Selbstgesteuertes Lernen lehren: Konzepte, empirische Befunde und Unterrichtsbeispiele Dr. Dagmar Killus, Gertrud Graf 26. Pädagogische Woche (Oldenburg) 23. September 2009 [email protected]
Selbstgesteuertes Lernen lehren:Konzepte, empirische Befunde und Unterrichtsbeispie le
Dr. Dagmar Killus, Gertrud Graf
26. Pädagogische Woche (Oldenburg) 23. September 2009
Gliederung
1. Was ist selbstgesteuertes Lernen?
2. Wie entwickelt sich selbstgesteuertes Lernen während der Schulzeit?
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
4. Wie stellt sich die Unterrichtspraxis derzeit dar?
5. Zusammenfassung
Was muss ein Schüler können, um selbstgesteuert zu lernen?
FELIX
belohnt sich für Lernerfolge
gehtArbeitsergebnisse
noch einmalsorgfältig durch
veranschaulicht Zusammenhänge
in Skizze oder Mind-map
setzt sichmittelschwere
Ziele
plant, wie er dieAufgabe Schritt fürSchritt bearbeitet
betrachtetLernerfolge als
Ergebnis eigenerAnstrengung
macht sich Stichpunkte
denkt sichFragen zu den
Inhalten aus, um sich zu prüfen
geht seine Aufzeichnungen
immer wieder durch
wenn er etwas nicht verstanden hat,
wendet er sich an einen Mitschüler
verbindet neues mit bereits gelerntem
Wissen denkt sich zu schwierigen SachverhaltenBeispiele aus
passt seinLernverhalten demLernfortschritt an
Felix
Fallbeispiel: Felix, der selbstgesteuerte Lerner
1. Was ist selbstgesteuertes Lernen?
Regulation des Selbst
Regulation des Verarbeitungsmodus
Regulation des Lernprozesses
Wahl kognitiver Strategien
Gebrauch metakognitiven Wissens zur Steuerung des Lernprozesses
Wahl von Zielen und Ressourcen
selbstreguliertes Lernen
kognitive LS:•wiederholen•organisieren•elaborieren
motivationale LS:• realistische Ziele setzen•angemessen attribuieren•sich belohnen
metakog. LS:• planen•überwachen• regulieren
Drei-Schichten-Modell des selbstregulierten Lernens nach Boekaerts (1999)
am selbstgesteuerten Lernen beteiligte Lernstrategi en
Felix
macht sich Stichpunkte
belohnt sich für Erfolge
veranschaulicht Zusammenhänge in
einer Skizze oder Mind-map
setzt sichmittelschwere
Ziele
betrachtetLernerfolg als
Ergebnis eigenerAnstrengung
gehtArbeitsergebnisse
noch einmalsorgfältig durch
verbindet neues mit bereits gelerntem
Wissen denkt sich zu schwierigen SachverhaltenBeispiele aus
passt seinLernverhalten demLernfortschritt an
wenn er etwas nicht verstanden hat,
wendet er sich an einen Mitschüler
geht seine Aufzeichnungen
immer wieder durch
plant, wie er dieAufgabe Schritt fürSchritt bearbeitet
denkt sichFragen zu den Inhalte
aus, um sichzu prüfen
Felix
macht sich Stichpunkte
belohnt sich für Erfolge
veranschaulicht Zusammenhänge in
Skizze oder Mind-map
setzt sichmittelschwere
Ziele
betrachtetLernerfolg als
Ergebnis eigenerAnstrengung
gehtArbeitsergebnisse
noch einmalsorgfältig durch
verbindet neues mit bereits gelerntem
Wissen denkt sich zu schwierigen SachverhaltenBeispiele aus
passt seinLernverhalten demLernfortschritt an
wenn er etwas nicht verstanden hat,
wendet er sich an einen Mitschüler
geht seine Aufzeichnungen
immer wieder durch
plant, wie er dieAufgabe Schritt fürSchritt bearbeitet
denkt sichFragen zu den Inhalte
aus, um sichzu prüfen
kognitiv (innere Schicht)
Felix
macht sich Stichpunkte
belohnt sich für Erfolge
veranschaulicht Zusammenhänge in
Skizze oder Mind-map
setzt sichmittelschwere
Ziele
betrachtetLernerfolg als
Ergebnis eigenerAnstrengung
gehtArbeitsergebnisse
noch einmalsorgfältig durch
verbindet neues mit bereits gelerntem
Wissen denkt sich zu schwierigen SachverhaltenBeispiele aus
passt seinLernverhalten demLernfortschritt an
wenn er etwas nicht verstanden hat,
wendet er sich an einen Mitschüler
geht seine Aufzeichnungen
immer wieder durch
plant, wie er dieAufgabe Schritt fürSchritt bearbeitet
denkt sichFragen zu den Inhalte
aus, um sichzu prüfen
metakognitiv(mittlere Schicht)
Felix
macht sich Stichpunkte
belohnt sich für Erfolge
veranschaulicht Zusammenhänge in
Skizze oder Mind-map
setzt sichmittelschwere
Ziele
betrachtetLernerfolg als
Ergebnis eigenerAnstrengung
gehtArbeitsergebnisse
Noch einmalsorgfältig durch
verbindet neues mit bereits gelerntem
Wissen denkt sich zu schwierigen SachverhaltenBeispiele aus
passt seinLernverhalten demLernfortschritt an
wenn er etwas nicht verstanden hat,
wendet er sich an einen Mitschüler
geht seine Aufzeichnungen
immer wieder durch
plant, wie er dieAufgabe Schritt fürSchritt bearbeitet
denkt sichFragen zu den Inhalte
aus, um sichzu prüfen
motivational(äußere Schicht)
Felix
macht sich Stichpunkte
belohnt sich für Erfolge
veranschaulicht Zusammenhänge in
Skizze oder Mind-map
setzt sichmittelschwere
Ziele
betrachtetLernerfolg als
Ergebnis eigenerAnstrengung
gehtArbeitsergebnisse
noch einmalsorgfältig durch
verbindet neues mit bereits gelerntem
Wissen denkt sich zu schwierigen SachverhaltenBeispiele aus
passt seinLernverhalten demLernfortschritt an
wenn er etwas nicht verstanden hat,
wendet er sich an einen Mitschüler
geht seine Aufzeichnungen
immer wieder durch
plant, wie er dieAufgabe Schritt fürSchritt bearbeitet
denkt sichFragen zu den Inhalte
aus, um sichzu prüfen
ressourcenbezogen
2. Wie entwickelt sich selbstgesteuertes Lernen währen d der Schulzeit?
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���� Mit dem Schuleintritt lässt sich eine rasch vollziehende Entwicklung von Lernstrategien beobachten.
���� Parallel dazu entwickelt sich das metakognitive Wissen und entsprechende exekutive Fertigkeiten: zwischen 8 und 10 Jahren„Erwachen der abstrakten Selbstreflexion“(Piaget 1971)
���� Mit zunehmendem Alter nutzen Schüler vermehrt anspruchsvolle kognitive und metakognitive Lernstrategien. Dabei bildet sich ein differenziertes Lernstrategierepertoire erst im Alter von 15 bis 16 Jahren heraus.
Bild einfügen
„sie haben es nur noch nicht gelernt“
Direkte Förderung von Lernstrategien:
Die Anwendung von Lernstrategien wird direkt und explizit zum Gegenstand von Unterricht gemacht.
Indirekte Förderung von Lernstrategien:
Lernumgebungen werden so gestaltet, dass zwar die Anwendung bestimmter Lernstrategien angeregt, diese jedoch nicht explizit thematisiert werden.
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
Didaktisch-methodische Maßnahmen einer direkten Förderu ng (vgl. Brunstein & Spörer 2001; Friedrich & Mandl 2006) :
explizite Beschreibung und Erklärung von Lernstrategien
modellhaftes (laut denkendes) Vormachen von Lernstrategien
gemeinsame Anwendung von Lernstrategien in kleinen Schülergruppen
gemeinsame Reflexion über Auswahl und Einsatz von Lernstrategien
ausgiebiges Üben von Lernstrategien an wechselnden Inhalten und Aufgaben
Rückmeldung individueller Fortschritte der Schüler im Umgang mit Lernstrategien
schrittweise Rücknahme der Unterstützung durch den Lehrer mit zunehmender Beherrschung von Lernstrategien durch den Schüler
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
Reziprokes Lehren
ZielVermittlung von Lesestrategien, die das Leseverständnis und die selbstständige Verstehenskontrolle unterstützen:
1) Textabschnitte zusammenfassen
2) Fragen an den Text formulieren
3) Unklarheiten beseitigen
4) Vorhersagen zum Text machen
Ablauf���� Jeweils 4 bis 7 Schüler arbeiten zusammen.
���� Für jeden Textabschnitt wird ein Schüler bestimmt, der die Rolle des „Lehrers“übernimmt.
���� Beim nächsten Abschnitt übernimmt ein anderer Schüler die Lehrerrolle.
Rolle des Lehrers���� informiert über Nutzen und Wirkungsweise
von Strategien
���� führt sie „laut denkend“ vor
���� modelliert das Verhalten eines „guten“Lehrers
���� gibt Rückmeldungen
Wirksamkeit���� Anstieg des durchschnittl. Anteils richtig
beantworteter Fragen in einem Lesever-ständnistest von 40% auf 80% (Palincsar & Brown 1984)
���� kompetenterer Umgang mit Strategien
���� starker Effekt auf das Leseverständnis wird auch durch eine Metaanalyse bestätigt (Rosenshine & Meister 1994)
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
Beispiel für eine „Lehrer-Karte“
Lernstrategie: Vorhersagen zum Text machen
1. Fordere deine Mitschüler auf, die Überschrift/en und die Bilder zum Text zu betrachten, etwa so: „Schaut euch die Überschrift und die Bilder genau an. Was seht ihr?“, „Woran denkt ihr, wenn ihr die Überschrift lest?“
2. Mache selbst eine Vorhersage zum Text. Führe deine Vorhersage deinen Mitschülern mit lautem Denken vor: „Ich denke, in diesem Text geht es um ..., weil ...“
3. Frage dann deine Mitschüler nach ihren Vorhersagen. Lass sie auch begründen, wie sie darauf gekommen sind: „Wer von euch hat noch eine Vermutung, wovon der Text handeln könnte?“, „Warum denkst du das?“, „Welcher Hinweis hat dich auf die Idee gebracht?“
etc.
Quelle: Pangh, C. (2009), Trautwein (2008)
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
Lerntagebücher (Spinath & Wohland 2004)
Bestandteile des Lerntagebuchs:
1. Bestimmung des eigenen Lernstandes
2. Formulierung individueller Ziele und zielführendes Verhalten
3. Analyse der Zielerreichung und Selbstbewertung
Anfang der Woche
Anfang der Woche
Ende der Woche
1. Bestimmung des eigenen Lernstandes (Anfang der Woche )
Name: . . . . . . . . . . Datum: . . . . . . . . . .
Das kann ich schon gut:
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das möchte ich besser können:
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
Lerntagebücher (Spinath & Wohland 2004)
Bestandteile des Lerntagebuchs:
1. Bestimmung des eigenen Lernstandes
2. Formulierung individueller Ziele und zielführendes Verhalten
3. Analyse der Zielerreichung und Selbstbewertung
Anfang der Woche
Anfang der Woche
Ende der Woche
2. Formulierung individueller Ziele und zielführende s Verhalten (Anfang der Woche )
Ich nehme mir für diese Woche vor:
Wie kannst du dein Ziel besser erreichen? Suche dir eine Signalkarteaus oder schreibe selber eine Signalkarte!
Beispiele:
„ich arbeite Schritt für Schritt“
„ich nehme mir Zeit“„ich prüfe, ob ich alles richtig gemacht habe“
eine bestimmte Sache üben:
. . . . . . . . . . . . . . . . .
auch schwierige Aufgaben zu versuchen
. . . . . . . . . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Wie lässt sich selbstgesteuertes Lernen fördern?
Lerntagebücher (Spinath & Wohland 2004)
Bestandteile des Lerntagebuchs:
1. Bestimmung des eigenen Lernstandes
2. Formulierung individueller Ziele und zielführendes Verhalten
3. Analyse der Zielerreichung und Selbstbewertung
Anfang der Woche
Anfang der Woche
Ende der Woche
3. Analyse der Zielerreichung und Selbstbewertung (Ende der Woche )
Habe ich mein Ziel erreicht?
Wenn ja, was hat mir dabei geholfen?
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wenn nein, was würde ich anders machen?
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Darauf freue ich mich in der nächsten Woche:
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wie häufig werden verschiedene Lernstrategien vermi ttelt?- nach „Ist-Stand“ und „Soll-Stand“ (Mittelwerte, N= 8 1 Deutschlehrer)
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Ist-Stand
Soll-Stand
Wiederholungsstrategien
Organisationsstrategien
Metakognitive Strategien (Umgang mit Textschwierigkeiten)
Metakognitive Strategien (Steuerung eines längeren Lernprozesses)
Motivationale Strategien
Elaborationsstrategien
1=nie, 2=manchmal, 3=oft, 4=sehr oft
5. Wie stellt sich die Unterrichtspraxis derzeit dar?
5. Zusammenfassung
� Mit dem Schuleintritt lässt sich eine rasch vollziehende Entwicklung von Lernstrategien beobachten, die sich über die gesamte Schulzeit erstreckt.
� Die Unterrichtspraxis zielt einseitig auf die Optimierung der Informationsverarbeitung (d.h. von kognitiven Lernstrategien) und vernachlässigt darüber die Entwicklung einer umfassenden Kompetenz selbstgesteuerten Lernens (d.h. von metakognitiven und motivationalenLernstrategien).
� Selbstgesteuertes Lernen stellt eine komplexe Gesamthandlung dar, an der kognitive, metakognitive und motivationale Strategien beteiligt sind.
� Der Erwerb von Lernstrategien muss dennoch durch gezielte didaktisch-methodische Maßnahmen unterstützt werden. Bewährt hat sich eine direkte Förderung von Lernstrategien: z.B. durch reziprokes Lehren oder durch Lerntagebücher.