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Biografie- und Chronik-Service Dr. Ulrich Erdmann (BCE) Hopfenstraße 2, 24114 Kiel, Tel.: 0431/ 6614300, www.erdmann-kiel.de Ulrich Erdmann: Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich (1950 - 1962) Gutachten Kiel 2016 Im Auftrag der Gemeinde Trappenkamp
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Nov 18, 2020

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Biografie- und Chronik-Service Dr. Ulrich Erdmann (BCE)

Hopfenstraße 2, 24114 Kiel, Tel.: 0431/ 6614300, www.erdmann-kiel.de

Ulrich Erdmann:

Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich

(1950 - 1962)

Gutachten

Kiel 2016

Im Auftrag der Gemeinde Trappenkamp

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Gliederung

1.) Untersuchungsgegenstand und Quellenlage S. 3

2.) Zu Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich von 1947 bis 1962

2.1) Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen S. 10

2.2.) Als Landtagsabgeordneter

2.2.1) Zweite Wahlperiode (1950-1954) S. 35

2.2.2) Dritte Wahlperiode (1954-1958) S. 59

2.2.3) Vierte Wahlperiode (1958-1962) S. 74

2.3.) Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in besonderem Verhältnis

zu Trappenkamp

2.3.1) Vor der Selbstständigkeit Trappenkamps S. 95

2.3.2) Im Gründungsjahr 1956 der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp S. 106

2.3.3) Während der Aufbaujahre der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp S. 122

(1957-1962)

2.4.) Epilog Oktober bis Dezember 1962 S. 134

3.) Zusammenfassung S. 137

4.) Quellen und Literatur S. 1422

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

1.) Untersuchungsgegenstand und Quellenlage

Ausgangspunkt des hiermit im Auftrag der Gemeinde Trappenkamp vorgelegten

Gutachtens „Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich (1950-1962)“ war der

überraschende Fund einer Akte Gerhard Gerlichs (09.09.1911-27.12.1962) bei den

Beständen des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS von 1940 im Bundesarchiv Berlin.

Diese wurde 2012 in dem Aufsatz von Christina Schubert über „Die Abgeordneten des

Schleswig-Holsteinischen Landtags nach 1945 und ihre nationalsozialistische

Vergangenheit“ im Rahmen des von Sönke Zankel herausgegebenen Sammelbands

„Skandale in Schleswig-Holstein. Beiträge zum Geschichtswettbewerb des

Bundespräsidenten“ kurz und mit zwei Fußnoten erwähnt.1

Der Bürgermeister von Trappenkamp, der Leiter der damaligen Grund- und Hauptschule

und heutigen Grundschule „Dr. Gerlich-Schule“ in Trappenkamp sowie der Vorstand des

Sudetendeutschen Kulturwerks Schleswig Holstein e.V. (SKW) wurden ab 2012

aufgefordert, sich mit diesen neuen Informationen über G. Gerlichs Vergangenheit und mit

daraus erforderlichenfalls erwachsenden Konsequenzen auseinanderzusetzen. Im

Frühjahr 2013 wurde der Biografie- und Chronikservice Dr. Ulrich Erdmann (Kiel)

dementsprechend vom Sudetendeutschen Kulturwerk SH e.V. mit einem Gutachten über

„Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ beauftragt. Als ein wesentliches

Ergebnis der Untersuchung dürfte Gerhard Gerlichs aktives und bewusst

wahrheitswidriges Leugnen seiner zeitweisen Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS im

Entnazifizierungs-Fragebogen vom 21.10.1947 gelten, das er und sein Bruder Walter

Gerlich als Zeugen mit ihren Unterschriften bekräftigten.

Die meisten seiner Zeitgenossen hatten seinerzeit quer über alle Parteien hinweg dieses

schematische und auch inhaltlich fragwürdige Verfahren der Entnazifizierung zwar

ebenfalls abgelehnt. Aber im Unterschied zu ihnen konnte G. Gerlich mit seinem (lange

über den Tod hinaus wirksamen) Verschleiern in den Nachkriegsjahren die Basis für eine

eindrucksvolle Karriere in seiner Partei, in Vertriebenenverbänden, im Kieler Landtag und

1 Schubert, Christina: Die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags nach 1945 und ihre nationalsozialistische Vergangenheit, in: Sönke Zankel (Hg.): Skandale in Schleswig-Holstein. Beiträge zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, Kiel 2012, S. 71-128, darin S. 90

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

in der Position als Parlamentarischer Vertreter des Kultusministers auch als Teil der

Landesregierung von Schleswig-Holstein legen. Aus dem historischen Abstand ist

angesichts dieser zusätzlichen Informationen somit zu prüfen, inwiefern Gerlichs Wirken in

der Kommunal- und Landespolitik der Nachkriegszeit und sein Engagement bei einzelnen

Projekten vor diesem Hintergrund anders zu bewerten ist.

Als Ausgangspunkt wurde das Gutachten „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich

bis 1947“ dem Sudetendeutschen Kulturwerk SH e.V. entsprechend der vereinbarten

Archivforschungen im Sommer 2013 vorgelegt.2 Nach längeren Verhandlungen über

eventuell aus dem Familienkreis Gerlichs beizusteuernde Ergänzungen und juristische

Fragen kamen der Verfasser dieses Gutachtens, der Vorstand des SKW und die

Gemeinde Trappenkamp überein, diese Untersuchung im November 2015 auf der

gemeindeeigenen Homepage unter dem Link

http://www.trappenkamp.de/gutachten_dr_gerlich.html

zu veröffentlichen.

Zudem wurde diese Untersuchung am 11.11.2015 den Gemeindevertretern vorgestellt und

aus der angeregte Diskussion ergab sich der Wunsch, mit einer Ergänzung über die

Nachkriegsjahre von Gerhard Gerlich, sein politisches Wirken als CDU-

Landtagsabgeordneter und seine Verdienste für die Entwicklung der Gemeinde

Trappenkamp bis zu seinem überraschenden Tod im Dezember 1962 näher zu erforschen.

Mit einer Gesamtschau der historischen Lebensverhältnisse und seines jeweiligen

Handelns innerhalb dieser Rahmenbedingungen soll ein umfassenderes Bild vom Wesen

und Wirken Gerhard Gerlichs für weitergehende Diskussionen und Entscheidungen am

Ort gegeben werden. Dementsprechend erteilte die Gemeinde Trappenkamp im

Dezember 2015 dem Biografie- und Chronikservice Dr. Ulrich Erdmann einen

ergänzenden Auftrag zu dem Gutachten „Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich“.

Dieses wird hiermit im Juni 2016 vorgelegt.

Die Quellenlage zum Untersuchungsgegenstand erwies sich wie bei der Untersuchung

„Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ als problematisch. Bereits bei

diesem Erst-Gutachten hatten 2013 Anfragen nach Originalmaterial von Gerhard Gerlich in

2 Erdmann, Ulrich: Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947. Gutachten, Kiel 2013, im Folgenden: Erdmann, Lebensstationen

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

der Landesbibliothek Schleswig-Holstein in Kiel, dem Schleswig-Holsteinischen

Landesarchiv in Schleswig, bei der Verwaltung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

wie auch im Stadtarchiv Neumünster kaum oder keine Ergebnisse hervorgebracht.

Anfragen von 2016 bei dem CDU-Landesverband Schleswig-Holstein, der CDU-

Landtagsfraktion oder dem CDU-Kreisverband Neumünster wurden zumeist mit spärlich

vorhandenen Auszügen aus der Sekundärliteratur und dem Hinweis auf das Archiv für

Christlich-Demokratische Politik der Konrad Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin

beantwortet.

Ähnliches Material bekam der Gutachter auf spezifizierte Anfrage auch von dort

zugesandt, auf gezielte Nachfrage bei Herrn Dr. Andreas Grau allerdings auch einen

prägnanten Gerlich-Artikel von November 1951. Bereits Zeitgenossen Gerlichs verfügten

aus Mangel an Quellenmaterial aus den Gründungsjahren der CDU über wenig

verlässliche biografische Fakten, wie die Pressemitteilung „Zum Ableben von Dr. Gerhard,

MdL“ des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein vom Todestag 27.12.1962 illustriert.

Darin heißt es (wohl in Verwechslung mit seinem gleichfalls promovierten Bruder Walter)

„Dr. Gerlich gehörte dem Landesvorstand seit 1947 an (...)“, obschon er im Oktober 1947

aus der russischen Kriegsgefangenschaft in Deutschland eintraf und erst im Januar 1948

in die CDU eintrat.3

Aus dem Archiv der Sudetendeutschen Landsmannschaft Schleswig-Holstein in Kiel,

deren Zweiter Landesobmann Gerhard Gerlich von ca. 1952 bis zu seinem Tod gewesen

war, konnte der Vorsitzender Wolfgang Steltzig ebenfalls kein Material aus der

Nachkriegszeit beisteuern. Zumeist keine Antworten kamen zudem von den

angeschriebenen wenigen Zeitgenossen Gerhard Gerlichs sowie seinen engsten

Familienangehörigen, die bei der Untersuchung „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard

Gerlich bis 1947“ noch 2013 mit Material aus Privatbeständen, Auskünften und

Korrespondenz freundlicherweise behilflich sein konnten.

Weitere Anfragen nach Sichtung des Archivs des Sudetendeutschen Kulturwerks SH in

Trappenkamp wurden vom Vorstand mit Verweis auf die auf diesen Beständen basierende

und 2007 herausgegebene Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich,

3 Vogt, Gustav (Verantw.): „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“, Pressemitteilung Nr. 44/62 des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein, 27.12.1962; sowie Erdmann, Lebensstationen, S. 42-44 u. 49

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und

Bornhöved“ von Klaus Deneke abschlägig beschieden. Ein Zugang war auch nach dem

Hinweis auf dort fehlende Quellenangaben und die begrenzte wissenschaftlich

Aussagekraft der inhaltlich reichen und verdienstvollen Publikation nicht möglich.

Stattdessen bedankt sich der Gutachter bei dem SKW-Vorstandsmitglied Klaus Deneke,

für diese Untersuchung 2016 einiges kopiertes Material aus seinen Privatbeständen zum

Thema Gerhard Gerlich freundlicherweise zur Verfügung gestellt zu haben.

Zu den seltenen schriftlichen Nachweisen über eine direkte Mitwirkung und Einflussnahme

des Landes- und Kommunalpolitikers vor Ort konstatierte Deneke in seiner Broschüre

„Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich“ mit Recht:

„Er liebte es, aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen und seinen ganzen, sehr großen

Einfluss spielen zu lassen. Konkret ist schwer nachzuweisen, was er für Trappenkamp im

Einzelnen alles bewirkte.“4

Gerlich pflegte offenkundig eine bewusste, uneitle Zurückhaltung, die auch im Positiven

wenige dokumentierte Spuren seines Agierens hinterließ, dafür aber im Stillen politisch

gewiss umso größere Wirksamkeit entfaltete. Exemplarisch für eine entsprechend

aufwändige Spurensuche in zeitgenössischen Medien mag das einzige Pressefoto von

Gerhard Gerlich in Trappenkamp sein, das der Gutachter im Rahmen seiner Recherchen

fand. Zu einem Besuch von „Bundesminister Lindrath in Trappenkamp und Wahlstedt“

fand sich in Artikeln der Segeberger Zeitung und den Kieler Nachrichten vom 21.02.1958

zwar der Hinweis auf die Begleitung des Ministerpräsidenten und des Landrats des

Kreises Segeberg, nicht aber auf die des Abgeordneten Gerhard Gerlich.

Erst ein Jahr später bekamen die Leser der Monatsschrift „Wort und Bild. Stimme der CDU

in Schleswig-Holstein“ in der Ausgabe vom März 1959 als Illustration des Artikels

„Trappenkamp. Zuversicht und Selbstvertrauen schaffen eine neue Heimat“ eine

gemeinsame Fotografie von vier Prominenten im „Haus des Ostens“ am Ort zu Gesicht. In

der Bildunterschrift war dazu zeitlich bedauerlich unkonkret angegeben: „Rechts im Bild

stehend der stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Dr. Gerhard Gerlich, der von

4 Deneke, Klaus: Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp undzur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und Bornhöved, Kiel 2007, S. 19; im Folgenden: Deneke, Materialien

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Anbeginn mit Rat und Tat maßgeblich am Aufbau Trappenkamps Anteil nahm.“5

Diese für einen Spitzenpolitiker ungewöhnliche Pressescheu fand der Gutachter bei

seinen Recherchen 2016 erneut bestätigt, so dass sich die vorliegende Arbeit

schwerpunktmäßig auf die dokumentierten Äußerungen Gerhard Gerlichs während der

Plenartagungen des Schleswig-Holsteinischen Landtags von August 1950 bis Dezember

1962 stützt. Dazu wurden die Wortprotokolle der 2. Wahlperiode (1950-1954, 1858 Seiten)

sowie die stenographische Berichte der 3. Wahlperiode (1954-1958, 4017 S.), der 4.

Wahlperiode (1958-1962, 2944 S.) und zu Beginn der 5. Wahlperiode (29.10.1962-

18.12.1962) auf Beiträge des Abgeordneten Gerlich hin gesichtet und analysiert.

Ebenso wurde mit den Protokollen der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse

verfahren, an denen Gerhard Gerlich mitwirkte. Diese betrafen seinerzeit Vorwürfe gegen

die Landtagspräsidenten Karl Ratz (1951) und Walther Böttcher (1959) sowie die beiden

Ausschüsse I und II in der Angelegenheit Prof. Heyde/Dr. Sawade (1960/61). Für die

Unterstützung bei der Einsichtnahme im Landeshaus in Kiel sei Manfred Hater vom

Informations- und Dokumentationsdienst des Schleswig-Holsteinischen Landtags herzlich

gedankt.

Ergänzend untersuchte der Gutachter die Jahrgänge 1950 bis 1962 der „Schleswig-

Holsteinischen Volkszeitung“ sowie in der „Segeberger Zeitung“ die Jahrgänge 1955-1960,

die für die Gründungszeit der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp entscheidend

waren. Entsprechend der derart aufgefundenen Spuren zu Gerhard Gerlich wurden

weitere Zeitungen wie der „Holsteinische Courier“, die „Kieler Nachrichten“ oder andere

Tageszeitungen punktuell herangezogen. Für die vielfältige Unterstützung dabei in der

Landesbibliothek Schleswig-Holstein in Kiel sei dem Leiter Direktor Dr. Jens Ahlers und

seinen Mitarbeiterinnen herzlich gedankt.

Inhaltlich lag das Augenmerk auf den politischen Erfahrungen Gerlichs in den

Nachkriegsjahren und damit auf der Wandlung seiner Schwerpunktsetzungen in den

Politikbereichen des Flüchtlingswesens, der Bildung (insbesondere seines Engagements

gegen die Volksoberschule Preetz) und der Finanzen (mit Rückwirkung auf den Ausbau

5 Wort und Bild. Stimme der CDU in Schleswig-Holstein, 2. Jg. Nr. 3 (März 1959), S. 4/5 (Artikel: Trappenkamp. Zuversicht und Selbstvertrauen schaffen eine neue Heimat); im Folgenden: WuB, CDU-SH

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

der Gemeinde Trappenkamp). Dieser Verlauf spiegelte sich auch in seiner Wahl von

Mitgliedschaften der Landtagsausschüsse von 1950 bis 1962 wider. Zugleich wurde vor

dem Hintergrund vor Gerlichs bewusster Falschauskunft seiner SS-Mitgliedschaft im

Entnazifizierungs-Fragebogen von 1947 untersucht, in welcher Weise er

an einigen Auseinandersetzungen der Schleswig-Holsteinischen Nachkriegspolitik mit der

NS-Vergangenheit teilnahm und wie sein Verhalten auf dem Weg des Bundeslandes wie

auch einzelner Kommunen zu einer gefestigten Demokratie zu interpretieren ist.

Die dargestellten Lebensstationen von Gerhard Gerlichs in Nachkriegsdeutschland von

1947 bis zu seinem Tod 1962 werden anfänglich chronologisch in die Kapitel „Neumünster

als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ sowie seine weiteren Jahre als Abgeordneter

in den Wahlperioden 1950-1954, 1954-1958 sowie 1958-1962 gegliedert. Das

Eingangskapitel „Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ kann als

Grundlage und Folie zum vertiefenden Verständnis der Folgekapitel dienen, die Gerhard

Gerlichs Entwicklung ab 1950 im Kieler Landtag und ab 1955 als Beteiligter an dem

Prozess nachzeichnen, auf welche Weise die Gemeinde Trappenkamp 1956 zur

Selbstständigkeit mit einem schließlich funktionierenden demokratischen Gemeinwesen

gelangte.

Die Anfänge Gerhard Gerlichs in Neumünster ab 1947 bieten dazu einen Rahmen mit

seiner Etablierung innerhalb von Vertriebenenorganisationen, dem Kreisverband der CDU

als Führungspersönlichkeit oder den miterlebten Problemen von Politikern auch anderer

Parteien beim praktischen Umsetzen neuer demokratischer Regularien. Gerlichs

kommunalpolitische und innerparteilichen Erfahrungen in Neumünster korrespondierten

während der fünfziger Jahre im Zusammenspiel mit seinem Bruder Walter Gerlich in

aussagekräftigen Versuchen, mit unterschiedlichen Mitteln die Vorherrschaft innerhalb der

CDU zu erringen. Die jeweiligen Stadien ermöglichen es, plausible Zusammenhänge mit

seiner Karriere im CDU-Landesvorstand und insbesondere im Kieler Landtag herzustellen.

Diese werden in den drei Folgekapiteln insbesondere anhand von Debattenbeiträgen

zwischen 1950 und 1962 illustriert, wobei nach offizieller Zählung die „Zweite Wahlperiode

(1950-1954“) die erste von G. Gerlich als gewählter Abgeordneter darstellte.

Diese Zusammenhänge bieten zudem ein vertiefendes Verständnis für Gerlichs

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

besonderes Engagement ab 1955 in drei chronologisch angeordneten Kapiteln „Als

Vertriebenen- und Kommunalpolitiker im besonderen Verhältnis zu Trappenkamp“.

Gerade für das Gründungsjahr 1956 mit zwei Gemeindevertreterwahlen am Ort werden

Gerhard Gerlichs Erfahrungen und Mittel im partei- und landespolitischen Meinungskampf

anhand von verstreuten Indizien herangezogen. Nach dem Abschlusskapitel „Epilog

Oktober bis Dezember 1962“ und einer zusammenfassenden Einordnung werden die

verwendeten Quellen, Periodika sowie die Fachliteratur aufgeführt.

Kiel, Juni 2016

Dr. Ulrich Erdmann

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2.) Zu Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich von 1947 bis 1962

2.1) Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Neumünster zu einer Stadt mit einem

Bevölkerungsanteil von rund 25 % Heimatvertriebenen oder Flüchtlingen. Zu diesen

gehörte Gerhard Gerlichs Bruder Walter, der dort die Kapitulation erlebte und

vorübergehend als Lehrer an der Holstenschule hatte arbeiten können, bis er Anfang 1947

vom Landesministeriums für Volksbildung für ihn überraschend entlassen wurde. Der

Studienrat hatte bei seinen Unterlagen freimütig seine Mitgliedschaft in der Allgemeinen

SS angegeben, die in der britischen Besatzungszone als „Organisationsverbrechen“ galt.

In seine Beschäftigung mit aktuellen Lebensnöten, den tagesaktuellen

Versorgungsproblemen und den Bemühungen um eine Revision dieses Verwaltungsakts

hinein traf sein jüngerer Bruder Gerhard am 17.10.1947 überraschend aus der russischen

Kriegsgefangenschaft ein und fand ihn den Zeitverhältnissen entsprechend gut

untergebracht.6 Nach kurzer Eingewöhnung widmete sich Gerhard Gerlich den dringlichen

Aufgaben der Wohnungs- und Arbeitssuche (vorzugsweise seiner Wiedereinstellung in

den Schuldienst) und der Organisation von Zuzugsgenehmigungen für seine fünf

Familienmitglieder in der Sowjetischen Besatzungszone.

Zunächst hatte er allerdings das von den Besatzungsmächten angeordnete Verfahren zur

Entnazifizierung zu absolvieren. Dieses stieß in der Bevölkerung allgemein auch wegen

der bedrängten Zeitverhältnisse auf nachlassendes Interesse, wachsende Unzufriedenheit

oder Kritik an allzu pauschalen Beurteilungsmaßstäben, an moralischen

Schuldzuweisungen oder an teilweise schematisiert verfügten Berufsverboten. Bei seinem

gleichfalls als Pädagogen ausgebildeten Bruder Walter waren kurz nach Kriegsende noch

strengere Maßstäbe als 1947 angelegt worden, denn: „Wegen ihrer Möglichkeiten, auf

Jugendliche einzuwirken, wurden Lehrer besonders sorgfältig überprüft.“7

6 Vgl. zum Folgenden: Erdmann, Lebensstationen, S. 43-52 (Kapitel „Neumünster 1947: Neuanfang und Entnazifizierung“)

7 Jürgens, Jessica: Entnazifizierungspraxis in Schleswig-Holstein, Eine Fallstudie für den Kreis Rendsburg 1946-1949, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 125, 2000, S. 162; im Folgenden:

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Von den Siegermächten übertrug die britische Militärregierung 1947 als letzte die

Verantwortung an deutschen Stellen, so dass alle während des Dritten Reichs im

öffentlichen Dienst Beschäftigten einen entsprechenden zwölfseitigen Fragebögen

auszufüllen hatten. Nach deren Auswertung wurden die Betreffenden entsprechend der

Direktive Nr. 38 in fünf Kategorien von I Hauptschuldige, II Belastete, II Minderbelastete, IV

Mitläufer bis V Entlastete eingeteilt. Wie in ganz Schleswig-Holstein wurde auch an

diesem Ort niemand in die beiden niedrigsten Kategorien eingestuft:

„Im Rathaus Nms. wurde im Mai 1946 das Entnazifizierungsamt eingerichtet, dem

insgesamt zehn Ausschüsse zugeordnet waren, die bis Juni 1949 etwa 10.000 Fälle

berieten und Urteile fällten: 51 Personen der Kategorie III Minderbelastete gehörten als

aktive Mitglieder der Partei oder einer ihrer Gliederungen an. 1136 wurden als "Mitläufer"

in Gruppe IV klassifiziert und verurteilt, mehr als die Hälfte der Betroffenen ging aus dem

Verfahren als entlastet (Gruppe V) hervor, über 3000 Personen galten als

'Nichtbetroffene'.“8

Gleichwohl hatte sein Bruder Walter berufliche Nachteile erlitten und mit seinen

einschlägigen Erfahrungen konnte sich Gerhard Gerlich in der vorübergehend

gemeinsamen Wohnung im Holsatenring 71 auf das Ausfüllen des zwölfseitigen

Fragebogens vorbereiten. Neben einer Überfülle seiner aufgelisteten beruflichen und

militärischen Stationen auf einem Beiblatt vermerkte er zusätzlich, dass ihm als

Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft und Flüchtling keine Dokumente zur

Verfügung stünden, so dass er diese Angaben aus der Erinnerung nach bestem Wissen

und Gewissen gemacht habe. Dabei machte er sich diesen Umstand allerdings zu Nutze:

„Flüchtlinge besitzen größere Chancen, ihren Lebenslauf zu beschönigen, als

Einheimische, die vor Ort wohl bekannt sind. Und: zu diesem Zeitpunkt schon ist sich die

deutsche Bevölkerung weitgehend einig in der Ablehnung der Entnazifizierung.“9

Fehlende Dokumente waren auch der Grund für seine Angaben nach eventuellen

Benachteiligungen im Nationalsozialismus durch sein Verhalten, durch Rasse oder

Jürgens, Entnazifizierungspraxis8 Dwars, Marianne u.a. (Hg.): Neumünster Lexikon, Neumünster 2003, S. 359 Danker, Uwe/ Schliesky, Utz (Hg.): Schleswig-Holstein 1800 bis heute. Eine historische Landeskunde,

Husum 2014, S. 29311

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Religion, wie Gerhard Gerlich auf einem selbst gefertigten Beiblatt zu Frage 114 auf Seite

9 des Fragebogens vermerkte:

„114.) Da 'konfessionell gebunden' und 'weltanschaulich ungeeignet' als Prov. Leiter der

Oberschule f. Jungen 1941 enthoben, vorübergehend am Landesschulrat beschäftigt,

dann als Lehrer zur Schule zurückversetzt. Im April 1942 Einleitung eines

Parteigerichtsverfahrens auf 'Ausschluss aus der Partei als weltanschaulich ungeeignet

wegen gesellschaftlichen Verkehrs mit jüdisch Versippten.' In diesem Zusammenhange

erfolgte auch die Aufhebung der U.K.-Stellung und die Einziehung zur Wehrmacht.“

Diese Angaben konnten bis in die Gegenwart hinein nicht verifiziert werden, waren aber

geeignet, die die entsprechende Bearbeitung in den Entnazifizierungsausschüssen zu

befördern: „Positiv wirkte es sich für die Betroffenen aus, wenn sie nachweisen konnten,

dass sie sich in irgendeiner Form in Opposition zum nationalsozialistischen Regime

befunden hatten. Allerdings musste aus dem Verhalten hervorgehen, dass sie auch die

Konsequenzen aus ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus gezogen hatten, also zum

Beispiel aus der NSDAP ausgetreten waren. (...) Wenn sich bereits aus den Fragebögen

ergab, dass jemand Gegner des Nationalsozialismus gewesen war und Verfolgten

geholfen hatte, wurde er ohnehin in die Kategorie V eingestuft und musste daher nicht vor

den Ausschuss angehört werden.“10

Zu einer für die Berufsausübung seines Bruders entscheidenden Frage machte Gerhard

Gerlich in seiner im Landesarchiv Schleswig erhaltenen gebliebenen Entnazifizierungsakte

zudem auf Seite 6 des Fragebogens bei den ersten drei der insgesamt 54 aufgelisteten

NS-Institutionen die folgende Eintragungen:

Ja/Nein Von Bis Nummer Amt Antrittsdatum

41. NSDAP ja 1.11.38 31.3.42 unbekannt keine entfällt

42. Allg. SS nein - - - entfällt entfällt

43. Waffen-SS nein - - - entfällt entfällt11

10Jürgens, Entnazifizierungspraxis, S. 16311 Erdmann, Lebensstationen, S. 46 bzw. Anlage Nr. 9 als Faksimileabdruck aus der Entnazifizierungsakte von Gerhard Gerlich im Landesarchiv Schleswig [LA SH Abt. 460.21 Nr. 196]

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Diese wahrheitswidrige Auskunft bezeugte Dr. Gerhard Gerlich auf der Schlussseite 12 mit

Unterschrift und Datum vom 21.10.1947 trotz der vorangestellten Versicherung: „Die auf

diesem Formular gemachten Angaben sind wahr, und ich bin mir bewußt, daß jegliche

Auslassung oder falsche und unvollständige Angabe ein Vergehen gegen die Verordnung

der Militärregierung darstellt und mich der Anklage und Bestrafung aussetzt.“ Darunter

bestätigte Dr. Walter Gerlich als Zeuge ebenfalls mit seiner Unterschrift, dass „die in

diesem Fragebogen gegebenen Antworten meines besten Wissens und Gewissens“ nach

richtig seien.

Dabei hatte Gerhard Gerlich seinen Bruder in der Akte seines SS-Heiratsgesuchs von

1940 ebenfalls mit der gemeinsamen SS-Einheit angegeben. Zusammen mit der

schriftlichen und bewusst falschen Auskunft von Walter Gerlich zu dieser bekanntermaßen

entscheidenden Tatsache einer SS-Mitgliedschaft seines Bruders ergibt sich ein

Selbstverständnis, sich bewusst außerhalb allgemeingültiger Regeln zu stellen. Mit diesem

sollten die beiden Brüder in der Stadt und in ihrer bald gemeinsamen Partei CDU in den

Fünfziger Jahren für nachhaltiges Aufsehen sorgen.

Den in diesem Geist ausgefüllten Fragebogen sandte G. Gerlich am 24.10.1947 in zwei

Exemplaren zusammen mit einer eidesstattlichen Erklärung und einem entsprechenden

Lebenslauf an das Schulamt der Stadt Neumünster. Zusätzlich schickte er an den

Regierungspräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein das Gesuch, in den Dienst für

Höhere Schulen für die Fächer Geschichte und Erdkunde wieder eingestellt zu werden.

Anfang November 1947 stufte der Vorsitzende des Entnazifizierungsausschusses Becker

ohne Wissen Gerlichs diesen intern in die Kategorie V (Entlastete) ein und gab dazu den

noch letztentscheidenden britischen Behörden in Kiel die Empfehlung:

„Nach Beratung des Falles schlagen wir vor, daß Dr. Gerlich, Gerhard, der nicht persönlich

befragt wurde, beibehalten wird. Aus folgenden Gründen: Unbelastet im Sinne der

Direktive 24.“12

Zum Jahreswechsel 1947/48 hatten die britischen Behörden die Entnazifizierung zur

Beschleunigung und Abwicklung an die deutschen Stellen abgetreten, von denen G.

12 s. Erdmann, Lebensstationen, S. 4813

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Gerlich Mitte Januar 1948 die Mitteilung erhielt, endgültig in die Kategorie V (Entlastete)

eingestuft worden zu sein, so dass er sich seinen Entnazifizierungsbescheid abholen

könne. Allerdings bestätigte sich seine Befürchtung, dass zeitgleich mit ihm viele

potenzielle Konkurrenten und Bewerber für den Schuldienst als entlastet eingestuft

worden waren. So sollte es noch länger dauern, bis er trotz seiner persönlichen

Vorsprachen bei Behörden erst im April 1951 eine Planstelle an der Klaus Groth-Schule in

Neumünster, einer Oberschule für Mädchen, zugesprochen bekam.13

Im Februar 1948 hatte der Schleswig-Holsteinische Landtag das „Gesetz zur Fortführung

und zum Abschluß der Entnazifizierung“ in Kraft gesetzt, in dessen Schlussbestimmungen

in § 49 a demjenigen Strafe angedroht wurde, „wer falsche oder irreführende Erklärungen

abgibt oder Tatsachen verschleiert, die für die Anwendung des Gesetzes von Erheblichkeit

sind.“14 Durch derartige Bestimmungen fühlte sich G. Gerlich aber aktuell offenkundig nicht

gefährdet. In der am Ort verbreiteten Tageszeitung „Holsteinischer Courier“ dürfte er zwar

am 08.07.1950 den Artikel „Hedler wurde in Gruppe IV eingestuft“ über eine potenzielle

Gefährdung wegen derartiger Falschangaben gelesen haben. Allerdings hatte der 1949

mit der „Deutschen Partei“ in den Bundestag gewählte Wolfgang Hedler mit

rechtsradikalen und antisemitischen Reden (zum Beispiel in Einfeld) die öffentliche

Aufmerksamkeit negativ auf sich gezogen.

Im Jahr 1948 war Gerhard Gerlich mit dem Erteilen von Nachhilfestunden, der Arbeit in

einer Referentenstelle beim Caritasverband und dem Bebauen von Ackerland stark

beschäftigt. Zudem bereitete er vor, seine in Sachsen festsitzenden engsten

Familienmitglieder nach Neumünster zu holen. Zugleich hielt er die Zeit für den Beitritt zu

einer politischen Partei (nach der Sudetendeutschen Partei und der NSDAP) für

gekommen und sein Mitgliedsausweis der Christlich-Demokratischen Union im

Kreisverband Neumünster ist auf den 15.01.1948 datiert.

Für ihn bot sich schon aus strukturellen Gründen die Christlich-Demokratische Union

besonders an, denn im landesweiten Vergleich der CDU-Kreisverbände nahm Neumünster

mit einem Vertriebenen-Anteil von 41 % und einer starken katholischen Minderheit von 28

13 vgl. Klaus Groth-Schule (Hg.): 100 Jahre Klaus Groth-Schule 1888-1988. Gymnasium der Stadt Neumünster, Neumünster 1988, S. 88

14 Gesetz- und Verordnungsblatt (GVOBl) für Schleswig-Holstein Nr. 6/1948, S. 4014

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% eine Sonderstellung ein. Letztere stieß bei der einheimischen Bevölkerung,

insbesondere an diesem Ort, allerdings noch lange auf Vorbehalte: „Es gab in Schleswig

Holstein eine deutliche Abwehrhaltung gegen Katholiken vor allem in Führungspositionen.

Immer wieder wurde ganz nachdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht der Eindruck

erweckt werden dürfe, dass die CDU ein verkapptes Zentrum sei.“15

Trotz dieser Voraussetzungen begann Gerhard Gerlich zusammen mit seinem Bruder

Walter eine kreis- und landesweite Karriere, die er gemessen an ihrer späteren

Wirkungsmächtigkeit vergleichsweise unauffällig gestaltete. Gerhard Gerlich nutzte die

Umbruchsverhältnisse der frühen Nachkriegsjahre in Neumünster, von denen kaum

Spuren seines Wirkens in Archiven dokumentiert blieben, erfolgreich für einen

gesellschaftlichen Aufstieg. Zu einem entsprechenden Zeitfenster für

Karrieremöglichkeiten in Schleswig-Holstein schrieb Ulrich Matthée: „Wenngleich

Heimatvertriebene und Ausgebombte auch unter der britischen Herrschaft nur eine

Minderheit der Eliten stellten, weil sie wegen der Schwierigkeit ihrer Lebensverhältnisse

weniger zur Übernahme von Ämtern geeignet waren, so stand ihnen doch damals

grundsätzlich die Chance zum Aufstieg offen. Ab 1951 waren diese Möglichkeiten aber

recht begrenzt (…).“16

Zu den aktiven Parteimitgliedern wie den Gebrüdern Gerlich und den seinerzeitigen

Rahmenbedingungen des Engagements in dieser Partei in Neumünster schrieb deren

CDU-Kollegin Lieselotte Juckel in einem Rückblick:

„Außerdem begann nun ein bewegtes Parteileben. Wir mussten uns ja auch erst

zusammenraufen. Und die Heimatvertriebenen mußten sich erst ihre Rechte erkämpfen.

Es ging heiß her. Die Sitzungen des Kreisverbandsausschusses dauerten oft bis in die

Nacht hinein, und auf dem Heimweg mit Johann Philipp und Dr. Walter Gerlich (wir

wohnten alle in Wittorf) wurde weiter diskutiert. Wir bauten die Arbeitsgemeinschaft der

Heimatvertriebenen und Flüchtlinge auf, deren Interessen wir viele Jahre vertreten haben.

Die CDU-Satzung schrieb vor, daß im Vorstand folgende Kreise vertreten sein mußten: ein15 Wulf, Peter: Parteineugründungen in Schleswig-Holstein: Die Christlich-Demokratische Union, in:

Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1998, S. 53; vgl. Varain, Heinz Josef: Parteien und Verbände. Eine Studie über ihren Aufbau, ihrer Verflechtung und ihr Wirken in Schleswig-Holstein 1945-1958, Köln/Opladen 1964, S. 45; imFolgenden: Varain, Parteien

16 Matthée, Ulrich: Elitenbildung in der kommunalen Politik. Eine Untersuchung über die Zirkulation der politischen Führungsgruppen am Beispiel des Kreises Segeberg (masch Diss. an der CAU Kiel), Kiel 1967, S. 137

15

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Katholik, ein Flüchtling, ein Vertreter der Jungen Union, eine Frau und ein Ratsmitglied.“17

Auch unter den Heimatvertrieben und Flüchtlingen nahm Gerhard Gerlich bald eine

führende Stellung ein und hatte den (gewiss unausgesprochenen) psychologischen

Vorteil, dass er nach seinen negativen Erfahrungen in Prag zur NS-Zeit keine Rückkehr für

sich und seine Familie in die ursprüngliche Heimat anstrebte. Als die alliierten

Besatzungsmächte das Koalitions- bzw. Vereinsverbot für Flüchtlinge aufgehoben hatten,

dürften er und sein Bruder beteiligt gewesen sein, als sich die Heimatvertriebenen der

verschiedenen ostdeutschen Gebiete in Neumünster organisierten, um ihre Belange

besser vertreten zu können.

Gemäß den Erinnerungen von Paul Riedel wurde am 15.01.1949 in "Harms Gasthof" in

der Friedrichstraße die Schlesisch-Sudetendeutsche Landsmannschaft mit über 100

Landsleuten aus der Taufe gehoben. Nach dem Aufbau einer eigenen Schlesischen

Landsmannschaft im Frühjahr 1950 fand die entsprechende Neugründung der

Sudetendeutschen am dann am 01.11.1950 am gleichen Ort statt, der für die Gebrüder

Gerlich auf Jahre hinaus auch Treffpunkt von bewegten Parteisitzungen der örtlichen CDU

blieb.18 Der spätere CDU-Ehrenvorsitzende Herbert Möller erinnerte sich 2015 zum Artikel

„CDU: Einheitspartei, gespalten, versöhnt“ im „Holsteinischen Courier“ zudem genauer an

Fraktionierungen und Spaltungen: „Es gab ein christlich-soziales Lager um die Brüder

Gerlich. Das waren vor allem Vertriebene. Die andere Gruppe waren alteingesessene

Neumünsteraner wie Moritz-August Schiffer. Das war das bürgerlich-christliche Lager. (…)

Die Sozialen bei Harder in der Bahnhofstraße, die Bürgerlichen im Hotel Harms an der

Friedrichstraße“.19 Diese Antagonismen und Spannungen sollten Gerhard und Walter

Gerlich wesentlich prägen und mitgestalten.

Zwar verfocht Gerhard Gerlich als einer der inzwischen führenden Vertreter der

Sudetendeutschen Landsmannschaft 1950 öffentlich eine strikte parteipolitische

Neutralität dieses Verbandes, aber eine Verzahnung seines Engagements auf der

kommunalen und allmählich auch auf der landesweiten Ebene war dabei nicht zu

17 Juckel, Lieselotte: Die ersten Jahre der CDU Neumünster, in: CDU-Kreisverband Neumünster (Hg.): 50 Jahre CDU-Kreisverband Neumünster. Verantwortung für Deutschland und Europa; Neumünster o.J. , o.S. (S. 6); im Folgenden: Juckel, CDU Neumünster

18 s. Obst, Carsten: Flüchtlinge in Neumünster, Erfurt 2007, S. 11919 Holsteinischer Courier, 08.07.2015

16

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vermeiden. So kam er auch im Ausschuss des CDU-Landesverbandes für

Flüchtlingsangelegenheiten in eine entscheidende Stellung, welcher bereits bei der

Aufstellung der ersten CDU-Bundestagskandidaten 1949 ein Mitspracherecht in

Schleswig-Holstein ausübte.

Dabei blieb seine materielle Situation vorerst prekär, als er am 08.05.1949 wegen seiner

Entnazifizierung einen Einspruch gegen die erhobenen Kosten für sein

Kategorisierungsverfahren begründete: „Trotz grösster Bemühungen meinerseits war es

mir in den verflossenen 1,5 Jahren nicht möglich, in meinem Berufe unterzukommen und

bin erst seit Februar 1948 ohne Bezahlung und seit Juni 1948 gegen ein Monatsgehalt von

250 DM berufsfremd untergekommen. Dieser Betrag wurde am 1.I.49 ausserdem um 5 %

gekürzt. Da ich nicht nur Russlandheimkehrer, sondern ausserdem auch Flüchtling bin und

mein Hausstand aus 5 Personen besteht, hoffe ich keine Fehlbitte getan zu haben.“20

In Neumünster hatte die SPD mittlerweile bei den Kommunalwahlen am 24.10.1948 mit

49,8 % die Mehrheit der 35 Sitze errungen, aber im Gegensatz zu der auf Konfrontation

angelegten Politik zwischen SPD-Landesregierung und CDU-Opposition im Kieler Landtag

übte sie in der Ratsversammlung mit der CDU (15 Mandate) eine kooperative

Regierungspolitik unter den demokratischen Kräften aus. Als politisch stark interessierter

und engagierter Bewohner der Stadt war Gerhard Gerlich möglicherweise als Gast auf

dem SPD-Bezirksparteitag am 06.03.1950 in der Klaus Groth-Schule in Neumünster

zugegen. Dort hatte nach der Begrüßung durch den SPD-Kreisvorsitzenden Paul

Lohmann der Oppositionsführer Andreas Gayk unter anderem erklärt: "Politische Schieber

und Geschäftemacher profitieren von dem allgemeinen Unwillen über die Entnazifizierung.

Die sozialdemokratische Landesregierung hat als erstes der deutschen Länder die

Entnazifizierung praktisch so gut wie abgeschlossen und die Zweiteilung des deutschen

Volkes zu überwinden begonnen."21

An denselben Ort wurde am 28.04.1950 die entscheidende Sitzung des Neumünsteraner

Stadtparlaments verlegt, um einer Öffentlichkeit von 500 Hörern die Teilnahme an der

Wahl des neuen Stadtpräsidenten ermöglichen. Über den spektakulären Verlauf, der eine

20 s. Erdmann, Lebensstationen, S. 50/5121Schleswig-Holsteinische Volkszeitung (Kieler Morgenzeitung), 27.03.1950, S. 5/6; im Folgenden: Volkszeitung

17

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Parallele im Gründungsjahr der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp 1956 finden

sollte, dürfte Gerhard Gerlich zumindest über die Presseberichterstattung informiert

gewesen sein. Nach den Mehrheitsverhältnissen im Rat und den interfraktionellen

Absprachen mit der CDU hatte die SPD das Vorschlagsrecht für diese Amt, aber innerhalb

der sozialdemokratischen Fraktion war es über den von der Kreispartei vorgesehenen

Kandidaten zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Paul Lohmann,

Landtagsabgeordneter und Kreisvorsitzender, war im April 1950 noch kein Ratsmitglied

und konnte erst in dieser Eigenschaft zum Stadtpräsidenten gewählt werden, wenn ein

anderes SPD-Ratsmitglied ausschied und er dafür nachrückte.

Um dieses Problem zu lösen, beantragte das SPD-Ratsmitglied Frieda Borgwardt aus

angeblich gesundheitlichen und familiären Gründen ihr Ausscheiden aus dem Rat und

normalerweise hätte die Fraktion bzw. Partei einen Nachrücker für sie von einer

sogenannten Ersatzliste dafür bestimmen und einen entsprechenden Antrag stellen sollen.

Da aber Lohmann auch auf dieser Liste nicht vertreten war, teilte der SPD-Kreisvorstand

am 21.04.1950 der Stadtführung mit, keiner der darauf Verzeichneten sei „ ... aus

verschiedenen Gründen ... in der Lage ... die Zeit und Kraft aufzubringen, welche

erforderlich sind, um den Pflichtenkreis eines Ratsmitgliedes voll auszufüllen." Stattdessen

reichte die SPD nach der Wahlordnung am 21. April 1950 einen Ersatzvorschlag ein, den

der Betreffende als Kreisvorsitzender auch noch selbst unterzeichnet hatte: "Die

Sozialdemokratische Partei schlägt den Landtagsabgeordneten Paul Lohmann, geb. am

20.10.02, wohnhaft Neumünster, Am Brunnenkamp 2, vor." 22

Carsten Obst vermutet mit plausiblen Gründen hinter dem Verzicht der eigentlich als

Nachrücker anstehenden SPD-Mitglieder von der Ersatzliste wie auch hinter dem Antrag

von Ratsfrau Borgwardt parteipolitische und -taktische Erwägungen, um Lohmann diesen

Weg freizumachen. Nach interfraktionellen Absprachen und dem geplanten Szenario sollte

zunächst nach dem offiziellen Ausscheiden Frieda Borgwardts der auf diese spezielle

Weise nachrückende Lohmann zum neuen Ratsmitglied gewählt werden, um sich nach

seiner Einführung in den Rat aussichtsreich für das Amt des Stadtpräsidenten kandidieren

zu können. Allerdings lehnte der Rat überraschender Weise Frau Borgwardts Antrag mit

22 zit. nach Obst, Carsten: Der demokratische Neubeginn in Neumünster 1947 bis 1950 anhand der Arbeit und Entwicklung des Neumünsteraner Rates, Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 264, Anm. 842; im Folgenden: Obst, Neubeginn

18

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16 Nein- gegen 8 Ja-Stimmen bei 10 Enthaltungen beziehungsweise ungültigen Stimmen

ab, so dass es unmöglich wurde, Paul Lohmann im Anschluss zu ihrem Nachrücker

wählen zu lassen.

Carsten Obst analysierte, dass (entgegen der interfraktionellen Absprachen) die 16 Nein-

Stimmen vermutlich von den 14 Ratsmitgliedern der CDU und zwei weiteren der

Opposition herrührten. Entsprechend der zehn Enthaltungen bzw. ungültigen Stimmen

sollte zudem genau diese Anzahl von Mitgliedern der SPD-Fraktion vor der folgenden

Ratssitzung vom 12. Mai 1950 ihren Rücktritt erklären. So dokumentierte unter anderen

Frieda Borgwardt ihren Protest entweder gegen die Person und Ambitionen von Paul

Lohmann oder gegen das unter demokratischen Gesichtspunkten höchst fragwürdige

Umgehen mit parlamentarischen Regularien und den davon betroffenen Volksvertretern.

Erst auf der folgenden Ratssitzung vom 12. Mai 1950 mit neu formierter SPD-Fraktion

konnte Lohmann als neuer Stadtpräsidenten gewählt werden, allerdings mit nur 20 Ja

gegen 8 Nein-Stimmen bei 6 Enthaltungen.23 Nähere inhaltliche Erklärungen für das zuvor

geübte bedenkliche Verfahren wurden nicht abgegeben, aber die CDU- und die SPD-

Fraktion erkannten den offenkundigen Mangel an Fraktionsdisziplin und die sich daraus

ergebenden Gefahren. Dementsprechend bekräftigte nun CDU-Ratsmitglied Schäffer, in

Zukunft die Mehrheitsverhältnisse im Rat und die Vorschlagsrechte der Fraktionen nach

den jeweiligen Stärken für die von ihr zu beanspruchende Personalentscheidungen und

Ämter stärker zu beachten und anzuerkennen.

Genau ein Jahr später sollten diese Vorsätze in einer neuen parlamentarischen

Konstellation in der Stadtvertretung Neumünsters auf eine harte Probe gestellt werden und

führten zu einem ersten Versuch der Gebrüder Gerlich, die Vorherrschaft auch über den

örtlichen CDU-Kreisverband zu erringen. Zu diesen Jahren formulierte Lieselotte Juckel:

„Es begann die Ära der Gerlichs. Dr. Gerhard Gerlich gehörte später dem Landtag an, und

Dr. Walter Gerlich war Stadtrat in Neumünster und von 1963 bis 1956

Bundestagsabgeordneter. Mich hat immer wieder fasziniert, wie sie sich auf

Parteiveranstaltungen gegenseitig bei Diskussionen die Bälle zuwarfen. Das war einfach

gekonnt.“24

23 Obst, Neubeginn, S. 27124 Juckel, CDU Neumünster, S. 7

19

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Als Landtagsabgeordneter ab Juli 1950 hatte Gerhard Gerlich zwar dem Verlangen des

erstmals neugewählten BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) durch sein

mutiges abweichendes Votum im Parlament Widerstand geleistet, vorzeitige Neuwahlen

im April 1951 auf kommunaler Ebene herbeizuführen. Er war aber an den Zusagen der

CDU-Landesspitze und CDU-Landtagsfraktion als Preis für die Regierungsübernahme und

BHE-Unterstützung dafür gescheitert. Diese Flüchtlingspartei hatte erst nach 1948

gegründet werden können und strebte nun auch in den Kommunalparlamenten vorzeitig

zur Repräsentation und Beteiligung an der Gestaltungsmacht. Dabei schien im Abweichen

von den gesetzlichen Regularien das Vertrauen der Bevölkerung in die noch ungeübte und

ungefestigte Nachkriegsdemokratie ähnlich nachrangig zu sein wie im spektakulären

Vorgehen von Paul Lohmann in Neumünster.

Dieser eröffnete als Stadtpräsident nach diesen außerplanmäßigen Kommunalwahlen am

30.05.1951 die Sitzung einer Ratsversammlung. Dabei gab er u.a. die Zusammensetzung

der neugebildeten Ratsfraktion der bürgerlichen Gemeinschaftsfraktion (Gemfra) aus

Mitgliedern der CDU, FDP, Deutscher Partei und der Schleswig-Holsteinischen

Gemeinschaft mit dem Sprecher Hinrichsen an der Spitze bekannt. Der Name Gerlich fand

sich nicht unter den aufgezählten Ratsmitgliedern, sollte in den kommenden

Personalbesetzungen aber berücksichtigt werden. Diese fanden im allgemeinen

einstimmige Annahme mit einer einzigen, im Falle Walter Gerlichs aber folgenschweren

Ausnahme: „(…) Der Antrag des Ratsherrn Philipp, für Dr. Weyer den Studienrat Dr.

Gerlich (beide Gemfra) als Bürgerschaftsmitglied des Schulausschusses zu wählen, wurde

überstimmt.“25

In den Folgemonaten muss es wegen dieses Misserfolges bei einem eigentlich

nachrangigen Postentausch zu heftigem internen Streit in der Kreispartei gekommen sein,

so dass der Holsteinische Courier einen Artikel vom 09.06.1951 mit „Ausschluß aus der

CDU in Neumünster“ betitelte: „Wie uns von der Geschäftsstelle CDU in Neumünster

bestätigt wurde, ist der Fraktionsvorsitzende der Wahlgemeinschaft Neumünster, Stadtrat

Hinrichsen, wegen parteischädigenden Verhaltens aus der CDU ausgeschlossen worden.

Hinrichsen soll sich bei der Besetzung der Ausschüsse und Dezernate innerhalb der

25 Holsteinischer Courier, 31.05.1951, S. 320

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Stadtverwaltung nicht an die Beschlüsse seiner Partei gehalten haben. Gleichzeitig mit

seinem Ausschluß haben 18 weitere Mitglieder des Kreisvereins, darunter auch einige

Ratsmitglieder der Gemeinschaftsfraktion, ihren Austritt aus der CDU vollzogen. Man

nimmt jedoch an, daß die Ratsmitglieder in der 'Gemfra' der Wahlgemeinschaft

verbleiben.“

Der CDU-Kreisvorsitzende Walter Bartram war dieser Tage in den entscheidenden

Machtkampf mit dem CDU-Landesvorsitzenden Schröter verstrickt und sollte absehbar

seinen Posten als Ministerpräsident verlieren, so dass er insbesondere als Repräsentant

der Einheimischen auch mit einem Amtsnimbus keine Befriedung erreichen konnte.

Stattdessen schien wegen des vermutlich betroffenen 2. Vorstandsvorsitzenden Walter

Gerlich die Auseinandersetzung in Ton und Inhalt zugespitzt zu werden, wie aus dem

Artikel „CDU-Krise nimmt Formen an“ abzulesen ist:

„Bisher 32 prominente Neumünsteraner CDU-Mitglieder ausgetreten. 'Rebellen' fordern

Absetzung des Kreisvorstands. Nach dem Austritt von 19 prominenten Mitgliedern der

CDU in Neumünster haben jetzt abermals 13 CDU-Mitglieder die Partei verlassen, weil sie

den 'Befehlen' ihres Parteivorstandes nicht Folge leisten wollten. (…) In einer

gemeinsamen Erklärung unterstrichen neun von elf Mitgliedern der Gemeinschaftsfraktion,

daß sie das Gesamtwohl der Stadt über den 'engen Parteiegoismus' stellen wollen.“26

Mit dem mittlerweile ausgeschiedenen Ministerpräsidenten hatte Gerhard Gerlich schon

wegen der Regierungsentscheidung für die Vorverlegung der Kommunalwahlen in einem

kritischen Verhältnis gestanden. Nun erreichte die Zuspitzung und die parteiinterne

Auseinandersetzung einen vorläufigen Höhepunkt, als der Kreisvorsitzende Walter

Bartram am 03.09.1951 auf einer stark besuchten CDU-Mitgliederversammlung während

einer lebhaften Aussprache die Vertrauensfrage stellte und diese verlor. Daraufhin trat er

zurück und und bis zu einer Nachwahl konnte der zweite Vorsitzende Walter Gerlich mit

einem weiteren Repräsentanten des Flüchtlinge-Lagers, Wolfgang von dem Hagen, die

Geschäfte weiterführen und entsprechend gestalten.27

Auf der außerordentlichen und ungewöhnlich stark besuchten CDU-Generalversammlung

am 24.09.1951 in Harms Gasthof wagte der Flügel um die Gebrüder Gerlich nach

26 Volkszeitung, 14.06.1951, S. 627 Holsteinischer Courier, 04.09.1951, S. 3 u. 19.09.1951, S. 3

21

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mehrstündiger und sehr lebhafter Aussprache ein erstes Mal die Machtprobe in der

Kreispartei:

„Nach dieser Debatte stellte der z. Z. von Wolfgang von dem Hagen und Dr. Walter Gerlich

geführte Vorstand die Vertrauensfrage, machte aber ein weiteres Verbleiben in seinen

Aemtern von drei Forderungen abhängig. Diese betrafen die Bildung einer CDU-Fraktion

im Rathaus bis Ostern 1952, die Zustimmung zum Ausschluß des Ratsherrn Hinrichsen,

falls er nicht bis zum 1.10.51 selbst seinen Austritt aus der Partei vollzieht und die

Zustimmung zu einen Antrag an den Parteivorstand zwecks Einleitung eines Verfahrens

gegen die Mitglieder, die sich aktiv an der Gründung des 'Kommunalen Wählerverbandes'

beteiligt haben.“28

Derartig zugespitzte Ab- und Ausgrenzungen unterstrichen die amtierenden Mitglieder des

Kreisvorstands mit ihrer ausdrücklichen und ultimativen Festlegung, „daß er nicht die

satzungsmäßig verankerte Zweidrittelmehrheit für seinen Rücktritt fordern, sondern auch

der geringsten Mehrheit gegen sich nachgeben würde.“ Dennoch oder deswegen wurde

diese Vertrauensfrage mit 76 zu 79 Stimmen verneint, so dass nach dem folgerichtigen

Rückzug u.a. von Walter Gerlich eine Neuwahl des Vorstandes fällig wurden.

Ebenfalls in dieser Ausgabe des Holsteinischen Courier vom 25.09.1951 war im Artikel

"Äußerungen zum neuen Landeswahlgesetz. Mehrheitswahlrecht von der CDU

befürwortet" die Auffassung von Gerhard Gerlichs CDU-Fraktionsgruppe wiedergegeben,

die als Teil des „Wahlblock"-Bündnisses im Landtag mit der "Gemfra" auf Neumünsteraner

Ebene zu vergleichen war. Nach dieser Strategie beabsichtigte die CDU im Kieler Landtag

durch eine Wahlrechtsänderung bis zu einer 10 %-Hürde ihre bürgerlichen Bündnispartner

letztlich zu assimilieren und so zu einem Zwei-Parteiensystem (nach britischem Vorbild) zu

gelangen. Auch wenn sich Gerhard Gerlich bei der entsprechenden Landtagsabstimmung

enthielt, bezeichnete er in den folgenden Auseinandersetzungen im November 1951 den

Bündnis-Partner FDP mehrfach öffentlich und schriftlich als „Geschwür“ und ließ mit

diesem Sprach- und Bildgebrauch Rückschlüsse auf die Art seiner CDU-intern geführten

Auseinandersetzungen zu.29

28 Holsteinischer Courier, 25.09.1951, S. 329 s. Volkszeitung, 07.12.1951, S. 2

22

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Auf der Neumünsteraner Ebene formulierte der Kooperationspartner „Deutsche Partei“

(DP) hingegen als Partner der bürgerlichen Wahl-Gemeinschaft in einem Leserbrief sein

Befremden über die konfrontativen Forderungen des Bruders Walter Gerlich. Die DP

kontrastierte dessen frühere Zustimmung zu Stadtrat Hinrichsen als dem Vorsitzenden der

Gemeinschaftsfraktion mit seiner nun folgende Ausgrenzung gegen diesen auch per Brief

sowie dem einst gemeinsam vereinbarten Verzicht auf Parteipolitik im Rathaus: „Zu

unserem größten Bedauern mußten wir feststellen, daß Dr. Walter Gerlich nicht bereit war,

sich an diese Wahlparole der WGN zu halten, sondern, vielmehr seine Parteiinteressen

durch die Vertreter der CDU in das Rathaus tragen lassen wollte.“ Gegen wen genau sich

im Einzelnen hinter den aufs schärfste kritisierten „Machenschaften einzelner CDU-

Mitglieder“ richtete, war in dem Leserbrief des Kreisverbandes der Deutschen Partei im

Holsteinischen Courier nicht näher formuliert worden.30

Auf der nächsten Versammlung der CDU Neumünster am 15.10.1951 versprach die Wahl

des neuen und alten 1. Vorsitzender Walter Bartram zwar eine Konsolidierung. Aber das

Ergebnis von 96:71 Stimmen gegen den Vorschlag, den alten Vorstand en bloc

wiederzuwählen31, spiegelte lediglich die aktuellen Kräfteverhältnisse und Spannungen

zwischen den Einheimischen und der Gruppe um die Gebrüder Gerlich wider. Diese

sollten wenige Jahre später wieder in einem ähnlichen Konflikt aufbrechen.

Den Auslöser lieferte wiederum die strittig werdende Personalfrage, wie lange Walter

Gerlich nach den Kommunalwahlen am 24.04.1955 in der neu gewählten Stadtvertretung

von Neumünster einen Stadtratsposten bekleiden sollte. Die aus CDU-Mitgliedern sowie

Vertretern mittelständischer Organisationen gebildete Vereinigung „Wahl-Union“ hatte mit

40,5 % 15 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung errungen und arbeitete mit der

größten Fraktion, der SPD (16 Sitze), in einem koalitionsähnlichen Verhältnis zusammen.

Dagegen fungierten der BHE mit drei Sitzen und eine Wahlgemeinschaft aus SHB, FDP

und DP mit einem Sitz als kleine Opposition.

Nach der Kommunalwahl 1955 wurde Walter Gerlich von der Wahlunion-Fraktion mit der

Maßgabe der Befristung zum Stadtrat gewählt, dass er nach einem Jahr zugunsten des

Fraktionsmitgliedes Dr. Hollenberg zurücktreten sollte. Dies ist einer nachträglichen (und

30 Holsteinischer Courier, 28.09.1951, S. 431 Holsteinischer Courier, 16.10.1951, S. 3

23

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u.a. von dem CDU-Kreisvorsitzenden bzw. Bundesabgeordneten Hans Blöcker inhaltlich

bestätigten) Stellungnahme des großen bürgerlichen Bündnisses zu entnehmen, welche

auf dem Höhepunkt der folgenden Auseinandersetzungen unter dem Titel „Die Spaltung

der Wahlunion Neumünster“ im Holsteinischen Courier vom 26.10.1957 erschien. Eine

Mehrheit in der Wahlunion für diese personelle Koppelung hätte sich demnach nur durch

die Fürsprache und die Zusage seines Bruders gefunden, der als Stellvertreter des CDU-

Kreisvorsitzenden für ausreichend vertrauenswürdig befunden wurde: „Ausgangspunkt

dieser Regelung war die Erklärung Dr. Gerhard Gerlichs, daß sein Bruder nach einem Jahr

nach Kiel gehen würde“.

Nach Ablauf dieser Frist habe Walter Gerlich dann 1956 argumentiert, seine speziellen

Aufgaben auf dem Schulsektor noch nicht erfüllt zu haben und dass somit die

Voraussetzungen für seinen Rücktritt nicht gegeben seien. Daraufhin drohte die Spaltung

der Fraktion „Wahlunion“ und anstelle des stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden

Gerhard Gerlich wurde nun dessen gleichrangiger Vorstandskollege (und Innenminister)

Helmut Lemke im September 1956 zunächst erfolgreich für eine Vermittlung der

Interessen herangezogen.

Der im späteren Streit veröffentlichte Wortlaut dieser Vereinbarung, die von allen

Beteiligten getragen wurde, illustrierte im Schlusssatz zwar eine Spitzfindigkeit in der

Argumentation Walter Gerlichs, die aber keine ernsthafte Gefahr für seine künftige

Verpflichtung auf diese gemeinsame Bekundung zu bedeuten schien: „Dr. Walter Gerlich

nimmt an, seinen von der Fraktion und dem CDU-Kreisvorstand übernommenen

kommunalpolitischen Auftrag etwa Mitte des Jahres 1957 erfüllt zu haben.

Im Hinblick darauf und um Doktor Hollenberg eine verstärkte Tätigkeit in der

kommunalpolitischen Arbeit zu ermöglichen, wird Herr Dr. Gerlich zum 1.7.1957 von

seinem Amt als Stadtrat zurücktreten, da er eine Verpflichtung schon früher

zurückzutreten, von sich aus nicht eingegangen ist.“32

Ein gegenteiliges Manöver wurde allerdings offenbar, als die CDU Neumünster ihren

Kreispartei Anfang März 1957 abhielt und bei einer vordergründig unspektakulären

Tagesordnung der 1. Vorsitzende Walter Bartram zusammen mit seinen Stellvertretern

32 Holsteinischer Courier, 26.10.1957, S. 2524

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Hans Blöcker und Gerhard Gerlich nach den Rechenschaftsberichten und Entlastungen

mit großer Mehrheil wiedergewählt wurde.33 Kaum kritisch debattiert und ebenfalls

mehrheitlich beschlossen wurde zudem ein Antrag des CDU-Kreisfachausschusses für

Vertriebenenfragen, mit dessen Arbeit Gerhard Gerlich nicht nur deshalb eng vertraut war,

weil sein Bruder Walter selbst als Mitglied in dessen Vorstand mitarbeitete. Diese Initiative

sprach sich nun für seinen Verbleib im Magistrat der Stadt Neumünster und somit auf dem

umstrittenen Stadtratsposten u.a. für Vertriebenenangelegenheiten aus.

Während die Gebrüder Gerlich später auf einen ordnungsgemäß zustande gekommenen

Parteitagsbeschluss (und dessen vermeintlich zwingende Bindewirkung) verwiesen,

zweifelten die zahlreichen Kritiker u.a. dieses Prozedere an, so z.B. die hauptbetroffenen

Mitglieder der Fraktion Wahlunion (CDU/Bürgerblock) in Punkt 5 ihrer umfangreichen

Erklärung im Holsteinischen Courier vom 26.10.1957:

„5.) Im Kreisparteitag der CDU, der am 6.3. dieses Jahres tagte, wurde ohne

Vorankündigung ein entsprechender Antrag des Vertriebenenausschusses vorgelegt.

Da die Frage 'Dr. Walter Gerlich' nicht rechtzeitig angekündigt war, war nur ein Drittel der

Mitgliedschaft etwa anwesend. Die Ueberrumpelung glückte, und der Parteitag beschloss

mit Mehrheit, dass Dr. Walter Gerlich als Vertriebenenvertreter Stadtrat bleiben solle.

Dieser nahm in der Versammlung nicht Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass er durch

die vorangegangenen Vereinbarungen gebunden sei.“34

Eine solche Kritik des Unterlassens wäre an alle in diese Zusammenhänge Eingeweihten

zu richten gewesen, aber Gerhard Gerlich setzte sich im weiteren Streit ohnehin öffentlich

noch oft für diese Ämter-Interessen seines Bruders ein und machte seine dabei

eingesetzten Druckmittel selbst zu einem kontroversen Thema. Der seinerzeit nicht

umstrittene Antrag fand im März 1957 jedenfalls die mehrheitliche Zustimmung des CDU-

Parteigremiums in Neumünster. Daraus leiteten die Gebrüder Gerlich eine für sich als

höchstrangig geltende Legitimation ab und zogen sich hartnäckig auf diesen Standpunkt in

der äußerst streitbar geführten öffentlichen Debatte zurück. Diese wurde in der zweiten

Jahreshälfte 1957 unter anderem auch in einem heftigen Leserbrief-Krieg im

Holsteinischen Courier ausgetragen.

33 Holsteinischer Courier, 07.03.1957, S. 334 s.a. Holsteinischer Courier, 30.10.1957, S. 4 u. 02.11.1957, S. 3

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Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wurde die gemeinsame Ratsfraktion Wahlunion erst

gespalten, dann eliminiert und vier hoch angesehene CDU-Repräsentanten in Neumünster

traten aus (vorläufig vergeblichem) Protest von ihren Parteiämtern zurück. Selbst die

gleich- bis höherrangigen Kollegen Gerhard Gerlichs im CDU-Landesvorstand, der

Ministerpräsident von Hassel und Innenminister Lemke, galten danach wegen ihrer

öffentlich bekannten und allein am Widerstand der Gerlich-Gruppe scheiternden

Vermittlungsversuche als politisch beschädigt.

Zum Ausbruch kam der lange angelegte Konflikt auf der Sitzung der Stadtvertretung in

Neumünster im Juli 1957 und der „Holsteinische Courier“ vom 04.07.1957 betitelte seinen

Bericht mit „Ratsversammlung bei Gewitterschwüle. Überraschende Entwicklung in der

Frage der Neubesetzung eines Stadtratspostens“. Tatsächlich hatte die Fraktion der

Wahlunion konsequenterweise als Antrag die Abberufung des Stadtrats Walter Gerlich auf

die Tagesordnung setzen lassen. Wie die meisten Anwesenden wurde sie aber von dem

Gegenmanöver und der Erklärung des CDU-Ratsherren Hermann Gerisch verblüfft, dass

er mit diesem und drei weiteren Ratsvertretern (mit CDU-Parteibuch) eine selbstständige

CDU-Fraktion innerhalb der Wahlunion gegründet habe.

In den erregten Debatten fiel offenbar kaum auf, dass Walter Gerlich mit dieser Spaltung

des bürgerlichen Lagers eine seiner drei ultimativen Forderungen durchsetzte, mit denen

er als kommissarischer Kreisvorsitzender noch im September 1951 an dem Beschluss der

Neumünsteraner CDU gescheitert war. Stattdessen gerieten die so dezimierten

Fraktionsvertreter der Wahlunion in die Pflicht, vor der Ratsversammlung und der

Öffentlichkeit die Hintergründe der zähen Verhandlungen mit den Gebrüdern Gerlich zu

erklären und die Notwendigkeit ihres Abberufungsantrags zu begründen. Diese

Kommunikationssituation nutzte der Auslöser dieser Turbulenzen offensiv für die

Argumentation in eigener Sache:

„Dr. Gerlich bedauerte, daß in dieser Angelegenheit das Wort ergriffen worden sei. Er

erklärte, was zu dieser Sache eben gesagt worden sei, stimme nicht. Die Absprachen

hinsichtlich des Wechsels im Stadtratsamt seien über seinen Kopf hinweg gemacht

worden. Er habe in dieser Angelegenheit sein Wort nicht gegeben. Vielmehr habe er der

Partei das Votum gegeben, und dazu müsse er stehen. Wo die Partei ihn brauche, wolle

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er seine Pflicht erfüllen.“35

In dem nebenstehenden Kommentar „Nicht angebrachte Zersplitterung. Der Streit in der

Wahlunion“ stellte der Redakteur des „Holsteinischen Courier“ am 04.07.1957

dieser Haltung die naheliegende Ansicht der Wahlunion-Fraktion gegenüber. Demnach sei

die beschriebene Vereinbarung zum Personalwechsel einzuhalten und Dr. Walter Gerlich

hätte seinen Rücktritt zu erklären, zumal die Gesamtfraktion diese Haltung geschlossen

bis kurz vor Sitzungsbeginn vertreten habe. Auch der Vermittlungseinsatz des

stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden Helmut Lemke vom Vorjahr wurde erwähnt,

den dieser dann im Herbst 1957 am Ort fortsetzen musste.

Die sozialdemokratische Volkszeitung zählte in ihrem Bericht „5 CDU-Abgeordnete

sprengten die Neumünsteraner Wahlunion“ offenkundig versehentlich den landesweit

bekannteren Gerhard Gerlich anstelle seines Bruders zu den Dissidenten, gab aber

bereits dessen verhandlungstaktisches Plädoyer wieder, dass nun die neugebildete CDU-

Fraktion als Ansprech- und Kooperationspartner der regierenden SPD in der

Ratsversammlung gelten solle: „Den entgegengesetzten Standpunkt - nämlich, daß die

Parteien CDU und SPD den Vertrag geschlossen hätten und deshalb allein berechtigt

seien, darüber bzw. über seine evtl. neue Form zu verhandeln - vertrat der zweite

Landesvorsitzende der CDU, Dr. Gerhard Gerlich (der Bruder des Stadtrats Dr. G.). Die

neue Fraktion bekenne sich vorbehaltlos zu diesem Vertrag.“36

Nach der Sommerpause beschrieb der „Holsteinische Courier“ am 24.10.1957 in dem

Artikel „Bleibt die Spaltung ein Dauerzustand? Kein Eingehen der CDU auf den

Vermittlungsvorschlag des Ministerpräsidenten“ die dogmatische Verweigerungshaltung

der Gebrüder Gerlich in dieser Prinzipienfrage. Zwei Tage später gab die Fraktion

Wahlunion Neumünster in dieser Zeitung in einer neun Punkte umfassenden

Stellungnahme bekannt, dass das CDU-Kreisvorstandsmitglied Gerhard Gerlich die fünf

Dissidenten vor der Juli-Ratsversammlung nicht nur zur Abspaltung einer eigenen Fraktion

aufgerufen hatte, sondern machte ihn auch als den entscheidenden Kopf hinter den

Manövern der Zuspitzung und Polarisierung aus:

35 Holsteinischer Courier, 04.07.1957, S. 436 Volkszeitung, 05.07.1957, S. 3

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„9.) Es muss festgestellt werden, daß für diese Entwicklung Herr Dr. Gerhard Gerlich die

Hauptverantwortung trägt. Seine Tätigkeit gipfelte in der jüngst an alle CDU-Mitglieder der

Wahlunionfraktion gestellten ultimativen Aufforderung, entweder vorbehaltlos der 'CDU-

Fraktion' beizutreten oder innerhalb von 24 Stunden dem Stadtpräsidenten den

Mandatsverzicht bekanntzugeben.“37

Nach dem Rücktritt des wegen des radikalisierten Vorgehens und Tons konsternierten

CDU-Kreisvorsitzenden Hans Blöcker war diese vermutlich eigenmächtige politische

Bedrohung durch Gerhard Gerlich der letzte Anlass für den Ratsherrn Carl Schmidt,

ebenfalls seinen Austritt aus dem CDU-Kreisvorstand zu erklären. So konnten nun die dort

verbliebenen Anhänger der Gerlich-Gruppe im Namen des gesamten Parteivorstands

Erklärungen in ihrem Sinne abgeben. In Zweifel gezogen wurden dabei bloße

gesundheitliche Gründe für den Rücktritt des prominenten CDU-Mitglieds Walter Bartram

am 19.10.1957 und auch der Rückzug des allseits angesehenen Stadtpräsidenten Carl

Rahe am 01.11.1957 wegen dieser CDU-Abspaltung im Rat führten zu keinem Innehalten

oder ernsthaften Suchen nach möglichen Kompromissen.

Stattdessen hob bis zur Ermüdung der Leserschaft und der Redaktion ein mehrere

Wochen währender Meinungskrieg in Form von Leserbriefen an. Oft ähnlich wortgewandt

formuliert wurde die Position der Gerlichs, dass einem Parteitagsvotum und -auftrag der

Vorrang vor allen Verpflichtungen anderer Art einzuräumen sei, teils anonym oder in

wechselnden Konstellationen durch einzelne Ratsleute, die (verbliebenen) Spitzen des

CDU-Kreisvorstands, der neugegründeten CDU-Ratsfraktion oder auch durch die beiden

Brüder selbst vertreten.38

Weil gelegentlich auch mit Strafanzeigen gedroht wurde, wagte ein Neumünsteraner in

seinem Leserbrief „Gegebenes Wort wird nicht eingelöst“ nur mit dem Pseudonym„ Ein

Bürger der Stadt“ namentliche Kritik an den verblüffend schnellen Karrieren und einem

großen politischen Einfluss zu üben: „Es handelt sich um zwei Brüder, die Herren Dr.

Gerlich, Lehrkräfte an Oberschulen, teils vom Dienst dispensiert wegen ihrer politischen

Tätigkeiten. Was wollen diese beiden Herren uns Neumünsteranern aufzwingen? (…)

37 Holsteinischer Courier, 26.10.1957, S. 2538 s. Holsteinischer Courier, 29.10.1957, S. 4, 31.10.1957, S. 4, 05.11.1957, S. 3, 06.11.1957, S. 3 u. 07.11.1957, S. 4

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Wort- und federführend war Herr Dr. Gerhard Gerlich oder Herr Dr. Walter Gerlich! Aber

Worte haben - je nach Bedarf - einmal diese, einmal jene Bedeutung. Und wenn nichts

klappt, wird Zank gemacht.“39

Ebenfalls in dieser Ausgabe des „Holsteinischen Courier“ vom 30.10.1957 führte ein

Anonymus „B.“ die jüngsten Rücktritte der CDU-Kreisvorsitzenden Bartram und Blöcker

zurück auf „ihre Ohnmacht gegenüber der aktiven Minderheitengruppe Gerlich, die es

verstanden hat, in den letzten Jahren in allen Gremien der Partei durch ihre Gefolgsleute

die Majorität zu erlangen. (…) Auch die Mandate der Herren Gerlich sind doch wohl gut

dotiert. In der letzten Zeit ist offensichtlich geworden, daß ihre ehrenamtliche Parteiarbeit

in Neumünster nur darum so rege wurde, weil ihre Position ins Wanken geriet.“

Auf offenen Protest der Redaktion stieß schließlich im Bericht „Ratsversammlung in

prickelnder Atmosphäre“ des Holsteinische Courier vom 06.11.1957 die Interpretation des

CDU-Fraktionsvorsitzenden Herbert Gerisch, dass das schriftliche Protokoll über den

vereinbarten Wechsel auf dem umstrittenen Stadtratsposten „nicht eindeutig eine

bindende Verpflichtung“ Walter Gerlichs ausweise. Nach Meinung des kommentierenden

Redakteurs dürfe es derartig dürftige Abmachungen besonders innerhalb einer Partei und

im politischen Spiel nicht geben, so dass der abschließende Hinweis auf eine

übergeordnete Instanz als Appell an ein erneutes und nun entscheidendes Eingreifen des

CDU-Landesvorsitzenden von Hassel zu verstehen war.

Tags zuvor hatte die Wahlunion-Fraktion in einem „Offenem Brief an die Herren Dr.

Gerlich“ mit Hinweis auf diese schriftlichen Vereinbarungen, die 1955 und 1956 mit dem

mit Helmut Lemke erzielt wurden, zur Stellungnahme aufgefordert, dass kein

Parteitagsbeschluss einem frei gewählten und nur seinem Gewissen verantwortlichen

Ratsherrn zwingen könne und dürfe, den Bruch einer so getroffenen Vereinbarung

hinzunehmen.40

In ihrer Entgegnung „Antwort auf den Offenen Brief“ wiesen die beiden Brüder statt einer

konkreten Auskunft pauschal zurück, ehrenwörtliche Bindungen eingegangen zu sein,

unterstellten im Gegenzug ihren politischen Widersachern personelle Sonderwünsche

39 Holsteinischer Courier, 30.10.1957, S. 440 Holsteinischer Courier, 05.11.1957, S. 3

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ohne sachliche Begründung, und mit dem wiederholten Verweis auf die sie angeblich

bindenden (und selbst herbeigeführten) Beschlüsse der Kreis-CDU stellten sie sich als

Leidtragende ihres offenkundig gezielt ausgelösten Konfliktes dar: „Da für diese

Auseinandersetzung schon genug Zeit und Arbeitskraft verschwendet wurde, lehnen wir

es ab, weiter an diesem Pressekrieg, den wir nicht begonnen haben, teilzunehmen.

Hochachtungsvoll Dr. Gerhard Gerlich, Dr. Walter Gerlich“41

Nebenstehend druckte der „Holsteinische Courier“ einen „Appell an die Vernunft“ des

Neumünsteraner Kreisverbands der Heimkehrer als Unterstützungserklärung zu Gunsten

von Gerard Gerlich ab. Dieser dürfte durch die Unterschrift des 1. Vorsitzenden „Wolfgang

v. d. Hagen“ aber bei Sachkundigen negative Erinnerungen an den ersten Versuch von

Walter Gerlich im September 1951 geweckt haben, mit ähnlichen Ausgrenzungen und

Ultimaten die Vorherrschaft in der hiesigen CDU zu erringen. Bei diesem

Heimkehrerverband hatte Gerhard Gerlich noch im März 1957 für seine Verhältnisse

relativ freimütig zu seinem politischen Selbstverständnis erklärt:

„Die Angst, man käme doch nicht an den 'Drücker', wenn man einer Partei beitreten, sei

dann unberechtigt, wenn man den festen Willen habe zu arbeiten. (…) Alle Parteien sollten

darauf achten, Untaugliche auszuschließen, da [sie] das Ansehen der politischen Vertreter

ganz allgemein drückten. Aus dem selben Grund seien auch Diffamierungen

abzulehnen.“42

Das Ende dieser allseits kräftezehrenden innerparteilichen Konfliktstellung führte

schließlich der Bundestagsabgeordnete Hans Blöcker mit seiner Erklärung „Es lagen klare

Vereinbarungen zugrunde“ über die Gründe seines Rücktritts als CDU-Kreisvorsitzender

herbei. Demnach habe er den Vorrang der für Fraktionen geltenden Gemeindeordnung vor

Parteibeschlüssen ständig und mit Nachdruck im Kreisvorstand der CDU vertreten und

habe das gegenteilige Agieren der Mehrheit dort nicht länger mit seinem Namen

decken können. Stattdessen werde auf dem nächsten Kreisparteitag am 05.12.1957 eine

Klärung der Verhältnisse herbeigeführt.43

Der CDU-Landesvorstand, der von dem hartnäckigen und politisch nicht zu vermittelnden

41 Holsteinischer Courier, 07.11.1957, S. 442 Holsteinischer Courier, 11.03.1957, S. 343 Holsteinischer Courier, 09.11.1957, S. 3

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Widerstand seines stellvertretenden Vorsitzenden Gerhard Gerlich unübersehbar

beschädigt worden war, hatte sich im Vorfeld dieser entscheidenden Sitzung schließlich

mit einem gesichtswahrend wirkenden Beschluss durchsetzen können. Als Leiter des

außerordentlich stark besuchten CDU-Kreisparteitags am 05.12.1957 in Neumünster gab

Innenminister Helmut Lemke bekannt, dass Walter Gerlich von dem umstrittenen

Beschluss dieses Gremiums am 06.03.1957 nun durch den CDU-Landesvorstand

entbunden worden sei und daraufhin seinen Rücktritt als Stadtrat erklärt habe. Auf eine

nähere Aussprache auf dieser bis nach Mitternacht dauernden Sitzung wurde laut Bericht

„Die Krise im CDU-Kreisverband ist beendet“ im Holsteinischen Courier verzichtet.44

Anderseits wurde Gerhard Gerlichs Strategie der konfrontativen Zuspitzung nachträglich

durch den zusätzlichen Beschluss des Landesvorstands legitimiert, nach dem es künftig

nur eine reine CDU-Fraktion in der Stadtvertretung Neumünsters geben solle, der sich die

Vertreter des Bürgerblocks als Hospitanten anschließen könnten. Zudem hatte das

intensive Engagement während der innerparteilichen Kämpfe zu einem erheblichen

Mitgliederzuwachs der Kreispartei geführt und dies mochte ein Grund sein, weshalb ein

Antrag, dass der von Gerhard Gerlich geleitete Vorstand von sich aus zurücktreten solle,

an dem Abend keine Mehrheit fand. Tatsächlich wurde Gerhard Gerlich bei diesen

Kräfteverhältnissen auch in den beiden Folgejahren als stellvertretender Vorsitzender in

den Kreisvorstand der CDU gewählt, bis er 1959 einen letzten Kampf um die Vorherrschaft

wagte.

Anlass boten wiederum die Kommunalwahlen im Oktober, zu der Gerhard Gerlich auf der

CDU-Kreismitgliederversammlung am 16.09.1959 den umstrittenen Vorschlag einer ihm

genehmen Kandidatenliste vorstellte und begründete. Zwar waren die Vorschläge

verschiedener Interessensgruppen nach Proporz auf den vorderen Plätze berücksichtigt

worden, aber das Fehlen seines einstigen Widersachers, des Ratsherrn Carl Schmidt

sowie anderer kommunalpolitische Erfahrener wurde in der Diskussion negativ vermerkt.

Noch stärkere Kritik wurde laut Holsteinischem Courier vom 16.09.1959 an dem Wagnis

geübt, auf dieser CDU-Liste bis zu 30 Prozent Angehörige der katholischen Kirche zu

präsentieren, obgleich deren Bevölkerungsanteil in Neumünster selbst rund 8 Prozent

betrug.

44 Holsteinischer Courier, 06.12.1957, S. 331

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Nach einer Reihe von kontroversen Leserbriefen zu diesem Thema griff der

Spitzenkandidat der FDP, Hermann Marsian, diese für die damaligen Zeitverhältnisse

gewichtige Disbalance mit Angriffen im Wahlkampf auf und verlagerte die Konflikte auf die

außerparteiliche Ebene. Dabei bezog er sich auch ohne direkte Namensnennung

erkennbar auf die Person Gerhard Gerlichs, der mit seinem konfrontativen Politikstil und

dem intensiven Einsatz für Vertreter seiner Interessen wie z.B. der von ihm inoffiziell

geleitete Vertriebenen-Gruppierung mittlerweile zu einer bekannten Reizfigur in

Neumünster und landesweit geworden war.

So persiflierte die örtliche FDP einen bekannten Wahlslogan Konrad Adenauers in einer

Wahlanzeige im Holsteinischen Courier vom 17.10.1959 und spielte dabei auf zwei

jüngere politische Misserfolge Gerhard Gerlichs an: „'Keine Experimente'. Waren das

beschämende Schauspiel um den neuen Bundespräsidenten im Mai, der Versuch, einen

Katholiken zum neuen Landtagspräsidenten in Kiel zu ernennen, und die Sprengung der

bürgerlichen Wahlunion in unserem Rathaus vor zwei Jahren etwa keine Experimente?“

Selten finden sich Zeugnisse direkter Kritik von Zeitgenossen an Gerhard Gerlich und

seinem Verhalten, was gewiss auf dessen geschliffene Rhetorik, mentale Stärke, seine

kaum überschaubaren Verbindungen und Einflüsse im politischen und institutionellen

Machtapparat zurückführen ist. Als eine Ausnahme muss daher die FDP-Wahlanzeige

„Persönlichkeit oder 'Mannschaft'. Einige offene Worte zur Kommunalwahl am 25. Oktober

1959“ von Hermann Marsian gelten, in der dieser seine als berechtigt erscheinenden

Ressentiments gegen eine ungenannt bleibende „graue Eminenz“ am Ort formulierte:

„Man muß hier unwillkürlich an die Auseinandersetzungen denken, die in der letzten Zeit

über die konfessionelle Anteilhöhe in der CDU-Mannschaft geführt werden. Übrigens, wer

gibt eigentlich der 'Mannschaft' die Befehle? Wer ist der Drahtzieher dieses CDU-

Puppenspieles? Das zu wissen, ist für den Wähler doch entscheidend wichtig. Nachdem

es gelungen war, ehrenwerte Männer wie Rahe, Brockstedt, Carlsen, Lucht usw. aus der

Mitarbeit innerhalb der CDU zu verdrängen, ist diese CDU einem Manne hörig und

ergeben, einem Manne, der in seiner Mannschaft nicht etwa aktiv mitspielt, sondern aus

dem Hintergrund dirigiert, das weiß heute ein jeder in Neumünster. Gerade aber diesen

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Mann und seinen Einfluß müssen wir im evangelischen Neumünster abschütteln.“45

Eine derartige Bildsprache verfing auch bei den polarisierten CDU-Parteimitgliedern, wie

eine nachträgliche Analyse des Wahldebakels vom 25.10.1959 ergab. Noch als

gemeinsame „Wahlunion“ hatte die CDU 1955 zusammen mit Vertretern des Mittelstands

40,5 % oder 15 Sitze errungen und fiel nach dem maßgeblich von Gerhard Gerlich

forcierten Abschmelzen dieses Kooperationsbündnisses auf 30,5 % oder 12 Sitze ab. Die

FDP konnte dagegen ihr Ergebnis aus 1955 mit 5,2 % (noch in einem Bündnis mit SHB

und DP) mehr als verdreifachen auf 17,6 %.46

Auf der entsprechend kritisch erwarteten CDU-Kreismitgliederversammlung zur

Wahlnachlese bemühte sich der kommissarische Vorsitzende Hans Blöcker ausdrücklich

um eine sachliche Diskussion, aber die Schlagzeile im Holsteinischen Courier vom

08.12.1959 lautete in personalisierter Zuspitzung: „Dr.-Gerlich-Gruppe verließ die

Versammlung“. Blöcker räumte die Schwierigkeiten mit der Kandidatenliste insbesondere

wegen des konfessionellen Schwerpunkts ein, wegen der im Wahlkampf erstmals eine

Flugblattaktion erforderlich wurde. Zu dem verheerenden Ergebnis vertrat der

Kreisvorsitzende Hans Blöcker die Ansicht, daß viele ehemalige Stammwähler weniger

aus politischen Gründen als aus innerparteilicher Opposition gegen entsprechende CDU-

Repräsentanten die FDP gewählt hätten. In der folgenden Diskussion wurden heftige

Vorwürfe gegen den Kreisvorstand in Gänze, insbesondere aber gegen seinen

wesentlichen Exponenten und der ihm nahestehenden Gruppe gerichtet:

„Das ging so weit, daß man Dr. Gerlich beschuldigte, den Vorstand wie Marionetten

behandelt zu haben. Im übrigen sah man die Gründe für die Niederlage bei der

Kommunalwahl in dem Komplex Dr. Walter Gerlich, in der Sprengung der von CDU und

Bürgerblock gebildeten Fraktion und in der Kandidatenliste, die bei vielen Wählern nicht

ankam. Bewährte und verdiente Kommunalpolitiker habe man diffamiert, andere geeignete

Persönlichkeiten habe man nicht gefragt.“47

Bereits vor der Versammlung war ein Antrag auf Neuwahl des Vorstandes von 8245 Holsteinischer Courier, 23.10.1959, S. 346 s. Harbeck, Karl-Heinz: Neumünster von 1945 bis heute, in: Engling, Irmtraut (Hg.): Das Neumünster-

Buch. Eine Stadtgeschichte in Wort und Bild, Neumünster 1985, S. 23947 Holsteinischer Courier, 08.12.1959, S. 3

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Mitgliedern unterschrieben worden, und bevor dieser zur Abstimmung kam, verließ die

kritisierte Gruppe Gerlich mit etwa 20 Personen die Versammlung, so dass ein Ergebnis

von 93 Stimmen dafür und 9 Gegenvoten bei einer Enthaltung zustande kam. Wohl in

Kenntnis einer üblicherweise spitzfindigen Relativierung von solchen

Misstrauenserklärungen fügte der Redakteur an: „Ohne weiteres ist zu ersehen, daß der

Antrag auch unter Beteiligung der Gerlich-Gruppe angenommen worden wäre.“

Zu einem Rücktritt aller Vorstandsmitglieder konnte eine solches Abstimmungsergebnis

aus satzungstechnischen Gründen aber niemanden verpflichten und so gehörte Gerhard

Gerlich auf dem Kreisparteitag am 15.01.1960 zu den drei Spitzen-Christdemokraten, die

trotz vermittelnder Gesprächen von Carl Rahe in ihren Ämtern verblieben waren. Auf der

Versammlung selbst zog Gerhard Gerlich sich zunächst auf das Formalistische zurück, um

dann eine Erklärung abzugeben, „in der er dem Kreisparteitag das Recht absprach, eine

Abwahl vorzunehmen, in der er sich dann aber, um die bevorstehenden Abstimmungen zu

erleichtern, bereit erklärte, sein Vorstandsamt niederzulegen.“48

Das politische Gewicht in der Neumünsteraner Kreispartei war so groß, dass seine Person

die Schlagzeilen des Holsteinischen Courier vom 16.01.1960 dominierte: „Neuer CDU-

Vorstand ohne Dr. G. Gerlich - 1. Vorsitzender wurde Hans Blöcker, MdB - Dr. Gerhard

Gerlich trat von seinem Amt zurück“. Ein Misstrauensantrag gegen den gesamten Alt-

Vorstand erhielt mit 115 Ja- und 95 Neinstimmen dabei am 15.01.1960 nicht die

erforderliche Zweidrittelmehrheit der CDU-Versammlung.

Dieses Verhältnis illustriert die zwiespältige Wirkung, dass Gerhard Gerlichs prononcierter

Einsatz und seine polarisierenden Methoden beim Engagement für die Belange ihm

nahestehender Gruppierungen wie Flüchtlingen oft Gegenbewegungen hervorriefen.

Dadurch führten sie hier wie an anderen Orten um einen bestimmten Preis aber auch zu

einer erhöhten Mobilisierung und einer verstärkten Beteiligung an gesellschaftlichen

Prozessen. Auch dies gehört zu einer Gesamtabwägung des Wirkens von Gerhard

Gerlich.

48 Holsteinischer Courier, 16.01.1960, S. 434

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2.2.) Als Landtagsabgeordneter

2.2.1) Zweite Wahlperiode (1950-1954)

Zu Beginn des Wahljahres 1950 hatte der ehrgeizige Gerhard Gerlich bereits eine

Spitzenstellung in den Verbänden der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen errungen,

welche in Schleswig Holstein besonders zahlreich vertreten waren. Zwar hatte er Ende

Februar 1950 an der Gründung der „Landesarbeitsgemeinschaft der Vereinigungen der

Heimatvertriebenen in Schleswig-Holstein“ in Kiel teilgenommen, aber als im März 1950

„namhafte Vertreter der Heimatvertriebenen“ eine Erklärung veröffentlichten, mit der sie

gegen eine satzungswidrige Konstituierung und parteipolitisch tendenziöse Vorstandswahl

protestierten, fand sich der Name „Dr. Gerhard Gerlich (Prag)“ neben denen von elf

weiteren Unterzeichnern.49

Auch sein Engagement in der CDU kam ihm zugute, denn diese Partei war in Konkurrenz

zu den im Land regierenden Sozialdemokraten ebenfalls absehbar auf das

Wählerpotenzial der Flüchtlinge bei der künftigen Landtagswahl angewiesen. Bereits im

Sommer 1949 hatte die Gruppierung der Flüchtlinge innerhalb der Partei bei der

Nominierung der Kandidaten für die erste Bundestagswahl ihre Forderungen begründet

und einen wesentlichen Einfluss ausüben können: „Die Auseinandersetzung innerhalb der

CDU ging in starken Maße um den Anteil der Vertriebenen an aussichtsreichen

Kandidatenstellen. Der Flüchtlingsausschuss der CDU hatte bestimmte personelle

Wünsche; er nominierte nach der erregten Debatte seine Kandidaten. Die Vertriebenen

fühlten sich innerhalb der CDU vernachlässigt, man sollte nicht nur bei Wahlen mit ihnen

rechnen, wurde gefordert, sondern auch Flüchtlingskandidaten aufstellen.“50

Zudem verschärfte sich diese Konkurrenz innerhalb der CDU sowie zwischen den

bürgerlichen Parteien um Wahlkreise und Landtagssitze durch taktische und strategische

Manöver auf der Ebene der Landespolitik. Nach den Wahlrechtsbestimmungen in

49 Volkszeitung, 28.02.1950, S. 7 u. 06.03.1950, S. 250 Varain, Heinz Josef: Kandidaten und Abgeordnete in Schleswig-Holstein 1947-1958, in: Politische

Vierteljahresschrift. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 2. Jg. (1961), S. 366

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Schleswig-Holstein von 1947 waren die untereinander als konkurrierend auftretenden

bürgerlichen Parteien im Nachteil gegenüber der SPD gewesen, weil nach dem

Berechnungssystem den erzielten Direktmandaten eine besondere Bedeutung zukam.

So hatten die bürgerlichen Parteien 1947 bei den ersten Landtagswahlen in Schleswig-

Holstein zwar einen gesamten Stimmenanteil von über 40 % erreicht, waren aber mit

lediglich 30 % der Mandate im Parlament deutlich unterrepräsentiert. In der Konsequenz

strebten sie nun aus strategischen Gründen an, entweder eine gemeinsame Partei zu

bilden oder sich zu einem Wahlbündnis zusammenzuschließen.51

Entsprechende Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen hatten die Landesvorstände

CDU, FDP und Deutsche Partei (DP) zum Jahresende 1949 geführt und konnten im

Dezember 1949 den erfolgreichen Abschluss ihrer Verhandlungen bekannt geben. Nach

diesen Plänen sollten die drei Parteien nach dem gemeinsamen Auftreten ihre

Selbstständigkeit behalten und nach der Landtagswahl drei getrennte Fraktionen bilden.

Diese Absichten versuchte die SPD-Landesregierung durch eine Änderung des geltenden

Wahlgesetzes zu unterlaufen, das sie noch mit einfacher Mehrheit beschließen konnte:

"Danach sollten Listenverbindungen mehrerer Parteien verboten werden. Weiterhin wurde

angestrebt, Listenmandate nur noch den Parteien zuzuweisen, die in allen Wahlkreisen

eigene Kandidaten aufstellen. Der Landtag verabschiedete das Änderungsgesetz

27.02.1950 mit den Stimmen der SPD Mehrheit.“52

Zwar strengten die drei bürgerlichen Parteien gegen diese Einschränkungen beim

Oberverwaltungsgericht Lüneburg eine Klage an und stellten vorsorglich ihre Landeslisten

für den Fall einer Gesetzeskorrektur auf, durften sich allerdings lediglich der Chancen auf

die Direktmandate in den 46 Wahlkreisen sicher sein. Auf diese konnten sie ihre jeweiligen

Kandidaten verteilen und einigten sich mühsam, wobei die CDU ihren

Verhandlungspartnern hatte weit entgegen kommen müssen und mit 24 deutlich

unterproportional vertreten war, wohingegen die DP 13 Wahlkreise und die FDP 9

Direktkandidaten zugesprochen bekamen.

51 s. Albert, Klaus: Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU im Lande Schleswig-Holstein. Rückblick auf die Regierungszeit von Ministerpräsident Dr. Walter Bartram (1950/51), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 108, Neumünster 1983, S. 283; im Folgenden: Albert, Regierungsverantwortung

52 Albert, Regierungsverantwortung, S. 28736

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Vor diesem Hintergrund ist die teilweise drastische Wortwahl zu verstehen, mit der Walter

Gerlich am 27.04.1950 bei einer gemeinsamen Mitgliederversammlung der

Neumünsteraner CDU, DP und FDP, die sich für die kommende Landtagswahl zu einem

Wahlblock zusammengeschlossen hatten, in der „Reichshalle" als Redner auftrat. Mit

seinem Bericht „über die Gesetze, die die Landesregierung kurz vor Beendigung ihrer

Wahlperiode noch durchgebracht hat, um auch weiterhin die SPD-Vorherrschaft zu

sichern“ dürfte er zugleich die damalige Gedankenwelt und Argumentationsweise seines

ambitionierten Bruders Gerhard repräsentiert haben:

„Dr. [Walter] Gerlich hob besonders hervor, daß Schleswig-Holstein das Experimentierfeld

des Marxismus sei. Bewiesen werde diese Behauptung durch die ohne die Majorität des

Volkes durchgebrachte Landessatzung, die Schulreform - die keine Reform, sondern

lediglich eine Umorganisation sei -, die neue Gemeindeordnung und nicht zuletzt durch

das neue Wahlgesetz, das den brüchigen Apparat der SPD verewigen solle und der

dänischen Minderheit mehr Rechte gäbe, als dem deutschen Menschen, indem es eine

Koalition zwischen den Parteien entgegen dem Grundgesetz verbiete.“53

In der noch ungefestigten Demokratie der frühen Nachkriegsjahre artikulierte der Redner

Walter Gerlich dabei in der gemeinsamen neuen Heimatstadt seines Bruders beim

Vorwahlkampf zeitgenössische Vorstellungen von Fremdbestimmung und dem Vorwurf

ungerechtfertigter Benachteiligungen durch die amtierende SPD-Landesregierung: „Diese

Voraussetzungen zwangen zur Bildung des Deutschen Wahlblocks, der nach dem letzten

Stand der Dinge nur direkte Kandidaten aufstellen wird und gezwungen ist, auf die

Restliste zu verzichten. Die Wahlvorbereitungen in Neumünster sind auf die Erreichung

der Ziele des Deutschen Wahlblocks abgestellt. Die SPD ihrerseits läßt nichts unversucht,

um ihre Machtposition zu behaupten. Das beginnt mit der Verschleierung des Wahltermins

und der Wahlkreiseinteilung und macht nicht halt vor der Diffamierung von

Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.“

Für den ehrgeizigen CDU-Politiker und Vertriebenenfunktionär Gerhard Gerlich trat ab

April 1950 neben einer voraussichtlichen innerparteilichen Rivalität um eine reduzierte

Anzahl von Landtagswahlkreisen noch ein weiterer schwer zu kalkulierender Faktor.

53 Holsteinischer Courier, 28.04.1950, S. 437

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Die britischen Behörden hatten Ende März 1950 den Zulassungszwang für politische

Parteien aufgehoben, so dass sich am 1. April 1950 als absehbare Konkurrenz um die

Wählergunst der zahlreichen Flüchtlinge in Schleswig-Holstein der „Bund der

Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) konstituieren konnte.54

Diesem späteren Koalitionspartner in der Landesregierung sprach Gerhard Gerlich als

reiner Flüchtlingspartei eine dauerhafte Existenzberechtigung ab und setzte sich wie

schon zu Jahresanfang gegen deren Versorgung des eigenen Klientels mit

Verwaltungsposten und gegen deren Selbstalimentierung aus öffentlichen Geldern ein.

Gerade weil er selbst nach der Kriegsgefangenschaft und mit seiner Ankunft in

Westdeutschland insgeheim die Gedanken einer Rückkehr nach Prag oder in das

Sudetenland für sich ausschloss, konnte er sich umso überzeugter gegen eine vorsorglich

provisorische Unterbringung in Flüchtlingslagern und für eine Integration seiner Landsleute

in Schleswig-Holstein einsetzen.

Diese mentale Stärke und eine rhetorische Überlegenheit Gerlichs bekam vor der

Landtagswahl im Juli 1950 selbst der BHE-Mitbegründer, Landes- und spätere

Bundesvorsitzende Waldemar Kraft in Neumünster zu spüren. Die örtliche BHE-Kandidatin

und baldige Parlamentskollegin Margareta Weiss schilderte im Rückblick anschaulich, wie

Gerhard Gerlich in seiner neugewählten Heimatstadt ihren Landesvorsitzenden auf einer

öffentlichen Wahlkampfveranstaltung unerwarteter Weise in die Defensive brachte: „Was

mich ein bißchen in Erstaunen versetzt hatte, war, als Herr Kraft das erste Mal, '50, vor der

Landtagswahl hier in Neumünster gesprochen hatte, da war Herr Dr. Gehrlich [!] von der

CDU da, der Vertriebener war und der Herrn Kraft in der Öffentlichkeit zweimal festgelegt

hatte, daß er zugeben mußte, daß er von sich aus den BHE auflösen wollte, wenn den

Heimatvertriebenen geholfen sei und wenn entsprechende Gesetze geschaffen worden

seien.“55

Wegen derartiger Qualifikationen und mit starken Interessenverbänden innerhalb einer

noch mitgliederschwachen Partei im Rücken gehörte Gerhard Gerlich folgerichtig zu den

54 s. Wulf, Peter: „Der Landesfürst“. Carl Schröter und die schleswig-holsteinische CDU 1945-1951, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 132, 2007, S. 239; im Folgenden: Wulf, Landesfürst

55 Weiss, Margareta: Vom Lastenausgleich zum Hochschulgesetz, in: Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in Schleswig-Holstein , Husum 1987, S. 201/02

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24 CDU-Mitgliedern aus der Landesspitze, die am 07. Juni einen Direktwahlkreis zugeteilt

bekamen. Mit dem folgenden Kurzlebenslauf trat er im Wahlkreis 23 Plön-Süd an:

„Dr. Gerlich (CDU), Studienrat, 39 Jahre, geboren in Troppau, Wohnort: Steverhof bei

Neumünster. Dr. Gerhard Gerlich kam als vertriebener Sudetendeutscher nach Schleswig-

Holstein, Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums erwarb er auf der

deutschen Universität Prag den Doktor der Philosophie. Er wurde Studienrat mit den

Fächern Geschichte, Geographie, Lateinisch und Griechisch. Er hat es sich zur Aufgabe

gemacht, mit besonderer Energie für die Belange der Vertriebenen einzutreten, die er im

Bund der Heimatvertriebenen vertritt.“56

Bei den Landtagswahlen am 09.07.1950 waren lediglich 16 der 24 CDU-Kandidaten

tatsächlich wie kalkuliert in ihren Wahlkreisen direkt gewählt worden. In Plön-Süd hatte

Gerhard Gerlich dabei mit rund 12 800 Stimmen deutlich vor der SPD mit 7 900 und dem

Überraschungsgewinner BHE mit 7 700 gelegen. Diese neue Partei hatte etwa die Hälfte

der Wähler aus der Gruppe der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge auf sich vereinigt und

mit landesweit 23,4 % der Stimmen auch fünf Direktmandate gewonnen.

Das Bündnis des deutschen Wahlblocks hatte somit sein Ziel der absoluten Mehrheit der

Mandate verfehlt, da ihm nach den neuen Bestimmungen des Wahlgesetzes, das das

Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Juni 1950 im Wesentlichen bestätigt hatte, keine

Listenplätze zustanden. Zwar wurde der bürgerliche Wahlblock durch den Gewinn von 31

Direktwahlkreisen noch stärkste Fraktion gegenüber der bisherigen Regierungspartei

SPD, die im Vergleich zur Landtagswahl 1947 von 43,8 % mit einem Verlust von 16,3 %

massiv auf 27,5 % verloren hatte. Aber das Zweckbündnis von CDU, FDP und DP blieb

selbst in dieser Konstellation auf einen Koalitionspartner angewiesen. Deren Abgeordnete

bildeten zusammen mit dem Neuparlamentarier Gerhard Gerlich am 12. Juli 1950 in Kiel

eine gemeinsame Landtagsfraktion und vertraten den Anspruch, als nunmehr stärkste

Fraktion mit dem BHE über eine Koalitionsbildung und die Übernahme der

Landesregierung zu verhandeln.

Trotz gleichzeitiger Gespräche mit der SPD ließ diese Flüchtlingspartei eine solche

Präferenz erkennen und präsentierte dazu durch seinen Landesvorsitzenden Waldemar

56 Kieler Nachrichten, 04.07.1950, S. 539

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Kraft ein Sofortprogramm mit einer für den BHE nicht verhandelbaren, für das Ansehen

und die Verlässlichkeit des demokratischen Gemeinwesens aber prekären Forderung:

„Während eine Einigung über die verlangten sozialen Maßnahmen zur schnelleren

Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge mit dem Wahlblock relativ leicht möglich

erschien, musste die an erster Stelle des Programms erhobene Forderung nach sofortigen

kommunalen Neuwahlen auf entschiedenen Widerstand stoßen. Bei den letzten

Kommunalwahlen 1948 war es den Vertriebenen und Flüchtlingen wegen der alliierten

Bestimmungen noch untersagt gewesen, mit einer eigenen Partei zu kandidieren.

Der BHE hielt aber eine verstärkte Beteiligung der von ihm vertretenen

Bevölkerungsgruppe in den kommunalen Parlamenten für unbedingt erforderlich, um die

sozialen Spannungen abzubauen.“57

Diese Änderung war für den Parlamentsneuling Gerlich so wenig annehmbar, dass er bei

dem entsprechenden Antrag im Landtag zum Jahresende sein erstes von der

Fraktionsdisziplin abweichendes Votum wagen sollte. Auch dürfte ihm von früheren

politischen Begegnungen her der von CDU-Landesspitze vorgesehene

Ministerpräsidentenkandidat Paul Pagel nicht behagt haben, z.B. in einem Gremium,

dessen Vorsitzender Gerhard Gerlich selbst werden sollte: „Der

Landesflüchtlingsausschuss der CDU hatte sich bereits bei der Aufstellung der

Bundestagskandidaten für die Wahl 1949 geweigert, ihn als seinen Vertreter zu

nominieren. Eine maßgebliche Rolle für die Ablehnung Dr. Pagels hat vermutlich auch sein

distanziertes Verhältnis zu denjenigen ehemaligen Nationalsozialisten gespielt, die über

eine Mitgliedschaft in den Wahlblockparteien und im BHE ihre Rehabilitierung

erwarteten.“58

Das Scheitern dieses Kandidaten bei dem Misstrauensantrag gegen die amtierende SPD-

Landesregierung auf der konstituierenden Landtagssitzung am 07.08.1950 konnte aber

nicht auf fehlende Stimmen aus den eigenen Reihen zurückgeführt werden. Der

zusätzliche Antrag des Wahlblocks auf geheime Abstimmung war sowohl von der SPD als

auch der BHE-Fraktion abgelehnt worden, der noch keinen Verhandlungsabschluss mit

dem bürgerlichen Lager getroffen hatte und durch sein Abstimmungsverhalten gegen

57 Albert, Regierungsverantwortung, S. 301/0258 Albert, Regierungsverantwortung, S. 303

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Pagel auch seine künftige Stärke gegenüber dem bürgerlichen Blockbündnis

demonstrierte. Ein Abweichen von den parlamentarischen Bräuchen erlebte Gerlich am

07.08.1950 auch bei der Wahl des Landtagspräsidenten, der üblicherweise von der

stärksten Fraktion gestellt wurde.

An dieser Stelle begründeten SPD und BHE die Wiederwahl von Karl Ratz (SPD) gegen

den Kandidaten Walter Böttcher (CDU) mit ihrer Interpretation, dass der vorschlagende

Wahlblock zwar rechtlich, nicht aber politisch als Fraktion zu werten sei, weil die ihn

tragenden Parteien CDU, FDP und DP sich nicht aufgelöst hätten. 59 Derart spitzfindige

Umdeutungen oder das Verbiegen von geltenden Regularien mochten bei einem

Jungparlamentarier wie Gerlich ebenso wie die fragwürdigen Umstände der

Stadtpräsidenten-Wahl Paul Lohmanns in Neumünster den Eindruck vertieft haben, dass

ein ähnliches Vorgehen von ihm in späteren Jahren bei passenden Gelegenheiten

gerechtfertigt sei.

Nach diesen Auftaktniederlagen im Landtag fand sich die CDU-Landesspitze zu stärkeren

Kompromissen gegenüber dem BHE bereit und stellte mit Walter Bartram, der Gerlich als

Neumünsteraner CDU-Kreisvorsitzender zwar bekannt, aber nicht durch weiterreichende

politische Aktivität, Übernahme von Verantwortung oder Erfahrung aufgefallen war, einen

wenig profilierten und somit unstrittigen Konsenskandidaten auf.60 Dieser erhielt gemäß

der mittlerweile abgeschlossenen Absprachen mit dem BHE auf der Landtagssitzung am

05.09.1950 alle 44 Stimmen von Wahlblock und der Flüchtlingspartei, so dass Bartram

zugleich die vereinbarte Regierungsmannschaft präsentieren konnte.

Von diesem Datum an sind bei der Kieler Landtagsverwaltung auch die Mitgliedschaften

Gerhard Gerlichs in den Ausschüssen für die Wahrung der Rechte der Volksvertretung, für

Heimatvertriebene, für Volkswohlfahrt und für Verkehr verzeichnet. Nach dieser Quelle

hatte er bereits ab dem 07.08.1950 das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs für

den Bereich Kultus (Jugend und Sport) inne und wurde als gelernter Pädagoge erst ab

März 1952 in dem Ausschuss für Volksbildung und Erziehung Mitglied. Im Laufe dieser

Wahlperiode sollte Gerlich zudem 1951 noch in dem Untersuchungsausschuss zu

Vorwürfen gegenüber dem Landtagspräsidenten Ratz mitarbeiten.

59 Albert, Regierungsverantwortung, S. 30460 Wulf, Landesfürst, S. 241/42

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Anfänglich widmete sich Gerhard Gerlich in der Landtagsarbeit dem ihm bekannten Feld

der Flüchtlingspolitik und hielt in der Sitzung vom 12.10.1950 seine Jungfernrede zu dem

Thema der Umsiedlung, nach welcher andere Bundesländer einen Teil der Vertriebenen

aufnehmen sollten, die in überproportionalem Maß in Schleswig-Holstein untergekommen

waren. Dabei dürften ihm in dieser Anfangsphase des wechselseitigen Kennenlernens

seine persönlichen Eindrücke und die Selbstdarstellung „als parlamentarischer Neuling“

aus dem Sitzungssaal gutwillig abgenommen worden sein: „Ich bin aber andererseits auch

hier in dieses Haus gekommen in dem guten Glauben, daß wir uns vielleicht von

erfahrenen, alten Strategen, Praktikern und Taktikern werden einführen lassen können in

eine geläuterte Form der Demokratie. Ich muß sagen, daß

ich durch die bisher erlebten Landtagssitzungen bitter enttäuscht bin.“61

Zwar konstatierte der Abgeordnete Gerlich den allseitig eingehaltenen Konsens, das

Debattenthema der Flüchtlingsverteilung aus dem Parteienstreit im Wahlkampf

herausgehalten zu haben. Zugleich richtete er aber doppelbödig den Appell ausgerechnet

die Adresse der standhaft gebliebenen SPD-Fraktion an, dass diese (anstelle des

tatsächlichen Initiators BHE oder seines eigenen bereitwilligen Wahlblocks) nicht das

verunsichernde Szenario von möglichen Neuwahlen in den Gemeinden heraufbeschwören

solle:

„Ich habe den Eindruck, daß zwar vor den Landtagswahlen der Herr Sozialminister Damm

es für richtig gehalten hat, über das Thema Umsiedlung in den Wahlversammlungen nicht

zu sprechen. Wir haben uns selbstverständlich an dieses Abkommen gehalten, weil wir

wissen, daß das Schicksal der Heimatvertriebenen so grundlegend ist, daß es über das

Parteiengezänk erhaben sein müßte und uns allen ein gemeinsames ureigenstes Anliegen

sein müßte. Wenn man aber nun, nachdem der Wahlkampf zu Ende ist (...) von der Linken

des Hauses jenes neue Aufkreuzen möglicher Wahlen immer wieder in die Diskussion zu

werfen sich bemüht hat, dann habe ich das dunkle Gefühl, daß man hier bereits einen

neuen Wahlkampf beginnen möchte (…).“62

61 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Wortprotokolle des Schleswig-Holsteinischen Landtags, 2. Wahlperiode (07.08.1950-04.08.1954), Kiel 1950-1954, S. 45; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 2. WP. (mit Datum und Seitenzahl)

62 Protokoll LT-SH, 2. WP., 12.10.1950, S. 4542

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In der übernächsten Sitzung am 13.11.1950 nahm Gerhard Gerlich zu dem vor Jahresfrist

durch die SPD-Regierung einseitig zu ihrem Vorteil veränderten Landeswahlgesetz kritisch

Stellung. Bei seiner Begründung für die Revision einzelner Bestimmungen kontrastierte er

angebliche Aussagen früherer SPD-Spitzenpolitiker mit ihren aktuellen Debattenbeiträgen

und durfte sich als neuer Parlamentarier geradezu geadelt fühlen, dass er den rhetorisch

gefürchteten Oppositionsführer Andreas Gayk derart provozieren konnte, dass dieser

ausfallend wurde und Gerlich die Gelegenheit zum Understatement in einer süffisanten

Entgegnung bot:

„(Abg, Gayk: (…) Was schwätzen wir doch bloß heute hier zusammen!)

Präsident Ratz: Herr, Abgeordneter Gayk, ich muß doch bitten!

Dr. Gerlich (Wahlblock), fortfahrend:

- Ich habe mir in dieser Beziehung keine Kritik erlauben wollen, Herr Gayk! Es sei Ihnen

durchaus überlassen, dies nun bei mir zu tun. Ich weiß, Sie sind der wesentlich

erfahrenere Politiker; Sie sind ein wesentlich erfahrener Taktiker. Sie sind aber auch ein

wesentlich erfahrener Parteistratege. Zu dieser Gruppe von Persönlichkeiten wage ich

mich selbstverständlich nicht zu zählen.“63

In dieser Phase verfügte die Regierung Bartram noch über eine Zweidrittelmehrheit im

Parlament und konnte so die noch im Dezember 1949 mit einfacher SPD-Mehrheit

verabschiedete Landesverfassung ändern. Die Koalition aus Wahlblock und BHE

beschloss am 11.11.1950 mit ihren 46 Stimmen, die bis dahin verfassungsgemäß

verankerte Grundschulzeit von 6 Jahren zu revidieren und machte bei dieser Gelegenheit

auch den von den Sozialdemokraten durchgesetzten Wegfall von Schulgebühren

rückgängig.

Die sozialdemokratisch geprägte Schleswig-Holsteinische Volkszeitung berichtete von

dieser Sitzung unter der Überschrift „Schulgeldfreiheit gegen Neuwahlen“ über einen

kritikwürdigen Kuhhandel des BHE, der zwar mit einem Antrag die für die Flüchtlinge

wichtige Schulgeldfreiheit in der Landungssatzung verankern lassen wollte, diese

parlamentarische Initiative aber im Tausch gegen die angestrebten vorzeitigen Neuwahlen

zurückgezogen habe. Bemerkenswert erschien den VZ-Redakteuren an dem Beschluss,

63 Protokoll LT-SH, 2. WP., 13.11.1950, S. 7543

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diese in Kommunal- und Gemeindeparlamenten bis zum 30. April 1951 durchzuführen,

das uneinheitliche Votum aus dem Regierungslager bei der namentlichen Abstimmung von

37 Ja- gegen 28 Nein-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen. Von diesem mutigen wie

selbstbewussten Akt bei vier Gegenstimmen aus dem Wahlblock wurde in der SPD-

Zeitung mit der korrekten Namensschreibung ferner festgehalten: „Der Stimme enthielten

sich die Abgeordneten Dr. Gerlich (CDU), Dr. Schönemann (FDP), Sieh (DP), Claussen

(CDU) und Dr. Schwinkowski (CDU).“64

Auch die von der Volkszeitung behauptete Koppelung des Neuwahl-Beschusses im

Gegenzug für die unpopuläre Wiedereinführung des von der früheren SPD-

Landesregierung abgeschafften Schulgeldes schien sich durch das weitere und

konsequente Abstimmungsverhalten des gelernten Pädagogen Gerlich zu bestätigen. So

vermeldete die SPD-nahe Tageszeitung am 01.02.1951 unter der Überschrift

„Schulgeldfreiheit teilweise beseitigt“ zur Abstimmung: „Gegen die Stimmen der

sozialdemokratischen Landtagsfraktion, der SSW-Abgeordneten und der BHE-

Abgeordneten Frau Dr. Ohnesorge sowie des Wahlblockabgeordneten Dr. Gehrlich [!]

wurden in der Landtagssitzung am Mittwoch fast alle Paragraphen einer Gesetzesvorlage

in zweiter Lesung angenommen, mit denen die bisher bestehende Schulgeld- und

Lernmittelfreiheit teilweise aufgehoben wird.“

Den laut Koalitionsabsprachen anzuberaumenden vorzeitigen Neuwahlen versagte Gerlich

im Unterschied zu anderen Kritikern innerhalb des Wahlblocks auch die letzte Zustimmung

im Landtag, wie wiederum die Volkszeitung unter Überschrift „Letzter Versuch gegen die

Unglückswahl“ zu der Sitzung am 01.03.1951 zu berichten wusste: „Es fehlten die

Abgeordneten Jensen, Schoof und Dr. Gehrlich [!] (alle CDU).“65

Dagegen musste die Umsetzung der BHE-Forderung nach einem endgültigen Abschluss

der Entnazifizierung im Januar 1951 den Interessen von Gerhard Gerlich

entgegenkommen, zumal er 1947 in seinem eigenen Auskunftsformular bewusst seine

Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS unterschlagen und diese Falschauskunft mit seiner

Unterschrift bestätigt hatte. Zu der 1. Lesung des entsprechenden Entwurfs eines

„Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung“ dürfte ihn in der Sitzung am 31.01.1951

64 Volkszeitung, 15.11.1950, S. 165 Volkszeitung, 02.03.1951, S. 1 u. 7

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allerdings die Einlassung des BHE-Abgeordnete Martin Kohz zu dem Meinungsbild seiner

Fraktion und Partei, die für eine latente Nähe zu Rechtsextremisten und Rechtslastigkeit

bekannt war, überrascht haben: „Wir stehen auf dem Standpunkt, daß Akten nicht zu

vernichten seien. Es könnte dadurch der Eindruck erweckt werden, als ob man etwas

beseitigen wolle. Interesse daran besteht nicht; es wird vielleicht im Gegenteil sogar

zweckmäßig sein, diese Kulturdokumente einer staunenden Nachwelt erhalten zu

lassen.“66

Obwohl manche Sozialdemokraten energisch gegen einige Gesetzesbestimmungen

protestierten, nach denen die von Entnazifizierungsausschüssen negativ Beurteilten damit

das Recht auf neue Verfahren, Aussicht auf Bessereinstufung und Ansprüche auf

Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst erhalten könnten, war bei dieser ersten

Lesung über Parteigrenzen hinweg der Wunsch nach einem Schlussstrich auszumachen.

Bei dem Redebeitrag des ihm persönlich bekannten Neumünsteraner Stadtpräsidenten

und SPD-Abgeordneten Paul Lohmann mochte sich Gerhard Gerlich von dem

Schlusssätzen auf eine besondere Weise angesprochen oder legitimiert gefühlt haben:

„Ich bin bereit - und das wissen meine Fraktionsgenossen -, mit einem früheren

überzeugten Nationalsozialisten heute durch dick und dünn zu gehen, wenn er sich zum

Begriff der Demokratie und zu den Mitteln bekennt, die wir als menschlich bezeichnen.

Und dann müssen wir noch eines voraussetzen: Wenn man bereit ist, mit diesen jungen

Leuten oder denen mittleren Alters, die aus ihrer Überzeugung heraus einen bestimmten

Weg gegangen sind, der uns ins Elend geführt hat, zu gehen und an nichts mehr zu

denken, dann darf man doch auch etwas Zurückhaltung und Einsicht erwarten.“67

Ungleich kontroverser argumentierten die Parlamentarier am 14.03.1951 bei der 2. Lesung

dieses in der jungen Bundesrepublik weitgehendsten und striktesten Gesetzes zur

Beendigung der Entnazifizierung. Nach diesem wurden die in der Gruppe III (Belastete)

oder IV (Mitläufer) Eingestuften mit der Rechtsstellung der Gruppe V (Entlastete)

gleichgestellt. Somit erhielten auch einst aktive oder überzeugte Nationalsozialisten einen

Anspruch auf Wiedereinstellung oder auf Wiederherstellung ihrer alten Rechte. Eine

Entsprechung auf Bundesebene wurde im Mai 1951 durch das „Gesetz zur Regelung der

66 Protokoll LT-SH, 2. WP., 31.01.1951, S. 27767 Protokoll LT-SH, 2. WP., 31.01.1951, S. 286

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Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen"

beschlossen, demzufolge nahezu alle wegen der Entnazifizierung Entlassenen einen

Anspruch auf Wiedereinstellung zugesprochen bekamen.68 Für deren Interessen im

Rahmen des sog. „131er-Gesetz" sollte sich Gerhard Gerlich in späteren Jahren noch mit

einer verblüffenden Akzentsetzung engagieren.

Persönlich dürfte ihn auf dieser Landtagssitzung die Frage nach dem Verbleib der

behördlichen Dokumente interessiert haben, mit deren Vernichtung man nicht so hastig zu

sein bräuchte, wie der BHE-Abgeordnete Alfred Gille erklärte. Dieser trug als Ergebnis der

Ausschussberatungen vor, dass man dem Innenminister eine nähere Entscheidung

überlassen wolle, wann, in welchem Umfange und wie diese Entnazifizierungsakten zu

vernichten seien, die auch für die wissenschaftliche Erforschung der Zeitgeschichte von

Bedeutung sein könnten.69

Gerlich stand weiterhin nicht in dem besten Verhältnis mit dem zuständigen Parteifreund

und Innenminister Paul Pagel, der sich nach diesen Debatten im Tagebuch vermerkte:

„Die Argumente der Opposition erscheinen mir weit stichhaltiger als die der

Regierungsparteien. Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen,

Merkwürdig, wie selbstverständlich die alten Nazis auftreten und wie feige sie im Grunde

sind, wenn man ihnen hart entgegentritt.“70 Seinen auch im Dritten Reich politisch

unbelasteten gewesenen Ministerpräsidenten Bartram dürfte Pagel damit gewiss nicht

gemeint haben, der gleichwohl in der Landtagssitzung am 07.05.1951 auf eine Anfrage

des SPD-Abgeordneten Lüdemann hin seine nivellierende und verharmlosende Aussage

in der New York Herold Tribune rechtfertigte, dass es schwer gewesen sei, der NSDAP

nicht anzugehören. Mit dieser wenig taktvollen, aber dem Zeitgeist und der weit

verbreiteten Schlussstrich-Mentalität entsprechenden Aussage hätte Bartram sich auch

der Zustimmung Gerlichs gewiss sein dürfen.71

Zum Abschluss der vorhergehenden Sitzung am 14.03.1951 wurde wegen eines

68 s. Godau-Schüttke, Klaus-Detlev: Die Heyde/Sawade-Affäre, Wie Juristen und Mediziner den Euthanasieprofessor Heyde nach 1945 deckten und straflos blieben, Baden-Baden 1998, S. 93; im Folgenden: Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre

69 Protokoll LT-SH, 2. WP., 14.03.1951, S. 21370 zit. nach Varain, Parteien, S. 223, Anm. 90271 Protokoll LT-SH, 2. WP., 07.05.1951, S. 118-120

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Zeitungsartikels mit anonym erhobenen Vorwürfen gegen den Landtagspräsidenten Karl

Ratz beraten, ob auf dieser dürftigen Grundlage ein Parlamentarischer

Untersuchungsausschuss eingesetzt werden solle. Gerhard Gerlich plädierte dafür mit

dem Argument, im Interesse des derart Angegriffenen zu handeln: „Es ist immer üblich

gewesen, daß, wenn eine solche Sache in die Öffentlichkeit getragen wird, der Betroffene

von sich aus auf allerschnellste Bereinigung dieses Falles Wert gelegt hat, und daß er und

seine politischen Freunde eigentlich das größte Interesse haben müßten, daß diese

Angelegenheit auf schnellste Art und Weise, und zwar klar, eindeutig und öffentlich

bereinigt wird, damit nicht der Eindruck entstehen kann, daß wir etwa Grund haben, etwas

zu verschweigen oder in die Länge zu ziehen.“72

Tatsächlich wurde Gerlich in der Sitzung von 08.05.1951 neben neun weiteren

Abgeordneten aus allen Fraktionen in diesen Parlamentarischer Untersuchungsausschuss

entsandt, in dessen Verlauf sich Behauptungen über eine missbräuchliche Nutzung von

Landtagsräumlichkeiten oder Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Druckaufträgen

wie zu erwarten als haltlos erwiesen. Soweit Einblick in die teils dem Datenschutz

unterliegenden Protokolle des entsprechenden Parlamentarischen

Untersuchungsausschusses ermöglicht werden konnte, hat sich Gerlich bei den

nichtöffentlichen Beratungen zu Geschäftsordnung, Verfahren und Zeugenbefragung

zwischen Mai und August 1951 nicht außergewöhnlich engagiert, sondern stimmte dort

dem Gesamtfazit zu, dass „nach den Tatbeständen und nach dem, was davon

übriggeblieben ist, Landtagspräsidenten Karl Ratz, hingesehen auf diese Vorwürfe, weder

das Ansehen seiner Stellung noch des Landtages, noch das der Demokratie beeinträchtigt

hat.“73

Derweil hatten die besonders im Regierungslager heftig umstrittenen Neuwahlen am 29.04

1951 in die Kommunalparlamente dem dort noch nicht vertretenen BHE ein

Stimmergebnis von rund 18,5 % ergeben, das auf Kosten der bereits etablierten Parteien

und Wahlgemeinschaften ging. Dieser absehbare Verlust fachte die offene Kontroverse im

CDU-Landesvorstand zwischen dem Vorsitzenden Carl Schröter und dem koalitionstreuen

Regierungschef Walter Bartram heftig an.

72 Protokoll LT-SH, 2. WP., 14.03.1951, S. 33173 Protokoll LT-SH, 2. WP., 08.10.1951, S. 60; vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der gegen Landtagspräsident Karl Ratz vorgebrachten Vorwürfe, 2. Wahlperiode, Kiel 1951

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Nun eskalierte der interne Kampf um die Macht in der CDU sowie der Landesregierung im

Mai/Juni 1951, an dessen Ende Gerhard Gerlich in den engsten Führungszirkel der

Landespartei aufrücken sollte. Die beiden Kontrahenten Schröter und Bartram

verweigerten in Sitzungen einander das Vertrauen, sondern strengten jeweils ergebnislose

Parteiehrengerichtsverfahren gegeneinander an. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer

führte in diesem Führungsstreit schließlich Gespräche mit beiden, in deren Folge und

begleitet von Sitzungen u.a. des CDU-Landesausschusses im Juni 1951 die Rücktritte

sowohl Schröters als auch Bartrams standen.74

Für die Nachfolge in beiden Ämtern wurde am 23.06.1951 zunächst im Landesvorstand

und direkt im Anschluss auf einem CDU-Landesparteitag der Flensburger Landrat

Friedrich Wilhelm Lübke (der Bruder des späteren Bundespräsidenten) nach anfänglich

kontroversen Diskussionen über seine katholische Konfession mit großer Mehrheit

gewählt. Zu seinen Stellvertretern als Landesvorsitzender macht diese Parteiversammlung

dann den zeitweisen, für den BHE aber nicht als Regierungschef akzeptablen Kandidaten

Paul Pagel sowie die Landtagsabgeordneten Kai-Uwe von Hassel und erstmals Gerhard

Gerlich.75 Letzterer wurde seither in diesem Amt mit abnehmender Popularität und

entsprechenden Stimmergebnissen stets wiedergewählt, erreichte aber selbst dann eine

komfortable Mehrheit, als der zum Vorsitzenden aufgerückte von Hassel zu Beginn von

Gerlichs Sterbejahr 1962 presseöffentlich eine Verjüngung der Parteispitze einfordern

sollte.

Nach dieser ersten Wahl in den CDU-Landesvorstand wurde Lübke umgehend auch von

Gerlichs Wahlblock-Fraktion für das Amt der Regierungschefs nominiert. Diese hatte auf

der Landtagssitzung am 25.06.1951 keine eigene Mehrheit und nach der

Rücktrittserklärung des bisherigen Ministerpräsidenten Bartram blieb Lübke dort der

einzige vorgeschlagene Kandidat für die Nachfolge. Er erhielt im ersten Wahlgang

lediglich 29 Stimmen, denn 36 Abgeordnete der SPD, des BHE und des SSW votierten

gegen ihn, wohingegen sich zwei Wahlblock-Mitglieder (allerdings nicht Gerlich) bei der

namentlichen Abstimmung enthielten. Nach dem gleichen Resultat im 2. Versuch genügte

74 s. Albert, Regierungsverantwortung, S. 310/11 u. Wulf, Landesfürst, S. 245-4875 s. Mosberg, Helmuth: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein, Kiel 1996, S. 139; ferner: Struck, Claus-Ove:

Die Politik der Landesregierung Friedrich Wilhelm Lübke in Schleswig-Holstein (1951-1954), Frankfurt a.M. 1997, S. 23, mit der Titulierung „Gerhard von Gerlichs“; im Folgenden: Struck, Lübke

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dann die einfache Mehrheit der Stimmen im dritten Wahlgang, so dass Lübke ohne

Gegenkandidaten mit 28 Ja- und 37 Neinstimmen bei weiterhin 2 Enthaltungen zum neuen

Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein gewählt worden war.76

Direkt nach diesem sehr selbstbewussten Signal des Regierungspartners BHE

verhandelte die Wahlblock-Fraktion kurzzeitig, aber ohne Erfolg mit der SPD über einen

Wechsel.77 Nach Lübkes Androhung von Neuwahlen setzte der BHE der

Regierungszusammenarbeit mit seinen Vertretern Waldemar Kraft als Finanzminister und

Hans-Adolf Asbach als Minister für Soziales, Arbeit und Vertriebene im Kabinett auf der

Basis der vorherigen Koalitionsvereinbarungen fort. Dieser Konsolidierung in der

Landespolitik folgte im Herbst 1951 eine heftige Diskussion über den Umgang mit der NS-

Vergangenheit und die Folgen, die die Landesregierung (wie auch die sie tragenden

Fraktionen) mit ihrem sehr weitreichenden Entgegenkommen gegenüber ehemaligen

Nationalsozialisten heraufbeschworen hatte.

In der Sitzung am 09.10.1951 debattierten die Abgeordneten teilweise sehr erregt über

dem exemplarischen Fall, dass der ehemalige Gauleiter und Oberpräsident Schleswig-

Holsteins Hinrich Lohse in der Konsequenz des umstrittenen Entnazifizierungsgesetzes

mit Erfolg eine Pension beantragt hatte und sie schließlich auch ausgezahlt bekommen

sollte. In das Zentrum der Kritik stellte die SPD-Fraktion weiterhin den

„Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung“, den Abgeordneten und CDU-

Landesgeschäftsführer Oskar Hubert Dennhardt, und dessen Unterlassungen in dem Fall

des SS-Obergruppenführers und Reichskommissars für Böhmen und Mähren, Reinhard

Heydrich. Im Unterschied zum Fall Lohse hatte der Sudetendeutsche Gerlich zu diesem

insofern nähere Bezüge, als Heydrich zur Zeit des tödlichen Attentats am 27.05.1942 in

Prag selbst noch in dieser Stadt fernab des Kriegsgeschehens gelebt und gearbeitet hatte.

Mit dem Antrag auf den eigentlich gesperrten Nachlass dieser „Personifikation des NS-

Schreibtischtäters und Massenmörders aus dem Reichssicherungshauptamt“78 war

Heydrichs Witwe ebenso erfolgreich gewesen wie 1950 in Lübeck mit dem Antrag auf

76 Protokoll LT-SH, 2. WP., 25.06.1951, S. 5-2577 s. Varain, Parteien, S. 22978 Danker, Uwe: Vergangenheits'bewältigung' im frühen Land Schleswig-Holstein, in: Landeszentrale für

politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1998, S. 27; im Folgenden: Danker, Vergangenheitsbewältigung

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„Kriegsopferversorgung“, den sie mit der Interpretation begründet hatte, dieser Todesfall

sei auf Kriegseinwirkung zurückzuführen. Auf sein für derartige Zweifelsfälle vorgesehenes

Einspruchsrecht nach § 45 hatte der „Sonderbeauftragte“ Dennhardt bewusst verzichtet

und erklärte im Parlament zu seiner bislang nicht bekannten Eigenmächtigkeit und

tendenziösen Handhabung, die Entnazifizierung selbst so dauerhaft beenden zu wollen,

gleichermaßen beeindruckend wie provozierend ungerührt an die Adresse der SPD-

Fraktion:

„Ich habe mich im Rahmen des Gesetzes gehalten und habe die Möglichkeiten

ausgeschöpft, die mir im Rahmen dieses Gesetzes gegeben waren. Ich möchte aber doch

ganz ernstlich an Sie appellieren, ob Sie nicht auf diesem Wege umkehren sollten und ob

Sie sich nicht doch zu unserer Auffassung bekennen könnten, daß wir die Vergangenheit

endlich einmal ruhen lassen sollten.

(Beifall beim Wahlblock. - Zuruf von der SPD: Um den Nazis Pensionen zu geben! - Abg,

Gayk: Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldigl – Abg. Lechner: Der Beifall ist

sehr interessant!)“79

Der Abgeordnete Gerlich beteiligte sich lediglich mit zwei kurzen Zwischenrufen zu der

Frage des Heydrich-Nachlasses an dem entsprechend emotionalen Abtausch, zu dessen

Bedeutung Uwe Danker zusammenfasste:

„Diese außergewöhnliche Parlamentsdebatte hatte die Abgeordneten der

Regierungsparteien jene politischen und juristischen Zwänge spüren lassen, die sie selbst

geschaffen hatten: Ihnen war es um den 'Schlussstrich' gegangen, auch damit hatten sie

die Landtagswahl gewonnen, und sie wollten - vor allem - die belasteten Staatsbeamten,

von ihnen durchweg als zu Unrecht belangt und als allenfalls unschädliche Mitläufer

begriffen, rehabilitieren, und zwar beamtenrechtlich ohne Ausnahme alle. Und sie

blendeten dabei aus, daß ein nationalsozialistischer Oberpräsident den Genuß der

exzessiven Regelungen für das preußische Beamtentum suchen könnte, von der

Berücksichtigung einer verantwortlichen Mitschuld regulär geförderter Beamten an NS-

Verbrechen und NS-Unrecht ganz abgesehen. Die Regierungsparteien, der BHE und die

zum deutschen Wahlblock zusammengeschlossenen CDU, DP und FDP, begriffen sich als

Anwälte der '131er', jener also, die in der unmittelbaren Nachkriegsphase aus dem

79 Protokoll LT-SH, 2. WP., 09.10.1951, S. 10350

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öffentlichen Dienst entlassen worden waren. Aber gerade weil ihre Bereitschaft zur

Beendigung der Entnazifizierung und Rehabilitation der Betroffenen sehr weit ging, sie die

britischen Spruchgerichtsverfahren als rein 'politische Verfahren' begriffen, störten so

eindeutige Symbole wie die Fälle Heydrich und Lohse.“80

Bei dem für das demokratische Gemeinwesen ebenfalls relevanten Thema der Änderung

des Landeswahlgesetzes demonstrierte Gerhard Gerlich in der folgenden Sitzung am

10.10.1951 zusammen mit sechs anderen Mitgliedern der Regierungsfraktionen seine

Eigenständigkeit, als er sich im Landtag bei dem Gesetz zur Änderung des

Landeswahlgesetzes in namentlicher Abstimmung enthielt. Damit wandte er sich gegen

die umstrittene Erhöhung der Sperrklausel auf 7,5 %, die auch für Partei der nationalen

Minderheit, dem SSW, gelten sollte. Nachträglich durfte er sich in dieser konsequenten

Haltung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt fühlen, das diese

Verschärfung am 05.04.1952 für nichtig erklärte.

Gerlichs Rücksichtnahme auf die Belange kleinerer Parteien erstreckte sich allerdings

nicht auf das politische Tagesgeschäft, sondern wie die CDU-Landesspitze und einige

Kreisverbände verfolgte er gegen Ende 1951 das Ziel einer Parteienkonzentration

innerhalb des bürgerlichen Lagers bis hin zur Assimilierung in der CDU. Diese Entwicklung

wurde begünstigt durch Spannungen zwischen den profilierungsbedürftigen Kleinparteien

FDP bzw. DP und deren Landtagsfraktionen, aus denen einzelne Abgeordnete austraten,

die anderenorts im Wahlblock hospitierten, ihre jeweiligen Ausschusssitze aber behalten

wollten.

Als die FDP-Spitze die Unterstützung des CDU-Landesvorstands für eine Rückgabe

dieser Posten einforderte, erhielt sie Ende November 1951 über die Presse eine harsche

Abfuhr in nationalsozialistischer Sprachdiktion. Noch ohne Nennung des Urhebers

formulierte und zitierte dabei der Holsteinische Courier in dem Artikel „Bedrohliche Wolken

über dem Wahlblock“: „Mit Erstaunen ist die Aeußerung eines prominenten Mitgliedes der

CDU-Landtagsgruppe aufgenommen worden, der [!] dieser Tage die Haltung der FDP als

seit langem zweideutig brandmarkte und einer Pressemeldung zufolge erklärte: 'Es wäre

80 Danker, Uwe: „Wir subventionieren die Mörder der Demokratie“. Das Tauziehen um die Altersversorgung von Gauleiter und Oberpräsident Hinrich Lohse in den Jahren 1951 bis 1958, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd.120 (1995), S. 191

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besser, das Geschwür auszubrennen, als es weiter schwären zu lassen.' Diese

Aeußerung hat in Kreisen der FDP starkes Befremden und große Empörung ausgelöst.“81

Süffisant glossierte die sozialdemokratische Volkszeitung am 07.12.1951 diese rüde

Abqualifizierung als Beispiel eines guten Einvernehmens innerhalb des Wahlblocks und

gab mit Fehlschreibung den Namens des Verfasser bekannt: „Das sagte Dr. Gehrlich [!] in

Bezug auf die Auffassung der Jungdemokraten, daß die FDP sich aus dem Wahlblock

lösen solle.“

Diese Strategie der Ausgrenzung und Abspaltung, an der sich auch sein Bruder Walter im

Herbst 1951 als kommissarischer Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Neumünster

versucht hatte, entsprach der Linie des CDU-Landesvorstands mit dem Ziel der

Zersplitterung der anderen Parteien innerhalb des Wahlblockbündnisses.82 Ihr lag die

Endvorstellung eines Zwei-Parteiensystems wie in Groß-Britannien zugrunde, nach deren

Vorbild die britischem Besatzungsmacht die Grundzüge des Schleswig-Holsteinischen

Wahlsystems vorstrukturiert hatte.

Zu diesem Zeitpunkt erschien nicht denkbar, dass Gerhard Gerlich ohne eine

Unterstützung oder Rückendeckung des CDU-Landesvorsitzenden Lübke derart

polarisierend in die öffentliche Debatte getreten wäre. Dafür spricht auch, dass nach der

Erstveröffentlichung Ende November am 15.12.1951 in dem hauseigenen und von ihm mit

geleiteten „CDU Landesdienst Schleswig-Holstein“ Gerlich sein „Geschwür“-Zitat mit einer

Wiederholung bekräftigte, die FDP zu der geplanten Diskussion darüber ermunterte und

mit seinem begleitenden Appell an die Selbstachtung der politischen Partei eine

Entscheidung bei scheinbar freier Wahlmöglichkeiten fast vorwegnahm:

„Es freut mich, dass sich die FDP am 12.12. mit der Meldung in der 'Welt' v. 28.11.

befassen will. Ich möchte jedoch hoffen, dass sie dabei nicht zu berücksichtigen vergisst,

was mich veranlasst hat, meine Gedanken nach längeren Ausführungen in dem Satz

zusammenzufassen: 'Es wäre besser, das Geschwür auszubrennen, als es weiter

schwären zu lassen.' (…) Ich würde es begrüssen, wenn die FDP eine eindeutige Stellung

beziehen würde, d.h. entweder dem Deutschen Wahlblock ein vorbehaltloses 'Ja' oder

81 Holsteinischer Courier, 01.12.1951, S. 382 Struck, Lübke, S. 120/21

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aber ein ebenso klares und unmißverständliches 'Nein' sagen wurde.“83

Folgerichtig und wie kalkuliert traten Anfang Januar 1952 erst die FDP und dann die DP

aus dem Wahlblockbündnis aus, das damit zwar seine Zweidrittelmehrheit verlor.

Allerdings sollten im Laufe dieser Wahlperiode aus diesen beiden neugebildeten

Fraktionen noch weitere Abgeordnete zur CDU wechseln, so dass diese größte Fraktion

im bürgerlichen Lager bis 1954 von 16 auf 26 Mandate anwuchs. Erfolge wie diese

schienen Gerhard Gerlich gegenüber seinen Zeitgenossen Recht zu geben und seine

eingesetzten Mittel nachträglich zu legitimieren, wie diese Zusammenhänge auch bei einer

Einschätzung seiner Lebensleistung zu würdigen wären.

In seinem Fachgebiet der Flüchtlingspolitik erhielt Gerhard Gerlich in den Januarsitzungen

1952 bei der zweiten Lesung des „Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der

Vertriebenen in Schleswig Holstein“ Gelegenheit zu besonderer Profilierung. Mit

zahlreichen Beiträgen und Einwürfen zum sogenannten „Eingliederungsgesetz“ versuchte

er sich gegenüber den Sprechern anderer Fraktionen sowohl im Inhaltlichen wie auch zu

den verwaltungstechnischen und gesetzlichen Feinheiten als der sachkundigere Experte

zu profilieren. Dafür wurde Gerlich am 23.01.1952 im Kommentar der Volkszeitung als

„Beschwichtigungspolitiker“ verspottet, wohingegen die Kieler Nachrichten ebenfalls am

23.01.1952 zu seinem Redebeitrag seine erhobene Stimme bei der aufrecht erhaltenen

„Forderung auf Rückgabe unserer Heimat“ sowie seine Schlusspointe betonte:

„Abg. Dr. Gerlich dankte dann den Einheimischen für die Leistungen, mit der Aufnahme

der Flüchtlinge vollbracht hätten. Die Taten der schleswig-holsteinischen Bevölkerung

seien besser gewesen, als die Worte mancher Sprecher, die glaubten, die schleswig-

holsteinische Meinung für sich gepachtet zu haben. Die Fassung des Gesetzes sei Beweis

für die Mäßigung und den politischen Realismus des BHE, denn für Einheimische und

Vertriebene müsse gelten: 'Auf ewig ungeteilt!'“

Allein an dem zweiten Sitzungstag der Gesetzeslesung am 22.01.1952 verzeichnete das

Wortprotokoll von Gerlich 13 unterschiedlich lange Redebeiträge und über 20

Zwischenrufe. Dass er dabei die Kontroverse mit anderen Abgeordneten oder zu deren

83 Gerlich, Gerhard: „FDP und Wahlblock“, in: Informationsdienst CDU Schleswig-Holstein, Nr. 15 (15.12.1951), Lübeck/ Kiel 1951, S. 7

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parlamentarischen Beiträgen nicht scheute, sondern sogar suchte, illustriert aus dieser

Debatte die folgende Redenpassage des SPD-Abgeordneten Walter Damm:

„Die Ausführungen des Kollegen Dr. Gerlich zwingen uns jedoch, nun einige Erklärungen

zu machen, obwohl es bisher bei uns nicht üblich war, über Ausschußsitzungen zu

berichten. Herr Kollege Dr. Gerlich, ich bewundere Sie,

(Abg. Gayk: Sehr gut! - Abg. Dr. Gerlich: Herr Kukil hat damit angefangen!)

daß Sie hier im Plenum das Gegenteil von dem vertreten, was Sie bisher nicht nur

vertreten, sondern auch beantragt haben, und außerdem auch noch die Mitglieder des

Ausschusses angreifen, daß sie nicht klar formulierte Anträge gestellt hätten.“84

Mit seinem offensiven Vorgehen erarbeitete sich Gerhard Gerlich in den Folgejahren den

Ruf eines äußerst scharfzüngigen Debattenredners im Landtag. Abgeordnetenkollegen der

Opposition wie auch aus dem Regierungslager, Fachminister und deren Mitarbeiter, der

jeweilige Sitzungsleiter und gelegentlich selbst der jeweils amtierende Ministerpräsident

durften sich dabei vor Gerlichs geschliffenen wie sarkastischen Anmerkungen oft nicht

sicher fühlen. So konnte in der folgenden Wahlperiode, wie beispielsweise am 21.05.1957,

bereits seine Wortmeldung eine entsprechende Erwartungshaltung und gespannte

Aufmerksamkeit auslösen:

„Vizepräsident Siegel: Wird das Wort noch gewünscht? - Herr Dr. Gerlich, bitte!

(Abg. Mohr: So, nun haben Sie es, Herr Strack! Den haben Sie herausgefordert!)“85

Diese Fähigkeiten baute Gerlich sukzessive in verschiedenen Themenbereichen aus

und dies seit seiner Mitgliedschaft im Ausschuss für Volksbildung und Erziehung ab März

1952 in ähnliche offensiver wie polarisierender Weise auch bei schulpolitischen Fragen.

In der Sitzung am 02.04.1952 trug er bei dem ersten Tagesordnungspunkt „Stellungnahme

der SPD-Landtagsfraktion zur schulpolitischen Lage in Schleswig-Holstein“ mit

sophistischen Ausdeutungen zur Geschäftsordnung neben anderen Rednern zu einer

Beratungspause von acht Stunden über die Frage bei, ob zuerst dem Antragsteller oder

dem Kultusminister Pagel das Wort zu erteilen sei. Da anschließend ein SPD-

Abgeordneter mit einem Plakat gegen Missachtung von Minderheitenrechten protestierte,

84 Protokoll LT-SH, 2. WP., 22.01.1952, S. 17885 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 3. Wahlperiode (11.10.1954-20.08.1958),

Kiel 1954-1958, S. 2781; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 3. WP., (mit Datum und Seitenzahl)54

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konnte Gerlich gegen diesen beim Landtagspräsidenten zwar keinen Ordnungsruf, aber

doch eine Rüge erreichen, und formulierte dazu ein von autoritären Elementen geprägtes

Werteverständnis:

„Wenn wir heute schon so viel von der Demokratie gehört haben, dann möchte ich, meine

Damen und Herren, daran erinnern, daß Demokratie nicht nur Diskussion und nicht nur die

Garantie dafür ist, daß die Menschen, die anderer Meinung sind, das Recht und die Pflicht

zur Kritik haben. Zur Demokratie - was ihr nämlich die Zukunft erhalten soll - ist auch ein

gutes Maß von Selbstzucht erforderlich, und diese Selbstzucht, meine Damen und Herren,

wird auch diesem Hause dringend notwendig sein.“86

Als auf der Landtagssitzung am 15.07.1952 über die „Regelung der Liegenschaften in der

industriellen Vertriebenensiedlung Trappenkamp“ debattiert wurde, wurde im Protokoll

dagegen kein Zwischenruf oder Beitrag Gerhard Gerlichs verzeichnet. Dies spricht für die

Auskunft Josef Holeys im Gegensatz zu der Ernst Schöffels, dass der

Landtagsabgeordnete tatsächlich erst ab 1955 für die Belange des Ortes und seiner

überwiegend Sudetendeutschen Bewohner eingeschaltet wurde.87 Vermutlich folgte

Gerlich noch nicht der abschließenden Aufforderung von Ministerpräsidenten Lübke:

„Ich würde es sehr begrüßen, wenn einzelne Abgeordnete, die sich für diese Dinge

besonders interessieren, einmal Gelegenheit nähmen, diese Ansiedlung zu besichtigen,

um sich durch eigenen Augenschein davon zu überzeugen, daß hier tatsächlich eine

Möglichkeit besteht, vielleicht einigen Tausenden von Menschen wieder zu Arbeit, Lohn

und Brot zu verhelfen.“88

Da Gerlich mittlerweile mit einer Anstellung in Neumünster in den Schuldienst

übernommen worden war, dürfte ihn der Artikel „Personalakten werden 'entbräunt'“ in den

Kieler Nachrichten vom 13.10.1952 interessiert haben. Nach diesem Bericht sollten die

meisten Entnazifizierungsunterlagen laut Anordnung des Innenministers mit Ausnahme

derjenigen Dokumente vernichtetet werden, die der Bedienstete seinerzeit selbst

beigebracht habe. Derartige handschriftliche Beiblätter hatte Gerlich 1947 seinem86 Protokoll LT-SH, 2. WP., 02.04.1952, S. 9187 vgl. Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der „Gerhard-

Gerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D (1969), Bl. 3, [Privatbesitz] u. Holey, Josef: Ansprache (Zur Benennung der „Gerhard-Gerlich-Schule), Trappenkamp 12.03.1969, 1 Bl, [Privatbesitz] (im Folgenden: Holey, Ansprache)

88 Protokoll LT-SH, 2. WP., 15.07.1952, S. 6055

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Formular zur Behauptung seiner regimekritischen Haltung im Dritten Reich beigefügt und

durfte sich somit weniger erleichtert als andere Betroffene gefühlt haben. Zu Ausnahmen

in der verfügten Praxis gab Innenminister Pagel auf der Landtagssitzung am 16.12.1952

in Kiel auf die von dem FDP-Abgeordneten Schönemann eingereichte Frage zur „Vorlage

von Entnazifizierungsunterlagen“ Auskunft.

Mit dessen Fachkollegen für den Bereich Finanzen, dem BHE-Abgeordneten Kraft

debattierte Gerlich am 04.02.1953 über „Dienstbezüge der kriegsgefangenen Beamten“

sowie der Lehrerbesoldung dabei über Themen, die ihn potenziell selbst betroffen hatten

oder betrafen. Seinen Kollegen vom Finanz- und Volksbildungsausschuss sprach er eine

Einladung in den Volksbildungsausschuss zu wechselseitigen Besuchen aus und

bekannte sich mit Bescheidenheitstopos und Selbstironie zu seinem Beruf, der ihm bei

kontroverseren Äußerungen oft noch zum ernstgemeinten Vorwurf gemacht werden sollte:

„Ich war einige Male Zuhörer im Finanzausschuß. Ich habe in dieser Zeit einiges gelernt,

und schließlich bin ich ja nicht umsonst ein Schulmeister, der nicht nur lehren will, sondern

gelegentlich auch dankbar etwas annimmt.“89

Im Juni 1953 wurde Gerhard Gerlich auf dem CDU-Landesparteitag in Itzehoe mit 214

von 251 Stimmen als stellvertretender Landesvorsitzender wiedergewählt und erhielt dabei

leicht schlechtere Ergebnisse als sein Kollege von Hassel oder der Vorsitzende Lübke.

Er hatte sich aber im Unterschied zu Innenminister Pagel nicht mit einem

Gegenkandidaten wie einem ehemaligen NS-Oberbürgermeister aus dem weit rechts

stehenden Parteiflügel auseinanderzusetzen.90

Gestärkt durch dieses Ergebnis und beflügelt durch den Gewinn aller

Bundestagswahlkreise in Schleswig Holstein für die CDU im September übte Gerhard

Gerlich in der Landtagsdebatte vom 20.10.1953 zum Thema Flüchtlingsbetreuung Kritik an

dem Gesetzesentwurf über die „Errichtung und Satzung der Hilfsgemeinschaft Schleswig

Holstein (Notgemeinschaft)“. Im Gegensatz zu dem Minister für Arbeit, Soziales und

Vertriebene, Hans-Adolf Asbach, plädierte er aus eigener Kenntnis der Verhältnisse und

der Psyche in den Flüchtlingslagern für eine Absenkung karikativer Hilfsleistungen wie

Möbelspenden und für eine stärkere Aktivierung der Eigenverantwortung, zum Beispiel

89 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.02.1953, S. 492/93 u. S. 496/9790 s. Volkszeitung, 15.06.1953, S. 2

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durch Angebote günstiger Mietwohnungen und Wirtschafts-Kredite. Der BHE hatte für die

derartig organisierten Betreuungsprogramme durch den „Landesverband vertriebener

Deutscher“ eine Bereitstellung mit „erforderlichen Mitteln“ durch die öffentliche Hand

durchsetzen können und vor allem zum Ärger Gerhard Gerlichs so eine Postenwirtschaft

für die eigene Klientel finanzieren können, gegen die der engagierte Abgeordnete und

Vertriebenenfunktionär bis April 1954 opponieren sollte.91

Für die inzwischen in „Gesamtdeutscher Block/BHE“ umbenannte Landtagsfraktion und

deren Anfrage „Betreuung der Spätestheimkehrer“ hatte Gerlich dagegen am 11.02.1954

ebenso Lob übrig wie für die Zusicherung des Sozialministers Asbach, den Eigenheimbau

zu fördern. Aus eigener Anschauung verwies er die positive Wirkung derartiger

Beschäftigung auf die seelische Stabilität von Heimkehrern und in seinem Hinweis auf

persönliche Kontakte zu Selbsthilfebaugruppen in Neumünster deutete er ein weiteres

Themenfeld seiner politischen Engagements an, zumal in diesen Jahre auch

Wohnungsbaugesellschaften oft Flüchtlingsgründungen waren.92

Vor dem Hintergrund, dass von 148 000 Menschen im Jahr 1950 in Schleswig Holstein

1953 noch 30 000 in Flüchtlingslagern lebten, wurde am 25. März 1954 zum

Eingliederungsgesetz des Landes die „Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über

die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten“ beraten.

Dabei beschrieb Gerlich, dessen kühl-rationale und wohlberechnete Formulierungen oft

verletzend auf manche Abgeordneten wirkten, auf eine von ihm nicht gewohnte Weise die

ihm nachvollziehbaren Gefühls- und Gedankenwelt mancher Flüchtlinge und die Gründe

für deren fortwährende Verhaftung in Lagerbehausungen:

„Zum Teil sind es auch die noch bodenverwurzelten Teile unserer ostdeutschen

Heimatvertriebenen, die lieber mit ihrem Kaninchenstall oder sogar mit anderem

Kleinvieh in ihrer Baracke bleiben wollen, als daß sie in eine Mietkaserne eines neuen

Wohnungsbauprogramms mit vorgeschriebenen Kleinstwohnungen einziehen, in denen

sie dann auf Grund der Hausordnung nicht einmal berechtigt sind – ich selbst wohne zum

Beispiel in einem solchen Objekt -, einen Hund oder eine Katze zu halten, noch viel

weniger gar Kleinvieh. Meine Damen und Herren! Das sind doch alles so schwerwiegende

91 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 20.10 1953, S. 940-42 u. S. 944; vgl. Varain, Parteien, S. 28892 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 11.02.1954, S. 1270-72

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Probleme, daß eine Formulierung wie 'sie wollen nicht heraus' sehr leicht mißverständlich

gedeutet werden kann.“93

Bei der Verabschiedung des Gesetzes am 26.04.1954 setzte Gerhard Gerlich gegen den

Widerstand des Koalitionspartners BHE durch, dass für die öffentlich subventionierten

Betreuungsprogramme für Flüchtlinge nicht mehr die „erforderlichen Mittel“, sondern im

Wortlaut lediglich noch „angemessene Zuschüsse“ beschlossen wurden. Für deren

sachgerechte Verteilung nahm er den vom BHE gestellten Sozialminister sogleich

öffentlich in die Verantwortung. Nicht wegen des darauf bezogenen Zwischenruf „Sophist!“

des BHE-Abgeordneten Eginhard Schlachta, sondern wegen eines vom Stenographen

nicht identifizierten Einwurfs des SPD-Kollegen Paul Preuß während seiner Rede regte

Gerlich beim Sitzungsleiter verklausuliert einen Ordnungsruf an. Zur allgemeinen

Heiterkeit wurde er darauf vom Vizepräsidenten des Landtags Walther Böttcher (CDU)

trocken beschieden: „Herr Dr. Gerlich! Ich möchte Sie ebenso eindeutig wie schonend

darauf hinweisen, daß die Leitung der Sitzung hier liegt.“94

In seinem Selbstverständnis und Auftreten ließ Gerlich sich aber nicht dauerhaft irritieren

und als zum Ende der dieser Wahlperiode am 04.08.1954 über die umstrittene

Versetzung fast aller Oberstaatsanwälte diskutiert wurde, ergänzte er seinen Vorwurf der

Überheblichkeit an den SPD-Abgeordneten Heinz Adler mit dem Rat: „Studieren Sie erst

einmal Beamtenrecht!“95

Der resümierenden Begründung des Innenministers Pagel, die Entnazifizierung

abzuschaffen und einen Schlussstrich darunter zu ziehen, dürfte Gerhard Gerlich zum

Ende seiner ersten Wahlperiode im Kieler Landtag aus eigener Anschauung zugestimmt

haben: „Sie wissen sehr genau, daß ich persönlich am Dritten Reich passiv beteiligt

gewesen bin; das möchte ich einmal sehr deutlich aussprechen. Ich bin aber der Meinung

gewesen – und meine Partei mit mir -, daß die - sagen wir einmal - Ausstoßung dieser

Leute, die im Dritten Reich irgendwie tätig gewesen sind, eine falsche Politik war.“96

In den Tagen danach wurde Gerlich erst auf dem CDU Landesparteitag in Bad Segeberg

93 Protokoll LT-SH, 2. WP., 25.03.1954, S. 147894 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 26.04.1954, S. 1516/1517; vgl. Varain, Parteien, S. 288/8995 Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.08.1954, S. 177196 Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.08.1954, S. 1853

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als stellvertretender Landesvorsitzender bestätigt und danach unangefochten auf dem

sicheren Listenplatz 6 für die bevorstehende Landtagswahl nominiert. Da der CDU-

Landesverband Schleswig-Holstein 1954 allerdings noch mitglieder- wie finanzschwach

war und sich nicht von wirtschaftlichen Interessenverbänden vereinnahmen lassen wollte,

wurde jeder Kandidat verpflichtet, für die Wahlkampffinanzierung selbst rund 2000 DM zu

sammeln.97 Bei seiner fortgeschrittenen Etablierung und einem offenkundig

funktionierenden Netzwerk dürfte dies für Gerhard Gerlich allerdings kein Problem

dargestellt haben.

2.2.2) Dritte Wahlperiode (1954-1958)

Bei der Landtagswahl am 12.09.1954 hatte Gerhard Gerlich seinen Wahlkreis Plön-Süd

erneut problemlos direkt gewinnen können und zog als einer von 25 CDU-Abgeordneten in

das Landeshaus ein. Genauso viele Sitze hatte die SPD bekommen, der GB/BHE war

dagegen von 15 Mandaten auf 10 gefallen, so dass für die Fortsetzung einer bürgerlichen

Regierung die FDP mit fünf Sitzen benötigt wurde. Der SSW als Partei der dänischen

Minderheit war hingegen durch die gerichtlich noch angefochtenen

Wahlrechtsverschärfungen nicht mehr im Parlament vertreten, stattdessen war mit dem

Schleswig Holstein-Block (SHB) und vier Abgeordneten eine rechtsgerichtete

Einheimischen-Partei in den Landtag eingezogen.

Bereits bei den Koalitionsverhandlungen hatte der geschäftsführenden CDU-

Landesvorsitzende Kai-Uwe von Hassel den sterbenskranken Friedrich-Wilhelm

Lübke ersetzt und wurde dann als gemeinsamer Kandidat von CDU, BHE und FDP für die

Wahl zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Auf der konstituierenden Sitzung am

11.10.1954 wurde im Landtag zunächst Walter Böttcher (CDU) gegen seinen Vorgänger

Karl Ratz (von der prozentual stärkeren) SPD zum neuen Landtagspräsidenten gewählt

und anschließend bekam von Hassel die 36 Stimmen seiner Bündnispartner, während der

vorgeschlagene Gegenkandidat Max Ehmke, ein früherer CDU-Spitzenpolitiker und Kieler

Oberbürgermeister lediglich 28 Stimmen von der Opposition erhielt.

97 s. Varain, Parteien, S. 20859

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Im neuen Kabinett fielen die Ministerämter für Soziales und Finanzen an den BHE, das für

Justiz an die FDP und dem neue geschaffenen Kultusministerium stand anfangs Gerlichs

Parteifreund Helmut Lemke vor. Ihn dürfte der im Amt verbliebene Innenminister Pagel

nicht gemeint haben, als er seinem Tagebuch am 13.10.1954 von dieser

Regierungsmannschaft als einer „Ansammlung von Unzulänglichkeiten“ schrieb.98

Mit Beginn der Wahlperiode fügte Gerlich der Reihe seiner Ausschussmitgliedschaften

auch die im Fachbereich Finanzen hinzu, und sollte dort 1961 noch

Ausschussvorsitzender werden. Diese Besetzung dieser eher nachrangigen Positionen

sollte 1954 zu einer ersten größeren Belastungsproben der jungen Wahlperiode werden,

denn die Regierungsfraktionen verweigerten anfänglich zum ersten Mal der größten

Fraktion SPD, derartige Positionen gleichfalls nach dem üblichen Proporz des

Wahlergebnisses bekleiden zu können.

Gerhard Gerlich versuchte diese erneute Ausgrenzung zusammen mit anderen CDU-

Politikern im Pressegespräch mit dem Eindruck und der Vermutung zu begründen, die

größte Oppositionspartei habe durch die Vorsitzendenämter Einfluss auf die

Landesverwaltung gewinnen wollen, was eine gebotene Trennung von Legislative und

Exekutive verletzt hätte.99 Mit dem Boykott des Ältestenrats und dem demonstrativen

Rückzug vom Amt des Landtagsvizepräsidenten erreichte die SPD in Januar 1955

dennoch das ihr zustehende Recht auf vier Ausschussvorsitze und führte damit diese

gesuchte Argumentation ad absurdum.

Unter den neuen Abgeordnetenkollegen in den Regierungsfraktionen hätte Gerhard

Gerlich auf einen alten Bekannten aus seinen NSDAP- (und geheimgehaltenen) SS-Zeiten

treffen können, denn der spätere Fraktionsvorsitzende des BHE, Heinz Kiekebusch, war

ab 1941 in Prag als Rechtsanwalt, Steuerberater und Rechtsrat an der der deutschen

Karls-Universität aktiv gewesen.100 Ob die beiden Parlamentarier sich über den Ort von

98 Oelze, Dorothea: Wiederentdeckt: Die Tagebücher des schleswig-holsteinischen Innenministers Paul Pagel (29.12.1894-11.8.1955). Gründungsjahre und Regierungskrise Schleswig-Holsteins im Spiegel einer zeitgenössischen Quelle, in: Historisch-politische Mitteilungen. Archiv für christlich-demokratische Politik, Bd. 16 (2009), S. 319

99 Volkszeitung, 26.11.1954, S. 7100 Smiatacz, Carmen: Ein gesetzlicher „Schlussstrich“?, Der juristische Umgang mit der

nationalsozialistischen Vergangenheit in Hamburg und Schleswig-Holstein, 1945-1960, Berlin 2015, S. 60

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Gerlichs Promotion oder weitere Gemeinsamkeiten aus den Kriegsjahren in dieser Stadt

ausgetauscht haben, ist allerdings nicht zu ermitteln gewesen. Die Gelegenheit ihrer

Zusammenarbeit in den Themenfeldern Schule und Finanzen ergab sich bereits auf der

Landtagssitzung am 22.02.1955, als Kiekebusch bei der Feststellung des Haushaltsplanes

die Kürzung des Schulbaumittel im Landeshaushalt betonte, die in Zukunft vor allem als

Zuschüsse statt als Darlehen gewährt werden und mit zu erwartenden Mitteln des privaten

Kapitalmarktes ergänzt werden sollten.101

Möglicherweise fühlte sich Gerhard Gerlich durch derartige Zusammenhänge und

Verbindungen ermutigt, nun in seinem Wahlkreis in solitärer Initiative und mit fragwürdigen

Mitteln einen in seinem Wahlkreis seit 1949 begonnenen und auf 13 Jahre angelegten

Schulversuch der „Volksoberschule“ (VOS) in Preetz zu torpedieren. Es handelte sich um

einen Reformversuch mit den hier nicht getrennten, sondern durchlässig organisierten

gängigen Schularten Volksschule, Mittelschule und Gymnasium, der in Form einer

kooperativen Gesamtschule angelegt worden war und nach der Regierungsübernahme ab

1950 auch von dem kommissarischen Kultusminister Pagel eine Fortsetzung zugesichert

bekommen hatte.102 Gegen die jahrelangen massiven Widerstände vor Ort, der Kommunal-

und Landespolitik inklusive des eigenen Koalitionspartners, anfänglich auch der

Kultusminister, Fachexperten sowie der öffentlichen Meinung sollte es Gerlich Gerlich

quasi im Alleingang gelingen, nach einer denkwürdigen Redeschlacht im Landtag 1960

das Projekt durch einen dubiosen Vertragsschluss 1962 schließlich zum Scheitern zu

bringen.

Den Auftakt machte Gerlich auf einer CDU-Veranstaltung vor Ort, indem er der als

„Mammutschule“ abqualifizierten VOS für eine sogenannte „Entflechtung“ sogleich seine

eigenen Vorstellungen mit mehreren Rektoren gegenüberstellte, wie die „Preetzer Zeitung“

am 02.03.1955 zur allseitigen Überraschung berichtete: „Dr. Gerlich teilte mit, daß für den

Weiterbau der Preetzer Volksoberschule in diesem Jahre keinerlei Gelder vorgesehen

sind. Ja, er betonte sogar, daß er nicht verstehen könne, warum in dieser Schule so viele

Schulkinder aus drei verschiedenen Schulsystemen zusammengefaßt seien. 'Noch in

diesem Jahr jedoch wird eine Lösung der Preetzer Schulprobleme gefunden werden, die

362, Anm. 223101 s. Protokoll LT-SH, 3. WP., 22.02.1955, S. 428102 Christiansen, Julia: Die Volksoberschule Preetz. Eine Rekonstruktion ihrer Geschichte, Kiel 1996

(Staatsexamensarbeit), S. 5861

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sowohl Schüler als auch Schülereltern befriedigt.' Wie die Lösung aussehen könnte,

deutete Dr. Gerlich auch an, der am Montag mit Kultusminister Dr. Lemke eine

Besprechung gerade über diese Frage gehabt hat.“

Umgehend formierte sich in Preetz eine breite Protestbewegung aller Parteien des

Magistrats (inklusive der örtlichen CDU-Vertreter) und des Elternbeirats, die mit einer

Protestresolution für den „Weiterbau der VOS“ bei Kultusminister Lemke vorstellig wurde

und auf die vertraglichen Verpflichtungen des Landes zur Fertigstellung bis 1956 hinwies:

„Im Jahre 1950 wurde der erste Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der

Stadt Preetz über den Bau der Volksoberschule geschlossen. Auf Bitten der

Landesregierung, die die festgesetzten Termine nicht einhalten konnte, wurde dann im

Jahre 1953 ein zweiter Vertrag geschlossen, nachdem sich die Stadt Preetz bereit erklärt

hatte, das erforderliche Gelände für die Schule kostenlos dem Land Schleswig-Holstein zu

übereignen.“103

Die Delegation wurde zwar anstelle des Kultusministers persönlich durch den

Ministerialdirektor Kock empfangen, aber die Zurückweisung und das öffentliche Dementi

von Gerlichs Eigenmächtigkeit, im Namen der Landesregierung derartige

Schließungspläne zu verkünden, hätte kaum deutlicher ausfallen können: „Im Verlaufe

dieser Unterredung teilte Min. Dir. Kock mit, daß die von Dr. Gerlich kürzlich in Preetz

wegen der Volksoberschule gemachten Äußerungen keinesfalls die Ansicht oder Meinung

des Ministers darstellten. Dr. Gerlich habe wohl mit Dr. Lemke über die Volksoberschule

gesprochen und auch diesbezügliche Vorschläge unterbreitet, denen der Minister jedoch

nicht zugestimmt habe.“104

Scheinbar ungerührt von dieser öffentlichen Blamage unternahm Gerlich stattdessen mit

der ihm eigenen Hartnäckigkeit einen modifizierten, aber inzwischen skeptischer

aufgenommenen Versuch vor Ort, wie aus einem Redemanuskript vom 01.04.1955 in den

Aktenbeständen des Preetzer Stadtarchivs hervorgeht: „Einige Tage nach der Unterredung

war Dr. Gerlich wiederum in Preetz und beharrte auf seinem Standpunkt, die VOS zu

entflechten. Sein Gedankengang, das jetzige Gebäude zu einer reinen Oberschule zu

machen, eine neue Mittelschule zu bauen und zwei neue Volksschulen in Preetz zu

103 Preetzer Zeitung, 11.03.1955, S. 4104 Preetzer Zeitung, 16.03.1955, S. 4

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errichten, klingt fantastisch, wenn nur die rauhe Wirklichkeit nicht anders aussähe und wir

Eltern es auch gar nicht wünschten.“105

Der Kultusminister Lemke kam 1955 noch zu mehreren Ortsterminen und langen

Besprechungen nach Preetz, vermied aber eine Festlegung, die der öffentlichen

Rückendeckung für Gerlich durch den Landesvorstand des Philologenverbandes für das

Vorgehen gegen "Mammutschulen" widersprochen hätte. Der Minister und Parteifreund

war gewiss erleichtert, diesen Problemfall ein Jahr später an seinen Nachfolger Edo

Osterloh abgeben zu können.106

Auf Landesebene wagte Gerlich ebenfalls im März 1955 eine weitere Kraftprobe, denn bei

der Landtagsdebatte am 31.3.1955 über den NDR-Staatsvertrag und die Liquidation der

Vorgängerinstitution des Nordwestdeutschen Rundfunks kritisierte er die späte Vorlage

des Papiers, sprach angebliche Versäumnisse bei den Ausschussberatung teils offen, teils

mit Andeutungen an und beantragte im Plenum eine Rücküberweisung dorthin.

Landtagspräsident Böttcher widersprach spöttisch dieser Kritik von dem „so tatkräftigen

Unterstützer bei der Einhaltung der Geschäftsordnung“ Gerlich, der nach der Ablehnung

seines Antrags sogleich auch gegen die gesamte Vorlage (wie nur noch ein weitere

Abgeordneter) stimmte. Dieses abweichende Votum wurde von der Volkszeitung als

sichtbarer „kleiner Hauskrach" innerhalb der CDU interpretiert, da „Dr. Gerlich (vermutlich

mit Billigung des Ministerpräsidenten von Hassel) die besondere Berücksichtigung von

Vertretern der Kirche in dem Programmbeirat bzw. dem Rundfunkrat“ gefordert hatte.107

Obwohl Gerlich erst mit Beginn der jungen Wahlperiode ordentliches Mitglied im

Finanzausschuss geworden war, nahm er in öffentlichen Auftritten bereits die Stellung

eines ausgewiesenen Experten in Anspruch und wurde über seine tatsächlichen

Zuständigkeiten hinaus öfter von weniger selbstbewussten Abgeordneten in dieser Rolle

bestätigt. Diese verließen sich zunehmend auf seine Detailkenntnisse und vertrauten

seinem guten Gedächtnis wie auch seinen Ratschlägen (anstelle des tatsächlichen

Finanzausschussvorsitzenden), wie sich z.B. im Protoktoll der Haushaltsberatungen am

24.03.1955 illustrieren lässt:

105 Pauselius, Peter: ...trotz der Schwere der Zeit..., Dokumentation über das Leben in der Stadt Preetz 1945-1955, Neumünster/ Preetz 2009, S. 796, Anm 302; im Folgenden: Pauselius, Preetz

106 s. Pauselius, Preetz, S. 799 u. Kieler Nachrichten, 08.06.1955, S. 4 u. 6107 Volkszeitung, 01.04.1955, S. 8 u. Protokoll LT-SH, 3. WP., 31.03.1955, S. 642/43

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„(Abg. Lechner: Wo ist die Deckung, Herr Arfsten? - Abg. Dr. Gerlich: Die Sache ist

gedeckt, heben Sie ruhig die Hand! - Heiterkeit.)

Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.“108

Bei den Haushaltsberatungen am Folgetag hatte die CDU-Fraktion koalitionsintern leichte

Kürzungen an den öffentlich subventionierten Betreuungsprogrammen für Flüchtlinge in

dem Regierungsvorschlag durchgesetzt, so dass Gerlich in seinem Debattenbeitrag eine

positive Würdigung der betreffenden Hilfsgemeinschaft, des dahinterstehenden

Landesverband der vertriebenen Deutschen und den für seine Klientel erfolglosen BHE

leicht fallen konnte. Seine entsprechende überlegene Position artikulierte er freimütig wie

selbstbewusst im Plenarsaal:

„ Ich glaube, ich darf diese positiven Äußerungen gerade deswegen machen, weil ich in

den Kreisen der organisierten Heimatvertriebenen als einer der schärfsten Kritiker bekannt

- ich möchte fast sagen, berüchtigt bin

(Abg. v. Herwarth: Aber nicht nur da! - Heiterkeit).109

Dass der Kultusminister Helmut Lemke wegen seiner negativen Erfahrungen mit dem

eigenmächtigen, problematisch agierenden und zuweilen provokativ auftretenden Gerhard

Gerlich diesen im Sommer 1955 in eine nähere Vertrauensstellung berief, erscheint trotz

der ausgeprägten, aber wenig greifbaren Machtstellung dieses Kollegen im CDU-

Landesvorstand wie auch im schleswig-holsteinischen Landtag wenig plausibel. Vielmehr

war wohl die Aussicht des gleichfalls machtbewussten und gut vernetzten Lemke, wenige

Monate später auf den Posten des Innenministers zu wechseln, ebenso ausschlaggebend

wie der Umstand, dass in Schleswig Holstein, solange die CDU die Regierung führte,

immer ein katholischer Abgeordneter parlamentarische Vertreter des Kultusministers

war.110

Bei jedem anderen Repräsentanten als Gerlich hätten für diese redeberechtigten

Stellvertreter der Ministers bei dessen Abwesenheit im Plenum oder anderen Terminen

gewiss diejenigen Beeinträchtigungen gegolten, die der SPD Abgeordnete Eugen Lechner

am 23.05.1955 im Landtag beschrieben hatte: „Ich möchte vor allem wegen der Kollision

108 Protokoll LT-SH, 3. WP., 24.03.1955, S. 764109 Protokoll LT-SH, 3. WP., 25.05.1955, S. 779110 s. Varain, Parteien, S. 246

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der Interessen sagen, daß die Parlamentarischen Vertreter sich insoweit auch als der

Exekutive zugehörig betrachten, daß sie also hier ganz offen sagen: Wir sind nun einmal

eine Art verlängerter Arm des Ministers und müssen insoweit Rücksicht darauf nehmen

und uns entsprechend verhalten; das heißt, daß wir bei der Legislative ein wenig gehindert

sind.“111

Nachdem Gerlichs Ernennung zum Parlamentarischen Vertreter des Kultusministers am

04.07.1955 im Landtag bekannt gegeben worden war, nutzte er die Möglichkeiten dieser

Stellung und gab diese auch nicht (wie vorgeschlagen) ab, als er 1961 zusätzlich auf den

Vorsitz des Finanzausschusses nachrückte. Mit dieser neuen Machtstellung im Sommer

1955 korrespondiert auffällig sein Engagement zugunsten der Industriesiedlung

Trappenkamp, von deren sudetendeutschen Vertretern Gerlich um Rat und Hilfe gebeten

worden war.

Die dortigen militärischen Liegenschaften drohten im Zuge der Wiederbewaffnung an die

Bundeswehr zu fallen und Gerlichs Engagement bei den Finanzbeschlüssen am

11.10.1955 sollte sich auch auf diese Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung beziehen:

„Auf die eigentliche Frage des Nachtragshaushaltes – die Errichtung von 100 Stellen für

die Bauvorhaben im Zusammenhang mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag -

zurückkommend, erklärte Dr. Gerlich, daß man der Landesregierung dankbar sein müsse,

vorzeitig diesen Nachtragshaushalt vorgelegt zu haben, da dadurch verhindert würde,

daß ein militärischer Apparat für die militärischen Bauten aufgezogen würde.“112 Auch als

Innenminister sollte Helmut Lemke ebenso wie der Ministerpräsident in den folgenden

Monaten durch einen von Gerlich losgetretenen Skandal beschäftigt werden, der am

19.12.1955 vorläufig in der Schlagzeile der Volkszeitung mündete: „Diskussion um den

'Fall Dr. Gerlich'. Von Hassel lehnt es ab, einem Lehrer den Mund zu verbieten“.

In einer Diskussionsveranstaltung mit Schülern in Bad Bramstedt am 07.12.1955 über die

Wiedervereinigung hatte Gerhard Gerlich, noch unter dem Eindruck einer Reise im

Ausland und der dort erfahrenen Skepsis zu einer Rückkehr vertriebener Deutschen in die

ehemaligen Ostgebiete sensationellerweise erklärt, die deutschen Rechtsansprüche auf

das Gebiet jenseits jenseits der Oder-Neiße-Linie seien vorbelastet „vom Nazismus und

111 Protokoll LT-SH, 3. WP., 23.05.1955, S. 680112 Volkszeitung, 12.10.1955, S. 9

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Nationalismus". Stattdessen plädierte er für eine Art gemeinsamer föderalistischer

Regierung durch Polen und Deutsche in Form eines „Kondominiums“ und antwortete auf

den empörten Widerspruch der meisten Schüler mit seinem Vorwurf des „engstirnigen

nationalen Chauvinismus".

Dies berichtete die „Segeberger Zeitung“ vom 06.12.1955 unter der Überschrift

„Deutschland kann sich nicht selbst regieren . . sagt Dr. Gerlich. Ungeheure Empörung

über den Parlamentarischen Vertreter des Kultusministers in der Schülerversammlung in

Bad Bramstedt“. Den Titel leitete die Zeitung dabei aus der folgenden Passage ihres

Berichtes her: „Ein anderer Schüler gab zu bedenken, daß Polen in seiner Geschichte

noch nie bewiesen habe, sich längere Zeit selber regieren zu können. Dr. Gerlich

entgegnete, dasselbe könne man auch von Deutschland behaupten.“ Wie die Redaktion

noch mehrfach in eigener Sache berichten musste, bezog sich in den folgenden heftigen

Debatten die spätere Kritik Gerlichs und des CDU-Landesgeschäftsführers Hanns Pusch

sowie deren fragwürdige Methoden der parteieigenen Pressepolitik nicht auf den korrekt

wiedergegeben Inhalt von Gerlichs Auftreten, sondern lediglich auf die so hergeleiteten

Schlagzeile.113

Vielfach wurden nun in der gesamten Landespresse durch Leserbriefe strenge

Maßnahmen gegen Gerlich als „Verzichtspolitiker“ gefordert, z.B. die sofortige Einleitung

eines Verfahrens gegen den in Bad Bramstedt als „parlamentarischer Vertreter des

Kultusministers" angekündigten Redner. Neben dem BHE forderten um den

Jahreswechsel herum verschiedene Gliederungen von Flüchtlingsverbänden seine

kritische Befragung bis hin zu einem Ausschluss aus dem „Landesverband vertriebener

Deutscher.“ Auch der Landesverband des Koalitionspartners FDP forderte in einer

Pressemitteilung die Prüfung, ob Gerhard Gerlich als Oberstudienrat in Neumünster noch

im Schuldienst tragbar sei, womit sich auch der CDU-Landesausschuss sowie der

Ministerpräsident zu befassen hatte.114

Weder der im Januar vereidigte neue Kultusminister Edo Osterloh, noch sein wohl kaum

freiwillig übernommener Parlamentarischer Vertreter Gerlich sollten sich mit diesem

losgetretenen Skandal im Kieler Landtag direkt befassen müssen. Stattdessen fiel

113Segeberger Zeitung, 24.12.1955, S. 9 u. 08.02.1956, S. 9114 s. Volkszeitung, 19.12.1955, S. 2

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Innenminister Lemke auf der Sitzung am 06.02.1956 in der Fragestunde die höchst

problematische Aufgabe zu, stellvertretend die Redeinhalte, die Motivlage und das

Vorgehen Gerlichs mit Missverständnissen seitens der Bramstedter Schüler oder

Missdeutungen der Segeberger Zeitung verharmlosend zu interpretieren. Diese

dokumentierte den Wortlaut dieser ministeriellen Erklärung mit einer erneuten

„Richtigstellung zum Fall 'Dr. Gerlich'“ und ihrer entsprechenden Korrektur.115 Zu Beginn

dieser Landtagssitzung am 06.02.1956 hielt Gerhard Gerlich noch eine Rede über

sozialen Wohnungsbau und die kulturelle Betreuung von Heimatvertriebenen, hatte sich

aber vor dem Tagesordnungspunkt mit diesem für ihn absehbar prekären Thema schon

wegen einer früheren Zusage für eine Vortragsveranstaltung in Schleswig entschuldigen

lassen, wie Lemke in der aktuellen Fragestunde auf die Erkundigung nach der

Anwesenheit des Betreffenden erklärte.116

Fünf Tage zuvor hatten sich die Abgeordneten des Hauses mit einem weiteren Auswuchs

einer allzu weitgehend beschlossenen Entnazifizierungsregelung auseinanderzusetzen.

Der ehemalige Lübecker NS-Polizeipräsident Walther Schröder, SS-Polizeiführer von

Lettland und wegen wahrheitswidrigen Leugnens verurteilter Kriegsverbrecher, war auf

diese Weise ebenfalls nachträglich in die Kategorie V (entlastet) eingestuft worden und

hatte nun eine Entschädigung von 100 000 DM für abhanden gekommene

Einrichtungsgegenstände aus seiner ehemaligen Dienstvilla beantragt.117 Als der

Oppositionsführer Wilhelm Käber (SPD) im Plenarsaal dessen Einzelforderungen mit

Empörung aufzählte, konnte sich auch Gerhard Gerlich eines Kommentars nicht enthalten:

„Position 202: 100 Schulhefte und fünf Notizbücher.

(Abg. Adler: Donnerwetter! - Abg. Dr. Gerlich: Kluge Vorratswirtschaft! - Heiterkeit.)“118

Ebenfalls im Parlament wurde im Mai 1956 ein seltenes Mal sichtbar, wie umfassend und

ohne Rücksicht auf das Ansehen anderer Gerhard Gerlich nach seinem Selbstverständnis

selbst hochrangige Entscheidungsträger in die Pflicht zur Umsetzung seiner eigenen Ziele

zu nehmen pflegte. Dies konnte aktuell Helmut Lemke bei der erstmals gewählten

115 Segeberger Zeitung, 08.02.1956, S. 9116 Protokoll LT-SH, 3. WP., 06.02.1956, S. 1465117 s. Danker, Vergangenheitsbewältigung, S. 30 u. Kasten, Bernd: „Das Ansehen des Landes Schleswig-

Holstein“. Die Regierung von Hassel im Umgang mit Problemen der nationalsozialistischen Vergangenheit 1954-1961, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 118, 1993, S. 268; im Folgenden: Kasten, Hassel

118 Protokoll LT-SH, 3. WP., 01.02.1956, S. 128367

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Gemeindevertretung von Trappenkamp oder bei dem Neumünsteraner Streit über den

Stadtratsposten von Gerlichs Bruder Walter betreffen sowie dauerhaft bei der

„Entflechtung“ der Volksoberschule Preetz auch den neuen Kultusministers Edo Osterloh,

der öffentlich Gerlichs Position entgegen seiner anfangs zustimmenden Überzeugung zu

vertreten hatte. Dieser Haltung entspricht ein Zwischenruf im Landtag vom 30.05.1956 und

eine ebenfalls seltene Retourkutsche für Gerlich, als der CDU-Abgeordnete Carl Arfsten

zum Haushaltsplan den in diesen Punkt zuständigen Minister Osterloh ungleich

respektvoller ansprach:

„Ich sehe, daß der Herr Kultusminister inzwischen auch wieder erschienen ist. Ich darf

dem Herrn Minister eines sagen. Was wir über die nicht durchgeführten Schulbauten

gesagt haben, gilt nicht für seine Amtsperiode; er soll sich nicht beleidigt fühlen.

(Heiterkeit. - Abg. Dr. Gerlich: Aber die Verantwortung erträgt er!)

- Für das Vergangene, Herr Dr. Gerlich, kann er niemals die Verantwortung tragen. Ich bin

überzeugt, daß er für das, was jetzt geschieht, die Verantwortung freudig tragen wird.

(Abg. Lechner: Für die Vergangenheit haben wir den Parlamentarischen Vertreter! -

Heiterkeit.)“119

In diesem Verhältnis zu Osterloh sollte Gerlich dauerhaft der überlegene und Druck

ausübende Part bleiben, auch weil er trotz seiner bisherigen Skandale dennoch auf dem

Landesparteitag am 10.06.1956 offenkundig unangefochten als stellvertretender CDU-

Landesvorsitzender wiedergewählt wurde, wobei in den führenden Zeitungen

Landespresse keine einzelnen Stimmergebnisse vermerkt worden waren.120 Osterloh sollte

es in den folgenden Jahren nicht an öffentlichem Lob für den als überaus fleißig gelobten

Gerlich fehlen lassen und nahm mit ihm zugleich oft die in Schleswig-Holstein immer noch

argwöhnisch betrachteten Katholiken in Schutz. So schrieb er z.B. in in der CDU-

Zeitschrift „Wort und Bild“ vom September 1958: „Von den 27 Abgeordneten der CDU-

Landtagsfraktion gehört einer der katholischen Kirche an. Gerade dieser Parteifreund

genießt bei allen Parlamentariern ohne Unterschied der Parteien besonderes Ansehen

wegen seiner sachlichen und politischen Kenntnisse und Fähigkeiten.“121

119 Protokoll LT-SH, 3. WP., 30.05.1956, S. 1817120 ab 11.06.1956 weder in Lübecker Nachrichten, Holsteinischer Courier, Kieler Nachrichten, Flensburger Tageblatt, Segeberger Zeitung oder Volkszeitung121 WuB, CDU-SH, Nr. 8/1958, S. 14

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

In der sozialdemokratischen Volkszeitung sollte Osterloh hingegen als „gleichgeschaltet“

und sein mächtigerer „Vertreter“ Gerlich offen als sein eigentlicher Gegenspieler

bezeichnet werden.122 Jenseits eines öffentlich zu erzielendes Effektes wurde zu diesem

vor allem für Osterloh problematischen Verhältnis von einem Redakteur in der

evangelischen Landeskirche an einen geheimen Kreis die folgende Notiz vom 24.06.1957

im „Vertraulichen Informationsdienst“ versandt, die nach der Lektüre sofort zu vernichten

waren und in der es ungleich authentischer hieß:

„Zwischen Kultusminister Osterloh und seinem parlamentarischen Vertreter, Oberstud.Rat

Dr. Gerlich (kath.), ist es zu tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten gekommen.

Der einzige katholische Landtagsabgeordnete Kiels macht sich durch seine scharfen und

oftmals eigensüchtigen politischen Machenschaften verhasst. Auch seine Bindungen zu

den katholischen Organisationen lockern sich immer mehr.“123

Entsprechenden Einfluss auf ein solches persönliches Verhältnis zu Minister Osterloh

mochten zuvor die beiden Redebeiträge Gerlichs am 03.07.1956 im Kieler Landtag über

die ersten Gemeinderatswahlen in Trappenkamp gehabt haben, die dieser zu den

skandalösen Umständen ihrer Nichtanerkennung bzw. den Zwang zu Neuwahlen

abgegeben hatte. Diese werden im Detail im Kapitel 2.3.2 „Im Gründungsjahr 1956 der

selbstständigen Gemeinde Trappenkamp“ dieser Untersuchung analysiert. Wesentliche

Züge aller dortigen Debattenbeiträge hat Claus Dietrich Bechert in seiner Chronik der

Gemeinde Trappenkamp von 1976 dokumentiert.124

Ergänzend problematisierte Oppositionsführer Wilhelm Käber (SPD) in der Sitzung am

02.10.1956 ohne direkte Namensnennung von Gerhard Gerlich die Hintergründe der für

die SPD knapp verlorenen Wiederholungswahl, nahm den Ministerpräsidenten von Hassel

ohne dessen Widerspruch für die Feststellung in Anspruch, dass der Demokratie in

Trappenkamp mit dem (von Gerlich am 03.07.1956 verteidigten) dortigen Vorgehen kein

122 Volkszeitung, 03.09.1958, S. 2 u 27.10.1958, S. 2123 Evangelischer Presseverband Schleswig-Holstein e.V. (Hrsg.): Vertraulicher Informationsdienst.

Kirchliche Informationen für Schleswig-Holstein, Nr. 2/1957 (24.06.1957), S. 8 (Kleine Meldungen), in: Landeskirchliches Archiv Kiel [ 94 (Dokumentation) Nr. 2/1957, Vertraulicher Informationsdienst]; vgl. Linck, Stephan: Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihrVerhältnis zum Judentum, Kiel 2013, S. 285

124 Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976, S. 84-89; im Folgenden: Bechert, Chronik

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Dienst erwiesen worden sei und forderte gemeinsame Gesetzesänderungen, um derartige

Manipulationen künftig auszuschließen.125

Während dieses Teils von Käbers Rede verzeichnete das Wortprotokoll keinen

Zwischenrufs Gerlichs, dagegen zeigte er am Folgetag in der Haushaltsdebatte während

des Beitrags des SHB-Abgeordneten Otto Eisenmann zum Thema des Turnhallenbaus

seine Gestaltungsmacht für manche allzu deutlich auf:

„ Meine Damen und Herren! Daran ist doch gar kein Zweifel - -

(Zuruf des Abg. Dr. Gerlich: Das kommt in Ordnung!)

- Herr Dr. Gerlich?

(Abg. Dr. Gerlich: Das bringen wir wieder in Ordnung!)

- Das hoffe ich auch; ich nehme an, es ist ein Versehen, daß der Betrag gestrichen worden

ist.

(Abg. Dr. Gerlich: Ja, ja! - Abg. Siegel: Sind Sie, Herr Dr. Gerlich, eigentlich der

Finanzminister?)126

Als Anlass zu seiner umfassenden Kritik sowohl an diesem Minister, wie auch an dessen

Kollegen Osterloh und Asbach für Soziales sowie am Ministerpräsidenten nahm Gerlich

auf der nächsten Sitzung am 08.10.1956 eine ihm anonym überlassene Denkschrift zu

Gunsten von ehemaligen Berufsoffizieren und Führern des Reichsarbeitsdienstes (RAD)

aus dem Dritten Reich. Dieses Klientel war nach Kriegsende anfänglich aus dem

öffentlichen Dienst des Landes entlassen und durch die „131er“-Regelung rehabilitiert

worden, aber Gerlich sah die Betreffenden in „unterwertigen Beschäftigungen“ als noch

nicht angemessen reintegriert an.127 Er war zwar selbst Abgeordneter einer

Regierungsfraktion und setzte dennoch auch am 28.01.1957 in seinem forschen

Umgangston wiederum gegenüber dem BHE-Kollegen Hans-Adolf Asbach bei dem Thema

„Wohnungsbau 1957/58“ Standards in seinem robusten Umgang mit Vertretern der

Landesregierung: „Wir sollten uns darin einig sein, daß wir dem Sozialminister nicht nur

Vorhaltungen machen - er verträgt allerhand; (Heiterkeit).“128

125 s. Protokoll LT-SH, 3. WP., 02.10.1956, S. 1940126 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.10.1956, S. 2010127 Protokoll LT-SH, 3. WP., 08.10.1956, S. 2077-86, darin S. 2078/79128 Protokoll LT-SH, 3. WP., 28.01.1957, S. 2453

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

In diesen Monaten wurde zudem im CDU-Landesvorstand im Verborgenen ein Konzept

ausgearbeitet, nach dem die Partei in den entscheidenden Stellen der Landesverwaltung

Vertreter mit ihrem Parteibuch platzieren sollte, um so ihren Einfluss auf Entscheidungen

und Abläufe dauerhaft sichern zu können. Ein Strategiepapier, das vom CDU-

Landesfachausschuss für öffentliche Verwaltung am 13.09.1956 entworfen wurde und vom

CDU-Landesvorstand am 16.01.1957 behandelt wurde, war folgerichtig unter der Maxime

formuliert: „Darüber hinaus sind diese Verwaltungsangehörigen mit CDU-Gesinnung die

einzigen, auf die wir auch dann noch rechnen können, wenn die politische Führung der

Verwaltung einmal in andere Hände übergehen sollte.“129 Als dieses Konzept im August

1962 öffentlich bekannt wurde, führte es zu einer erregten Landtagsdebatte, in der der

stellvertretende Landesvorsitzende Gerhard Gerlich größere Nervenstärke und

Souveränität zeigen sollte als der in den Sitzungen der Parteigremien gleichfalls beteiligte

CDU-Landesvorsitzende und Ministerpräsident von Hassel.

Federführend für derartige CDU-Personalpolitik war damals der Vorstandskollege und

Innenminister Lemke zuständig gewesen, der sich wohl kaum zufällig im Landtag am

09.04.1957 bei den Haushaltsdiskussionen in einem prekären Einzelfall entsprechenden

Vorwürfen von Oppositionsführer Käber ausgesetzt sah. Lemke hatte kurz zuvor während

dessen Dienstabwesenheit die Entlassung des langjährigen Leiters der

Entschädigungsbehörde im Sozialministerium inszeniert, der selbst im Dritten Reich

Repressalien erlitten hatte und bereits 1952 über die Benachteiligung der NS-Verfolgten

bei einer Wiedergutmachung durch das Land geschrieben hatte: „Mit Recht weisen sie

darauf hin, dass für die sogenannten 131er genügend Geld vorhanden ist. Die von der

Landesregierung vertretende Politik der allgemein Befriedung wird gefährdet, wenn die

ehemals politisch Verfolgten immer wieder gegenüber früheren Mitgliedern der NSDAP

benachteiligt werden.“130

Diesen Behördenleiter mit einem SPD-Parteibuch ließ Lemke nun erklärtermaßen durch

einen Freund aus seiner Schulzeit ersetzen, der zudem Mitglied in der NSDAP gewesen

war. Als der SPD Abgeordneter Adler in Zweifel zog, dass eine derartige

Parteizugehörigkeit die richtige Voraussetzung für ausgerechnet dieses Amt sei, warf der

129 Varain, Parteien, S. 275 u. Anm. 1135130 Zit. nach Danker, Vergangenheitsbewältigung, S. 39

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

SHB-Abgeordnete Eisenmann ein: „ Es hat auch anständige Mitglieder gegeben!“131

Eine vergleichbare Umkehrung von Verantwortlichkeiten und Werten seit der NS-Zeit

vollzog Gerhard Gerlich noch radikaler, als er im November 1957 bei der Debatte um das

Landesbesoldungsgesetz eine Rede über die Verpflichtung der Landesregierung

gegenüber diesen ehemaligen Nationalsozialisten und 131er-Betroffenen hielt. Wieder

setzt Gerlich sich für die Ansprüche von ehemaligen Berufsoffizieren und Führern der NS-

Gliederung des Reichsarbeitsdienstes (RAD) ein und formulierte dazu: „Denn wir sind der

Überzeugung, daß es bei der Anwendung der jetzt in der Zweiten Novelle uns gegebenen

Möglichkeiten in den fünf Haushaltsjahren, die vor uns liegen, möglich sein wird, Härten zu

vermeiden und diesem Personenkreis auch weiterhin das Vertrauen zu erhalten, das er zu

unserer Landesregierung und zu uns allen gefunden hat.“132

Damit definierte Gerlich, der seine SS-Mitgliedschaft fortwährend verschleierte, eine

Umkehr der Bringschuld: nicht ehemalige Nationalsozialisten wie er hatten ihre echte

Umkehr zu demokratischer Überzeugung unter Beweis zu stellen, sondern das

Gemeinwesen der Nachkriegszeit hatte um die Täter der NS-Zeit offenkundig mehr zu

werben als um das Vertrauen von deren einstigen Opfern. Eine derartige Haltung von

Selbstgewissheit und autoritärem Überlegenheitsgefühl mochte auch der aktuellen

Konfrontation in Neumünster um den Stadtratsposten seines Bruders zugrunde liegen.

In deren Verlauf hatte Gerhard Gerlich Ende 1957 die ausgleichenden Schiedssprüche

und auch die Autorität des CDU-Landesvorsitzenden von Hassel oder seines

Stellvertreterkollegen Lemke nicht anerkennen mögen.

Ähnliche Probleme der Rollenfindung zeigte Gerlich auf der Landtagssitzung vom

29.01.1958, als er sich über sogenannte „Vorkommnisse in der Bauwirtschaft“ zu

Korruptionsskandalen in zwei Reden auffällig bagatellisierend äußerte. Dies trug ihm die

Kritik des Oppositionsführers Wilhelm Kälber ein und nicht nur gegenüber diesem,

sondern auch zu dem Ordnungsruf des Sitzungsleiters an ihn kündigte er eine Gegenwehr

im Ältestenrat an:

131 Protokoll LT-SH, 3. WP., 09.04.1957, S. 2632; Gesamtdebatte S. 2629-32132 Protokoll LT-SH, 3. WP., 19.11.1957, S. 3042

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„[Käber:] Aber, Herr Dr. Gerlich, lassen Sie mich einmal eines mit vollem Bedacht sagen:

Wer in der von Ihnen geübten Art und Weise zu den Vorkommnissen Stellung nimmt,

bringt sich in den Verdacht, entschuldigen und beschönigen zu wollen,

(Abg. Dr. Gerlich: Das ist eine Unverschämtheit! - Abg. Dr. Beer: Das ist aber schlecht,

Herr Käber!)

was hier untersucht werden wird.

(Abg. Dr. Gerlich: Das ist eine Unverschämtheit! - Unruhe.)

Und wer wie Sie Stellung nimmt, greift dem Ergebnis einer vom Ministerpräsidenten

zugesicherten gründlichen Untersuchung vor.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Siegel: Herr Dr. Gerlich! Sie haben das Wort "Unverschämtheit"

gegen den Abgeordneten Käber gebraucht; Sie haben es nachher wiederholt.

(Abg. Dr. Gerlich: Ja!)

Ich rufe Sie zur Ordnung.

(Abg. Dr. Gerlich: Darüber werden wir uns noch unterhalten!)“133

Eine weitere Loslösung Gerlichs von allgemein verbindlichen Regularien wurde in dem

Volkszeitungs-Artikel „Protest der Gewerbelehrer gegen 'Gerlich-Vorschläge'“ vom

28.02.1958 deutlich, nach welchem der Landesvorstand des Deutschen

Gewerbelehrerverbands aus einer gemeinsamen Besprechung mit Abgeordneten zum

Landesbesoldungsgesetz massive Vorwürfe formulierte: „Dabei wurde gesagt, wenn Dr.

Gerlich hinsichtlich der Gehaltsregelungen und der Dienstbezeichnungen unter den

Regierungsentwurf gehe, dann sei dies nichts anderes als ein ausgesprochen

selbstherrlicher Schritt, der im Finanzausschuß nur deshalb Unterstützung habe finden

können, weil die Mitglieder dieses Ausschusses nicht hinreichend informiert worden seien.

Dies sei keine Vermutung des Landesvorstandes. Vielmehr gehe man dabei 'von dem

unmöglichen Verhalten des Dr. Gerlich' aus, der in Verhandlungen des Landesvorstandes

mit Abgeordneten der CDU wörtlich erklärt habe: 'Wenn Sie noch weitere Wünsche haben,

stufe i c h Sie niedriger ein!'“134

Weniger die Auseinandersetzungen mit dieser Klientel als Gerlichs nachhaltige

Streitigkeiten in anderen Politikfeldern und seine Beeinträchtigung von höchsten CDU-

133 Protokoll LT-SH, 3. WP., 29.01.1958, S. 3373134 Volkszeitung, 28.02.1958, S. 4 (viertletztes Wort im Original gesperrt)

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Repräsentanten des Landes dürfte dazu beigetragen haben, dass er auf dem

Landesparteitag in Rendsburg am 20.06.1958 mit 171 Ja-Stimmen einen deutlich

schwächeren Rückhalt im Vergleich zu den anderen drei Stellvertretern (mit jeweils 244,

236 und 220 Stimmen) fand. Seine Popularitätswerte schienen für ihn und seine Stellung

innerhalb der Partei nachrangig zu sein, denn auf der Landesliste der CDU für die

Landtagswahlen am 28.09.1958 erschien der Name Gerlich auf Platz sechs hinter dem

des Ministerpräsidenten von Hassel und dessen Landesministern.135

2.2.3) Vierte Wahlperiode (1958-1962)

Das Landtagswahlergebnis vom 28.09.1958 spiegelte eine erfolgreiche Assimilationspolitik

der CDU wider, die ihren gesellschaftlichen Ausdruck in der weitgehenden Integration der

Flüchtlinge fand, für welche sich insbesondere Gerhard Gerlich in der Landtagsfraktion

und in der Regierungspolitik engagiert hatte. Der Stimmanteil der CDU war von 33,2 %

auf 44,4 % gestiegen und ihre 33 Mandate reichten zusammen mit den dreien der FDP für

eine Fortsetzung der Regierung.

Nicht mehr gebraucht wurde dagegen die um das einstige Wählerpotenzial der

Heimatvertrieben konkurrierende Partei GB/BHE. Personeller Ausdruck ihrer

Abwärtsentwicklung von 14,0 % auf 6,9 % war nun der Übertritt ihrer

Spitzenrepräsentanten Lena Ohnesorge und Carl-Anton Schäfer zur CDU, die damit als

Minister unverändert in der Regierungsmannschaft des unumstrittenen

Ministerpräsidenten von Hassel verbleiben konnten. Ähnlich deutlich war die

Oppositionsrolle der SPD mit 26 Mandaten und des mit 2 Sitzen in den Landtag

zurückgekehrten SSW. Dementsprechend hatte es bei der Konstituierung am 27.10.1958

und bei der Wiederwahl von Walther Böttcher (CDU) zum Landtagspräsidenten dieses Mal

keine Einsprüche und kaum Gegenstimmen gegeben.

Dagegen war schon vor Beginn dieser ersten Sitzung der vierten Wahlperiode der

Fortbestand von Parlamentarischen Vertretern, wie sie Gerhard Gerlich als

135 s. Volkszeitung, 23.06.1958, S. 2 u. Segeberger Zeitung, 07.07.1958, S. 8 74

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regierungsamtliche Stellung für den Kultusminister Edo Osterloh innehatte, infrage gestellt

worden. Zu dieser Personalie merkte die sozialdemokratische Volkszeitung in dem Artikel

„Heute erste Landtagssitzung“ zur Person des wiedergewählten Gerlich mit Süffisanz an:

„Auch die Bedenken gegen die parlamentarischen Vertreter in Form von Abgeordneten der

Landesminister fanden keine Berücksichtigung. Im Kieler Landtag wird es weiter diese

Vertreter geben, und Dr. Gerlich, der Gegenspieler von Kultusminister Osterloh (CDU),

wird weiter Osterlohs parlamentarischen Vertreter sein.“136 Entsprechend der politischen

Themenverlagerung nahm Gerlich anstelle des Ausschusses für Heimatvertriebene in

dieser Wahlperiode einen Sitz im Innenausschuss wahr und wurde ferner als

stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion gewählt.

Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit holte auch in der vierten Wahlperiode

die Arbeit im Schleswig-Holsteinischen Landtag ein. So hatte der BHE mit Heinz

Reinefarth einen Kandidaten aufgestellt, der als einziger ehemaliger SS-General des

Dritten Reiches nach 1945 auf Länderebene ein politisches Mandat erreichen sollte.

Im Zweiten Weltkrieg war Reinefarth als Kampfgruppenkommandant maßgeblich für die

blutige Niederschlagung des Warschauer Aufstands und für Massaker an der

Zivilbevölkerung mitverantwortlich gewesen. Entsprechend stark war die Kritik im In- und

Ausland daran, dass er zwar formalrechtlich korrekt gewählt, ab Oktober 1958 aber nun

tatsächlich als Volksvertreter die parlamentarische Tätigkeit in den Kieler Landtag

aufnehmen sollte.

Es war der Landesbeauftragte für staatsbürgerliche Bildung, das CDU-Mitglied Ernst

Hessenauer, der auf einer Veranstaltung mit Jugendlichen diesem Abgeordneten bei

derartiger NS-Vergangenheit die erforderliche Vorbildwirkung absprach. Als gewählter

Bürgermeister von Westerland hatte Reinefarth zwar auf Sylt mittlerweile die Akzeptanz

aller Parteien gefunden, aber die öffentliche Aufmerksamkeit für einen gewählten

Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages war ungleich größer und

entfaltete eine entsprechende Signalwirkung. So bezeichnete Hessenauer bei Nennung

des Namens Reinefarths dessen Mitwirken im Parlament als „Todsünde für die

Demokratie“ und schädlich für das deutsche Ansehen im Ausland.

136Volkszeitung, 27.10.1958, S. 275

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Naturgemäß protestierte vor allem die BHE-Spitze heftig gegen diese Abqualifizierung und

forderte Ministerpräsident von Hassel energisch zu einer Maßregelung des

Landesbeamten Hessenauer auf. Der Regierungschef war selbst im Dritten Reich

unbelastet geblieben und hatte schon bei vielen Gelegenheiten so unbefangen wie

konsequent dazu aufgefordert, mit einer weiteren Beschäftigung oder Aufarbeitung der

nationalsozialistischen Vergangenheit in Schleswig-Holstein abzuschließen. Insofern lag

es auf seiner Linie, als er am 27.11.1958 im Namen des CDU-Landesverbandes zu der

Angelegenheit Reinefahrt-Hessenauer erklärte, „daß er Wert darauf lege, daß der

Schlußstrich unter die Entnazifizierung im Lande Schleswig Holstein, der vom

Gesetzgeber gezogen worden ist, auch durch die Beamten des Landes Schleswig

Holstein respektiert wird.“137

Zwei Tage zuvor hatte die CDU- Landtagsfraktion auf einer Pressekonferenz durch den

Fraktionsvorsitzenden Mentzel im Beisein Gerlichs erklären lassen, dass diese

Kandidatenauswahl allein vom BHE verantwortet werden müsse, in ihrer Partei CDU aber

niemals eine Mehrheit gefunden hätte. Dieser klaren Abgrenzung vom 25.11.1958 fügte

Mentzel auf der späteren Landtagssitzung am 16.12.1958 eine relativierende Ausweitung

hinzu, indem er neben den rechtsextremen ausdrücklich auch linksradikalen Kräften, also

Kommunisten, keinen Platz in der CDU einräume.138

Auf dieser November-Pressekonferenz hatte sich auch Mentzels Stellvertreter Gerlich

geäußert, der selbst bei seinem Entnazifizierungsverfahren 1940 gezielt über eine eigene

SS-Mitgliedschaft (allerdings von deutlich niedrigerem Rang) dauerhaft hinweggetäuscht

und dieses Geheimnis bewahrt hatte. Vor diesem Hintergrund wirkte seine gleichfalls

relativierende Stellungnahme auf dem Pressetermin am 25.11.1958 doppelbödig, denn

Gerlich gab zu bedenken, „es sei bedauerlich, dass diejenigen, die heute am Mandat

Reinefarth Ärgernis nehmen, damals geschwiegen hätten, als Reinefarth zum

Bürgermeister von Westerland und im Vorjahr einstimmig wiedergewählt worden sei. Es

sei auch nicht möglich, dass ein Mann, der unter dem N[ational]S[ozialismus] eine hohe

Stelle eingenommen habe, bis zu seinem Lebensende disqualifiziert sei.“139 137 zit. nach Kasten, Hassel, S. 272, Anm. 40138 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 4. Wahlperiode (29.10.1958-22.08.1962),

Kiel 1958-1962, S. 94 (16.12.1958); im Folgenden: Protokoll LT-SH, 4. WP. (mit Datum und Seitenzahl) 139 zit. nach Marti, Phillipp: Der Fall Reinefarth. Eine Biographische Studie zum öffentlichen und juristischen

Umgang mit der NS-Vergangenheit, Neumünster/ Hamburg 2014, S. 157 u. Anm. 778 ( Pressestelle der schleswig-holsteinischen Landesregierung, Protokoll eines Pressegesprächs mit dem CDU-

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Diesen Satz schrieb Bernd Kasten allerdings fälschlicherweise Mentzel zu und glaubte

deshalb die Haltung Gerhard Gerlichs (wie auch die des Kultusministers Edo Osterloh) als

Abgrenzung zu Kai-Uwe von Hassels umstrittener Position innerhalb der Landespartei

darstellen zu können. Dessen Zurechtweisung an den Landesbediensteten Hessenauer

vom 27.11.1958 wurde von einer empörten Öffentlichkeit als ein „Maulkorb“ verstanden

und tags darauf äußerten der Abgeordnete Gerlich wie auch dieser Minister Verständnis

für den engagierten Landesbeauftragten für staatsbürgerliche Bildung, „der sich schon seit

längerer Zeit Sorgen über eine zunehmende Renazifizierung in unserem Staate mache."140

In der weiterhin offenen und für Gerlichs Glaubwürdigkeit latent bedrohlichen Frage, wie

mit den Entnazifizierungsakten in Schleswig-Holstein umzugehen sei, hatte Osterloh in

einer Besprechung der Landesregierung am 03.11.1958 die Vernichtung des Bestandes

vorgeschlagen, wohingegen bei Innenminister Lemke dieses Thema auf Desinteresse

gestoßen war.141 So wurde letzterer in der Segeberger Zeitung 13.11.1958 mit „Lasst die

alten Akten liegen“ zitiert und in seinem Verantwortungsbereich wurde diese

Angelegenheit entsprechend nachrangig behandelt:

„Anweisungen zur Vernichtung, Aussortierung und Verwertung sind vom

Innenministerministerium bisher nicht gegeben worden, weil 'niemand daran gedacht' hat.

Die Akten, verlautet von zuständiger Stelle, seien 'praktisch vergessen' worden.

Archivdirektor Professor Hoffmann, der sich nur als Treuhänder des Ministeriums für diese

Stöße von Papieren fühlt, meint, dass noch 5-10 Jahre mit Auswertungsrichtlinien gewartet

werden sollte, um mehr Abstand von diesen Problemen zu gewinnen. Dann werde das

Interesse des einzelnen an seiner Akte nicht mehr vorhanden sein.“142

Inwiefern diese Haltung von dem Betroffenen Gerhard Gerlich geteilt wurde, muss

ungewiss bleiben. In der Landtagsdebatte am 16.12.1958 beteiligte er sich jedenfalls nicht

an der strittigen Debatte um den SS-General Reinefarth und die Auswirkungen von

derartiger NS-Vergangenheit innerhalb des schleswig-holsteinischen Parlaments. Tags

darauf verstrickte er nach seiner sehr ausführlichen Rede zum Thema des sozialen

Fraktionsvorstand, 25.11.1958, Landesarchiv Schleswig [LASH, Abt. 605, Nr. 2626]); vgl. Volkszeitung, 26.11.1958, S. 4

140 zit. nach Kasten, Hassel, S. 272, Anm 50141 Kasten, Hassel, S. 275, Anm. 672142 Segeberger Zeitung, 21.10.1958, S. 8

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Wohnungsbaus die nachfolgenden Sprecher mit zahlreichen Zwischenrufen wie „Aber

hören Sie doch auf!“ und anderen Provokationen in störende Zwiegespräche am

Rednerpult. So konnte ihn auch die Bitte des Sitzungsleiters, des Landtagsvizepräsidenten

Arthur Schwinkowski nicht aufhalten: „Herr Abgeordneter Dr. Gerlich! Ich halte es für

richtig, daß wir den Redner erst aussprechen lassen.“143

Der Kieler CDU-Kreisvorsitzende Arthur Schwinkowski war nach einer Wahlperiode Pause

im Oktober 1958 wieder in den Kieler Landtag gewählt worden und arbeitete auf dem

Gebiet der Bildungspolitik eng mit Gerhard Gerlich zusammen. Weil sie als Katholiken im

Schleswig-Holsteinischen Parlament eine Sonderstellung einnahmen, wurden sie auch

von der Presse als politisch enge Vertraute wahrgenommen.

Die politischen Interessenschwerpunkte von Gerlich hatten sich im Laufe der Integration

von Flüchtlingen auf andere Themenfelder verlagert und als ein Symptom für diese

Entwicklung stand in der Landtagssitzung am 6.1.1959 die „Auflösung der

Hilfsgemeinschaft Schleswig-Holstein (Notgemeinschaft)“ auf der Tagesordnung. Als der

BHE-Abgeordnete Georg Urban während der Debatte vage aus einem Sitzungsprotokoll

zitieren wollte, konnte ihm Gerlich mit einem Zwischenruf das genaue Datum sowie die

Uhrzeit nennen und zeigte sich damit laut des Sprechers „glänzend informiert.“144

Die penible Gründlichkeit und Gerlichs umfangreiches Fachwissen war zu ähnlichen

Gelegenheiten allerdings auch gefürchtet.

So war ihm bei der intensiven Lektüre des Haushaltsentwurfs zu dem umfangreichen

Landesbesoldungsgesetz aufgefallen, dass in der Besoldungsgruppe A 13 auf der

Stufenleiter von Regierungsräten auch ein neuer Beamtentitel für Landtagsstenographen

geschaffen werden sollte. Das Ergebnis seiner kritischen Kontrolle teilte er anstelle

interner Hinweise oder Nachfragen im Ministerium stattdessen in der Segeberger Zeitung

vom 14.01.1959 mit einem personalisierten Verdacht öffentlich mit: „Doktor Gerlich

bestätigte, dass es für diese Neuerung keine juristische Grundlage im

Beamtenbesoldungsgesetz gebe. Es könne sich daher eigentlich nur um einen

'Druckfehler' im offiziellen Etatentwurf handeln, der allerdings die Frage offen lasse, ob er

143 Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.12.1958, S. 128/29 144 Protokoll LT-SH, 4. WP., 06.01.1959, S. 212

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rein zufällig dem Haushaltsreferenten im zuständigen Finanzministerium unterlaufen

sei.“145

Größere Aufmerksamkeit weckte der Name Gerlich in der Landespresse dieser Tage

allerdings durch einen Diskussionsbeitrag des Bruders Walter, der sich bei der Jungen

Union Neumünster zumindest missverständlich geäußert hatte. Auf der Basis einer dpa-

Meldung zitierte u.a. der Holsteinische Courier am 13.03.1959 unter dem Titel

„Schwerwiegende antisemitische Vorwürfe. Dr. Walter Gerlich im Mittelpunkt einer

Diskussion“ folgende Auszüge:

„Auf Grund der historischen Entwicklung des Antisemitismus könne festgestellt werden,

wenn das deutsche Volk es nicht getan hätte, hätten es andere Völker getan. (Damit ist

offenbar die Ausrottung der Juden gemeint. - Red.) Es sei nur eine Eigenart der

Deutschen, besonders gründlich zu sein und es auch beim Antisemitismus zur Perfektion

gebracht zu haben. Man müsse dieses Problem psychologisch betrachten, und dazu

könne er, (Dr. Gerlich) aus eigenem Erleben aus dem österreichischen Raum sagen, daß

die Einwanderung der Ostjuden, die bettelarm gekommen und in kurzer Zeit steinreich

geworden seien, den Antisemitismus gefördert habe. Der Ausrottungsgedanke des

Nationalsozialismus gegenüber den Juden sei erst nach dem 9. November 1938

erkennbar gewesen.“146

Womöglich war es Walter Gerlich entfallen, dass dieses Datum der Judenpogrome in NS-

Deutschland seinerzeit auch die Aufnahmezeremonie von Gerhard Gerlich und ihm in die

SS-Einheit 3/108 im sudetendeutschen Aussig markiert hatte.147 Vorrangig dürfte in diesen

Tagen für ihn, für seinen Bruder im Landesparlament, die Pressestelle der

Landesregierung und für auch den Kultusminister Osterloh gewesen sein, der massiven

Kritik in der Öffentlichkeit und den erneuten Forderungen nach einer Entfernung aus dem

Schuldienst (wie zuvor gegenüber Gerhard Gerlich) etwas entgegen zu setzen. Der

Minister zog sich wie der Regierungsapparat auf das Argument angeblicher

Fehlinterpretationen zurück, kommentierte diesen Skandal aber vor der Jungen Union in

Eckernförde auf eine Weise, die die Spannungen zwischen ihm und seinem

145 Segeberger Zeitung, 13.01.1959, S. 10146 Holsteinischer Courier, 13.03.1959, S. 9147 Erdmann, Lebensstationen, S. 16/17

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parlamentarischen Vertreter Gerhard Gerlich gewiss vertieften.

So war in der SPD-nahen Volkszeitung vom 19.03.1959 unter der wohl schmerzlichen wie

missverständlichen Überschrift „Kultusminister Osterloh korrigiert Dr. Gerlich. Auch im

christlichen Lager Antisemitismus“ zu lesen: „Zu den Neumünsteraner Aueßerungen von

Dr. Gerlich hielt es Osterloh für erwiesen, daß ein Diskussionsbeitrag, bei dem Dr. Gerlich

zu erklären versuchte, wie Antisemiten denken, fälschlich als dessen eigene Meinung

angesehen wurde. Minister Osterloh sagte, Dr. Gerlich täusche sich allerdings, wenn er

meine, daß Antisemitismus nur im nicht-christlichen Lager möglich sei. Es habe im

Mittelalter in der katholischen Kirche, später bei Martin Luther und auch in der Folge sehr

oft eine stark antisemitische Strömung innerhalb der Kirche gegeben.“148

In der öffentlichen Wahrnehmung sollte dieser Skandal im Jahr 1959 allerdings durch

einen weitaus größeren überstrahlt werden, die der Kieler Landtag zum Anlass nahm, zu

der „Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den Landtagspräsidenten Dr. Walther

Böttcher erhobenen Vorwürfe“ einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

einzusetzen. In diesem Gremium beschäftigte Gerlich sich zusammen mit Vertretern

anderer Fraktionen während des Sommer 1959 in 17 teils nicht-öffentlichen Sitzungen mit

Fragen, inwiefern Böttcher, ebenfalls CDU-Abgeordneter und zudem Lübecker

Bürgermeister, seine politischen Ämter dazu benutzt hatte, um private Dinge zu seinen

Gunsten zu regeln.

Unter dem Vorsitz des CDU-Abgeordneten Claus Joachim von Heydebreck wurde unter

anderem erforscht, ob Böttcher oder dessen Sohn unzulässig Einfluss auf Kultusbeamte

(bis hin zum Minister) und Lehrer genommen hatten, die Schulzensuren der

normalerweise nicht versetzten Tochter nachträglich aufzubessern. In der Vertiefung von

Schulverordnung, der Prüfberechtigung von Lehrern und anderer Versetzungsregularien

engagierte sich der Pädagoge Gerlich besonders stark und fiel daneben in der

Ausschussarbeit vor allem dadurch auf, dass er Fernseh- und Rundfunkübertragungen

von Ausschusssitzungen als Eingriff in die Privatsphäre ablehnte. Für die Öffentlichkeit

und die Presse waren andere Themen vorrangig, die sich auch in dem am 12.09.1959

verabschiedeten Abschlussbericht des Ausschusses stärker widerspiegelten.149

148 Volkszeitung, 19.03.1959, S. 480

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Demnach hatte Landtagspräsident Böttcher seine Kontakte dafür eingesetzt, dass ihm

nahestehende Personen (wie ein darüber nicht informierter Schwager) eine Beteiligung an

der Spielbank Travemünde erwerben sollten, und dass er seinen Dienstwagen mit

Chauffeur während des Urlaubs unberechtigterweise nach Frankreich beorderte. Zudem

hatte mit seinem Wissen das Landtagspersonal die Doktorarbeit seines Sohnes (zum

Thema der Rechte und Pflichten eines Landtagspräsidenten) gegen Materialerstattung

vervielfältigen und auf Präsidenten-Briefbögen anderen Landesparlamenten zum Kauf

anbieten lassen. Dazu resümierte Klaus-Detlev Godau-Schüttke: „Obwohl diese

Verfehlungen auch in CDU-Kreisen nicht als gravierend angesehen wurden, war die Spitze

der Partei in Schleswig Holstein dennoch froh, als Böttcher von seinem Amt als

Landtagspräsident zurücktrat.“150

Mit dieser Vakanz und einem auszufüllenden Machtvakuum verband Gerhard Gerlich die

Aussicht, seine Stellung im Landtagsapparat durch das Protegieren seines Vertrauten und

Fraktionskollegen Arthur Schwinkowski auszubauen und weiter zu festigen. Mit seinen

Personalplänen hatte er in den Umbruchtagen fraktionsintern gute Aussichten gehabt, um

dann doch überraschend zu scheitern, wie die Volkszeitung am 23.09.1959 unter der

Überschrift „v. Heydebreck wird Landtagspräsident“ auf der Titelseite vermerkte: „Der

CDU-Landtagsabgeordnete v. Heydebreck ist am Dienstag überraschend von seiner

Fraktion zum neuen Landtagspräsidenten vorgeschlagen worden. In geheimer Zettelwahl

unterlag der bisherige Favorit Dr. Schwinkowski nach einer zweistündigen Debatte in der

CDU-Fraktion. Damit unterlag parteitaktisch auch Dr. Gerlich, der sich betont für

Schwinkowski eingesetzt hatte.“

Diese personelle Verknüpfung war landesweit so bekannt, dass sie mit Hinweis auf das

katholische Glaubensbekenntnis der beiden CDU-Landtagsabgeordneten im Folgemonat

während des Kommunalwahlkampfes von der Neumünsteraner FDP als Argument gegen

Gerlichs umstrittene Favorisierungen eingesetzt wurde. Dies wurde im Kapitel 2.1. „In

Neumünster als Ausgangspunkt für Parteipolitik“ dieser Untersuchung näher dargelegt.

Immerhin war es innerhalb der CDU-Fraktion durchaus umstritten gewesen, dass

149 Protokoll LT-SH, 4. WP., 21.09.1959, S. 667-81; s. ferner: Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den Landtagspräsidenten Dr. Walther Böttcher erhobenen Vorwürfe, 4. Wahlperiode Kiel 1959, 211 S.

150 Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, S. 30681

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ausgerechnet von Heydebreck indirekt von dem Fazit und den Auswirkungen des von ihm

geleiteten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses profitieren sollte. Ebenfalls

Ambitionen hatte der Abgeordnete Paul Rohloff gehabt, der sich an die entsprechenden

Seilschaften und Abläufe erinnerte:

„In der Fraktion ging es dann Ruck-Zuck, um Herrn von Heydebreck ins Amt zu bringen,

obwohl er ziemlich neu im Parlament war. Er war ein guter Freund des damaligen

Ministerpräsidenten von Hassel, er schien ihm offensichtlich leitfähiger. Ich fand es sehr

unpassend, dass Herr von Heydebreck, der den Untersuchungsausschuss mit dem

Ergebnis des Rücktritts von Landtagspräsident Doktor Böttcher geleitet hatte, jetzt im Amt

folgen sollte.“151

Im Unterschied zu anderen Fällen ließ sich Gerlich eine anhaltende Frustration anmerken,

da er nicht nur bei der Sitzung der Wahl von Heydebrecks zum Landtagspräsidenten am

29 09.1959 fehlte (als vermutlich demonstrativer Akt ebenfalls auf der Titelseite der

Volkszeitung vermeldet), sondern sich auch für die drei Novembersitzung abmeldete,

obwohl er sehr selten auch nur eine einzige Sitzung versäumte. Dazu stand bei seiner

Rückkehr am 04.12.1959 ein nächster großer Skandal der schleswig-holsteinischen

Nachkriegsgeschichte auf der Tagesordnung, der im gesamten Bundesgebiet für Aufsehen

sorgte. Diesen skizzierte später der Landtagspräsident Rudolf Titzck:

„Prof. Heyde war maßgeblich an der nationalsozialistischen Euthanasie beteiligt gewesen.

Beim Transport ins Frankfurter Untersuchungsgefängnis gelang ihm jedoch die Flucht.

Er setzte sich nach Kiel ab, wo er unter dem Namen Dr. Fritz Sawade untertauchte.

Zunächst wurde er Sportarzt an der Landessportschule in Flensburg, ab 1952 Gutachter

bei der örtlichen Staatsanwaltschaft und beim Landessozialgericht. Erst 1959 wurde die

wahre Identität bekannt, Professor Heyde stellte sich den Behörden, in der

Untersuchungshaft nahm er sich später das Leben. Im Dezember 1959 setzte der Landtag

einen Untersuchungsausschuss ein, der ermitteln sollte, wie es möglich war, dass

Professor Heyde über einen derart langen Zeitraum unentdeckt bleiben konnte.“152

151 Rohloff, Paul: Die Demokratie lebt vom Kompromiss, in: Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in Schleswig-

Holstein, Husum 1987, S. 167152 Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in Schleswig-Holstein, Husum 1987, S. 94; zum Gesamtkomplex s.

Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, sowie: Danker, Uwe: „Die Täter bildeten ein Kartell des Schweigens“. Die unglaubliche Affäre Heyde/Sawade 1959, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd.

82

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Noch in der Sitzung am 04.12.1959 mit Gerlichs Wiedererscheinen versuchte

Ministerpräsident von Hassel mit Einwänden die Einsetzung eines solchen Gremiums

grundsätzlich zu verhindern. Aber im Verfassungsausschuss einigten sich die

Abgeordneten aller Fraktionen auf zwei getrennte Parlamentarische

Untersuchungsausschüsse (PUA) zu Heyde/Sawade mit verschiedener Thematik. So

sollten einerseits Mitwisser und Helfershelfer dieses ehemaligen Mitentscheiders bei der

massenhaften Ermordung von Behinderten nach ihren Aktionen oder Unterlassungen in

den Nachkriegsjahren befragt werden. Zum anderen sollten die vermeintlichen Kenntnisse

von Journalisten (wie des Redakteurs und SPD-Abgeordneten Jochen Steffen) zu einer

angebliche Mitwisserschaft in der Landesregierung über die Personenidentität von

Heyde/Sawade verifiziert werden.

Gerlich war Mitglied in dem entscheidenden Ausschuss für Verfassung und

Geschäftsordnung und wurde zudem in diese beiden am 16.12.1959 eingesetzten

Untersuchungsausschüsse berufen. Letzteres bezeichnete er in seiner Landtagsrede am

14.12.1959 als „traurige Pflicht“, räumte aber wohl bewusst und zum Ärger des

Ministerpräsidenten eine Wahrscheinlichkeit der erwähnten (und später nicht

beweisbaren) journalistischen Verdächtigungen ein, indem er eine Formulierung

verwendete über „jene Personen des öffentlichen Lebens, über die offensichtlich der

Abgeordnete Steffen begründete Verdachtsmomente ins Treffen führen konnte, (...) als er

in der letzten Sitzungen Behauptungen aufstellte.“153

In der Forschung bislang unbekannt war hingegen, dass Gerhard Gerlich im Januar 1960

einen Redeentwurf gegen gehäuft auftretende „Antisemitische Vorfälle“ für eine Erklärung

des Landtagspräsidenten zur Sitzung am 25.01.1960 verfasste. Dies legt jedenfalls die

Kopie eines sechsseitigen Manuskripts mit Namenskürzel, Datierung und Spuren der

Textveränderung in der augenscheinlichen Handschrift Gerlichs nahe, die Klaus Deneke

aus seinem Privatbesitz freundlicherweise zur Verfügung stellte. Mehr Material dieser Art

und die Möglichkeit einer Authentifizierung wäre für diese Untersuchung wünschenswert

gewesen.154

3, Flensburg 1999, S. 168-87; im Folgenden: Danker, Täter153 Protokoll LT-SH, 4. WP., 14.12.1959, S. 865154 Gerlich, Gerhard: Antisemitische Vorfälle (handschriftlicher Redeentwurf für den Landtagspräsidenten),

Neumünster 1960, 6 Bl, Kopie [Privatbesitz]83

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Unter der Voraussetzung einer Echtheit hatte Landtagspräsident von Heydebreck diesen

wohl von Gerlich stammenden Text mit wenigen Veränderungen und Streichungen

übernommen und zu Sitzungsbeginn u.a. vorgetragen: „Der Schleswig-Holsteinische

Landtag appelliert an alle für die Aufklärung und Ahndung solcher Untaten zuständigen

Behörden und Gerichte, gegen die Täter mit der gebotenen Strenge vorzugehen, dabei

aber auch die Motive und möglichen Hintermänner ermitteln zu helfen. Er erwartet, dass

alle für die Erziehung, Ausbildung und und Unterrichtung Verantwortlichen alles tun, um

die Bevölkerung, besonders aber die Jugend, sowohl über die Untaten des Hitler-Regimes

als auch über alle Gefahren totalitären Denkens und Handelns aufzuklären, damit unser

deutsches Volk nicht erneut einer Welle des Hasses und Neides, der Missgunst und

Zwietracht zum Opfer fällt.“155

Zu diesen staatstragenden Worten aus der Feder Gerlichs von 1960 scheint ein

zeitgenössischer Kommentar „Unsere Vergangenheit lebt“ des sozialdemokratischen

Chefredakteurs Karl Rickers zu passen, der am 27.07.1960 in der Volkszeitung schrieb:

„Weswegen haben wir die Vergangenheit bisher nicht zu bewältigen vermocht? Der

wesentliche Grund ist ganz einfach: wir sehen eine breite und gewichtige Schicht von

Menschen, die seinerzeit Mitläufer, Mitrufer und Mitdenker Hitlers waren, jetzt unsere

Demokratie aufbauen, kraft ihres Amtes. Den meisten von ihnen muß man schon aus

menschlichen[,] aber auch aus persönlichen Gründen die Anwendung der Formel

zubilligen: im Zweifelsfall Demokrat. Man muß es schon aus dem Grunde, weil man auf

die ehrlichen unter ihnen angewiesen ist, denn der Staat besteht aus a l l e n Menschen im

Volke.“156

Gerlich blieb jedenfalls in diesem Jahr weiterhin an der erweiterten Spitze der

Regierungspartei CDU, obwohl er auf dem Landesparteitag am 11.06.1960 in Mölln bei

den Wahlen zum stellvertretenden Landesvorsitz mit 158 Stimmen wieder deutlich hinter

den Ergebnissen von Gerhard Stoltenberg, Helmut Lemke und Detlef Struve mit 184 bzw.

181 Stimmen landete.157 Eine anhaltend geringere Popularität mochte auch daran liegen,

dass er ab Mai 1960 seine bekannte Auseinandersetzungen in Preetz zur „Entflechtung“

155 Protokoll LT-SH, 4. WP., 25.01.1960, S. 865; ebenfalls in: Volkszeitung, 26.01.1960, S. 8156 Volkszeitung, 27.07.1960, S. 2, viertletztes Wort im Original gesperrt157 Volkszeitung, 13.06.1960, S. 2

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

oder Schließung der Volksoberschule forciert hatte.

So schrieb die Volkszeitung am 25.05.1960 unter dem Titel „Preetz will seine VOS

behalten. CDU bricht vor der Wahl gegebenes Versprechen“ aus sozialdemokratischer

Perspektive mit besonderen Bezug auf diesen Bildungs- und Finanzpolitiker:

„Selbst die CDU-Stadtfraktion in Preetz setzte sich für die Erhaltung der Schule ein, weil

sonst die Stadt 'die Kosten allein tragen müßte'! Da außerdem eine Wahl bevorstand und

die Preetzer Schulfrage viel Staub aufgewirbelt hatte, versprach Dr. Gerlich, der auch in

Preetz für den Landtag kandidierte, daß er sich für die Erhaltung der Schule einsetzen

wolle. Die Mittel für den Weiterbau der Schule wurden zugesagt.Ueberrascht und

enttäuscht wurden aber die Preetzer Eltern, als sie kürzlich vom Vorsitzenden des

Gesamtelternbeirates, Pastor Werner Seibt, erfuhren, daß ihm der Kultusminister in einer

Verhandlung in Kiel mitgeteilt habe, daß der Schulversuch als beendet betrachten werden

müsse.“

Die Zuspitzung von Gerlichs augenscheinlich persönlicher Motivation zur Schließung der

VOS, sein Einfluss auf den anfangs wohlwollenden Minister Osterloh (wie zuvor auf

Lemke) und eine mögliche Instrumentalisierung griff im September 1960 sogar das

Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit dem Artikel „Schulreform. Keine Experimente“ auf:

„Der Kultusminister schätzte jedoch die VOS-Treue der Preetzer Elternschaft desto

geringer ein, je mehr der schleswig-holsteinische Philologen-Verband seinen

schulpolitischen Einfluß geltend machte. Wie sehr die Interessen der Studienräte-

Organisation im Land Schleswig-Holstein mit denen der CDU verquickt sind, wird an der

Doppelfunktion des CDU-Abgeordneten Dr. Gerhard Gerlich aus Neumünster deutlich: Er

ist gleichzeitig aktives Vorstandsmitglied des Philologen-Verbandes und parlamentarischer

Vertreter des CDU-Kultusministers im Kieler Landtag. Als CDU-Philologe Gerlich in

Vorträgen und Diskussionen immer nachdrücklicher die Entflechtung der "Mammutschule"

forderte; ohne seine Preetzer Berufskollegen auch nur einmal konsultiert zu haben,

verließen alle 30 Preetzer Philologen aus Protest den Studienräte-Verband. (…)

Nicht minder empört waren die Preetzer Pädagogen, als selbst die CDU/ BHE-

Gemeinschaftsfraktion ihrer Stadt am 9. Juni der Entflechtung zustimmte. Zuvor hatten die

christdemokratischen Stadtvertreter, deren Kinder die VOS besuchen, stets kundgetan,

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

daß sie die Preetzer Bildungsstätte nicht missen wollten. Inzwischen war allerdings der

Kultusminister am 8. Juni in Preetz gewesen, um seine Parteifreunde umzustimmen. So

konnte Osterloh dann am 13. Juni die Kündigung aussprechen.“158

Die darauf folgende und im wesentlichen von Gerlich ausgelöste Debatte in der

Landtagssitzung vom 26.09.1961 stellt ein bemerkenswertes Stück Parlamentsgeschichte

dar.159 Dem Sitzungsprotokoll von rund 40 Seiten zufolge vertrat außer Gerlich und seinem

Fraktionskollegen Schwinkowski für die Dauer von rund 6 Stunden inklusive Mittagspause

kaum jemand im Saal mit Überzeugung die von ihm gewünschte Schließung der VOS und

damit die Ablehnung eines entsprechenden SPD-Antrags. Der Kultusminister trug

wortreiche Erklärungen offenkundig pflichtgemäß vor und schien aufgrund seines später

thematisierten Nickens stattdessen den zahlreichen Argumenten und Einwänden der

Opposition ebenso zuzuneigen wie schließlich auch die Regierungsfraktion der FDP.

Diese bot in der laufenden Debatte dem Antragsteller dann tatsächlich an, selbst einen

Antrag auf Überweisung in den Bildungsausschuss zu stellen, um besser dort

unvollständige Informationen, tendenziöse Interpretationen eines nur teilweise bekannten

Gutachtens zur VOS und andere Ungereimtheiten differenziert aufklären zu können.

Oppositionsführer Käber begegnete diesem auch landespolitisch bedeutsamen Angebot

eine Regierungsfraktion allerdings mit bemerkenswertem Ungeschick („Das machen wir

selbst!“)160, obschon Gerlich nun noch lediglich auf die Disziplin der zahlenmäßig

unterlegenen CDU-Fraktion zählen konnte. Ein seltenes Mal im Parlament wurde dabei

sein Wesen und eine Methode vom SPD-Abgeordneten Siegel persönlich charakterisiert:

„Verzeihen Sie, Herr Dr. Gerlich, wenn ich mit vielen anderen der Meinung bin, daß an der

Bedienung dieser Schranken Ihre Hand nicht unbeteiligt ist. Ich will Ihnen jetzt einmal ganz

kurz zeigen, worin dieses Stellen der Schranken für mich sichtbar geworden ist.

(Abg. Lechner: Weichen nennt man das!)

Weichen nennt man das, ja: Aber weich ist er nun leider Gottes nicht; er ist sehr hart.“161

158 „Schulreform. Keine Experimente“, in: Der Spiegel Nr. 38/1960, 14.09.1960, S. 35-39159 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1438-70160 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1460161 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1461

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Als auch der letzte Redner des SSW das Thema der Volksoberschule nach sechs Stunden

nicht nur beredet, sondern zerredet fand, hätte sich unter normalen Umständen eine

Mehrheit für die Ausschussüberweisung finden lassen müssen. Aber eine nochmalige

Auszählung der Stimmen ergab einen Gleichstand von 33:33 und damit eine

überraschende Ablehnung. Zu Gerlichs Vorteil hatte im entscheidenden Augenblick der

langen und wichtigen Debatte die SPD-Abgeordnete Anni Brodersen im Saal gefehlt.

Nach dem umgehenden Echo aus ihren eigenen Reihen sollte sie wie er ein Jahr zuvor

nach dieser weitreichenden Fehlleistung ihre Teilnahme für die nächsten

Landtagssitzungen absagen.162

Mit diesem Durchsetzungsvermögen bei seiner Einzelinitiative sollte sich Gerlichs Nimbus

in den politischen Debatten verstärken und sein rhetorisches Geschick sowie die

Wirksamkeit seiner Mittel mit irritierenden Zwischenrufen wurde zwar nicht immer

geschätzt, aber nun offen über die Parteigrenzen hinweg wahrgenommen, wie es

wiederum der Abgeordnete Siegel am 07.11.1961 feststellte:

„Wir denken gar nicht daran, bei Ihnen irgendwie das Klima etwa nach unserer Seite hin

beeinflussen zu wollen.

(Abg. Dr. Gerlich: Es kommt nicht auf das Wollen, sondern auf das Können an!)

Ob wir es können, das ist eine andere Frage; Sie werden es bestreiten, und ich will es

nicht behaupten. Aber - da hat der Kerl mich doch aus dem Konzept gebracht!

(Heiterkeit. - Abg. Dr. Schlegelberger: Das macht er bei uns auch!)

- Ich sagte - ach so, gerade bei Ihnen - -

(Weitere Zurufe von den Regierungsparteien.)163

Zum Jahreswechsel 1960/61 war das Ansehen des Bundeslandes Schleswig-Holstein

durch diverse Skandale im Umgang der Regierung wie der Behörden mit ehemaligen

Nationalsozialisten derart ramponiert, dass sich Ministerpräsident von Hassel

widerstrebend genötigt sah, am 16.01.1961 eine Regierungserklärung zu Einzelfällen und

entsprechenden Versäumnissen abzugeben. Aus einer Liste von 13 prekären Personalien

fand von Hassel lediglich in einem Fall die bisherigen Maßnahmen aktuell nicht

ausreichend. Dabei handelte es sich um Prof. Dr. Beyer an der Pädagogischen

Hochschule in Flensburg, der nach von Hassels Darstellung 1942 Professor an der

162 s. Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1470163 Protokoll LT-SH, 4. WP., 07.11.1961, S. 1683

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Universität Prag gewesen war und die rassentheoretischen Vorurteile der NS-Ideologie

auch an der späteren Heydrich-Stiftung vertreten hatte.164

Für Gerhard Gerlich dürfte dieser Fall insofern von biographischem Interesse gewesen

sein, als er selbst 1942 in Prag noch ein NSDAP- und SS-Mitglied gewesen war. Zehn

Tage später sollte zu einer vergleichbaren Konstellation in dem Artikel „Viele wussten von

Heyde/Sawade - keiner von seinen Mordtaten“ der Volkszeitung von dem PUA-Zeugen

Hugo Jansen zu lesen sein, dass er Heyde zu dieser Zeit in Prag gesehen hätte und

dieser in SS-Uniform im dortigen Lazarett Patienten behandelt hatte. Möglicherweise hatte

Gerlich ausgerechnet dieses seltene Mal eine Ausschusssitzung versäumt, um kein

potenzielles Wiedererkennen mit dem Zeitzeugen Jansen zu riskieren.165

Zu der Arbeit dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wirkte von Hassels

Versprechen vor dem Landtag zwiespältig, dass die Landesregierung „wie bisher alle

erforderlichen Schritte unternehmen würde, um schuldig gewordene Mitwisser und

Gehilfen des Prof. Heyde/Sawade zur Verantwortung zu ziehen.“166 Tatsächlich sollte von

diesem mindestens 18 Personen umfassenden Kreis allein derjenige Journalist

strafrechtlich verurteilt werden, der in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau frühzeitig

über eine angebliche Mitwisserschaft in der Landesregierung berichtet und den ganzen

Fall ins Rollen hatte.167 Ferner zog der Ministerpräsident in der Sitzung am 16.01.1961 für

seine Regierung zudem das Fazit, dass in Schleswig Holstein von Verantwortung für das

Staatswesen ferngehalten würde, wer im NS Staat führend gewesen war und Schuld auf

sich geladen hätte.

Im Sommer 1961 legten dann die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse

Heyde/Sawade I und II ihren Abschlussbericht vor, an dem Gerhard Gerlich redaktionell

mitgearbeitet hatte. Der für die Öffentlichkeit interessantere Ausschuss I zu

Mitwisserschaften und Versäumnissen hatte in 43 öffentlichen und teils nicht-öffentlichen

Sitzungen von Januar 1960 bis 1961 getagt, 60 Zeugen vernommen und ebenso viele

164 Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.01.1961, S. 1897165 s. Volkszeitung, 26.01.1961, S. 1; vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade I, 4. Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bd. 2, Bl. 163 (Sitzung vom 25.01.1961); im Folgenden: PUA Heyde/Sawade I166 Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.01.1961, S. 1903

167 Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, S. 31088

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Ermittlungs- oder Personalakten analysiert. An Gerhard Gerlichs Anteilen dabei ist

bemerkenswert, dass er gleich in der ersten Sitzung am 15.01.1960 den Vorschlag

machte, Professor Heyde als Zeugen zu vernehmen und demzufolge kein wechselseitiges

Kennen in SS-Uniform aus ihrer Prager Zeit vorgelegen haben dürfte.168

Zudem kommentierte er in der Ausschusssitzung am 22.02.1961 die Zeugenaussage des

Justizministers Bernhard Leverenz, wie Heyde/Sawade durch ein offensives Auftreten und

die gesuchte Nähe zu wichtigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wesentliche

Teile seiner tatsächlichen NS-Vergangenheit lange Zeit verbergen konnte:

„Minister Dr. Leverenz:

Herr Heyde hat sich dadurch getarnt, dass sich nach vorn gespielt hat und überall

versucht hat, die besten Beziehungen zu allen möglichen einflussreichen Menschen zu

gewinnen. Das ist seine Tarnungsstrategie gewesen, die ihm ja tatsächlich jahrelang

geholfen hat. Im Gegensatz zu anderen, die als Waldarbeiter untertauch[t]en, hat er

dieses ganz andere System gewählt.

Abg. Gerlich: Er ist vor die Rampe gegangen.“169

Ferner bekam Gerlich am 12.04.1961 bei der Befragung des Zeugen Werner Born,

Direktor der Landesversicherungsanstalt, demonstriert, wie sehr die von ihm

mitverantwortete Gesetzgebung der Entnazifizierung und der „131er-Regelung“ das

Selbstbewusstsein von ehemaligen Angehörigen der SS (wie er selbst es gewesen war)

gestärkt und mittlerweile bis zu einem selbstgewissen wie beleidigt-offensiven Auftreten

beigetragen hatte:

„Abg. Strack: Herr Doktor Born! Sie sagten auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie einen

höheren SS-Dienstgrad gehabt hätten, nein. Waren sie in der SS?

Direktor Dr. Born: Herr Vorsitzender! Darf ich fragen: Bin ich in einem

Entnazifizierungsausschuss?

Vorsitzender: Nein! Aber sie haben die Fragen des Ausschusses zu beantworten, Herr

Direktor Born, wenn sie nicht direkt neben der Sache liegen! Andernfalls werde ich schon

eingreifen.

168 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses inder Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade II, 4. Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bl. 6 (Sitzung vom 15.01.1960)

169 PUA Heyde/Sawade I, Bd. 2, Bl. 266 (22.02.1961)89

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Direktor Dr. Born: Ja, ich war.“170

Im Juni 1961 legte der von dem späteren Landtagspräsidenten Paul Rohloff geleitete

Ausschuss seinen ausführlichen Bericht vor, aus dem hervorging, dass mindestens 18

Personen die wahre Identität von Heyde/Sawade gekannt hatten, darunter mehrere

Professoren, Richter und Beamte. Diese Ergebnisse trug der Vorsitzende in der

Landtagssitzung am 27.06.1961 vor, und ohne Aussprache wurde dazu eine

interfraktionelle Erklärung verabschiedet, der lediglich die BHE-Fraktion noch eine

relativierende Ergänzung hinzufügte.171 Die Zusammenarbeit aller Fraktionen in diesem

parlamentarischen Untersuchungsausschusses war bei diesem außergewöhnlichen

Skandal von großer Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit geprägt gewesen.

Ab Herbst 1961 traten im Schleswig-Holsteinischen Landtag wieder übliche Themen in

den Vordergrund, zu denen Gerlich am 27.09.1961 eine Rede über Bau- und Mietkosten

beitrug. Inzwischen war er für sein erfolgreiches Agieren hinter den Kulissen bekannt

geworden. Als Gerlich in seinem Beitrag nun das Beispiel von Sozialmietwohnungen und

der Fehlbelegung mit einem Ministerialrat anführte, der auch Beförderungsmöglichkeiten

außerhalb des Bundeslandes Schleswig-Holstein hätte, verleitete dies den Abgeordneten

Strack zu der wahrscheinlich ernst gemeinten Zwischenfrage „Wen wollen Sie denn

loswerden?“, auf die hin im Protokoll bezeichnender Weise nicht die Anmerkung

„(Heiterkeit)“ notiert wurde.172

Eine nach Außen hin unübersehbare Krönung erfuhr diese auffällig unauffällige Karriere im

November 1961, als der bisherige Vorsitzende des Finanzausschusses Hartwig

Schlegelberger zum Finanzminister ernannt wurde und Gerhard Gerlich durch Votum der

CDU-Landtagsfraktion auf diesen freien Posten nachrückte. Die landespolitische

Bedeutung seiner Person wurde nun selbst von der sozialdemokratischen Volkszeitung bei

deren Jahresrückblick „Gewichte und Gesichter in der Landespolitik 1961/62“ anerkannt:

„Als nach monatelangem Zögern wenigstens ein Minister des von-Hassel-Kabinetts

ausgewechselt wurde, brachte das nicht nur dem bisherigen Flensburger Landrat Dr.

Hartwig Schlegelberger den längst vorhergesagten Ministersessel, sondern im Zuge170 PUA Heyde/Sawade I, Bd. 3, Bl. 124 (12.04.1961, Anhörung Dr. Werner Born, 1. Direktor der Landesversicherungsanstalt); vgl. Volkszeitung, 13.04.1961, S. 2171 Protokoll LT-SH, 4. WP., 27.06.1961, S. 2145-70; zum Gesamtkomplex s. Danker, Täter, S. 168-87172 Protokoll LT-SH, 4. WP., 27.09.1961, S. 2316

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

dieser Aenderung wurde auch nach außen sichtbar, wie wichtig innerhalb der CDU-

Fraktion der jetzt zum Vorsitzenden des Finanzausschusses beförderte Abgeordnete Dr.

Gerlich war und ist.“173

Dieses neue Amt machte für die anderen 68 Landtagsabgeordneten aller Fraktionen den

Umgang mit dem Kollegen Gerlich nicht leichter. Seitdem er den Vorsitz im

Finanzausschuss wahrnahm, forderte er bei Landtagssitzungen immer häufiger zu einer

drastischen Abkürzung von finanzpolitischen Debatten und Nachfragen auf, weil derartige

Dinge ja schon zuvor bei Besuch „seines“ Fachausschusses hätten angesprochen werden

können. So verwahrte sich bereits in der Landtagssitzung vom 01.12.1961 der

Abgeordnete Gerhard Strack von der SPD-Opposition, derart von Gerlich „in echter Manier

eines Schulmeisters“ Zensuren erteilt zu bekommen.174

Aber auch den Regierungsparteien bereite es Probleme, sich mit dem Machtzuwachs, der

neuen Deutungshoheit und gelegentlichen Eigenmächtigkeit von Gerlich zurechtzufinden.

Dies galt im Januar 1962 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Finanzausschusses

bei seinen Erläuterungen vor der Presse zu der neuen Fassung des Etatentwurfs.

Diese stießen prompt auf Widerspruch, wie in der SPD-nahen Volkszeitung süffisant

kommentiert wurde: „Im Gegensatz zu dieser Meinung standen andere Mitglieder des

Finanzausschusses, die an der Pressekonferenz ihres Vorsitzenden teilnahmen. Es fiel

auf, daß nur CDU- und FDP-Abgeordnete von dieser Möglichkeit Gebrauch machten. Das

wurde schnell dahingehend interpretiert, dass die Koalitionsparteien ihren neuen

Finanzausschussvorsitzenden Dr. Gerlich 'nicht ohne Aufsicht' lassen wollten...“175

Während seiner ersten Haushaltsberatungen in dieser neuen Rolle hob die Volkszeitung

dagegen seine philologische Akribie hervor und adelte ihn nach Abschluss der langen

Debatten und Haushaltsbeschlüsse mit der Bildunterschrift „Dr. Gerhard Gerlich wurde von

allen Fraktionen gelobt wegen seiner sachlichen Arbeit.“176 Dies mochte ihn während der

Folgemonate in übermäßiger Identifikation darin bestärkt haben, in seiner Person für den

gesamten Finanzausschuss zu sprechen, mit spitzer Zunge weniger selbstbewusste oder

173 Volkszeitung, 30.12.1961, S. 24174 Protokoll LT-SH, 4. WP., 01.12.1961, S. 2413175 Volkszeitung, 11.01.1962, S. 5176 Volkszeitung, 16.01.1962, S. 10 u. 23.01.1962, S. 7

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sachkundige Abgeordnete zu verunsichern, zu maßregeln oder seine Überlegenheit dem

Hinweis auszuspielen, dass es im Finanzausschuss alle wesentlichen Informationen gäbe,

es müssten allerdings nur die richtigen Fragen gestellt werden.

Schließlich spielte Gerlich seinen Positionsvorteil derart deutlich aus, dass den

Nachrücker und Parlamentsneuling Klaus Konrad (SPD) in der Landtagssitzung am

26.06.1962 Zwischenrufe seines Ausschussvorsitzenden auch in diesem Gremium allzu

oft störten. Daraufhin machte Konrad diese Probleme im Sozialverhalten vor dem Plenum

öffentlich:

„ Ich habe doch nicht gesagt, daß ich etwas dagegen hätte. Sie gehen im übrigen, Herr Dr.

Gerlich, mit einem Anfänger - und das bin ich ja - nicht gerade pfleglich um.

(Oho!-Rufe bei der CDU.)

Sie wollen mich ja aufs Glatteis führen.

(Zurufe von der CDU.)

Das habe ich schon in drei Ausschußsitzungen gemerkt. Tomaten habe ich nicht auf den

Augen, auch wenn ich sonst rot bin. (Stürmische Heiterkeit.)“177

In seiner gefestigten Stellung war Gerlich nun auch innerparteilich kaum mehr auf Beweise

seiner Popularität angewiesen und so konnte er die Ergebnisse des CDU-

Landesparteitags am 02.07.1962 in Husum mit Gelassenheit aufnehmen. Ohne

Diskussion oder Gegenkandidaten war ihm dort für die Landtagswahlen im September

1962 der sichere Listenplatz 10 zugesprochen worden. Zu Jahresbeginn hatte der

Landesvorsitzende von Hassel zu einer Verjüngung der Parteispitze aufgerufen, was den

50jährigen Gerlich, der von Krankheit gezeichnet wirkte, kaum betroffen haben mochte.

Wohl aus anderen Gründen war er bei den Wahlen im Juli 1962 zum stellvertretenden

CDU-Landesvorsitz mit 143 Stimmen wieder deutlich hinter den weiteren Amtsinhabern

Gerhard Stoltenberg (178), Helmut Lemke (166) und Detlef Struve (163) gelandet.178

Stattdessen demonstrierte der umtriebige und gut vernetzte Landespolitiker seine

Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von dem allgemeinen Kurs der CDU- Landes- und

Bundesspitze, als er bei dieser Gelegenheit den unter skandalösen Umständen aus der

Bundesregierung ausgeschiedenen Vertriebenenminister Theodor Oberländer wieder

177 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.06.1962, S. 2793178 s. Holsteinischer Courier, 27.01.1962, S. 9 sowie Volkszeitung, 03.07.1962, S. 4 u. 04.07.1962, S. 6

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hoffähig machte. Gegen diesen wurde bis zu dessen Tod 1998 wegen Kriegsverbrechen

an Juden sowie Widerständlern in der Ukraine ermittelt und mit ihm hatte Gerlich die

biografische Station der Karls Universität Prag gemeinsam, an der Oberländer Mai 1941

kommissarisch die juristische Fakultät übernommen hatte. In dieser Zeit war Oberländer

ebenso wie nach eignen, aber unbewiesenen Angaben auch Gerlich in die Kritik des SS-

Sicherheitsdienstes SD geraten und hatte dadurch deutliche Nachteile im Dritten Reich

erfahren.179

Die Volkszeitung berichtete von dem CDU-Landesparteitag über diese überraschend

präsentierte Verbindung mit Oberländer am 04.07.1962 und interpretierte diese Initiative

Gerlichs später als gegen den Landesvorsitzenden von Hassel gerichtet: „Die einzige

Sensation des Landesparteitages der CDU war gestern morgen in Husum der Besuch des

CDU-Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Theo Oberländer, Vorsitzenden des der

Landesgruppe Oder-Neiße seiner Partei. Der Vorsitzende des Landesausschusses für

Flüchtlinge und Vertriebene der CDU, MdL Dr. Gerhard Gerlich, erklärte vor dem Parteitag,

mit Prof. Oberländer sei eine neue Versammlungswelle in Schleswig Holstein

abgesprochen worden. Es sei nötig, das Bewusstsein der Bevölkerung wachzuhalten

gegen die immer noch aktive Politik aus der Zone.“180

Die Wahlperiode sollte mit einer turbulenten Sitzung des Landtages am 22.08.1962

abschließen und den einsetzenden Wahlkampf einleiten, denn im Mittelpunkt stand der

Vorwurf der Ämterpatronage durch die CDU-Landesregierung. Hintergrund war ein Aufsatz

des Wissenschaftlers Heinz Josef Varain, der in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift

„Volkshochschule, Blätter für die Erwachsenenbildung in Schleswig Holstein“ aus

entsprechenden Protokollen und Papieren des CDU-Landesvorstands der vergangenen

Jahre zitiert hatte. Dabei war unter anderem in einem Strategiepapier von 1956 formuliert

worden, dass die CDU ihren Einfluss geltend machen solle, „die Verwaltungen mit

geeigneten Frauen und Männern ihrer politischen Überzeugung zu durchsetzen.“181

179 vgl. Wachs, Phillipp-Christian: Der Fall Oberländer (Diss., Universität der Bundeswehr München), München 1999, S. 196 ff. u. Erdmann, Lebensstationen, S. 37

180 Volkszeitung, 04.07.1962, S. 6181 Varain, Heinz Josef: Parteien, Verbände und Exekutive, in: Volkshochschule. Blätter für

Erwachsenenbildung in Schleswig-Holstein, Heft 51/52 (Juli 1962), S. 57 u. 58, Anm. 12; vgl. Varain, Parteien, S. 275, Anm. 1135

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Nach einer erregten Landtagsdebatte bestritt der CDU-Landesvorsitzende von Hassel

später in einem Brief vom 09.11.1962 an Varain, dass der CDU-Landesvorstand in seiner

Sitzung am 16.01.1957 das entsprechend behandelte und beigeheftete Konzept näher zur

Kenntnis genommen oder gar umgesetzt hätte.182 Der gleichfalls dabei befasste

stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Gerhard Gerlich räumte stattdessen im Plenum

seine Kenntnis von dem Thema mit größerer Nervenstärke ein und hielt der heftigen Kritik

des SPD-Abgeordneten Jochen Steffen an derartigem CDU-Einfluss bei der

Personalpolitik in der Landesverwaltung dabei souverän wie provozierend entgegen:

„Ich gebe zu, daß wir, wenn Kollege Steffen mit seinen Unterstellungen auch nur zu 10 %

recht hätte, besorgt sein müßten. Ich erkläre hier ausdrücklich und betont, daß er für seine

Unterstellungen keine Veranlassung hat, und ich wage zu behaupten, daß er uns einen

Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptungen schuldig bleiben würde. Gott sei Dank,

daß ich das hier mit ruhigem Gewissen behaupten kann. Ich - zumindest für meine Person

- darf meine politischen Freunde in dieser Beziehung als absolut integer und korrekt

bezeichnen.“183

In einer derart zugespitzten Atmosphäre musste sich Gerhard Gerlich im einsetzenden

Landtagswahlkampf heftige Kritik nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch

aus Reihen der mitregierenden FDP gefallen lassen. So erklärte auf einer

Diskussionsveranstaltung im September 1962 der FDP-Sprecher Meyer-Bant den

„abgewürgten Schulversuch in Preetz“ zu einem deutlichen Beispiel für die Fehler der

CDU-Bildungspolitik. Dabei spielte er offenkundig auf den intensiven persönlichen Einsatz

Gerlichs und seine nun auch öffentlich bekannten Methoden an: „'Es ist leicht, zu

beteuern, wir machen Versuche, aber die zähen, nicht zu fassenden retardierenden

Momente kommen von der CDU. Die CDU allein hat die VOS Preetz abgeschlossen,

obwohl gerade dort die Durchlässigkeit der Schule bis ins Feinste ausgestaltet war.'

Für diesen Abbruch aus unerfindlichen Gründen müsse noch den Pädagogen ein

Abschlussbericht gegeben werden, verlangte Meier-Bant, das sei die 'verdammte

Schuldigkeit' des Kultusministers.“184

182 s. Varain, Parteien, S. 276, Anm. 1136183 Protokoll LT-SH, 4. WP., 22.08.1962, S. 2917184 Volkszeitung, 19.09.1962, S. 10

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Somit versprach eine neue Politikergeneration zur kommenden Wahlperiode nicht nur die

Ergebnisse von Gerlichs Politik näher in Augenschein zu nehmen, sondern auch seine

Einflussnahmen auf dem Weg dorthin kritisch zu hinterfragen.

2.3.) Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in besonderem Verhältnis zu

Trappenkamp

2.3.1) Vor der Selbstständigkeit Trappenkamps

In seiner Eigenschaft als Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft, über den

Ausschuss für Flüchtlingsangelegenheiten des CDU-Landesverbandes und in anderen

Funktionen war Gerhard Gerlich schon vor seiner Wahl in den Schleswig-Holsteinischen

Landtag am 07.07.1950 mit vielen Projekten von Landsleuten seiner alten Heimat in

Berührung gekommen. Nicht belegt ist, ob dies seinerzeit auch schon die

Industriesiedlung Trappenkamp in einer Waldfläche südöstlich von Neumünster betraf.

Deren Aufbau aus einem früheren Marinewaffenarsenal und die Weiterentwicklung vor

allen durch sudetendeutsche Flüchtlinge ist in zwei Chroniken von Claus-Dietrich Bechert

(1976) und Stefan Wendt (1992) ausführlich dokumentiert worden.185

In einer seiner ersten Sitzungen als Landtagsabgeordneter wurde Gerlich am 12.10.1950

bereits zu Beginn vom Landtagspräsidenten und SPD-Abgeordneten Karl Ratz auf eine

Ausstellung mit Trappenkamper Produkten im Kieler Landeshaus aufmerksam gemacht

und dürfte dessen Aufforderung sicher gefolgt sein: „Meine Damen und Herren! Ich eröffne

die 3. Tagung des 4. Schleswig-Holsteinischen Landtages. Ich mache darauf aufmerksam,

daß im Konferenzsaal eine Ausstellung der Gablonzer Schmuckwarenindustrie von

Trappenkamp gezeigt wird. Ich möchte alle Damen und Herren bitten, sich dieselbe

anzusehen.“186

185 Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976; sowie Wendt, Stefan: Trappenkamp. Geschichte einer jungen Gemeinde, hrsg. v. der Gemeinde Trappenkamp, Trappenkamp 1992; im Folgenden: Wendt, Trappenkamp

186 Protokoll LT-SH, 2.WP., 12.10.1950, S. 595

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Zum Schluss dieses Sitzungstages war bezeichnenderweise der Landesminister für Arbeit,

Soziales und Vertriebene, der BHE-Abgeordnete Hans-Adolf Asbach ans Rednerpult

getreten und hatte die Abgeordneten erneut auf diese Ausstellung im Frühstücksraum des

Hauses hingewiesen. Bereits im Landtagswahlkampf hatten die neue Partei des BHE

(Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), die CDU (als Hauptteil der bald

gegründeten Wahlblock-Fraktion) und die bisher allein regierende SPD sich als Anwälte

der zahlreichen Flüchtlinge dargestellt und somit um ein besonders in Schleswig Holstein

beachtliches Wählerpotenzial konkurriert.

Hatten Vertreter der inzwischen abgelösten SPD-Landesregierung auch nach dem

Wahlkampf ihre bisherigen Verdienste für die Unterstützung am Ort reklamiert, stellte der

Minister der neuen Regierungsmannschaft dem am 12.10.1950 im Plenum seine

ausgesprochen lobenden Worte für die wirtschaftlichen Eigeninitiativen in der

Vertriebenensiedlung gegenüber:

„In Trappenkamp haben in völliger Einsamkeit und unter unerhörtem Einsatz sämtlicher

Beteiligten 61 sudetendeutsche Betriebe ihre Werkstätten errichtet. Vom Zwei-Familien-

Betrieb angefangen bis zum 40-Mann-Betrieb sind alle Sparten vertreten. (…) Niemals

habe ich ein solches Beispiel eines unerhörten Einsatzes und der Selbsthilfe gesehen wie

in Trappenkamp. Diese Ausstellung ist ein Beweis dafür, daß Vertriebenenbetriebe,

gesund geleitet, in kürzester Zeit einen erstaunlichen Exportfaktor darstellen können. Und

sie ist zweitens ein weit über die Grenzen unseres Landes hinausgehender Beweis dafür,

daß Vertriebenenbetriebe und die Vertriebenen selbst keine Belastung zu sein brauchen,

sondern ein Faktor aufbauender Wirtschaftmacht und Tatkraft sind.“187

In den nächsten Tagen war wie in der gesamten Landespresse auch in der

sozialdemokratisch geprägten Volkszeitung von Verhandlungen des Sonderbeauftragten

des Sozialministeriums für Trappenkamp, Bürgermeister Herbert Wegener, zu lesen, die er

mit Finanzminister Kraft und Sozialminister Asbach über Unterstützungsleistungen der

Wirtschaft am Ort führte. Diese galten den verarbeitenden Betrieben, insbesondere aber

der zentralen Hohl- und Farbglashütte Trappenkamp. Wegener vermeldete in den

Folgemonaten wechselnde Erfolge auf der Suche nach Gesellschaftern, denen

187 Protokoll LT-SH, 2.WP., 12.10.1950, S. 7796

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presseöffentlich hohe Fördermittel in Aussicht gestellt wurden, bis diese Initiative im April

1951 vorläufig in einem Streit von Gläubigern endete.

Seit dieser Zeit nahmen Vertreter Trappenkamps im benachbarten Bornhöved an

Sitzungen der Gemeindevertretung teil, um die Interessen ihres wachsenden Ortsteils zu

wahrzunehmen. Der Abgeordnete Gerhard Gerlich engagierte sich in dieser Wahlperiode

vor allem in den Ausschüssen für Heimatvertriebene, Volksbildung und Volkswohlfahrt, so

dass ihn derartige Presseberichte weniger unter finanziellen oder wirtschaftlichen

Aspekten, sondern in Hinsicht auf die Bereiche Soziales und Bildung interessiert haben

dürften.

Die wirtschaftlichen Probleme der Gemeinde Trappenkamp führten im Juli 1952 zu einem

Dringlichkeitsantrag des Wirtschaftsministers auf „Regelung der Liegenschaften in der

industriellen Vertriebenensiedlung Trappenkamp“, den stellvertretend Ministerpräsident

Lübke einbrachte und begründete. Dieser verwies in der Sitzung am 15.07.1952 auf die

gestiegene Beschäftigtenzahl von 600 Arbeitskräften, den steigenden Export der

Schmuck- und Glaswarenerzeugnisse auf dem Weltmarkt und betonte, dass auf seine

Veranlassung hin neue Kreditmittel für den Ausbau der dortigen Glashütte bewilligt

wurden. Für seinen Antrag, Liegenschaften im Landesbesitz in eine zu bildende

Ausbaugesellschaft einbringen zu können, bat er die Landtagsabgeordneten inklusive

Gerhard Gerlich um Zustimmung.

Auch der SPD-Abgeordnete Walter Damm betonte in der Debatte die vielen und teils

vergeblichen Bemühungen, die zuvor auch die SPD-Landesregierung für die Entwicklung

am Standort unternommen hatte, riet aber wie Abgeordnete aller Fraktionen zu einer

sorgfältigen Beratung im Wirtschaftsausschuss. Kurioserweise wähnte Ministerpräsident

Lübke dabei die Lage von Trappenkamp im Kreis Flensburg, wie auch der nachfolgende

SPD-Abgeordnete Lechner diesen Ort fälschlicherweise dem Kreis Eckernförde

zuordnete. Gleichwohl schloss der Regierungschef mit der Aufforderung an einzelne

Abgeordnete, diese Ansiedlung und ihr Potenzial persönlich zu besichtigen.188 Ob Gerhard

Gerlich dieser Ermunterung schon im Jahre 1952 Folge leistete, ist nicht nachweisbar.

188 Protokoll LT-SH, 2.WP., 15.07.1952, S. 55-6397

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Der Ortschronist Claus-Dietrich Bechert führt in diesem Zusammenhang einen Brief des

Wirtschaftsministeriums vom 07.08.1952 an die Landtags-Ausschüsse für Wirtschaft und

Finanzen an, nach welchem die Ausbaupläne der (von den Fraktionen des Wahlblocks

und des BHE getragenen) Landesregierung für die Gemeinde Trappenkamp bereits eine

Lösung dieses Ortsteils von der Gemeinde Bornhöved absehbar vorzeichneten.189 Eine

wirtschaftliche wie soziale Instabilität in dem wachsenden Ort wurde durch die Insolvenz

einer sogenannten Genossenschaft der „Trappenkamper Glas- und Schmuckwaren

GmbH“ im Juli 1952 offenkundig, in deren Folge sich im Januar 1953 zwei konkurrierende

Nachfolgeorganisationen gründeten, an deren einer unter anderem die Wolfgang Beckert

KG (Lederwaren) beteiligt war. Der Inhaber, ein aufstrebender junger Geschäftsmann

sollte in den Folgejahren einer der engsten Vertrauten Gerhard Gerlichs und der erste

Bürgermeister von Trappenkamp werden.

Zur Jahresmitte 1953 ließ sich Wirtschaftsminister Hermann Böhrnsen in Bad Segeberg

von Landrat Alnor über die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung Trappenkamps informieren,

die auch der Referent für Glas und Keramik im Wirtschaftsministerium durch einige

Ansiedlungswünsche von Betrieben aus dem Ausland bestätigt sah.190 Die Notwendigkeit

von Wirtschaftsförderung und Investitionen für gesteigertes Wachstum stand auch für

einen Redakteur der SPD-nahen Volkszeitung im Vordergrund, als er in dem Artikel

„Trappenkamp am Wendepunkt“ eine kritische Bilanz von gescheiterten Initiativen in

sozialen Bereichen sowie der jüngeren Regierungspolitik für den Ort zog:

„Mit Trappenkamp ist viel experimentiert worden. Vor drei Jahren verkündete einmal ein

'Sonderbeauftragter' des Sozialministeriums, daß man Trappenkamp in zwei Jahren auf

eine Einwohnerzahl von 6000 mit den entsprechenden Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten

bringen wolle. Solche Prognosen sind völlig abwegig. Es steht aber fest, daß

Trappenkamp erst dann krisenfest sein wird, wenn die Zahl von etwa 1000 Beschäftigten

erreicht ist. Es gilt also neue Betriebe anzusiedeln.“191

In dem überwiegend ländlich strukturierten Bundesland Schleswig-Holstein und bei einer

krisenanfälligen Wirtschaftsstruktur in einer Randlage nahm der Ort allerdings eine

189 Bechert, Chronik, S. 80/81190 Kieler Nachrichten, 02.06.1953, S. 4191 Volkszeitung, 16.01.1954, S. 10

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Sonderstellung ein und bekam schließlich vorbildhaften Charakter: „Die

Industrieansiedlung Trappenkamp galt als das markanteste Beispiel für den industriellen

Aufbau in Schleswig Holstein: nach intensiver Förderung durch die Landesregierung

entstand hier unter der Leitung von Vertriebenen aus dem Sudetenland eine Glasindustrie,

die 1954 bereits einen Umsatz von 2,8 Millionen DM mit stark ansteigender Tendenz

vorweisen konnte.“192

Die deutlich unterschiedlichen Entwicklungen zwischen dem mit Betrieben, Arbeitskräften

und Anwohnern expandierenden Trappenkamp gegenüber dem in ländlichen Strukturen

verbliebenen Bornhöved führten bei begrenzten Finanzmitteln und einer fortwährenden

Mehrheit von Alteingesessenen auf den Sitzungen der gemeinsamen Gemeindevertretung

zu Spannungen. So kam es im August und September 1954 zu ersten Initiativanträgen,

Trappenkamp aus dieser Gemeinde auszugliedern, die von dem Bornhöveder

Bürgermeister Edwin Dobrint nicht weiter bearbeitet, sondern zu den Akten gelegt

wurden.193

Für das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein der Trappenkamper Geschäftsleute

musste auch eine Bilanz in der Segeberger Zeitung vom 07.05.1955 unter dem Titel „So

baute Bornhöved in zehn Jahren auf. Auch das Pflegekind Trappenkamp überwand so

manche Kinderkrankheit“ abträglich erscheinen.Darin hieß es zu einer Beschreibung von

angesiedelten Betrieben, dem Umbau von Bunkern zu Wohnungen und der Einschaltung

der „Nordmark“-Wohnungsbaugesellschaft unter anderem: „Werfen wir noch einen Blick

auf den Ortsteil Trappenkamp, dessen Entwicklung Bornhöved in jeder nur möglichen

Weise gefördert hat, wobei zu betonen ist, daß die Gemeinde Bornhöved rein finanziell

einfach gar nicht in der Lage war, den Wünschen der Trappenkamper immer zu

entsprechen.“

Auf diese positive Darstellung der Gemeinde Bornhöved folgte eine Woche später die

Notiz in der Segeberger Zeitung, dass Bürgermeister Dobrint mit großer Mehrheit

wiedergewählt worden war. Aus Trappenkamper Perspektive dürfte an dem Artikel

„Bornhöved weiter auf bewährtem Kurs“ angesichts des Umgangs mit ihren bisherigen

Initiativen allerdings die betonte Einmütigkeit in der Gemeindevertretung fragwürdig

192 Struck, Lübke, S. 61193 s. Bechert, Chronik, S. 81 u. Wendt, Trappenkamp, S. 158

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erschienen sein. Auf dieser war zudem aus Paritätsgründen beschlossen worden, jede

dritte öffentliche Sitzung in Trappenkamp abzuhalten.194

In dieser Zeit setzte ein zielgerichteter Umgang der Trappenkamper Gemeindevertreter im

Umgang mit ihren Kollegen in Bornhöved zum Durchsetzen ihrer Interessen ein. Diese

deutliche Veränderung passt zu der Erklärung von Walter Holey, einen ihm persönlich

bekannten Landtagsabgeordneten einzuschalten und dessen Erfahrung, Geschick und

gute Verbindungen zu entscheidenden Stellen zu nutzen: „Ich habe 1955 den Anstoß

gegeben, daß Dr. Gerlich als Berater für die Selbständigmachung der Gemeinde

beigezogen wurde, da ich ihn durch die Zusammenkünfte der Sudetendeutschen

Landsmannschaft kennen gelernt hatte und von seinem Wirken wußte.“195

Bei der Einweihung der „Dr. Gerlich-Schule“ am 12.03.1969 an diesem Ort hatte

Bürgervorsteher Ernst Schöffel in seiner „Laudatio post mortem“ hingegen einen früheren

Zeitpunkt angenommen: „Dr. Gerhard Gerlich gehörte seit 1950 zu den besonderen

Förderern der Industriegemeinde Trappenkamp.“196 Spezifischere und entsprechend

wahrscheinlichere Angaben machte dagegen Walter Holey in seiner kurzen Rede bei

demselben Anlass und führte zu seinen damaligen Mitstreitern für ein weiteres

strategisches Vorgehen aus:

„Als erster Siedler in Trappenkamp im Jahre 1946 halte ich es für meine Pflicht und mein

Recht, heute und dieser Stelle unserem Landsmann Dr. Gerhard Gerlich die Ehre zu

erweisen und die Anerkennung zu zollen, die ihm gebühren. Er war es allein, der in den

verschlungenen Wegen der Bürokratie und den Unwägbarkeiten der Politik diejenigen

Türen zu öffnen wußte, die für die Siedlung Trappenkamp in kürzester Zeit zur

Selbstverwaltung führten. Er führte vor allem unsere Landsleute Wolfgang Beckert und

Otto Hub in den zuständigen Ämtern ein und vertrat die Siedlung mannhaft im Landtag, wo

es nicht wenige Gegner der Neugründung gab."197

194 Segeberger Zeitung, 13.05.1955, S. 5/6 u. 14.05.1955, S. 6195 Holey, Ansprache (vom 12.03.1969)196 Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der „Gerhard-

Gerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D (1969), Bl. 3 [Privatbesitz]197 Holey, Ansprache (vom 12.03.1969)

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Schon im Folgemonat überraschte auf der Bornhöveder Gemeindevertretersitzung

ein von Trappenkamper Seite eingebrachter Antrag auf eine bessere Wirtschaftsförderung

der Industrie-Siedlung. Dazu gab der Gemeindevertreter Wolfgang Beckert eine derart

professionell formulierte, analytisch strukturierte und eine klare Handlungsanweisung

vorgebende Begründung ab, dass die Federführung Gerlichs bereits hier naheliegt. Es

wäre einem jungen Lederwarenfabrikanten kaum zuzutrauen gewesen, von allein

derartige Vertragsdetails zwischen dem Kieler Finanzministerium und einer

Wohnungsbaugesellschaft zu analysieren, die Erfordernis eines höheren

Finanzierungsanteils aus dem Gemeindehaushalt zu begründen und die verantwortlichen

Akteure vor Ort erstmals auf konkrete Initiativen bei Landesministerien wegen deren

spezieller Förderprogramme verpflichten zu können.

Zudem initiierte Beckert bei dieser Gelegenheit die Wahl eines entsprechenden

handlungsbefugten Gremiums, in dem neben Bürgermeister Dobrint und anderen ihm

ebenfalls eine strategisch nützliche Stellung mit Steuerungsmöglichkeiten zukam. Auch

das von Gerlich bekannte Stilmittel der Zuspitzung bei offenen Konstellationen, um mit

Druck drastisch deutliche Entscheidungen herbeizuführen, fand sich in dem Redebeitrag

Beckerts wieder: „Man muß die heutige Situation in Trappenkamp als ernst, als sehr ernst

bezeichnen. Die Lage in Trappenkamp ist so ernst, daß, wenn es nicht gelingt, sie in den

verbleibenden Monaten dieses Jahres zu lösen, Trappenkamp im nächsten Jahr

vollkommen zum Absterben verurteilt sein dürfte.“198

Umgekehrt setzte sich nun auch Gerlich im Schleswig-Holsteinischen Landtag

nachweisbar für die Interessen Trappenkamps ein. In Zeiten der Wiederbewaffnung und

der Errichtung einer Infrastruktur für die ins Leben gerufene Bundeswehr bestand für die

Siedlung die Gefahr, dass die einst militärisch genutzten Liegenschaften wieder vom Bund

für deren Zwecke in Anspruch genommen würden. Die Verabschiedung des

Nachtragshaushalts im Landtag am 11.10.1959 gab Gerlich die Gelegenheit, frühzeitig

Gegenargumente für derartige Planungen zu verbreiten: „Auf die eigentliche Frage des

Nachtragshaushaltes – die Errichtung von 100 Stellen für die Bauvorhaben im

Zusammenhang mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag - zurückkommend erklärte Dr.

Gerlich, daß man der Landesregierung dankbar sein müsse, vorzeitig diesen

198 Segeberger Zeitung, 06.07.1955, S. 5101

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Nachtragshaushalt vorgelegt zu haben, da dadurch verhindert würde, daß ein militärischer

Apparat für die militärischen Bauten aufgezogen würde.“199

Zeitgleich folgte in Trappenkamp der nächste Schritt einer Eskalation, die sowohl für die

nicht eingeweihten Zeitgenossen als auch für die Nachwelt kaum nachvollziehbar war.

Vordergründig hatten sich die Trappenkamper Gemeindevertreter zwar mit ihren Kollegen

aus Bornhöved auf ein professionelles gemeinsames Vorgehen zum Einwerben von

Fördermitteln geeinigt. Stattdessen stritten sie nun öffentlich und offenkundig bewusst

über die vergleichsweise nachrangige Frage, wo genau das gemeinsame Gremium als

nächstes hätte tagen sollen. Für die turnusmäßige dritte Sitzung war die „Gaststätte

Trappenkamp“ vorgesehen gewesen, die aber wegen Konzessionsschwierigkeiten sehr

kurzfristig hatte schließen müssen, denn für den Anfang des Monats war noch die Feier

eines Oktoberfestes dort geplant gewesen.200

Nun warfen die Repräsentanten Trappenkamps mit Beckert als ihrem Sprecher

Bürgermeister Dobrint öffentlich vor, dass er am Ort eine alternative Tagungsstätten hätte

suchen müssen, anstatt doch wieder nach Bornhöved einzuladen. Beckert forderte auf der

dortigen Sitzung in einer schriftlich vorbereiteten Erklärung von dem Bürgermeister

Aufklärung über die Gründe seiner Entscheidung, warf ihm eine Vertiefung der Spaltung

zwischen den beiden Ortsteilen vor und gab schließlich für sich und andere eine

persönliche Erklärung ab, dass er als angeblich nicht gleichberechtigt anerkannter

Gemeindevertreter seine Mitarbeit vorerst ruhen lasse.201

Beckert entzog sich damit der Möglichkeit, nachvollziehbare Argumente auszutauschen

und eine konstruktiven Lösung in einem solchen Konflikt zu suchen. Stattdessen strebte er

offensichtlich mit den Mitteln der Zuspitzung und Polarisierung eine Entscheidung und

letztlich Abspaltung aus einer fragilen politischen Verbindung an, wie sie G. Gerlich auf

vergleichbare Weise anderenorts schon strategisch geplant und auf umstrittene Weise

auch durchgesetzt hatte. In dieser Konstellation kam (un)passenderweise am 14.10.1955

eine Delegation des Finanzausschusses des Landtags zusammen mit

Ministeriumsvertretern zur Besichtigung von Betrieben und Wohnungen, die in ehemaligen

199 Volkszeitung, 12.10.1955, S. 9200 s. Segeberger Zeitung, 29.09.1955, S. 5201 s. Segeberger Zeitung, 14.10.1955, S. 5 u. Bechert, Chronik, S. 81/82

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Bunkern eingerichtet worden waren. Im Rahmen dieses ersten von vielen auswärtigen

Besuchen dieser Art bekamen bei Gesprächen mit Anwohnern, Arbeitnehmern und

Arbeitgebern auch Bürgermeister Dobrint und die Trappenkamper Gemeindevertreter

Gelegenheit, ihre Positionen zu vertreten.202

Ein offenkundig angestrebtes Ziel schien schon wenige Tage später erreicht worden zu

sein, als die Segeberger Zeitung am 19.10.1955 von der nächsten Sitzung unter der

Schlagzeile „Trappenkamp will selbständig werden. Bornhöveds Gemeindevertretung

geschlossen für die Loslösung“ berichtete. So war im Unterschied zu der

vorangegangenen Sitzung auf Vorschlag von Bürgermeister Dobrint bewusst sachlich und

leidenschaftslos fünf Stunden lang über den erneuerten Antrag von Trappenkamper Seite

auf eine Selbstständig-Machung vom August 1954 debattiert worden.

Nach Erläuterungen des Wortführers Beckert wurde in einer gemeinsamen Erklärung

erneut das finanzielle Argument angeführt, dass die Gesamtgemeinde wegen der geringen

Finanzkraft beider Partner nicht in der Lage sei, den besonderen kommunalen Bedarf

Trappenkamps rasch und ausreichend zu erfüllen. Nach dem erfahrenen Druck wurde den

Bornhövedern die einmütige Entscheidung zur Abspaltung oder Loslösung durch die

formulierte Erwartung erleichtert, „daß seitens des Landes der neuen Gemeinde

Trappenkamp die zur Erhaltung der lebensfähigen Fähigkeit erforderlichen Geldmittel

zugestanden werden.“203 Der anstrebte Termin 01.04.1956 ließ dabei ebenfalls eine tiefere

Kenntnis der verwaltungstechnischen Verfahren und Fristsetzungen in den zuständigen

Ministerien erkennen.

Ähnlich gut vorbereitet folgte am 26.10.1955 der hochrangige Besuch des

Wirtschaftsministers Hermann Böhrnsen zusammen mit dem Leiter der

Kommunalabteilung im Innenministerium, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses

Hans Kersig und Vertretern des Kreises Segeberg. Diese besprachen mit den hiesigen

Gemeindevertretern und Bürgermeister Dobrint die Ausgestaltung und die finanziellen

Grundlagen der am 18.10.1955 beschlossenen selbstständigen Gemeinde Trappenkamp:

„Die Trappenkamper betrachten diesen Ministerbesuch, dem noch vor wenigen Tagen ein

Besuch des Landtagsausschusses für Finanzen vorausgegangen war, als ein erfreuliches

202 s. Segeberger Zeitung, 15.10.1955, S. 5203 Segeberger Zeitung, 19.10.1955, S. 5

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Zeichen des großen Interesses, welches in Kiel der Entwicklung Trappenkamps

entgegengebracht wird, und sie hoffen auf günstige Beschlüsse von Landesregierung und

Landtag.“204

Auch bei dieser Gelegenheit wurde die sehr wahrscheinliche Mitwirkung des

Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich mit seinen bekanntermaßen guten Kontakten im

Landtag und zu höchsten Stellen in Landesministerien für die Anregung und Durchführung

derartiger Besuche augenscheinlich. Dahinter war ein komplexerer weitergehender Plan

erkennbar, auch wenn Walter Holey in einem späteren Rückblick zu dem Wechselspiel

zwischen dem Strategen Gerlich im Hintergrund und seinen durchführenden Vertrauten

am Ort wie Wolfgang Beckert die Zeitabfolge fälschlicherweise umgekehrt erinnerte:

„Mit Wolfgang Beckert als Bürgermeister, einem jungen dynamischen Landsmann aus

Böhmisch Leipa, der selbst als Inhaber einer Lederwarenfabrik hier tätig war und der

schon viel zur Selbständigwerdung der Gemeinde beigetragen hatte, ging es dann wirklich

voran. Und natürlich mit der Hilfe des Landes. Eine Schule und eine Turnhalle wurden

gebaut, Straßen befestigt, die Straßenbeleuchtung eingerichtet, Wohnungen gebaut und

der Bau der Kanalisation wurde begonnen. Beckert suchte die Verbindung zu unserem

Landsmann Dr. Gerlich, einem Mitglied des Landtags, der nicht ohne Einfluß im Lande

war.“205

Zutreffender schilderte dagegen Klaus Deneke die Initiatorenschaft und den Einfluss

Gerlichs auf die verschiedenen Beschlüsse des Landeskabinetts zum Erhalt der

Industriesiedlung und der Selbstständigwerdung Trappenkamps zu einer Gemeinde.

Dazu zählte auch die Berücksichtigung von deren Projektanträgen in den

Landeshaushalten der folgenden Jahre: „In nahezu allen Bereichen hatte er Einfluss, was

ihm auch die Bezeichnung 'Graue Eminenz' der CDU-Fraktion einbrachte. Er liebte es, aus

dem Hintergrund die Fäden zu ziehen und seinen ganzen, sehr großen Einfluss spielen zu

lassen. Konkret ist schwer nachzuweisen, was er für Trappenkamp im Einzelnen alles

bewirkte.“206

204 Segeberger Zeitung, 27.10.1955, S. 4205 Heerdegen, Manfred/ Holey, Walter: Isergebirgler und ihre Glas- und Schmuckindustrie in Holstein,

Baden und im Taunus, Schwäbisch Gmünd 2007, S. 10/11206 Deneke, Materialien, S. 19

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Diese Art des Vorgehens hatte Gerlich auch anderenorts mit großem Erfolg praktiziert, wie

an den vorhergehenden Kapiteln über seine Lebensstationen in der Nachkriegszeit

nachzuvollziehen sein dürfte. Gerlichs weitgehender Verzicht auf eine augenfällige

Beteiligung hat die Suche nach den seltenen Belegen für seine Planungen und direkte

Mitwirkung an Aktionen (mehr als bei dem offenkundigeren Einbeziehen und

Instrumentalisieren Dritter für die Durchsetzung seiner Ziele) erschwert. Unter diesen

Voraussetzungen hat auch Klaus Deneke seine Broschüre „Materialien zur Person von Dr.

Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinden

Trappenkamp und Bornhöved“ erstellt und konnte 2007 zu dem Wechselspiel zwischen

Wolfgang Beckert und Gerhard Gerlich feststellen:

„Die beiden Sudetendeutschen waren befreundet, und Beckert ging im Hause Gerlich in

Neumünster ein und aus. Außerdem liegt Trappenkamp auf der Achse Neumünster - Plön-

Süd, so dass Dr. Gerlich bei Reisen zu seinem Wahlkreis Gelegenheit hatte, in

Trappenkamp bei Beckert vorbeizuschauen. Zudem war Beckert sehr oft in Kiel, um seine

Pläne zum Ausbau und zur Entwicklung seiner Gemeinde in den Ministerien

voranzutreiben. Dabei war ihm Dr. Gerlich in allen Phasen behilflich.“207

Als ein Ausdruck dieses erfolgreichen Wechselspiels war zum Jahresende 1955 in der

Segeberger Zeitung unter der Überschrift „Kiel überprüft Verselbständigung

Trappenkamps. Landesmittel für Sofortmaßnahmen in der Industriesiedlung“ von

Einzelmaßnahmen zur Infrastruktur am Ort zu lesen. Diese waren nach einem

ausführlichen Bericht des Wirtschaftsministers von dem Landeskabinett als Hilfs- und

Aufbaumaßnahmen für die Industriesiedlung beschlossen worden und sollten aus dem

Nachtragshaushalt sowie dem des Folgejahres finanziert werden. Für die Pläne von

Beckert und Gerlich war die Aussicht auf eine weitere Entscheidung im Jahr 1956

mindestens ebenso bedeutsam: „Die Frage der Verselbständigung Trappenkamps, das

bisher als Ortsteil der Gemeinde Bornhöved zugehört, wird noch abschließend geprüft

werden.“208

207 Deneke, Materialien, S. 18208 Segeberger Zeitung, 14.12.1955, S. 5

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2.3.2) Im Gründungsjahr 1956 der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp

In Ergänzung der Darstellungen in den Ortschroniken von Claus-Dietrich Beckert und

Stefan Wendt kann der Ablauf zur Selbstständigkeit der Gemeinde Treppenkamp im Jahr

1956 anhand von Artikeln der Segeberger Zeitung nachvollzogen werden, wobei auch hier

nur seltene Male die direkte Mitwirkung von Gerhard Gerlich an diesen Abläufen sichtbar

wird. Auf Anfrage der Redaktion hatte Bürgermeister Dobrint zu Beginn des Jahres 1956

bestätigt, dass die Muttergemeinde Bornhöved zwar der Ausgemeindung des Ortsteils

Trappenkamp auf deren Wunsch zugestimmt habe, dass nach seinen Informationen die

Landesregierung in Kiel diese Frage aber erst in nächster Zeit auf einer Kabinettssitzung

prüfen werde.209

Er fügte am 13.01.1956 hinzu, dass erst nach deren Entscheidung die

Gemeindevertretung Bornhöved auf ihrer entsprechenden öffentlichen Sitzung

zusammentreten könne, um ferner die unterschiedlichen Positionen bei Finanzen oder

Gebietsabtretungen nur im Einvernehmen mit Bornhöved, Trappenkamp und der

Kommunalaufsicht auflösen zu können: „Falls entsprechende Beschlüsse zur

Zufriedenheit aller Parteien nicht herbeigeführt werden können, müssen nach der

schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung die strittigen Fragen vom Innenminister, im

Kabinett oder sogar auch vom Landtag entschieden werden“210

Diese Konstellation sollte sich im weiteren Verlauf als strategischer Vorteil für Gerlich und

seinem Trappenkamper Vertrauten Beckert erweisen, zumal der betreffende Minister

Helmut Lemke praktischerweise auch die Funktion des CDU-Kreisvorsitzenden von

Segeberg innehatte. Dieser nahm beispielsweise am 19.01.1956 in einer

Kreisausschusssitzung der Partei in Bad Segeberg zu dem aktuell kritisch diskutierten

„Fall Gerlich“ über die Zukunft der Ostgebiete und zu der Notwendigkeit von

staatsbürgerlichem Engagement bei der Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens

Stellung, wie er es auch am 06.02.1956 im Landtag durch Gerlich bewirkt zu tun hatte.211

209 s. Segeberger Zeitung, 04.01.1956, S. 4210 Segeberger Zeitung, 13.01.1956, S. 4211 s. Segeberger Zeitung, 19.01.1956, S. 5

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Anfang Februar 1956 initiierte der „Bürger- und Gewerbeverein Bornhöved“ unter

Beteiligung anderer Organisationen eine Veranstaltung über den aktuellen

Informationsstand, an der auch die interessierten Gemeindevertreter aus Trappenkamp

teilnahmen. Diese Versammlung unterlag nicht den allgemeingültigen Regularien einer

offiziellen Gemeindevertretersitzung und könnte somit als Vorbild für eine Krisengremium

Beckerts im Sommer 1956 gedient haben. Bei diesem Treffen benannte Bürgermeister

Dobrint besonders die zu verhandelnden Grenzänderungen und finanzielle Differenzen als

künftige Themen und mahnte eine gerechte Berücksichtigung der Interessen an:

„Bornhöved habe Verständnis für Trappenkamp, aber Trappenkamp müsse auch

Verständnis für Bornhöved haben. Man dürfe aber nicht in den Fehler verfallen, daß man

Bornhöved über die Ausgemeindung Trappenkamps kaputt mache.“212

Zu einer nicht korrekten Informationspolitik von Landesseite erklärte Dobrint mit Bedauern,

„daß er als Bürgermeister in den letzten Wochen und Monaten von den zuständigen

Stellen (Landesregierung) nicht so über den Stand der Entwicklung unterrichtet worden

sei, wie es nach seiner Auffassung erforderlich gewesen wäre.“ Demgegenüber

präsentierte sich der Gemeindevertreter Wolfgang Beckert als Sprecher Trappenkamps

bereits als deutlich besser instruiert und kritisierte mit diesem Vorteil auf aufreizende

Weise, wie sie auch von Gerlich bekannt war, seinen Vorredner: „Auch Bürgermeister

Dobrint wäre sicherlich bei den zuständigen Stellen die erforderliche Aufklärung zuteil

geworden, wenn er über den Stand der Entwicklung nachgeforscht hätte.“ Vermutlich hatte

eine Vorarbeit Gerlichs über Innenminister Lemke und dessen Verwaltungsapparat dazu

beigetragen, dass Beckert ohne Bedenken öffentlich versichern konnte: „Trappenkamp

füge sich jedem Beschluß, den die Landesregierung im Verfolg der Ausgemeindung zu

fällen habe.“213

In Vertiefung dieses Ungleichgewichts war eine Meldung, „wie von gut unterrichteter Seite

verlautet“, über die Absicht der Landesregierung, die Industriesiedlung bis zum 01.04.1956

aus der betroffenen Muttergemeinde Bornhöved auszugliedern, in der Ausgabe vom

14.02.1956 platziert worden. Aber zum offiziellen Kenntnisstand vermeldete die

Segeberger Zeitung am 21.02.1956: „Informationen stehen noch aus“.

212 Segeberger Zeitung, 04.02.1956, S. 5213 Segeberger Zeitung, 04.02.1956, S. 5

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Damit kontrastierte allerdings das ausführliche Referat des Hauptredners Wolfgang

Beckert, als dieser am 28.02.1956 auf einer Einwohnerversammlung in der

Trappenkamper Gastwirtschaft „Erholung“ über eine detaillierte Verteilung von insgesamt

610.000 DM referierte, die vom Landtag als Wirtschaftshilfe für Trappenkamp beschlossen

seien. Seinen gewiss durch Gerlich beförderten Informationsvorsprung (auch gegenüber

dem eigentlich zuständigen Bürgermeister von Bornhöved) begründete Beckert damit,

„daß das Problem Trappenkamp zuerst größter Vorsicht bedurft und den Charakter der

Vertraulichkeit getragen hätte.“

Schon in der Titulierung wirkte seine Gegenüberstellung der Differenzen „zwischen der

Bauerngemeinde Bornhöved und dem Ortsteil Treppenkamp mit seiner Industrie“ auf

bekannte Weise polarisierend. Zudem übte Beckert mit seiner öffentlichen Bewertung der

Vorschläge der Kreis- Kommunalaufsicht (z.B. zum Überlassen des gesamten

Arsenalgeländes und der anteilsmäßigen Finanzierung von Schulbau und Straßenbau)

indirekt Druck auf die am Folgetag getrennt tagenden Gemeindevertretersitzungen aus.

Abschließend formulierte er wohl kaum uneigennützig die Perspektive: „In diesem Fall

würde Trappenkamp Mitte März einen komm.[isssarischen] Bürgermeister erhalten.“214

Dass bei Beckerts aufgezählten Infrastrukturprojekten die Belange des Schulbaus einen

größeren Raum einnahmen, korrespondierte dabei mit dem bekannten Umstand, dass der

Landtagsabgeordnete Gerlich den Schwerpunkt seiner politischen Arbeit ab 1952 vom

Ausschuss für Heimatvertriebene auf den Bildungsausschuss verlagert hatte. Nach

weiteren Sitzungen dieser Gremien und des Kreisausschusses von Segeberg fassten die

Gemeindevertreter gemeinsam in Bornhöved den Beschluss zu der angestrebten

Ausgemeindung, so dass die Segeberger Zeitung am 09.03.1956 die Nachricht

„Trappenkamp wird selbständige Gemeinde. 14 Ja-Stimmen und eine Enthaltung. Gut

nachbarliche Beziehungen“ vermelden konnte. Ergänzend zu Details über erste

Gebietsabtretungen und der Trappenkamper Übernahme von Kostenbeteiligungen in Form

von Darlehen wurde mit entsprechend gutem Hintergrundwissen bereits eine für den 13.

März wahrscheinliche Zustimmung des Landeskabinetts angekündigt.

Tatsächlich aber ließ die Regierung sich nicht von einer derart interessierte Seite unter

Zeitdruck setzen und so konnte erst mit der Entscheidung am 19.03.1956 dieser214 Segeberger Zeitung, 29.02.1956, S. 5

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rechtskräftige Beschluss nach § 15 Gemeindeordnung mit der Wirkung zum 01.04.1956

vermeldet werden. 215 Diesen Schritt begründete Ministerpräsident von Hassel später in

Anwesenheit Gerlichs bei der Landtagsdebatte am 28.05.1956 in Zusammenhang mit dem

Problem, ob in der Folge nicht auch in Bornhöved eine Neuwahl stattfinden müsste: „Wie

Ihnen bekannt sein wird, hat die Landesregierung mit Wirkung vom 1. April 1956 die

Gemeinde Trappenkamp aus der Gemeinde Bornhöved ausgegliedert, weil wir der

Meinung waren, daß damit beiden Teilen - nämlich der Gruppe Trappenkamp, die ihren

Aufbau in einer besonderen Situation vollzieht, aber auch der Gemeinde Bornhöved - ein

großer Gefallen getan worden ist.“216

Mit dem Artikel über die Zustimmung in Bornhöved war in der Segeberger Zeitung am

09.03.1956 zugleich ein Bericht über einen Vortrag von Gerhard Gerlich erschienen, den

dieser bei der Feierstunde der Ortsgruppe Trappenkamp am 03.03.1956 als Mitglied der

Landsmannschaft der Sudetendeutschen zum Thema „Selbstbestimmungsrecht und

Recht auf Heimat“ gehalten hatte. In diesen Wochen erschienen weiterhin höchst kritische

Leserbriefe gegen seine umstrittenen Positionen zur Zukunft der ehemals deutschen

Ostgebiete. So diente es wohl der persönlichen Imagekorrektur wie auch der

Unterstützung Beckerts sowie ihrer sudetendeutschen Landsleute am Ort, dass Gerlich

seine Ideen über eine Neuordnung der Räume von Lübeck zur Donau mit dem

versöhnlichen Geist der Völkerverständigung aller Menschen erklärte, die in Europa ihre

Heimat verloren hatten.

In den folgenden Wochen wurde Trappenkamp auf Beschluss des Innenministers Lemke -

und sicher nicht ohne Empfehlung Gerlichs - nun von Beckert kommissarisch verwaltet,

der sich bei der Vorbereitung dieser ersten Wahl am Ort mit derartiger Gestaltungsmacht

und mit seinen erkennbar guten Verbindungen zu Landtagsabgeordneten wie zur

Regierungsspitze weiter bekannt machen konnte. Als die Segeberger Zeitung am

18.05.1956 die Namen der insgesamt 24 Kandidaten für sechs Direktwahlbezirke und fünf

Listenplätze für die Wahl am 28.05.1956 präsentierte, fand sich unter den

Wahlvorschlägen der vier teilnehmenden Parteien CDU, GB/BHE, SPD und FDP unter

denen der letztgenannten auch der Name von Wolfgang Beckert. Dessen Beitrag nahm in

der Berichterstattung der Segeberger Zeitung vom 26.05.1956 naturgemäß den breitesten

215 Segeberger Zeitung, 21.03.1956, S. 5216 Protokoll LT-SH, 3. WP., 28.05.1956, S. 1721

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Raum ein, als die gute besuchte Einwohnerversammlung mit Vorstellung aller 24

Kandidaten in der Gastwirtschaft „Zur Erholung" im Klima einer bemerkenswerten

Einmütigkeit und betonten Sachlichkeit beschrieben wurde.

In seiner doppelten Eigenschaft als kommissarischer Bürgermeister und FDP-Kandidat

konnte Beckert die beginnenden Straßenbauarbeiten am Ort wie auch Haushaltspläne zur

Ansiedlung von Betrieben für sich in Anspruch nehmen und betonte, dass von dem Geld,

das Trappenkamp gegeben werde, kein Flickwerk gemacht werden solle: „Mein

persönlicher und der Wunsch meiner Partei ist es, einzig und allein an das Wohl

Trappenkamps zu denken.“217 Nach ihm betonte SPD-Sprecher Erwin Wengel ohne

Widerspruch „die Einmütigkeit und gute Zusammenarbeit mit allen bürgerlichen

Fraktionen. Alle Trappenkamper Belange seien gemeinsam erarbeitet worden.“

Demgegenüber stellte CDU-Sprecher Erich Pohl für seine Partei das gute

Vertrauensverhältnis zum Kreis und zur Landesregierung heraus. Insgesamt hatten sich

alle Richtungen so sehr an einen politischen Burgfrieden und pfleglichen Umgang

miteinander gehalten, dass es erstaunlicherweise keinen Bedarf an Anmerkungen oder

Fragen an einen Kandidaten mehr gegeben hatte: „Da keine einzige Wortmeldung in der

Diskussion vorlag, konnte die gut besuchte Versammlung nach längerer Pause

geschlossen werden.“218

Während der Bericht in der Segeberger Zeitung über diesen ungewöhnlich friedfertigen

und gemeinschaftlichen Wahlkampfabschluss am Folgetag auch in Trappenkamp zu lesen

war, spitzten sich am Ort die Turbulenzen an diesem Tag vor diesem ersten Wahlgang als

selbstständige Gemeinde zu. Der Ablauf des 27.05.1956 ist vor allem aus einer

Landtagsdebatte vom 03.07.1956 mit höchst streitigen Beiträgen zu rekonstruieren, in

deren Mittelpunkt nicht unerwartet Gerhard Gerlich stand. Insoweit er und sein

Hauptkontrahent Gerhard Stracke (SPD) sich in dieser Kontroverse nicht widersprachen,

waren demnach bis zu der geschilderten Einwohnerversammlung am Freitagabend

tatsächlich die von örtlichen Vertretern getroffenen Vereinbarungen eingehalten worden,

im Wahlkampf auf den Einsatz von Spitzenpolitikern der Landes- und Kreisebene oder von

217 Segeberger Zeitung, 26.05.1956, S. 5218 Segeberger Zeitung, 26.05.1956, S. 5

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Ministern zu verzichten.219

Allerdings hatten am nächsten Morgen sowohl CDU als auch BHE offenbar länger

vorbereitete Wahlkampf-Drucksachen als Postwurfsendungen verteilen lassen, auf die die

SPD ihrerseits erst um 17 Uhr mit eigenen Flugblättern reagieren konnte.220 Diese Abfolge

und Zusammenhänge verunklarte Gerlich in seinem Redebeitrag, als er ohne nähere

Spezifizierung den Vorwurf erhob, „dass die örtlichen Absprachen von den örtlichen

Partnern auf der einen Seite nicht eingehalten werden konnten“, und zudem das

betreffende SPD-Flugblatt mit einem zitierten Text seines Kontrahenten MdL Stracke

anfänglich als Nummer 5/II der „Schleswig-Holstein Post“ darstellte. Aus diesen im

Plenarsaal kaum nachvollziehbaren Zusammenhängen konstruierte er den diffus

formulierten Vorwurf parteipolitischer Einflussnahme auf höherer Ebene (andeutungsweise

seines politischen Gegners von der SPD), dass Absprachen vor Ort „nach entsprechenden

Interventionen von anderswo her“ geändert worden seien.221

Zu einem landespolitisch beachteten Skandal sollte allerdings nicht das dadurch angeblich

beeinflusste Wahlergebnis selbst, sondern der Umgang der Unterlegenen mit diesem

werden. Noch ohne Kenntnis um diese Reaktion vermeldete die Segeberger Zeitung am

28.05.1956 über das Wahlergebnis „Die SPD führt in Trappenkamp“ mit einer ersten nicht

erwarteten Konsequenz: „Die höchste Stimmenzahl mit 1072 erreichte die SPD, gefolgt

von der CDU mit 518, dem BHE mit 440 und der FDP mit 380 Stimmen. Die SPD brachte

alle von ihr nominierten Kandidaten in direkter Wahl durch. Darüber fiel ihr ein

Überhangmandat zu, obwohl sie nur auf 5 Kandidaten Anspruch hatte. Die übrigen

Kandidaten der CDU, des BHE und der FDP wurden über die Liste gewählt. Angesichts

des Überhangmandates werden in der Trappenkamper Gemeindevertretung nicht nur 11,

sondern 12 Gemeindeväter anzutreffen sein.“222

Ein derartiges Ergebnis hätten die Freizeitpolitiker am Ort nicht unbedingt erwarten

können, denn als Gerlich bei den Landtagswahlen im September 1954 im benachbarten

Wahlkreis Plön-Süd als Abgeordneter wiedergewählt wurde, hatte die CDU in

219 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1871/72220 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1874221 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1872222 Segeberger Zeitung, 28.05.1956, S. 5

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Trappenkamp bei jeweils einfacher Stimmabgabe mit 496 Stimmen noch vor der SPD

(446), dem BHE (345) und der FDP (118) gelegen. In dem Artikel folgte der namentlichen

Aufzählung der so gewählten Volksvertreter (ohne den FDP-Kandidaten Wolfgang

Beckert) ein an sich selbstverständlicher Hinweis auf die Konstituierung der ersten

gewählten Gemeindevertretung der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp: „Die neue

Gemeindevertretung wird am 6. Juni sich erstmalig zu einer Sitzung zusammenfinden und

die Wahl des Bürgermeisters vornehmen.“

Dagegen zeigten sich die Spitzenvertreter der drei unterlegenen bürgerlichen Parteien

erstaunlicherweise umgehend für eine solche Eventualität gewappnet. Sie schienen nach

der Darstellung im Artikel „Schildbürger in Trappenkamp. CDU, FDP und BHE stellen

Partei-Egoismus über Gemeindewahlrecht“ der Volkszeitung vom 02.06.1956 keine

Krisensitzung oder ausführliche Beratungen in anderer Form zu benötigen, um einen

weitgehenden Schritt zu beschließen und öffentlich bekanntzugeben: „Unmittelbar nach

Feststellung des Wahlergebnisses wurde von den Vertretungen der drei Parteien

geäußert, daß sie zur Mitarbeit in einem Gemeindeparlament mit einer derart starken

sozialdemokratischen Fraktion nicht bereit seien. Auf keinen Fall sollte die SPD das Amt

des Bürgermeisters besetzen dürfen.“223

Die Segeberger Zeitung vom gleichen Tage vermeldete eine Woche nach der Wahl unter

„Gemeindevertreter lehnten Mandat ab“ den offiziellen Vollzug dieser Ankündigung mit

noch weitreichenderen Folgen: „Am gestrigen Freitag haben alle sechs über die Liste in

die Gemeindevertretung Trappenkamp gewählten Kandidaten der CDU, des GB/BHE und

der FDP ihr Mandat in der Gemeindevertretung nicht angenommen. Hieraus resultiert die

nüchterne Tatsache, daß die Gemeindevertretung Trappenkamp nur noch aus den sechs

direkt gewählten Kandidaten besteht, da auch sämtliche übrigen Listenbewerber von CDU,

GB/BHE und FDP auf eine Anwartschaft Verzicht leisteten. Lediglich ein Mitglied des

GB/BHE schloß sich diesem gemeinsamen Vorgehen nicht an und erklärte damit

gleichzeitig seinen Austritt aus dem BHE.“224

Ein derartig beliebiges Umgehen mit dem Instrument von Nachrückern bei demokratischen

Wahlen dürfte Gerhard Gerlich, der damit spätestens in der Landtagsdebatte am

223 Volkszeitung, 02.06.1956, S. 2224 Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4

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03.07.1956 nachweislich befasst war, an den Versuch seines einstigen Landtagskollegen

Paul Lohmann erinnert haben, sich mit sehr ähnlichen Methoden 1950 zum

Stadtpräsidenten von Neumünster wählen zu lassen. Seinerzeit waren wie nun in

Trappenkamp ebenfalls von keinem Beteiligten plausible Gründe für dieses weitreichende

Vorgehen bekannt gegeben worden.

Dies könnte in diesem aktuellen Fall auch für nicht eingeweihte Funktionäre der eigenen

Partei gegolten haben, da die Volkszeitung von einem zuvor erfolglosen Versuch des

Segeberger CDU-Kreisgeschäftsführers berichtete, „die Vertretung seiner Partei von

diesem undemokratischen Schritt zurückzuhalten.“ 225Vermutlich ebenfalls aus einem

vergleichbaren Mangel an Hintergrundinformationen haben Claus-Dietrich Bechert und

Stefan Wendt sich in ihren Darstellungen zu dieser Episode auf die bloße Tatsache der

Nicht-Annahme der Mandate beschränkt. Zum inhaltlichen Verständnis konnte auch am

03.06.1956 eine nachgeschobene Erklärung der Trappenkamper Sprecher von CDU,

BHE und FDP nicht beitragen, „daß bei der Kräftekonstellation von sechs SPD-

Gemeindevertretern gegenüber sechs Vertretern von CDU, BHE und FDP eine

Arbeitsmöglichkeit in der Gemeindevertretung nicht gegeben sei.“226

Über das Fehlen einer für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Erklärung und die

entsprechenden Konsequenzen hatte die Redaktion der Segeberger Zeitung bereits am

02.06.1956 geschrieben:

„Wie erklärt wurde, sind dem Wahlleiter gegenüber keinerlei Gründe über die

Nichtannahme der Mandate abgegeben worden. Angesichts dieses gegebenen, aber völlig

unerwarteten Umstandes sieht es in der Praxis nun so aus, daß die zum kommenden

Donnerstag einberufene erste Sitzung der Trappenkamper Gemeindevertretung von

vornherein beschlußunfähig ist, also vertagt werden muß.“

Eine solche Strategie der Kandidaten der CDU, des GB/BHE und der FDP wäre nach der

Darstellung der Segeberger Zeitung allerdings auf Dauer fruchtlos geblieben, wenn nicht

Innenminister Lemke oder die ihm unterstellten Behörden nach den üblichen

Ersatzlösungen verfahren hätten können: „Erst in einer erneuten Sitzung, die dann ohne

225 Volkszeitung, 02.06.1956, S. 2 226 Segeberger Zeitung, 04.06.1956, S. 5; vgl. Wendt, Trappenkamp, S. 163/64 u. Bechert, Chronik, S. 83 sowie S. 84-88 mit Auszügen aus der Landtagsdebatte am 03.07.1956

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Rücksicht auf die erschienene Zahl der Gemeindevertreter auf Grund der Gemeinde-

Ordnung ohne weiteres beschlußfähig ist, könnte der erste ehrenamtliche Bürgermeister

und seine beiden Stellvertreter gewählt werden. Welcher Weg der richtige ist, kann im

Augenblick noch nicht überschaut werden und bleibt abzuwarten. Abzuwarten bleibt auch,

wie die Kommunalaufsicht sich zu der immerhin ungewöhnlichen Angelegenheit stellt.“227

Wolfgang Beckert hatte als FDP-Kandidat knapp die Wahl in die erste

Gemeindevertretung von Trappenkamp verfehlt, aber als regulärer Nachrücker wie die

übrigen 20 Bewerber der drei bürgerlichen Parteien auf der Ersatzliste seine

Nichtannahme erklärt. Zudem verfügte er als weiterhin kommissarischer Bürgermeister

über die Möglichkeit, der Kommunalaufsicht und mit ihr dem Innenminister zu einem

abweichenden Verfahrensvorschlag zu raten. Nach der Gemeindeordnung hatte dieser die

Möglichkeit, einen Beauftragten (den sogenannten Staatskommissar) einsetzen und auf

Beschluss des Landtages Neuwahlen anordnen zu lassen.228

Wie vielen erfahrenen Landespolitikern musste im Juni 1956 erst recht den sechs

Trappenkamper SPD-Gemeindevertretern die Fantasie gefehlt haben, dass ein Einfluss

auf den Innenminister so weit reichen mochte, dass dieser ausgerechnet Wolfgang

Beckert, der für die ordnungsgemäßen Abläufe verantwortlich war und nun dieses

Dilemma direkt mit bewirkt hatte, erneut diesen Auftrag erteilen sollte. Anderenfalls hätte

der Tischlermeister Erwin Wengel bei der ersten Gemeindevertretersitzung am 07.06.1956

im „Waldrestaurant", die wie angekündigt durch den Boykott beschlussunfähig blieb, im

Namen der SPD-Fraktion kaum öffentlich und ohne jeden Vorbehalt erklärt, „die SPD sei

immer - zu jeder Zeit und auch in der Parität - zur Mitarbeit bereit gewesen. Außerdem

enthält die Erklärung den Hinweis, daß man im Interesse Trappenkamps jeder

Entscheidung zustimmen wird, die die Regierung über das Ergebnis dieser Wahl fällt.“229

Die Schlussformel erinnerte deutlich das Vorbild der Erklärung von Beckert in Bornhöved

am 03.02.1956, der politisch allerdings erkennbar professioneller beraten worden war.

Tatsächlich vermeldete die Segeberger Zeitung am 14.06.1956 zusammen mit dem

bevorstehenden Landtagsbeschluss für Neuwahlen zu der betreffenden Personalie: „Als

227 Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4228 vgl. Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4229 Segeberger Zeitung, 08.06.1956, S. 5

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Staatskommissar für die Gemeinde Trappenkamp hat der schleswig-holsteinische

Innenminister Dr. Helmut Lemke als Vertreter der oberen Kommunalaufsicht den 31 Jahre

alten Fabrikanten Wolfgang Beckert erneut eingesetzt.“230

Durch diese sehr umstrittene und möglicherweise nicht freiwillige Entscheidung Lemkes

verhärteten sich die politischen Fronten sowohl am Ort als auch in der Landespolitik, wie

es Gerlich nicht nur gewohnt war, sondern auch gelegentlich selbst bewusst herbeigeführt

hatte. Da an einen politischen Burgfrieden in Trappenkamp wie vormals nicht mehr zu

denken war, konnte ein Auftritt des CDU-Kreisvorsitzenden und Innenministers Lemke am

26.06.1956 im benachbarten Bornhöved als Auftakt zum Vorwahlkampf aufgefasst

werden. So wie Gerhard Gerlich in der folgenden Landtagsdebatte am 03.07.1956 sich

zum Verfechter der Interessen der Sudetendeutschen am Ort deklarierte und

entsprechend polarisierte, so musste in dieser Atmosphäre außerdem die Aufführung

eines Singspiels mit dem Titel „Der Bürgermeister“ durch die Sängergruppe der

sudetendeutschen Landsmannschaft in der Gastwirtschaft „Erholung" für SPD-Anhänger

auf einem „Bunten Abend“ als Provokation aufgefasst werden.231

Indem Beckert vom Innenminister erneut zum „Beauftragte für die Wahrnehmung der

Geschäfte des Bürgermeisters und der Gemeindevertretung“ berufen worden war, hatte er

in dieser regierungsamtlichen und staatstragenden Rolle die Möglichkeit, die örtlichen

Sprecher der politischen Parteien in Trappenkamp zur Mitarbeit in einem von ihm

bestimmten beratenden Gremium aufrufen. Dem kamen die bisher sich verweigernden

Vertreter von CDU, BHE und FDP selbstverständlich nach, wohingegen die weniger gut

beratenen SPD-Kommunalpolitiker durch ihre vorschnelle Erklärung zu einer

bedingungslosen Bereitschaft am 07.06.1956 in die Defensive gerieten. So verkehrte die

Segeberger Zeitung am 30.06.1956 mit der Überschrift „SPD will nicht mitarbeiten“ die

Verantwortlichkeiten ins Gegenteil.

Diesen argumentativen Vorteil griff Gerhard Gerlich als der am intensivsten beteiligte

Abgeordnete in der folgenden Landtagsdebatte am 03.07.1956 auf und schilderte aus der

Perspektive Beckerts dessen aufrichtige und gutwilligen Motive sowie entsprechend

glaubwürdige Enttäuschung über den „SPD-Fraktionsführer Wengel“, in dem er spitz

230 Segeberger Zeitung, 14.06.1956, S. 4231 s. Segeberger Zeitung, 19.06.1956, S. 5

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formulierte: „Bitte, wir wollen doch von jeder politischen Partei wenigstens einen Vertreter

an allen entscheidenden Veranstaltungen und an allen Entscheidungen beteiligen, damit

nach der durchzuführenden Neuwahl mindestens ein Vertreter aus jeder politischen Partei

Bescheid weiß über die Hintergründe der in der Zwischenzeit durchgeführten

Maßnahmen. Daß dann der Sprecher der SPD verspätet, aber um so deutlicher mit einem

Nein reagiert hat, steht irgendwie im Widerspruch zu dem Grundsatz der Bereitschaft zur

Mitarbeit.“232

Zu dem am 03.07.1956 behandelten Tagesordnungspunkt „Antrag des Innenministers betr.

Auflösung der Gemeindevertretung der Gemeinde Trappenkamp, Kreis Segeberg“

berichtete das Flensburger Tageblatt am 05.07.1956: „Alle Fraktionen waren sich einig,

dass das Vorgehen der gewählten Vertreter der CDU der FDP und des BHE nicht zu

billigen ist.“ Lediglich von Gerlich war in der Debatte keine Erklärung dieser Art zu

vernehmen, nachdem Innenminister Lemke diesen Antrag mit Beschränkung auf die reine

Faktenlage so knapp wie nur möglich eingebracht hatte. Andere Redner verurteilten zwar

die Verweigerung der Trappenkamper Vertreter ihrer eigenen Parteien nach der ersten

Gemeinderatswahl, zogen sich jedoch auf ihre Unkenntnis von angeblich komplizierten

Verhältnissen vor Ort zurück, welche Gerlich bereitwillig bestätigte.

Es stärkte nicht das Ansehen des Innenministers Lemke, dass Gerlich in seinem Beisein

auch für jene freiwilligen Partei-Kandidaten und gewählten Gemeindevertreter in

Trappenkamp die Legitimität verfocht, dass jeder Bürger jede vorhandene Gesetzeslücke

zum eigenen Vorteil nutzen dürfe: „Ich frage aber, ob ein Wahlrecht von den Staatsbürgern

nicht in der Form in Anspruch genommen kann, daß alle darin gebotenen Möglichkeiten

von ihnen auch tatsächlich benutzt werden dürfen, ohne daß daraus moralisch

anfechtbare Verhältnisse abgeleitet werden.“

Stattdessen ging Gerlich zu einer argumentativ eigenwilligen Gegenoffensive über und

warf der Legislative die Verantwortung für eine derartige Regelungslücke vor: „Dann

sollten die Herren Gesetzgeber - vor allem die Kommunalpolitiker, Herr Fischer! - dafür

Sorge tragen, daß diese angeblichen gesetzlichen Verhältnisse, die also den Staatsbürger

zur Unmoral verleiten können, durch eine neue Gesetzgebung aus der Welt geschafft

232 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1873116

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

werden.“233 Zudem unterstellte ausgerechnet Gerlich in seiner Rede den bürgerlichen

Parteienvertretern in Trappenkamp eine ausgesprochene Unabhängigkeit von Landes-

oder Kreispolitikern.

Er artikulierte zudem sein Verständnis für risikobereite Persönlichkeiten am Ort, ihren

erworbenen Wohlstand mit derartigen Methoden abzusichern und sich auf solche Weise

dem gültigen Wahlergebnis eines Stimmen-Patts mit Sozialdemokraten (und deren

vorteilhafte Position für die Besetzung des Bürgermeisterpostens) zu entziehen: „Sie

werden es all den Menschen, die zehn Jahre lang einen sehr harten Lebenskampf zu

führen hatten - und zwar nicht nur die Arbeitnehmerseite, sondern auch die Unternehmer,

gerade in bezug auf die Verantwortung für die Erhaltung der Arbeitsplätze und nicht nur für

die eigene Verdienstmöglichkeit, mit allen Risiken, die damit verbunden sind -, nachfühlen,

daß sie den Wunsch hatten und auch heute noch haben, daß in gegenseitigem

Vertrauensverhältnis eine echte Kommunalpolitik, nicht gesteuert und nicht steuerbar von

Kreis- und Landesinstanzen, sichergestellt ist.“234

Von dem Hauptredner der SPD-Fraktion berichtete die Volkszeitung am 05.07.1956 aus

dieser Debatte: „Strack kritisierte auch das Verhalten von Innenminister Lemke, der den

bisherigen kommissarischen Bürgermeister Bäcker [!] erneut zum Kommissar bestellt

hatte, obwohl Bäcker [!] 'das alles herbeiführte' und im übrigen erst an siebenter Stelle

gewählt wurde.“235 Allerdings versäumte es der Abgeordnete Gerhard Strack in der

Auseinandersetzung mit dem wortgewandten Gerhard Gerlich, die ihm bekannten Abläufe

in Trappenkamp präzise zu analysieren, sondern forderte in der Erwartung eines noch

besseren SPD-Ergebnisses wie alle Fraktionen baldige Neuwahlen in Trappenkamp.

So sollte der BHE-Abgeordnete Eginhard Schlachta mit seinem Zwischenruf an die

Adresse seines eigene Fraktionsvorsitzenden und Redners Heinz Kiekebusch den

Hintergründen für diese skandalöse Korrektur der ersten Gemeindevertreterwahl am

nächsten kommen:

„Ich meine, wir sollten dieser nun ganz jungen Demokratie in der Gemeinde Trappenkamp,

die gerade erst wenige Wochen vorher von der Regierung aus der Taufe gehoben worden

233 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1871234 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1871235 Volkszeitung, 05.07.1956, S. 8

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war, zubilligen, daß sie auch einmal einen Fehler machen kann.

Die dortigen Parlamentarier werden inzwischen wohl die notwendigen Erfahrungen

gesammelt haben,

(Abg. Schlachta: Oder gesammelt bekommen haben!)“236

Nach dieser letzten Landtagssitzung vor der Sommerpause ließen sich in den

untersuchten Zeitungsjahrgängen keine direkte Beiträge Gerlichs in dem einsetzenden

Wahlkampf um Trappenkamp nachweisen. Allerdings dürfte er seinen Vertrauten Wolfgang

Beckert dabei unterstützt haben, im Juni und August 1956 zu Artikeln in der Segeberger

Zeitung wie „Trappenkamps Pläne sind fertig. Schule, Kirchen und Läden im Ortskern.

Neue Betriebe siedeln sich an“ oder „Trappenkamps Straßenbau läuft an. Schulplanung

bedarf noch der Zustimmung. Weiterhin um Gewerbebetrieb bemüht“ die passende

Darstellung von der Leistung und den Verdiensten des kommissarischen Bürgermeisters

für die Entwicklung am Ort zu formulieren.237 Eine ähnlich günstige Wirkung sollten auch

die Schlagzeilen zu einem Besuch des für Wirtschaft und Verkehr zuständigen Ministers

Hermann Böhrnsen entfaltet haben: „Großer Tag für Trappenkamp. Minister sichert weitere

Landeshilfe zu. Auftakt zu neuen Bauvorhaben. Gesamtkosten über eine Million Mark. Seit

Sonnabend Straßenbeleuchtung.“238

Dank seiner guten Kontakte dürfte Gerlich auch weitere Auftritte von ähnlich hochrangigen

politischen Repräsentanten vermittelt haben können, wohingegen die Volkszeitung vom

15.08.1956 einen dieser gehäuften Regierungsbesuche in der Industriesiedlung kritisch

kommentierte: „So erfreulich es ist, dass sich nach langer Pause mal wieder ein Minister

der Landesregierung nach Trappenkamp bemüht - Minister Asbach wurde dort lange nicht

mehr gesehen -, so einen unangenehmen Beigeschmack hat dieser Besuch, wenn man

daran denkt, dass der Termin für die Wiederholungswahl für die Gemeindevertretung

unmittelbar vor der Tür steht.“

In seiner ersten Wahlperiode von 1950 bis 1954 als Landtagsabgeordneter hatte Gerlich

seine strategischen Erfahrungen gesammelt und mit sehr eigener Wortwahl auch

durchzusetzen verstanden, einen politischen Bündnispartner wie die FDP aus dem

236 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1875237 s. Segeberger Zeitung, 28.07.1956, S. 6 u. 17.08.1956, S. 4238 Segeberger Zeitung, 24.09.1956, S. 5

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gemeinsamen Wahlblock-Bündnis auszuscheiden, sofern es den Wahlaussichten und

Verdeutlichung der eigenen politischen Richtung gedient hatte. Daher könnte auch auf

seinen Ratschlag zurückzuführen sein, dass sich die bürgerlichen Parteien am Ort darauf

verständigten, bei der anstehenden Neuwahl auf den zahlenmäßig knapp schwächsten

Partner FDP zu verzichten und stattdessen gemeinsam im Bündnis anzutreten, wie am

14.09.1956 in der Segeberger Zeitung zu lesen war: „Nur die SPD und die Wahlunion

Trappenkamp (ein Zusammenschluss von CDU und BHE) haben für die am 30.

September in Trappenkamp, Kreis Segeberg, angesetzte Wahl zur Gemeindevertretung

Kandidaten benannt.“

Die kritischen Anmerkungen des SPD-Oppositionsführers Wilhelm Käber dazu an die

Adresse von Kai-Uwe von Hassel in der Landtagssitzung am 02.10.1956 direkt nach

dieser Wahl machen deutlich, dass die kommunalen Vertreter der bürgerlichen Fraktionen

in Trappenkamp erstaunlicherweise auch bei dieser zweiten Gemeindevertretungswahl,

möglicherweise auf den Rat und die Ermutigung Gerlichs hin, keine Bedenken hatten, dem

Ministerpräsidenten oder CDU Landesvorsitzenden politisch schaden zu können:

„Es wurde dabei das in Schleswig-Holstein früher so hoch eingeschätzte Verfahren des

Blocks aller gegen einen praktiziert. Ich hatte Sie, Herr, Ministerpräsident, bisher immer

so verstanden, daß Sie diesem verwerflichen Verfahren und System endgültig

abgeschworen hätten. Sie waren ebenso wie ich in Trappenkamp, und Sie haben an Ort

und Stelle feststellen müssen, daß hier der Demokratie als Prinzip mit dem Verhalten

derjenigen, die mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden waren und die dann über den Weg

der geschlossenen Niederlegung der übertragenen Mandate eine Wiederholungswahl

durchsetzten, kein Dienst erwiesen wurde. Ich wäre sehr dankbar, Herr Ministerpräsident,

wenn Sie in der Aussprache zu der Frage Stellung nähmen, ob wir - Sie und wir - die

Bestimmungen des Wahlrechts so fassen wollen, daß derartige Manipulationen künftig

nicht mehr möglich sind.“239

Zum Wahlkampfendspurt schickten die beiden Volksparteien ihre höchsten

Repräsentanten zu Abschlusskundgebungen nach Trappenkamp. Die Segeberger Zeitung

vom 29.09.1956 berichtete zunächst von dem Auftreten des Ministerpräsidenten und CDU-

239 Protokoll LT-SH, 3. WP., 02.10.1956, S. 1940119

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Landesvorsitzenden von Hassel mit „einer sehr gemäßigten und unpolemischen Rede auf

die Aufgaben der Bürger in Staat und Gemeinde.“ Als ein strategischer Nachteil sollte sich

dagegen erweisen, dass der SPD-Hauptredner seinen Auftritt erst an dem Tag vor der

Stimmangabe wahrnahm und es für Wahlkämpfer somit zu spät für eine

Reaktionsmöglichkeit auf ein Störmanöver von politischen Gegnern war: „Das Interesse

der Bevölkerung wird nicht zuletzt auf die lebendigen Auseinandersetzungen der Parteien

vor dem Wahlsonntag zurückgeführt. Sie hatten ihren Höhepunkt am Sonnabend auf einer

SPD-Versammlung erreicht, auf welcher der Oppositionschef im schleswig-holsteinischen

Landtag, Käber, sprach. Dabei kam es zu turbulenten Szenen, als während der Diskussion

schwerwiegende Beschuldigungen gegen einen der SPD-Kandidaten erhoben wurden.“240

Wenn Gerlich diese Notiz in der Segeberger Zeitung am 01.10.1956 gelesen haben sollte,

mochte sie ihn an seine eigene Erfahrung als Wahlkämpfer Anfang der fünfziger Jahre in

Neumünster erinnert haben, von der seine CDU-Parteifreundin Lieselotte Juckel als einem

ihrer besonderen Erlebnisse aus der „Ära der Gerlichs“ berichtete: „Am Abend vor der

Wahl steckte die SPD Flugblätter in die Briefkästen, auf denen dieser Kandidat einer Untat

beschuldigt wurde bzw. in seiner Vergangenheit war ein schwarzer Punkt gefunden

worden. Zur Entgegnung blieb keine Zeit. Wir verloren die Wahl.“241

Deutlich zufriedener konnte Gerlich das Resultat seines Engagements für die zweite

Gemeindewahl in Trappenkamp stimmen, wie in derselben Ausgabe der Segeberger

Zeitung zu lesen war. Obwohl die SPD noch 145 auf 1217 Stimmen hinzugewonnen hatte

und der Zuwachs für die Wahl-Union CDU/BHE als bürgerliches Lager gezählt lediglich 50

Stimmen betrug, kam dieses auf insgesamt 1388 Stimmen und 6 Mandate gegenüber 5

Sitzen für die SPD. Der Spitzenplatz bei den Direktkandidaten musste Gerlich besonders

gefreut haben: „Unter den einzelnen Bewerbern errang der bisherige kommissarische

Bürgermeister, Wolfgang Beckert (Wahlunion), mit 245 die meisten Stimmen. Vertreter

beider Gruppen äußerten sich gestern sehr befriedigt zu dem Ergebnis.“242

Nach dem gewünscht klaren Ergebnis gab es weder bei der mit Mehrheit gewählten

Wahlunion noch bei der SPD-Minderheit erkennbaren Bedarf an Einflussnahmen von

240 Segeberger Zeitung, 29.09.1956, S. 5 u. 01.10.1956, S. 5241 Juckel, CDU Neumünster, S. 8242 Segeberger Zeitung, 01.10.1956, S. 5

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Außen oder taktischen Finessen. So berichtete die Segeberger Zeitung vom 18.10.1956

stattdessen über eine interfraktionelle Übereinkunft schon vor der konstituierenden Sitzung

im „Waldrestaurant": „Nach Lage der Dinge und voraufgegangener interfraktionellen

Besprechungen ist man sich über die Besetzung des Bürgermeisteramtes und seiner

beiden Stellvertreter grundlegend einig. Danach stellt die Wahlunion Trappenkamp (CDU

und GB/BHE) als Bürgermeister den bisher kommissarisch Beauftragten Wolfgang

Beckert, und den zweiten stellvertretenden Bürgermeister. Die SPD stellt den ersten

stellvertretenden Bürgermeister.“

Tatsächlich lief die erste Gemeindevertretersitzung am 22.10.1956 „in einem äußerst

zügigen Tempo und programmgemäß“ ab, was auch an der einstimmigen Wahl von

Wolfgang Beckert zu Trappenkamps Bürgermeister und der Verabschiedung der

Hauptsatzung sowie der Besetzung der Fachausschüsse mit einem eben solchen

Ergebnis lag.243

Nach dieser auf eigentümliche Weise erreichten innerörtlichen Befriedung sollte sich das

Verhältnis mit der Nachbargemeinde Bornhöved um so problematischer entwickeln,

wie zum Jahresende zwei gegensätzliche Schlagzeilen der Segeberger Zeitung

illustrierten. So hieß es im November 1956 „Im Finanzstreit mit Trappenkamp. Bornhöved

entschied sich für eine gütliche Einigung. Annehmbare Verhandlungsbasis gefunden.

Grenzänderungsvertrag gebilligt.“ Wesentlich strategischer wirkte eine Überschrift vom

Dezember des Jahres 1956: „Trappenkamp fordert Gutachten aus Kiel. 'Finanzkrieg' mit

Bornhöved wird geht weiter. Kaum noch Aussicht auf gütliche Einigung. Kommunalaufsicht

wird entscheiden. Beckert: Kreis ist befangen“.244

Es sollte also für den mit 28 Jahren jüngsten Bürgermeister des Bundeslandes Schleswig-

Holstein weiterhin viel Bedarf an Beratungen mit Gerhard Gerlich auch über das

Gründungsjahr der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp hinaus geben.

243 s. Segeberger Zeitung, 23.10.1956, S. 5244 Segeberger Zeitung, 10.11.1956, S. 5 u. 15.12.1956, S. 5

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2.3.3) Während der Aufbaujahre der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp (1957-

1962)

Wie in den vorangegangenen beiden Kapiteln über die ersten Verbindungen von Gerhard

Gerlich und den Spuren seines Wirkens in Trappenkamp gilt auch für die folgenden Jahre

1957 bis 1962, in denen sich der Ort vor allem durch die Unterstützung aus der

Landespolitik und Ministerien rapide entwickelte, dass der Einfluss und das Mitwirken des

Abgeordneten häufig nur indirekt zu erschließen ist. Seltene Male ist sein Wirken vor Ort in

der Presse dokumentiert worden und auch sein Beitrag dazu, dass und wie Treppenkamp

im Jahr 1956 eine selbstständige Gemeinde wurde, ist erstmals dieser Untersuchung,

überwiegend durch Indizien und Rückschlüsse, dokumentiert worden.

Die nachfolgende Rekonstruktion der Verbindung zwischen Gerlich und Trappenkamp in

den Aufbaujahren mag ebenfalls als Ergänzung und teilweise Korrektur von Darstellungen

in den Ortschroniken von Claus Dietrich Bechert und Stefan Wendt verstanden werden.

Dies gilt insbesondere für das Kapitel „Der große Förderer Trappenkamps“ in der 2007

herausgegebenen Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.-

Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und

Bornhöved“ von Klaus Deneke.245 Auf eine detaillierte Wiederholung aller dort

verzeichneten Maßnahmen, mit denen die Landesregierung in Kiel durch Mitwirken des

Abgeordneten Gerlich zur Entwicklung und dem Ausbau der Industriesiedlung in den

Jahren von 1957 bis 1962 beigetragen hat, wird deshalb verzichtet.

Weil Belege nach 1956 für die direkte Verbindung dieses im benachbarten Wahlkreis Plön-

Süd gewählten Landtagsabgeordneten zu der Gemeinde Trappenkamp selten blieben,

wird das Verhältnis zumeist durch Artikel der Segeberger Zeitung und über die wesentliche

Mittelsperson, den ersten Trappenkamper Bürgermeister Wolfgang Beckert, rekonstruiert.

Zu den Umständen von dessen Wahl, die Gerhard Gerlich mit ganz eigenen Mitteln

unterstützt hatte, schrieb 1958 die Trappenkamper Schülerin und Zeitzeugin Marianne

Kiesewetter: „Am 1. April 1956 wurde Trappenkamp nach einem zähen Kampf

245 Deneke, Materialien, S. 18-20122

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selbständige Gemeinde. Als erstes galt es, den Bürgermeister zu wählen. Das war leider

nicht leicht bei uns. Die Meinungen gingen zu sehr auseinander. Nach langem Hin und

Her, das schon fast einen Skandal bewirkte, traf die Wahl den Lederfabrikanten Wolfgang

Beckert.“246

Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Folgejahre, unter denen die

Selbstständigkeit Trappenkamps auf eine solche Weise und mit wesentlichen Beiträgen

des Landtagsabgeordneten verwirklicht werden konnte, beschrieb Klaus Deneke 2013 in

seinem Gerlich-Porträt „Verdienstvoller Strippenzieher“:

„Besonders Schleswig Holstein wurde durch den Zuzug Heimatvertriebener belastet:

1,5 Million Einheimische nahmen 1,2 Millionen Gestrandete auf. Die Integration gelang

und ist der heutigen Generation schon so gut wie unbekannt. Ebenso mag man heute den

Kopf darüber schütteln, dass es einmal Gegensätze zwischen Bornhöved und seinem

Ortsteil Trappenkamp gab. Überzeichnet: hier die konservativen, protestantischen Bauern

aus Bornhöved und dort die in Kleinbetrieben emsig arbeitenden, katholischen

Sudetendeutschen im ehemaligen Marinesperrwaffenarsenal Trappenkamp. Im

wesentlichen ging es dabei immer um die Verteilung der Mittel zwischen Bornhöved und

Trappenkamp. Diese Situation fand Gerlich bei den Besuchen seiner sudetendeutschen

Landsleute in Trappenkamp vor.“247

Die entsprechenden Auseinandersetzungen wurden auch nach der Wahl Wolfgang

Beckerts zum Bürgermeister in den Jahren ab 1957 intensiv fortgesetzt. Dessen

fortwährender Beratungsbedarf mit und gewiss überwiegend bei dem erfahrenen

Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich in Neumünster wird durch eine Schlagzeile der

Segeberger Zeitung vom 16.03.1957 illustriert: „Trappenkamp vor Einigung mit

Bornhöved? Mit Entwurf grundsätzlich einverstanden. Feststellung obliegt der

Kommunalaufsicht. Bürgermeister Beckert: Eigene Wege in der Industrieansiedlung.“

Bereits zwei Tage später wurde an dem Artikel „Kabinett gab seine Zustimmung. Für

dreiklassige Schule, Turnhalle und Kindergarten in Trappenkamp“ deutlich, wie groß der

246 Kiesewetter, Marianne/ Kiesewetter, Hertha Julia: Wie Trappenkamp aus der Steppe wuchs, ...erlebt von zwei Mädchen, hg. vom Sudetendeutschen Kulturwerk Schleswig-Holstein, (Kiel) 2016, S. 17; im Folgenden: Kiesewetter, Trappenkamp

247 Deneke, Klaus: Verdienstvoller Strippenzieher ( Dr. Gerhard Gerlich), in: Sudetendeutsche Zeitung, Folge4, 25.01.2013

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Einfluss Gerlichs auf die maßgeblichen Stellen der Landesregierung und Ministerien

gewesen sein dürfte: „Angesichts des Umstandes, daß die Schülerzahl in der Gemeinde

Trappenkamp sich ab Ostern von 58 auf 98 erhöht, stimmten die Gemeindevertreter

geschlossen der Schaffung der dritten Schulstelle zu. In diesem Zusammenhang teilte der

Bürgermeister mit, daß das schleswig-holsteinische Kabinett seine Bereitwilligkeit zum

Bau und zur Finanzierung einer dreiklassigen Schule, einer Turnhalle und eines

Kindergartens in Trappenkamp erklärt hat.“248

Die Voraussetzung für eine praktische Umsetzung derartiger Planungen konnten dauerhaft

nur durch die öffentliche Hand gewährleistet werden und manche Nachbargemeinde hätte

sich gewiss ähnlich gute Verbindungen zur Vergabe von Fördermitteln und anderen

Finanzquellen gewünscht, von denen im April 1957 zu lesen war: „Zehntausend Mark

fehlen in Trapppenkamps Haushalt. Finanzierung von Schul- und Turnhallenbau gesichert.

Kurze Sitzung. Nach Ostern drei neue Lehrer“.249

Mit dem rapiden Wachstum des Ortes durch die Ansiedlung neuer Betriebe, den Zuzug der

Arbeitskräfte und ihrer Familien und den gestiegenen Ansprüchen an die Infrastruktur

nahm auch der Bedarf an kultureller Bildung und an Gestaltungsmöglichkeiten für die

Freizeit zu. Dies führte im Mai 1957 in Trappenkamp schließlich zu einer entsprechenden

Vereinsgründung, mit der nicht allein die Kontakte zwischen Beckert und Gerlich

intensiviert wurden. Der disziplinierte Abgeordneten wurde durch die Organisation des

„Sudetendeutschen Kulturwerks Schleswig-Holstein e.V.“ (SKW) mit Sitz in Trappenkamp

sowie Regularien mit Vorstandssitzungen oder Jahreshauptversammlungen nun

regelmäßiger und häufiger zu seinen Landsleuten aus der einst gemeinsamen Heimat

geleitet, wie Klaus Deneke ausführte:

„Am 18. Mai 1957 wurde unter der Leitung des damaligen Trappenkamper Bürgermeisters

Wolfgang Beckert die Satzung des Sudetendeutschen Kulturwerks beschlossen und der

erste Vorstand mit Dr. Gerhard Gerlich an der Spitze gewählt. Obwohl Neumünsteraner,

fühlte sich Dr. Gerlich stets den Trappenkampern besonders verbunden, hatten hier doch

in der Hauptsache nach dem Kriegsende von 1945 zunächst Sudetendeutsche Zuflucht

gefunden. Das Kulturwerk hatte es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, das „Haus der Heimat"

248 Segeberger Zeitung, 18.03.1957, S. 5249 Segeberger Zeitung, 09.04.1957, S. 5

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in Trappenkamp käuflich zu erwerben, zu bewirtschaften und als kulturellen Mittelpunkt

Trappenkamps zu erhalten. Erster Vorstand des Kulturwerks: Vorsitzender: Dr. Gerhard

Gerlich, Stellvertreter: Wolfgang Beckert.“250

Die Gründung des Sudetendeutschen Kulturwerks zu dieser Zeit korrespondierte mit der

gesellschaftlichen Entwicklung in Schleswig Holstein in den fünfziger Jahren, die unter

anderem auch dem Aufstieg und Niedergang der Partei BHE (Bund der

Heimatvertriebenen und Entrechteten) entsprach. Wie in Trappenkamp hatten sich in ganz

Schleswig-Holstein die Flüchtlinge mittlerweile immer besser integrieren können und

folgerichtig hatte Gerhard Gerlich den Schwerpunkt seiner parlamentarischen Arbeit als

CDU-Landtagsabgeordneter vom Ausschuss für Heimatvertriebene in die Bereiche

Bildung, Verkehr und Finanzen verlagert. Als Alternative und schließlich als Ersatz für die

Unterbringung von Flüchtlingen in Lagerunterkünften setzte er sich vielfach für den

sozialen Wohnungsbau ein und gab bei der Finanzierung und Durchführung derartiger

Projekte der freien Marktwirtschaft den Vorzug gegenüber der öffentlichen Hand.

Der erreichte Stand bei der Eingliederung von Heimatvertriebenen passte dabei zum

Zeitpunkt der Gründung des Sudetendeutschen Kulturwerks (SKW), wie Uwe Danker in

„Die Jahrhundert-Story“ diese Entwicklung im Land mit Bezug auf die von Gerlich stets

kritisch wahrgenommene Konkurrenzpartei BHE beschrieb: „Die verbliebenen Flüchtlinge

sind integriert, ihre Interessen gleichen jenen ihrer Nachbarn. Bei allen Träumen von der

Heimat überwiegt der Versuch, eine neue Existenz und schließlich eine neue Heimat zu

finden. Damit verlagert sich auch die Arbeit der Vertriebenenverbände und

Landsmannschaften auf die kulturelle Ebene. Eine Partei der Außenseiter erübrigt sich.

Die Idee, 'dritte Kraft' neben SPD und CDU zu bleiben, funktioniert nicht.“251

Nach den Aufzeichnungen von Klaus Deneke wurde im Gründungsjahr des SKW die

ehemalige Liegenschaft F3 in Trappenkamp, die seit 1949 von der Sudetendeutschen

Landsmannschaft genutzt wurde, käuflich erworben und von „Haus der Heimat" oder auch

„Landsmannschaftshaus“ in „Haus des deutschen Ostens" umbenannt. Auf die guten

Kontakte des SKW-Vorsitzenden Gerlich wird der prominente Festredner zurückzuführen

250 Deneke, Materialien, S. 17251 Danker, Uwe: Mit Fehlstart in vier Jahrzehnte bürgerlicher Regierungsmehrheit. 1950-1967: Landespolitik

in der Ära Bartram, Lübke, von Hassel und Lemke, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd. 3, Flensburg 1999, S. 153

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gewesen sein, als die Segeberger Zeitung am 30.09.1957 von der feierlichen Einweihung

dieser Stätte berichtete: „Das aus einem Munitionsbunker entstandene „Haus des

deutschen Ostens" wurde am Wochenende in der Industriesiedlung Trappenkamp in

Anwesenheit von Landessozialminister Asbach eingeweiht. Es soll dem von dem

Landtagsabgeordneten Dr. Gerhard Gerlich geleiteten sudetendeutschen Kulturwerk

Trappenkamp zur Verfügung stehen.“

Noch hochrangiger war im Februar 1958 der Besuch in diesem Vereinsheim und, wie im

Eingangskapitel darstellt, hielt sich Gerhard Gerlich bei derartigen Terminen in

Trappenkamp und an anderer Stelle eher im Hintergrund. Erst im Folgejahr wurde mit Foto

und Bildunterschrift seine Teilnahme an der Informationsreise des Bundesministers

Lindrath und einem Termin mit weiteren Prominenten im „Haus des Ostens“ in einer CDU-

Monatsschrift presseöffentlich bekannt. In der Segeberger Zeitung vom 21.02.1958 hieß

es dagegen lediglich: „Bundesschatzminister Dr. Hermann Lindrath setzte am

Donnerstagvormittag seine Informationsreise durch Schleswig-Holstein fort. Wie gestern

bereits berichtet, besichtigte er dabei auch die Industriegemeinden Trappenkamp und

Wahlstedt im Kreis Segeberg. In Trappenkamp zeigte sich Bundesminister Dr. Lindrath,

der von Ministerpräsident von Hassel begleitet war, sehr beeindruckt von den

Aufbauleistungen. Industrieansetzung und Wohnungsbau ergänzen sich hier, wie von

Hassel betonte, in wirkungsvoller Weise.“252

Auf vergleichbare Weise nicht vermerkt wurde die Anwesenheit Gerlichs auch in der

Segeberger Zeitung vom 15.09.1958, obwohl er sich stark für die Finanzierung des

Schulneubaues mit der ersten Turnhalle am Ort eingesetzt haben dürfte. Auf einem Foto

von dieser Feier, das in den Lebenserinnerungen von Marianne und Hertha Kiesewetter

unter dem Titel „Wie Trappenkamp aus der Steppe wuchs“ abgedruckt wurde, ist er zentral

in der ersten Reihe des Publikums direkt vor dem Rednerpult sitzend zu erkennen.

Gleichwohl war sein Name in dem Artikel „Der Schichtunterricht ist nun vorbei. Volksschule

mit Turnhalle eingeweiht. Minister Böhrnsens erster Spatenstich für neue Wohnbauten“

nicht erwähnt worden.

Dies entsprach der Beobachtung von Klaus Deneke: „Vornehmlich der Wieder- und

252 Segeberger Zeitung, 21.02.1958, S. 5; vgl. WuB, CDU-SH, 2. Jg. Nr. 3 (März 1959), S. 4126

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Neuaufbau des Schulwesens lag ihm als parlamentarischen Vertreter des Kultusministers

am Herzen. Trappenkamp profitierte davon, selten wurde dabei Dr. Gerlichs Name

erwähnt.“253 Auch in kommenden Jahren schien diese für einen Landespolitiker unübliche

Zurückhaltung im Interesse Gerlichs zu liegen.

Unter den Abgeordnetenkollegen war sein anhaltender Einsatz für diesen Ort und seine

Bewohner auch nach der spektakulären Debatte im Juli 1956 allerdings hinreichend

bekannt. Dies illustriert eine launige Bemerkung des Landwirts und FDP-Abgeordneten

Hinrich Schröder, als er am 20.08.1958 zu dem Tagesordnungspunkt „Zweite Lesung des

Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Bienenhaltung“ in das versammelte Plenum

des Kieler Landtages rief:

„Herr Dr. Gerlich! Wir sind der Auffassung, daß diese Begrenzung - also die Kreisgrenze –

auch etwas sehr Willkürliches ist.

(Abg. Dr. Gerlich: Bravo!)

Ich darf Ihnen das einmal an meinem Kreise Segeberg demonstrieren, den Sie ja auch

hinsichtlich Trappenkamps sehr genau kennen.

Sie wissen genau, daß, wenn von der Westseite des Kreises, etwa aus der Gegend von

Bad Bramstedt, ein Volk - ein Bienenvolk meine ich jetzt -

(Heiterkeit)

in die Rapsblüte nach Pronstorf im Osten des Kreises will, es ohne jede Anzeige und

Genehmigung dorthin verlegt werden kann.

(Abg. Dr. Kiekebusch: Damit überschreiten sie den Limes! - Heiterkeit.)“254

Das erfolgreiche Wechselspiel zwischen Bürgermeister Beckert und dem einflussreichen

Gerhard Gerlich im Hintergrund bewirkte in Trappenkamp bei den Landtagswahlen im

September 1958 eine deutliche Kräfteverschiebung, denn die CDU erhielt dort 257

Stimmen gegenüber 193 für die SPD, wohingegen der BHE auf 22 Anhänger abgesunken

und Beckerts ehemalige Partei FDP mit 7 Stimmen bedeutungslos geworden war. Die

Erwähnung von Gerlich im Zusammenhang mit Trappenkamp in der Presse blieb

allerdings die Ausnahme und die Segeberger Zeitung vom 03.11.1958 berichtete von ihm

weniger als einem prominenten Landespolitiker, sondern über ihn in seiner Rolle als

Vereinsvorsitzender des SKW mit einem ambitionierten Projekt:

253 Kiesewetter, Trappenkamp, S. 24 u. Deneke, Materialien, S. 19254 Protokoll LT-SH, 3. WP., 20.08.1958, S. 3994

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„Den Bau eines Industriemuseums beabsichtigt der sudetendeutsche Kulturbund in der

Industriegemeinde Trappenkamp. Wie der Landtagsabgeordnete Dr. Gerlich als

Vorsitzender des Kulturbundes am Wochenende mitteilte, soll nicht nur die gegenwärtige

Industrie gezeigt werden, sondern es soll auch ein Querschnitt der in der ostdeutschen

Heimat betriebenen Industriezweige vermittelt werden. Insbesondere soll dadurch der

Jugend die Möglichkeit gegeben werden, einen Eindruck von der Tätigkeit ihrer Vorfahren

im deutschen Osten zu erhalten.“ Im Folgejahr wurden Gerlich wie Beckert unverändert

als SKW-Vorsitzende bestätigt und auf dem Jahresprogramm des Vereins standen unter

anderem Dichterlesungen, Singabende und circa 150 Kinovorstellungen, von denen

Gerlich mit Wohnsitz in Neumünster allerdings die meisten gewiss versäumte.

Auf wirtschaftspolitischem Gebiet kam es dagegen Mitte 1959 zu einem öffentlichen

Konflikt zwischen der Gemeinde Trappenkamp und dem Deutschen Gewerkschaftsbund,

in welchem sich Bürgermeister Beckert eng mit Gerlich abgestimmt haben dürfte. Der

DGB hatte kritisiert, dass die Gemeinde infolge der überproportionalen Landesförderung

und wegen einer Überkapazität an Industriebetrieben nun in Neumünster freigewordene

weibliche Arbeitskräfte für die ortsansässigen glasverarbeitenden Betriebe abgeworben

habe.Der DGB befürchtete wegen der entsprechend geplanten Ansiedlung von

Arbeitnehmerfamilien in Trappenkamp eine starke Männerarbeitslosigkeit als Folge und

forderte die Landesregierung und insbesondere das Wirtschaftsministerium auf, die

Gemeindevertreter am Ort von einer Reduzierung ihrer wirtschaftlichen Planungen zu

überzeugen.

Über die vermutlich mit Gerlich koordinierte Reaktion berichtete die Segeberger Zeitung

am 28.05.1959 unter den Überschriften „Industriegemeinde Trappenkamp wehrt sich ihrer

Haut. Bürgermeister und Fraktionsvorsitzende stellten vor der Presse DGB-Stellungnahme

richtig. 'Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung'.“ So hatte Beckert zusammen mit

Erwin Wengel von der SPD und Otto Hub vom BHE eine gemeinsame

Gegenstellungnahme beim Wirtschaftsministerium eingereicht und in einer von Gerlich

bekannten Argumentationsweise offensiv dagegengehalten: „Trappenkamps

Bürgermeister Beckert verwies darauf, dass sich eine Entwicklung wie die Trappenkamps

nicht mehr aufhalten lasse, sondern sich zwangsläufig ausweiten werde.

Es sei also nicht nur wenig sinnvoll, sondern sogar sehr schädlich, wenn jetzt versucht

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werde, das Unternehmen Trappenkamp zu torpedieren.“255

Nachdem Ende Oktober 1959 die CDU bei der Kommunalwahl ihre führende Stellung mit

sechs Sitzen vor der der SPD mit vier und dem BHE mit Otto Hub als nun einzigem

Vertreter gefestigt hatte und ihr Spitzenkandidat Wolfgang Beckert als Bürgermeister

bestätigt wurde, folgte der nächste Schritt auf diesem konsequenten und vermutlich

strategisch angelegten Weg. Zum Jahreswechsel 1959/60 wurde unter dem Titel „Zum

Nutzen aller Gemeinden“ in der Segeberger Zeitung öffentlich bekannt gegeben: „Vor dem

Bornhöveder Amtsausschuß hat der Trappenkamper Bürgermeister Wolfgang Beckert den

Antrag gestellt, daß die Industriegemeinde Trappenkamp aus dem Amt Bornhöved

entlassen werden soll. Die Bürgermeister der sieben übrigen amtsangehörigen

Gemeinden haben zugesagt, einen Beschluß ihrer Gemeindevertretungen in dieser

wichtigen Angelegenheit bis zum 31. Januar 1960 herbeizuführen.“256

Dieser Vorstoß rief unter anderem den Protest des Segeberger Kreisvorstandes der FDP

hervor. Mit dieser Partei war Gerlich selbst in gemeinsamen Regierungsbündnissen oder

in anderen Städten und Gemeinden wie Neumünster oder Preetz aneinander geraten. Im

Nachbarort Bornhöved führten die Liberalen am 28.02.1960 ihren Kreisparteitag durch und

mit dem Trappenkamper Bürgermeister und dessen Gemeindevertretung war erkennbar

auch Gerhard Gerlich und dessen intensive Förderung im Hintergrund Zielscheibe der

Kritik. So appellierte der FDP-Bürgermeister Tietz in Bornhöved ganz gegen die

Intentionen von Gerlich und Beckert an die Regierung und damit an die sie tragenden

Parteien CDU und FDP: „Stecken Sie die Grenzen ab. In welchem Zeitraum sollen die

Millionenbeträge noch für Trappenkamp fließen?"257

Der FDP-Kreisvorsitzende Hinrich Schröder monierte ferner, dass Trappenkamp eine

absolute Sonderstellung als „Landesdorf" habe, die nicht ins Uferlose erhoben dürfe, und

merkte zu einem besonderen Anliegen seines Abgeordnetenkollegen Gerlich an, dass

man z. B. nicht die Hilfe des Kreises für einen Schulerweiterungsbau in Anspruch nehmen

könne, wenn noch nicht genügend Kinder da seien. Schröder wies dabei den Antrag von

Trappenkamp, eine amtsfreie Gemeinde zu werden, erneut als eine „Unverschämtheit“

255 Segeberger Zeitung, 28.05.1959, S. 6256 Segeberger Zeitung, 28.12.1959, S. 4257 Segeberger Zeitung, 29.02.1960, S. 5

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zurück. Diesen Angriff hatte sich schon zuvor der Trappenkamper SPD-Vorsitzende Erwin

Wengel presseöffentlich mit dem Umstand erklärt, dass die FDP nicht mehr in der

Gemeinde vertreten sei, also mit einer Spätfolge von Beckerts (und womöglich Gerlichs)

taktischen Manövern zwischen den beiden ersten Wahlen als selbstständiger Gemeinde

im Jahr 1956.258

Als eine Art Gegenoffensive ist die daraufhin in Bad Segeberg zum Verkauf der „Solbad

GmbH“ durchgeführte Pressekonferenz der Minister Lemke (Inneres), Böhrnsen

(Wirtschaft) und Gerhard Gerlich als Parlamentarischem Vertreter des Kultusministers zu

interpretieren. In der Ausgabe vom 25.03.1960 war davon neben dem einem der selten

abgedruckten Foto Gerlichs auch seine ähnlich spärlichen Interview-Äußerungen zu

Trappenkamp und dessen Entwicklung in der Segeberger Zeitung nachzulesen. Der Titel

„Ziel: Etwa 4000 bis 5000 Einwohner in Trappenkamp“ war einer Antwort von Lemke

entnommen worden, von Gerlich wurde hingegen die Forderung von Schulaufsicht,

Kultusministerium und Kommunalaufsichtsbehörde wiedergegeben, den Volksschulbau

am Ort im Zusammenhang mit einem großen Wohnungsbauprogramm der wachsenden

Bevölkerungszahl anzupassen: „'Als Industriegemeinde', so fügte Dr. Gerlich den genauen

Zahlen von Bürgermeister Beckert hinzu, 'wird Trappenkamp später eine weiterführende

Schule haben müssen, eine Mittelschule.'“259

Einen Monat später griff Beckert diese Vorlage auf, als er in einer Einwohnerversammlung

in der neuen Turnhalle einen Rechenschaftsbericht über seine bisherige Arbeit als

Bürgermeister abgab. Als eine Anspielung auf die wertvollen Dienste, die Gerlich der

selbstständig werdenden Gemeinde und ihm persönlich geleistet haben mochte, können

diese Sätze in der Segeberger Zeitung am 25.04.1960 aufgefasst werden: „Der Start

gelang. Die Menschen bekamen neuen Mut und von außerhalb regte sich Interesse für

diesen Ort. Die Landesregierung griff ein und förderte die Industrieansiedlung, der Bund

vergab ein Demonstrativprogramm, das den Bau von 670 Wohnungen umfaßt, hierher.“

Unter der Überschrift „Trappenkamp wurde neue Heimat“ stand neben der Bilanz auch ein

Ausblick: „Die laufenden Kredite in Höhe von einer Million Mark wurden bereits zur Hälfte

zurückgezahlt. Für die nähere und weitere Zukunft muß vor allem der dringend

erforderliche Friedhof geschaffen werden und das Schulbauprogramm wird um acht

258 Volkszeitung, 22.02.1960, S. 6259 Segeberger Zeitung, 25.03.1960, S. 6

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Klassen erweitert werden müssen. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach

dem Bau einer Oberschule aufgetaucht.“260

Aus Anlass eines der inzwischen zahlreichen Richtfeste in Trappenkamp ließ sich

Bürgermeister Beckert Anfang Oktober 1960 mit den Worten zitieren „Trappenkamp hat

nichts geschenkt bekommen“. Wesensmerkmale wie Zielstrebigkeit, Hartnäckigkeit und

Ehrgeiz, wie sie auch Gerlich ausgezeichneten, fanden sich ferner in dem ergänzenden

Kommentar des höchsten Vertreters des Kreises Bad Segeberg wieder: „Landrat

Dorenburg lobte, wie imponierend die bedingungslose Konsequenz der geplanten und

vorgesorgten Trappenkamper Ideen durchgeführt würden. Diese Gemeinde stände

beispielhaft in der modernen Zeit. Sie habe zwar keine tausendjährige Geschichte, aber

ihr Mut zum Risiko werde belohnt werden.“261

Dazu passten die fortwährend und konsequent vorgetragenen Anträge aus Trappenkamp

an die Adresse ihrer Kollegen in Bornhöved auf Gebietserweiterungen zu deren

Ungunsten, die diese im Lauf des Jahres 1960 mehrfach zurückwiesen. Von dort hieß es

unter der Überschrift „Bürgermeister Edwin Dobrint tritt zurück“ zum Jahresende wörtlich

zur Begründung und dem Vorschlag eine gemeinsamen Nutzung: „Sie (Bornhöved) kann

nicht immer die gebende und Trappenkamp die nehmende Gemeinde sein. Einseitige

Opfer müssen aus Gründen der Selbsterhaltung abgelehnt werden und widersprechen

überdies dem Sinne der Gemeindeordnung."262

In Reaktion darauf ließen die Trappenkamper um Bürgermeister Beckert am 22.12.1960

den Einfluss ihres Protegés Gerlich im Landeshaus und bei Ministerien ungewöhnlich

offen anklingen: „Ein Gesetz des schleswig-holsteinischen Landtages möge die

Durchführung einer Erweiterung der Gemeinde Trappenkamp in das Gebiet der Gemeinde

Bornhöved möglich machen. Das war der Antrag der Gemeindevertretung Trappenkamp,

den sie gestern Abend einstimmig als Beschluss fasste und dem Landrat in Bad Segeberg

als Kommunalaufsichtsbehörde zugehen lassen wird.“263

260Segeberger Zeitung, 25.04.1960, S. 4261 Segeberger Zeitung, 04.10.1960, S. 5262 Segeberger Zeitung, 25.11.1960, S. 5263 Segeberger Zeitung, 22.12.1960, S. 5

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Tags darauf machte Bürgermeister Beckert vor den Gemeindevertretern und der Presse in

seinem einstündigen Verwaltungsbericht noch deutlicher, wie viel Resonanz er direkt oder

indirekt bei den entscheidenden Stellen im Landtag oder Ministerien finden konnte:

„Wichtigstes Vorhaben sei die Lösung Trappenkamps aus dem Amtsbezirk Bornhöved. Er

habe die persönliche Zusage des Innenministers, bemerkte Beckert, daß diese Vorlage,

sobald sie auf seinen Schreibtisch gelange, auch erledigt würde. Die

Vermögensauseinandersetzung würde unter Leitung der Aufsichtsbehörde vor sich

gehen.“264

Im Folgejahr nahm der Einfluss Gerhard Gerlichs zu Gunsten der Belange der Gemeinde

offenkundig ab, wie aus den seltener werdende Spuren in der Presseberichterstattung zu

schließen ist. Damit korrespondiert sein Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden des

Sudetendeutschen Kulturwerks im Ort in diesem Jahr aus gesundheitlichen Gründen.

Auf die guten Verbindungen von Gerlich zu den Kieler Regierungsstellen konnte Beckert

aber sicher weiterhin zählen, als er 1961 einen Antrag auf Amtsfreiheit für Trappenkamp

stellte. Zu dem Verfahren führte Ortschronist Stefan Wendt aus:

„In ihrer Sitzung vom 27 Juni 1961 votierte die Gemeindevertretung geschlossen für die

entsprechende Hauptsatzungsänderung, um die Leitung der Verwaltungsgeschäfte in

Zukunft einem hauptamtlichen Bürgermeister übertragen zu können. Da Trappenkamp

aber noch nicht über die für einen solchen Schritt erforderliche Einwohnerzahl verfügte,

mußte zunächst eine Sondergenehmigung vom Innenminister, eingeholt werden, die

dieser mit Beschluß vom 17. August 1961 erteilte. So konnte die Gemeinde zum 1.Januar

1962 aus dem Amtsbereich Bornhöved ausscheiden.“265

Vor den Kommunalwahlen am 11.03.1962 kam Ministerpräsident von Hassel erneut zu

einem Besuch nach Trappenkamp, um den enormen Aufbau und die dortige Entwicklung

als große Gemeinschaftsleistung sowie den Einsatz von Bürgermeister Beckert im

Besonderen mit Lob zu würdigen. Zwar hatte von Hassel sowohl als Regierungschef als

auch in der Funktion als CDU-Landesvorsitzender oft Auseinandersetzungen mit Gerlich

auszutragen, aber dennoch oder deswegen könnte sich seine Anmerkung vor Ort

ebenfalls auf diesen bezogen haben: „Alle Förderungshilfen wären allerdings, so meinte er

264Segeberger Zeitung, 23.12.1960, S. 5265 Wendt, Trappenkamp, S. 164/165

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anerkennend, ohne die Zähigkeit und den beharrlichen Aufbauwillen der

sudetendeutschen Flüchtlinge vergebens gewesen.“266

Gerlichs Verbindung zu Trappenkamp dürfte sich allerdings weiter gelockert haben, als

nach der Kommunalwahl am 11.03.1962 die Gemeindevertreter von SPD und CDU je fünf

Mandate und die FDP einen Sitz erhielten. In der Konsequenz wurde auf der

konstituierenden Sitzung am 05.04.1962 der SPD-Vorsitzende Erwin Wengel zum neuen

Bürgermeister gewählt und vollzog damit einen Wachwechsel. Das in jüngeren Jahren oft

gezeigte einmütige Eintreten der Gemeindevertreter aus jeweils allen Parteien für die

Belange Trappenkamps hatte die anfänglichen Polarisierungen und Frontstellungen zum

Höhepunkt von Gerlichs erkennbarem Einfluss Mitte des Jahres 1956 merklich verblassen

lassen.

Bereits vor dieser Bürgermeisterwahl hatte hingegen der damalige Gegenspieler Gerhard

Gerlichs in der betreffenden Landtagsdebatte am 03.07.1956, der SPD-Abgeordnete

Gerhard Strack, im Frühjahr 1962 Anfragen an die Landesregierung gestellt, die sich teils

gegen den Geschäftsmann Wolfgang Beckert, teils gegen ihn als amtierenden

Bürgermeister von Trappenkamp richteten. Aus einer Antwort des Finanzministers ergab

sich, dass Beckert beim Weiterverkauf eines vom Land erworbenen Grundstücks

vertragliche Bestimmungen verletzt hatte. Wegen der Überschreitung von

Lärmschutzwerten hatte er nach Auskunft des Sozialministers eine Stanzmaschine in

einem gemischten Wohngebiet in Trappenkamp deinstallieren müssen. Bei den

hinterfragten Umständen der Erteilung einer Baugenehmigung an Beckert in einem

anderen Fall hatte der Innenminister dagegen keine Bedenken geäußert. Der

Veröffentlichungszeitpunkt am 03.04.1962 des entsprechenden Berichts in der

sozialdemokratisch ausgerichteten Volkszeitung war erkennbar auf die bald darauf erfolgte

Bürgermeisterwahl in Trappenkamp berechnet gewesen.

Ähnlich wie Gerlich sah sich auch Wolfgang Beckert im Laufe des Jahres 1962 einem

zunehmenden Druck ausgesetzt, in dessen Folge er in der Sitzung am 31.01.1963

seinen Rücktritt als Gemeindevertreter erklärte und dies mit einer seit langem gegen ihn

gerichteten Kampagne begründete. In seinem entsprechende Begleitschreiben ordnete er

266 Kieler Nachrichten, 06.03.1962, S. 5133

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diese zeitlich ein: „Die letzten 1 1/2 Jahre davon hatte ich mich ständig gegen

unbegründete Angriffe in einer aufzehrenden Arbeit zur Wehr zu setzen.“ 267 Durch seine

Formulierung über „diese Hetze, gegen die ich allein anzukämpfen hatte“, gab der

ehemalige Bürgermeister dabei einen Hinweis darauf, wann die Verbindungen seines

Förderers und Unterstützers mit Trappenkamp vermutlich aus gesundheitlichen Gründen

schwächer geworden waren, bevor Gerhart Gerlich zum Jahresende 1962 einen Monat

vor Beckerts Rücktritt verstarb.

2.4.) Epilog: Oktober bis Dezember 1962

Ein schwierige Verhältnis zu dem bisherigen Koalitionspartner FDP setzte sich für Gerhard

Gerlich wie für die CDU-Landtagsfraktion zu Beginn der fünften Wahlperiode fort.

Bei den Wahlen im September 1962 hatte die CDU nur einen leichten Stimmenzuwachs

zu verzeichnen gehabt und blieb auf die Freidemokraten und deren weiterhin fünf Mandate

angewiesen. Weil die Liberalen aber statt eines nun zwei Ministerposten einforderten,

blieb es bis zum Jahresende 1962 erstmals bei einer Minderheitenregierung im Schleswig-

holsteinischen Landtag.

Dabei hatte Gerhard Gerlich seinen Wahlkreis Plön-Süd wieder direkt gewonnen und

behielt bei der unübersichtlichen Lage im Landeshaus seine Positionen als

stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, als Vorsitzender des Finanzausschusses, als

Parlamentarischer Vertreter des Kultusministers sowie seine Mitgliedschaften in den

Ausschüssen Verkehr, Inneres, Volksbildung und zur Wahrung der Rechte der

Volksvertretung.

Bereits zum Ende der vergangenen Wahlperiode hatte dieser Abgeordnete sein

Engagement aus gesundheitlichen Gründen manchmal einschränken müssen und in den

ersten sechs Sitzungen zwischen dem 29.10.1962 und dem 18.12.1962 erstattete er

gelegentlich Bericht in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Finanzausschusses, fiel

aber kaum noch durch Zwischenrufe auf. So mochte im Nachhinein Gerlichs letzter

derartiger Einwurf im Landtag am 13.11.1962 zu dem Redebeitrag des Oppositionsführers267 zit. nach Bechert, Chronik, S. 202

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Wilhelm Käber über ein kaum abgeschlossenes Streitthema wie ein respektvoller Gruß an

einen fast ebenbürtigen Kontrahenten wirken:

„Auf jeden Fall sollte man unter Berücksichtigung der konkreten Bedingtheit das Mittel der

Volksoberschule Preetz und deren Erfahrungen nicht übersehen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Auf jeden Fall - lassen Sie mich das hier sehr deutlich aussprechen - ist die Haltung,

nichts ändern zu wollen, das gefährlichste Experiment, das wir mit unserem Sozialkörper

machen können.

(Beifall bei der SPD.)

Entsprechend den Umwälzungen in unserem Wirtschafts- und Sozialgefüge muß sich

unser Bildungssystem anpassen. Entweder meistern wir beides oder keines. Allerdings -

das möchten wir ausdrücklich betonen - können Veränderungen auf beiden Gebieten

und auf dem Bildungssektor besonders nur dann erfolgreich vorgenommen werden, wenn

das öffentliche Bewußtsein sich auf der Höhe der sachlichen Erfordernisse befindet.

(Abg. Dr. Gerlich: Auch bei den Parlamentariern! - Heiterkeit.)

- Deshalb spreche ich ja zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Gerlich!

(Heiterkeit.)

Weil wir - wir beide jedenfalls - völlig übereinstimmen, Herr Dr. Gerlich!“268

Zu den schwierigen Koalitionsgesprächen mit der FDP wurde Gerhard Gerlich vor der

Weihnachtspause 1962 in die Verhandlungskommission der CDU berufen. Gleichzeitig

wurde öffentlich über ein Ministeramt für ihn spekuliert, wie in dem Volkszeitungs-Artikel

„Kombinationen um die Kieler Koalition. Lemke sprach mit Freien Demokraten“ am

13.12.1962 bekannt gegeben wurde: „Beim Sozialministerium bestünde Unklarheit, ob

Frau Ohnesorge dem CDU-Politiker Dr. Gerlich das Feld räumen muß.“

Es mochte an dem Übermaß an Belastungen und einem erkennbar verschlechterten

Gesundheitszustand liegen, dass die SPD-nahe Volkszeitung am 24.12.1962 über

Gerlichs Zurückweisung derartiger Ambitionen zu ergänzen hatte: „Frau Minister

Ohnesorge braucht eine Konkurrenz in der eigenen Fraktion kaum noch zu befürchten: Dr.

Gerlich, der als Anwärter galt, hat erklärt, er strebe kein Ministeramt an.“269

268 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte des Schleswig-Holsteinischen Landtags, 5. Wahlperiode, 13.11.1962, S. 34; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 5. WP (mit Datum und Seitenzahl)

269 Volkszeitung, 24.12.1962, S. 5135

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Ausgerechnet an die Adresse dieser Abgeordnetenkollegin hatte er in der Landtagssitzung

vom 11.02.1954 von den schweren Nachwirkungen einer Krankheit berichtet, der nicht nur

Kriegsgefangene, sondern auch Heimkehrer noch nach vielen Jahren (wie letztlich er

selbst) zum Opfer fielen: „Zu den Ausführungen meiner Kollegin Frau Dr. Ohnesorge über

die Dystrophie möchte ich bemerken, daß ich es selbst erlebt habe, wie meine Kameraden

während des Essens tot umgefallen sind. Wenn Menschen, die diese Krankheit

durchgemacht haben, hierherkommen, dann ist es das Schwierigste, ihren Lebenswillen,

das Sich-eingliedern-wollen, überhaupt zu erhalten.“270

Als am 27.12.1962 der Tod des erst 51jährigen Gerhard Gerlich im Familienkreis aus

Neumünster vermeldet wurde, wurde die Nachricht landesweit schnell verbreitet und auch

der CDU-Landesdienst gab mit diesem Datum die im Eingangskapitel erwähnte

Pressemeldung „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“ heraus. Wie die meisten

Nachrufe in der Landespresse wies diese einige Fehler oder Lücken zu den teils

unbekannten Lebensstationen Gerlichs auf, dessen zahlreiche Ämter als Landespolitiker

und Vertriebenenfunktionär hingegen stets hervorgehoben wurden.

Eine individuell auf seine Person bezogene kurze Würdigung fand sich stattdessen in der

von seinen politischen Gegnern herausgegebenen Volkszeitung: „Die Parlamentarier der

CDU verlieren mit Doktor Gerlich einen ihrer profiliertesten, wenn nicht den klügsten Kopf

im Landtag.“271 Ebenfalls in dieser sozialdemokratischen Zeitung wurde angesichts von

Gerlichs Tod ein allzu rascher Übergang zum politischen Alltagsgeschäft kritisiert, wie der

VZ-Redakteur Hans-Peter Jochimsen in seinem Kommentar „Eile mit Weile“ vom

31.12.1962 anmerkte:

„Die Unterhändler der Christlich-Demokratischen Union haben es sehr eilig gehabt, das

Ihre zur Wiederherstellung einer kleinen Regierungskoalition zu tun. Trotz des Ablebens

von Doktor Gerlich, der der Verhandlungskommission angehörte, wurde das erste

Gespräch noch an seinem Todestag geführt. Unter dem Zeichen 'Der Klügere gibt nach'

bewilligten die Unions-Mitglieder den Gesprächspartnern von der FDP die vor zwei

Monaten so strikt abgelehnten zwei Ministerien im Landeskabinett.“272

270 Protokoll LT-SH, 2.WP., 11.02.1954, S. 1272; vgl. „Dystrophie. Die Krankheit der Heimkehrer“, in: Der Spiegel, Nr. 41/1953, 07.10.1953, S. 26/27271 Volkszeitung, 28.12.1962, S. 5272 Volkszeitung, 31.12.1962, S. 5

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Derartige zeitgenössische Überlegungen mögen als Ergänzung zu der Beschreibung der

Trauerfeier für Gerhard Gerlich am 29.12.1962 in Neumünster dienen, die Klaus Deneke

in dem Kapitel „Der letzte Weg“ in seiner Publikation „Materialien zur Person von Dr.

Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde

Trappenkamp und Bornhöved“ zusammengetragen hat.273 Als am 07.01.1963 der

Schleswig-Holsteinische Landtag zu seiner ersten Tagung im neuen Jahr zusammentrat,

erhoben sich zu Beginn der Sitzung die Abgeordneten von ihren Plätzen für den Nachruf

des Landtagspräsidenten Claus-Joachim von Heydebreck auf den jüngst verstorbenen

Kollegen. Dessen Gedenkworte auf Gerhard Gerlich wichen in mancher Hinsicht von

üblichen Formulierungen bei derartigen Anlässen ab und spiegeln darin Facetten des

komplexen und teils noch zu erforschenden Wesens eines außergewöhnlichen Politikers

und Menschen seiner Zeit:

„Er hatte nicht nur die seltene Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge durchsichtig und

verständlich zu machen; seine ausgezeichneten geistigen Gaben, seine geschliffene

Diktion und seine Passion für die Politik machten ihn gleichzeitig zu einem gefürchteten

Parlamentarier und zu einem unentbehrlichen Ratgeber. (…) Gewiß, er war kein

bequemer Abgeordneter, auch nicht für seine politischen Freunde, und er verstand, eine

scharfe Klinge zu führen. Aber wir alle verdanken ihm auch so manche gute und

befreiende Lösung aus einer verfahrenen Situation. (…) Der Schleswig-Holsteinische

Landtag grüßt zum letzten Mal Dr. Gerhard Gerlich, einen mutigen, unerschrockenen und

unabhängigen Abgeordneten, dessen Verdienste um unser Land und seine Bevölkerung

ihm ein bleibendes Andenken bewahren werden.“274

3.) Zusammenfassung

Der Lebensweg des Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich (09.09.1911-27.12.1962), der

in dem vorgelegten Gutachten untersucht wurde, weist im Vergleich zu denen fast aller

Parlamentsmitglieder dieser frühen Jahre in Schleswig Holstein deutliche Abweichungen

273 s. Deneke, Materialien, S. 21/22274 Protokoll LT-SH, 5. WP, 07.01.1963, S. 97/98

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

bis hin zu einer Alleinstellung auf. Bereits Gerlichs Zeitgenossen haben in den Jahren

1950 bis 1962 sowohl auf Seiten der CDU-geführten Landesregierungen wie auch seitens

der Opposition seinen enorm wachsenden Einfluss auf Landes- und Kommunalpolitik zwar

registriert, aber kaum die zugrundeliegenden Mechanismen und Strukturen oder die von

ihm eingesetzten Mittel, seine Interessen durchzusetzen, umfassend analysieren und

selten öffentlich kommunizieren können.

Auch in der Fachliteratur dieser frühen Jahre über den CDU-Landesverband oder über die

entsprechenden Landesregierungen in Schleswig-Holstein ist Gerhard Gerlich trotz seiner

fortwährenden Position als stellvertretender Landesvorsitzender kaum oder lediglich in

Fußnoten vertreten. Gleichwohl gilt für dieses Parlamentsmitglied nicht, was Jessica von

Seggen der Mehrzahl seiner Kollegen in diesen Jahren attestierte: „(…) viele Abgeordnete

gerade der ersten Landtage haben nur wenige Spuren in der schleswig-holsteinischen

Geschichte und daher auch in den Akten hinterlassen, so dass ihre Biografien schwer, in

manchen Fällen gar nicht, nachvollzogen werden konnten.“275

Um eine Grundlage für das Verständnis der Persönlichkeit Gerlichs und seiner

Entwicklungen zu ermöglichen, wurden im Rahmen dieser Untersuchung eingangs im

Kapitel „Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ prägnante Erfahrungen

und seine teils intensive Mitarbeit an Fallbeispielen illustriert, die sich auf seine folgenden

Stationen im Kieler Landtag ab 1950 und in der Gemeinde Trappenkamp ab 1955

auswirkten. Gerlichs kommunalpolitische und innerparteiliche Aktivitäten in Neumünster

korrespondierten während der fünfziger Jahre im Zusammenspiel mit seinem Bruder

Walter Gerlich in aussagekräftigen Versuchen, mit unterschiedlichen Mitteln die

Vorherrschaft innerhalb der Kreispartei der CDU zu erringen. Diese blieben zwar auf

Dauer vergeblich, hatten aber die Nebeneffekte eines gesteigerten Mitgliederwachstums

und intensivierter Beteiligung.

Im einleitenden Kapitel wurde das Zusammenwirken der beiden Brüder bei der

wahrheitswidrig in Abrede gestellten SS-Mitgliedschaft im Rahmen von Gerhard Gerlichs

Ausfüllen seines Entnazifizierungsformulars von 1947 dargestellt. Dieses Vorgehen

275 Seggern, Jessica von: Alte und neue Demokraten. Demokratisierung und Neubildung einer politischen Elite auf Kreis- und Landesebene 1945 bis 1950, München 2005, S. 16; s. Freund, Michael: Heimatvertriebene und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein, Ein Beitrag zu ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung als Bundes- und Landtagsabgeordnete, Kiel 1975, (Diss.) S.74/75

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

hinsichtlich der eigenen Vergangenheit im Dritten Reich und in der Nachkriegs-Gegenwart

findet eine thematische Verknüpfung zu den darauf folgenden Kapiteln über die

Parlamentsarbeit im schleswig-holsteinischen Landtag von 1950 bis 1962.

Durch eine Analyse von rund 10.000 protokollierten Seiten über die Sitzungen im

Landtagsplenum sowie in Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, an denen G.

Gerlich teilnahm, soll der jeweilige Umgang von Abgeordneten oder Regierungsvertretern

mit derartigen Aspekten der NS-Vergangenheit nachvollziehbar gemacht werden. Für eine

geforderte und durchgesetzte Integration derjenigen Volksvertreter oder

Verwaltungsangestellten, die kurz nach Kriegsende z.B. wegen ihrer Mitgliedschaft in

NSDAP oder SS als belastet galten und teilweise aus dem öffentlichen Dienst

ausgeschlossen wurden, setzte sich Gerlich ganz im Zeitgeist insbesondere 1957 im

Kieler Landtag ein.

Derartige Beobachtungen und Entwicklungen aus den zwölf untersuchten Jahren

Parlamentsarbeit können anhand von Datenbanken durch eine umfangreiche und

vielschichtige Untersuchung vertieft werden, die ab Herbst 2016 der Öffentlichkeit in Form

einer Buchpublikation vorgelegt wird. Bereits am 27.04.2016 präsentierte Uwe Danker,

Direktor des Instituts für schleswig-holsteinische Regional- und Zeitgeschichte an der

Universität Flensburg (IZRG), dazu erste Ergebnisse der umfassenden Studie

„Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität

nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“.

In deren Rahmen hatte er zusammen mit Stephan Glienke und Sebastian Lehmann auf

einstimmigen Beschluss des Landtages in den vergangenen Jahren Lebensläufe von

Abgeordneten und Regierungsmitgliedern im Hinblick auf deren Rolle und Funktionen im

Dritten Reich sowie zu der Frage nach der Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten

und die Auswirkungen auf die politische Kultur des Bundeslandes untersucht. Bei der

Präsentation der Ergebnisse für alle betreffenden Abgeordneten verwies Uwe Danker auf

„eine gewisse strukturelle Selbstverständlichkeit, mit der ehemalige Nationalsozialisten die

Landespolitik dominierten, in der Exekutive noch deutlicher als in der Legislative.“276

276 Danker, Uwe/ Glienke, Stephan/ Lehmann, Sebastian: „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“ (Presse-Präsentation am 27.04.2016), Kiel/ Schleswig 2016, Pressetext S. 9 (mit Anhängen I u. II); im Folgenden: Danker/Glienke/Lehmann

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Wie weitere Ergebnisse in diesem hier vorgelegten politisch-biografischen Gutachten über

den Landtagsabgeordneten und seine Verbindungen von 1950 bis 1962 vertieft werden

können, so wurde Gerhard Gerlich im Rahmen der IZRG-Studie von den insgesamt 389

untersuchten Personen auch bezüglich charakteristischer Grundhaltungen und

-verhaltensmuster für ein Leben im Nationalsozialismus in die Rubrik „systemtragend/

karrieristisch“ eingeordnet. 277 Im Rahmen derartiger Klassifizierungen stellt Gerlich gewiss

einen Sonderfall dar, da er z.B. in seiner Entnazifizierungsakte ein

Parteiausschlussverfahren aus der NSDAP 1942 angeführt hatte und seine selten

systemkonforme Haltung in den Nachkriegsjahren mit seinem weiterhin ausgeprägt

individuellen Auftreten sowie seiner Entwicklung während der Arbeit im Kieler Landtag

korrespondierte. Dies dürfte ihm eine besondere Glaubwürdigkeit, einen entsprechenden

Nimbus und eine singuläre Stellung mit intensiv in Anspruch genommenen Sonderrechten

eingetragen haben.

Eine Analyse seiner untersuchten Beiträge in diesen Jahren bis 1962 ergab, dass G.

Gerlich Konflikte auch innerhalb seiner Partei, der CDU-Landtagsfraktion oder der eigenen

Landesregierung offensiv und gelegentlich polarisierend führte. Bei einzelnen Projekten

(z.B. in Neumünster oder Preetz) konnte Gerlich energisch, streitbar sowie hartnäckig

auftreten und war auch gelegentlich wegen der Wahl seiner eingesetzten Mittel

Gegenstand erbitterter Kontroversen. Derartige Auseinandersetzungen scheute er weder

gegenüber dem politischen Gegner, unter eigenen Parteifreunden oder mit ihm formell

übergeordneten Repräsentanten wie Parteivorsitzenden, Ministern oder einem

Ministerpräsidenten. Andererseits waren sein Fleiß, umfassendes Fachwissen und

maßgeblicher Einfluss auf wesentliche Entscheidungsträger oft größer und im Hintergrund

wirksamer, als es Gerlichs in der Öffentlichkeit häufig zurückhaltendes und selten

dokumentiertes Auftreten vermuten ließen.

Als Bewohner Trappenkamps diesem (un)heimlich einflussreichen und sehr versierten

Vertriebenen- und Finanzpolitiker Gerlich 1955 für die Wahrnehmung ihrer Interessen

gewannen, nahm die Entwicklung des Ortes zu einer selbstständigen Gemeinde, den

ersten Wahlen bis hin zu der außergewöhnlichen Förderung durch Landes- und

Bundesmittel eine rasante Dynamik an. Diese Fortschritte unter landesweit wohl

277 Danker/Glienke/Lehmann, Anlage I, Seite 12140

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

einzigartigen Bedingungen wie auch die selten schriftlich nachweisbaren Beiträge Gerlichs

dazu sind in den drei Unterkapiteln von „Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in

besonderem Verhältnis zu Trappenkamp“ illustriert worden.

Wohl allein vor dem Hintergrund der umfangreichen Forschungen zu Gerlichs Erfahrungen

und seiner anderenorts nachweisbaren politisch-strategischen Vorgehensweisen konnten

derart Indizien zusammengetragen werden, die die zum Scheitern gebrachte

Konstituierung nach der ersten, am 27.05.1956 gewählten Volksvertretung Trappenkamps

als selbstständige Gemeinde plausibel herleiteten und erklärbar machen. Dieses

Phänomen blieb auch für die meisten Zeitgenossen rätselhaft, und insbesondere im

Jubiläumsjahr 2016 der Gemeinde mag dieses vorgelegte Gutachten einen Anstoß dafür

geben, zu diesem Aspekt der frühen Ortsgeschichte nach seltenen, aber gewiss noch

vorhandenen Quellen hinsichtlich der Urheberschaft und entscheidenden

kommunalpolitischen Mitwirkung von Gerhard Gerlich in einzelnen Archiven oder privaten

Beständen zu forschen.

Zu einer öffentlichen Diskussion über diesen ungewöhnlichen Landtagsabgeordneten und

seiner mehrschichtigen Rolle eines „Geburtshelfers“ der selbstständigen Gemeinde

Trappenkamp scheint für eine Debatte auch in zu vertiefenden landespolitischen

Zusammenhängen zu passen, was Uwe Danker am 26. April 2016 bei der Präsentation

der oben genannten umfassenden Studie „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der

personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen

Legislative und Exekutive“ für alle Landtagsabgeordneten in Schleswig Holstein

ausgeführt hat:

„In diesem Prozess ist es gelungen, ehemalige Nationalsozialisten in den demokratischen

Staat zu integrieren, einige zu wichtigen Protagonisten werden zu lassen. Welche Folgen

für die politische Kultur des Landes damit einhergingen, wäre über unsere ersten Hinweise

hinaus (ebenfalls) noch genauer zu untersuchen.“278

Dr. Ulrich Erdmann Kiel, im Juni 2016

278 Danker/Glienke/Lehmann, Pressetext S. 9141

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

4.) Quellen und Literatur

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Nr. 15 (15.12.1951), Lübeck/ Kiel 1951, S. 7

(Holey, Josef: Ansprache (Zur Benennung der „Gerhard-Gerlich-Schule), Trappenkamp

12.03.1969, 1 Bl, Kopie [Privatbesitz])

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen

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vorgebrachten Vorwürfe, 2. Wahlperiode, Kiel 1951 (auszugsweise)

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Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den

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1959, 211 S.

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen

Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade I, 4.

Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bd. 1-3, 954 S.

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen

Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade II, 4.

Wahlperiode, Kiel 1960/61, 100 S.

(Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der

„Gerhard-Gerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D

(1969), 3 Bl, Kopie [Privatbesitz])

Vogt, Gustav (Verantw.): „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“, Pressemitteilung

Nr. 44/62 des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein, 27.12.1962

Quellen (gedruckt)

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Wortprotokolle des Schleswig-Holsteinischen

Landtags, 2. Wahlperiode (07.08.1950-04.08.1954), Kiel 1950-1954, S. 1-1858

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 3. Wahlperiode (11.10.1954-

20.08.1958), Kiel 1954-1958, S. 1-4017

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 4. Wahlperiode

(29.10.1958-22.08.1962), Kiel 1958-1962, S. 1-2944

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte des Schleswig-

Holsteinischen Landtags, 5. Wahlperiode (29.10.1962-18.12.1962), Kiel 1962, S. 1-95

Wort und Bild. Stimme der CDU in Schleswig-Holstein, hrsg. v. Hanns U. Pusch, Lübeck

(1958-1961, 1.-4. Jg.)

Periodika

Holsteinischer Courier (auszugsweise)

Kieler Nachrichten, Jg. 1950-1953 (und auszugsweise)

Preetzer Zeitung (auszugsweise)

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BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Schleswig-Holsteinische Volkszeitung (Kieler Morgenzeitung), Jg. 1950-1962

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