Datum Thema Sprecher Reduktion von Fixierung Prof. Dr. med. Doris Bredthauer Fachhochschule Frankfurt/Main Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Für Sicherheit sorgen ohne zu schaden Erkenntnisse aus den ReduFix-Projekten Mit Recht fixiert … aber fachlich noch begründbar? Fachtagung Coburg, 18.04.2012
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Thema Für Sicherheit sorgen ohne zu schaden Erkenntnisse ...€¦ · Für Sicherheit sorgen ohne zu schaden Erkenntnisse aus den ReduFix-Projekten ... Keine Studie weltweit zeigt
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Datum
Thema
Sprecher
Reduktion von Fixierung
Prof. Dr. med. Doris BredthauerFachhochschule Frankfurt/Main
Fachbereich Soziale Arbeit und GesundheitÄrztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Für Sicherheit sorgen ohne zu schadenErkenntnisse aus den ReduFix-Projekten
Mit Recht fixiert … aber fachlich noch begründbar? Fachtagung Coburg, 18.04.2012
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Inhalte
> Stand des Wissens
> Risiken und Gefahren
> Praxisübung am Bett
> ReduFix - Studie
> Rechtsfragen
> Interdisziplinärer Entscheidungsprozess
> Einsatz von Alternativen
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Freiheitseinschränkende Maßnahmen (FeM)= Jeder Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 II GG)
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) Art. 104 GG = Ausschluss der körperlichen Bewegungsfreiheit Liegt nicht vor, wenn: „Zur willkürlichen Fortbewegung unfähig,
kein diesbezüglicher Wille erkennbar“…Unterbringung und unterbringungsähnliche MaßnahmenZivilrecht: §1906 BGB : „zum Wohle des Betreuten“(erhebliche Selbstgefährdung, medizinische Maßnahmen)
Öffentl. Recht: Unterbringungsgesetze der Länder, z.B. UBG, Psych KG (bei Fremdgefährdung)
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Freiheitsbeschränkende Maßnahmen= Eingriff in die Bewegungs-
freiheit von geringer Intensitätund /oder Dauer
Freiheitsberaubung
= wenn ein Mensch eingesperrt oder auf andere Weise des Gebrauchsseiner persönlichen (Bewegungs-)Freiheit beraubt wird (§ 239 StGB)
Liegt nicht vor: tragfähige (!) Einwilligung
Gerechtfertigt: - Entscheidung des Betreuersund gerichtlicher Beschluss
Personal- und organisations- Personalschlüssel, Rechtorientierte Gründe:
Einstellungen, Haltungen
Bredthauer 2002; DeSantis et al. 1997; Evans 2002; Hantikainen 2001; Hamers et al. 2005; Haut et al., 2004; Kirkevold et al. 2004;Klie et al. 2004; Koch 2006; Mammun et al. 2005; Moore et al. 2007; Werner 2002;
„Fürsorgepflicht“ / „Obhutspflicht“:- Recht auf Sicherheit / Schutz von körperlicher Unversehrtheit
Achtung der Menschenrechte:- Recht auf Freiheit der Person- Recht auf Würde- Recht auf Teilhabe - Recht auf Selbstbestimmtheit - Förderung von Mobilität, „Aktivierung“
Sorgfaltspflicht und Recht auf Freiheit
Art 1 u. 2 Grundgesetz, SGB V, SGB XI, SGB IX, Heimgesetze (z.B. PfleWoqG) The ICN Code of Ethics for Nurses 2000, Charta d. Rechte u. Pflege hilfe- und pflegebedürftiger Menschen 2007
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Rechtlich legitimiert… aber fachlich gerechtfertigt?
... „Wohl“ (§ 1901, 1906 BGB)?
….Erhebliche Gesundheitsgefahr?
… Erforderlich?
… Verhältnismäßig?
… Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse (SGB V, XI, PfleWoqG)?… Wirksam?
1. Keine Studie weltweit zeigt positiven Effekt von FeM !
2. Daten über negative Folgen (Verletzungen, Stress) sind dagegen alarmierend
Evans et al. (2002): Systematic Review, Joanna Briggs InstituteSailas E & Fenton M: Cochrane Systematic Review 2000;Testad et al 2005, Pellfolk et al 2010, Koczy et al (eingereicht);Berzlanovich 2007, Mohsenian 2002, BfArm 2004
Holt, Schmiedl et Thürmann (2010): Die Priscus-Liste DÄB 31-32: 543-551 u. 10-19 und www.priscus.net; s. auch „Beers-Kriterien“, Update n. Fick et al (2003) Arch Intern Med 163
Potentiell inadäquate Medikation im Alter: Die „PRISCUS“- Liste 2010: www.priscus.net
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„Fehlmedikation“ n. Beers-Kriterienbei älteren Menschen: Stand des Wissens
Fialova D et al (2005) JAMA 293 (11) 1348-58Molter-Bock et al (2006) ZGG 39: 336-343Gordon G et al. (2002) J Am Pharm Assoc 42(6): 847-57Mayer U & Baltes PB (1996) BASE
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Stand des Wissens: Indikationen für Psychopharmaka
Ausreichend bis gute Evidenz für Antidepressiva bei depressiver Symptomatik
Ausreichende Evidenz für Antipsychotika für die Zielsymptome „psychotische Symptomatik“ (Wahn, Halluzinationen) und „schwere Aggressivität),
aber keine Evidenz für „unspezifische Verhaltenssymptome“ bei Menschen mit Demenz, dafür Evidenz für erhöhte Mortalität und schwere Nebenwirkungen!
Ausreichende Evidenz für Antidementiva zur Behandlung von „BPSD“, insbesondere bei Lewy-body-Demenz
Bains J et al. (2002) The Cochrane Database of Systematic Reviews ( Antidepressants)Baillard C, Waite J (2006): The Cochrane Database of Systematic Reviews (Atypical antipsychotics)Wild R ((2006): The Cochrane Database of Systematic Reviews (Cholinesterase-Inhibitors)
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Individueller, interdisziplinärer Prozess der Entscheidungsfindung
Analyse der Situation und Zielefestlegung
Ursachenabklärung
Einschätzung der Alternativen
Maßnahmeplan
Treffen der Entscheidung (Optimal: Fallkonferenz)
Durchführung der Maßnahme
Beobachtung und Evaluation
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Hilfsmittel / Technik
Raum /Umgebung
Pflegende / Organisation
Person mit Demenz und
Sturzgefährdung/ fordernden
Verhaltensweisen
Alternativen für FeM (risikospezifisch, individuell)
Gute Evidenz für Schulungsprogramme, aber:
Schwache oder fehlende Evidenz für Einzelkomponenten
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www.dnqp.de
Pflegerischer und medizinischer Sorgfaltsmaßstab: Aktuelle Standards und Leitlinien
www.buko-qs.de
Kurz- und Langfassung abrufbar unter: www.degam.de
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Kraft- und Balancetraining
Sichere Umgebung
Angepasste Hilfsmittel/ technische Hilfen
Einsatz von Hüftprotektoren
Inkontinenzmanagement
Sehhilfen
WICHTIG: Mobilität fördern!
Aber: Fixierungen „unbedingt vermeiden“!
www.dnqp.de
Sturzprophylaxe
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Bsp.: Kraft – und Balancetraining – auch für Menschen mit Demenz !
geben SicherheitBefriedigen das Bedürfnis nachZugehörigkeitstärken das Selbstwertgefühlüben noch erhalteneFähigkeitenermöglichen spielerischesKraft- und Balancetrainingüben niederschwellig kognitiveFähigkeiten
Bild: Kraft- und Balancetraining in der Kleingruppe; Uli Lindemann, Bethesda Geriatrische Klinik Ulm
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Verstehende Diagnostik (z.B. nach NDB Modell)
Assessmentinstrumente (z.B. CMAI, DCM, IdA)
Validation
Erinnerungspflege
Berührung, Basale Stimulation, Snoezelen
Bewegungsförderung
Siehe auch neue ärztliche Leitlinien: S3 Leitlinie für Menschen mit Demenz 11/09S2 Leitlinie für Therapie aggressiver Patienten
Alternativen für FeM (risikospezifisch, individuell)
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
DementengerechteArchitektur soll..
Behinderungen kompensieren
Freiheit maximieren
Das Selbstwertgefühl und Vertrauen erhöhen
Identität erhöhen
Anregen und die Sinne stimulieren
Sicherheit gewährleisten
Orientierung geben und verstehbar sein
Selbständigkeit und Autonomie fördern
Aktivieren
Marshall M (Dementia Services Development Centre, Stirling) 2005; Day et al 2000 (Systematic Review), Marquardt 2007, Weyerer 2004, Wojnar 1997, Heeg2004; Zeisel et al 2003
„Pflege“ dem Personal vor Augen führen
Einladend sein für Angehörige und Bürger
Räumlich-architektonische Maßnahmen
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Nationale Empfehlungen
„Kleinteiligkeit und Überschaubarkeit“:
- Mitarbeiter (schulung)
- Kleingruppen- Räumliche Dimension: o Bewohnerzimmer
o Wohnküche
o Flur
Hrsg. V. Bundesamt f. Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) (2004)www.kda.de/files/bmg/2005-02-14-band19.pdf, letzter Abruf 04.10.08
Abb. modifiziert nach Woijcieck Cylok (Stud. Cand. M.Sc. BaSys 2007)
Intelligente Sensorsysteme
z.B. Sturzerkennung, medizinische Parameter, Ortung (GPS)
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SensFloor®: Der intelligente Fußboden
Folie zur Verfügung gestellt von: Dr. Axel Steinhage, ChristlLauterbachFuture-ShapeGmbH, Germany
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
FAZIT: „Rest“- Indikationen von FeM (?)
Somatischer Bereich:Notfallsituationen mit vitaler Gefährdung,
Psychiatrischer Bereich:Notfallsituationen mit schwerer Selbst- oder Fremdgefährdung
Geriatrischer Bereich:„ultima ratio“!!!
Gesundheit o. Sicherheit in erheblichem Maße durch Verhalten gefährdet undVerhalten nicht auf behebbare Ursachen zurückführbar undAlternativen haben versagt oder sind nicht möglich
Medizinisch-ethische Richtlinien der Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW 2004 und 2005); herunterzuladen unter: www.samw.ch/content/d_Ethik_Richtlinien.php; letzter Abruf 25.01.2010
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
1. Vor dem Einsatz müssen alle Alternativen ausgeschöpft sein
2. Der potentielle Nutzen muss höher sein als der mögliche Schaden3. Die minimalste Variante sollte eingesetzt werden4. Der Einsatz sollte kurzfristig erfolgen5. Die Notwendigkeit der Maßnahmen muss regelmäßig überprüft werden6. Eine institutionseigene Richtlinie sollte vorhanden sein7. Die Anwendung muss fachkundig erfolgen8. Ein kontinuierliche Beobachtung der fixierten Bewohner ist notwendig9. Alle Mitarbeiter müssen in deren korrekten Gebrauch geschult sein
nach Evans 2002, Joanna Briggs Institute
Internationale Empfehlungen im Umgang mit FeM
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Von den Nachbarn lernen?
Quelle NL: Hamers J Abschlusssymposium „ReduFix praxis“ 10/2009
Niederländ. „EXBELT“ Projekt 2008-2009
Reduktion von Fixierung gegen Null durch frw. Verpflichtung (Verbot) - ohne negative Folgen für die Bewohner
Fixierungen zur Sturzvermeidung werden per Gesetz v. 30.06.2009 ab 2011 in den Niederlanden verboten!!
Deutschland: Werdenfelser Weg ?? Freiburger Erklärung?? Evidenzbasierte Praxisleitlinie FeM ??
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
„ReduFix ambulant“ : Sicherheit und Lebensqualität in der häuslichen Pflege(SILQUA-FH, BMBF)
Prof. Dr. T. KlieB. SchuhmacherS. BehrendEvang. Hochschule Freiburg
Prof. Dr. D. BredthauerB. Borgloh (Uni-Dipl. Soziol., M. Sc. BaSys)S. Karner (Ex. Krankenpfl., Dipl. Pflegewirtin FH FFFachhochschule Frankfurt am Main
Förderung: BMBF (Förderlinie SILQUA-FH)Laufzeit 05/2009 – 04/2012Fördervolumen: 251 000 Euro
Weiterführende LiteraturKoczy P, Becker C, Beische D, Buechele G, Guerra V, Kleiner A, Klie T, Rapp K, Rissmann U, Bredthauer D (2011): Effectiveness of a multifactorial intervention to reduce physical restraints in nursing home . JAGS 59 (2): 334-339
Bredthauer D (2010): Eure Sorge fesselt mich. Erkenntnisse aus den ReduFix Projekten. PADUA 3: S. 22-28
Bredthauer D (2009): Freiheitseinschränkende Maßnahmen (FEM). In: Stoppe G und Mann E (Hrsg): Geriatrie für den Hausarzt. Verlag Hans Huber, Bern: S. 383-392
Bredthauer D, Klie T, Viol M (2009): Entscheidungsfindung zwischen Sicherheit und Mobilitätsförderung. Die Suche nach dem Königsweg. BtPrax 1/09: 18-23.
Bredthauer D (2008): Wie kann man Fixierungen reduzieren? Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen aus dem Projekt ReduFix Praxis. Altenheim 12/08: 38-41
Bredthauer D (2008): Wie können freiheitseinschränkende Maßnahmen vermieden werden? –Handlungsempfehlungen aus den ReduFix-Projekten. BtMan 4:208-212
Becker C, Branitzki S, Bredthauer D et al. (Projektgruppe ReduFix, Hrsg.) (2007): ReduFix – Alternativen zu Fixierungsmaßnahmen oder: Mit Recht fixiert? Vincentz Network, Reihe powerbooks, Hannover
Bredthauer D (2006): Können Fixierungen bei dementen Altenheimbewohnern vermieden werden? BtMan4:184-190
Bredthauer D (2006): Wenn Verhaltensprobleme die Betreuung von Demenzpatienten erschweren. MMW-Fortschr Med 51-52: 38-42
Koczy, P, Klie T, Kron M, Bredthauer D, Rissmann U, Branitzki S, Guerra V, Klein A, Pfundstein T, Nikolaus Th, Sander S, Becker C (2005): Effektivität einer multifaktoriellen Intervention zur Reduktion von körpernaher Fixierung bei demenzerkrankten Heimbewohnern. Ziele und Studiendesign einer prospektiven clusterrandomisierten Interventionsstudie. Z Gerontol Geriat 38: 33-39