Selbstständiges Lernen – Grenzen und Chancen Prof. Dr. Martin Hänze Arbeitsgruppe Pädagogische Psychologie Universität Kassel Vortrag im Rahmen des Studien- und Mentorentags an der Universität Kassel 16. Februar 2012
Selbstständiges Lernen – Grenzen und Chancen
Prof. Dr. Martin Hänze Arbeitsgruppe Pädagogische Psychologie
Universität Kassel
Vortrag im Rahmen des Studien- und Mentorentags an der Universität Kassel 16. Februar 2012
Ziele und Gliederung
• Ziele des Vortrags: – Keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen – Angebote zur Strukturierung der eigenen Expertise
• Was alles dran kommt: – Selbst- und fremdgesteuertes Lernen – Kompetenzen für das selbstgesteuerte Lernen – Zwei theoretische Perspektiven – Empirische Ergebnisse – Schlussfolgerungen
Formen des (schulischen) Lernens
• Lernen aus der direkten Erfahrung – Erfahrung, dass eigenes
Handeln mehr oder weniger erfolgreich ist
• Lernen aus der vermittelten Erfahrung – Vermittlung über
Symbolsystem: Sprache
Was doch eigentlich sowieso klar ist…
• Lernen ist immer fremd- und selbstgesteuert. • Lernen ist ein aktiver, konstruktiver Prozess des
Individuums. • Selbstständiges Lernen ist ein Ziel von Unterricht
… aber ist es auch ein Weg? • Handlungsspielräume sind keine hinreichende
Bedingung für selbstgesteuertes Lernen. • Selbstgesteuertes Lernen stellt bestimmte
Anforderungen an den Schüler.
Lernen ist selbstgesteuert, …
• …wenn der Handelnde die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wann, wie und woraufhin er lernt, gravierend und folgenreich beeinflussen kann (Weinert, 1982).
Teilkomponenten der Selbstregulationskompetenz
Aus: Pickl, 2004
Beispiele aus der Praxis
• „Während ich für die Physik-Klausur lerne, schalte ich mein Handy und mein E-Mail-Programm aus, damit ich nicht ständig abgelenkt werde und mich besser konzentrieren kann“ (Birgit, 21 Jahre)
Beispiele aus der Praxis
• „Ich will mal Konzertpianistin werden und übe daher sehr viel am Klavier. Schulische Dinge sind für mich weniger wichtig. Ich lerne nicht gerade viel – wichtig ist für mich, dass ich durchs Abitur komme.“ (Karina, 17 Jahre)
Beispiele aus der Praxis
• „Ich mach das, weil meine Mama das will.“ (Moritz, 5 Jahre)
Selbst- und Fremdsteuerung - zwei theoretische Perspektiven
• Motivationspsychologische Perspektive: Selbstbestimmungstheorie der Motivation
• Kognitionspsychologische Perspektive: Theorie der kognitiven Belastung („cognitive load“-Theorie)
Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Deci & Ryan):
Stufen der Handlungsregulation
Aus: Krapp & Weidenmann, 2006
Transformationsprinzip und Basic Needs
Externale kann in internale Handlungsregulation überführt werden, … – ...je häufiger Schüler/innen ihren persönlichen
Lernfortschritt erkennen können (Bedürfnis nach Kompetenz)
– ...je stärker sich Schüler/innen selbstbestimmt als Verursacher ihrer Handlungen wahrnehmen (Bedürfnis nach Autonomie)
– ...je mehr Schüler/innen sich vom Lehrer oder Mitschülern akzeptiert fühlen (Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit)
Ein zweiter theoretischer Zugang: Theorie der kognitiven Belastung
• Intrinsische kognitive Belastung Komplexität des Lerninhalts: Wie schwierig oder vernetzt sind die Lerninhalte?
• Extrinsische kognitive Belastung Art der Darbietung : Wie einfach oder schwer ist es, die relevanten
Informationen zu entnehmen? • Germane („Lernbezogene“) kognitive Belastung
Verstehensförderliche Aktivität des Lernenden: Welche Anstrengung unternimmt der Lernende, um die
Inhalte zu verstehen
Lit.: Sweller, 1988
Kognitive Überlastung
Theorien als Rahmenmodelle für die Gestaltung selbstständigen Lernens
• Selbstbestimmungstheorie als Motivationstheorie Autonomie- und Kompetenzunterstützung
• Theorie der kognitiven Belastung Gefahr der kognitiven Überlastung durch
intrinsische und extrinsische Belastungsfaktoren Vermeidbar durch angemessene instruktionale
Maßnahmen
• Kooperationsprojekt zwischen Psychologie und Physikdidaktik: – Pädagogische Psychologie (Florian Schmidt-
Weigand, Simone Blum, Martin Hänze) – Physikdidaktik der Universität Kassel (Rita
Wodzinski, Karsten Rincke)
• Fragestellung: Wie kann entdeckendes Lernen in Form des Schülerexperiments lernwirksam gestaltet werden?
Selbstständigkeitsförderung beim Schülerexperiment (Physik)
Experimenteller Vergleich von drei Bedingungen
1. • Problemlösen (freies Schülerexperiment)
2. • Experimentieranleitung („Kochbuch“)
3. • Gestufte Hilfen (bei Bedarf abrufbar)
Tipp zur Durchführung
Macht euch eine Skizze, mit welchem Aufbau ihr die Ausdehnung der Feder messen könnt.
Besprecht, was genau ihr messen müsst und wie ihr das in eurem Aufbau tut?
Gestufte Lernhilfen – Impuls
Gestufte Lernhilfen – Antwort
Zur Selbstkontrolle
Wir müssen die Änderung der Federlänge messen. Hierfür messen wir, wie sich der Abstand der unteren Federspitze zur Tischplatte ändert.
Einmal ohne Gegenstand an der Feder und danach die Tischabstände, wenn die einzelnen Gegenstände an der Feder hängen.
Wir klappen den Zollstock teilweise auf und halten ihn neben die Feder.
Tisc
habs
tand
Wir messen den Tischabstand daher
Stichprobe
• 183 Schülerinnen und Schüler der 8. Jahrgangsstufe
• Gesamtschulen aus Nordhessen • Zweiergruppen
Vielen Dank allen beteiligten Schülern, Schülerinnnen, Lehrern und Lehrerinnen aus der Region für die Mitarbeit!
Ergebnisse
• Lernerleben – Autonomieerleben, Soziale Eingebundenheit,
Interesse, kognitive Aktivierung Problemlösen = Lernhilfen > Kochbuch – Kompetenzerleben Problemlösen = Lernhilfen = Kochbuch
• Lernerfolg: – Problemlösung und Lösungsweg Kochbuch = Lernhilfen > Problemlösen – Wissenstest Kochbuch > Lernhilfen > Problemlösen
Schmidt-Weigand, Rincke, Wodzinski & Hänze, 2012
Studie 2
• Freies Schülerexperiment für alle Schüler • Aber mit vorgeschalteter Planungsphase, in
drei Bedingungen:
1. • Selbstständige Planung
2. • Infotext zur Planung
3. • Planung mit gestuften Lernhilfen
Ergebnisse
• Lernerleben: Basic Needs Selbstständig = Infotext = Gestufte Lernhilfen
• Lernerfolg: Wissenstest Gestufte Lernhilfen > Infotext = Selbstständig
Schlussfolgerungen
• Offene Problemstellung wichtig für Autonomieunterstützung
• Instruktionale Hilfen wichtig für Reduzierung der kognitiven Belastung.
• Für den am Curriculum orientierten Wissensaufbau sind für wenig selbstständige Schüler stark strukturierte Hilfen unabdingbar.
Teilung der Verantwortung für die Steuerung von Lehrfunktionen zw.
Lernendem und Lernumgebung Lernumgebung mit Anforderungen und Unterstützungs- angeboten
Lernender mit
Selbstregulations- kompetenzen und
Unterstützungsbedarf
Motivation
Information
Informationsverarbeitung
Speichern & Abrufen
Anwendung & Transfer
Steuerung & Kontrolle
Lehrfunktionen nach Klauer/Leutner 2007
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Kontakt: [email protected] Web: www.uni-kassel.de/~haenze
Literatur: • Deci, E.L. & Ryan, R.M. (1985). Intrinsic motivation and self-determination in
human behavior. New York: Plenum. • Klauer, K. J. & Leutner, D. (2007). Lehren und Lernen. Einführung in die
Instruktionspsychologie. Weinheim: Beltz. • Krapp, A. & Weidenmann, B. (Hrsg.)(2006). Pädagogische Psychologie. Weinheim:
Beltz. • Pickl, C. (2004). Transfergestütztes Training zur Verbesserung von
Selbstregulationskompetenzen von Studierenden im Studienalltag. In M. Landman & B. Schmitz (Hrsg.). Selbstregulation erfolgreich fördern (S. 131-150). Stuttgart: Kohlhammer.
• Schmidt-Weigand, F. , Rincke, K., Wodzinski, R. & Hänze, M. (2012). Inquiring Scaffolds in Laboratory Tasks: An Instance of a “Worked Experiments Effect”? Manuscript submitted for publication.
• Sweller, J. (1988). Cognitive load during problem solving: Effects on learning. Cognitive Science, 12, 257–285.
• Weinert, F.E. (1982). Selbstgesteuertes Lernen als Voraussetzung, Methode und Ziel des Unterrichts. Unterrichtswissenschaft, 2, 99-110.