissenschaftlichen Bearbeitung des komplexen Themas der Schwerverletztenversorgung. Die
umfangreichen Forschungsaktivitäten reichen dabei von der Epidemiologie und Entstehung
des Traumas, über Diagnostik, Therapie und Prognostik bis hin zur Prävention [3].
1
So konnten in einer prospektiven nicht-interventionellen Studie innerhalb des
Forschungsverbundes Community Medicine zu Beginn des Jahrtausends erstmals technische
Unfalldaten, klinische Daten der Schwerverletzten sowie ein entsprechendes Risikoprofil der
Verletzten erhoben und zusammengeführt werden [4]. Hieraus wurden wirkungsvolle
Maßnahmen zur Prävention von Verkehrsunfällen abgeleitet.
Schwerpunkt der letzten Dekade waren die verschiedenen Aspekte der Diagnostik und
Prognostik des polytraumatisierten Patienten [5]. Die inzwischen international in die
maßgeblichen Protokolle der Schwerverletztenversorgung übernommene Ganzkörper-
Computertomografie wurde nach Implementierung im Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) im
Jahre 1997 in Greifswald wissenschaftlich begleitet und evaluiert [6, 7].
Auf molekularer Ebene wurde der Zusammenhang zwischen Trauma und Inflammation
beleuchtet [8]. Weiterhin bildete die gestörte Hämostase rund um das Trauma einen weiteren
interdisziplinären Forschungsansatz [9].
Die eingangs erwähnten epidemiologischen Verschiebungen in der Inzidenz des Traumas, vor
allem in Schwellenländern, für die in den kommenden Jahren eine rasche Zunahme der
individuellen Mobilität vorhergesagt wird, verlangt es, die in Greifswald erarbeiteten
Ergebnisse im Rahmen internationaler Projekte auch in die Verbesserung der Versorgung
Unfallverletzter in Schwellenländern einfließen zu lassen [10].
Von Beginn an sind die Forschungsaktivitäten der Greifswalder Unfallchirurgie durch ein
hohes Maß an Interdisziplinarität gekennzeichnet [11 - 15].
Im Rahmen der Study of Health in Pomerania (SHIP) können mit der vorliegenden Arbeit
erstmals auch Daten einer bevölkerungsbezogenen, epidemiologischen Studie ausgewertet
werden und in die präklinische und klinische Behandlung Schwerverletzter einfließen.
1.2 Thoraxtrauma
Das Thoraxtrauma trägt zu einem Großteil der Morbidität und Mortalität der schweren
Verletzungen bei [16]. Im Rahmen von Verkehrsunfällen kommt dem Thoraxtrauma schon
aufgrund seiner hohen Inzidenz eine tragende Rolle zu. Daten aus der hiesigen
Unfallforschung zeigen eine Inzidenz der Thoraxverletzung bei verunfallten
Kraftfahrzeugführern von 25 % [17].
2
Mehr als die Hälfte (59,2 %) der im Zeitraum von 2011 bis 2013 im Traumaregister der
Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie erfassten 42 954 Patienten wiesen
Thoraxverletzungen auf.
Innerhalb der thorakalen Verletzungen werden auf der Abbreviated Injury Scale (AIS 2005)
Verletzungen der inneren Thoraxstrukturen („inner organs“: Lunge, Herz, Trachea,
Ösophagus, Zwerchfell) von Verletzungen des Thoraxskeletts (Rippen, Brustbein,
Brustkorbwand, Weichteilgewebe) und Verletzungen der Thoraxgefäße unterschieden [18].
Der Großteil der geschlossenen Lungenparenchymverletzungen (Kontusionen, Lazerationen)
sowie Verletzungen des Thoraxskeletts werden bisher nicht-operativ behandelt. Die frühe
osteosynthetische Stabilisierung von Rippenfrakturen wird kontrovers diskutiert [19, 20]. Die
interventionelle Versorgung von thorakalen Gefäßläsionen hat sich in den letzten Jahren zu
einem standardisierten Verfahren entwickelt (siehe Abbildung 1) [21].
Im Rahmen von Verletzungen des Thoraxskeletts sowie des Lungenparenchyms kann es zur
Entstehung eines Pneumothorax kommen. Bei einem Pneumothorax führt das Eindringen von
Luft in den Pleuraspalt nach Verletzung der viszeralen bzw. parietalen Pleura zum partiellen
oder totalen Kollaps der Lungenhälfte. Im Falle eines Ventilmechanismus tritt die
Komplikation des Spannungspneumothorax auf, welche durch eine kurzfristige intrathorakale
Druckzunahme mit Mediastinalverlagerung, Kompression der kontralateralen Lungenhälfte
und vor allem durch Kompression der Vena cava gekennzeichnet ist. Unbehandelt kann dies
nach kurzer Zeit zum Tode führen.
3
Abbildung 1: Interventionelle Versorgung mittels Stent einer thorakalen Aortendissektion nach Verkehrsunfall
bei einem 30-jährigen Patienten (mit freundlicher Genehmigung von Dr. Leonhard Bruch)
1.3 Therapie des Spannungspneumothorax
Die unmittelbare thorakale Druckentlastung stellt die einzige Therapie des
Spannungspneumothorax dar. Es gibt aufgrund der Pathophysiologie keine Alternative zur
Dekompression [22].
Eine Berliner Untersuchung von traumatischen Todesfällen klassifizierte den unbehandelten,
isolierten Spannungspneumothorax als „definitiv vermeidbare Todesursache“ [23].
In der Klinik wird die Dekompression in der Regel über eine Thoraxdrainage durchgeführt.
Empfohlen wird die Anlage der Drainage über eine offene Minithorakotomie aufgrund der
höheren Komplikationsrate bei alleiniger Punktion mittels Trokar (siehe Abbildung 3,
Abbildung 25 im Anhang) [22, 24].
4
Abbildung 2: Spannungspneumothorax rechts mit deutlicher Mediastinalverdrängung nach links im Röntgen-
Thorax bei einem 25-jährigen Patienten (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Sven Mutze)
In der notfallmedizinischen Literatur wird die Nadeldekompression zur umgehenden
präklinischen Entlastung eines Spannungspneumothorax empfohlen [25]. Diese Empfehlung
wird auch in der S3-Leitlinie Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung ausgesprochen.
5
Abbildung 3: Computertomografische Darstellung einer Thoraxdrainagenfehllage im linken Ventrikel und Aorta
ascendens bei einem 22-jährigen Patienten nach Einbringung mittels Trokar
(Quelle: Springer, Beer, M. Et al. (2005): Fehllage einer Thoraxdrainage im linkem Ventrikel und Aorta. In
Zeitschrift für Herz-,Thorax- und Gefäßchirurgie 19 (6), pp. 272, Abb. 1, mit freundlicher Genehmigung von
Springer Science and Business Media, Lizenznummer: 3571490743269)
„Die Entlastung eines Spannungspneumothorax sollte durch eine
Nadeldekompression, gefolgt von einer chirurgischen Eröffnung des
Pleuraspaltes mit oder ohne Thoraxdrainage, erfolgen.“ [22] (Grade of
Recommendation B)
Die Nadeldekompression stellt ein einfaches, wirksames, jedoch nicht komplikationsloses
Verfahren dar. Die durchschnittlich schnellere Durchführung, im Gegensatz zur
Thoraxdrainage, eignet sich insbesondere als lebensrettende Sofortmaßnahme, um Zeit für die
definitive Therapie zu gewinnen [26]. Als Punktionsort werden, für die Nadeldekompression
und für die Thoraxdrainage, entweder der zweite Interkostalraum (auch Intercostalraum,
nachfolgend Verwendung der gängigen Abkürzung ICR) in der Medioklavikularlinie
(Monaldi-Drainage, siehe Abbildung 4), oder der fünfte ICR in der vorderen bis mittleren
Axillarlinie (Bülau-Drainage) empfohlen [22]. Während die aktuelle S3-Leitlinie
Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung keine dieser Positionen favorisiert, wird in den
Leitlinien von Advanced Trauma Life Support (ATLS) und Prehospital Trauma Life Support
(PHTLS) sowie vom Committee on Tactical Combat Casualty Care (CoTCCC) der zweite
ICR in der Medioklavikularlinie empfohlen [22, 27 - 29]. Die S3-Leitlinie Polytrauma /
Schwerverletzten-Behandlung befürwortet den Einsatz eines 4,5 cm langen
Venenverweilkatheters [22]. In den aktuellen ATLS-Guidelines wird eine Kanülenlänge von
6
Abbildung 4: Markierung der Punktionsstelle im zweiten Interkostalraum in der Medioklavikularlinie an einem
27-jährigen Probanden, a) Medioklavikularlinie, X) Punktionsstelle; (Quelle: Eigene Darstellung)
5,0 cm empfohlen [28]. Die PHTLS-Guidelines sowie das CoTCCC empfehlen die
Verwendung einer 8,0 cm langen Nadel [27, 29]. In der Literatur wie auch in der S3-Leitlinie
Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung wird auf hohe Versagensraten hingewiesen. Ein
wesentliches Problem scheint dabei das Missverhältnis zwischen der Dicke der Thoraxwand
und der Länge der Punktionsnadel zu sein [22].
Die oben zitierten Empfehlungen zur Nadeldekompression basieren auf wenigen Studien, die
die Dicke der Thoraxwand mittels Computertomografie und Ultraschall untersuchten. Diese
weisen geringe Fallzahlen sowie vorselektierte Probanden auf (Tabelle 1).
Populationsbasierte, epidemiologische Untersuchungen zur Dicke der Thoraxwand liegen
bisher nicht vor.
Tabelle 1: Vorarbeiten zur Thoraxwanddicke; (Quelle: Eigene Darstellung)
Autor (Jahr) n Methode Population
Britten et al. (1996) [30] 54 US1 allg. Patienten
Marinaro et al. (2003) [31] 30 CT2 Traumapatienten
Givens et al. (2004) [32] 111 CTTraumapatienten (zivil und
militärisch)
Harcke et al. (2007) [33] 101 CT verstorbene Soldaten
Wax et al. (2007) [34] 100 CT allg. Patienten
Zengerink et al. (2008) [35] 774 CT Traumapatienten
Stevens et al. (2009) [36] 108 CT Traumapatienten
McLean et al. (2010) [37] 51 US Studierende
Sanchez et al. (2011) [38] 159 CT Traumapatienten
Inaba et al. (2012) [39] 680 CT Traumapatienten
Yamagiwa et al. (2012) [40] 256 CT Traumapatienten
Akoglu et al. (2013) [41] 160 CT PTX Patienten3
Schroeder et al. (2013) [42] 201 CT Traumapatienten
Carter et al. (2013) [43] 91 CT allg. Patienten
Chang et al. (2014) [27] 100 CT Traumapatienten
Lamblin et al. (2014) [44] 122 CT Soldaten
Powers et al. (2014) [45] 326 CT Traumapatienten1Ultraschall, 2Computertomografie, 3Patienten mit einem Pneumothorax
7
1.4 Hypothesen
Als primäre Hypothese dieser Arbeit wurde formuliert, dass aufgrund einer zu großen Dicke
der Thoraxwand die empfohlene Nadellänge von 4,5 cm bzw. 5,0 cm zur Entlastungspunktion
eines Spannungspneumothorax im zweiten ICR in der Medioklavikularlinie bei einem
Großteil der potentiellen Patienten nicht ausreicht, um eine suffiziente Druckentlastung zu
erreichen.
Als sekundäre Hypothese wurde formuliert, dass ein Zusammenhang der Dicke der
Thoraxwand mit körperspezifischen Merkmalen besteht.
Als weitere Hypothese wurde formuliert, dass bei korrekter Durchführung der Punktion im
zweiten ICR in der Medioklavikularlinie keine kritische Nähe des Punktionsortes zum
anatomischen Verlauf der Arteria thoracica interna besteht.
8
2 Material und Methoden
Die ausgewerteten Bilder und Patientendaten stammen aus der Study of Health in Pomerania.
Als assoziiertes Projekt (SHIP/2011/117/D) mit dem Titel „Investigation of chest wall
thickness for the assessment of adequate catheter length for needle decompression of tension
pneumothorax“ konnten in Zusammenarbeit zwischen der Abteilung für Unfall- und
Wiederherstellungschirurgie der Klinik und Poliklinik für Chirurgie, dem Institut für
Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie sowie dem Institut für Community Medicine
der Universitätsmedizin Greifswald die oben genannten Hypothesen mittels retrospektiver
Auswertung magnetresonanztomografischer Schnittbilder untersucht werden.
2.1 Study of Health in Pomerania
Die Study of Health in Pomerania hat als bevölkerungsrelevante, epidemiologische
Querschnittstudie ihren Ursprung im Jahr 1997. Ziel ist es, Inzidenzen und Prävalenzen von
häufigen subklinischen und klinisch-manifesten Erkrankungen in der Bevölkerung sowie
deren Risikofaktoren zu erheben und anschließend Assoziationen unter den erhobenen Daten
zu untersuchen. Neben der ursprünglichen Querschnittstudie (SHIP-0), welche durch ein
Fünf- (SHIP-1) sowie Zwölf-Jahres-Follow-up (SHIP-2) auch als Längsschnittstudie zu
verstehen ist, begann 2008 eine weitere Datenerhebung mit dem Titel SHIP-Trend-0.
Zusätzlich zum vorherigen Ziel von SHIP-0 soll in SHIP-Trend-0 die
Gesundheitsentwicklung der Region näher untersucht werden [46, 47].
Seit 2008 werden auch Aufnahmen mittels Magnetresonanztomografie (MRT) von Probanden
von SHIP-2 und SHIP-Trend-0 angefertigt. Diese MRT-Aufnahmen setzen sich aus einem
Ganzkörper-MRT und weiteren kontrastmittelgestützten Aufnahmen zusammen [46]. Im
Ganzkörper-MRT werden Kopf, Hals, Thorax, Abdomen, Becken und Wirbelsäule detailliert
abgebildet. Für die Untersuchung liegt der Patient in Rückenlage mit seitlich angelegten
Armen auf dem Untersuchungstisch. Es werden insgesamt fünf Spulen über Kopf, Nacken,
Abdomen, Becken und den unteren Extremitäten platziert. Die Spule für die Wirbelsäule ist
9
im Untersuchungstisch enthalten. Vier speziell auf das SHIP-Protokoll trainierte medizinische
Assistenten führen die Untersuchungen auf standardisierte Weise durch [48].
2.2 Geräte und Software
Die Ganzkörper-MRT-Aufnahmen im Rahmen von SHIP werden mit einem 1,5 Tesla MRT-
Gerät (Magnetom Avanto, Siemens Medical Systems, Erlangen, Deutschland) angefertigt
[48].
Die Daten beinhalten eine sagittale (l_WS_t2_tse_sag_FIL) und eine horizontale
/ 5,6), 20G-Sterican® (6,8), 20G-Sterican® (3,7); (Quelle: Eigene Darstellung)
4.3 Limitationen
Es handelt sich bei dieser Arbeit um eine retrospektive Betrachtung. Somit unterliegt sie den
Stärken und Schwächen dieser Methode.
Die SHIP-Studie ist eine fortlaufende Untersuchung in der Region Vorpommern. Circa 80 %
des offiziellen Datensatzes von SHIP-Trend-0 flossen in die Erhebungen ein. Dies kann
Einfluss auf die Repräsentativität der vorliegenden Ergebnisse haben.
Trotz Erfüllung der Qualitätsanforderungen kann es bei nur einem Untersucher zu einem
systemischen Bias kommen.
Die Probanden waren unverletzt. Bei Verletzungen des Thorax können Hämatome und
Emphyseme eine Verbreiterung der Thoraxwand zur Folge haben.
Messungen, welche den Abstand zu wichtigen Strukturen dokumentieren, fehlen. Die
Thoraxwanddicke konnte nur im zweiten ICR in der Medioklavikularlinie und nicht im
fünften ICR in der anterioren oder mittleren Axillarlinie vermessen werden. Aufgrund der
angelegten Armposition ist die Thoraxwanddicke an der lateralen Punktionsstelle nicht
korrekt abgebildet und erlaubt somit auch keine Auswertung dieser Daten.
Die Kompression und die daraus resultierende Verringerung der Thoraxwanddicke kann
mittels MRT nicht abgebildet werden.
38
4.4 Schlussfolgerung
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sowie die in der Literatur beschriebenen geringen
Erfolgsraten der Nadeldekompression zeigen die Notwendigkeit der Verwendung von Nadeln
ausreichender Länge für eine Nadeldekompression im zweiten Interkostalraum in der
Medioklavikularlinie auf. Somit kann die Anpassung der entsprechenden Leitlinien, wie
bereits durch PHTLS und CoTCCC geschehen, aus Sicht dieser, auf epidemiologischen Daten
basierenden Arbeit, unterstützt werden. Hinweise, die einen Wechsel vom anterioren zum
lateralen Zugang aufgrund der vermeintlich höheren Komplikationsrate des anterioren
Zuganges stützen, lassen sich in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht finden. In jedem Fall
sollte jedoch, auch bei Verwendung einer längeren Punktionsnadel, die suffiziente Entlastung
anhand klinischer Zeichen geprüft und bei insuffizienter Dekompression umgehend auf
weitere therapeutische Schritte, wie z.B. der Minithorakotomie mit Einlage einer
Thoraxdrainage, zurückgegriffen werden.
39
5 Zusammenfassung
Der traumatische Spannungspneumothorax stellt eine akut lebensbedrohliche Komplikation
eines Thoraxtraumas dar und kann durch eine massive intrathorakale Druckzunahme zum
Kreislaufversagen führen. Einzige Behandlungsmöglichkeit ist die notfallmäßige Entlastung
des erhöhten intrathorakalen Druckes.
Die sogenannte Nadeldekompression, das heißt die Druckentlastung durch Punktion der
Thoraxwand mittels einer Hohlnadel an definierter anatomischer Lokalisation, ist fester
Bestandteil notfallmedizinischer Behandlungsleitlinien. So wird in der aktuellen S3-Leitlinie
Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
die Entlastung eines Spannungspneumothorax im zweiten Interkostalraum in der
Medioklavikularlinie unter Verwendung einer 4,5 cm langen Venenverweilkanüle, gefolgt von
einer chirurgischen Eröffnung des Pleuraspaltes mit oder ohne Thoraxdrainage, empfohlen.
Das ATLS (Advanced Trauma Life Support) Ausbildungskonzept des American College of
Surgeons empfiehlt die Nadeldekompression im zweiten Interkostalraum,
Medioklavikularlinie, mittels eines 5,0 cm langen Katheters.
Hauptgrund für die in der notfallmedizinischen Literatur berichtete relativ hohe Versagensrate
durchgeführter Nadeldekompressionen, scheint ein Missverhältnis zwischen empfohlener
Nadellänge und tatsächlicher Dicke der Thoraxwand zu sein.
So war es Ziel dieser als assoziiertes SHIP (Study of Health in Pomerania) – Projekt
durchgeführten Studie (SHIP/2011/117/D), anhand standardisierter Ganzkörper-MRT-Daten
die Dicke und Zusammensetzung der vorderen Thoraxwand am empfohlenen Punktionsort zu
untersuchen und zu prüfen, ob die Empfehlungen zur Notfallpunktion eines
Spannungspneumothorax hinsichtlich der Nadellänge aufrechterhalten werden können. Ferner
wurde die Entfernung der Punktionsstelle zum anatomischen Verlauf der Arteria thoracica
interna ermittelt, um so die Gefahr einer iatrogenen Läsion abzuschätzen.
In die Studie wurden n = 2 574 Probanden (48,1 % männlich) eingeschlossen. Die Messungen
der Gesamtdicke der Thoraxwand, der Dicke des Fettgewebes sowie des Abstandes des
40
Punktionsortes zur Arteria thoracica interna erfolgten jeweils für den linken und rechten
Hemithorax an T2-gewichteten axialen und an rekonstruierten sagittalen Schnittbildsequenzen
unter Verwendung des DICOM (Digital Imaging and Communications in Medicine) -
Betrachters OsiriX (v3.9.2). Eine mögliche Abhängigkeit der totalen Thoraxwanddicke von
Geschlecht, Alter, Körpergröße, Körpergewicht und Body-Mass-Index (BMI) wurde durch
Ermittlung des Spearman-Rangkorrelationskoeffizienten untersucht.
Die durchschnittliche Dicke der Thoraxwand betrug 5,1 cm (rechts 5,1 cm [Spannweite
1,5 - 12,1 cm, Standardabweichung 1,4 cm], links 5,1 cm [Spannweite 1,8 - 10,5 cm,
Standardabweichung 1,3 cm]). Bei weiblichen Probanden war die Dicke der Thoraxwand
signifikant größer als bei männlichen (p < 0,0001). Am rechten bzw. linken Hemithorax
überstieg die Wanddicke in 61,1 % bzw. 61,5 % aller untersuchten Probanden die Grenze von
4,5 cm. Dabei war dies signifikant häufiger bei Frauen (63,9 %) als bei Männern (58,7 %)
(p < 0,0001) der Fall. Es zeigte sich eine hochsignifikante Korrelation zwischen
Thoraxwanddicke und Körpergewicht (r = 0,532; p < 0,0001) sowie zwischen
Thoraxwanddicke und BMI (r = 0,727; p < 0,0001). Eine Korrelation zwischen Alter bzw.
Körpergröße und Dicke der Thoraxwand fand sich hingegen nicht. Die Arteria thoracica
interna verlief durchschnittlich 5,5 cm medial des potentiellen Punktionsortes.
Die Untersuchung zeigt, dass bei einem Großteil der untersuchten Probanden eine suffiziente
Druckentlastung mit den bisher empfohlenen Nadellängen aufgrund einer zu großen
Thoraxwanddicke technisch nicht möglich wäre. Eine Anpassung der entsprechenden
Ausbildungskonzepte und Leitlinien wird empfohlen.
41
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VII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Interventionelle Versorgung einer thorakalen Aortendissektion 3
Abbildung 2: Spannungspneumothorax rechts 4
Abbildung 3: Thoraxdrainagenfehllage im linken Ventrikel und Aorta ascendens 5
Abbildung 4: Markierung der Punktionsstelle im zweiten Interkostalraum 6
Abbildung 5: Markierung der verschiedenen Messparameter 11
Abbildung 6: Webapplikation zur Eingabe der gemessenen Werte 12
Abbildung 7: Horizontales Schnittbild zur Ermittlung der Medioklavikularlinie 13
Abbildung 8: Horizontales Schnittbild zur Ermittlung der Medioklavikularlinie 13
Abbildung 9: Sagittales Schnittbild zur Identifizierung des Angulus sterni 14
Abbildung 10: Horizontales Schnittbild zur Ermittlung der Messvariablen 15
Abbildung 11: Spearman Korrelation zwischen Dicke der Thoraxwand / Körpergewicht 25
Abbildung 12: Spearman Korrelation zwischen Dicke der Thoraxwand / Body-Mass-Index 26
Abbildung 13: Erfolgsrate der Notfallpunktion in Abhängigkeit zur Nadellänge 28
Abbildung 14: Erfolgsrate der Notfallpunktion bei männlichen Probanden 36
Abbildung 15: Erfolgsrate der Notfallpunktion bei weiblichen Probanden 36
Abbildung 16: Periphere Venenverweilkanülen 37
VIII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Vorarbeiten zur Thoraxwanddicke 7
Tabelle 2: Intra-Reader-Variabilität der erhobenen Parameter 16
Tabelle 3: Datensätze getrennt nach SHIP-Studien und Geschlecht 17
Tabelle 4: Auswertung allgemeiner Körpermerkmale aller Probanden 17
Tabelle 5: Auswertung gemessener Variablen 18
Tabelle 6: Auswertung berechneter Variablen 19
Tabelle 7: Signifikanzbestimmung zum Seitenvergleich 19
Tabelle 8: Auswertung allgemeiner Körpermerkmale der männlichen Probanden 20
Tabelle 9: Auswertung allgemeiner Körpermerkmale der weiblichen Probanden 20
Tabelle 10: Auswertung gemessener und berechneter Variablen der männlichen Probanden 21
Tabelle 11: Auswertung gemessener und berechneter Variablen der weiblichen Probanden 21
Tabelle 12: Seitengetrennte Analyse der Probanden mit BMI < 20 kg/m² (Gruppe 1)) 22
Tabelle 13: Seitengetrennte Analyse der Probanden mit BMI 20 - 24 kg/m² (Gruppe 2) 23
Tabelle 14: Seitengetrennte Analyse der Probanden mit BMI 25 - 29 kg/m² (Gruppe 3) 23
Tabelle 15: Seitengetrennte Analyse der Probanden mit BMI 30 - 39 kg/m² (Gruppe 4) 24
Tabelle 16: Seitengetrennte Analyse der Probanden mit BMI > 40 kg/m² (Gruppe 5) 24
Tabelle 17: Dicke der Thoraxwand aller Probanden in Gruppen 27
Tabelle 18: Dicke der Thoraxwand männlicher Probanden in Gruppen 27
Tabelle 19: Dicke der Thoraxwand weiblicher Probanden in Gruppen 27
Tabelle 20: Benötigte Nadellänge zur vollständigen Penetration der Thoraxwand 28
Tabelle 21: Vorarbeiten zur Thoraxwanddicke (detaillierter) 33
IX
Anhang
X
Abbildung 17: Bland-Altman-Plot für die Dicke der Thoraxwand rechts; (Quelle: Eigene Darstellung)
XI
Abbildung 18: Bland-Altman-Plot für die Dicke der Thoraxwand links; (Quelle: Eigene Darstellung)
Abbildung 19: Bland-Altman-Plot für die Dicke des Fettgewebes rechts; (Quelle: Eigene Darstellung)
XII
Abbildung 20: Bland-Altman-Plot für die Dicke des Fettgewebes links; (Quelle: Eigene Darstellung)
Abbildung 21: Bland-Altman-Plot für den Abstand zwischen Mediosternalline und Medioklavikularlinie rechts;
(Quelle: Eigene Darstellung)
XIII
Abbildung 22: Bland-Altman-Plot für den Abstand zwischen Mediosternalline und Medioklavikularlinie links;
(Quelle: Eigene Darstellung)
Abbildung 23: Bland-Altman-Plot für den Abstand zwischen Mediosternalline und Arteria thoracica interna
rechts; (Quelle: Eigene Darstellung)
XIV
Abbildung 24: Bland-Altman-Plot für den Abstand zwischen Mediosternalline und Arteria thoracica interna
links; (Quelle: Eigene Darstellung)
Abbildung 25: Thoraxdrainagenfehllage im linken Ventrikel und Aorta ascendens bei einem 22-jährigen
Patienten nach Einbringung mittels Trokar
(Quelle: Springer, Beer, M. Et al. (2005): Fehllage einer Thoraxdrainage im linkem Ventrikel und Aorta. In
Zeitschrift für Herz-,Thorax- und Gefäßchirurgie 19 (6), pp. 273, Abb. 3, mit freundlicher Genehmigung von
Springer Science and Business Media, Lizenznummer: 3571490743269)
Eidesstattliche Erklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig verfasst und keine anderen
als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
Die Dissertation ist bisher keiner anderen Fakultät, keiner anderen wissenschaftlichen Einrichtung
vorgelegt worden.
Ich erkläre, dass ich bisher kein Promotionsverfahren erfolglos beendet habe und dass eine
Aberkennung eines bereits erworbenen Doktorgrades nicht vorliegt.
Greifswald, 11.04.2015 Matthias Hecker
XV
Danksagung
Ich möchte mich ganz herzlich bei Prof. Dr. A. Ekkernkamp für die guten
Forschungsbedingungen in der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der
Klinik für Chirurgie der Universitätsmedizin Greifswald sowie für die Überlassung des
interessanten Themas bedanken.
Ganz besonderer Dank gilt meinem Betreuer PD Dr. M. Frank, der mich während der
gesamten Bearbeitung dieses Themas intensiv mit zahlreichen Anregungen unterstützte. Auch
nach seinem Wechsel von der Universitätsmedizin Greifswald zum Unfallkrankenhaus Berlin
stand er mir jederzeit mit Rat und Tat zur Seite und ermutigte mich, die gewonnen Daten auf
dem Deutschen Kongress für Unfallchirurg und Orthopädie 2012 in Berlin vorzustellen. Ich
bin ihm für sein unermüdliches Engagement sehr dankbar.
Weiterhin möchte ich mich bei Frau PD Dr. K. Hegenscheid für ihre Unterstützung bei der
statistischen Auswertung und Hilfe bei der Interpretation der Ergebnisse bedanken.
Mein Dank gilt außerdem Prof. Dr. H. Völzke und J. Henke für die Beantwortung zahlreicher
Fragen zur SHIP-Studie sowie der Erstellung der Webapplikation und des Messprotokolls.
Ebenfalls bedanke ich mich bei allen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die an der
Durchführung der SHIP-Studie beteiligt waren.
Abschließend möchte ich mich vom ganzen Herzen bei meinen Freunden und meiner Familie
bedanken. Besonders meine Mutter unterstützte und motivierte mich unablässig, dafür bin ich