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Anja Schwanhäußer Stilrevolte Underground Die Alternativkultur als Agent der Postmoderne
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Stilrevolte Underground. Die Alternativkultur als Agent der Postmoderne.

Mar 12, 2023

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Anja Schwanhäußer

Stilrevolte UndergroundDie Alternativkultur als Agent der Postmoderne

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Anja Schwanhäußer

Stilrevolte Underground

Die Alternativkultur als Agent der Postmoderne

»…Deshalb geht den großen Umwälzungen eine gewisse Karnevalisierung des Bewusstseins voraus.«

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Vorwort der Herausgeber

Mit der Reihe »Berliner Ethnographische Studien« sollen Themen und Perspektiveneiner Europäischen Ethnologie einem größeren wissenschaftlichen wieaußeruniversitären Publikum zugänglich gemacht werden. Dabei meint »EuropäischeEthnologie« keine europäische Völkerkunde im Sinne eines Regionalstudienkonzeptes,vielmehr soll damit eine spezifische Perspektive auf kulturelle Prozesse markiert sein,die zunächst (aber keineswegs nur) vor dem Hintergrund des europäischen Geschichts-und Gesellschaftshorizontes zu erklären und zu verstehen sind.

Viele Facetten solcher Prozesse werden an unserem Institut gegenwärtig inForschungsprojekten und Dissertationen wissenschaftlich bearbeitet. Oft nicht wenigeranspruchsvoll stellen in zunehmenden Maße aber auch Magisterarbeiten manchesThema dar, vielleicht sogar kompakter und außenwirksamer als die meist nochwesentlich längeren und ausführlicheren Dissertationstexte. Diese Erfahrung nehmenwir zum Anlass, gemeinsam mit dem Lit-Verlag besonders gute Forschungsarbeiten ausdiesem Bereich in der vorliegenden Reihe in Buchform zu präsentieren. Und dabeiwollen wir uns bemühen, das Themenspektrum so breit und offen zu halten, wie diesdem Blickfeld unseres Faches entspricht.

Die Herausgeber

Impressum

Berliner Ethnographische StudienEthnographische und ethnologische BeiträgeHerausgegeben von der Gesellschaft für Ethnographie (GfE) und dem Institutfür Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin.ISBN: 3-8258-6171-6ISSN: 1434-0542

Redaktion: Falk Blask, Beate Binder, Dagmar Neuland-Kitzerow, Thomas Scholze, Victoria SchwenzerHeftredaktion: Irene GötzLayout: Marcus Merkel, Martin WalterSatz: Marcus Merkel, Berlin

Titelbild: Hotcha 13/14 (1968) 1 – © Archiv für Alternativkultur.

Redaktionsanschrift:Geschäftsstelle der Gesellschaft für Ethnographie (GfE)am Institut für Europäische Ethnologiez. Hd. Geschäftsführerin Beate BinderSchiffbauerdamm 19, 10117 BerlinTel.: 030 - 2093-3712, Sekr.: 030 - 2093-3703, Fax: 030 - 2093-3726E-Mail: [email protected], http://www2.hu-berlin.de/ethno/

Die Berliner Ethnographischen Studien erscheinen unregelmäßig, mindestens jedoch zweimal im Jahr.Bankverbindung Deutschland: Berliner Bank, BLZ 100 200 00, Ktn. 2096990200;Österreich: Zentralsparkasse Wien, BLZ 000 20 151, Ktn. 702346784, z. Hd. Dr. Dieter Kramer,Vermerk: Berliner Ethnographische Studien.

Die Rechte verbleiben bei den jeweiligen AutorInnen.

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Inhaltsverzeichnis

»Schmutz und Schund« 7

Der »postalische Stamm« 11

Auf der Suche nach dem Underground 17

»dass der kulturelle Bereich kein privilegierter mehr ist« 21

Erkundungen der Oberfläche 24

»Karnevalisierung des Bewusstseins« 31

»Permanentes Happening« 45

Theorie als kulturelle Munition 53

Stiltheorie Underground 58

Bastarde der Massenkultur 64

Echte Helden 84

Goethe und Schwarzenegger 92

Literatur 96

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»Schmutz und Schund«

Hochkultur sei heute eine Subkultur neben anderen, schreibt Lucius Burckhardt ineinem Aufsatz über De[n] guten Geschmack (ders. 1986: 51). Der paradox anmutendeAusspruch verweist auf einen grundlegenden Wandel der Werte und Begrifflichkeitenvon Kultur. Offenbar ist eine Auffassung von Kultur erstarkt, die enge Vorstellungen vonHochkultur aufweicht und eine Gleichsetzung von so unterschiedlichen Sphären wieHochkultur und Subkultur ermöglicht. Die Bedeutungen von »hoch« und »sub« scheinengeradezu von unten nach oben gekehrt. Verkehrte Welt?

Die Relativierung der Hochkultur von Seiten der sozialen Mittelschicht geht Hand inHand mit dem Bedeutungswandel der Populärkultur seit 1950. Für denKulturwissenschaftler Norbert Krenzlin ist Massenkultur gar der Katalysator einesneuen Verständnisses von Kultur:

»Massenkultur [...] hatte sich im 20. Jahrhundert als mächtiges Agens sozial- undgeisteswissenschaftlichen Denkens erwiesen; es schien bestens geeignet, sichvon überholten Gesellschafts-, Kultur- und Kunstauffassungen zu emanzipieren,die vergangenen Zeiten angehören.« (Krenzlin 1992: 149)

Wurden in den 50er Jahren z.B. Comics in der bundesrepublikanischen bürgerlichenPresse – vor allem von Kirchen- und Erziehungsorganen als Verteidiger bürgerlicherNormen und Werte – als Bedrohung eben jener Werte bekämpft, so stehen die»Bildungsschichten«1 heute dem Medium toleranter gegenüber, ist es heute legitimwenn nicht gar in Mode, sich für Comics, Populärfilme etc. zu begeistern. TrugenAufsätze über Comics in den 50er Jahren polemische Titel wie »Die Pest der ComicBooks«2, »Schmutz und Schund«3 und »Comics, eine sittliche Gefahr für unsereJugend«4, so wird, wie Kaspar Maase in seinem Aufsatz Spiel ohne Grenzen schreibt, inunserer heutigen Kultur »bislang Anstößiges und Ausgegrenztes der modernenPopulärkultur neutralisiert, ja legitimiert« (Maase 1994: 13).5 Ein Beispiel für dieAkzeptanz der Populärkultur von Seiten der Bildungsschichten ist die rhetorische

1 In Anlehnung an Kaspar Maase zähle ich zu ihnen die »Hochschul- und später auchFachhochschulabsolventen sowie sonstige Angehörige der Kulturberufe (Künstler, Bibliothekare,Journalisten, etc.)« (Maase 1994: 14).

2 Die Kirche in der Welt 3 (1954) 7, S. 313-316.3 Schmutz und Schund unter der Lupe. Bericht über eine Untersuchung des Gesamtproblems

Jugendgefährdung / Kurt-Werner Hesse (Hg.). Frankfurt/Main 1955.4 Katholische Frauenbildung 5 (1955) 56, S.195-198.5 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die moderne Pädagogik mit Comics arbeitet, wo gerade

die damaligen Erziehungswissenschaften einer ihrer härtesten Gegner waren.

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konnte dazu führen, dass mit ihr gegen sie agiert wurde. Die erkannten Chancen ebensowie die verworfenen Werte der Populärkultur laufen in den Manifesten und in denWerken der Internationalen Situationisten zusammen. Von dieser Basis aus und anhand derUndergroundpresse sollen die unterschiedlichen und widersprüchlichenBedeutungsdimensionen der Populärkultur für den Underground aufgezeigt werden.8

Ein wichtiger Teilaspekt bei der Hinwendung zur Populärkultur war deren reflexiveAneignung – durch die Nähe von Theorie und Praxis gleichzeitig eine folgenschweremethodische ›Tücke‹. Bei der Interpretation des Stils der Undergroundpresse bin icheben dort auf zum Teil theoretisch inspirierte Selbstreflexionen und -interpretationengestoßen. Teilweise schien das Interpretieren redundant – der ›Gegenstand‹ hatte esbereits vorweg genommen. In dem Versuch, diese Reflexionen wiederum zureflektieren, ebneten sich Theorie (Stiltheorie, Medientheorie) und Praxis(Undergroundkultur) zunehmend ein. Nicht selten erschienen die Theorien McLuhansund der Cultural Studies nicht mehr als eine auf die Praxis anzuwendende, sondernebenfalls als Ausdruck kultureller Praxis, bei der sich wiederum Homologien zurUndergroundkultur finden ließen... Diese Homologien wurden in die Analyseeinbezogen, auch deshalb, weil sich hier eine Tendenz andeutet, die die heutigeRelation von Subkultur und -theorie entscheidend ausmacht, nämlich dass die Sphärennicht getrennt voneinander existieren.

Subkulturelle Gruppen bedienen sich zur Selbstbeschreibung wissenschaftlichenJargons während Theorie zur Popkultur wird. In seinem Aufsatz Kulturtransfer. ZumVerhältnis von Alltags-, Medien- und Wissenschaftskultur beschreibt Rolf Lindner ebendieses Phänomen, das auch aber nicht nur das Verhältnis von Subkultur und Akademiebetrifft. Am Beispiel der Punkbewegung und Dick Hebdige Essay The Meaning of Stylelegt er die »Verflechtung von universitärem Feld und dem Feld der Kulturproduktion«(Lindner 1995: 34) dar. Die popularisierte Form von Hebdige kulturwissenschaftlicher -Szene-Analyse diene der »Szene selber«, der durch den Essay »eine ideologischeBegründung ihrer Praxis (»Sinn«) und eine Anleitung zur Selbst-Stilisierung geliefert«werde (ebd.: 36).

Einen ähnlichen Gedanken formuliert Helmut Hartwig wenn er schreibt, dass dieSzenen in praktischer Selbstreflexion ihre Theoretiker selbst produzieren. Denn»Kommentatoren [...] stehen den Szenen nicht mehr gegenüber, sondern betrachten sichselbst als Teil von ihnen«, sodass »ästhetische und soziologische Selbstkommentierungheute zu den Szenen« gehöre (Hartwig 1998). In dem Szenemagazin Groove (das inBerliner Platten- und anderen Szeneläden kostenlos ausliegt), wird nicht nur die eigeneSzene reflektiert und teils im Wissenschaftsjargon kommentiert, sondern der Leserselbst wird zur distanzierten Betrachtung des eigenen Umfelds motiviert: So endet ein

Verbeugung des Literaturkritikers Reich-Ranicki vor Thomas Gottschalk im Feuilletonder Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als »Wunder zwischen Nathan, Faust, Hans Albersund Escamillo«6 gewährte Reich-Ranicki Gottschalk den ihm geziemenden Platzzwischen den tragenden Säulen bürgerlicher deutscher Kultur. Die kulturelle Praxis derBildungsschichten, schreibt Kaspar Maase, habe sich vom bildungsbürgerlichen Idealentfernt, so dass die »beanspruchten Privilegien einer ›standesgemäßen Lebensführung‹«immer weniger dazu dienen, »eine um Persönlichkeitsbildung, Kunst, Hausmusik undniveauvolle Geselligkeit zentrierte Privatsphäre zu ermöglichen« (ebd.: 17).

Ein besonders bedeutsames Anzeichen für den Bedeutungswandel der Populärkultur istin der BRD nach 1945 in der Alternativ- bzw. Undergroundkultur7 zu finden. DieseSubkultur zu untersuchen kann Aufschluss über die kulturellen und ästhetischenZusammenhänge geben, die diesen Wandel herbeiführten. Denn Subkultur ist einintragesellschaftlicher Begriff (im Gegensatz zu Kultur als intergesellschaftlichemBegriff; vgl. Lindner 1981: 184). Diese Bezüglichkeit zur dominanten Kultur erlaubt es,die gesellschaftliche Rolle der Populärkultur aus der Undergroundkultur heraus zuverstehen. Nach Stuart Hall sind Subkulturen das Brennglas gesamtgesellschaftlicherPhänomene:

»bei der Analyse einer gesellschaftlichen Struktur [erfüllen Subkulturen] diegleichen wichtigen Funktionen wie etwa die Krisen; denn die Soziologen sagenoft, man könne nur dann erkennen, wie eine Gesellschaft beschaffen ist, wennsie sich in einer Krise befindet, weil nur dann die Widersprüche undAntagonismen hervortreten, die sonst häufig verdeckt sind.« (Hall 1977: 62)

In diesem Sinne artikulierte der Underground den Widerspruch zwischen dembürgerlichen Lebensstil seiner Stammkultur und den mit diesem Lebensstil unvereinbargewordenen modernen gesellschaftlichen Verhältnissen, wobei die Populärkultur einerder Austragungsorte jenes Konfliktes war.

Die Populärkultur erfüllte aber eine ambivalente Funktion. Aus der Perspektive desUnderground war sie einerseits antibürgerlich, weil die populärkulturelle Ästhetikeinem modernen, schnellen Lebensgefühl entsprach und im Gegensatz zur Hochkulturnicht elitär war. So finden sich Homologien zwischen dem verwirrenden Layout derUndergroundpresse (als Verkörperung und Ausdruck kultureller Praxis) und derPopulärkultur, die sich in der Technik des Cut-up verdichten. Aber schon hier wargleichzeitig Kritik angelegt, war die inszenierte Verwirrung Angriff auf zementierteBedeutungsgehalte der Populärkultur. So sah man, andererseits, in der Kulturindustrieeben auch die Reproduktionsmaschine bürgerlicher Normen und Werte, die es durchsubversive Strategien aufzubrechen galt. Die widersprüchliche Rolle der Populärkultur

»Schmutz und Schund« 10 »Schmutz und Schund« 11

8 In der Hinwendung zu Populärkultur hatte die Pop Art sicherlich Einfluss auf den Underground. Ecoschreibt, »auf dem Weg über Pop Art« habe »die Avantgarde den Comicstrip entdeckt« (Eco 1994: 12).Ich werde auf diesen Einfluss jedoch nicht eingehen, weil die Haltung der Pop Art gegenüberPopulärkultur ungebrochener ist, in dieser Arbeit aber gerade die Widersprüchlichkeiten interessieren.

6 Reich-Ranicki, Marcel: Geschmacklosigkeit kennt er nicht. Wunder zwischen Nathan, Faust, HansAlbers und Escamillo. Gottschalks ›Wetten, dass...‹. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.5.1992.

7 Empirisch bezeichnet Undergroundkultur für mich das selbe wie Alternativkultur. »Underground« istdie Selbstbezeichnung der Alternativkultur.

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Artikel von Simon Reynolds, der das paradoxe neuerliche Interesse der HipHop-Community an Ecstasy beschreibt, mit der Aufforderung: »Beobachtet diesenRaum...«.9

Eine Fußnote jenes Phänomen sind die »thematischen Wochenenden« an der BerlinerVolksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, bei denen die theoretische Reflexion zumKulturprogramm gleich mitgeliefert wird. So wurde im November 1997 unter dem Titel»Loving the Alien« eine Veranstaltung zu dem – erklärtermaßen zusammengehörigen –Themenkomplex »Science Fiction, Diaspora, Multikultur« abgehalten, bei dem diegesamte Palette popkultureller Ausdrucksformen angeboten wurde, einschließlichVorträgen und Diskussionen. Es ist kein Zufall dass dies unter Mitwirkung von DiedrichDiedrichsens geschah, der als »Poptheoretiker« jene Verflechtungen personifiziert undselbst wiederum Kulturanalytikern mit der Diagnose Konkurrenz macht,Diskussionsveranstaltungen übernähmen inzwischen »die soziale Rolle von Rock-Konzerten« (Diedrichsen 1996: 121). Gesponsert wurde die Veranstaltung vomSzenemagazin Spex, das sich ebenfalls sowohl als Sprachrohr als auch reflexive Instanzder Szene versteht.10

Aber nun soll dorthin geblickt werden, wo alles begann...

»Schmutz und Schund« 12

Der »postalische Stamm«

Allerorts in Deutschland entstanden Ende der 60er Jahre Undergroundzeitschriften. DieUndergroundpresse war Teil einer breiten, kulturrevolutionär verstandenen Strömung –Rolf Lindner spricht von einem »großen gesellschaftlichen Happening« (Lindner 1997: 9)– die ihren Ausgang in den USA nahm. Sie umfasste u.a. Film (von Kenneth Anger bisAndy Warhol), Literatur (von William S. Burroughs bis Harold Norse), Theater (wie dasLiving Theatre von Judith und Julian Beck) und Musik (von den Fugs bis VelvetUnderground). Rolf Ulrich Kaiser schrieb 1968 über diesen »Aufbruch einer jungenGeneration«:

Ihr »Leben bereicherte sich durch die Freude an Posters, die Begeisterung für neuePop-Musik, aber es realisierte sich auch im Marsch gegen den Vietnam-Krieg. Alldas war Leben, all das aber war auch Kultur: Lebensweise, die zugleichkünstlerischen Ausdruck fand – eine Synthese von Kultur und Leben.« (Kaiser inProtestfibel 1968: 7)

Im Gegensatz dazu wird die Entstehung der Undergroundpresse in der Literaturvorwiegend als politisch motiviert begründet. Thomas Daum schreibt über dieUndergroundpresse in Amerika, diese »ersten Ausdrucksformen der Protestbewegung«seien »als Reflex auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der ersten zehnNachkriegsjahre« entstanden, »als Kalter Krieg und Koreakrieg eine hysterische Furchtvor kommunistischer Subversion aufkommen ließ« (Daum 1981: 32). Als Antwort aufstrenge Zensurmaßnahmen hätte sich die Undergroundpresse »als Plattform undVerständigungsorgan der an ihr Beteiligten und als Korrektiv gegenüber den etabliertenMedien« (ebd.: 32) formiert. Diese Erklärung entspricht fast wörtlich der Publikationüber die »Underground Press« in den USA von Hans Peter Bushoff (Bushoff 1983: 38).Die Funktion der ›Gegen-Information‹ spielte auch im Selbstverständnis desUnderground eine große Rolle. Urban Gwerder, der Herausgeber der ZüricherZeitschrift Hotcha11, sah den Sinn der Undergroundpresse darin, »darüber zu

11 Die Hotcha wird von ihren Produzenten als »kreative Sippenzeitung für Subkultur, alternativeMutation, (R)evolution, Bewusstseinserweiterung, Leben, bizarre und Community-Bedürfnisse«(Hotcha 12(1968)1) bezeichnet. Sie befasst sich wie die meisten Alternativzeitschriften mit alternativenLebensformen, Musik, Esoterik, Kunst und alternativen kulturellen Ereignissen, ist aber im Vergleichzu vielen anderen besonders professionell und künstlerisch gestaltet. Ein Portrait über Urban Gwerderund die Hotcha befindet sich in der Päng 2 (1971?). Noch eine Anmerkung zur Zitierweise: Es gehört zur Typik der Undergroundzeitschriften, dass derenbibliografische Angaben unvollständig, manchmal sogar absichtlich falsch sind. Gelegentlich musstedas Jahr aus dem Inhalt der Zeitschriften erraten werden, das dann mit Fragezeichen angegeben wurde.Die Reihenfolge der Angaben, soweit vorhanden, ist Zeitschriften-Nummer, Datum bzw. Jahr,Jahrgang; z.B. Hotcha 13/14 (1968) 1.

9 Reynolds, Simon: HipHop und Ecstasy. In: Groove 64 (Juni/Juli 2000), S. 65.Das in Frankfurt aufwendig produzierte Magazin enthält hauptsächlich übersetzte Artikel aus derenglischen Musikszene. Reynolds führt aus, dass die »Happiness-Droge« Ecstasy die gegenteiligeGeist-Körper-Seelen-Erfahrung zum raptypischen »gepanzerten, paranoiden Ego« erzeuge. EineEntwicklung, bei der die Droge, wie er soziologisch formuliert, »ihren Weg in demographische undsubkulturelle Zonen gefunden hat, die sie bislang unberührt gelassen hatte.«

10 Wobei die Zeitschrift Spex inzwischen in den Sog eines gegenläufigen Trends gekommen ist, den derJournalist Gerrit Bartels mit »Cooles Wissen in Dauerkrise« tituliert (taz 6051(26.1.00)). Denn nach demvielsagenden Rückgang der Leserzahlen in den 90er Jahren (von 20 000 auf 11 000) hat sich inzwischender Piranha-Verlag seiner bemächtigt, der, nach Aussage des Verlegers Alex Lacher, dieTheorielastigkeit in »Mehr Musik, bessere Optik, weniger Blei« (zit. n. ebd.) verwandeln wird.

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Undergroundzeitschrift New Morning (in Wirklichkeit Zoom), an der er selbst mitgewirkthatte16:

»Die Kommunalpolitik, die Musikszene, die Literatur, der Sport, alles, was unsangeht. Reportagen, Information, Unterhaltung, Aufklärung. Die Seite für denDrogenkonsumente, und was bei Eintracht Frankfurt passiert. Plattentips,Demonstrationen, Skandal bei der Müllabfuhr, die neue Cut-up-Reihe [...]. EinePlattform für die Freaks und das Haschischplätzchen für die Progressiven inZeitungsform.«17

Die auf den ersten Blick beliebig erscheinende Zusammenstellung erweist sich alsgerade zwingende Logik. An jedem dieser Beiträge haften kleine Geschichten,persönliche Erfahrungen und Vorlieben, Liebhabereien und Kuriositäten.

In der Philosophie des Heftemachens äußerte sich, was durch sie kommuniziert werdensollte: Kritik an entfremdeter Arbeit in der Industriegesellschaft, die unmittelbar auf dieeigene publizistische Tätigkeit zurückschlug. So wurde die Medienproduktion nicht alsprofessioneller Beruf aufgefasst, sondern in Einklang mit dem eigenen Lebensstilgebracht: Keine Ressorts (jeder machte das, worauf er Lust hatte) und keineArbeitsteilung (»Der Bruch zwischen Gestaltung und Produktion ist der zwischenentfremdeter Arbeit und Kapital«18), kein Angestelltenverhältnis, kein festesErscheinungsdatum. Da die Zeitschriften oft in Kommunen hergestellt wurden, gab esauch keine Redaktionsräume. Der ›Arbeitsplatz‹ war mit dem Ort des Wohnens, Essens,Schlafens äquivalent. So enthält der Entwurf einer Ulcus Molle Info neben einem Textüber das Selbstverständnis (UMI »versteht sich als Sprachrohr der Alternativpresse«19)auch ein Foto der Familie von Josef Wintjes, der von seinem LiterarischenInformationszentrums aus die deutsche Undergroundpresse vertrieb.20

Dass die Gründer des Berliner Anarchoblatts Linkeck sich in zwei Lager aufspalteten,hatte wesentlich mit dieser Haltung zu tun. Die Kommune in der Potsdamer Straßespaltete sich über Differenzen bezüglich des Arbeitsethos’ (auch räumlich) in die, dieweiterhin die Linkeck produzierten und in die »Potser« (die in der angestammten

Der »postalische Stamm« 15

informieren, was außerhalb des bürgerlichen Kulturbetriebs an Veranstaltungenstattfindet, Publikationen erscheinen, etc.«12 Oft wurde in denUndergroundzeitschriften ein Manifest William S. Burroughs zitiert, um die eigeneFunktion zu definieren. Es gehe darum, »den falschen Informationen der offiziellenPresse zu entgegnen« – zum Beispiel der repressiven Berichterstattung über Sex undDrogen – und andererseits Nachrichten »hochzuspielen«, »die von der offiziellen Presseverniedlicht oder vernachlässigt werden«.13 Darüber hinaus war die Undergroundpresseein wichtiger Schritt hin zur Verwirklichung der Utopie einer umfassendenGegengesellschaft, die neben der alternativen Presse auch soziale Einrichtungen, freieGeschäfte, Kliniken, Buchläden, Clubs, Restaurants bis hin zu Schulen undUniversitäten beinhalten sollte.14

In diesen Funktionszuschreibungen liegt die Betonung auf dem Text- undInformationsgehalt der Undergroundpresse. Zweifellos ist er ein zentraler Aspekt. Inihrer Machart, in ihrem Layout, transportiert die Undergroundpresse jedoch weit mehrals textuelle Information. Gerade ihr Stil war für den Underground konstitutiv,sicherlich identitätsbildend und deshalb aufschlussreich für die Analyse desZusammenspiels von ästhetischer und kultureller Praxis. Denn ebenso wie derUnderground ganz unterschiedliche kulturelle Ausdrucksformen umfasste, ist auchseine Presse als ein Medium zu verstehen, in dem sich in unterschiedlicher Formverschiedene Aspekte alternativer kultureller Praxis niederschlugen und ausdrückten.

Dass die Undergroundzeitschriften wie die Pilze aus dem Boden schossen, hing nebenkulturellen und politischen Motiven auch mit dem Aufkommen und der Verbreitung desfotomechanischen Offset-Druckverfahrens zusammen. Die relativ billige und einfacheVerfahrenstechnik liberalisierte das Ressourcenmonopol der bürgerlichenMainstreampresse und machte die Verbreitung alternativer Informationen,Wertvorstellungen und Ausdrucksformen überhaupt erst möglich.15 Diese technischenVoraussetzungen schufen überhaupt erst die funktionale wie ästhetische Möglichkeitder schnellen Materialisierung spontaner Ideen.

In den meisten Zeitschriften herrscht ein wenig strukturiertes Nebeneinanderpolitischer und kultureller Positionen. Jörg Fauser, Schriftsteller und in gewissem SinneEthnograf der ›Scene‹, beschreibt selbstironisch in seinem autobiografisch inspiriertenRoman Rohstoff den bunt zusammen gewürfelten Inhalt der Frankfurter

Der »postalische Stamm«14

12 Hotcha 13/14 (1968) 1.13 Päng 2 (1971?).14 Urban Gwerder sieht eine wichtige Funktion der Underground-Presse auch darin, der falschen

Berichterstattung über das entstehende »Phänomen« Gegengesellschaft entgegen zu wirken: »Dieerwachenden jungen Menschen wollen keine Lügen mehr hören. Oberflächliche und beruhigendeNachrichten (meist nur um die exotischen Bedürfnisse des Establishments zu befriedigen) in TV undbürgerlicher Presse über dieses ›Phänomen‹ können nicht mehr darüber hinweg täuschen, dass dieetablierten Medien Informationslöcher haben, die sie nicht mehr stopfen können.« (Hotcha 1971, ohneNummer)

15 1968 konnte man in Los Angeles 5000 Kopien eines achtseitigen Blattes für rund 10 Dollar herstellenlassen (s. Daum 1981: 44). Zahlen für Deutschland liegen leider nicht vor.

16 »Hör mal, wir überlegen uns gerade, ob wir nicht eine Zeitung machen sollen. Das Ding hier sollnämlich ganz groß aufblühen, verstehst du – Underground, Gegenkultur. Wenn du Interesse hast,dabei mitzumachen, komm morgen Nachmittag vorbei.« Aus: Fauser, Jörg: Rohstoff. Berlin 1997, S. 92.

17 Ebd., S. 94.18 Zero 1, o.J. (1971).19 Titelbildentwurf für das UM Info von Josef Wintjes, o.A.20 Das Literarische Informationszentrum wurde 1969 von Josef Wintjes, damals Handelskaufmann bei Krupp,

als ein Diskussions- und Distributionszentrum alternativer Kultur (Literatur, Politik, alternativeLebensformen, etc.) in Bottrop gegründet. Nicht nur der Vertrieb von Alternativpresse, sondern vorallem die Verbreitung und das Nachdenken über die Subkultur und deren Veröffentlichungen warenZiel des Informationszentrums. Als Sprachrohr und Vertriebsorgan diente das Ulcus Molle Info (imfolgenden: UM Info), das am 10.11.1969 in Form von drei mit Schreibmaschine verfassten undkopierten DIN-A-4-Blättern, später als gebundene Zeitschrift, erschien. Josef Wintjes zählt seinAngebot wie folgt auf: »Politische Schriften, Raubdrucke, bibliofile Raritäten, für Snobs handsignierteExemplare, Pop- und Polit-Poster, Comic-Strips« (UM Info 4/1970).

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Kommune blieben). Linkeck warf den »Potsern« vor, sich nach den selben»mechanischen, ausbeuterischen« Regeln zu organisieren – »Lohnarbeit,Leistungsmaße« – wie »die Wirtschaft«: »Der sinnliche Eindruck, den ich nicht habe vonder Zusammenarbeit mit den Potsern, lässt mich kalt, sinnliche Sperre bezeichnet gutdas Merkmal, was zwischen uns los war.«21

Die Fragen ob schreiben, wann schreiben und was schreiben knüpfte man anpersönliches Empfinden und Stimmung. Dieses »nicht-entfremdete« Produzierenkommt sehr gut in dem Wort »Fummeln« zum Ausdruck, womit dieZeitschriftenproduktion bezeichnet wurde. Redaktionelle Arbeit wurde nicht alsProfession verstanden, sondern als geradezu intime Tätigkeit umdefiniert.22 DieseProgrammatik führte u.U. zu eigenwilligen Deutungen, so in der Anzeige der HammerKomiks-Redaktion im Ulcus Molle Scenen Reader: »Kontakt! – Wir suchen (1) Leute, dieKomiks zeichnen, (2) Mädchen, die mit uns zusammen leben.«23

Auch den Lesern der Undergroundpresse wurde eine andere Bedeutung als denKonsumenten kommerziell hergestellter Zeitschriften zugedacht. Die Autorenbezeichneten sich und ihre Leser in ironischer Stilisierung als modernen Stamm, wasdas urwüchsige und Community-hafte der Lesergemeinschaft betonte: »Join the postaltribe of the alternative press«24 (postal meint über den Vertrieb vermittelt, heute würdeman vielleicht von einem ›virtuellen Stamm‹ sprechen). Auch wurde immer wiederdazu aufgefordert, sich am Heftemachen zu beteiligen, das heißt, in utopischer Weisedie in moderne Gesellschaften eingeschriebene Trennung von Produzent undKonsument aufzuheben.

Schon die bloße Existenz der Alternativpresse ist ein signifikantes Merkmal derUndergroundkultur. Die Artikulation über Printmedien ist bzw. war für Subkulturen beiweitem keine Selbstverständlichkeit und entstand sicherlich nicht nur auspragmatischen Gründen (möglichst weitgreifende Informationsverbreitung). Bei derRasta-Bewegung zum Beispiel spielte diese Form der medialen Artikulation kaum eineRolle. Besonders war hier die Musik, der Reggae, das Soundsystem eng verbunden mitden kulturellen Vorstellungen der Schwarzen. Mehr als jedes andere Medium stellte siedie Kommunikation mit der Vergangenheit, mit Jamaika und Afrika her, die für denErhalt der schwarzen Identität so wichtig war (vgl. Hebdige 1998: 39). Der Reggaefungierte selbst als Nachrichtenübermittler, worüber uns der Rastafari undSubkulturautor Victor Headley in seinem Buch Exzess aufklärt.25 Ähnlich schreibt MikeDavis in City of Quartz:

21 Linkeck 3a (1968?). Die Linkeck wurde nach dem Streit von einem Teil der Gruppe weiter hergestellt.Die abtrünnigen »Potser« gründeten die Zeitschrift Charlie Kaputt, die bald pornographische Bilder aufihrer letzten Seite abdruckte um die Auflage zu steigern – ein Trick, den damals einigeUndergroundzeitschriften anwendeten (z.B. auch die etabliertere Konkret).

22 »Fummeln« aber auch deshalb, weil sie aus einzelnen Textfetzen und Bildern in mühsamer »Fummel«-Arbeit zusammen geklebt wurden.

23 UM Scenen Reader 1971.24 Zero 2 (1972?).25 Headley, Victor: Exzess. Reinbek/Hamburg 1995.Familie Wintjes auf dem Layoutentwurf für das UM Info, o.A. – © Archiv für Alternativkultur

Der »postalische Stamm« 17

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»As Eazy-E explains it, gangster rap has become Los Angeles’ alternative press:›We’re telling the real story of what it’s like living in places like Compton. We’regiving the fans reality. We’re like reporters. We give them the truth. Peoplewhere we come from hear so many lies that the truth stands out like a sorethumb.‹« (Davis 1992: 86)

Die Undergroundkultur hingegen (dessen zentrale Identifikationsquelle natürlich auchdie Musik war) artikulierte sich eben auch über seine alternativen Printmedien. Mit derbürgerlichen Mittelschicht als Stammkultur besaß der Underground das intellektuelleKapital (eine entsprechende Schulbildung) und somit Zugangsmöglichkeit zu medialenRessourcen. Erst dadurch war ein Feld eröffnet, sich mit der stark an visuellerGestaltung ausgerichteten Populärkultur (Film, Fernsehen, Illustrierte, Comics) medialebenbürtig auseinander zu setzen. Die Zeitschriften zeugen von der Affinität zuvisuellen Ausdrucksformen und gleichzeitig dem Bedürfnis, die Grenzen dermedialisierten Welt zu problematisieren, auszutesten und ihr Alternativen entgegen zustellen.

Der »postalische Stamm«18

Auf der Suche nach dem Underground

Die Frage, was Underground sei, beschäftigte ihre Vertreter selbst wohl amintensivsten. Fast könnte man von einem Selbstvergewisserungs- und, manchmal aucheitlem, Selbstbetrachtungsritual innerhalb der Zeitschriften sprechen, das auch mit Ein-bzw. Ausgrenzungsstrategien gegenüber anderen Underground-Gruppierungen bzw. -zeitschriften verbunden war. So gibt es in der Hotcha eine fiktive Umfrage zum Thema»Was ist Underground?«26, der Ulcus Molle Scenen Reader 1973/74 enthält eineUnderground-Parodie in Form eines Comics27 und dig it schreibt polemisch über dieKommerzialisierung des Underground – inzwischen würde jedes Produkt zurSteigerung des Marktwerts mit dem Präfix »U« für Marke Underground versehen.28

Nicht zuletzt wurde der Ulcus Molle Scenen Reader29 zusätzlich zum UM Info dafürgeschaffen, sich reflexiv und übergreifend mit der eigenen Kultur zu befassen.

Der Underground, wie er hier verstanden werden soll, ist eine breite intellektuellesubkulturelle Strömung der 60er und 70er Jahre, deren Vertreter vorwiegend derbürgerlichen Mittelschicht entstammten. Es sind all jene, die, in welcher Form auchimmer, nach Alternativen zum herrschenden, bürgerlich geprägten Lebensstil suchten,nach alternativen Normen und Werten und diese zu leben versuchten. DerUnderground soll als historisches, subkulturelles Phänomen begriffen werden.30 RolfLindner schreibt, dass sich Subkultur als Forschungskonzept »auf eine relativüberschaubare gesellschaftliche Sondergruppe [bezieht], die sich in einem empirischausmachbaren Ausmaß von der jeweils herrschenden Kultur unterscheidet.« (Lindner1997: 6) Dieses Ausmaß an Abweichung drückt sich unter anderem in derUndergroundpresse aus, die neben Musik, Literatur, Kunst sowie alternativen Formender Lebensführung (z.B. als Kommunen) eine zentrale Hervorbringung jener Bewegungwar.31 Ihre Erzeugnisse sind in Inhalt, besonders aber in ihrer unkonventionellen,expressiven Gestaltung sowohl Ausdruck subkultureller Aktivität als zentralerGegenstand und Quelle dieser Arbeit.

26 Hotcha 11 (15.8.1968) 1.27 UM Scenen Reader (1973/74).28 dig it 1/1971.29 Im UM Scenen Reader von 1971 z.B. schreibt Hans Imhoff einen Artikel zur Frage »Was ist die

sozialistische Alternativpresse?«, Reimar Banis über die »Wirklichkeit und Funktion der Szene« undHans Josef Eisel äußert »Gedanken zur Untergrundliteratur«.

30 Wobei zu fragen wäre, inwieweit nicht auch das Konzept der »Subkultur« ein historisches Phänomenist.

31 Ich bleibe bei der englischen Bezeichnung »Underground«, da diese den kulturellen Aspekt stärkerbetont, während der deutsche ›Untergrund‹ im Laufe der 70er Jahre gerade in Zusammenhang mit derRAF zunehmend politisch besetzt wurde.

spätes Ulcus Molle Info 7-9 (1985) – © Archiv für Alternativkultur

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Sicherlich ist es fraglich, ob man die Breite dieser kulturellen Revolution einheitlich alsUnderground bezeichnen kann. Doch schon die Existenz dieses Begriffes motiviertdazu. Empirisch betrachtet schaffte offenbar die ungeheuren Optimismus verbreitendeKraft des Begriffes »Underground«, alle unterschwelligen Meinungsverschiedenheiteninnerhalb der gesamten Gegenkultur zu verwischen. Der Reiz und die Stärke desBegriffs Underground für die Gegenkultur und die Akteure der erstenUndergroundzeitungen bestand darin, dass er so unbestimmt und unabgegrenzt war,dass alle Schattierungen dieser Presse unter ihm Platz fanden, ohne sich gegenseitig zubehindern oder gar gegeneinander zu operieren. Für die politischen Blätter verkörperteer den Kampf gegen die übermächtige Gesellschaft, die Kultur-Avantgarde und derenPresse sah sich als verkannten und verbannten Kultur-Untergrund. Wie Hans PeterBushoff schreibt, besaß »Underground eine fast mystische Kraft, die über alle eventuellauftauchenden Meinungsverschiedenheiten hinwegzutäuschen vermochte« (Bushoff1983: 77). Ob man nun die Missstände in der Gesellschaft aufzudecken versuchte oderdie Welt mit der immerwährenden Kraft der Liebe heilen wollte, ob man durch Drogenoder Religion den idealen Zustand der Menschheit anstrebte, das war erst malzweitrangig und bedurfte keiner Diskussion, wichtig war, dass man eine Gegenkulturund ein Underground und eine Kraft war, deren erklärtes Ziel es war, anders zu sein undvor allem besser als das ›Establishment‹.

Empirische Berechtigung zieht dieser Ansatz auch aus einem ehrgeizigen Projekt JosefWintjes: »Die tausend Grüppchen kriegst du nie unter einen Hut« erwiderte Jörg Fauserskeptisch auf Josef Wintjes Plan, »die große deutsche Undergroundzeitung« ins Lebenzu rufen.32 Mit den Grüppchen meinte Fauser u.a.

»die Makrobiotiker und die Anhänger von Gesundheitssandalen, dieAnthroposophen und die Anarcho-Syndikalisten, die Befürworter desbewaffneten Kampfs und alle die frommen Adepten der Gewaltlosigkeit, deshandgeschöpften Büttenpapiers und des Siebdrucks...«33

Auch wenn der Plan einer übergreifenden Undergroundzeitschrift nie realisiert wurde,so zeigt er doch, dass all diese Gruppen zumindest imaginäre Verbindungslinienausmachten. Nicht zuletzt war Josef Wintjes selbst, der von seinem LiterarischenInformationszentrums, der »Zentrale des Undergrounds« (Lindner 1997: 8) aus die gesamtedeutsche Undergroundpresse zentral vertrieb, lebender Beweis dieser Zusammenhänge.So sind sämtliche von ihm vertriebene Medienerzeugnisse, die heute im Archiv fürAlternativkultur gesammelt sind, zum Underground zu zählen. – Auch wenn HelmutHartwig berechtigterweise fragt, »wie sinnvoll Versuche sind, die Szene als ein ›Ganzes‹ein ›Alternatives‹ zu behandeln, eigentlich sind« (Hartwig 1997: 20). Hartwig analysiertsehr einleuchtend die Gegensätze einer Zeitschrift für alternative Lebensformen wie

Auf der Suche nach dem Underground20

Kompost (einer Mischung aus Astrologie, Jugendstil und Kommunebewegung)gegenüber dem Stadtteilmagazin Info-Bug (=Berliner Undogmatische Gruppen). Demorganischen, harmonisierenden Layout der einen steht die auf Konfrontation abzielendeVerwendung von Medienbildern aus Tageszeitungen gegenüber. Doch so lange einezusammenhängende Darstellung des Underground aussteht – und auch Hartwigbestreitet nicht »den Zusammenhang zwischen der Praxis der Kompost-Leute mit denen,die Info-Bug machen«, der »natürlich« bestanden habe (ebd.) – sollen dieGemeinsamkeiten in der Abgrenzung zur dominanten Kultur hervorgehoben werden,anstatt die kraftvolle Breite der Bewegung zu zerpflücken.

Eine Perspektive, die sich weit genug entfernt, alle Unterschiedlichkeiten zusammen zudenken, läuft natürlich immer Gefahr der Oberflächlichkeit und Undifferenziertheit. Esist sicherlich kein Zufall, dass es eine beträchtliche Zahl an Publikationen gibt, die sichmit der Aufsplitterung des Underground befassen, jedoch keine, die von demursprünglichen und übergreifenden kulturellen Unbehagen erzählt, aus dem heraus derUnderground entstand (und dem z.B. der politische Flügel erst erwachsen ist).

Zur Erläuterung der Thesen wurden absichtlich und dicht nebeneinander Beispiele ausganz verschiedenen Zeitschriften herangezogen, weshalb die Besonderheiten einzelnerGruppen (der Landkommune Kocha bei Nürnberg, in der die Päng34 entstand, derKommune in der Potsdamer Straße, die Linkeck erstellte) vernachlässigt werdenmussten. Die Beschreibungen sind idealtypisch und allgemein genug, auchUndergroundzeitschriften aus der Schweiz (Hotcha) und London (International Times35)zu betreffen. Bei allen – sicherlich untersuchenswerten – nationalen Differenzierungenweist Undergroundkultur in allen Ländern Gemeinsamkeiten auf. Über das Phänomender nationenübergreifenden geteilten Erfahrung des Underground schreibt ThomasDaum in Bezug auf die Literatur: »Viele dieser [deutschen] Gedichte lesen sich wieÜbersetzungen aus dem Amerikanischen, auch da, wo die Erfahrungen mit Drogen, miteinem Leben in gesellschaftlichen Randgruppen ganz authentisch sind.« (Daum 1981:123) Und er folgert daraus, dass »ähnliche Lebensweisen« zu »ähnlichen Inhalten«bewegten (ebd.). – Wenn auch einzelne Länder spezifische Vorläufer derUndergroundbewegung hatten (für einige Länder Europas, auch Deutschland, sind dieInternationalen Situationisten zu nennen). Das zu entfaltende Gesamtbild würde sich –bezogen auf einzelne Zeitschriften – zweifellos relativieren. Es gibt zum Beispielzahlreiche Zeitschriften, die der beschriebenen Verrücktheit der Layoutgestaltungüberhaupt nicht entsprechen, da sie ganz brav und konventionell von vorn bis hinten

Auf der Suche nach dem Underground 21

34 Die Päng ist in gewissem Sinn das deutsche Pendant zur Hotcha. Raymund Martin stand mit UrbanGwerder in Kontakt. Die Päng erschien in unregelmäßigen Abständen ab 1970 und befasste sich u.a.mit alternativen Lebensformen, Musik, Esoterik und dem eigenen Kommunenleben.

35 Die International Times (it) war die »Mutter« europäischer Undergroundzeitschriften und in ihremAnsehen tatsächlich der alternative Konterpart zur englischen Times. Die it vereinte unterschiedlicheBewegungen unter sich. Ihre Themen deckten das gesamte Spektrum ab, von Politik über Philosophieund Esoterik bis hin zu Alltagskultur, Kunst und Pop. Sie ist professionell gestaltet und überraschendunideologisch. Sie erschien ab 1968 regelmäßig (!) zweimal monatlich.

32 Fauser, a.a.O., S.109.33 Ebd., S.108.

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mit der Schreibmaschine getippt sind. Andererseits kann auch das Gesamtbild nicht alleAspekte berücksichtigen. Die in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern dochsehr starke politische Orientierung ist fast gänzlich weggefallen. Schließlich soll es nichtum eine klassische Ethnografie des Underground, sondern um den Versuch, imUnderground Aspekte aufzuspüren, die die Verwischung der Grenzen vonPopulärkultur und Hochkultur verstehbar machen. Es ist hier nicht der Ort, dieweitverzweigte Geschichte der Subkulturkonzepte darzustellen.36 1980 hat Mike Brakeseine Sociology of youth and youth subcultures veröffentlicht, den ersten systematischenEntwurf einer umfassenden Soziologie der Subkulturen. Zentral für das Verstehensubkultureller Praxis sei das geschaffene und geteilte Symbolsystem von Subkulturen,»the range and variety of symbols and symbolic meanings shared, communicated andmanipulated by interacting selves in shared situations« (ebd.: 19). Auf die Bedeutungdieses Symbolsystems als »magical solutions« (ebd.: 16) von generationsbedingterfahrenen Problemen bzw. Klassenproblemen37 wird im Zusammenhang mit demBegriff des Stils noch näher eingegangen. Am Ende seiner umfassendenAuseinandersetzung mit devianz- und subkultursoziologischen Ansätzen gibt Brakeeine Darstellung von jugendkulturellen Strömungen seit den 50er Jahren, wobei er zweiArten von Subkulturen idealtypisch zusammen fasst: Zum einen dieGruppengemeinschafts-Tradition (›streetwise‹) der Arbeiterjugendlichen, zum anderendie Bohème-Tradition (›trippers and trashers‹), zu der auch der Underground zählt.

Auf der Suche nach dem Underground22

»dass der kulturelle Bereich kein privilegierter mehr ist«38

Undergroundkultur, Massenkultur, Populärkultur, bürgerliche Kultur – Das Wort»Kultur« tritt hier in vielerlei Form in Erscheinung, was eine Klärung derunterschiedlichen Konnotationen notwendig macht. Die Frage nach der Bedeutungdieses Begriffs zielt bereits in das Herz dieser Arbeit. Die Aufwertung von Massenkulturist bezeichnend für eine neue Auffassung von Kultur, wie sie sich in den 50er Jahrenlangsam entwickelte, und wie sie letztlich auch die Perspektive der Autorin prägt. Diealltagssprachliche Definition von Kultur war bis in die 60er Jahre hinein vonbürgerlichen Auffassungen geprägt. Der klassisch-konservative Kulturbegriff definierteKultur als einen Maßstab ästhetischer Qualität. Der Maßstab bezog sich aus derHochschätzung der ›klassischen‹ ästhetischen Formen (Oper, Ballett, Theater, Kunst,Literatur). Kultur war ein Aspekt sozialen Lebens, und zwar das »sublimierte, raffinierte,interesselose, zweckfreie, distinguierte, dem Profanen auf ewig untersagte Vergnügen«(Bourdieu 1997: 27) – das, was man landläufig auch als Hochkultur bezeichnet. DieseAuffassung besteht gerade in der Abgrenzung zu den aus bürgerlicher Sicht »niederen,vulgären, wohlfeilen« (ebd.) Vergnügungen der unteren Schichten.

Demgegenüber definierten die Cultural Studies – inspiriert von anthropologischenKulturkonzepten – »culture as a whole way of life« (Williams 1977: 50). Für dieKulturanalyse bedeutete das »die Untersuchung der Beziehungen zwischen Elementeneiner ganzen Lebensweise« (ebd.). Die Ausweitung des Kulturbegriffs auf die gesamteLebensweise kam einer zumindest symbolischen Ermächtigung derjenigen gleich, dieder traditionelle Begriff von Kultur gerade ausschließen sollte: die Arbeiterklasse.

Das neue Kulturkonzept sah jedoch weniger eine Verlagerung desForschungsschwerpunktes vor, sondern schlug sich in einer veränderten Perspektivenieder, darin nämlich, dass eine im traditionellen Sinn verstandene

»Kultur eher im Hinblick auf ihre Beziehung zwischen einer sozialen Gruppe undden Dingen, die deren Lebensweise ausdrücken, betrachtet werden muss, als imHinblick auf die Dinge selbst – also nicht das Bild, der Roman, das Gedicht, dieOper, sondern die Beziehung zu der sozialen Gruppe, deren Leben sich in diesenObjekten widerspiegelt.« (Hall 1977: 55)

Um den Unterschied zur Hochkultur zu markieren, sprach man von »popular culture«(die Kultur der sozialen Unterschicht, zu deutsch etwas unglücklich »Volkskultur«). Der

36 Einen Überblick gibt Rolf Lindner in einem Nachwort zu der von ihm in Deutschland herausgegebenenSociology of youth and youth subcultures von Mike Brake (Brake 1991: 172-193). Er verweist darin auf denUrsprung der Jugendsoziologie in der Delinquenzforschung und beschreibt die Transformation desKonzepts in den 50er/60er Jahren im Zuge des Übergangs aus dem Zeitalter der Produktion in dasZeitalter des Konsums, wobei Jugendkultur nun mit den oberflächlichen Aspekten der Teenager-Industrie, mit Mode, Musik und Freizeitkonsum identifiziert wurde. Seine Darstellung schließt mitdem Subkultur-Konzept der Cultural Studies Ende der 70er Jahre und einem Ausblick auf diemassenmediale Vermittlung jugendlicher Subkulturen.

37 Brake schreibt: »Subcultures arise from the attempt to resolve collectively experienced problems arisingfrom contradictions in the social structure, they generate a form of collective identity from which anindividual identity can be achieved outside that ascribed by class, education and occupation.« (Brake1980: VII) 38 Vaneigem, Raoul: Détournement. In: Nilpferd des höllischen Urwalds, a.a.O., S. 79.

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Objekten zu beschreiben. Unter homologie versteht Willis die »einheitliche Erfahrbarkeitunterschiedlicher kultureller Praxen innerhalb einer Gruppe« (Willis 1981: 263). Willisbezieht das Konzept auf Subkulturen – in diesem Fall Rocker und Hippies –, die in derWahl ihrer Objekte ihre zentralen Anliegen ausdrückten oder verstärkten. »AlsArrangement«, so Rolf Lindner, seien diese Objekte »nichts anderes als das nach außenverlegte Selbstbild der Gruppenmitglieder« (Lindner 1986: 207). Vor diesem Hintergrundmeint Populärkultur automatisch mehr als nur ihre Objekte, nämlich eine ganzeLebensweise, in die diese eingebettet ist. Wenn zum Beispiel Comics vom bürgerlichenMilieu abgelehnt wurden, so sind dadurch Rückschlüsse auf den bürgerlichenLebensstil, auf dessen Normen und Werte zu ziehen. Wenn hingegen der Underground– ebenfalls den höheren Schichten entstammend – sich den Comics und allgemein derMassenkultur zuwendete, so ist dies auch Ausdruck des Wandels eines Lebensstils, dersich nicht mehr über Werte wie Persönlichkeitsbildung, klassische Musik undniveauvolle Geselligkeit konstituierte. Das selbe gilt für die Undergroundpresse:

Helmut Hartwig sieht die »Texte und Bilder als Ausdruck potentieller Praxis« (Hartwig1997: 13). Sie zählen zu dem, was Hoggart die »geteilte gegenständliche Erfahrung«(Hoggart, zitiert nach Willis 1981: 262) als Basis für das Zusammengehörigkeitsgefühlnannte und an die Paul Willis anknüpft, wenn er zum Beispiel die Wohnungseinrichtungder Hippies und ihren Lebensstil als homolog beschreibt. Es ist die Feststellung, dass»gewisse Dinge im kulturellen Umfeld einer gesellschaftlichen Gruppe enge Parallelenzur Gefühlsstruktur und zu charakteristischen Interessen zeigen« (Willis 1981: 20). DasSelbstbild der Gruppe wird in diesen kulturellen Gegenständen »gespeichert, kodiert«und »sicher verwahrt« (ebd.: 21). Die in konkreten weltlichen Dingen manifestierteIdentität gebe der sozialen Gruppe ein gewisses Maß an Sicherheit. Die obenbeschriebene leidenschaftliche Verbundenheit zur selbst produzierten Zeitschrifterlaubt es, deren Stil sowohl als Ausdruck als auch als Teil des subkulturellen Lebensstilszu sehen.

»dass der kulturelle Bereich kein privilegierter mehr ist« 25

deutschen Übersetzung in Popularkultur soll hier nicht weiter nachgegangen werden.Aufgrund der Begriffsgenese sind zwei Bedeutungen zu finden: Das Präfix »popular«wurde auch hier einerseits verwendet, um eine breitere Auslegung des Kulturbegriffs zumarkieren. Gleichzeitig deutet es eine eher an der Kultur der Unterschicht orientiertePerspektive an. »Populär« bezeichnet dagegen empirisch, was bei einem großenPublikum beliebt ist. Massenkultur bzw. Populärkultur (als gleichzusetzendePhänomene) meint populären Film und Unterhaltungsmusik, Funk und Fernsehen,Romanhefte, Illustrierte und Boulevardpresse – Medien, die weithin kommerziellproduziert und privat konsumiert werden. Während Popularkultur also eine soziale undkulturelle Markierung darstellt, die epochenübergreifend der Unterschicht zugeordnetist, bezeichnet Populärkultur ein historisches Phänomen. Empirisch hängen dieseBegriffe jedoch zusammen, da Produkte der Massenkultur innerhalb der sozialenUnterschicht zweifellos bedeutungsvoll waren. Deshalb sprach sich auch der Gründerder Cultural Studies, Raymond Williams, zögerlich für Massenkultur aus.39

Popularkultur und Populärkultur liegen beieinander, sind jedoch nicht deckungsgleich –dies anzunehmen käme dem manipulationstheoretischen Ansatz gleich, bei der dieProdukte der Populärkultur auf Kosten der mit diesen Produkten umgehenden Subjekteim Vordergrund stehen.

Diese Arbeit befasst sich hauptsächlich mit der Affinität des Underground zurPopulärkultur, die nicht zwangsläufig die alltagsweltliche Hinwendung zurPopularkultur bedeutet – eine imaginäre eher als eine konkrete Solidarisierung mit dersozialen Unterschicht. Doch ist diese Affinität nicht folgenlos, denn, wie PierreBourdieu in den Feinen Unterschieden nahe legt, diene Hochkultur dazu, sozialeUnterschiede zu manifestieren (Bourdieu 1997: 18): Kunst und Kunstkonsum eignetensich »glänzend zur Erfüllung einer gesellschaftlichen Funktion der Legitimierungsozialer Unterschiede« (ebd.: 27). Denn »von Bedeutung und Interesse ist Kunst einzigfür den, der die kulturelle Kompetenz, d.h. den angemessenen Code besitzt« (ebd.: 19).Die Fähigkeit, aufgrund von herkunftsbedingter Bildung und Erziehung Kunst zu›goutieren‹, unterscheide die unteren Schichten von den oberen. Durch dieNobilitierung der Populärkultur wird dieses bürgerliche Distinktionsmomentabgeschwächt.

Wie die Perspektive der Cultural Studies es impliziert, verbinden sich bestimmteObjekte mit spezifischen kulturellen und sozialen Praxen. Die Favorisierung bestimmterkultureller Objekte ist eng an bestimmte Verhaltens- und Denkweisen geknüpft. PaulWillis verwendet in seiner vergleichenden Ethnografie Profane Culture (ders.: 1981) denBegriff »homologie«, um die symbolische Stimmigkeit zwischen Werten und demLebensstil einer Gruppe, zwischen den subjektiven Erfahrungen und ausgewählten

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39 Trotz grundsätzlicher Akzeptanz versuchte Williams aber, ästhetische und moralische Kriterien zuentwickeln, mit denen die wertvollen Produkte vom ›Schund‹ unterschieden werden konnten. –Fußball war für ihn »a wonderful game«, Comics hingegen zählte auch er zur letzteren Kategorie (vgl.Hebdige 1998: 13).

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Erkundungen der Oberfläche

Es beginnt mit einem Verbrechen ... Seriöse Tageszeitungen werden zerschnitten, Werbeslogans werden umgedichtet, in Gerichtsdokumententauchen obszöne Worte auf, Haare werden wachsen gelassen, die Lautsprecher bis zur Schmerzgrenzehoch gedreht. ... Aber es endet mit einem Stil.40

Dick Hebdige entwickelte 1979 in The meaning of style ein umfangreiches Konzept derStilanalyse. In diesem inzwischen zum Klassiker avancierten Essay führt Hebdigevorangegangene Überlegungen aus den Reihen der Cultural Studies, Roland Barthes’Semiotik, Lévi-Strauss’ Ideen von bricolage und homologie sowie Gramscis Überlegungenzu Formen gesellschaftlicher Hegemonie zusammen. Im anschließenden empirischenTeil und ausgehend vom Punk und seinen »bleached roots« (womit er auf seine›schwarzen‹ Ursprünge verweist; Hebdige 1998: 62ff), entschlüsselt er dieVerflechtungen schwarzer und weißer Nachkriegssubkulturen, die erst im Stilerkennbar würden.

Der Begriff des Stils umfasst sämtliche kulturellen Ausdrucksformen einer Subkulturund alle Objekte, mit denen sie sich umgibt. Beispiele sind die Kleidung, die getragen,die Musik, die gehört wird, die Körperhaltung, der Gesichtsausdruck, der Gang, die Artzu Sprechen, etc.41

Empirisch erfüllt der subkulturelle Stil eine doppelte Funktion: Identitätsstiftunginnerhalb der jeweiligen Subkultur und Abgrenzung gegenüber der dominantenGesellschaft. Auf der einen Seite fordert der Stil die dominante Gesellschaft heraus,stört ihre Ordnung, indem Objekte, die diese Ordnung konstituieren, symbolischzerstört und auf den Kopf gestellt. Zum Beispiel brechen das lange Haar der Hippies unddie zerfransten Jeans bürgerliche Vorstellungen von Sauberkeit und Akkuratesse, wie siesich in Kurzhaarschnitt und Anzug ausdrücken. Auf der anderen Seite wirkt der Stilidentitätsbildend innerhalb der devianten Gruppe. Der Stil dient als Zeichen einerverbotenen Identität, er wird zur Quelle von Werten. Dick Hebdige drückt diesezweiseitige, innen- wie außengerichtete, Funktion stilbildender Objekte fast poetischaus:

UM Info 9/10 (1974) – © Archiv für Alternativkultur

40 Die Wendung entnehme ich Dick Hebdige’ Meaning of Style: »This process begins with a crimeagainst the natural order [...] But it ends with the construction of a style.« (1998: 3)

41 Mike Brake unterteilt dieses expressive Konglomerat in drei Hauptgruppen: »Image«, »Demeanour«(Benehmen) und »Argot« (Vokabular) (ders. 1980: 12).

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mit denen sich Subkulturen umgeben, kulturelle Relevanz zu verleihen, bzw. ›profane‹Subjekte, zum Beispiel Arbeitersubkulturen, in den Wahrnehmungshorizont vonKultur- und Sozialwissenschaften zu rücken.

Der Stil von Subkulturen ist chaotisch, eben weil damit eine Gesellschaftherausgefordert wird, die in ihrer vorgespielten Ordnung inhärente Widersprüche wiesoziale Ungleichheit verdeckt. Chaotisch bedeutet aber nicht beliebig oder ohne Sinn.In Profane Culture übertrug Paul Willis zum ersten Mal das bereits erwähnte Konzept derhomologie (ein ursprünglich von Levi-Strauss verwendetes Konzept) auf Subkulturen.

Im Gegensatz zur damals vorherrschenden Meinung, Subkulturen als Formen ohneGesetze und Regeln zu beschreiben, ist die interne Struktur einer jeden Subkultur lautWillis durch extreme Ordnung und Kohärenz gekennzeichnet: Jeder Teil stehe in einerorganischen Beziehung zum anderen. Und eben durch diese Stimmigkeit zwischen denEinzelteilen würden die Subkulturmitglieder die Welt als sinnvoll erfahren. So machtebeispielsweise die homologie zwischen einem alternativen Wertsystem (»Tune in, turnon, drop out«), halluzinogenen Drogen und sogenannte progessive Rock-Musik dieHippie-Kultur für den einzelnen Hippie zu einer zusammenhängenden Lebensweise.

Um den Prozess zu beschreiben, innerhalb dessen Objekte zu einem homologenGanzen angeeignet werden, entlehnt das Stilkonzept einen weiteren von Levi-Straussgeprägten Begriff, den der bricolage: Für Levi-Strauss bezeichnet bricolage die Art undWeise,

»mit der das nichtgebildete, nicht technische Denken der sogenannten›primitiven‹ Menschen auf die Welt um sich herum reagiert. Der Vorgangumfasst eine ›Wissenschaft des Konkreten‹ (im Gegensatz zu unserer›zivilisierten‹ Wissenschaft des Abstrakten), die mit einer ausgefeilten innerenLogik (einer Logik, die anders als unsere ist) die kleinsten Einzelheiten derphysischen Welt in ihrer ganzen Fülle sorgfältig ordnet, einteilt und zuStrukturen zusammen stellt.« (nach Hebdige 1998: 103/104)

Ähnlich bedienen sich Subkulturen der Objekte ihrer Umwelt in »a variety ofimprovised combination« (Hebdige: 103), die ihnen einen neuen Sinn verleihen.Dadurch werden die Symbole, Mythen und Festschreibungen hegemonialergesellschaftlicher Strukturen, wie sie sich in der bestehenden Ordnung manifestieren,zwar nicht direkt bekämpft, aber in Verwirrung gebracht.

Die unterstellte gesellschaftsverändernde Kraft des Stils begründet sich in spezifischenAuffassungen von gesellschaftlicher Hegemonie, die nicht nur durch Zwang oderdirektes Aufpressen herrschender Ideen ausgeübt wird, sondern indemÜbereinstimmung errungen und ein Konsens geformt wird, durch den die Macht derherrschenden Klassen sowohl legitim als auch natürlich erscheint (vgl. Hall u.a. 1979:42-44). Hegemonie kann nur so lange aufrechterhalten werden, wie die herrschenden

Erkundungen der Oberfläche 29

»On the one hand, they warn the ›straight‹ world in advance of a sinisterpresence – the presence of difference – and draw down upon themselves vaguesuspicions, uneasy laughter, ›white and dumb rages‹. On the other hand, forthose who erect them into icons, who use them as words or curses, these objectsbecome signs of forbidden identity, sources of value.« (Hebdige 1998: 2/3)

Die Quellen subkultureller Stilbildung, ihr zu formender »Rohstoff«, sindcharakteristischerweise meist Objekte der profanen, der Massenkultur. »Die Gruppenbedienen sich und modifizieren kapitalistische Gebrauchsgüter«, schreibt Paul Willis(1981: 23) und bezieht sich dabei auf die Arbeitersubkultur der Rocker ebenso wie aufdie Mittelschichtsubkultur der Hippies. Das Material werde seines ursprünglichenKontexts beraubt, und im Dekonstruktionsprozess mit neuen Bedeutungen aufgeladen:»Die Gruppen entwickeln aus dem im Rahmen eines vorgeprägten Marktes erhältlichenSchund lebensfähige Kulturen« (ebd.: 20).

Dass auf Seiten der Subkultur solcherlei kapitalistische Güter wieder auftauchten, hattekonservative Kulturkritiker dazu veranlasst, den vermeintlich stark an Äußerlichkeitenwie Kleidung und Musik verhafteten Subkulturen das gesellschaftsveränderndePotential abzusprechen. Von jenen wurden sie als Spinner, Träumer oderKonsumsüchtige abgetan, die sich affirmativ zur Gesellschaft verhielten, weil sieindustriell gefertigte Massenware am Leib trugen, oder, wie die Rocker, mit ihremMotorradkult Warenfetischismus betrieben.42

Erst durch das Centre of Contemporary Cultural Studies (CCCS) institutionalisierte sicheine neue Auffassung von Medien und Populärkultur. Ihre Relevanz für jugendlicheSubkulturen wurde erstmals wahrgenommen und anerkannt. Die Bedeutung vonPopulärkultur zu leugnen, so die Argumentation, hieße die Empirie leugnen, den Alltagjugendlicher Subkulturen. Vom Geist des CCCS geprägt, war Paul Willis’ zentralesAnliegen seiner Studie Profane Culture von 1978 die Darstellung der

»Tatsache, dass unterdrückte, untergeordnete bzw. Minderheitengruppen eineeigene kraftvolle Kultur aufbauen können und nicht einfach die Gelackmeiertensind, die Opfer in einem sozialen System, das sich überwältigend vor ihnenauftürmt und von den kapitalistischen Medien und Einrichtungen desKommerzes bestimmt wird.« (Willis 1978: 17)

Konsumgüter sind für die Subkulturen eine Identitätsressource, deren Gebrauch jedochquer zur Konsumkultur liegt. Kreativität liegt also nicht jenseits der Konsumkultur,sondern geht von ihrem Kern aus, wird mitten in ihr produziert. Die anfangs skizzierteEntwicklung des Kulturbegriffs war also auch eine Strategie, den profanen Objekten,

Erkundungen der Oberfläche28

42 Rolf Lindner schreibt, dass Mitte/Ende der 70er Jahre immer noch manipulationstheoretischangeleitete und pädagogisch ausgerichtete Analysen jugendkultureller Phänomene dominierten: »Zueinseitig wurden die Jugendlichen als willenlose Opfer des ›Konsumterrors‹« und als »Mode-Dummies«dargestellt. (Lindner 1986: 207)

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Die Einwände werden also auf der im Grunde oberflächlichen Ebene der Erscheinungeneingebracht, auf der Ebene der Zeichen. In Anlehnung an Umberto Eco bezeichnetHebdige diesen Prozess als »semiotic guerilla warfare« (ebd.: 105): der gesellschaftlicheKampfplatz ist der Kampfplatz der Zeichen. Subkulturen erschließen diese Oberfläche(»surface«; ebd.: 18) ununterbrochen für andere, potentiell subversive Lesarten.

Der Herausbildung eines Stils geht die Erkenntnis voraus, dass Subkulturen sich entlanggesellschaftlicher Konfliktlinien formieren. Entscheidend ist die Feststellung der»doppelten Artikuliertheit« von Subkulturen, wie sie von Clarke u.a. in Resistance throughritual (der Sammelband wurde 1979 unter dem Titel Jugendkultur als Widerstandherausgegeben) beschrieben wird. Die doppelte Artikuliertheit bezieht sich einerseitsauf die Herkunftskultur, von der sie abstammen, und zum anderen auf die dominanteKultur. Hall u.a. schreiben: »Wo die (lokale) Stammkultur und die (vermittelndenInstitutionen der) dominante(n) Kultur sich überschneiden, entstehen Subkulturen.«(Hall u.a. 1979: 103) Denn an diesen Schnittstellen offenbarten sich Widersprüchezwischen den Normen und Werten von Stammkultur und dominanter Kultur.44 DieAutoren beziehen sich explizit nur auf Arbeitersubkulturen, und die von ihnenkonstatierten gesellschaftlichen Widersprüche sind primär soziale Widersprüche. ImGegensatz zur Arbeitersubkultur war der Underground eine ›privilegierte‹ Subkultur,weil ihre Stammkultur die bürgerliche Mittelschicht darstellte, weil sozialeUngerechtigkeit zwar thematisiert, aber weniger stark am eigenen Leib erfahren wurde.

An welchen Grenzlinien bildeten sich die Konflikte des Underground heraus und wieließe sich die doppelte Artikuliertheit des Underground formulieren? Wenn diebürgerliche Kultur die Stammkultur war, wurde dann die dominante Kultur von derMassenkultur geformt?

Für Roland Barthes fallen bürgerliche Kultur und dominante Kultur zusammen. FürFrankreich beschreibt Barthes, wie vielschichtig die »ungeschriebenen Normen für dieLebensbeziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft« (ders. 1964: 127)gesamtgesellschaftlich, also dominant, wirkten:

»Ganz Frankreich schwimmt in dieser anonymen Ideologie, unsere Presse, unserFilm, unser Theater, unsere Gebrauchsliteratur, [...] die Küche, von der manträumt, die Kleidung, die man trägt, alles in unserem alltäglichen Leben ist derVorstellung verpflichtet, die die Bourgeoisie sich und uns von den Beziehungendes Menschen zur Welt macht.« (ebd.: 127)

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Klassen alle konkurrierenden Definitionen ihrem Einflussbereich erfolgreich anpassenkönnen. Sie muss gewonnen, reproduziert und aufrecht erhalten werden, denn,

»andere kulturelle Konfigurationen [Subkulturen] werden dieser dominantenOrdnung nicht nur untergeordnet sein: sie werden mit ihr in Kampf geraten undversuchen, ihre Herrschaft, die Hegemonie, zu bewältigen, ihr zu widerstehenoder sie umzustürzen.« (Hall u.a. 1979: 43)

Roland Barthes hat in seinen Mythologies anhand einer Reihe kurzer Essays, die sich mitverschiedenen Phänomenen der Populärkultur befassen, beschrieben, wie Hegemonieüber alltägliche Objekte – der Anordnung ihrer Zeichen – reproduziert wird.43 Objektund Bedeutung bilden zusammen ein Zeichen, und in jeder Kultur werden solcheZeichen immer wieder zu charakteristischen Diskursformen gruppiert. Wenn aber derBricoleur das signifikante Objekt innerhalb dieses Diskurses in eine andere Positionversetzt, und zwar unter Verwendung des gleichen Gesamtrepertoires an Zeichen, oderwenn das Objekt in eine andere Gesamtheit von Zeichen versetzt wird, dann entstehtein neuer Diskurs, und eine andere Botschaft wird vermittelt (vgl.: Clarke 1979: 136-138). Hieraus erschließt sich die Angriffsfläche der Subkulturen:

»The challenge to hegemony which subcultures represent is not issued directlyby them. Rather it is expressed obliquely, in style. The objections are lodged, thecontradictions displayed (and, as we shall see, ›magically resolved‹) at theprofoundly superficial level of appearances: that is, at the level of signs.«(Hebdige 1998: 17)

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43 Was Roland Barthes unter einem Zeichen versteht und wie sie die Normen- und Wertvorstellungenorganisieren, wird in einer amüsanten Beschreibung der »Römer im Film« (Barthes 1964: 43-46)anschaulich vorgeführt, wobei die Römerlocke zum Zeichen wird oder besser: das Zeichen zurRömerlocke (da in Barthes Mythologies die Theorie auf die Empirie folgt): »Im Julius Caesar vonMankiewicz tragen alle Personen auf den Stirnen Haarfransen. Bei manchen sind sie gewellt, beianderen glatt, bei wieder anderen aufgekräuselt und bei anderen geölt, bei allen jedoch sind siesorgfältig zurechtgemacht, und Glatzköpfe sind nicht zugelassen worden, obwohl doch die römischeGeschichte auch davon eine große Zahl geliefert hat.« (ebd.: 43) Barthes verbindet mit diesen»eigensinnigen Haarfransen« die Zurschaustellung des Römertums. In ihnen drücke sich die»Hauptantriebsfeder« des Schauspiels aus, eben das »Zeichen« (ebd.). Indem dieses Zeichen gesetztwürde, könne »niemand bestreiten, dass er sich im alten Rom befindet« (ebd.). Das ZeichenRömerlocke verbreite »Evidenz«, es halte Gewissheiten aufrecht: Über bzw. unter ihm könnenBotschaften ›eingeschmuggelt‹ werden, ohne an Glaubwürdigkeit einzubüßen: »Die Schauspielersprechen, handeln, quälen sich und diskutieren ›universale‹ Fragen, ohne, dank dieser kleinen über dieStirn gebreiteten Fahne, etwas von ihrer historischen Wahrscheinlichkeit zu verlieren.« (ebd.) Durchdie autoritätssichernde Kraft des Zeichens könnten ›Wahrheiten‹ unabhängig ihrer Historizität zuallgemeingültigen Aussagen transformiert werden – ›für die Römer galt das schon, für uns heuteebenfalls‹. Die Römerlocke kettet die Aussage ihres Trägers an Aussagen, die durch diese Verkettungallgemein gültig werden: »Ihre Allgemeinheit kann sich sogar in aller Ruhe ausbreiten, kann den Ozeanüberqueren, durch Jahrhunderte wandern und bis zu den Yankeeschädeln der Statisten von Hollywooddringen, es macht nichts, denn jedermann darf beruhigt sein und sich in der gelassenen Gewissheiteiner Welt ohne Duplizität ergehen, in der Römer durch ein höchst lesbares Zeichen, die Haare auf derStirn, römisch sind.« (ebd.) Das Beispiel zeigt, welche Bedeutung eine solch harmlose Angelegenheitwie ein Haarschnitt haben kann. Vor diesem Hintergrund wird die Subversivität z.B. des langen Haarsdes Hippies deutlich.

44 Als Beispiel wird eine Studie von Phil Cohen (1972) über die Mods zitiert: »Der ursprüngliche Mod-Stillässt sich als Versuch interpretieren, die Existenzbedingungen des sozial mobilen ›White-Collar‹-Arbeiters zu realisieren, wenn auch in einer imaginären Beziehung. Während ihr Slang und ihreRitualformen manche traditionellen Werte ihrer Stammkultur betonen, reflektieren ihre Kleidung undihre Musik das hedonistische Image des wohlhabenden Konsumenten.« (zitiert nach Hall u.a. 1979: 73)Soziale Ungerechtigkeit wird also über den Stil der Mods zum Ausdruck gebracht und, wenn man sowill, im Tragen vornehmer Kleidung magisch gelöst.

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Indem Roland Barthes Film, Presse und Gebrauchsliteratur beispielhaft erwähnt,verortet er Massenkultur innerhalb des bürgerlichen Herrschaftsterrains. Beide Bereichesind jedoch nicht deckungsgleich. Gerade hier bildete sich einer jener Widersprüche aus,den der Underground artikulierte. Gerade die Massenkultur und ihre spezifischenDispositionen, vor allem die von ihr implizierten veränderten Wahrnehmungsweisen(Beschleunigung, etc.), waren oder sind Sprengstoff der bürgerlichen Wert- undWeltordnung. Nur mit großer Anstrengung und in einem sehr widersprüchlichenProzess von Eingrenzung und Abgrenzung (für die die Schundkampagne gegen Comicsin den 50er und 60er Jahren paradigmatisch ist) schaffte die bürgerliche Ideologie es,sich über Massenkultur zu reproduzieren. Doch die verdeckten Widersprüche, wie siedurch die strukturelle Heterogenität von Massenkultur und bürgerlicher Kulturentstanden, sind das Feld, in dem sich subversive Strategien des Undergroundherausbildeten: Einerseits wurde Massenkultur als Instrument bürgerlicher Hegemonieabgewertet, indem ihre Motive von ihrer affirmativen Position gelöst und im Sinne derbricolage neu kontextualisiert wurden – zum Beispiel indem man neue Sprechblasen fürComics erfand. Andererseits machte sich der Underground die Massenkultur zumKomplizen, wenn traditionell bürgerliche Besitzstände wie die Hochkultur irritiertwerden sollten, eine Technik, die die Internationalen Situationisten als détournement, alsZweckentfremdung bezeichneten.

Der Stil der Undergroundzeitschriften, der sowohl strukturelle Homologien zurPopulärkultur aufweist als auch ihre Zertrümmerung vornimmt, ist im Sinne DickHebdige’ »a coded response to changes affecting the entire community« (Hebdige 1998:80), womit er die gesamte Gesellschaft meint.

Indem das Stilkonzept die Bedeutung der Oberfläche für die subkulturelle Praxiserschließt, erlaubt es die Deutung des Stils der Undergroundpresse als signifikantekulturelle Praxis, als homologen Bestandteil einer in sich kohärenten Kultur. Wie sichzeigen wird, spielt das chaotische Layout der Undergroundzeitschriften mitKonventionen der Zeitungsgestaltung; beispielsweise werden Zeitungsschnipselentwendet und durch Collagen in neue Bedeutungszusammenhänge gesetzt. Erst durchdie Anerkennung der gesellschaftlichen Relevanz von Zeichensystemen, wie sie dieStiltheoretiker verdeutlichen, wird verstehbar, dass die absichtliche Verwirrung derZeitschriften eben mehr als ein Spiel war. Die Heftemacher aus dem Undergroundoperierten bewusst mit dem Potential, das in der Störung des Zeichensystems lag,problematisierten diese Oberfläche aber gleichzeitig und dramatisierten ihre Grenzen,indem sie in ihrem ›semiotischen Guerillakampf‹ reale und symbolische Aktionenverflochten. Gleichzeitig erweist sich das Stilkonzept, vor allem die Idee der bricolage,als der Ästhetik der Undergroundzeitschriften ähnlich. Dadurch stößt das Stilkonzeptals Analyseinstrument subkultureller Äußerungen an Grenzen, es wird selbst zurkulturellen Äußerung, die Homologien zur Undergroundkultur aufweist.

Erkundungen der Oberfläche32

»Karnevalisierung des Bewusstseins«

»Anders als die standfesten Objekte der Kunst, die Bildlichkeit von Gemälden, entfalten die Titelblätter ihr spezifisches Flair dem flüchtigen Blick des Flaneurs, der anhalten kann,wenn er will und weiterziehen kann, wenn es ihm langt. Der fixierte und fixierende Blick der Kunstbetrachtung aber auch der eindringliche Blick des strengenHistorikers verfehlen die Flüchtigkeit der Mimesis, die in sie eingefangen ist: den vorübergehenden Zugriff auf die banalen und schweren Motive derArchive und ihrer Zeit.« (Hartwig 1998)

In ihren Analyseversuchen musste die Autorin immer wieder die Erfahrung machen,dass der Charakter der Zeitschriften umso schwerer greifbar schien, je mehrAnstrengungen um eine intensive Auseinandersetzung unternommen wurde. Analyseneigt dazu, sich an Einzelaspekten fest zu beißen und die Gesamtaussage – die nicht nureine Zeitschrift in seiner Gesamtheit, sondern auch die Gesamtheit derUndergroundpresse meint – aus dem Auge zu verlieren. Die zahllosen Bilder, Motive,Sprüche der Undergroundpresse verleiten dazu, ähnlich wie die bürgerliche Kritik anden Comics vorzugehen: gerade weil sie das Medium in seiner Gesamtheit, in seinemZusammenspiel von Text, Bild und Form, nicht verstanden hat, zielen ihre Aussagen andem Medium vorbei. Man ist auch bei den Undergroundpresse geneigt, sich anTeilaspekten zu verlieren – ein bestimmter Aufsatz, ein bestimmtes Bild. Um hier demvon Helmut Hartwig skizzierten »flüchtigen« Charakter der Undergroundzeitschriftengerecht zu werden, werden hier gleichermaßen flüchtige Blicke auf die Zeitschriftengeworfen, um einige weitestgehend übergreifende Aspekte einzufangen. Das Bild, dassich daraus allmählich zusammen setzen soll, ist aufgrund dieser Methode einerseitsidealtypisch, andererseits selektiv, dafür aber eines, dass vielleicht einigeZusammenhänge dieser bunten Gemengelage deutlich machen kann.

Zwei Beschreibungen sollen an den Anfang gestellt werden, und zwar zum einen PeterPaul Zahls Erzählung eines Pink-Floyd-Konzerts, auf dem Undergroundzeitschriftenverkauft wurden. Die Passage soll daran erinnern, dass die Zeitschriften, die heuteZeitdokumente sind, damals integraler Bestandteil alternativen Lebens waren, dass siedazu gehörten wie Musik. Zuvor jedoch ein kurzer Rundumblick auf mehrereTitelblätter, der einen ersten Eindruck der verschwenderischen Vielfalt an Ideen,Gestaltungsformen, Experimenten, wie sie in ihrer Massierung schon charakteristischsind, geben soll. Jeder Satz ein Heft...

Der verführerische Lippenstiftmund, aus dem ein Joint ragt, im Muster derAmerika-Flagge. Ein feuerrotes Flugzeug vor einem Zelluloidstreifen, darüber ein

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herausgerissener Fetzen Foto, auf dem gerade noch die Grimasse einestanzenden Jungen und eine Trikotnummer zu sehen ist. Die Collage einerimaginären Familie: Ploog, Fauser, Ginsberg, Lenin, eine Moschee, eineLokomotive und eine Sonnengalaxie. Eine explodierende Haschischpflanze, derdas Foto einer barbusigen Frau entweicht, darüber ein Haschischraucher und derTitel »Big Table« in Flammen. Das Ölbild eines Schäferhundes als Cover fürGasolin. Der B-Movie »Paranoia City« mit einer Stummfilm-Diva, zweiKrokodilen und einer kreischenden Comicfrau. Ein Lebensreformheft-Titelblattals Cover für Ulcus Molle Nr.11. Das Comicportrait einer Großfamilie, der Vaterliest der andächtig lauschenden Familie aus Ulcus Molle vor. Das »Lieblingsblattder Buchhändler« als entwendetes Titelbild, dem darauf abgebildetenbuchbegeisterten Fräulein wurden Ulcus Molle-Zeitschriften zwischen die Armemontiert. »Ulcus Molle« im Stil von Verbrecherschreiben: die einzelnenBuchstaben sind aus Zeitungen ausgeschnitten. Frank Zappa als Siebdruck. DasNegativbild eines Jesus-Kopfes, die Haare bestehen aus Buchstaben:»Undergroundzeitungen sind Teigzungen«. Die Silhouette eines Liebespaares,umgeben von Wörtern, die alle mit dem 16. Buchstaben des Alphabets beginnen:popular, portable, puzzle... Der Siebdruck eines Affen aus dem »Planet derAffen«. Ein Comicstrip als Bau-Anleitung für einen Molotow-Cocktail: »Ex- undflop, hopp hopp«. Das Presse-Organ der Kommune 1 in Wasserfarben undKartoffeldruck. Ein martialischer Comic-Held vor dem Hintergrund eines Coca-Cola-Schriftzugs. Josef Strauß als Greif-Adler. Micky Maus und Donald Duck aufder Bühne, letzterer schwer bewaffnet. Germania 1971: Das Imitat einerBoulevard-Zeitung. Ein Mund und eine geschlossene Hand, aus denen einAugapfel hervorglotzt...

»Es wurde dunkel. Pfeifen und Klatschen: PIG FLOYD (sic). Und derüberdimensionale GONG hinter den DRUMS und PERCUSSIONS. Lichtstangenfingerten durch den Raum, kreuzten sich, zeichnen Muster in den waberndenRauch der Zigaretten und JOINTS, finden auf die Bühne. Kannste noch ein paar Zeitungen besorgen? Er deutete auf einen Verkäufer, derauf Zehenspitzen durch die auf dem Boden hockenden und liegenden Kifferjonglierte und sein Blatt ausrief. Die NEUE FIZZ, sechs mal erschienen sechs malverboten! Man lachte. Und kaufte. Sing-Sang, wie ein Profi: DIE NEUE FIZZ.DAS BERLINER TERRORISTENFACHBLATT.Die ersten Töne. KLOCK. Ich bin drauf, sagt Dagmar leise... .«45

Die Erzeugnisse der Undergroundpresse sind im Vergleich zu den damaligen etabliertenZeitschriften sehr spontan, verrückt und wirr gestaltet. Wintjes Layoutentwürfe tragenSpuren des Experimentierens und mehrmaligen Umformens und Überklebens einzelnerBlätter, Klebstoff- und Farbreste sind zu sehen sowie Risslinien fix heraus gerissenerBilder. Das relativ einfach herzustellende Collageprinzip – oft aus Fetzen derPopulärkultur zusammen gesetzt – ermutigte das Ausprobieren, den flüchtigen Versuch.Der chaotische, etwas schmuddelige Charakter der Zeitschriften, einer gemütlich

»Karnevalisierung des Bewusstseins« 35

45 Ulcus Molle Scenen Reader (1973/74), S. 104.Titelbildentwurf für das UM Info (von Josef Wintjes?) – © Archiv für Alternativkultur

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Kommune) immer wieder auftauchen, keine Gestaltungs-›tradition‹ erkennen lässt,sondern im Layout stetig neu ansetzt. So findet sich in jeder Nummer ein anderesFormat, ein anderer Schriftzug oder Untertitel oder aber Vorder- und Rückseite sindmiteinander vertauscht. Der Titel Päng ist mal klein mal groß geschrieben, mal mit dreig’s mal nur mit einem. Das Subversive des Unsteten wird besonders dann deutlich,wenn die Diskontinuität der Zeitschriften auf – wenn auch anerkennenswerten –bibliografischen Eifer stößt. Hier wird spürbar, wie diametral der Charakter derZeitschriften jeglicher Ordnungsliebe entgegen steht. Wie lässt sich eine Zeitschrift, diesich nach einem schallenden Laut benennt und sich aller orthografischer Freiheit undVariabilität bedient, die eine solche Selbstbezeichnung eröffnet, wie lässt sich diese ineine standardisierte Form bringen? Udo Pasterny nimmt die Päng (Pänggg, Päng oderpänggg) in seiner Bibliographie der Gegenkultur (ders. 1982) als »PängGG, Zentralorgander revolutionären Jugend« auf und lässt alle ihm dadurch entwischten Variationen (z.B.auch den Covertitel: »Päng. Wahrscheinlich nicht das, was du erwartest.«) tricksterhaftlachen.

Das ›Manifest‹ jener Flüchtigkeit und Ungebundenheit, das sich in den Zeitschriftenästhetisch äußert, hat Jack Kerouac in seinem Buch On the Road geschrieben – dasKultbuch des Underground. Die Rastlosigkeit der Beatgeneration (die in dieUndergroundkultur mündet) charakterisiert wohl die ›Bewegung‹ am deutlichsten. Soschreibt Walter Hollstein: »Der Beat war fast immer unterwegs (eben »on the road«) undglaubte dergestalt, dem Prägungsdruck des Systems und allen seinen Bindungen amehesten entgehen zu können.« (vgl. Hollstein, S.25) Was in den Zeitschriften die steteWandlung in der Gestaltung war, war bei Kerouac vielleicht die geografischeVeränderung, die die geistige ermöglichte; sie befreite und illustrierte Freiheit.52

pluralistisch

Nicht nur wurden die Titelbilder einer Zeitschrift bewusst uneinheitlich gestaltet,sondern auch einzelne Seiten innerhalb einer Zeitschrift: »Diese Zeitschrift ist diezufällige Ansammlung von Gedanken, Überlegungen und visuellen Vorstellungen«53,heißt es in der Zero. Dadurch wurde nicht nur standardisierten Ausdrucksformenzugunsten spontaner Einfälle entgegen gearbeitet. In dieser Ästhetik spiegelt sich auchdas pluralistische Ideal des Underground, die Idee eines originären Autors aufzugebenund die Heftproduktion als demokratische Gemeinschaftsarbeit zu begreifen, dieZeitschriften im wörtlichen wie übertragenen Sinn die Handschrift Vieler tragen zulassen. In der Zero heißt es:

»Karnevalisierung des Bewusstseins« 37

alternativen Wohnzimmereinrichtung nicht unähnlich, entspricht der Atmosphäre derRock-Konzerte und ihrer Musik, den Drogen, dem »Draufsein«. Diesen flüchtigen,veränderlichen, ›organischen‹ Charakter stellt das folgende Kapitel vor.

flüchtig

»Lang lebe das Flüchtige«46, lautete eine der Parolen der Mai-Revolte 1968 in Paris. Beider Produktion der Undergroundzeitschriften lag die Betonung auf dem Hier und Jetzt.Der stete Hinweis in der Päng, man schreibe, »was einem gerade einfällt« und morgenschon vielleicht nicht mehr (Raymund Martin: »vielleicht ist das auch die letzte Ausgabeder Päng«47) war geradezu Programm. Die Literaturzeitschrift Der Metzger48 lässt offen,wann die nächste Ausgabe erscheint, stimmt den Leser aber hoffnungsvoll mit denWorten: »Übrigens, die nächste Nummer kommt bald.«49 Diese lässige Haltung führtenicht selten dazu, dass nur eine einzelne Nummer produziert wurde, wie zum Beispiel1972 die Zeitschrift Honk. Aus einer aktuellen Laune heraus entstanden, ließ man es beieinem kurzen, unverbindlichen Versuch bewenden. Manchmal wurde gemunkelt, esgäbe nun doch die zweite Ausgabe irgendeiner Zeitschrift, aber das zählt womöglich zuden Selbstinszenierungen von Heimlichkeit und Subversivität.

Der Freibrief zur spontanen Äußerung ließ Zufällen Raum und entsprach derantirationalistischen Vorstellung, zu langes Nachdenken münde letztlich wieder in dieStandardisierung, in die erstarrte Form. So erlaubte man sich auch, Statements aufsPapier zu bringen, um sie im selben Atemzug wieder zu relativieren. In der Päng endetein langer Text, in dem Raymund Martin resigniert und auf sehr persönliche Weise dasScheitern des »Experiments Kommune« beklagt, mit der frechen Volte: »Jetzt ist AnfangJuni, die Sonne scheint ins offene Fenster. Wenn du diese Zeilen hier doch gelesen hastbist du selbst schuld ich kann nichts dafür machs gut.«50 Und noch ein Stückchen weiterunten wird auch das noch relativiert: »Jetzt ist schon wieder alles ganz anders.«51

Wie augenblicksbezogen zum Beispiel die Macher der Päng arbeiteten, wird auch imVergleich der Cover einzelner Ausgaben deutlich, die, obgleich einige charakteristischeMerkmale (wie die bevorzugte Verwendung von großformatigen Fotos der eigenen

»Karnevalisierung des Bewusstseins«36

52 Es ist bemerkenswert, dass Walter Hollstein als Interpret des Underground selbst wieder von ihmrezipiert wurde. In der Päng (2/1971?) wird Walter Hollsteins »Untergrund« mit dem Urteil empfohlen:»Nach wie vor eines der bedeutendsten Werke, die über unsere ›Bewegung‹ geschrieben wurde.« Dadas Buch für damalige Verhältnisse teuer war (8,80 DM) wird empfohlen, »es in etabliertenBuchhandlungen zu klauen«.

53 Zero 1 (1971).

46 Parole der Mai-Revolte 1968 in Paris, zitiert nach Marcus 1996: 35.47 Päng 5 (1973?).48 Der Metzger ist eine von Helmut Loeven ab 1968 in Duisburg herausgegebene Literaturzeitschrift.49 Der Metzger 18 (1972).50 Päng 5 (1973?).51 Hier ergibt sich eine interessante Parallele zu den Punk-Fanzines. Mutfak hat für sie eine Metapher

erfunden, die sich auf den Stil der Undergroundzeitschriften anwenden lässt. Er bezeichnet dieZeitschriften als »fotokopiertes Logbuch«. Der Zusammenhang zwischen Schiffen und Fanzines bleibtzwar unklar (vielleicht entspricht die Metapher dem dynamischen Charakter der Zeitschriften,vielleicht ihrem manchmal wackeligen Erscheinungsbild wie bei hohem Seegang). In Bezug auf dieständigen Relativierungen ist die Metapher jedoch einleuchtend: »Der Steuermann revidiert oderrelativiert seine kurz vorher getroffene Entscheidung, so dass die vollständige Fahrt als fotokopiertesLogbuch einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.« (Geniale Dilletanten1982: 82)

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»Die Konzeption: jede Einzelperson oder Zweigredaktion von irgendwo machtihre Seiten selber reprofrei fertig und schickt sie an die SammeladresseMühlheim. Dort wird alles zusammen getragen, an den Drucker weiter gegebenund wieder verteilt. Have part!«54

Als hätte jeder einzelne seine persönliche Seite beigetragen (das Layout »wird als Mitteldirekter und umwegloser Selbstdarstellung verstanden«, Hartwig 1997: 17), sind dieFarben und teilweise sogar das Material des Papiers, aus dem die einzelnen Seitenbestehen, unterschiedlich: hellblau, rosa, grün, weiß, gelb, dicker und dünner, rauherund glatter. Die Zero Nr. 2 vereint zum Beispiel das mit Filzstiften gemalte, ganzseitigeBild eines muskulösen Häftlings, der in heldenhafter Pose die Gefängnismauer eintritt55

– das ist die linke Seite – mit dem Foto einer barbusigen Frau auf einemFörsterhochstand, das von zwei Buddha-Gedichten und fernöstlich anmutenderIkonografie umgeben ist – das ist die rechte Seite. Allerdings ist fraglich, inwieweit dieBeschwörungsformeln der Gemeinschaftlichkeit tatsächlich umgesetzt wurden.Sicherlich waren die Beiträge einem Selektionsprozess unterworfen. An anderer Stelleheißt es: »Wir werden sehen, dass wir alles abdrucken.«56

spontan

Das Layout durchbricht absichtlich jene Ästhetik des ›Wie-aus-einem-Guss‹. Deutlichwird das auch in der Vielzahl kurzer Sprüche und Kommentare, die in Spalten zwischenzwei Texten, Bildern oder sonstigen Freiräumen hineingekritzelt werden. Zumindesterwecken sie den Eindruck, als sei dem Gestalter der Seite noch eine spontane Ideegekommen, die er schnell noch auf der Seite unterbringen wollte. Man ließ sich nichtdie Zeit, war zu undiszipliniert, um über komplexe Textkonzepte zu brüten. Allemöglichen Text- und Bildschnipsel wurden zusammen gefügt. Es wurde einfachdrauflos geschrieben – so wirkt es zumindest – und was einem zusätzlich einfiel,besonders wichtig oder ein Kommentar, eine Relativierung des Gesagten war, sichdeshalb in den Fließtext nicht einordnen ließ, wurde einfach handschriftlich eingefügt.So wurde ein Bericht über die Kommune 1 mit mehreren Aufrufen garniert: »Leute,macht auch Kommunen!« und »Wir wollen die totale Kommunikation, d.h.Kommune!«57 Der Kommentar »Wir kotzen die bourgeoise Scheiße in der Gruppe aus«wurde wiederum mit einem »Oder auch nicht« relativiert.

Mit der Hand Geschriebenes (im Gegensatz zur Schreibmaschine) unterstützt denspontanen Charakter. Handschriftliches ist unordentlicher und flexibler in derGestaltung. Es ist ein Stil, der sich viel eindringlicher als Gedrucktes direkt an die Leserrichtet, fast wie ein persönlicher Brief. Helmut Hartwig schreibt, der Leser werde »wie

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54 Zero 2 (1972?).55 Das Motiv entstammt einem Plakat der Pariser Mai-Revolte.56 Zero 1 (1972?).57 Scheiße 1 (März 1969).UM Info 3/4 (1974) – © Archiv für Alternativkultur

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befreiende Missachtung der Zweckgebundenheit. Die Schreibmaschinenzeilen derErzählung »Dreaming« in der Hotcha59 – ein aktualisiertes Alice-im-Wunderland-Märchen – schmiegen sich den runden Formen des handgeschriebenen Titels bzw. einerlabyrinthartigen Zeichnung an. Oder aber der Blocksatz wurde umspielt: war man amEnde einer Zeile angelangt, wurde das Wort abrupt abgebrochen und am Anfang dernächsten Zeile fortgesetzt.60

Auf ähnliche Weise wird die Geradlinigkeit der Schreibmaschinenzeilen auf der selbenSeite ›ausgetrickst‹, indem die Fragen »Was ist Underground?«61 und »Was halten Siedavon« in Schlangenlinien daher kommen. Auf dass Poesie und Fantasie den normiertenAlltag durchdringe, bis hin zu Straßen und Verkehrsschildern, wie Karlhans Frank imUM Info skizzenhaft notiert:

»Die graue Autobahn farbig gestalten. Beispielsweise statt der unübersichtlichenRichtungsschilder Farbspuren anbringen: wer der roten Spur folgt, kommt nachMünchen, der schwarze Strich führt nach Bonn, braune Tupfer zeigen den Wegnach Düsseldorf usw.Die hässlichen Verbotsschilder abschaffen [...] Dafür Autoren aufrufen, dienotwendige Hinweise durch Hinweisgedichte geben - Hinweisgedichte aufwetterfesten Schildern.«62

Der Wechsel von Hand- und Schreibmaschinenschrift ist Symbol verschiedensterAntagonismen im Lebensstil des Underground. Zum Beispiel im Bereich der Ernährung.In der Tilt gibt es einen Artikel über »macrobiotische Ernährung«.63 Schreibmaschinen-und handgeschriebene Zeilen wechseln sich ab, was den Schritt hin zu einer Ernährung,die die »Harmonie zwischen Geist, Seele und Körper (wieder) herstellt«, im Schriftbildvorweg nimmt.

Allgemein wurde durch den Typenwechsel der Bruch zwischen gelebter Erfahrung undnormiertem Denken dramatisiert: Die schematischen »toten« Schreibmaschinenletterwurden in einem symbolischen Akt zum Leben erweckt. Schreib- und Maschinenschriftwurden vermischt und durchdrungen, von verschlungenen Borten, die manche Texteumgeben, von kleinen Figuren, die in Lücken eingefügt wurden zusammen mitausgeschnittenen Bildern und Symbolen. Zum Beispiel die Miniaturzeichnungen einesSalamanders, eines Tintenfisches, vier nackter, ineinander verschlungener Männchen,und das Foto eines Marienkäfers in der Hotcha.64 In einer anderen Ausgabe der Hotchawurden kleine Ameisen zwischen die Zeilen gesetzt. Die Ähnlichkeit befördert die

»Karnevalisierung des Bewusstseins« 41

der nächste Freund« (Hartwig 1997: 15) angesprochen. Das Spontane derKommunikation wird befördert, der langwierige Prozess zwischen einer Idee desAutors, des Drucks und der Distribution beschleunigt.Gleichzeitig drückt sich imHandschriftlichen Dringlichkeit aus: Die Hausbesetzerzeitung Bambule zeigt auf ihremTitelblatt eine Collage von (zum Teil bereits besetzten) Häusern. Diese Oberflächewurde mit Filzstift bekritzelt, die Schrift wirkt wie ein Fremdkörper, integriert sich nichtin das Bild und erweckt tatsächlich den Eindruck, als hätte sich jemand noch nach demDruck der Zeitschrift bemächtigt und sie schnell mit einem letzten eiligen Aufrufversehen: »Hausbesetzerzeitung. Haut den Spekulanten auf die Fresse dass es kracht,Straßenschlacht, Arbeitermacht.«58

organisch

Das inszenierte Chaos musste jedoch die Spuren der Ordnung in sich tragen um ihresymbolische Zerstörung nachvollziehbar zu machen (vgl. Hebdige 1998: 88). SeitMcLuhans »Gutenberggalaxis« gilt die Schreibmaschine als Symbol für Rationalität.McLuhan konstatiert in der Gegenüberstellung von oraler Kultur und Schriftkultur einegrundsätzliche Trennung zwischen der überkommenen bürgerlichen Kultur, die er mitSchriftkultur gleichsetzt, und der Kultur der Moderne, in der er aufgrund der neuen,elektrischen Medien, Formen oraler Kulturen wiederzuerkennen meint. Die Schriftverkörpere das logische, lineare und kausale Denken, genauso wie ihre Buchstaben aufeiner schnurgeraden Linie von links nach rechts aufeinander folgen: »DieAlphabetisierung betont die Linealität, eine Eins-nach-dem-andern-Wahrnehmungs-und Vorgehensweise.« (McLuhan 1993: 105) Auf diese Weise habe die Schreibmaschinedie gesamte Lebensweise beeinflusst. Die negativen Effekte der industrialisiertenGesellschaft bringt McLuhan mit linearem Denken in Verbindung. Von der Linearitätleiteten sich »das Fließband und die Schlachtordnung her, die Verwaltungshierarchieund die Aufteilung des Wissenschaftsbetriebs in Abteilungen.« (McLuhan 1995: 105)

Diese Kritik findet in den Zeitschriften ihren ästhetischen Widerhall. An den »Gesetzen«der Linearität reiben sich die Undergroundzeitschriften, indem sie mit derSchreibmaschine als deren Symbol ihr Spiel treiben. – Wohl in einer Mischung ausaktiver McLuhan-Rezeption (nach deren Umkehrschluss ein Angriff auf dieSchreibmaschine einem Angriff auf die von ihr geprägte Kultur ist) und einemunbewussten Unbehagen gegenüber formalen Zwängen wie denSchreibmaschinenlettern als Symbol und Vollstrecker der technisierten und somitvorhersagbaren Gesellschaft.

Wo die Schreibmaschine die bündige Schrift akkurat organisiert, ist die Anpassung desnormierenden und begradigenden Schreibapparats an organische Formen eine

»Karnevalisierung des Bewusstseins«40

60 Ebd.61 Ebd.62 UM Scenen Reader 2 (1972), S. 45.63 Tilt 2 (1969).64 Hotcha 43 (Juni 1970) 2.65 Hotcha 11(1969).

58 Bambule (März/April 1973).59 Hotcha 11 (1968) 1.

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Assoziationsbereitschaft, sich die schwarzen kleinen Buchstaben nicht mehr als Schriftsondern als wuselnde Tiere vorzustellen.65

Auf diese Weise wirken viele Seiten oft auch hoffnungslos überfrachtet und in ihremwilden Gestaltungseifer manieriert. Paul Willis sieht in dieser Haltung jedoch einenSinn:

»Das Zufällige und die mangelnde Logik eines Zuviels an Dingen und die damitverknüpften andersartigen und der ›Nützlichkeit‹ widersprechendenAssoziationen trieben ihren freundlichen Spott mit dem Nützlichkeitsdenken.«(ebd.)

Es verweist auf die Stimmigkeit des Lebensstils, wenn dieses Willis-Zitat in Bezug aufdie Zeitschriften plausibel erscheint. Denn Willis bezieht sich in der zitierten Aussagenicht auf die Undergroundzeitschriften, sondern auf das signifikante Tohuwabohu derHippie-Wohnungen. Er schreibt weiter:

»Brot, Marmeladegläser, ungespülte Tassen, Messer, Löffel, Papiertüten mitZucker und braungefleckte Teekannen waren überall verstreut. [...] Zwischendiesen Dingen jedoch gab es alte Poster, Schallplatten, verstreuteKleidungsstücke, Zitate aus Gedichten, die jemand mit großen Buchstabenaufgeschrieben und an die Wand gehängt hatte, Untergrundzeitungen inleuchtenden Farben, Dosen mit Tabak und Zigarettenpapier und Haufen vonDrähten, Verstärker, Tonbandgeräte und Lautsprecher.« (Willis 1981: 129)

Ironischerweise tauchen Undergroundzeitschriften nicht nur als Bestandteil des Settingsauf: Ebenso wie sie das Wohnzimmerchaos mitbilden, sind ihre Seiten auch Wiederhalljenes Lebensstils. Und die von Willis konstatierte Ablehnung des Nützlichkeitsdenkenstaucht in den Zeitschriften programmatisch wieder auf:

»Heraus aus den Latrinen einer modernen, kaputten Welt - dorthin, wo nichtNützlichkeit und deren schäbige Ideologie, sondern Freude und die Einheit desMenschen mit sich selbst und seiner – unserer! – Erde dominieren wird!«66

utopisch

Heute wirkt das ästhetische Engagement oft wie harmlose Spielereien. Schon damalskommentierte Jörg Fauser den Grafiker Walter Hartmann alias Wentz: »Wentz hattenatürlich mit wachem Auge sofort dieses Blatt als eine fabelhafte Spielwiese für seinekunstgewerblichen Ticks ausgeguckt und kam nun mit den aberwitzigsten Schriften

»Karnevalisierung des Bewusstseins«42

und optischen Blickfängen an.«67 Der Sinn solcher ästhetischer Provokationen wurde inden eigenen Reihen auch mal als »umallesinderwelt-originellseinwollende ›kuriose‹Produkte«68 abgetan. Doch ebenso wie Dick Hebdige das höhnische Grinsen der Punksverteidigt – »I would like to think that this Refusal is worth making, that these gestureshave a meaning, that the smiles and the sneers have some subversive value« (Hebdige1998: 3) – ebenso muss der chaotische Stil der Undergroundzeitschriften ernstgenommen werden. Die bestehende gesellschaftliche Ordnung sollte als Ganzes auf denKopf gestellt werden. Die Ästhetik der Zeitschriften war vielleicht ein erster Kipp-Versuch. Für Adolf Muschg demonstrierte sie »nicht nur den Traum, dass Anarchiemachbar sein kann, sie beleg[t] ihn.« (Muschg 1982: 183) Man glaubte, dass die derarterzeugte »Karnevalisierung des Bewusstseins« untrennbar mit der gesellschaftlichenRevolution verbunden war, wie Päng einen anonymen Poeten zitiert:

»Das Moment des Lachens, das Karnevalistische Weltempfinden, die derGroteske zugrundeliegen, zerstören die beschränkte Ernsthaftigkeit sowiejeglichen Anspruch auf eine zeitlose Bedeutung und Unabänderlichkeit derVorstellung von der Notwendigkeit. Sie befreien das menschliche Bewusstsein,den Gedanken und die Einbildungskraft des Menschen für neue Möglichkeiten.Deshalb geht den großen Umwälzungen eine gewisse Karnevalisierung desBewusstseins voraus.«69

Die Ästhetik der Zeitschriften erzählt von einer Welt, die vom Kopf auf die Füße gestelltwerden musste. Das verdeutlicht vielleicht ein Beispiel aus dem Grenzbereich vonästhetischer und politischer Provokation. Die bürgerliche Tagespresse galt alssymbolischer wie realer Repräsentant und Wahrer der öffentlichen Ordnung: Inhaltlichreproduziert sie das, was sie als tradierte Form der Wissensübermittlung (ordentlichgesetzte Bleiwüsten) bereits verkörpert: den Konsens der Mainstreamgesellschaft.

Weil in ihr auf sinnlich fassbare Weise – Schere und Kleber – die festgelegte, tradierteAnordnung durchbrochen wird, ist gerade die Collage als Stilmittel geeignet. Die Agit883 zeigt auf ihrem Titelbild eine kunstvolle Komposition unterschiedlicherZeitungsausschnitte, die die Studentenproteste zum Inhalt hat.70 DieZeitungsmeldungen sind stilsicher platziert, was der Seite optischen Reiz verleiht.Schon die, in gewissem Sinne, »Degradierung« der Meldungen zu ästhetischenElementen relativiert die Presse-Polemik.71 Dominierend sind die schräg über das Blattreichenden schwarzen Letter, die das Wort »Kriminell« bilden. Um den Schriftzugherum gruppieren sich die Zeitungsausschnitte. Indem das Leitmotiv der Aufsätze,nämlich das deviante Verhalten der Demonstranten, in zugespitzter Form (und

»Karnevalisierung des Bewusstseins« 43

68 Hotcha 7, o.J.69 Päng 1 (1970) 1.70 Agit 883 27 (14.8.1969).71 Die Meldungen bestehen aus Vorwürfen der »gewissenlosen Demagogie« und provokanten Fragen:

»Wie soll ein Verbot der rechtsradikalen NPD noch mit Überzeugung gefordert werden, wenn dieLinksradikalen solche Krawalle in aller Ruhe vorbereiten dürfen?«.

66 New Morning/Zero 3 (1972?).67 Fauser: Rohstoff, a.a.O, S. 96.

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provokanter Selbstbezeichnung) vorweg genommen wird, entschärfen sich diePressemeinungen. Die Autorität der Meldungen wird zusätzlich dadurch untergraben,dass ironische Bildchen (ein NPD-Polizist als Comicfigur) und Kommentare (»Dasstammt von der CDU«) dazwischen gefügt sind.

Neben dieser Degradierung durch Ästhetisierung legt dieses Layout noch ein zweitesMoment offen: Die Brutalität der Diffamierung durch die Gesellschaft bzw. die Pressewird in der Schere-und-Klebstoff-Technik gegen sich selbst gekehrt. Helmut Hartwigzufolge symbolisieren »die offen präsentierten Schnittflächen die Widersprüche undBrüche, die Gewalttätigkeit der Gesellschaft, auf die wieder mit symbolischer und realeraktiver Gewalt geantwortet wird.« (Hartwig 1997: 20)

Erst das Offset-Verfahren ließ die unkomplizierte authentische Wiedergabehandschriftlicher Texte, Kommentare und Ergänzungen an den Rändern, im Text undzwischen den Zeilen der fertigen Textvorlage zu, vereinfachte die Komposition vonBild- und Textcollagen. Thomas Daum schreibt:

»Das Experimentieren mit einer Druckvorlage aus gewöhnlichem Papier, das sichbeschriften, bekleben, ausschneiden, bemalen und übermalen lässt, ermöglichte,anders als die konventionelle Drucktechnik, eine Ästhetik der Unmittelbarkeitund Spontaneität, die der Lebenspraxis und den Wertvorstellungen derHerausgeber und ihrer Zielgruppe entsprachen.« (Daum 1981: 44)

Der Offset-Druck machte die Verwendung von Klischees überflüssig, womit die reichegrafisch-ornamentale und fotografische Ausstattung der Blätter, die Vielzahl derComics, Cartoons, etc. auch von der technisch einfacher gewordenenReproduzierbarkeit der Druckvorlagen her erklärt ist. Man könnte sagen, dass dieinhaltlichen und formalen Besonderheiten der Undergroundpresse zwar eine bestimmteästhetische Konzeption der Herausgeber voraussetzten, sich andererseits aber fast vonselbst aus den Möglichkeiten einer neuen Technik entfalteten, genauer: durch diesenahegelegt wurden (vgl. Daum 1981: 44 und Lindner 1997: 9).

Populärkultur/Moderne Kultur

Der Stil der Undergroundpresse ist Ausdruck und Verkörperung der Undergroundkultur:die Verkehrung bzw. das Aufbrechen der Gesellschaft als gestaltete Ordnung durchKopf-über-Texte, Hangeschriebenes, etc. Ihr unruhiger veränderlicher Charakter isthomolog zu einem spontanen, gefühlsbetonten, unsteten Lebensstil. In dieser Ästhetikwerden Homologien aber auch Unterschiede zwischen Underground und Populärkultursichtbar:

Die homologie lässt sich durch den von Benjamin ausgemachten Zusammenhang vonGroßstadt und Film verdeutlichen. In seinem Kunstwerk-Aufsatz vergleicht Benjamin dieLeinwand, auf der der Film abrollt, mit der Leinwand, auf der sich das Gemälde

»Karnevalisierung des Bewusstseins« 45

Agit 883 27 (14.8.1969) – © Archiv für Alternativkultur

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befindet. Das letztere lade den Betrachter zur »Kontemplation« (Benjamin 1991: 464)ein, vor ihm könne er sich seinem »Assoziationsablauf« (ebd.) überlassen. Vor derFilmaufnahme könne er das nicht: »Kaum hat er sie ins Auge gefasst, so hat sie sichschon verändert. Der Assoziationsablauf dessen, der sie betrachtet, wird sofort durchihre Veränderung unterbrochen.« (Ebd.) Dieses Erlebnis, so Benjamin, entspreche demmodernen (Großstadt-)Leben. Als Beispiel nennt er den Großstadtverkehr, dem »jederPassant« (ebd.), ähnlich wie der Zuschauer dem Film, »gesteigerte Geistesgegenwart«(ebd.) entgegen bringen müsse.

Zur Zeit des Underground wurde der Film von der bürgerlichen Mittelschicht nochimmer sanktioniert und somit auch ein modernes Lebensgefühl ignoriert. Daschaotische Zeitschriften-Layout des Underground und der damit zusammenhängendespontane Lebensstil klagen dieses der Moderne entsprechende Lebensgefühl ein. – Dochnicht ungebrochen, was das Beispiel der handschriftlichen Kommentare verdeutlicht:Zwar ist das Handschriftliche Beförderer ›schneller‹ Kommunikation, doch auch Kritikan der Kommunikationsbeschleunigung, die durch die Oberflächenglättung erzieltwurde. Im Sinne dieser Kritik schreibt Klaus Sander: »Die Ablehnung der Form, Ästhetikund Sauberkeit z.B. in der Herstellung, im Arrangement, Layout von Büchern, Heften,von Blättern und Postern ist einfach begründbar – nämlich mit der Ablehnung derVermarktung von Kultur.«72

Im folgenden Kapitel werden einige Zusammenhänge mit anderen ästhetischenPraktiken, vor allem der Musik, aufgezeigt. In meiner Deutung der Zusammenhängewerde ich mich in die Nähe von Selbstdeutungen innerhalb des Underground begeben.Es wird sich zeigen, dass die kulturelle Praxis des Underground von theoretischinspirierter Selbstreflexion, die auf diese zurück wirkte, nicht zu trennen ist.

»Karnevalisierung des Bewusstseins«46

»Permanentes Happening«

Experiment

In Profane Culture beschreibt Paul Willis die Homologien zwischen dem Lebensstil derHippies und ihrer Musik. Diese Homologien reichen in den Stil der Zeitschriften hinein.Willis schreibt, dass die Hippies Musik bevorzugten, die wichtigen Aspekten ihrerKultur entsprach und diese weiterzuentwickeln vermochte: »Das kreative Infragestellenund respektlose Verspotten von normalen gesellschaftlichen Bräuchen undEinstellungen durch die Hippies spiegelte sich in der musikalischen Erfindungsgabe der›progressiven‹ Musik« (Willis 1981: 198). Ebenso wie in den Undergroundzeitschriftenmit ästhetischen Konventionen des Zeitungmachens experimentiert wurde, spielte manmit den Beschränkungen bzw. den allgemein anerkannten Konventionen der Musikweltund machte daraus ihre musikalischen Hilfsmittel. »Ein Musikstil, der ›völligabgedriftet‹ war, der eine Vielzahl von Klangeffekten nutzte, war das musikalischeGegenstück zu ihrem eigenenunberechenbaren, ›total abgedrifteten‹sozialen Stil.« (ebd.) Die Musik derHitparade war genau deshalb solangweilig und voraussagbar für dieHippies, weil sie so wenige undärmliche Widerstände hatte, die manzu den »raffinierten und komplexenBedeutungsgehalten der Hippiekultur«(ebd.: 201) in Beziehung setzen konnte.Überraschung, Widerspruch undUnsicherheit in der Musik – Momente,die sie für den ›straight‹ Hörer bzw.Zeitschriftenleser beinahe bedrohlichmachte – waren genau das, was dieHippies hoch einschätzten: »Siewollten überrascht und verunsichertwerden.« (ebd.)

72 Sander, Klaus: Alternativen zu Alternativen gesucht. In: UM Info Sonderheft 1 (1974).Ana & Bela 5 (1970) –

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Betrachtungsweise, die von ihrem Gegenstand Abstand nimmt, um ihn bemessen undeinschätzen zu können, gab es im Underground den Wunsch nach der totalen Hingabe,dem Aufgeben von Kontrolle, dem Sich-gehen-lassen, der Verschmelzung mit derUmgebung. Klang- und Lichtexperimente, die so inszeniert wurden, dass sieüberfallartig auf die Zuschauer einstürzen, sollten das Gefühl der totalen sinnlichenVereinnahmung und Umschlossenheit evozieren. Es wurde als positiv erfahren, dass dieKomplexität der Montagen »das logozentrische Denken in Schach« hielt, wie Paul Willisschreibt (Willis 1981: 201). Idealiter sollte die gesamte Umgebung zum sinnlichenErlebnis werden. In der International Times wird für ein Happening mit eben diesem»Environment«-Charakter geworben:

»Environment-Situation-Spaces: Working within the totality of physical spacecreating environments which demand full and active participation from theviewer. […] Walls, ceilings and floors lose their confining identity, merging intothis recreated space.«75

Der Raum sollte so gestaltet sein, dass möglichst alle Sinne ganzheitlich angesprochenwerden. Gerd Hübinger erzählt von einem derartigen Erlebnis in Andy Warholslegendärer »Factory«, von der rauschhaften Wirkung, die die inszeniertenSinnesreizungen offenbar auf ihn ausübten:

»Hier sind Plattenspieler und Tonbandgerät, Film- und Diaprojektoren,Scheinwerfer und strobelights fast ständig in Betrieb, – es ereignet sich das›permanente Film-, Licht-, Musik- und Tanzhappening‹. [...] Kaum ein Sinn, umdessen Aufmerksamkeit hier nicht geworben wird. Das dumpfe Dröhnen einerBassgitarre setzt ein. Die elektrisch verstärkten Schwingungen aktivieren denKörper der Tänzer als Resonanzboden; ein geheimer Motor, der ihnen immerstärker sein hämmerndes Stakkato aufzwingt, bis Muskeln und Hirn im gleichenTakt vibrieren. Ringsum, auf Wänden, Decke, Boden und auf den Leibern derTänzer, Warhols Filme in Mehrfachprojektion. [...] Das wunderschöne MädchenNico, der Lärm, die Lichter, die Filme und die Tänzer formieren sich, eindramatisches, kreischendes Crescendo, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Mag sein, dass Du Deine Ohren verstopfen kannst. Aber was machst Du, wennDu den Lärm noch in Deinem Hirn hörst? Da wird die Musik noch lauter, dieTänzer noch wilder, und die Lichter gehen an und aus wie verrückt. [...] Blitzeknallen Dir in die Augen, die Ohren hast Du voll von Autohupen. Jetzt denkstDu, der Lärm kann nicht mehr lauter werden, und er wird es doch. Bis Du wievon einer riesigen Welle auf den Boden gepresst wirst, nur noch fähig, in einemeben wahrnehmbaren Rhythmus zu zucken. Das Publikum, Du selbst, Tänzer,Musik und Movies – alles ist jetzt ein einziger großartiger Augenblick derHysterie.«76

»Permanentes Happening« 49

Die in der Musik verwendeten Techniken entsprechen dem, was mit Schere und Kleber,mit Farbspritzern und ungewöhnlich eingesetzten Schreibmaschinenlettern›angerichtet‹ wurde. – Als Mittel der Verwirrung und Verzerrung in der Musik dientenmehrspurige Tonbandgeräte, das Rückwärtsspielen von Bändern, das sogenannte Wah-Wah-Pedal und die elektronischen Synthesizer, mit denen man seltsame Geräuschenachahmen konnte, wie z.B. den schaurigen elektronischen Schrei in dem Pink-Floyd-Stück Careful with that Axe, Eugene oder das kalte Lachen am Ende von George HarrisonsWithin you, without you.

Scheinbar unvereinbare Assoziationen (als Äquivalent zu den Collagen in denZeitschriften) wurden in den skurrilen Versen etwa der Beatles auf ihrer Platte St. PeppersLonely Hearts Club Band zusammen geschmolzen. Melodiefragmente »aus aller Welt«(Protestfibel 1968: 15) standen den Musik-›Arrangeuren‹ zur Verfügung. Jim McGuinn,der Bandleader der Byrds, definiert zum Beispiel den sogenannten Raga-Rock einigerseiner Aufnahmen als Mischung von »Elementen der klassischen Musik Indiens, demJazz von John Coltrane und der Orgelmusik von Johann Sebastian Bach« (McGuinn,zitiert nach Protestfibel 1968: 15). Das Rezept der Lovin Spoonful beschreibt RobertShelton als »einen Löffel Ragtime, einen anderen voll Country Blues, etwas Jugband-Musik aus den zwanziger Jahren und eine Portion zeitgenössischen Beat« (Shelton,zitiert nach ebd.). Parallelen finden sich auch zu den Livekonzerten. Auf einem PinkFloyd Konzert wurden beispielsweise Geräusche zwischen den Lautsprechern hin undhergejagt. Ähnliches wird in der Hotcha von einem Frank-Zappa-Konzert berichtet:

»Seine Texte, seine Musik, das Spiel der Mothers auf der Bühne (auch visuellwichtig) sind eine Einheit, ständig absichtlich, aus Versehen, spontan oderimprovisiert abgeändert – ein permanentes Happening. Zappa arbeitet mitmöglichst vielen Medien gleichzeitig, verwendet beinahe jede Art von Musik,parodiert, montiert, erschafft, spielt.«73

Die auf den Konzerten veranstalteten Lightshows wiederholten und verstärkten dieseskomplexe Spiel. Die Musik wurde mit »unzähligen Projektoren, Filmen, Dias,stroboskopischem Licht, und farbigen Lichträdern« (Willis 1981: 200) unterlegt.74

Involvement

Der Zusammenhang zwischen dem »mit Absicht verwirrenden« (Daum 1981: 44)Layout der Undergroundpresse, der Musik und den multimedialen Inszenierungen derKonzerte und Happenings besteht aber nicht nur im Experimentieren mitkonventionellen Formen. Im Gegensatz zur distanzierten bürgerlichen

»Permanentes Happening«48

75 It 8 (April 1968) 1.76 Hübinger, Gerd: Show. In: Protestfibel 1968: 179.

73 Hotcha 13/14 (1968) 1.74 Vermutlich erschienen abfotografierte Cover von Undergroundzeitschriften selbst wieder auf den

Screens.

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Gerade die Erzählung über Andy Warhols Factory macht deutlich, wie dieExperimentiertechniken dem Rezipienten eine neue Rolle zuweisen. Man nannte es»Involvement«, eine gesteigerte und bewusst ausagierte Teilnahme. Der klassischeKonzertbesucher sitzt andächtig lauschend auf seinem Sitz, ohne Regung zu zeigen undscheinbar teilnahmslos. Der Besucher eines Rockkonzerts steht in der Arena, klatschtund singt mit, lässt sich von der Musik und den vielleicht vorher eingenommenenDrogen berauschen. Der klassische Leser eines Buches oder einer Zeitung nimmt inkritischer Distanzierung die Inhalte in sich auf. Die Undergroundhefte hingegen fordernein Stück weit, die distanzierte Position des Leser aufzugeben. Der Akt des Lesens wirdkörperlicher, denn der Leser muss in Aktion treten, um die Seiten in sich aufzunehmen:er muss die Zeitschrift drehen, um die Kopf stehenden Zeilen lesen zu können, seineReaktionsbereitschaft muss aktiviert sein, um sich auf das Layout, auf die abruptenWechsel von Hand- zu Schreibmaschinenschrift, von Text, Bild und hingekritzeltemKommentar, einlassen zu können. Direkten Ausdruck findet diese Haltung in derdrastischen Karikatur des amerikanischen Undergroundcomic-Zeichners RobertCrumb. Hier ist der Leser einer Undergroundzeitschrift abgebildet, dessen Augen,Zunge und Gehirn vor lauter Anteilnahme aus dem Kopf springen.77

Die Herausforderung, mit den Zeitschriften ›mitzugehen‹, involviert zu werden, war einSchritt in Richtung jener Utopie, die Trennungslinien aufzuheben – zwischen Leser undMedium, letztlich zwischen dem Einzelnen und der Umwelt. Womöglich meintBurroughs genau das, wenn er, etwas kryptisch, von den Text- und Bildcollagen (Cut-ups), wie sie sich auch in den Zeitschriften finden, sagt: »Bilder verändern Sinn unter derSchere Geruch Bilder zu Klang Sehen zu Klang Klang zu Bewegung.« (Burroughs 1993:86)

McLuhan und Synästhesie

Die Vermutung, die Zeitschriften evozierten eine Art »Involvement«-Erlebnis, ist naheder Eigeninterpretationen des Underground. In der Tat beschäftigte man sich mit derSimulation und Evokation sinnlicher Erlebnisse und deren Übersetzung aufunterschiedliche Medien. So schreibt Burroughs über seine Cut-ups, sie eröffneten dieMöglichkeit, ganz ohne Drogen für eine Verwirrung der Sinne zu sorgen (Watson 1997:285). Auch die International Times beschäftigt sich mit den Verflechtungen der Sinne: Einzu bastelnder Würfel bildet auf jeder Seite einzelne Sinnesorgane ab. Durch dasZusammenkleben der Worte verbinden sich die einzelnen Sinnesorganen zugeordnetenWahrnehmungsarten – z.B. »a smooth (Hand/Taktilität) taste (Mund/Geschmack)«.78

Rimbaud wird zitiert, der Vokale mit Farblichkeit verknüpft: »I invented the colours ofthe vowels: black A, white E, red I, blue O, green U.«79 In der Päng wird eine neue

»Permanentes Happening« 51

77 Päng 2 (1971?).78 It 50 (Februar 1969) 2.79 Ebd.Hotcha 4 (1969) – © Archiv für Alternativkultur

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Musikgruppe mit den Worten umschrieben, ihreMusik sei zur Melodie gewordener Comic.Umgekehrt wird das gerade nicht Sinnliche einesDruckerzeugnisses in einem Bericht über eineMusikgruppe umspielt, indem ein Loch in dieZeitschrift gebohrt und mit der Aufforderungverbunden wurde: »Try to hear the sound of thishole.«80

Marshall McLuhan – der erste »Pop-Philosoph«(Lindner 1997: 9) des Underground – nährtediese Ideen.81 Einer der zentralen AussagenMcLuhans ist, dass die Gesellschaft des 20.Jahrhunderts sich dadurch auszeichne, dassanstelle der Schriftkultur als dominantes kulturelles Muster – die Linearität, Rationalitätund Distanz impliziere – polisinnliche Erfahrungsformen getreten seien. War diebürgerliche Schriftkultur eine Kultur, die »alle Dinge, um sie unter Kontrolle zubekommen, aufzusplittern und zu teilen« (McLuhan 1995: 21) gewohnt war, eine, die»den seiner Natur nach partiellen und spezialisierten Standpunkt« (ebd.: 16) zurMaßgabe machte, so schreibt McLuhan über die moderne mediale Kultur, dass sie dieDistanz aufgegeben habe, wie sie der Leser eines Buches symbolisch verkörpert: »Es istnicht mehr möglich, die erhabene und distanzierte Rolle des alphabetischen westlichenMenschen weiterzuspielen« (ebd.: 17). Die modernen Medien »zwingen« dieGesellschaft »zum Engagement und zu aktiver Beteiligung ohne Rücksicht auf›Standpunkte‹« (ebd.: 17). McLuhan legt sämtliche moderne Medien dahingehend ausund beschreibt die Rezeption als sinnliche Praxen, als taktil, auditiv, etc. Das führt dazu,dass er auch eine schriftliche Ausdrucksform wie die Zeitung diesem Schema angleichtund die Struktur der Zeitungsseiten als »auditiv« beschreibt: »Es ist ungemeinverwirrend zu erfahren, dass das Mosaik einer Zeitungsseite der Grundstruktur nachauditiv ist.« (McLuhan 1993: 105) Er meint damit, dass das (visuelle und inhaltliche)Angebot einer Seite zunächst nicht linear zu erschließen sei, sondern die einzelnenBeiträge in einem »Alles-auf-Einmal« (ebd.) auf den Betrachter und Leser einwirkten.Ebenso wie beim Hören werde beim Zeitungslesen ein Raum simultaner Beziehungkonstruiert. So gelte für die Akkustik das selbe wie für die Zeitung: »Wir hören aus allenRichtungen auf einmal.« (ebd.)

Die Bemühungen des »konventionellen« Lesers, bei der Zeitungslektüre Ordnung zuschaffen – dem die bürgerlichen Zeitungen mit einer übersichtlichen Seitengestaltungund einem ordentlichen Umbruch entgegen kommen – wird in der Undergroundpresse

»Permanentes Happening«52

rücksichtslos missachtet. McLuhan bezieht seine Aussage auch auf bürgerlicheZeitungen, doch erst in den Undergroundzeitschriften mit ihren verworrenen Seiten hatsich vollständig realisiert, was McLuhan für die Printmedien und den damit zusammenhängenden modernen Wahrnehmungsweisen beschreibt.

Die Passgenauigkeit von McLuhans Thesen und der Undergroundpresse begründet sichin erster Linie dadurch, dass beide Seiten homologe Äußerungen einer bestimmtenkulturellen Verfasstheit sind. Nicht zufällig hat McLuhan Timothy Leary zu demBonmot inspiriert, McLuhan denke in Kreiseln und Spiralen, in Blumenmustern undMandalas – also den Mustern der Undergroundzeitschriften entsprechend.82

In den Zeitschriften finden sich immer wieder Spuren der McLuhan-Rezeption.83 Sourteilt der Undergroundliterat Jörg Fauser über die moderne Gesellschaft:

»Auch bei uns erkennt man zusehends, dass mit den herkömmlichen linearfixierten Schreibweisen die komplizierten Nervensysteme des Innenraums unddie technologisch beherrschte, medienmanipulierte Außenwelt nicht mehr zuerfassen sind.«84

Ein Comicstrip der Undergroundzeitschrift Hammer-Komiks85 folgt geradezuschulmeisterlich McLuhans Thesen und artikuliert diese sowohl verbal als auch bildlich.In diesem Strip wird das Comicmachen selbst thematisiert. Als Protagonist derSchriftkultur wird im Comic »Herr Tintenklecks« vorgestellt, der ganz von gedrucktemText durchdrungen ist. Dieser Mann, so belehrt uns der Comic, sei das Resultat einervon Sprache dominierten Welt: »Bisher haben wir unsere Hände hauptsächlich zumSchreiben benutzt. Wenn wir jemandem ein Bild vermitteln wollten, so haben wir esmit Hilfe der Sprache beschrieben.« Die Diskrepanz zwischen Gedanken und Sprache –McLuhan: »das Bewusstsein ist kein sprachlicher Vorgang« (ders. 1995: 134) – wirddadurch gezeigt, dass die Denkblase des Mannes psychedelische Muster enthältwährend auf dem Papier nur das Wort »psychedelisch« ›ankommt‹. GefühlsbezogenereWahrnehmungsweisen, so die Aussage, seien in unserer Schriftkultur nicht mehrvermittelbar, würden im Kopf aufgestaut, ohne ›hinaus‹ zu können. McLuhan würdesagen: »Eine reiche Fülle von ganzheitlichen Wahrnehmungen und Erlebnistiefe« seien»durch das fonetische Alphabet abgebaut worden.« (McLuhan 1995: 134)

Ironischerweise wurde an anderer Stelle McLuhans berühmt gewordener Ausspruch»Das Medium ist die Botschaft« selbst wieder zum Objekt für absurde Wortspiele. Sodichtet Karlheinz Frank: »Das Medium ist die Botschaft. Das Medium ist das Medium.Die Botschaft ist die Botschaft. Die Botschaft ist das Medium.«86

»Permanentes Happening« 53

82 Groß, Thomas: Seid intellektuelle Browser. In: taz vom 5.11.1999.83 »Rezipiert« muss nicht unbedingt heißen, dass er tatsächlich gelesen wurde. So äußert sich ein

»Hippie« (der Name ist nicht angegeben): »All diese Leute verstehen McLuhan, und ich kenne keinen,der ihn gelesen hat.« (Interview mit einem Hippie. In: Bohemien 1981: 222)

84 Jörg Fauser: Cut-up. In: Zoom (Mai 1971).85 Hammer Komiks 4 (10.10.1971) 1.86 Karlhans Frank: Abschriften von Notizzetteln. In: UM Scenen Reader 2 (1972), S. 45.

80 Hotcha 12 (1.9.1968) 1.81 Um seiner Popularität Rechnung zu tragen, aber auch, weil es dem Pop-haften seiner Thesen

entsprach, wurde zum Beispiel 1967 in den USA (zwei Jahre später in Deutschland) ein poppigaufgemotztes McLuhan-Bändchen herausgegeben, das McLuhans berühmten Slogan »The Medium isthe Message« als Titel trägt.

Hammer Komiks 4 (1971) 1© Archiv für Alternativkultur

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Wenn es auch in den Zeitschriften weniger explizit geschieht, so artikulieren sich inihnen genauso wie bei McLuhan eine Sensibilität für das Medium an sich, eineBewusstheit für die Bedeutung der Form und eine Darstellungsweise, die die medialeund beschleunigte Welt in sich aufnimmt und widerspiegelt. Die Art, wie in denUndergroundzeitschriften mit dem Text umgegangen wird – »das genaue Gegenteil derLinearität, wonach eins nach dem anderen aufgenommen wird« (McLuhan 1993: 105) –sind quasi visualisierte Aussagen McLuhans.

»Permanentes Happening«54

Theorie als kulturelle Munition

Das Wechselspiel von Medientheorie McLuhanscher Prägung und der kulturellen Praxisdes Underground setzt sich im Cut-up fort, der gleichzeitig als signifikante ästhetischePraxis gedeutet werden kann. Wie die Cut-ups durchbrechen die Collagen derUndergroundzeitschriften Wahrnehmungsgewohnheiten, indem sie mit der Zufälligkeitvon Anordnungen spielen. Für William Burroughs, dem ›Vater‹ der Beat-Autoren, istdies der erste Schritt, die bestehende Ordnung insgesamt zu hinterfragen: »Der Sturzder bestehenden Ordnung beginnt mit dem Sturz deiner selbst. Deiner anerzogenenund übernommenen Gewohnheiten. Deiner automatischen Reaktion auf Worte undBilder.«87

Die Produzenten der Undergroundzeitschriften sahen dies geradezu als ihren Auftragan, den sie explizit formulierten. Michael Zielomka schreibt über die »technischeAufmachung« von »Untergrundpresse« und »linksorientierten literarischenExperimentierzeitschriften«88:

»Mit Collagen und Fotos durchsetzte Grafik, Buchstabenornamentik und visuellePoesie, bislang nicht gekannte Farbkombinationen, Objects- oderGebrauchsbeilagen, den Kleindruck mit oftmals veränderter Leserichtung,gelegentlich sogar das Schreiben in Rosettenform, sodass man bei der Lektüre dieZeitung beständig in der Hand drehen muss. Solcherart technische Kniffeerwecken nicht selten den Eindruck, als ginge es darum, Analphabetenanzusprechen. Beabsichtigt ist jedoch die Störung der überkommenenbürgerlichen Kommunikationsformen. [...] Pech für den Leser.«89

Dieser nicht gerade wohlmeinende Kommentar von Zielomka wurde von Wintjes imUM Scenen Reader selbstbewusst aufgegriffen. Verwirrung zu stiften sei durchaus derSinn der Gestaltung. Er antwortete mit einer Mischung aus Amüsement und Triumph:»Man bestätigte uns, das unübersichtlichste Buch der Saison gemacht zu haben.«90

Die oft mit Medientheorie angereicherten Überzeugungen finden künstlerischenAusdruck in der von Burroughs erfundenen Technik des Cut-up. Steven Watson gibt inseinem Buch über die Beat Generation die Anekdote wieder, im legendären Pariser Beat

87 W.S. Burroughs: Academy 23. Auszüge davon in: Ufo (Juni 1971). Die Literaturzeitschrift Ufo wurdevon 1970 bis 1971 von den deutschen Alternativliteratur-Größen Jürgen Ploog, Jörg Fauser und demÜbersetzer Carl Weissner in Frankfurt herausgegeben.

88 Der Kommentar wurde im UM Scenen Reader 2 (1972) abgedruckt.89 Ebd.90 Ebd.

Ulcus Molle Szenen Reader 1973/74 – © Archiv für Alternativkultur

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Hotel habe sich Burroughs eines Nachmittags im Oktober 1959 daran gemacht, einenStapel versehentlich zerschnittener New York Herald Tribunes zu lesen. Und zwarbediente er sich für seine Lektüre beliebig aus verschiedenen Schichten vonZeitungsseiten zusammengefügten Teilen und amüsierte sich dabei derart, dass einigeMitbewohner des Beat Hotels glaubten, er sei hysterisch geworden. Burroughs schildertden Prozess:

»Seiten mit Text werden ausgeschnitten und neu zusammengefügt, um neueKombinationen von Wörtern und Bildern zu ergeben; das heißt, die Seite wirdmit der Schere zerschnitten, für gewöhnlich in vier Teile, und dann in eine neueOrdnung gebracht... Ich nehme eine Textseite her, meine eigene oder von jemandanderem... und füge die Zeilen aneinander. Der zusammengesetzte Text wirddann von rechts nach links gelesen, halb der eine Text und halb der andere. Beivielleicht einem von zehn funktioniert das, und den benutze ich dann.«(Burroughs, zitiert nach Watson: 285)

Burroughs schwelgte nicht nur in den glücklichen Zufällen, wenn eine Zeile sich in dieandere fügte. Ganz ähnlich der Erklärungen, die in der Undergroundpresse zu finden ist,seien »Cut-ups auch ein revolutionäres Mittel, das Diktat der linearen Erzählweise zubrechen« (ebd.). Es wurde bereits erwähnt, wie McLuhan ebenso wie durch die Ästhetikder Undergroundpresse (sowie deren Verteidigung) eine Gesellschaft konstatiert wird,der mit linearen Darstellungsweisen und logischem Denken nicht mehr beizukommensei. Burroughs formuliert das Cut-up als programmatische Konsequenz dieserWeltsicht:

»Cut-up ist Deconditionierung, systematische Entwöhnung von zwanghaftenAssoziationen. Als Schreibtechnik ist es eine von vielen Methoden, um vonherkömmlichen Darstellungsweisen abzukommen, mit denen sich Erfahrungenin sogenannten a-logischen, nicht mehr linearen Bereich nicht mehr angemessenartikulieren lassen.«91

McLuhan entspricht dieser assoziativen Denkweise. – Nicht nur, indem er schreibt:»Wenn zwei scheinbar unvereinbare Elemente auf fantasievolle Art gegenüber gestelltoder auf neue und einzigartige Weise kombiniert werden, ergeben sich oftüberraschende Entdeckungen.« (McLuhan 1984: 10) Sondern auch in seinem eigenenSchreibstil, seiner Argumentationsweise, die nicht davor zurückscheut, sehr entferntvoneinander befindliche Phänomene zusammen zu denken (etwa die Fernsehkultur unddie orale Kultur indigener Kulturen).

Jürgen Ploogs Äußerungen sind ebenfalls von McLuhan inspiriert: »Der alphabetischeMensch war der Bürger der Spießer. Aufklärung sein Fetisch, das Fließband sein

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91 Burroughs, W.S.: Deconditionierung. In: Ufo 1 (Juni 1971).UM Info 4-6 (1984) – © Archiv für Alternativkultur

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»Cut-up [Unterstreichung im Original]: Beginnen wir mit dem Wort. Das Wortist das Kontrollinstrument aller Buchstaben: Zeitung und Bücher. [... ] Dasgeschriebene Wort ist ein Symbol dafür welche Reaktionen es in dir auslösensoll. Eine Reaktion die automatisch abläuft. Man kann nicht ›Verkehrsunfall‹lesen und eine Erektion bekommen. Man kann nicht das Wort ›ficken‹ sehen undan die Unfallstatistik denken. Um herauszufinden um was es wirklich geht mussman lernen den automatischen Zusammenhang von Wort und Begriff zuunterbrechen. Ficken lesen und das Geräusch quietschender Reifen hören.«99

Radikal wird hier die Trennung von Wort und gelebter Erfahrung angeklagt. Die Wortehätten »in Jahren der Wiederholung Sinn und Leben eingebüßt.«100 Durch den Cut-upsollte die unsichtbare Naht lokalisiert und aufgetrennt werden, die die dominanteGesellschaft als Verbindung zwischen Sprache, Erfahrung und Realität behauptete. Eswar die Hoffnung, Sinnzusammenhänge zu finden, indem man alles durcheinanderwarf.

Im Cut-up kondensiert und expliziert sich ein wichtiges Moment der Heftästhetik –ganz abgesehen davon, dass Cut-up in der Scene als schick galt: in der Wintjes-Sammlung existiert ein Cut-up spezial, und auch für Jörg Fauser ist der Cut-up in einer»echten« Undergroundzeitschrift unerlässlich: »Also muss drin sein: [...] Plattentips,Demonstration, Skandal bei der Müllabfuhr, die neue Cut-up-Reihe im Gutowsky-Verlag.«101 Jürgen Ploogs Ausspruch, es sei »unsere Aufgabe zu sorgen, dass nichts mehrzueinander passt«102, ist als allgemeines Credo der Zeitschriftengestaltung zu lesen. Eswar der Versuch, eingeschliffene Wahrnehmungsweisen, wie sie sich an Formulierungs-und Darstellungskonventionen knüpfen, in Frage zu stellen und Ausdrucksformen zufinden, die der dynamisierten, fragmentierten und eben nicht linear zu erfassendenmodernen Gesellschaft Rechnung tragen. McLuhan lieferte zur Cut-up-Technik dietheoretische ›Munition‹ oder aber: Was in der subkulturellen Praxis angelegt war, fandsich durch McLuhan bestätigt (und umgekehrt). Ein zentraler Widerspruch bleibtallerdings ungelöst: Dass die kritisierten Darstellungskonventionen bereits medial, vonder Struktur her also modern, zeitgemäß waren; trotzdem aber den Erfahrungen in dermodernen Welt nicht entsprachen.

Theorie als kulturelle Munition 59

Ultimatum an Rationalität. Mit aufkommender Elektrizität mit Telegraf und Radioverlor er die Orientierung.«92 Der hauptberufliche Pilot Jürgen Ploog praktizierte alserster in Deutschland die Technik des Cut-up, die auch hier untrennbar mitmedientheoretisch inspirierten Selbsterklärungen verbunden war. Ploog beschreibt dieaktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse als von den Medien strukturell geprägte:

»Wo was wie wann? Ich sage nichts Neues wenn ich feststelle dass das was wirsind jeder einzelne von uns dadurch bestimmt wird was wir lesen und hören undsehen. Aber wer bestimmt was wir lesen hören und sehen? Gemeint ist nicht dieAuswahl bei der man dem einzelnen eine gewisse Freiheit zubilligen könnte,sondern die Fertigstücke die er sich einverleibt die Bücher die Filme dieFernsehprogramme und Radiosendungen.«93

McLuhan wiederum schreibt: »Gesellschaftsformen sind schon immer stärker durch diebesondere Natur der Kommunikationsmedien, von denen sie Gebrauch machen, alsdurch den Inhalt der Kommunikation geformt worden.« (McLuhan 1984: 8) Für Ploogist dieses System auf gesellschaftliche Kontrolle angelegt, die darin bestehe, »demIndividuum jede Möglichkeit anders zu denken anders zu handeln zu nehmen.«94 DasDenken sei strukturell vorherbestimmt:

»Alles vorgegebene Programme vorher aufgenommene Lochstreifen unendlichpermutierte Symbole grammatikale Sequenzen banale Rituale die nicht istsondern erst durch Zeitung TV Radio bis hinunter zu den Ablegern derInformationsindustrie gemacht wird. Eine Industrie deren Funktion Kontrolle ist,Kontrolle der Vorstellungswelt der Massen.«95

In der Konsequenz fordert Ploog das Aufbrechen dieses medial fixierten und dahertotalitären Gesellschaftssystems. Ihm geht es nicht um Gegeninformation – die nur dieInhalte, nicht aber die Strukturen angreift (»es gibt Alternativen, die keine sind«96) –,sondern, nachdem das Medium die Botschaft ist, um den Entwurf von neuenKommunikationsformen insgesamt, die die Selbstverständlichkeit der bestehendendurcheinander bringen: »Durch Dekonditionierung lässt sich jede Kontrollmaßnahmeaufheben.«97 Diese Dekonditionierung würde eben durch das Cut-up erreicht, weilunvereinbare Textfragmente zusammen gefügt und dadurch neue Bedeutungenproduziert werden. Der »Reaktionsautomatismus«98 müsse gestört werden, wie er es aneinem etwas drastischen Beispiel beschreibt:

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99 Ebd.100 Burroughs, William: Die Zerschneide-Methode, a.a.O., S. 85.101 Fauser, a.a.O, S. 94.102 Ploog, Jürgen: Techno-Anarchie. In: Ufo 2 (Oktober 1971).

92 Ploog, Jürgen: Techno-Anarchie. In: Ufo 2 (Oktober 1971).93 Ploog, Jürgen: Ufo. In: UM Scenen Reader 2 (1972), S. 47.94 Ploog, Jürgen: Techno-Anarchie. In: Ufo 2 (Oktober 1971).95 Ploog, Jürgen: Ufo. In: UM Scenen Reader 2 (1972), S. 47.96 Ebd.97 Ploog, Jürgen: Techno-Anarchie. In: Ufo 2 (Oktober 1971).98 Ploog, Jürgen: Ufo. In: UM Scenen Reader 2 (1972), S. 47.

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Stiltheorie Underground

Das theoretische Instrument der Stilanalyse auf die Undergroundpresse anzuwenden,stößt an Grenzen. Denn die Ausdrucksweise der Subkulturen (Teds, Mods etc.), die dieempirische Basis der Stiltheorie darstellt, unterscheidet sich wesentlich von derSubkultur des Underground.

Stuart Hall (u.a. Autoren) kreuzten in Resistance Through Rituals die Konzepte homologieund bricolage, um eine systematische Erklärung für die Anziehungskraft einesbestimmten Subkultur-Stils auf eine bestimmte Gruppe von Leuten zu geben. DieAutoren stellen die Frage: »Was speziell bedeutet Subkultur-Stil für die Mitglieder einerSubkultur?« Ihre Antwort: Die angeeigneten und in subkulturellen Stilensembles wiederzusammen gesetzten Objekte »dienen dazu, [...] Aspekte des Gruppenlebenswiderzuspiegeln, auszudrücken und widerklingen zu lassen«. John Clarke nennt es die»Semantik der Selektion«: Die Frage, warum eine Gruppe bestimmte symbolische

Objekte übernimmt und andere nicht. Die Selektion der Objekte, durch die der Stilgeschaffen wird, richte sich nach den Homologien zwischen dem Selbstbewusstsein derGruppe und den vorgefundenen Bedeutungen der vorhandenen Objekte (Clarke 1979:139).

Zwar wird mit der beschriebenen Kombination aus Titelmotiven wie Micky Maus,Molotow-Cocktails, Josef Strauß und Coca Cola ein sehr spezifischer Objekthorizontabgesteckt, über dessen Bedeutungszusammenhänge sich der Underground zweifellosartikuliert. Die Interpretation des Stils über die Auswahl und Zusammenstellung seinerObjekte zu verfolgen, ist jedoch müßig.

Das Medium Undergroundpresse, die Schneid-und-Kleb-Technik und die einfache undunmittelbare Reproduktion derselben mittels Offset-Druck legten es nahe, die Fülle derDruckerzeugnisse zur Seitengestaltung der eigenen Zeitschrift zu verwerten. Mit dertraditionellen Semiotik ist diesem Phänomen nicht beizukommen, da der Inhalt durchdie Fülle der Quellen zunehmend beliebig erscheint. Dick Hebdige hat dieses Problemfür die Punkbewegung bereits beschrieben: »Any attempt at extracting a final set ofmeanings from the seemingly endless, often apparently random, play of signifiers inevidence here seems doomed to failure« (Hebdige1998: 117). Zwar sind durchaus dievon den Punks benutzten »forbidden signifiers« (ebd.: 115) wie Sicherheitsnadeln, Pogo,Stachelhaare, bereits inhaltlich bedeutsam, ebenso wie die Hippiebewegung z.B. mitihrem ›natürlichen‹ langen Haar ihre Lebenshaltung ganz unmittelbar zum Ausdruckbrachte. Doch während die eigenwillige Aneignung von Objekten für Hebdigegesellschaftliche Widersprüche wie Ungleichheit, Machtlosigkeit und Entfremdung›magisch löst‹ (Hebdige 1998: 17), werden sie in der Brüchigkeit des Punk-Stils nichtgelöst, sondern vielmehr repräsentiert:

»Thus while it is true that the symbolic objects in punk style were made to forma unity with the group’s relations, situations, experience’, this unity was at onceruptural and expressive, or more precisely it expressed itself through rupture.«(Hebdige 1998: 121/123)

Genau dieses Phänomen ist in der Undergroundpresse schon angelegt. Auch in denCollagen, den Risslinien und Übermalungen, den Kopf-über-Montagen undhandschriftlichen Kommentaren, findet ein Lebensgefühl seinen Ausdruck, das mehrüber die Struktur der Seiten als über ihre ausgewählten Motive mit der gammligenWohnungseinrichtung und der Rockmusik homolog ist. Der Stil der Undergroundpressedrückt sich also weniger in den für die Collage ausgewählten Objekten, als in derCollagetechnik selbst aus. Nicht (nur) einzelne Motive innerhalb der Zeitschriften,sondern gerade die Zeitschriften selbst sind Gegensymbole. Weniger folgen die in denZeitschriften verwendeten Motive einer Semantik der Selektion. DieUndergroundzeitschriften selbst können als »selektierte Objekte« gesehen werden.Selektiert worden war eine von der dominanten Gesellschaft geprägte mediale

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Hotcha 13/14 (1968) – © Archiv für Alternativkultur

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Gerade die Undergroundpresse war prädestiniert für jenen ›semiotischen Guerillakrieg‹(s.o.), da sie als Medium aus dem selben Stoff - zweidimensionalen Texten und Bildern– wie jene Zeichen sind, die medial die Welt ordnen. In den Collagen derUndergroundpresse werden die Zeichen nicht nur dekonstruiert, ihre Konstruiertheitwird vorgeführt. Unmittelbar deutlich wird das in einer Collage von Peter Below. DieAbbildung einer adrett im Schottenstil gekleideten Dame wurde aufgekratzt, zerrissenund die einzelnen Fetzen neu zusammen gefügt. Der Stil selbst wurde zum Themagemacht und die Zerstörung der schönen Oberfläche zweifach vollzogen: insymbolischer Zerstörung der modischen Kleidung (die als »Loverstil« zitiert wird) undin der realen Zerstörung seiner medialen Vermittlungsform, dem Versandkatalog. Nichtnur wurde also zerrissene Kleidung getragen, das Zerreißen von Kleidern selbst wurdeausgestellt. Mitunter wurde in den Reihen des Underground die eigene Praxis derDekonstruktion explizit und programmatisch formuliert. Conrad Timms Äußerung inder Literaturzeitschrift Der Metzger könnte ein Zitat aus Meaning of Style sein: »DieEbene der Zeichen ist die Ebene der Herrschenden. Sie diktieren die Definitionen.«105

Und Klaus Groth fordert in seinem Aufsatz Über den Gebrauch von Medien im UM ScenenReader, festgelegte mediale Zeichenarrangements, Lese-, Hör- und Sehgewohnheiten zudurchbrechen, was Aufgabe der »kreativen Produzenten« sei, womit er wohl dieProduzenten der Undergroundpresse meinte:

»Der funktionale Charakter der Medien wurde zum Zwecke der Manipulationlängst erkannt / Die Bibelhörigkeit des Christen im Mittelalter ›als Weg‹ Weiserin allen Lebenslagen ist die Medienhörigkeit der heutigen Massen alsfremdbestimmtes erstrebenswertes Verhaltensmuster / Diesen Missbrauchtransparent zu machen ist die Aufgabe des kreativen Produzenten, er verwendetdie Medien um Lese- Hör- und Sehgewohnheiten durch ungewohnteArrangements neu zu aktivieren / Es werden von ihm keine Wege gezeigt, wieman sich in bestimmte Verhaltensnormen einpasst, sondern er zeigt, wie mansich kreativ individuell innerhalb eines Systems verhalten kann.«106

Ähnlich wie beim Stilkonzept geht es nicht um die Bedeutung isolierter Objekte,sondern um deren kreativen, quer zu dem von der Gesellschaft diktierten Gebrauch. Sohat für Bastian Cleve das Fernsehbild einen durchaus ästhetischen Reiz, der aber nur inder eigenwilligen, aktiven Form der Auseinandersetzung Relevanz erhält:

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Vermittlungsform, das Printmedium – ein scheinbar unerschöpflicher Zeichenpool. DieUndergroundpresse ist das verzerrte Abbild der Printmedien der Massenkultur – dieCollagen tragen Spuren dieses Ursprungs – die mit neuen Bedeutungen aufgeladenwurden.

Der Nachlass von Josef Wintjes enthält eine Fülle an Zeitschriftenschnipseln, dieWintjes für Entwürfe seiner UM-Titelbilder aus Zeitschriften, Zeitungen, Fotos,Büchern etc. gesammelt hat. Darunter befinden sich unter anderem: ein Indianerfoto,die Anleitung zum Basteln eines Lampenschirms, Filmstars, ein Bild »Rettet den Sex«,alternative Helden wie Beuys und Brinkmann...103 Diese Ausschnittsammlung ist einIndiz für die zweitrangige Bedeutung der Motive. Helmut Hartwig argumentiertähnlich, wenn er sagt, die Undergroundzeitschriften repräsentierten »offenkundig undzuallererst eine Tätigkeit, Tätigkeiten«.104 Visualisiert würden »Suchbewegungen« inunterschiedlichsten »Archiven«. »Archiv« meint hier im weiteren Sinne den allgemeinenFundus gesellschaftlich produzierten Text- und Bildmaterials, also »Lexika undKulturgeschichten«, »alte Zeitschriften und neue Tageszeitungen«, aus denen Zeichen,Bilder und Darstellungsweisen aller Art entnommen und untereinander und zu Textenin Beziehung gesetzt wurden. Gemäß dieser Interpretation, die das Suchen jenseits derInhalte in den Vordergrund stellt, bemerkt Hartwig als ersten Aspekt jener Tätigkeit »dieFreude am Finden, Assoziieren und Präsentieren von dem, was nicht zusammen gehört«(ebd.).

Der hohe Reflexionsgrad des Underground verschiebt die Grenze zwischen (naiver)kultureller Praxis und deren theoretischer Reflexion. Es sollten einmal die Collagen derZeitschriften auf das Konzept der Stilbricolage angewendet anstatt umgekehrt. DieKonzepte von Stil und bricolage sind mit der ästhetischen Praxis des Underground (derGestaltung seiner Zeitschriften) homolog. Mittels ihrer Collagen dramatisieren dieUndergroundzeitschriften die im Stilkonzept wissenschaftlich artikulierte Erfahrung.Das geschieht natürlich nicht in einer bewussten Anwendung der bricolage-Idee. Dochäußert sich im Spiel mit diesen Zeichen eine wesentlich aktivere Auseinandersetzungals zum Beispiel im Kleidungsstil der Mods. Dass der Mod, im Sinne der bricolage, sichseinen Stil aus unterschiedlichen Objekten konstruierte, unterscheidet ihn vomHeftemacher des Underground, der in den Collage die Konstruiertheit gesellschaftlicherObjekte explizit thematisierte. In den Collagen wird deutlich, wie sehr derUnderground die Welt der Bilder und Zeichen als Sinn- und Ordnungsstifter erkannte(wenn auch nicht anerkannte) und wie sehr er daran arbeitete, diesen Sinndurcheinander zu bringen.

Stiltheorie Underground 62

105 Conrad Timm: Kommunikation. In: Der Metzger 18 (1972).Hier ist anzumerken, dass Meaning of Style erst sieben Jahre später erschien. Der Aufsatz ist dieZuspitzung der Ideen, die sich in den vorangegangenen Jahren innerhalb der Cultural Studiesentwickelten.

106 UM Scenen Reader (1973/74). Die Aufforderung, mit Konventionen zu brechen, wird redaktionell –wenn auch ungewollt – an diesem Text bereits umgesetzt. Der Text ist nämlich mit der Fußnoteversehen: »Dieser Text konnte wegen technischer Schwierigkeiten an der Schreibmaschine nur mit derGroßbuchstabentastatur aufgenommen werden. Die Redaktion.« Auf diese Weise wird derProduzentenstatus transparent gemacht. Der Undergroundstil gestattet Fehler und erlaubt,dilettantisch (im Gegensatz zur professionellen, gut funktionierenden Schreibmaschine) zu sein.

103 Freunde von Josef Wintjes haben offenbar seine Leidenschaft geteilt und mitgesammelt. So ist zumBeispiel die Zeichnung einer schönen Frau im fantasy-Stil mit dem handschriftlichen Hinweisversehen: »für dein Info als Titel«. Die breite Antizipation am Sammeln verweist auf die kulturelleRelevanz dieser Praxis.

104 Dieses und die folgendenen Zitate in: Hartwig 1998.

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»An einer Stelle dieses Trumms ist eine Art Armaturenbrett, sprich Knöpfe: umEin- und Auszuschalten, die Lautstärke zu regeln, die Bildhelligkeit und denKontrast zu bestimmen sowie den Anteil der Farben. Da sich diese Funktionenbeliebig variieren lassen, könnte Fernsehen zu einer spielerischen und fastkreativen Handlung werden. Allein, jede Veränderung wird als Unterbrechungund somit negativ beurteilt, d.h. sie wird möglichst vermieden, was schon malwidernatürlich ist, denn Leben ist ja Veränderung.«107

Es ist hier nicht der Raum, die wahrscheinlich existenten empirischen Verflechtungzwischen dem kulturanalytischen Ansatz des Stils und der Undergroundkultur –zwischen dem Subkulturmilieu und der Scientific Community – herauszuarbeiten.Schon das Entstehungsdatum des CCCS 1964, die Zeit, in der sich dieUndergroundkultur entwickelte, legt die Verflechtungen nahe. Es ist auffällig, dass diezentralen Themen Medien und Subkultur Felder sind, die der Underground in seinenZeitschriften ebenfalls, im Fall der Subkultur selbstreflexiv, thematisierte. DasStilkonzept ist ein zentrales Moment der Subkulturanalyse. In den Beschreibungenwurde bereits deutlich, dass die Cultural Studies sich damit der Oberfläche profanerKultur zuwandten und ihre Bedeutung und Bedeutungskonstruktion innerhalbsubkultureller Praxis erforschten. Stil als empirischer Gegenstand wie analytischesKonzept setzt den Fokus auf die bedeutungsvolle Oberfläche kultureller Praxen underkennt bzw. anerkennt den verborgenen Sinn ihrer Gestaltung. Dick Hebdige, PaulWillis und andere Kulturanalytiker des CCCS taten damit genau das, was Stuart Hallüber die Hippies schreibt: »They made the question of style itself a political issue.« (Hall1968: 21)

Die Homologien zwischen der kulturellen Praxis des Underground und der Stiltheorietreten paradigmatisch in der Künstlergruppe Internationale Situationisten in Erscheinung,die als Vorläufer des europäischen Underground zu begreifen ist. Die Situationistenwaren in ihren mannigfachen künstlerischen Äußerungen auch Meister theoretischerProgrammatik. In ihrem Publikationsorgan Internationale Situationiste und anderenVeröffentlichungen sind Aspekte der Stiltheorie bereits vorgedacht.

Wenn die Gestaltung der Undergroundpresse Stiltheorie als Praxis bedeutet, so wirddurch die Situationisten diese Praxis wiederum in theoretische Gesellschaftskritiküberführt. Dabei repräsentieren sie durch ihren Dialog von Theorie und künstlerischerbzw. Alltagspraxis geradezu den homologen Zusammenhang jener Sphären.

In Bezug auf die Populärkultur werden im folgenden weniger strukturelle Ähnlichkeitenzur Undergroundpresse beschrieben, wie bisher vorgenommen, sondern stärker dasambivalente Spiel mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Populärkultur thematisiert.

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107 Cleve, Bastian: Gedanken zum Fernsehen. In: UM Scenen Reader (1973/74), S. 36.Collage von Peter Below für Josef Wintjes, 1975 – © Archiv für Alternativkultur

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in der Verkleidung des Konsumenten, mit überaus zuvorkommender Höflichkeitscheinbar wie ein Erwachsener behandelt.« (Debord 1996: 36)

Die Situationisten waren an einer umfassenden antikapitalistischen Umwälzunginteressiert, die einer Gesellschaft ohne Klassentrennung den Boden bereiten sollte. IhreRevolutionstheorie entwickelten sie auf der Basis der Entfremdung, der Verdinglichung,der Inszenierung und ihrer Aufhebung und sie entwarfen eine Praxis, die zu einersolchen Aufgabe fähig sein sollte. Ihre Kritik ist global zu verstehen, als Einheit vonökonomischer und kultureller Kritik und Utopie.

détournement

Die Situationisten waren Marxisten nachdem sie das Scheitern der alten revolutionärenArbeiterbewegung konstatiert hatten. Sie unterschieden sich von den traditionellenExegeten der marxistischen Lehre schon allein darin, dass sie sich, wie die CulturalStudies, mit Populärkultur auseinandersetzten. In ihrer gesellschaftlich legitimiertenFunktion kritisierten sie diese zwar (sie »verblöde[t] die Jugend in den Filmclubs«,Debord/Wolman 1995: 24). Die Situationisten prüften sie jedoch in eigenwilliger Art aufihre Tauglichkeit für eine kulturelle Revolution, die sie zuweilen »literarischenKommunismus«108 (ebd.: 23) nannten – und zwar, indem sie die kapitalistischenObjekte ›entwendeten‹ und ›umfunktionierten‹, was bereits an Hebdige Argumentationerinnert, populärkulturelle Objekte würden zu subkulturellen Zwecken »magisch«angeeignet.

Zwei Praktiken standen im Zentrum: das dérive und das détournement. In seiner Theoriedes Umherschweifens109 schreibt Guy Debord 1958:

»Eine oder mehrere Personen, die sich dem Umherschweifen widmen,verzichten für eine mehr oder weniger lange Zeit auf die ihnen im allgemeinenbekannten Bewegungs- bzw. Handlungsmotive, auf ihre Beziehungen, Arbeits-und Freizeitbeschäftigung, um sich den Anregungen des Geländes und den ihmentsprechenden Begegnungen zu überlassen.« (Debord 1995: 64)

Es ist bemerkenswert, dass die Situationisten selbst ein Lexikon subversiver Technikenerstellten. dérive wird auf die Formel gebracht:

Bastarde der Massenkultur

Der situationistische Gedanke tauchte in dem Augenblick auf (Ende der 50er Jahre), alsin den westlichen Industrieländern die materielle Ausbeutung durch Sozialprogrammeübertüncht wurde und gleichzeitig die kulturelle und psychischen Entfremdung stärkerhervor trat. Die technologischen Errungenschaften hatten zwar so existentielleProbleme der Gesellschaft wie Armut weitgehend beseitigt, jedoch war das »subjektiveEmpfinden« den objektiven Besserungen nicht gefolgt, was die Situationisten derkapitalistischen Logik anlasteten: Die »materiellen Voraussetzungen des Glücks«, wieVaneigem es 1967 nannte, schienen »durch den Überfluss der Konsumgüter«, zwargeschaffen, doch die »Ideologie des Konsumierbaren« zwinge die Menschen in eine»neue Knechtschaft« (Vaneigem 1991: 79). Guy Debord schreibt in seinem BuchGesellschaft des Spektakels:

»Der Arbeiter, von der vollständigen Verachtung [materielle Ausbeutung]urplötzlich reingewaschen [...] findet sich jeden Tag außerhalb dieser Produktion,

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108 Der Sinn dieser begrifflichen Umbesetzung entzieht sich einer genauen Definition, wie überhaupteine der Stärken der Situationisten darin besteht, marxisitischer Theorie (wieder) eine gewisseLeichtigkeit zu geben, wenn man so will, sie zum Tanzen zu bringen. Vielleicht zielt das Wort»literarisch« lediglich auf die Störung festgefahrener Bedeutungsgehalte des Wortes ab, die Öffnungdieses Gesellschaftskonzepts für Aspekte wie Kultur, Kunst und Alltag.

109 Dies ist die deutsche Übersetzung des Wortes dérive nach dem Organ Situationiste Internationale.Situationistische Internationale 1958-1969. Bd 1, Hamburg 1976, S. 19.

Organ der Internationale Situationiste Nr. 11

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Skandinavien und dem Situationisten-Kongress in Göteborg (der den Ausschluss derGruppe SPUR provozierte) wieder verließ.112

Kunzelmann ist geradezu die personifizierte Verkörperung der Verflechtung zwischensubversiven Gruppen in Deutschland und dem Internationalen Situationismus.Motiviert durch eine stärker am Alltagsleben orientierte Kulturkritik und ausgestattetmit der Formel »der Worte sind genug gewechselt«113 gründete Kunzelmann in Berlindie Subversive Aktion (mit Viva Maria als deren Organ). Inzwischen war offenbar dersituationistische »Keim« in Deutschland aufgegangen und sicherlich ist es nicht aufKunzelmann allein zurück zu führen, dass détournement und dérive die Praxis derSubversiven Aktion mitprägten. Zum Beispiel wurde eine Werbeleitertagung mit ebenjenen Mitteln empfindlich gestört. Musik von The Trashman wurde zusammen mit demMatthäuss-Passionss-Schlusschor auf Kassette aufgenommen und während der Tagungohrenbetäubend laut abgespielt.

Die Subversive Aktion war der Auftakt der Kommunenbewegung mit ihrenUnderground-Periodika Linkeck, Agit 883 und Anschlag. Das, was die Bewegung anpolitischkünstlerischer und kulturrevolutionärer Kreativität ausmachte, war hier bereitsvorweg genommen. Wie schon bei der Subversiven Aktion und in Abgrenzung zumSDS experimentierte man mit – bewusst oder unbewusst – situationistisch inspiriertenProtestformen. Die antiautoritäre Bewegung, deren symbolische wie realeManifestation die Kommune 1 ist, beschreibt Martin Reuter (1991: 29) gar als deutschesÄquivalent situationistischer Aktion, da es hier wie dort um die »Zersetzung vonSystemen und Funktionen« gehe, situationistisch formuliert um die Provokation der»Spontaneität der Massen«.114

Wie bei den Situationisten und auch inspiriert von den Amsterdamer Provos wurde dieStraße zur Agora, zum Aktionsfeld gemacht. Kunzelmann schreibt 1966 in seinenNotizen zur Gründung revolutionärer Kommunen in den Metropolen, dass »die Stadtals ein ständig neu erfahrbares Erlebnis, als Ort der permanenten gesellschaftlichenAuseinandersetzung begriffen« wurde (ders. 1991: 198). Bei den »Ku-Damm-Spielen«,wie Kunzelmann erzählt (ebd.), mimten die Demonstranten »brave Berliner Bürger«,verbargen die langen Haare unter dem Hut und zogen ihre Abitur-Jacketts an.Solchermaßen getarnt als »WeihnachtseinkäuferInnen« verteilten sie Flugblätter imKaDeWe, wo sie unter anderem – als Umkehrung traditioneller Protestbotschaften –

Bastarde der Massenkultur 69

»Mode de comportement expérimental lié aux conditions de la société urbaine:technique du passage hâtif à travers des ambiances variées. Se dit aussi, plusparticulièrement, pour désigner la durée d’un exercice de comportement.«110

Für détournement hält das situationistische Lexikon folgende Definition bereit:

»Le détournement, c’est-à-dire le réemploi dans une nouvelle unité d’élémentsartistiques préexistants, est une tendance permanente de l‹actuelle avantgarde,antérieurement à la constitution de l’I.S. comme depuis. Les deux loisfondamentales du détournement sont la perte d’importance – allant jusque’à ladéperdition de son sens premier – de chaque élément autonome détourné; et enmême temps, l’organsisation d’un confère à chaque élément sa nouvelleportée.«111

Für Détournement fand man in Deutschland den Begriff »Zweckentfremdung«, aber auchEntwendung oder Umfunktionierung. Die Utopie bestand darin, die Gesellschaftinsgesamt zu verwerfen und neu zu erfinden, indem man ihre Objekte, ihre Sprache, jaihre Gefühle entwendet und neu zusammen setzt. 1956 verkünden Debord undWolman in ihrer Gebrauchsanleitung zur Entwendung,

dass »jedes Zeichen, jedes Wort – jede Straße, jedes Werbeplakat, jedes Gemälde,jeder Text, jede Verkörperung des Glücksbegriffs einer Gesellschaft – dazugeeignet ist, in ein anderes und sogar in sein Gegenteil verwandelt zu werden.«(Debord/Wolman 1995: 26)

Der situationistische Gedanke hat sich auch in Deutschland in die Geschichtesubversiver Gruppen eingeschrieben. Hier gehört die Münchner Gruppe SPUR zu denersten, die sich – zunächst ohne direkte situationistische Bezugnahme, ab 1959 alsdeutsche ›Satellitenstation‹ des internationalen Situationismus – der Technik desdétournement und dérive bediente. Die Werke der Gruppe können geradezu als zurMalerei gewordener Situationismus interpretiert werden. So schreibt derKunsthistoriker Ottmar Bergmann über die Gruppe SPUR, der Prozess des Malens sei»den Abläufen einer dérive vergleichbar, in denen der Umherschweifende auf dieGegebenheiten des Lebens reagiert, Stoffe einbezieht, verarbeitet und mit seinenInitiativen konfrontiert« (Bergmann 1991: 119). Aber auch SPUR-Aktionen jenseitskünstlerischer Objekte waren situationistisch inspiriert. Bei einer Ausstellungseröffnungder Gruppe SPUR spielte man anstelle einer Eröffnungsrede einen Vortrag Max Bensesauf Tonband ab – der Stuttgarter Architektur-Professors war als Ideologe desfunktionalistischen Modernismus erklärter Feind der Gruppe. Die entstellte Rede wareine Collage aus abgeschnittenen Sätzen Benses. Der Gruppe SPUR gehörte zeitweiligauch Dieter Kunzelmann an, die er jedoch nach einem schönen Sommer in

Bastarde der Massenkultur68

112 In Bezug auf die Undergroundpresse muss erwähnt werden, dass der zugereiste Kunzelmann mit denSPUR-Künstlern ins Gespräch kam, weil diese in einem Schwabinger Café ihre Zeitschrift verkauften.»Mich hat schon fasziniert, dass Leute eine Zeitschrift auf der Straße verkaufen. Das war ja nichtalltäglich«, erzählt Kunzelmann in einem Interview (in: Nilpferd des höllischen Urwalds, a.a.O., S.128). Diese Form des Zeitschriftenvertriebs, 1960 noch ungewöhnlich, wurde gängige Praxis derUndergroundpresse.

113 Brief Dieter Kunzelmanns an Hans Peter Zimmer, 5.11.193, in: Nilpferd des höllischen Urwalds,a.a.O., S. 155.

114 Das Mittel hierfür sei die »Produktion von ›scandales‹. Scandale, d.h. Anstoß, Ärgernis, Entrüstung: derSkandal als ein Ereignis (Situation!), das anstößt und Anstoß, als Ärgernis erregt, worüber sich dieGesellschaft heftig entrüstet« (Reuter 1991: 29).

110 Internationale Situationiste 1(Juin 1958)1.111 Ebd.

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Entfremdung117 gegenüber denmassenhaft produzierten Objekten undvorgeformten Erfahrungsgehalten.Debord schreibt: »Da, wo sich diewirkliche Welt in bloße Bilderverwandelt, werden die bloßen Bilderzu wirklichen Wesen.« (Debord 1996:19)

Anstelle dieser Resignation solltedétournement »unsere Gleichgültigkeitgegenüber den sinnentleertenObjekten« (Vaneigem 1991: 79)deutlich machen. Es gelte, neue,erfahrungsnahe Ausdrucksformen zuschaffen: »Die Entwendung[propagiert] eine neueVerwendungsweise, bei dem dieSubjektivität zu ihrem Vorteil dasmanipuliert, was verkauft wird, umgegen sie manipuliert zu werden«(ebd.), wie der Situationist RaoulVaneigem schreibt. Dabei verschiebensich die Wertigkeiten: Durch den»Aufbau einer anderen bedeutungsvollen Gesamtheit, die jedem Element seine neueTragweite verleiht« (Vaneigem 1991: 79) wird der Entwender zu demjenigen, der die›richtige‹ Ordnung wieder herstellt. Demgegenüber ist die dominante Gesellschaft dereigentliche Abweichler, da ihr Gebrauch der Objekte (z.B. das gelangweilte Blättern ineiner Illustrierten) nahezu bedeutungslos sei. Der Rest an Bedeutung müsse zerstört, dasheißt, eine »bis zum völligen Verschwinden gehende Bedeutungsminderung eines jedenautonomen entwendeten Elements« (ebd.) vorgenommen werden. Dick Hebdigebeschreibt das Zeichensystem der dominanten Gesellschaft ebenfalls als eigentlichfalsches, als »second false nature« (Hebdige 1998: 19), wohingegen die von derGesellschaft so genannten ›devianten Gruppen‹ eine »wahre« (ebd.) Ausdrucksformerreichten, Künstlichkeit nicht geleugnet, sondern zur Schau gestellt werde:

»It is this alienation from the deceptive ›innocence‹ of appearance which givesthe teds, the mods, the punks and no doubt future groups of as yet unimaginable

Bastarde der Massenkultur 71

Gehaltserhöhungen für Polizisten forderten. Die Folge jenes Verwirrspiels war lautKunzelmann unter anderem, dass sich »Wilmersdorfer Witwen« auf dem Polizeirevierwiederfanden.

Wenn détournement auch die Gesellschaft insgesamt betraf oder betreffen sollte, sointeressiert hier vor allem die Aufmerksamkeit für Objekte der Massenkultur. Für denKulturanalyitker Greil Marcus115 folgt dieses Interesse der »dadaistischen Logik, nachder man sich alles Triviale, den Schund und die Abfälle dieser Welt einverleibt, umdieser Assemblage anschließend eine neue Bedeutung aufzustempeln.« (Marcus 1996:192) Wie erklären die Situationisten ihr Interesse an der Populärkultur? – Guy Debordschreibt, das »System« habe das Begehren der Massen umgeleitet, es zumkonsumierbaren Bedürfnis degradiert und im Warenangebot gewinnbringendwiederverwendet – Wie die Frau auf dem Werbeplakat, die ihre Kamera liebt, weil siedas Leben liebt: »J‹aime ma caméra, parce que j‹aime vivre.«116 Das Leben mutiere zumKonsumentenleben, das Erleben zum Erleben dessen, was die Warenwelt vor seinenAugen inszeniert: »Je mehr er zuschaut, um so weniger lebt er; je mehr er sich in denherrschenden Bildern des Bedürfnisses wiederzuerkennen akzeptiert, um so wenigerversteht er seine eigene Existenz und seine eigene Begierde.« (Debord 1996: 26) Vordiesem Hintergrund erscheint auch das weihnachtliche KaDeWe, diese zeitliche undörtliche Dopplung der Konsumwelt, als ideales Inszenierungsfeld subversiver Aktion.

Wo sind nun die Parallelen zur Stiltheorie? Dieser Frage soll durch eine stich-probenartige Gegenüberstellung von situationistischen Texten und Werken,Undergroundproduktionen und Dick Hebdiges Meaning of Style nachgegangen werden.Die Situationisten hegten die Hoffnung, dass das medial inszenierte und manifestierteWeltbild durchbrochen werden kann, indem die konsumierten Objekte in neueZusammenhänge gebracht, ihre erstarrten Bedeutungsgehalte aufgelöst und Raum für»Subjektivität« (was sich für die Situationisten im Assoziationsfeld von Spontaneität,Imagination und Kreativität bewegt) geschaffen würde. Über die kapitalistischenObjekte schreibt Debord, man könne »den Sinn dieser Fragmente verändern und injeder für gut gehaltenen Weise fälschen« (Debord/ Wolman 1995:21). Die Parallelenzum Stilkonzept sind virulent: »Commodities can be symbolically ›repossessed‹ ineveryday life, and endowed with implicitly oppositional meanings, by the very groupswho originally produced them.« (Hebdige 1998: 16) Mit den Gruppen, die die Warenursprünglich produziert haben, meint Hebdige die Arbeiterklasse. Sowohl dieSituationisten als auch Hebdige argumentieren also, dass der Kapitalismus dieArbeiterklasse bestohlen hätte – ihr »Begehren« bzw. die von ihnen produzierten Waren– die es nun gelte, durch détournement bzw. Konstruktion eines eigenwilligen,subkulturellen Stils zurück zu erobern. Beide artikulieren das Gefühl der

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115 Greil Marcus hat in seinem Buch Lipstick Traces die verborgenen Zusammenhänge zwischen denSituationisten und der Punk-Bewegung offen gelegt.

116 Organ der Situationistischen Internationale Nr. 11, zitiert nach: Der Beginn einer Epoche, a.a.O.,S.252.

UM Info 1+2 (1975) – © Archiv für Alternativkultur

117 In diesem Zusammenhang entspricht Entfremdung dem, was auch Conrad Timm in Der Metzgerangesichts einer immer stärker durch Zeichen organisierten Welt empfindet: »Die Ebene der Zeichen,Worte, Symbole, Straßenschilder – weit entfernt vom ursprünglichen emotionalen Kern; Informa-tionen, die von dort kommen, gehen durch viele Institutionen, bevor sie Zeichen werden,Spontaneität geht verloren, Gesetze werden selbstverständlich.« Conrad Timm: Kommunikation. In:Der Metzger 18 (1972).

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›deviants‹ the impetus to move from man’s second ›false nature‹ to a genuinlyexpressive artifice; a truly subterranean style.« (Hebdige 1998: 19)

Diese Äußerungen entziehen sich einer stringenten Beweisführung. Der ›einsameCowboy‹ auf einer vom Situationisten André Bétrands entwendeten Postkarte wirdzum situationistischen Flaneur: »De quoi t’occupes tu exactement?« fragt ein Cowboymit weißem Hut. »De la réification«, sagt ein Cowboy mit schwarzem Hut. »Je vois,c’est un travail très sérieux, avec de gros livres et beaucoup de papiers sur une grandetable. « – »Non, je me promène. Principalement je me promène.« Irgendwie gelingt esBétrands, vom Image der Freiheit, Wildnis und Unbehaustheit, von allenAssoziationsschichten, die sich im Laufe der Zeit an die Figur des Cowboys gelegthaben, den Hollywood-Pathos abfallen zu lassen. Vielleicht benutzt Dick Hebdigedeshalb so oft den Begriff »magisch«, ohne dass er je explizit würde. Man muss an dieseMagie glauben um zu verstehen, wie der Cowboy der Praxis des Umherschweifens eineneue Idee von Freiheit verleiht, ebenso, wie die Situationisten den Cowboy auf ihreWeise ›befreien‹.118

Freiheit als Werbeslogan wird auch in der entwendeten Zigaretten-Reklame in demBuch Subkultur Berlin (1969) ›befreit‹. Das Bild zeigt eine winterliche Berglandschaft, inder sich zwei glücklich lächelnde Männer und eine den Mann glücklich anlächelndeFrau zum Eisstockschießen vorbereiten – sie hält den Besen, er poliert seinen Eisstock.Alle drei rauchen Zigarette, was in diesem Setting den Geschmack von freier Natur,sportlicher (gesunder) Betätigung und Geselligkeit evoziert. Doch wurde derKommentar der Anzeige ausgetauscht: »Marx und Freud würden Haschisch rauchen«,heißt es hinter dem Rücken der lächelnden Frau. Darunter werden im Sprachstil derWerbung die Vorzüge des Haschischrauchens angepriesen: »Der andere, sie selbst,erscheinen in einer ganz anderen Weise, wie neu! Sympathie und Antipathie nehmenSie 100mal stärker wahr, Menschen, die Sie mögen, mögen Sie 100mal mehr!...« Indemdie Anzeige quasi gezwungen wurde, alternative Ideale zu transportieren, kehrt sie sichgegen ihre eigene Funktion: Der vom Underground kritisierten Konsumindustrie undihrer Bedürfnisproduktion, dem »immerwährenden Prozess von Weckung und Erfüllungdes Bedarfs«, bei dem »die Anzeige ihre eigene Rolle [spielt]«.119 Doch wird dieEntwertung mit einer Aufwertung verbunden. Die Anzeige wird zum Verbündetenwider willen, die visuell vermittelte Geselligkeit wird umgeleitet und zum Sprachrohrdes Underground, zur »Reklame« für Gefühlsintensität und Drogenrausch.

Die Massenkultur wurde zwar in ihrer bestehenden Funktion abgelehnt, sie wargleichzeitig eine Chance. So sieht René Vienet Comics als »einzig wirklich populäreLiteratur unseres Jahrhunderts« (Vienet 1995: 246). Es sei Aufgabe der Situationisten,»den Comics ihre Größe und ihren Inhalt zurück zu geben« (ebd.). Wie die Cultural

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118 Auch Jack Kerouac entwendete Comics. Er schreibt, die Beat-Generation gehe zurück »auf Verschen,die wir mit Tinte auf alte Karikaturen schmierten (Krazy Kat mit dem irrationalen Ziegel)«. (Kerouac,Jack: Beat-Glückselig. Über den Ursprung einer Generation. In: Beat. Die Anthologie, a.a.O., S. 26).

119 Subkultur Berlin. Selbstdarstellung, Text-, Ton-, Bilddokumente, a.a.O., S. 69. Titelbildentwurf für das UM Info 9/10 – © Archiv für Alternativkultur

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alternativen Verlags Hammer (die sog. Hammer-Komiks) im UM Scenen Reader als Sloganselbstbewusst und wortwörtlich aufgegriffen.122 Letztlich bedeute, so Lipp, dieseoffensive Identifikation mit gesellschaftlich Abgewertetem eine Aufwertung. DieStigmatisierten seien:

»in der Lage, ihnen [den Stigmata] zuletzt eine Wendung zu geben, die dieKarriere umsteuert, sie vom Boden gesellschaftlicher Moral – dem Schwerefeldsozialer Zuschreibung – abhebt, sie aufschwingen lässt und normativ nach obenzieht.« (Lipp 1985: 77)

»bourgeoise Schuppen«

Die Konturen dieses Bündnisses bildeten sich an einer Front besonders deutlich heraus:Wie bei der Ausweitung des Kulturbegriffs durch die Cultural Studies ist dieNobilitierung von Massenkultur durch die Situationisten und des Underground alsAbgrenzung zur traditionellen Kunst zu interpretieren. »Es ist heute offensichtlich«,schreibt der Situationist Raoul Vaneigem: »Die Epoche konsumierbarer Werte verstärktauf einzigartige Weise die Möglichkeit, neue bedeutungsvolle Gesamtheiten zuschaffen« (Vaneigem 1991: 79). Ähnlich schreibt Paul Willis: »The omnipresent culturalmedia of the electronic age provide a wide range of symbolic work and creativity ofyoung people.« (Willis 1993: 30) Anders als die Kunst der Museen würde Massenkulturvon jedem verstanden und jedem verfügbar sein (vgl. Vaneigem 1991: 80). Es war dieHoffnung auf die gesellschaftsverändernde Kraft, die einsetze, sobald die Kunst vonihren elitären Fesseln befreit und in den Alltag getragen würde. Die soziale Konsequenzdieser Utopie wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie Pierre Bourdieu dieFunktion der traditionellen, das heißt bürgerlich legitimierten Kunst, interpretiert:

»Von allen Produkten, die der Wahl der Konsumenten unterliegen, sind dielegitimen Kunstwerke die am stärksten klassifizierenden und Klasseverleihenden, weil sie nicht nur in ihrer Gesamtheit distinktiven, will heißenUnterschied und Anderssein betonenden, Charakter tragen, sondern kraft desSpiels der Teilungen und Unterteilungen in Gattungen, Epochen, Stilrichtungen,Autoren, Komponisten, etc. eine endlose Reihe von ›distinguos‹ zu erzeugengestatten.« (Bourdieu 1997: 36)

Traditionelle Kunstwerke manifestieren und rechtfertigen also gesellschaftlicheUnterschiede: Zwischen jenen, die sie verstehen und sich qua Bildung aneignen undjenen, denen sie verschlossen bleiben, unverständlich; und schon deshalb, weil dasDifferenzierungssystem von Gattung, Epoche, etc. Distinktionen plausibilisiert und

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Studies machten die Situationisten die Bedeutung der Massenkultur von ihremGebrauch abhängig. Und ebenso wie die Situationisten in der Massenkultur eineChance für gesellschaftliche Veränderung sahen (man sollte sie nur richtig einsetzen),glaubten die Cultural Studies an den kreativen Gebrauch von Massenkultur durch dieSubkulturen, deren Bedeutungskonstruktionen quer zur gesellschaftlich definiertenBedeutungshegemonie stünden. Es ging nicht um die Abschaffung der Massenkultur,sondern um die Erlangung eines »überlegenen Gebrauchs« derselben (Vaneigem 1991:79).120

Führen wir uns noch einmal die genannten Titelbilder der Undergroundzeitschriften vorAugen: Der Schriftzug des Trashfilms »Paranoia City« klebt neben einer Stummfilm-Diva, zwei Krokodilen und einer kreischenden Comicfrau. Die Szenerie einerbürgerlichen Großfamilie – der Vater liest der andächtig lauschenden Familie aus UlcusMolle vor – wird in die Comic-Ästhetik gedrängt. Der Undergroundheld Frank Zappaerscheint als Siebdruck – eine Technik der Pop-Art, die diese wiederum den Comicstripsabgeschaut hat. Eine Bau-Anleitung für einen Molotow-Cocktail, die gerade deshalbbesonders aggressiv erscheint, weil der Molotowkampf gegen die bürgerlicheGesellschaft bereits mit antibürgerlicher Ästhetik (ebenfalls als Comic) angekündigtwird. Die Literaturzeitschrift Gasolin 23 – mit der Literatur als Domäne bürgerlicherWerte – die einen martialischen Comic-Held vor dem Hintergrund eines Coca-Cola-Schriftzugs zeigt... Hier wird deutlich, dass auch für den Underground Populärkultur als»Verbündete« fungierte.

Die Sympathisierung mit gesellschaftlichen »Abfallprodukten«121 kann auch alsSelbststigmatisierung gegenüber der bürgerlichen Herkunftskultur gedeutet werden.Der Soziologe Wolfgang Lipp schreibt in Stigma und Charisma:

»Dass Menschen Stigmata ertragen, dass sie ›auffällig werden, kann am Endebedeuten, dass sie Auffälligkeiten gesucht und Stigmata auch subjektiv spontan,jenseits und durch die Stigmatisierungskarriere hindurch, die Kontrollinstanzenihnen auferlegen, übernommen haben.« (Lipp 1985: 77)

Das Stigma des ›schmutzigen Chaoten‹, des ›gesellschaftlichen Abschaums‹ lässtpopulärkulturelle Elemente zu Symbolen dieser Zuschreibung werden. So wird dieWendung »Comics sind Schundliteratur« (s. Einleitung) in einer Anzeige für Comics des

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122 UM Scenen Reader 1971.

120 Henri Lefèbvre warf den Situationisten vor, détournement sei letztlich eine elitäre Praxis. Der Philosoph,der zeitweilig mit den Situationisten befreundet war, schreibt: »Sie schlagen keine konkrete Utopievor, sondern eine Abstraktion. Glauben sie wirklich, dass die Leute einander eines schönen Tages odereines entscheidenden Abends ansehen und sagen werden: ›Genug! Zum Teufel mit der Arbeit, zumTeufel mit der Langeweile! Lasst uns dem ein Ende machen!‹ und sich daraufhin alle an der ewigenFete und der Schaffung von Situationen beteiligen?« (Lefèbvre 1967, zitiert nach Marcus 1992: 136)Die Beobachtungen der Cultural Studies können aber durchaus als eine indirekte Erwiderung aufLefèbvre gelesen werden. In ihren Studien über Arbeitersubkulturen haben sie gezeigt, dassdétournement tatsächlich eine alltagsweltliche Praxis ist.

121 Paul Willis schreibt: »gewählt werden jene Dinge, die der Kapitalismus verworfen hat,ausgemustert...« (ders. 1981: 22).

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fördert. – Bezeichnenderweise nennen die Situationisten die traditionelle Kunst »Teil-Kunst« (Manifest 1991: 80).

In den Undergroundzeitschriften finden sich Polemiken gegen traditionelle Kunstzuhauf: Kunst sei »überflüssig und auf gesellschaftliche Verhältnisse bezogen einAnachronismus« und habe »reinen Luxuscharakter«123, wie der Künstler GüntherUecker im UM Info schreibt. Der Autor Claude Pelieu wird in Ufo mit den Wortenzitiert: »Die Abschaffung der Kunst ist das Gebot der Stunde.«124

Mit der Hinwendung zur Populärkultur sollte das künstlerische aber auch kulturelleRegelwerk unterlaufen werden.125 Paul Willis entschlüsselt bei den Hippies eineGesellschaftskritik, deren Sprengstoff gerade in der Aneignung profaner Kulturbegründet war. Sogar noch vor der Art und Weise der Umdeutung kann die Tatsache derAneignung als Provokation gesehen werden. »Das Ätzende der profanen Kultur frisstdie bourgeoisen Schuppen von dem Alltäglichen« (Willis 1981: 23), schreibt Willis, undmeint damit den Angriff auf einen Lebensstil, der sich über klassische Musik undLiteratur erfolgreich autorisierte und in dem Moment relativierte, wo an die Stelle dieserGüter Populärkultur, die anderen Milieuzusammenhängen entstammte, gestellt wurde.

Die Anzeige der Literaturzeitschrift Gasolin 23 macht den Bedeutungswandel vonKunst, hier Literatur, deutlich:

»Gasolin 23! Wüste Stories! Unsägliche Gedichte! Himmelschreiende Heuler!Internationale Schizo Comics! Liebesgrüße aus dem Szenen Puff!Nach der legendären Nr.1 (mittlerweile verschollen) wälzten sich unsere Leserauf dem Boden und schrien mit Tränen in den Augen: AUFHÖREN!Da sagen wir uns: Jetzt erst recht! Und machten die Nr.2:FAUSER begleitet die ROLLING STONES auf einer Tournee durch persischeOpiumhöhlen!PLOOG jagt einen levantinischen Dealer in den Slums von Bangkok!WONDRATSCHEK versucht ein lesbisches Fotomodell im Rucksack durch denZoll zu schmuggeln!

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123 UM Info 5 (1971).124 Ufo (Juni 1971).125 Comics durchbrechen es schon allein deshalb, weil sie die heilige Trennung von Text- und Bild-Genres

(Literatur und bildende Kunst) unterlaufen. Hierzu als Beispiel die Äußerung eines Pädagogen der›alten Schule‹, der Comics mit der Bilderschrift »primitiver Kulturen« vergleicht: »Sicherlich klebt derursprünglichen Bilderschrift der Mangel einer beschränkten Ausdrucksfähigkeit an und macht sie zurMitteilungsform eines wenig kultivierten Volkes, die die einfachen Vorgänge des Lebens schriftlich zufixieren gestattet und die ohne Kenntnis der Sprache oder Mundart verständlich ist.« (Willy K. Cordt:Der Rückfall ins Primitive. In: Westermanns pädagogische Beiträge. Eine Zeitschrift für dieVolksschule. 6.Jg, H4, 1954, S.161) Das Wort »Bilderschrift« impliziert, dass hier zweiÄußerungsformen – Bild und Schrift – noch verbunden seien, die sich einer Evolutionslogik gemäßvoneinander trennen würden und müssten. Signifikant ist dabei das Wort »klebt«. Es impliziertVerunreinigung, Ekel vor etwas, von dem man sich reinwaschen muss: Das Bild lässt vom Wort nichtab, klebt an ihm wie ein alter, von der Straße staubiger Kaugummi, kettet das geschriebene Wort, dasdoch zu Höherem strebt, nach unten ans Primitive. Literaturzeitschrift Ufo 2 (Oktober 1971) – © Archiv für Alternativkultur

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»ABC des Konsumenten«

Populärkultur zerfraß nicht nur die »bourgeoisen Schuppen«, ihre Ästhetik wurde nichtnur, im Gegensatz zur Hochkultur, von allen verstanden, sondern man war auchüberzeugt, dass diese Ästhetik von allen hergestellt werden konnte. In Betonung derEinfachheit des Verfahrens formulierten die Situationisten ihr »ABC des Konsumenten,der aufhören möchte, einer zu sein« (Vaneigem 1991: 80) – die Hoffnung, mittels deseinfach herzustellenden détournement eine massenhafte Kunstproduktion anzuregen, dieletztlich die kulturelle Revolution einleiten würde. Der Charakter der Massenkultursollte der Art entsprechen, mit ihr umzugehen. Nicht nur populärkulturelle Motivewurden entwendet, sondern auch ihre Technik. Wenn den Rohstoff »Bruchstücke,Schrott, Abfall, Vorgefertigtes vergangener Epochen« bildeten, so sollten dievorgeschlagenen Verfahrenstechniken »epigonal«, »dilettantisch«, »parasitär«,»idiotisch« (Nilpferd 1991: 35) sein – für die Situationisten die Technik von Collage undMontage (vgl. ebd.). Letztlich sollte der Abfall gerade durch den schäbigen Umgang imSinne der marginalen Gruppen aufgewertet werden.

Innerhalb des Underground gab es ähnliche, wenn auch nicht so ausgetüftelte,Anleitungen zur Kunstproduktion ›für alle‹. Ein prominentes Beispiel ist WilliamBurroughs Einweisung in die Cut-up-Technik, die er mit den Worten kommentiert:»Jeder kann Collagen herstellen.« (Bourroughs 1993: 85) Dabei zitiert Burroughs denDadaisten Tristan Tzara: »Dichtung ist für jedermann.« (ebd.) Auch Jürgen Ploog forderteine Ausweitung der Kunstproduktion: »Alle sollen gleichzeitig produzieren/kreativsein (nicht von einem Punkt aus); daher bedarf es demokratischer Ausdrucksmittel.«128

Diese Ausdrucksmittel glaubte man in der einfachen Ästhetik der Populärkulturgefunden zu haben. In pathetischem Gleichheitsgefühl sprach man innerhalb desUnderground jedem Einzelnen die Fähigkeit zu, sich kreativ an der subkulturellenProduktion zu beteiligen. Im Sinne des Ausspruches von Josef Beuys, dass jeder Menschein Künstler sei, ruft fast jede UndergroundZeitschrift zur kreativen Teilnahme auf:»Versucht etwas aufzubauen! Ihr wisst nicht was? [...] Versucht eure Gedanken undIdeen anderen mitzuteilen (Kommunikation), bedient euch dabei irgendeines Mediumswie z.B. Tonband (Hörspiel), Film, Komik.«129

Gerade selbstgemalte Comics wurden gerne eingesandt, um diesem Credo zu folgen.Im Gegensatz zum vorgeschlagenen Film oder Hörspiel waren sie tatsächlich einfachherzustellen. Die Aufforderung zum do-it-yourself-du-kannst-es schien jedes Comicbildin sich zu tragen. Die Botschaften, die in diese Bildgeschichtchen gepackt wurden, sind– im Gegensatz zu situationistischen Comics – oft von rührender Banalität. Doch dieÄsthetik transportiert die eigentliche Philosophie: im alten romantischen Sinne wirdTechnik durch Leidenschaft ersetzt, die exklusive Haltung der bestehenden Elite durchdie Sprache des kleinen Mannes und die bürgerliche Unterhaltung beziehungsweise die

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WEISSNER kriegt bei einer Goofball-Party in San Francisco die Motten undflüchtet in die Wüste von Arizona!BUKOWSKI kriegt in Los Angeles Schwulitäten weil er sich der Mutter einesBullen unsittlich genähert hat!PLUS: Pélieu! Mr.Schizo! Kerouac! Ginsberg! John Dillinger!«126

Die Anzeige ist quasi eine auf den Kopf gestellte Waschmittelwerbung. Bemerkenswertist ihr Stil: Kurze Parolen und klare Messages. Die Autoren und ihre Geschichtenwerden wie aus einem Kuriositätenkabinett vorgeführt. Marktschreierisch preist manihre Exotismen an und ergeht sich dabei in Superlativen, die die Masse anAusrufezeichen auf die Spitze treibt. Der schrille Ton der Attribute »wüst«, »unsäglich«,»himmelschreiend« erinnert an Jahrmarktplakate, die skandalschwanger das Publikumanlocken. Das Kulturgut Literatur wird unverblümt angepriesen, durch bloße QuantitätEindruck geschunden (die Reihe Autoren wird kurz und schlaglichtartig aufgeführt undam Ende auch noch ein »Plus« gesetzt, auf das weitere ›Names‹ folgen). Aus derverkaufsheischenden Absicht wird kein Hehl gemacht und somit der hehre Anspruchgebrochen, der der konventionell-konservativen Literaturproduktion anhaftet. Literaturwird einerseits in den Konsumbereich gerückt und in dieser Form der Entwertung vonbildungsbürgerlichen Assoziationen befreit. Andererseits bricht der Inhalt jeneKonsumwelt, auf die der Ton Bezug nimmt. Eine Welt der »Schwulitäten«,»Opiumhöhlen« und »lesbischen Fotomodellen«, jene Welt des Underground, brichtironisch den Werbeslogan-Ton, der der Welt des ›Overgrounds‹ (der »square« Welt)entstammt und stellt diesen Ton aus. Darüber hinaus wird in dieser Satire auf dieKonsumgesellschaft elegant ein zentrales Problem des Underground umgangen: Dass ersich einerseits als Gegenmodell zur verkaufsorientierten Gesellschaft begriff,andererseits aber auch die Undergroundzeitschriften, -raubdrucke, etc. finanziert undim Zuge dessen auch beworben werden mussten. Die Gefahr, sich dadurch selbst aufdie Anklagebank zu befördern, wurde durch die Offensive umschifft: Die Gasolin 23-Anzeige macht aus dem Zwang des Verkaufens ein Spiel.

Wenn Literatur in die Nähe der Werbung gebracht wurde, so die bildende Kunst in dieNähe von Comics. Genauso wie die Situationisten den Comic-Ikonen neue Aussagen inden Mund legten (und umgekehrt die Figuren eines barocken Gemäldes plötzlich wieMicky Maus redeten) begannen Kunststudenten sich in jener Zeit für dasComiczeichnen zu interessieren; zum Beispiel der amerikanische Comic-ZeichnerJustin Green, der in den 60er Jahren an der Graduate School of Fine Arts an der SyracuseUniversity studierte. Green betont das Unkommunikative der traditionellen Kunst, die»inaccessibility of art«, und beschreibt seinen Wechsel von der Kunst- zur Comic-Produktion als Befreiung: Er war »no longer burdened by pretentious notions of makingart« (Green, zitiert nach Estren 1974: 68).127

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128 Jürgen Ploog: Ufo. In: UM Scenen Reader 2 (1972), S. 47.129 Honk 1 (1972).

126 UM Scenen Reader 1973/74.127 Zumindest in Großbritannien hängt die Hinwendung zur Populärkultur an den Kunstschulen auch mit

dem Education Act zusammen. Von nun an hatten auch Kinder der Unterschicht Zugang zu denColleges, die in der Pop-Art etc. auch die Kultur thematisierten, mit der sie groß geworden waren.

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Doch auch im Comiczeichnen schlägt die Sympathie für Populärkultur zur Kritik an derMassenware Comic um. Wie das Layout der Undergroundpresse einen »gegenüber derPerfektion der Massenmedien handwerklichen Herstellungsprozess widerspiegelt«(Hartwig 1997: 15), galt das Krakelige der Zeichnungen als Statement gegen dieprofessionalisierte Form gängiger Comicstrips. Gegenüber der glatten Oberfläche einesSuperman-Comics – in der Zeichentechnik wie im Wesen perfekt und unantastbar –tragen die selbstgefertigten Comics, selbst die professionelleren Undergroundcomix,noch die Spuren eines Autors. Die »Gemachtheit« ist ihnen anzusehen.137

Im Sinne der Situationisten wurde das Abfallprodukt Comic durch »abfällige«Bearbeitung aufgewertet. Es war eine neue Ästhetik, die dem Lebensstil der gesamtenGruppe entsprach und auf die potentiell jeder gestalterisch einwirken konnte. Der›hausgemachte‹ Charakter, das absichtlich Dilettantische sind Stile, die die Distanz zumLeser oder Betrachter überbrücken sollen. Den Zeitschriften ist anzumerken, dass sie inirgendeinem Hinterhofwohnzimmer hergestellt wurden und das sollte auch vermitteltwerden. Die Produzenten der Undergroundpresse inszenierten sich als ›Typen wie duund ich‹. Die vielen Tippfehler, das Zusammengestöpselte der Beiträge, all dieseMerkmale konterkarierten Autorität und senkten die Hemmschwelle, sich selbst zubeteiligen.

Blickt man auf die Musik des Underground, so ist ein ähnlicher Pathos der Teilhabe zubeobachten. Die Musikgruppe Ton, Steine, Scherben gibt im UM Scenen Reader folgendesStatement ab:

»Lieder sind zum Mitsingen da. Ein Lied hat Schlagkraft, wenn es viele Leutesingen können. Unsere Lieder sind einfach, damit viele sie mitsingen können.Wir brauchen keine Ästhetik; unsere Ästhetik ist die politische Effektivität. UnserPublikum ist der Maßstab und nicht irgendwelche ausgeflippten Dichter. Vonunserem Publikum haben wir gelernt, Lieder zu machen, nur von ihnen könnenwir in Zukunft lernen, Lieder für das Volk zu machen.«138

Letztlich kann diese Praxis als Versuch gesehen werden, die Trennung zwischenProduzent und Leser aufzuheben, wie sie in allen revolutionären Ästhetiken zu findenist (vgl. Hebdige 1983: 102). Wenn sie sich auch meist in der Trennung zwischenKünstler und Publikum ausdrückt (Brecht, die Surrealisten, Dada, Marcuse) so bestehtdie Parallele zu den Zeitschriften doch darin, dass das hierarchische Verhältnis zwischenSchaffenden und Annehmenden aufgehoben ist – für Hebdige eine Metapher für jenegrößeren und unüberschreitbaren Barrieren, »die Traum und Kunst von der Wirklichkeitdes Lebens im Kapitalismus trennen« (ebd.). Wenn auch bei all dem demokratischenPathos nicht vergessen werden darf, dass sich die Demokratisierung kultureller

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klassische Auffassung von ›hoher Kunst‹ durch fröhliche Unprofessionalität. In derZeitschrift Zoom gibt es einen do-it-yourself-Comic130: bebilderte bzw. noch zubebildernde kleine Kästchen sind auszuschneiden und neu zusammen zu fügen. Dieserdo-it-yourself-Comic (die Idee eines »Studenten im 18. Semester«) findet in FausersRohstoff Erwähnung131:

»Ja, da hab ich mir folgendes gedacht, ich skizziere dir das mal. Ich mache hierzwei Spalten, in die tue ich lauter Comic-Symbole – Blumen, Buchstaben,Zeichen, Chiffren. Und in die Spalte rechts tue ich gar nichts, da sollen die Lesersich ihren eigenen Comic machen. Weil, selber machen ist besser als vorgemachtbekommen.«132

Bescheidenere Äußerung jenes Wunsches nach Teilnahme ist das Nachmalen bekannterComicfiguren. In Honk wird ein Speedgedicht mit der unbeholfenen Nachahmung einesFreak-Gesichts (»frei nach R. Cobb«, einem der bekanntesten Underground-Cartoonisten) verziert (und damit das Speedgedicht vielleicht auch autorisiert).133

Die Legitimierung einfacher Reproduktion (gleich der Populärkultur und im Gegensatzzu traditionellen Kunstwerken mit originärer Autorschaft) sollte jeden amSchaffensprozess beteiligen. »Kopieren als Methode ist keine Schande!«134, ist inHammer Komiks zu lesen. Es war das Ideal frei flottierender Ideen, an denen jedergleichzeitig Teil hat. So durften und sollten auch die Produzenten derUndergroundzeitschriften die jeweils anderen kopieren. Diese Praxis bekam sogar einLogo, ein Kreuz in einem Kreis, das »Do copy«135 meinte. Im Zuge dessen wurden auchsog. Underground-Syndikate gegründet als gemeinsamer Brainpool und unlizenzierteAustauschagentur für alle an ihr beteiligten Zeitschriften.136

Bastarde der Massenkultur80

137 Der Underground Cartoonist Robert Crumb wird in der amerikanischen UndergroundzeitschriftCollage und in der deutschen Viva Maria mit den Worten zitiert: »With mass-production there isalways a lack of quality.« Collage 3 (1970) 1, Viva Maria 1 (Oktober 1971). Manche Undergroundcomixwerden deshalb auch als »Homemade Comix« bezeichnet.

138 Ton, Steine, Scherben: Musik ist eine Waffe. In: UM Scenen Reader 2, 1972.

130 Zoom (Mai 1971).131 Die Frankfurter Zeitschrift Zoom wurde von Jörg Fauser mitherausgegeben. Er nennt sie in seinem

Roman allerdings Zero. Zero wiederum ist eine ebenfalls real existierende Zeitschrift und auch siewurde von Fauser mitherausgegeben. Entweder hat Fauser also im Erinnern die Namen verwechseltoder aber, was wahrscheinlicher ist, mit den Namen, mit Realität und Fiktion, gespielt. Wie zumBeispiel auch real existierenden Personen neue Namen angedichtet wurden. Josef Wintjes heißt AldoMoll (was wiederum an seine Zeitschrift Ulcus Molle anspielt), Jürgen Ploog heißt Anatol Stern, etc.

132 Fauser, a.a.O, S. 99/100. Fauser findet diese Idee übrigens reichlich »kindlich«: »Ich meine, wer setzt sich denn zu Hause hinund schneidet mit der Schere diese Schnipselchen aus und klebt sie zusammen?« – Aber letztlich istder Underground auch eine Feier der Kindlichkeit, Unbefangenheit, Naivität. Raymund Martinschreibt über die Päng: »Wir machen unsere Zeitschrift aus dem gleichen Grunde, aus dem kleineKinder herumrennen, schreien und Lärm machen.« Anzeige der Päng. In: Reise ins Innere. EinmaligeAusgabe 1975.

133 Honk 1 (einmalige Ausgabe 1972).134 Hammer Komiks 4 (10.10.1971) 1.135 Päng 3 (1971?).136 Das erste Syndikat wurde im Sommer 1966 in den Redaktionsräumen der New Yorker East Village

Other gegründet. Dieses United Press Syndicate (UPS) entwickelte sich zu einer weltweitenOrganisation mit zeitweise mehr als 300 Mitgliedsblättern (vgl. Bushoff 1983). Für Deutschland sindUnited Press Nürnberg (UPN) zu nennen, von Raymund Martin gegründet, und die Züricher Fun EmbryoInformation (Urban Gwerder).

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Möglichkeit zu neuen, nochunbekannten Ausdrucks-formen zu gelangen, sollmöglichst universal angedeutetwerden« (Müller 1982: 10),schreibt Wolfgang Müller ineinem dem Punk gewidmetenBuch des Merve Verlags144, dasdie Programmatik im Titelträgt: Geniale Dilletanten. Dietieferen Bedeutungsschichtenvon Underground und Punküberlappen sich. Dassignifikante Stottern des Punkfindet sich bereits in derRockmusik – Peter Glotzschreibt, die »Sprache derSubkultur« sei zuweilen nur»intensives Stammeln«145 –und ist vielleicht derangemessenste Ausdruck derIrritation gegenüber einer alschaotisch und unverständlichempfundenen Welt. Manbeanspruchte für sich, ein zwar mitunter hässliches, dafür aber ehrlicheres Bild derGesellschaft zu entwerfen: »Die Entwicklung unter Einbeziehung aller möglichen undangeblich unmöglichen Bereiche, kann einen universellen Ausdruck finden, dem dieProfis hilflos unterlegen sind.« (Müller 1982: 10) So beschreibt Stuart Hall die Aufgabeder Massenmedien dahingehend, den »increasingly fragmented and sectionallydifferentiated lives« die Illusion von Kohärenz zu geben (vgl. Hebdige 1998: 85). In dievon den Medien erzeugte Einheitssprache, die Illusion der glatten Oberfläche, wurdedie sperrige, eben nicht stromlinienförmige Realität eingebracht. Erst indem man sichden Ecken und Kanten stellte, wurde die Basis für notwendige gesellschaftlicheWeiterentwicklung geschaffen. Der im Dilettantischen wieder zugelassene Zufallmusste »systematisch erforscht werden«, wie eine Parole der Mai-Revolte 1968 in Parislautete (Marcus 1996: 35). Müller schreibt:

Bastarde der Massenkultur 83

Produktion letztlich auf das Undergroundmilieu beschränkte – also der, wenn auchabtrünnigen, Ober- und Mittelschicht.

»Geniale Dilletanten«139

Die Aufwertung des Dilettantischen drückt sich auch in der Musik des Undergroundaus. Auch hier wertete man die spontane Idee weit wichtiger als die handwerklicheUmsetzung. Der Radiojournalist Wolfgang Kos schreibt über die Musik der »68erGeneration«140: »Kunst und Musik wurden plötzlich befreit vom deutschenKlassikervorwurf, dass sie nicht tief oder erhaben genug seien.« (Kos 1998: 183) DieMaßstäbe und Wertigkeiten verschoben sich. Junge, 17 Jahre alte Musiker traten auf denPlan, die ein halbes Jahr später schon berühmt sein konnten. Hier gab es tatsächlich eineChance für sozial benachteiligte Jugendliche der Unterschicht, die sich keineMusikschule leisten konnten. Ihr Können bestand gerade darin, nie Musik gelernt zuhaben. Kos nennt es die »Authentizitätsbehauptung«: »Das war ein Hauptaspekt der68er-Idee: Wer nicht verschult, also nicht in die Zwangsjacke der Ausbildung gestecktwurde, hat die Chance, spontan, offen und ehrlich zu agieren.« (ebd.) Man empfanddiese nach traditionellen Maßstäben unprofessionelle Musik als »intensiver, echter undgroßartiger« (ebd.). Die Rede, Bob Dylan sei berühmt geworden, obwohl er nicht singenkönne (vgl. ebd.), ist inzwischen zum Klischee geworden. Zu dieser Philosophie gehörteauch das bereits erwähnte »Klauen« verschiedenster Musikstile: vorgefertigteVersatzstücke der Musikgeschichte, wurden experimentell zusammen gefügt.141

In der Leidenschaft für Dissonanzen wollte man zu neuen, ungehörten und -gesehenenAusdrucksweisen finden. Das Stottern von Roger Daltrey (The Who) in dem SongTalking about my generation gehörte ebenso dazu wie Charlie Watts’ (Rolling Stones)Disposition, mit seinem Schlagzeug immer einige Zehntelsekunden hinterher zuhinken.142 Was sich in der Undergroundbewegung bereits andeutete, brachte später derPunk auf den Punkt143: »Das Ver-spielen, das Ver-schreiben als positiver Wert, als

Bastarde der Massenkultur82

139 Orthografische Fehler der Originalzitate werden übernommen.140 Kos spricht generalisierend von Rock- wie auch Popmusik.141 Letztlich wurde damit der Weg bereitet für das eklektizistische Sampeln der späten 90er Jahre und für

selbstbewusste Verteidigungsstrategien, für die der Rapper Sean Comb alias Puff Daddy berühmtwurde: »Entschuldigung, aber wir kommen nun mal aus der Inner-City, wo die Eltern zu arm sind, umihren Kindern Schlagzeugstunden zu bezahlen oder ihnen ein Schlagzeug zu kaufen. Es tut mir sehrLeid, aber wir alle haben nie eine Musikschule besucht. Wir hatten nichts, außer ein paar altenSchallplatten, und dadurch habe ich Sampeln gelernt – und ich bin stolz darauf.« Gott ist mein besterFreund. Interview mit Puff Daddy, in: taz vom 3.9.1999.

142 Hier ist jedoch anzumerken, dass diese Aussagen nicht auf alle Musikrichtungen jener Zeit zutreffen.Die Folkmusik von Simon and Garfunkel zum Beispiel war sehr melodisch und alles andere alsfehlerhaft. Auch wurde das Dilettantische mitunter absichtlich inszeniert, um eben jenerAuthentizitätsforderung gerecht zu werden.

143 Legendär ist der Propaganda-Slogan des britischen Punk-Fanzines Sniffin Glue, eine Zeichnung mit dreiFingerstellungen auf einem Gitarrenhals, und darunter der Spruch: »Here’s one chord, here’s twomore, now form your own band« (zitiert nach Hebdige 1998: 112). Malcolm McLaren, der Managerder Sex Pistols, hatte diesen Dilettantismus zu Geld zu machen verstanden: »Mir fiel auf, wie genialsie waren, um so schlecht zu sein.« (Mc Laren zitiert nach Marcus 1996: 51)

144 Der Merve Verlag selbst ist ein Kind des Underground. Zu Gunsten der Möglichkeit, unorthodoxenTheorien ein Forum zu bieten, und das möglichst schnell, wurde eine billige Herstellung(minderwertige Druckqualität, orthografische Fehler) in Kauf genommen.

145 Glotz, Peter: Tunix. In: Bohemien 1981: 313.

Situationisten

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»Fehlerhafte sprachliche Ausdrucksformen, wie Stottern, das Verschlucken vonWörtern, Vergessen von Textteilen bei Gesangseinlagen sind für den Dilletanteneben Realität und interessantes Forschungsgebiet, das bei eingehenderBetrachtung neue Formen erzeugt.« (Müller 1982: 10)

In einer als chaotisch empfundenen Welt sollte die Welt des schönen Scheins als dieeigentlich Fehlerhafte kenntlich gemacht werden.

Die Seiten der Undergroundzeitschriften tragen den situationistischen Gedanken insich, wenn auch Ideen und Umsetzung der Situationisten intellektueller sind. Ohnehinbeanspruchen die Situationisten das détournement nicht für sich. Es werde »nicht als eineeigene Erfindung ausgegeben«, so Debord und Wolman, »sondern im Gegenteil als eineziemlich allgemein verbreitete Praxis, deren Systematisierung wir beabsichtigen.«(Debord/Wolman 1995: 26) Wie auch den Stil der Undergroundpresse zeichnet diesituationistischen Bilder jene der Populärkultur entwendete, einfache und schnell zuproduzierende Technik (z.B. Comic-Strip) aus. Ähnlich wie bei den Collagen und Cut-ups der Undergroundzeitschriften liegen im détournement Feier und Zerstörung derPopulärkultur, ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, ihrer Ästhetik und Motive, dichtbeieinander. Man stellte sich quer zum hehren Kunstanspruch (demgegenüberPopulärkultur Abfallprodukte waren), man suchte nach demokratischenAusdrucksformen – für jeden verstehbar und für jeden zugänglich – und nachAusdrucksformen, die Makel und Fehler besitzen – wie die von der Gesellschaftausrangierten und von den Entwendern derangierten Konsumartikel.

Die aufgezeigten Parallelen zum Stilkonzept untermauern den Verdacht, dassbestimmte Ideen, sei es bricolage oder détournement, eine breite kulturelle Strömungdarstellten, die sich von der Scientific Community bis hin zu Subkulturenländerübergreifend erstreckte. Es erhellt die Verflechtungen zwischen kultureller Praxisund Theorie, die vor diesem Hintergrund nicht über der Gesellschaft steht, nicht autarkvon ihr zu denken ist (wie es konservative Auffassungen von Wissenschaft implizieren).

Bastarde der Massenkultur 85

Der Metzger 27 (1977) – © Archiv für Alternativkultur

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Echte Helden 87

vormals getrennter Bereiche – Gerichtswesen, Medien, gelebte Erfahrung, Kunst, etc. –ist für den Underground charakteristisch ist. Was den gesellschaftlichen Symbolen –vom amtlichen Schreiben bis zur Zigarettenwerbung – angetan wurde, wurdegleichzeitig der Gesellschaft angetan und umgekehrt (wobei die realen Eingriffe oftwieder ästhetisch Qualität besitzen). Einige Beispiele dieser Überlagerungen möchte ichhier vorstellen:

Echte Helden

Das Stilkonzept der Cultural Studies sowie die revolutionären Anleitungen derSituationisten betonen die gesellschaftliche Realität und Relevanz ästhetischerProvokation. Die Collagen bedeuteten mehr als die Spielerei mit Zeichen. Sie warenexistentielle Störung einer Gesellschaft, die sich, wie Roland Barthes darstellt, über dieOrdnung ihrer Symbole konstituiert.

Gleichwohl begnügten sich der Underground und die Situationisten nicht damit. Denngerade die Realität der Zeichen, wenn sie auch das Rohmaterial des Stils lieferten,wurde immer wieder in Frage gestellt. So schreibt Bastian Cleve in seinen »Gedankenzum Fernsehen«: »ein Bild bleibt ein Bild auch auf supergroßer Fernsehröhre;Realitätsersatz, der bestenfalls eigene Aktionen stimulieren könnte«.146 Und JürgenPloog: »Die Zeitung als Ersatzwirklichkeit als mehr oder minder geschickter Versuch,ihre Wirklichkeit zu verkaufen.«147 Vielmehr war – wie auch bei den Situationisten – dieästhetische Provokation untrennbar verbunden mit ›realen‹ Eingriffen ingesellschaftliche Abläufe. ›Real‹ meint, dass gesellschaftliche Institutionen wie Polizei,Gerichtswesen oder Universitäten direkt angegriffen wurden, wovon dieUndergroundpresse dann berichtete. Beispielsweise wurde der CDU-AbgeordneteWohlrabe öffentlich als »Trockenpisser« bezeichnet. Die Linkeck Nummer 6 befasst sichausführlich mit den gerichtlichen Konsequenzen dieser Erregung öffentlichenÄrgernisses. Die aus dieser Aktion entstandenen Gerichtsprotokolle wurdentriumphierend (im Original) in den Undergroundblättern abgedruckt. Sie warenTrophäen der Humorlosigkeit und Spießigkeit der Gesellschaft und der Starrheit einesSystems, das selbst auf zotige Provokation mit den immer gleichen bürokratischenFormeln reagiert. Richterliche Gewalt wurde ad absurdum geführt, indem sie dazugebracht wurde, sich auf pubertäre Späße wie die Bezeichnung des CDU-AbgeordnetenWohlrabe als »Trockenpisser« einzulassen. Das richterliche Dokument wurde selbst zurZote. »Die Unantastbarkeit der ganzen korrupten Sippe (Anwälte...)«, wie es in Linkeckheißt, wurde »in Frage gestellt«.148

Entscheidend ist aber nun, dass sich ästhetische, reale und imaginäre (die realenGeschichten werden oft weiter gesponnen) Angriffe auf die Gesellschaft überlagern.Zum Beispiel wurden die Gerichtsprotokolle in den Undergroundzeitschriften nocheinmal mit Bildchen oder Hingekritzeltem kommentiert. Gerade die Zusammenführung

146 Cleve, Bastian: Gedanken zum Fernsehen. In: UM Scenen Reader (1973/74), S. 36.147 Ploog, Jürgen: Ende des Pawlow Kosmos. In: Ufo 2 (Oktober 1971).148 Linkeck 6, o.J.

Päng 6 (1972) – © Archiv für Alternativkultur

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vorgeführt, dass diese Schemata nicht zu einer Zeitschrift – und damit zu einerbestimmten Lebensweise – passten, die, ebenso wie die Handschrift im Gegensatz zurnormierten Druckschrift, organisch und wandelbar war. »Jawohl, wir sind verrückt«,steht über den Angaben, womit der Laxheit der Angaben noch eins drauf gesetzt wurde.Ironischerweise steht diese Selbstaussage gerade in Druckschrift da: der explizitenProvokationen wird in der Nachahmung des ›amtlichem‹ Stils Nachdruck verliehen.

Darüber hinaus ist in einer kleingedruckten Kopfzeile zu lesen: »Gegen die Flutminderwertiger Jugendliteratur vermögen nur gut gestaltete Jugendzeitschriftenanzukämpfen«. Ebenso wie das Urkunden-Zierrat ist auch diese Zeile in ihremursprünglichen Kontext staatstragend. Umso effektvoller ist sie, als sie originalgetreuaus einer Zeitschrift für Jugendschutz herausgeschnitten wurde. Ihr autoritärerCharakter (noch dadurch unterstrichen, dass die Zeile besonders klein gedruckt ist, undim Kleingedruckten bekanntlich die Tücken verborgen sind) wird mit der Schere lahmgelegt. In Gegenüberstellung zu dem handschriftlichen Text des Impressums, zu dem(teils gezielt geschmacklosen) Charakter der Päng überhaupt, werden diese, nun völligüberholt wirkenden Zeilen ausgestellt und vorgeführt. Ihr Anachronismus wird deutlichangesichts einer u.a. in der Päng ausgelebten Jugendkultur, die von »gut gestaltetenJugendzeitschriften« nichts wissen möchte. Zumindest ästhetisch hat die Pänggegenüber der sauberen Zeile den Sieg errungen. Fröhlich pfeift sie auf »guteGestaltung« im konventionellen Sinne und mischt in (scheinbar) munterer WillkürBilder, Fotos, Kritzeleien. Innerhalb des Impressums hingegen findet sich eine fastoffene Kampfansage an eine Gesellschaft, die »gut gestaltete Jugendzeitschriften«fordert. Der Zeile für Jugendschutz kontrapunktisch gegenüber gestellt befindet sich einprogrammatischer Satz über den Underground. Auch dieser Satz wurde hineinmontiert– ausgeschnibbelt wahrscheinlich aus einer anderen Underground-Zeitschrift odereinem alternativ verlegten Buch, derart unmittelbar entnommen, dass der Riss nochspürbar ist, weil der Satz erst bei seiner Hälfte beginnt: ...»,Untergrund‹ eineGesellschaft konstituiert, die die Weichen für die Zukunft stellen wird.«

Die Anarcho-Zeitschrift Charlie Kaputt150 geriert sich wahrhaft poetisch. Auf einerganzen Seite, noch in die zweite hineinreichend, ist kreuz und quer gestempelt worden,und zwar mit Universitätsstempeln: »Ungültig«, »Beurlaubt«, »Der Rektor i.A.«,»Gestrichen«, »Vorstehende Abschrift - Kopie - stimmt mit dem Original überein«. DasDatum des Stempels »Sommersemester 19..« wurde durchpermutiert: »1968«, »1970«,»1973«...

Die zum Tanzen gebrachten Stempel sind ein treffendes Symbol der Travestiebürokratischer Mechanismen, Schablonendenkens, Normierungsverfahren anonymerVerwaltungen, etc. Sie setzen zumindest potentiell kriminelle Energien frei (aus einemin die Seite montierten Megafon quillt die Botschaft: »Diebe können damit wichtigeDokumente fälschen«) und unterlaufen universitäre Autorität. Vor allem aber, und das

Echte Helden 89

Der veränderliche Charakter der Zeitschriften durchkreuzte das konventionelleZeitungsschema. Was auf symbolischer Ebene bereits angedeutet wurde, konnte realeKonsequenzen nach sich ziehen. Die Ordnungsmacht fühlte sich ja tatsächlich bedroht,viele Erzeugnisse der Undergroundpresse wurden beschlagnahmt. Die Päng-Kommuneerhielt im Sommer 1972 ein Schreiben des Polizeipräsidiums der Stadt Nürnberg, indem es die ordnungswidrige Publikationsweise der Päng Nr. 5 anmahnte. EinDruckerzeugnis wie die Päng, das nicht einzuordnen war, das ein Impressum miteindeutiger Angabe von Drucker und Verleger vermissen ließ, rief die Polizei auf denPlan. Das chaotische Gebaren des Underground vollzog sich nicht nur symbolisch,sondern legte die Dimensionen staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung offen. DieUndiszipliniertheit verwies auf eine für den Staat bedrohliche Welt unter dereigentlichen Welt, in der (scheinbar) Chaos herrscht, alles diffus, unbestimmbar,wandelhaft ist, und sich dadurch der Gesellschaft entzog.

In der auf die Beschwerde folgende Ausgabe druckte die Päng das Schreiben alsFaksimile ab:

»Durch eine Zuschrift der Bayr. Landpolizei, Inspektion Neustadt/Aisch, ist unsbekannt geworden, dass Sie mit der Herausgabe oder dem Druck derDruckschrift ›pänggg‹ in Verbindung stehen. Ein hier vorliegendes Exemplar dergen. Druckschrift weist kein Impressum auf, in dem der Drucker oder Verlegerbzw. der verantwortliche Redakteur ersichtlich ist. Das Fehlen dieserAufzeichnung in der gen. Druckschrift stellt eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 7,8 u. 13 des Pressegesetzes dar.«149

Die Macher der Päng mokierten sich über den Polizeischrieb durch überbetonteKorrektheit und Akkuratesse, wobei sie reale mit fiktiven Angaben vermischten. Bravist das neue Impressum mit einer gediegenen Borte versehen, was ihr den Charaktereiner Urkunde verleiht – fast wie ein Präsent an den Polizeipräsidenten. Die Päng leistetvordergründig der Aufforderung folge, trägt mit der Urkundenästhetik aber derart dickauf, dass der offiziöse Charakter in die Karikatur umkippt. In sauberen Lettern istimmerhin die korrekte Angabe »Verlagsort Nürnberg« in die Borte eingefügt. Doch wirdin den restlichen Angaben auf die Provokation der vorherigen Nummer noch einsdraufgesetzt: Das Impressum listet Druck (»Reichenbach KG« – wahrscheinlich eineangesehene Nürnberger Firma) und Verantwortlichen (Arthur Brunsloch – eine Figur derfäkalienfreudigen Päng-Fantasie) auf. Die Angabe UPN-Verlag (=United Press Nürnberg)ist immerhin korrekt. Die Unvereinbarkeit der unhierarchisch und pluralistischorganisierten Päng mit Ordnungsstandards wird im Abschlusskommentar vorgeführt:Verantwortlich sei eigentlich »jeder für das, was er gemacht hat. Du auch?«.

Die Gestaltung entspricht der Ironie des Impressums. Weil es handschriftlich verfasstist, entzieht es sich bereits visuell den geforderten Standards. Hier wurde sinnfällig

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150 Charlie Kaputt 2 (Juli 1968) – © Archiv für Alternativkultur149 Päng 6 (1972) 3.

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ist hier entscheidend, sind die Stempel authentische Zeugnisse einer wirklichheldenhaften Tat, die als détournement zu bezeichnen ist: Die Stempel sind Originale,dem Sekretariat in Folge einer illegalen Besetzung des Germanistischen Seminarstatsächlich entwendet. Die Entwendungsgeschichte ist in Charlie Kaputt nachzulesen:Ursprüngliches und utopisches Ziel sei die vollständige »Umfunktionierung [!] vonRäumen und Institut« gewesen, was jedoch nicht in die Tat umgesetzt wurde. Alsspontan initiierte Ersatzaktion drang man ins Sekretariat ein. Charlie Kaputt schreibtkokett, dass die Aktion »nicht einmal beschlossen und geplant« war , das heißt »einerzufällig mit einem Stemmeisen vorbeiging« und die Sekretariatstür aufbrach. Was hiergeschah, war eine fixe Idee, aus dem Augenblick geboren, eine kurze Verrücktheit, dieden günstigen Moment nutzte. Was man anrichtete, wurde mit derUniversitätseinrichtungen gegenüber obligaten Schnoddrigkeit erzählt: »Also Stempelund dergleichen autoritären Schmock der FU geklaut, ein paar Karteikästenfallengelassen und dergleichen Ungeheuerlichkeiten mehr.« Das Ende der Aktion wirdim Bericht nicht geschildert, stattdessen spinnt der Autor die Geschichte noch ein wenigweiter: »Leider kam niemand auf die Idee, die Karteikästen durch Karteikarten nichtStudierender aufzufüllen. Schön ordentlich, denn manche Ordnung lässt sich auchdurch Ordnung bekämpfen.« Auf Seite fünf der Charlie Kaputt eröffneten dieBürostürmer ihr luftiges Sperrfeuer auf die Bürokratie. Die Patronen hatte sie ihr selbstentwendet. Noch etliche Nummern später tauchen vereinzelt die Stempel auf und auchin anderen Zeitschriften, was auf subtile Weise den Community-Charakter desUnderground offen legt.

Auch das détournement, wie es die Situationisten betrieben, ist real, imaginär undästhetisch zugleich. Die im vorherigen Kapitel beschriebene Praxis der Entwendung vonZeichen, vornehmlich der Massenkultur, endet nicht damit – auch hier nicht. Dieästhetische Praxis der Situationisten wiederholt sich in alltäglichen Handlungen. RaoulVaneigem erzählt:

»Meine Freunde und ich sind einmal bei Einbruch der Dunkelheit in denJustizpalast in Brüssel eingedrungen. Dieser unförmige Koloss erdrückt dieunterhalb gelegenen armen Viertel und stellt sich schützend vor die reicheAvenue Louise, die wir eines Tages in einen erregenden Bauplatz verwandelnwerden. In dem Irrgarten von Gängen, Treppen und Zimmerfluchten machtenwir uns zunächst ein Bild von unseren Gestaltungsmöglichkeiten, richteten unsdann auf dem eroberten Territorium ein und verwandelten diesen Galgenpalastauf einem Spaziergang unserer Fantasie in einen traumhaften Jahrmarkt, in einenPalast der Lüste, in dem die reizvollsten Abenteuer dem Privileg entsprachen,dass wir sie wirklich erlebten.« (Vaneigem 1991: 78)

Was hier beschrieben wird, ist gelebtes détournement. Genauso wie der Cowboy zumWestern-Flaneur gemacht wurde, wurde der gesamte belgische Justizpalast für dassituationistische Happening entwendet. Aber, und das ist das Entscheidende, reale (z.B.

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Charlie Kaputt 2 (Juli 1968)

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ideologieträchtige Zeichenwelt (Micky Maus, Universitätsstempel, Schäferhund in Öl),wie Roland Barthes es ausdrückt, zur »riesigen Masse des Undifferenzierten, desUnbedeutenden, kurz: der Natur« (Barthes 1964: 127). Für den Underground wurde siezum Hauptangriffspunkt, dadurch gleichzeitig auf- und abgewertet. Die medialeSuggestion von Realität sollte durchbrochen, die Welt der Zeichen nicht für die Weltgehalten werden, diese Zeichenwelt aber weder verharmlost noch konservativkulturpessimistisch kritisiert oder ignoriert werden. Der Underground suchte nach einerzwar kritischen, gleichwohl den modernen Verhältnissen angemessenen kulturellenPraxis. Sie ist Ausdruck des Widerspruchs ebenso wie des utopischen Versuchs, in einerdurch Medien und Symbolen moderierten und standardisierten Gesellschaftsformauthentisch zu bleiben, ohne sie zu leugnen. Oder, wie es die Situationistenformulierten: Die »spielerische Einheit der Dinge« wiederherzustellen, das heißt,mediale Bilder, gesellschaftliche Symbole in dem Maße mit gelebter Erfahrung zudurchdringen, wie der eigene Alltag die Teilbereiche Politik, Kunst, Interaktion,zusammenführte: »Es hieße, dass man einen wahrhaft modernen, aus Straßenpflasternund Bildern, aus Wörtern und Wetter bestehenden Lebensstil pflegte, einen Lebensstil,den jederverstehen undjeder nutzenk ö n n t e . «(Marcus 1996:164)

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das Umherschweifen) und ästhetische Handlungen verflochten sich miteinander. Soführte dérive zum détournement und umgekehrt: Guy Debord schlägt z.B. vor, »sämtlicheReiterstatuen aller Städte in einer einzigen öden Ebene ungeordnet zusammen zubringen.« So böte sich den Passanten – »denen die Zukunft gehört« – das Schauspieleiner »synthetischen Kavallerieattacke« (Debord/ Wolman 1995: 19). Und nicht seltenkamen die Situationisten von ihren Streifzügen durch die Stadt mit ›entwendeten‹Objekten nach Hause, die sie, wie es heißt, systematisch untersuchten und in ihrenCollagen (Papier ebenso wie Objekte) verwendeten und entfremdeten.

So, wie die eigenwillig interpretierte Realität in den künstlerischen Ausgestaltungenfiktionalisiert wurde, erhielten Alltagshandlungen ästhetische Bedeutung. Die Praxis derHausbesetzung führt paradigmatisch unterschiedliche Bedeutungsebenen zusammen.Auch hier ging es darum, der dominanten Gesellschaft Objekte zu ›entwenden‹, und sieihrem zugedachten Zweck (die Hausbesetzerzeitschrift Bambule: »Spekulation«151) zuentziehen. Die Besetzeraktionen verwiesen auf die Machtverteilung im öffentlichenRaum, auf die soziale und wirtschaftliche Not, die durch rücksichtslose Sanierung alterHäuser verursacht wurde und auf die Entfremdung vormals intakter Wohnmilieus, dieaktiv eingeklagt wurde. Die Logik der Hausbesetzer folgt der des détournement, wonachdie Gebäude durch die Eroberung ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt würden.Statt sie in Bürogebäude umzuwandeln (»Missbrauch«, also falscher Gebrauch, »durchdas Kapital«152), werden die sozialen Lebenswelten der leerstehenden Häuser, z.B. inForm einer Jugendkommune, wieder hergestellt. Diese Wiederbelebung wurdeästhetisch begriffen, wobei dieser Aspekt in der englischen International Times expliziterals in Bambule formuliert wird: »Squatters repeople emptiness«153 oder: »Squat’sHappening: repeopling the ghostly empty english houses«154, ist in den Überschriftenzu lesen. Das »repeople« ist ein ›warmer‹, lebendiger Begriff. »To repeople« kann als eineArt Beseelungsaktion verstanden werden. Beseelt wird die unwirtliche Leere,»emptiness«, die gerade in dieser Gegenüberstellung auch etwas von Gefühlskälteerhält. Diesen »ghostly empty houses«, ihrer Blutleere, wird durch das »repeopling«wieder einen Sinn gegeben und buntes Leben eingehaucht.155

In diesem Kapitel wurde über die Entwendungspraxis der Underground-Collagenhinausgewiesen. Der »Kampfplatz der Zeichen« genügte sich nicht selbst, sondern wareingebunden in ein existentielles Spiel mit gesellschaftlicher Realität, das die Collagenwiderspiegeln, anregen und in sich aufnehmen. Die reflexive Dekonstruktion derZeichenwelt zeugt von einer semiotischen Kompetenz, die der Underground derbürgerlichen Stammkultur voraus hatte. Für das Bürgertum gehörte diese

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151 Bambule (März/April 1973).152 Ebd.153 it 52 (März 1969) 2.154 it 51 (Februar/März 1969) 2.155 Dass beim Englischen »Squatting« im Vergleich zur deutschen Hausbesetzung ästhetische Argumente

den politischen zumindest gleichwertig sind öffnet interessante Perspektiven auf kulturelleBedeutungsunterschiede verwandter Praxen. UM Info 3/4 (1974) – © Archiv für Alternativkultur

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fragmentarischen, mit dem Zufall arbeitenden Struktur, bereits Ausdruck des modernenLebensgefühls.

Doch genau so, wie diese Gestaltungsformen typisch sind, ist es typisch, dass diesewiederum vom Underground selbst reflektiert wurden. Die Analyse konnte also nichtbei der homologie von Lebensstil und Stil der Zeitschriften Halt machen, sondern musstedie explizit formulierte Programmatik dieses Stils einbeziehen. In dieser Programmatikwiederum finden sich Homologien zu theoretischen Konzepten, und das vermutlich auszwei Gründen: Zum einen, weil theoretische Schriften vom Underground rezipiertwurden: Wenn für McLuhan die moderne, elektrische Welt der Abschied von Linearitätund Kausalität bedeutet, so fand sich diese Argumentation u.a. in der Rechtfertigung desCut-up fast wortwörtlich wieder – die einzelnen Elemente seien eben geradeunzusammenhängend und chaotisch. Zum anderen weil bestimmte Gedanken undErfahrungen in der Kultur jener Zeit begründet lagen, die sich in der Undergroundkulturebenso wie in der Scientific Community finden lassen. So empfanden die HippiesMcLuhan als ›einen der ihren‹ (und McLuhan konnte seine Thesen gerade in der Hippie-Kultur bestätigt sehen). Was aber im kulturanalytischen Kontext noch viel bedeutsamerist, ist die Ähnlichkeit zwischen den Collagen bzw. deren Reflexion in den Zeitschriftenund dem Stilkonzept – das eigentlich das Instrumentarium sein sollte, um die Seiten zuinterpretieren. Hier wie dort geht es um entwendete und entfremdete Elemente derPopulärkultur als bewusst ausgestellter Angriff auf den Herrschaftsdiskurs und seinZeichensystem. Einzelne aus dem Underground haben ebenso wie die Theoretiker desStils das Zeichensystem als Kampfplatz erkannt und als solche artikuliert. W.S.Burroughs schreibt, man müsse »Techniken« finden, »wie sich die gleiche Manipulation,mit denen die Massenmedien Illusionen erzeugen, als revolutionäre Waffe einsetzenlassen«.157 Was die Kulturanalytiker als mehr oder weniger unbewusste Strategie derSubkulturen formulieren, machte der Underground zum Programm – »Der Guerilla der70er Jahre ist der Medienguerilla.«158, schreibt der Beat-Übersetzer Carl Weissner mitBlick auf den Underground. Schon die Entdeckung und Entlarvung der Oberfläche, derZeichen, als subtile Form gesellschaftlicher Hegemonie bedeutete eine Relativierung derbürgerlichen Vorstellungswelt. Hier wurde ein Ordnungsmoment gesellschaftlichenLebens thematisiert, das vom bürgerlichen Milieu als ›natürlich‹ (und deshalb auch nichtweiter beachtenswerter, ja als banaler Aspekt gesellschaftlichen Lebens) verstandenwurde. Dass die Irritation der Zeichenwelt mit realen Aktionen Hand in Hand ging ,widerspricht dem nicht. Denn in diesem Spannungsfeld zwischen dem »neuen Zeitalter,in dem Realität die Unsichtbare Umwelt von Nachrichten ist«159 und der persönlichgelebten Erfahrung wurde die Relevanz der (medialen) Zeichenwelt erst deutlich.Gerade deshalb wurde sie angegriffen, weil sich ihre Repräsentationsformen von deneigenen Erfahrungen entfernt hatten. Durch Aktionen wie dem Stempelklau wurde

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Theodore Roszak kritisiert die Gegenkultur, »nur zu oft halbartikulierte,undifferenzierte Verherrlichung alles dessen« zu betreiben, »was neu, fremdartig undlaut ist. Ein Spiel mit Ideen, weitgehend vergleichbar dem Spiel des Kindes mitleuchtenden, unbekannten Gegenständen. Der Appetit ist auf gesunde und verwegeneArt allverschlingend« (ders. 1971: 80). Damit ist trefflich die Experimentierfreudeinnerhalb der Undergroundpresse beschrieben. Das im Vergleich zum bürgerlichenLebensstil schnelle, augenblicks- und gefühlsbetonte Leben drückt sich darin aus. DieStruktur der Seiten bezeichnet einen Bruch mit traditionellen Wahrnehmungs- undDarstellungsweisen. Es ist die Struktur einer modernen kulturellen Praxis, die durch ihreNichtlinearität, durch Collagen und ›Kopf-über‹-Techniken dem hektischen,chaotischen und fragmentierten modernen (Großstadt-)leben entspricht: »Das einfacheComicdenken wird intensiviert, die Sprechblasenmentalität überlegt nicht lange,sondern handelt«156, schreibt Wolfgang Heinze im UM Scenen Reader über denUnderground. In der Struktur des Layouts drücken sich moderneWahrnehmungsformen aus. Adolf Muschg beschreibt sie als »Mischung von Collageund totalem Comicstrip« (Muschg 1982: 183), weil der Underground »die von derBranche sogenannte ›Graumasse‹« scheuten (ebd.). Das Layout ist modern, weil es denMedien der Moderne (und diese wiederum der Großstadt), der Populärkultur,strukturell ähnlich ist. – Man denke nur an den Film, das Prinzip der Montage, desschnellen Schnitts und damit flüchtigen Blicks; oder an den Comic-Strip, der auseinzelnen Panels ebenfalls zusammen montiert ist und das Prinzip der Collage, derAneinanderreihung unterschiedlicher Motive, in sich trägt. Die Entwicklung derGeschichten verläuft nicht linear, sondern sprunghaft – von einem Schnitt zum anderen,von einem Panel zum nächsten.

Die Ästhetik verdichtet sich in der Technik des Cut-up. In bewusster Reibung mit undals Gegenstrategie zu bereits vorhandenen Texten und Bildern wurde durchZerschneiden und Neuordnen deren ›natürliche‹ Anordnung durcheinander gebracht.Die zufällig entstehenden Neukombinationen waren Kritik an dem geschlossenengesellschaftlichen Bedeutungssystem, das sich für den Underground in dem nunzerschnittenen Material manifestierte. Es war die implizite Kritik an Ausdrucksformen,die dem Lebensgefühl des Underground nicht mehr entsprachen, die Suche nach neuenAusdrucksformen, die in der Gegenüberstellung vormals unvereinbarer Elementeentstehen sollten. Dabei war der Cut-up schon in sich, in seiner chaotischen,

156 UM Scenen Reader 1-2 (1976), S.58.

157 Burroughs, W.S., in: Ufo 2 (Oktober 1971).158 Herman, Jan / Weissner, Carl: Guerilla-Handbuch für die 70er Jahre. In: Ufo (Juni 1971).159 Ploog, Jürgen: Cola-Hinterland. Auszüge davon in: Ufo (Juni 1971).

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Die Ausführungen waren einerseits idealtypisch, andererseits selektiv. Während sichdas chaotische Layout noch verallgemeinern lässt (obwohl es, wie gesagt, auchästhetisch sehr ›bürgerliche‹ Zeitschriften gibt), sind Collagen aus Motiven derPrintmedien und Populärkultur, wenn auch häufig, so doch nicht überall zu finden.Inwieweit die semiotische Kompetenz den ganzen Underground betrifft, wäre zuüberprüfen. Die Freude an der Gestaltung der Zeitschriften, der Suche nach Motiven inZeitungen und Illustrierten, spricht dafür. Die explizite Medienkritik, wie sie u.a. imUM Scenen Reader und in Ufo artikuliert wurde, machte nur eine kleinere Gruppe aus,die vielleicht als Avantgarde der Avantgarde zu sehen ist. Hier sind Bezüge zur heutigenHaltung gegenüber der Populärkultur innerhalb der akademisch gebildeten Mittel- undOberschicht zu finden, für die die kulturelle Praxis des Underground als Avantgarde zusehen ist. Es geht genau um diesen Doppelaspekt: Einerseits eine spontane Affinität zurPopulärkultur, die damit zu begründen ist, dass unsere modernenWahrnehmungsweisen ihr entsprechen. Andererseits eine semiotische Kompetenz, dieder von bürgerlicher Warte aus geschmacklosen Massenkultur mit Expertentumbegegnet und sie durch eine an Eco, Barthes und McLuhan geschulte Rede zuentschärfen weiß – wobei diese reflexive Annäherung wiederum Teil des Vergnügensdarstellt.161

Trotz der Nobilitierung populärkultureller Motive und Verfahrensweisen darf jedochnicht vergessen werden, dass diese Praxis neue Distinktionsformen hervorbringt, diesoziale Grenzziehungen neu verteilt. Die Verwischung der Grenzen von Populärkulturund Hochkultur hat nicht soziale Hierarchien aufgelöst. So verweist HermannBausinger darauf,

»dass die Kultur nach wie vor durch soziale Vorgaben, durch die Klassenlagebestimmt ist, dass es zwar frei beweglich Lebensstile gibt, dass aber dieVerfügung darüber nicht frei ist.« (Bausinger 1994: 12)

War das kulturelle Kapital der 50er Jahre die Kenntnis von Hochkultur, so ist es heutedie Fähigkeit, in elaborierter Rede über Goethe wie Arnold Schwarzenegger zuverfügen. Treffend beschreibt Kaspar Maase diese neue Form der Distinktion: »EinVergnügen, das sich nicht reflektierend in Szene setzen kann, gilt als minderwertig.«(Maase 1994: 26)

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diese Diskrepanz thematisiert. Und nicht zuletzt waren die in den Kommunenproduzierten Undergroundzeitschriften selbst der Versuch, leblose Oberfläche medialerKommunikationsformen mit persönlichen Erfahrungen in Einklang zu bringen.

Aufgrund dieser Diskrepanz konnte sich der Blick für die Oberfläche aber überhaupterst schärfen. Die moderne, mediale Welt zeichnet sich eben dadurch aus, dass sie sichzu einem guten Teil über diese Oberfläche (Werbung, Fernsehen, Illustrierte und nichtzuletzt Internet) konstituiert. Nicht zufällig vergleicht Helmut Hartwig das Betrachtender Zeitschriften mit dem Flanieren, wo es dem Flaneur als Prototyp der Moderne dochgenau um die Oberfläche der Erscheinungen geht, die er beim Durchstreifen der Stadtan sich vorüber ziehen lässt160 – in Bezug auf das Internet spricht man von »Surfen«.

Die semiotische Kompetenz des Underground, die mit dem Erkennen der Oberflächezusammen hängt, deutet auch auf eine veränderte Haltung gegenüber Populärkulturhin: sie gehört zum modernen Leben dazu, die Frage ist nur, in welchem Sinne man ihreOberfläche gestaltet. Mit der Äußerung, »we should focus [...] on the fact oftransformation rather than on the objects-in-themselves« (Hebdige 1998: 130)akzeptiert Hebdige die Existenz von Populärkultur und verschiebt den Fokus auf derenGebrauch. Als Beispiel sei Willis Äußerung über den Fernsehkonsum von Jugendlichengenannt: »The young TV viewers, for instance, have become highly critical and literatein visual forms, plot conventions and cutting techniques. They listen highly selectively,to pop music now within a whole shared history of pop styles and genres.« (Willis 1993:20)

Die Ablehnung traditioneller, musealer Kunst und die Sympathie für populäreAusdrucksformen waren ein Niederschlag jener kulturellen Veränderungen. Beim»Studium der zeitgenössischen Ausdrucksformen« seien die »schönsten Beispiele in derWerbung [zu] suchen«, schreiben Debord und Wolman (dies. 1995: 22). In Bezug auf diePopulärkultur vereinen die Situationisten die für den Underground relevanten Aspekte.Die Favorisierung, Entwendung und Umfunktionierung gesellschaftlicher»Abfallprodukte«, das Experimentieren mit der Zufälligkeit von Collagen, die Betonungder Einfachheit des Verfahrens, die ›schnelle‹ Ästhetik, die Betonung des ›Moments‹,sind der Ästhetik der Undergroundpresse ähnlich und auch sie sind modernen,populären Ausdrucksformen homolog. Gleichzeitig sind die Situationisten dezidierteKritiker der Kulturindustrie, ebenso wie sich in den Undergroundzeitschriften dieAffinität zur Populärkultur stetig relativiert. Die Paradoxie löst sich durch dieVorstellung einer Emanzipierung des Massenkultur rezipierenden Subjekts – für dieSituationisten wie die Cultural Studies auch und der gerade der Arbeiter – auf. Es liegtin der Macht des Konsumenten, Bedeutungen umzudefinieren. Diese Auffassung istwiederum der Stiltheorie (dem bricolage-Gedanken) homolog.

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160 Der Berliner Flaneur Franz Hessel bezeichnet 1929 seine Passion als »Abenteuer des Auges«: »Flanierenist eine Art Lektüre der Straße, wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Café-Terrassen,Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätzeund Seiten eines immer neuen Buches ergeben« (Hessel 1984: 145).

161 Der Kritiker und selbst Apologet der Populärkultur, Jörg Lau, hat sich jenes Typus bereitsangenommen. Seine ambivalente Haltung von ›echter‹ Leidenschaft und ironischer Brechungbezeichnet er als »freundlichen Zynismus« (Lau 1995: 902).

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