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Probabilistische Untersuchung von Hochwasserschutzdeichen mit analytischen Verfahren
und der Finite‐Elemente‐Methode
Von der Fakultät für Bauingenieur‐ und Umweltingenieurwesen der Universität Stuttgart
zur Erlangung der Würde des Doktors der Ingenieurwissenschaften (Dr.‐Ing.) genehmigte Abhandlung,
vorgelegt von
AXEL FLORIAN DIRK MÖLLMANN
aus Radolfzell am Bodensee
Hauptberichter:
Prof. Dr.‐Ing. P.A. Vermeer Mitberichter:
Prof. Dr.‐Ing. habil. B. Westrich
Prof. Ir. A.C.W.M. Vrouwenvelder Tag der mündlichen Prüfung:
22. Juli 2009
Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart
2009
-
Mitteilung 64 des Instituts für Geotechnik Universität Stuttgart, Deutschland, 2009 Herausgeber: Prof. Dr.‐Ing. P.A. Vermeer © Axel Möllmann Institut für Geotechnik Universität Stuttgart Pfaffenwaldring 35 70569 Stuttgart Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Autors in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Schlagwörter: Hochwasserschutz, Probabilistische Verfahren, Flussdeiche, Deichstandsicherheit Druck: e.kurz + co, Stuttgart, Deutschland, 2009 ISBN 978‐3‐921837‐64‐1 (D93 – Dissertation, Universität Stuttgart)
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i
Vorwort des Herausgebers Die vorliegende Arbeit basiert auf dem niederländischen Computerprogramm PC‐Ring, das
in den letzten
Jahrzehnten an der Technischen Universität Delft und von Forschungsinstituten, wie TNO und Deltares, entwickelt wurde. Das genannte Com‐puterprogramm berechnet die Wahrscheinlichkeit einer Überflutung durch das Ver‐sagen eines Hochwasserschutzsystems. Wenn die Ergebnisse mit einer Abschätzung der
Folgen einer Überströmung und den
Kosten einer eventuellen
Verbesserung kombiniert werden, können optimale Schutzgrade objektiv festgestellt werden.
Obwohl die theoretischen Grundlagen
des Computerprogramms
allgemeingültig sind, bezieht es sich in der Anwendung auf eine niederländische Extrem‐Situation, in der ein Hochwasser des Rheins zusammentrifft mit einem Sturm auf der Nordsee. Herr Axel Möllmann hat also kein Computerprogramm vorgefunden, das direkt auf die Hochwasserschutzdeiche der deutschen Binnenflüsse anwendbar war.
Der direkte Anlass zur vorliegenden Studie war die Ausschreibung der Förderaktivi‐tät
„RIMAX ‐ Risikomanagement
extremer Hochwasserereignisse“ durch das Bun‐desministerium für Bildung und Forschung. Über dreißig Projekte in ganz Deutsch‐land
haben sich im Rahmen von
RIMAX mit der Verbesserung
des Hochwasser‐schutzes beschäftigt. Ich
habe unser Projekt „PC‐River“ damals
gemeinsam mit Herrn Kollege
Prof. Dr.‐Ing. habil Bernhard Westrich
des Stuttgarter Instituts
für Wasserbau beantragt und parallel zu dieser Arbeit von Axel Möllmann wurde von Herrn Dipl.‐Ing. Uwe Merkel am
Institut
für Wasserbau eine Studie erstellt,
in der die wasserbaulichen
Fragestellungen einer probabilistischen
Untersuchung
von Hochwasserschutzdeichen behandelt werden. Die Einbettung des PC‐River‐Projektes in dem bundesweiten RIMAX‐Programm und der Zusammenarbeit mit dem Institut für Wasserbau haben erheblich zum Erfolg der vorliegenden Arbeit beigetragen.
Dem niederländischen „Rijkswaterstaat“ danke
ich
für die Bereitstellung des Com‐puterprogramms
PC‐Ring. Zum Verständnis der
theoretischen Grundlagen
haben sowohl Ir. Henri Steenbergen von TNO als auch Herr Prof.
ir. A.C.W.M. Vrouwen‐velder erheblich
beigetragen. Des weiteren geht der
Dank an Prof. ir.
A.C.W.M. Vrouwenvelder der Technischen Universität Delft für die Übernahme des Koreferats.
Die Anwendungen des erweiterten PC‐River‐Modells auf Deichstrecken an den Flüs‐sen
Elbe und Iller zeigen die
Praxistauglichkeit der Herangehensweise. Die
Elbe‐Fallstudie ist wohl besonders interessant, weil die Ergebnisse mit der Deichbruchsta‐tistik des Hochwassers von 2002 verglichen werden können und auch übereinstim‐men.
Die Iller‐Fallstudie zeigt den Sinn
der Sanierung und auch die
relativen Schwachstellen nach der Sanierung.
-
Vorwort des Herausgebers
ii
Im wissenschaftlichen Geotechnik‐Bereich
geht Axel Möllmann viel weiter
als das ursprüngliche PC‐Ring‐Modell: Statt eines
(fixierten) Gleitkreisverfahrens wird von einer probabilistischen, nichtlinearen FEM‐Analyse ausgegangen und statt einer sta‐tionären Grundwasserströmung kommt Axel Möllmann mit einer nicht‐stationären Herangehensweise.
Durch diese Erweiterungen ist
es möglich, potentielle
Sicher‐heitsreserven von Hochwasserschutzdeichen zu detektieren. Hier
leistet Axel Möll‐mann einen enormen Beitrag.
Das
im Rahmen des Projekts erweiterte Computerprogramm PC‐River steht Benut‐zern
in Deutschland unentgeltlich zur Verfügung. Die grafische Benutzeroberfläche ist zu großen Teilen auf deutsch vorhanden und vereinfacht die Eingabe der erfor‐derlichen Daten und erleichtert die Analyse der Ausgaben. Das Projektteam von PC‐River hat
sich zum Ziel gesetzt, das
erweiterte Computerprogramm in die
Ingeni‐eurpraxis zu einzuführen. Im Zuge des Praxistransfers ist eine weitere Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit vorgesehen.
In Kooperation mit ansässigen
Ingenieur‐büros sind gemeinsame weitere Fallstudien, u.a. an der Donau, geplant. Die regiona‐len Wasserwirtschaftsverwaltungen
werden über das abgeschlossene
Projekt
PC‐River hinaus gemeinsam mit den Ministerien in zukünftige Schritte eingebunden.
Stuttgart, Juli 2009
Pieter A. Vermeer
-
iii
Danksagung Mein besonderer Dank gilt meinem Chef und Doktorvater Herrn Prof. Dr.‐Ing. Pieter A. Vermeer für seine immer wieder lobenden Worte, die für mich ein Ansporn wa‐ren. Er gab mir die Freiheit, das Projekt PC‐River gemeinsam mit den Kollegen ei‐genständig zu bearbeiten. Ich hoffe, durch diese Dissertationsschrift das in mich ge‐setzte Vertrauen wieder zurückgeben zu können.
Auch meinem Mitberichter Herrn Prof. Dr.‐Ing. habil. Bernhard Westrich, Institut für Wasserbau, Universität Stuttgart, möchte ich für seine Unterstützung der selbststän‐digen Projektbearbeitung unter seiner Anleitung danken. Insbesondere seine präzise Formulierung
von Sachverhalten haben mir einen
besonderen
wissenschaftlichen Anspruch gezeigt.
Meinem weiteren Mitberichter Herrn Prof.
ir. A.C.W.M.
(Ton) Vrouwenvelder der Technischen Universität Delft danke ich für seine Unterstützung bei komplexen Fra‐gestellungen der Wahrscheinlichkeitslehre. Bei meinen Besuchen bei TNO Bouw
in Delft bekam ich von ihm und seinem Mitarbeiter Herrn Ir. Henri Steenbergen einfa‐che, ingenieurmäßige Antworten, wie sie in der Literatur schwer zu finden sind.
Weiterhin möchte
ich meinen Institutskolleginnen und
‐kollegen für die konstrukti‐ven fachlichen und außerfachlichen Diskussionen danken, insbesondere Herrn Dipl.‐Ing. Dipl.‐Ing. Maximilian Huber sowie Herrn Dipl.‐Ing. Lars Beuth für das Korrek‐turlesen dieser Dissertation sowie für deren programmiertechnische Unterstützung.
Mein Dank gilt auch den
externen Kollegen Herrn Dipl.‐Ing.
(FH)
Timo Schweckendiek, M.Sc., Deltares, Delft, sowie den Herren Dipl.‐Ing. Paul Bonnier und Dipl.‐Ing. Andrei Chesaru, Plaxis, Delft,
für deren konstruktive Shortcuts und pro‐grammiertechnische Unterstützung.
Weiterhin möchte ich den studentischen Mitarbeitern danken, die meine Arbeit und die
im Rahmen dieser Dissertation
beschriebenen Ergebnisse
tatkräftig unterstützt haben, insbesondere
Frau Beate Stahl, die einen
unermüdlichen Einsatz getrieben hat,
um Berechnungen vielfach auch
am Wochenende auszuwerten und neue
Be‐rechnungen zu starten.
Mein inniger Dank gilt meinen Eltern Fritz und Christine Möllmann für ihre Förde‐rung meiner
Entwicklung und ihre Wertevermittlung,
ohne die
diese Dissertation nicht zustande gekommen wäre. Außerdem danke
ich meinem Onkel Herrn Dipl.‐Ing. Peter Dittgen
für die akribische Durchsicht meiner Arbeit und die zahlreichen, wertvollen Anregungen zur Formulierung.
Schließlich möchte
ich meiner Frau Birgit und meinen Kindern Adrian und Marius für ihren emotionalen Rückhalt während der vergangenen knapp fünf Jahre danken.
-
Danksagung
iv
Ihrer vollständigen Unterstützung konnte ich auch in den letzten, arbeitsreichen Wo‐chen der Fertigstellung meiner Dissertation immer sicher sein.
Stuttgart, Juli 2009
Axel Möllmann
-
v
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1
1.1 Probabilistische Analysen im Bauwesen
1
1.2
Vergleich deterministischer und probabilistischer Analysen
1
1.3 Zielsetzung 4
1.4 Gliederung 5
2
Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
7
2.1 Statistische Grundlagen 7
2.1.1 Gruppen von Unsicherheiten
7
2.1.2 Probabilistische Verteilungsfunktionen
8
2.2 Level‐II‐Methoden 12
2.2.1 First Order Second Moment Methode
13
2.2.2 First und Second Order Reliability Methode
15
2.2.3 First Order Reliability Methode mit Adaptiver Response Surface
19
2.3 Level‐III‐Methoden 21
2.3.1 Monte Carlo Simulation 22
2.4 Räumliche Variabilität
23
2.4.1 Point Kriging Verfahren
23
2.4.2 Semivariogrammtechnik 25
2.4.3
Räumliche Mittelwertbildung und Varianzreduktion
27
3
Probabilistische Untersuchung von Hochwasserschutzdeichen
31
3.1
Verknüpfung von Wasserspiegel und Wiederkehrperiode
32
3.2
Verknüpfung von Abfluss und Überschreitungsdauer
33
3.3 Ermittlung der Wasserspiegellagen
34
3.4.
Verknüpfung von Wind und Überschreitungswahrscheinlichkeit
34
3.5 Ermittlung der Wellenhöhen
35
-
Inhaltsverzeichnis
vi
3.6
Kombination von Versagenswahrscheinlichkeiten mit korrelierten Eingangs‐parametern
36
3.6.1
Versagenswahrscheinlichkeit bei räumlich korrelierten Eingangsparame‐tern / Längeneffekt
36
3.7
Zeitreferenzierte Versagenswahrscheinlichkeit bei zeitlich korrelierten Ein‐gangsparametern
38
3.7.1
Ermittlung eines elementaren Zeitintervalls
38
3.7.2
Versagenswahrscheinlichkeit bei zeitlich korrelierten Eingangsparame‐tern
39
3.7.3
Iterationsalgorithmus zur Bestimmung der Versagenswahrscheinlichkeit bei zeitlich korrelierten Eingangsparametern
41
3.8 Einfluss einer Klimaveränderung
44
4
Probabilistische Analyse mittels analytischer Versagenszustandsgleichungen
47
4.1
Versagensmechanismen und Versagenszustandsgleichungen für Hochwas‐serschutzdeiche
50
4.1.1 Überströmen / Wellenüberschlag
50
4.1.2 Auftrieb / Erosionsgrundbruch 52
4.1.3 Landseitiger Böschungsbruch 56
4.1.4
Versagen der wasserseitigen Deckschicht und Erosion des Deichkörpers
59
4.2
Erweiterung eines bestehenden Modells zur Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit von Seedeichen auf Deiche an Flüssen im Tiefland und Mittelgebirgen
61
4.2.1 Wahl eines elementaren Zeitintervalls
62
4.2.2 Erweiterung auf ein Sommerhochwasser
63
4.2.3
Flexibilisierung der Eingabe einer Extremwertstatistik für den Abfluss
63
4.2.4
Definition eines Zuverlässigkeitsniveaus und eines Zuverlässigkeitsbord
65
4.2.5
Übersetzung der Programmein‐ und –ausgaben
69
4.3 Fallstudie Elbe 69
4.3.1 Flusscharakteristik 70
4.3.2
Geostatistische Auswertung der vorliegenden Eingangsdaten
71
-
Inhaltsverzeichnis
vii
4.3.3
Geostatistische Auswertung der vorliegenden Eingangsdaten
73
4.3.4 Ergebnisse und Interpretation 75
4.4 Fallstudie Untere Iller
84
4.4.1 Flusscharakteristik 84
4.4.2 Geotechnische Randbedingungen 87
4.4.3 Ergebnisse 91
5
Probabilistische Finite‐Elemente‐Analyse der Deichstabilität
99
5.1 Hydraulisch‐mechanische Finite‐Elemente‐Analyse
101
5.1.1
Mechanische Berechnungen für zweidimensionale Anfangsrandwertprobleme
102
5.1.2
Hydraulische Berechnungen für zweidimensionale Anfangsrandwertprobleme in gesättigten Böden
103
5.1.3 Numerische Stabilitätsanalyse
107
5.2 Instationäre Sickerströmungsberechnungen
109
5.2.1 Ungesättigte Zustände 110
5.2.2
Validierung der ungesättigten Strömungsberechnung
112
5.2.3
Zeitverzögerung zwischen Hochwasserscheitel und minimaler Standsicherheit
117
5.3
Probabilistische Bemessung mittels FORM‐ARS
120
5.3.1
Anwendung der probabilistischen Finite‐Elemente‐Analyse bei zeitabhängigen Eingangsparametern
120
5.3.2
Anwendung der FORM‐ARS auf die Finite‐Elemente‐Analyse der Deichstandsicherheit
125
5.3.3 Konvergenzprobleme 134
5.3.4
Validierung der FORM‐ARS durch eine Monte Carlo Simulation
141
5.4
Anwendungsbeispiele der probabilistischen Finite‐Elemente‐Analyse der Deichstabilität
145
5.4.1
Hochwasserschutzdeich an der Elbe bei Torgau
145
5.4.2
Homogener Deichkörper mit acht stochastischen geotechnischen Eingangsparametern
154
5.4.3
3‐Zonen‐Deich mit drei stochastischen geotechnischen Eingangsparametern und Korrelation der Scherparameter in Deichkörper und Untergrund
161
5.4.4. Vergleich der Ergebnisse der probabilistischen Analyse
166
-
Inhaltsverzeichnis
viii
6 Zusammenfassung und Ausblick
169
6.1
Analytische Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit
169
6.2
Finite‐Elemente‐Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit durch landseitigen Böschungsbruch
170
6.3 Ausblick 172
7 Literatur 175
Anhang
A
Anwendung des Point Kriging Verfahrens
183
B
Hohenbichler‐Rackwitz‐Algorithmus zur Kombination von Versagenswahrscheinlichkeiten mit korrelierten Parametern
186
B.1 Paralleles System 186
B.2 Reihensystem 188
B.3
Beispiel: Kombinierte Versagenswahrscheinlichkeit von Auftrieb und Erosionsgrundbruch
188
C
Anwendung des Iterationsschemas zur Berechnung der zeitreferenzierten Versagenswahrscheinlichkeit
190
D
Vergleich der Sensitivität verschiedener Piping‐Modelle auf die Versagenswahrscheinlichkeit
196
E
Rechenbeispiel zur Bestimmung des Zuverlässigkeitsniveaus und des Zuverlässigkeitsbords
198
F
Datenbasis der untersuchten Deichstrecke C an der Elbe
201
G
Deterministische Überprüfung der Standsicherheit im Bemessungspunkt
209
H
Datenbasis der untersuchten Deichstrecke B an der Unteren Iller
211
I
Linear elastisch ideal plastisches Stoffgesetz
217
J
Böschungsstabilität mit Kohäsion und stationärer Sickerströmung
220
K
Weitere Konvergenzkriterien der FORM‐ARS‐Anwendung
224
K.1
Anforderungen an die Finite‐Elemente‐Modellierung
224
K.2
Krümmungsorientierung der Antwortfunktion
225
K.3 Relaxation 226
L
Bestimmung der gebietsabhängigen Standardabweichung mittels Varianzre‐duktion
227
-
ix
Zusammenfassung Probabilistische Methoden halten
im Hochwasserschutz aufgrund der großen Unsi‐cherheiten verstärkt Einzug. Diese Unsicherheiten
rühren einerseits von den
fluss‐hydraulischen Gegebenheiten her, wie der Bestimmung des Wasserstands aus dem Abfluss und dem Auftreten von winderzeugten Wellen, andererseits von den geo‐technischen Eingangsparametern aufgrund der Heterogenität von Deichkörper und Deichuntergrund sowie des Stichprobencharakters der Baugrunderkundung. In den Niederlanden werden diese Unsicherheiten seit Anfang der 90er Jahre bei der Unter‐suchung der Hochwasserschutzbauwerke systematisch berücksichtigt.
Dieser Beitrag stellt zunächst die probabilistischen Rechenverfahren und deren An‐wendung bezüglich der Analyse der Standsicherheit von Hochwasserschutzdeichen vor.
In Kapitel 2 werden die
für die geotechnische Bemessung
relevanten Level‐II‐ und Level‐III‐Methoden
der Zuverlässigkeitsuntersuchung diskutiert.
Die
Berück‐sichtigung der geotechnischen Unsicherheiten
liefert
eine dimensionslose Stichpro‐benwahrscheinlichkeit. Die Verknüpfung mit dem Wasserspiegel
im Fluss führt zu einer
zeitreferenzierten Versagenswahrscheinlichkeit
des Deiches, auf deren
Be‐stimmung in Kapitel 3 eingegangen wird.
Die meisten Versagensmechanismen von
Flussdeichen lassen sich durch
bekannte analytische Versagenszustandsgleichungen
beschreiben. Bei der
probabilistischen Untersuchung ist Augenmerk auf veränderte Abflusscharakteristiken an Flüssen im Tiefland und
in den Mittelgebirgen zu
richten, weswegen Erweiterungen an einem bestehenden Modell für Deiche an der See und an den Deltabereichen der Flüsse in Kapitel 4 erläutert werden. Diese Erweiterungen werden anhand von zwei Fallstudi‐en an der sächsischen Elbe und der Unteren Iller validiert.
Eine Analyse der Böschungsinstabilität erfolgt
in der Praxis meist durch das Gleit‐kreisverfahren bei Annahme einer stationären Sickerströmung. Mit Hilfe einer Finite‐Elemente‐Berechnung lassen sich jedoch auch Inhomogenitäten im Deichkörper und im Untergrund
berücksichtigen, Tragreserven aufgrund einer
instationären Sicker‐strömung quantifizieren
und diese schließlich mit einer
numerischen
Standsicher‐heitsuntersuchung koppeln, worauf in Kapitel 5 eingegangen wird. Die Vorteile der Finite‐Elemente‐Methode
lassen sich effizient mit einer
probabilistischen Untersu‐chung durch die
First Order Reliability Methode mit Adaptiver Response
Surface (FORM‐ARS) verknüpfen, was an zwei Anwendungsbeispielen illustriert wird.
Die Dissertation soll einen
Beitrag zu einer zukünftigen
Anwendung
der Probabilistik für die Bemessung von Hochwasserschutzdeichen in der Ingenieurpra‐xis liefern.
-
Zusammenfassung
x
-
xi
Abstract Probabilistic methods are becoming more popular in recent years as large uncertain‐ties characterize the occurrence of river floods. On the one hand, those uncertainties result from the hydraulic river characteristics like the water level with respect to the river discharge and wind‐induced waves. On the other hand, geotechnical uncertain‐ties become relevant for the description of the embankment structure due to the he‐terogeneity of the embankment body and subsoil and due to the relatively scarce ex‐tent of direct soil investigation in contrast to the total soil volume governing the em‐bankment stability. In the Netherlands, those uncertainties are taken into account in a systematic way for the analysis of flood protection measures since the beginning of the 1990s.
In chapter 2, the probabilistic
calculation techniques and their
application to
the analysis of river embankment stability are discussed. For the geotechnical reliability‐based design, level‐II‐ and level‐III‐methods are introduced. First, these methods are applied not regarding a water level depending on a return period and therefore lead to a dimensionless
failure probabaility. In chapter 3,
they are coupled with a
time‐referenced water level and yield a time‐referenced failure probability.
For many failure modes of river embankments, analytical limit state equations can be formulated which are discussed in chapter 4. An existing model for the probabilistic analysis of sea dikes and embankments at delta areas of the rivers is extended in or‐der
to fulfil the different
river characteristics in the
lowland and low‐mountain
re‐gions. The extensions are validated by
two case studies at
the river Elbe
in Eastern Germany and the Lower Iller in Southern Germany.
A slope instability of the embankment is usually analyzed in practise by a slip circle approach under
the assumption of a steady‐state
seepage. By the help of a
Finite Element analysis, inhomogeneities in the embankment body and subsoil can be con‐sidered and coupled with a determination of stability reserves coming
from a
tran‐sient seepage analysis. The First Order Reliability Method with Adaptive Response Surface (FORM‐ARS)
is introduced
in chapter 5 as an efficient probabilistic calcula‐tion technique which takes the results of deterministic Finite Element calculations for the determination of the failure probability into account. The benefits of the method are illustrated by two real‐case examples.
This thesis has the aim
to promote
the application of probabilistic analysis
in Engi‐neering practise
in the future for the design of river embankments for flood protec‐tion purpose.
-
Abstract
xii
-
xiii
Verwendete Symbole A
Auftriebskraft auf Gleitkreis [kN/m] a
Untere Intervallgrenze aN
Koeffizient der Beziehung von Überschreitungsdauer N und Abfluss aQ
Koeffizient der Beziehung von Abfluss Q und Wiederkehrperiode
aw
Koeffizient der Beziehung von Windgeschwindigkeit uw und
Überschreitungswahrscheinlichkeit b
Obere Intervallgrenze b
Koeffizientenvektor der Antwortfunktion
b’
Belastungsvektor der auf den Körper wirkenden Kräfte
[kN/m³] bi
Koeffizienten der Antwortfunktion bN
Koeffizient der Beziehung von Überschreitungsdauer N und Abfluss bQ
Koeffizient der Beziehung von Abfluss Q und Wiederkehrperiode
bw
Koeffizient der Beziehung von Windgeschwindigkeit uw und
Überschreitungswahrscheinlichkeit bw,i
Durchfeuchtete horizontale Deichaufstandsfläche zum Zeitpunkt i
[m] C Oberflächenrauheit
[m1/2/s] CE
Erosionswiderstand der Grasdeckschicht
[1/ms] CRB
Erosionsstabilität des Deichmaterials
[ms] CRK
Erosionsstabilität der Tondeckschicht
[ms] C(ψm)
Wasserkapazität des ungesättigten Bodens
[1/m] c
Parameter, der die Mechanik beim Austragen von Körnern aus ei‐
nem Grundwasserleiter beschreibt c’
Effektive Kohäsion des Bodens
[kN/m²] cB Piping‐Koeffizient nach Bligh
cg
Erosionsstabilität der Grasdeckschicht
[ms] cL Piping‐Koeffizient nach Lane
cmob’
Mobilisierte effektive Kohäsion
[kN/m²] cN
Koeffizient der Beziehung von Überschreitungsdauer N und Abfluss cs
Speicherkoeffizient der instationären Sickerströmung
[1/m] cw
Koeffizient der Beziehung von Windgeschwindigkeit uw und
Überschreitungswahrscheinlichkeit COV
Kovarianz D Elastizitätsmatrix
[kN/m²] Ds
Mächtigkeit des Grundwasserleiters
[m] D(Q)
Tageslinie des Abflusses Q
[Tage / d] d
Mächtigkeit des Grundwasserstauers [m]
-
Verwendete Symbole
xiv
d70
Korndurchmesser, der von 70 Massenprozent der Bodenkörner un‐terschritten wird
[m]
dG Dicke der Grasdeckschicht
[m] dw
Wassertiefe vor dem Deich für die Wellenhöhenbestimmung
[m] dN
Koeffizient der Beziehung von Überschreitungsdauer N und Abfluss E
Elastizitätsmodul [kN/m²] e
Abstand der Bemessungspunkte zweier aufeinanderfolgender
Iterationsschritte err
Fehler der Antwortfunktion err
Vektor der Fehler der Antwortfunktion
F Streichlänge vor dem Deich
[m] FS
Strömungskraft auf den Gleitkreis
[kN/m] F(Q)
Frequenzlinie des Abflusses Q
FQ(Q)
Summenhäufigkeitsverteilung für den Abfluss Q
f Ausnutzungsgrad fkor,i
Korrekturfaktor der Fließstrecke im Zeitintervall i
f0
Koeffizient zur Anpassung des Verlaufs der Hochwasserwelle
[m³] fpl Fließfunktion
[kN/m²] f(T,K) Klimaänderungsfaktor
f(x)
Allgemeine Verteilungsfunktion von x
g Erdbeschleunigung [m/s²] gpl
Plastisches Potenzial [kN/m²] H
Quelle oder Senke bei der instationären Sickerströmung
[1/s] HS Wellenhöhe nach Bretschneider
[m] h Wasserstand im Fluss
[m / mNN] h Potenzialhöhe
[m / mNN] Δh
Differenz der Wasserstände auf der Wasser‐ und Landseite
[m] hb Binnenwasserstand
[m / mNN] hc
Kritischer Wasserstand für Auftrieb
[m] Δhc
Höhendifferenz, die die Resttragfähigkeit des Deiches
berücksichtigt [m] hd Deichkronenhöhe
[m / mNN] hfl
Höhenlage des landseitigen Deichfußes
[m / mNN] hFluss
Verteilung des Wasserstands aus Abfluss und
Wasserstandsunsicherheit [m / mNN] hmax
Hochwasserscheitel
[m / mNN] hp
Kritischer Wasserstand für einen Erosionsgrundbruch
[m]
ph Druckhöhe [m]
hq
Verteilung des Wasserstands aus Abfluss
[m] hWelle
Verteilung des Wassserstands aus Wellen
[m] h*Zuverlässigkeit Zuverlässigkeitsniveau
[m / mNN] i
Laufvariable, Eingangsparameter, Richtung, Zeitintervall bzw. Index ikrit
Kritischer hydraulischer Gradient iw
Vorhandener hydraulischer Gradient
-
Verwendete Symbole
xv
K Kompressionsmodul [kN/m²] K
Erweiterte Korrelationsmatrix Kp
Plastischer Kompressionsmodul [kN/m²] KsKr
Kalibrierungsfaktor der Wellenhöhenbestimmung nach
Bretschneider K(u)
Polynomfunktion zur Annäherung der Beziehung zwischen
Windgeschwindigkeit uw und Überschreitungswahrscheinlichkeit
k
Isotrope Durchlässigkeit des Bodens
[m/s] ki
Durchlässigkeit in Richtung i
[m/s] krel Relative Durchlässigkeit
kSt
Oberflächenrauhigkeit einer Gerinneströmung
[m1/3/s] L Allgemeine Länge
[m] ΔL Länge eines Deichabschnitts
[m] LB, Infram
Wirksame Breite des Deichkörpers nach Infram
[m] LB,rudimentäres Erosionsmodell Wirksame Breite des Deichkörpers im rudimentären
Erosionsmodell
[m] Lhoriz
Horizontaler Anteil des Sickerwegs
[m] LK Dicke der Tondeckschicht
[m] LL Sickerwegslänge nach Lane
[m] Ls
Sickerwegslänge nach Weijers und Sellmeijer
[m] Lvert
Vertikaler Anteil des Sickerwegs
[m] M Erweiterter Korrelationsvektor
M Treibendes Moment
[KNm/m] m
Parameter zur Beschreibung des ungesättigten Bodenverhaltens
mc
Modellunsicherheit des Versagens durch Erosionsgrundbruch nach
Lane mgH
Modellunsicherheit der Wellenhöhenbestimmung
mgT
Modellunsicherheit der Wellenperiodenbestimmung
mh Dämpfung des Auftriebsversagens
mL
Modellunsicherheit des Sickerwegs nach Lane
mo
Modellunsicherheit des Auftriebsversagens
mp
Modellunsicherheit des Versagens durch Erosionsgrundbruch
mqo
Modellunsicherheit der vorhandenen überströmenden Wassermenge mqc
Modellunsicherheit der kritischen überströmenden Wassermenge
N(Q)
Überschreitungsdauer eines Abflussniveaus Q
[Tage / d] n
Anzahl an Werten, Deichabschnitten, Blöcken oder Rechenläufen
na Luftgefüllter Porenanteil
nges
Gesamtzahl der Realisationen der Monte Carlo Simulation
ntot Gesamter Porenanteil
nvG
Parameter zur Beschreibung des ungesättigten Bodenverhaltens
nw Wassergefüllter Porenanteil
Pt
Faktor, der den pulsierenden Charakter der Welle berücksichtigt
p Wahrscheinlichkeit p’
Gemittelte Spannung in den drei Raumrichtungen
[kN/m²]
-
Verwendete Symbole
xvi
p(F) Versagenswahrscheinlichkeit p(F)a
Versagenswahrscheinlichkeit pro Jahr
[1/a] p(F)N(Q)
Versagenswahrscheinlichkeit pro Überschreitungsdauer N(Q)
[1/d] Q Abfluss im Fluss
[m³/s] Q* Abfluss im Bemessungspunkt
[m³/s] Q(T)
Abfluss in Abhängigkeit von der Wiederkehrperiode T
[m³/s] Q(t)
Zeitlicher Abflussverlauf der Hochwasserwelle
[m³/s] qf
Deviatorische Spannung beim Bruch
[kN/m²] qkrit
Kritische überströmende Wassermenge pro Zeiteinheit
[m³/s m] qm
Modellunsicherheit der probabilistischen Gleitkreisanalyse
q0
Vorhandene überströmende Wassermenge pro Zeiteinheit
[m³/s m] R Widerstand Rd
Bemessungswert des Widerstands Rk
Charakteristischer Widerstand Rm
Widerstehendes Moment [kNm/m] r
Radius des Gleitkreises [m] rK
Reduktionsfaktor, der die Richtung des Wellenangriffs
berücksichtigt S Einwirkung
dS
Oberfläche des Körpers, auf die Kräfte wirken
[m²] Sd Bemessungswert der Einwirkung
Se Effektiver Sättigungsgrad Sk
Charakteristische Einwirkung Sr
Sättigungsgrad Sres
Verbleibende Bodensättigung S(b)
Summe der Fehlerquadrate des Koeffizientenvektors b
T
Wiederkehrperiode des Hochwassers
[Jahre / a] Tf
Wiederkehrperiode des Versagens
[Jahre / a] Tg
Gebietsgröße für die Varianzreduktion
[m / m² / m³] Ts
Wellenperiode [s] t Zeit
[s] t
Belastungsvektor der auf die Oberfläche wirkenden Kräfte
[kN/m²] Δti Zeitintervall
[s] tRB
Dauer der Erosion des Deichkörpers
[s] tRG
Dauer der Erosion der Grasdeckschicht
[s] tRK
Dauer der Erosion der Tondeckschicht
[s] tS Sturmdauer [s] U
Resultierende Porenwasserdruckkraft auf den Gleitkreis
[kN/m] u
Standard‐normalverteilter Eingangsparameter
u’
Transformierter stochastischer Parameter u
Porenwasserdruck [kN/m²] u
Porenwasserdruckmatrix [kN/m²] δu
Vektorielle virtuelle Verschiebung
[m] ui Standard‐normalverteilter Parameter
-
Verwendete Symbole
xvii
uQ bzw. uq
Standard‐normalverteilter Abfluss uR
Standard‐normalverteilter Widerstandsparameter
uR*
Standard‐normalverteilter Widerstandsparameter im Bemessungs‐
punkt uS
Standard‐normalverteilter Einwirkungsparameter
uS*
Standard‐normalverteilter Einwirkungssparameter im Bemessungs‐
punkt uw Windgeschwindigkeit
[m/s] uw*
Windgeschwindigkeit im Bemessungspunkt
[m/s] uWind
Standard‐normalverteilte Windgeschwindigkeit
V Volumen [m³] v
Variationskoeffizient bzw. verbleibende Unsicherheit
vauf,i
Anstiegsgeschwindigkeit des Wasserspiegels im Zeitintervall i
vi
Filtergeschwindigkeit in Richtung i
[m/s] vkrit
Kritische Strömungsgeschwindigkeit auf dem Deich
[m/s] wi Verschiebung in Richtung i
[m] X
Matrix der Werte der stochastischen Eingangsparameter
x
Allgemeiner stochastischer Eingangsparameter
x
Vektor der Parametereigenschaften in den Datenpunkten
x0
Parameter einer dreiparametrischen Log‐Normalverteilung
xi Position eines Punktes
xi* Fließstrecke [m] xR
Widerstandsparameter xR*
Widerstandsparameter im Bemessungspunkt
xS Einwirkungsparameter xS*
Einwirkungsparameter im Bemessungspunkt
y
Normalverteilter stochastischer Eingangsparameter
Z Versagenszustandsgleichung Z’
Transformierte Versagenszustandsgleichung z
Geodätische Höhe [m / mNN] α
Parameter, der die Geometrie eines durchströmten
Grundwasserleiters beschreibt αg
Verhältnis von Streckenlänge Tg zu Korrelationslänge θ
αi
Sensitivitätsfaktor des Eingangsparameters i
αl Landseitige Böschungsneigung
αQ bzw. αq
Sensitivitätsfaktor des Abflusses αR
Sensitivitätsfaktor des Widerstands αS
Sensitivitätsfaktor der Einwirkung αvG
Parameter zur Beschreibung des ungesättigten Bodenverhaltens [1/m] αWind
Sensitivitätsfaktor der Windgeschwindigkeit
αε
Sensitivitätsfaktor des Fehlers der Antwortfunktion
β Zuverlässigkeitsindex β
Vektor des Zuverlässigkeitsindex’ im standard‐normalverteilten
Raum
-
Verwendete Symbole
xviii
β’
Auf den transformierten Parameter u’ bezogener
Zuverlässigkeitsindex βkonvex
Zuverlässigkeitsindex einer konvexen Antwortfunktion
βρ
Lösungsvektor der Kriging‐Gewichtungen γ
Feuchtwichte des Bodens bzw. Grundwasserstauers
[kN/m³] γG
Geschwindigkeitskoeffizient der Erosion der Grasdeckschicht
γK Kornwichte des Grundwasserleiters
[kN/m³] γm
Parameter zur Beschreibung des ungesättigten Bodenverhaltens
γr Gesättigte Wichte des Bodens
[kN/m³] γR
Teilsicherheitsbeiwert auf der Widerstandsseite
γS
Teilsicherheitsbeiwert auf der Einwirkungsseite
γw Wasserwichte γxy
Schubverzerrung γ(i)
Varianzreduktionsfaktor in Abhängigkeit des Parameters i
γ(Tg)
Varianzreduktionsfunktion in Abhängigkeit von der Gebietsgröße Tg γ(τg)
Semikovarianz in Abhängigkeit des Abstands τg
δ Relaxationsfaktor der FORM‐Iteration
δ Einheitsmatrix ε
Dehnungsmatrix ε&
Inkrementelle Zuwächse der Dehnungsmatrix
[1/s] δε Virtuelle Dehnungsmatrix
εi Dehnung in Richtung i
εv Volumenndehnung eε&
Elastische Dehnungsinkremente [1/s]
pε& Plastische Dehnungsinkremente
[1/s]
η Standsicherheitsfaktor η
Vektor der Standsicherheitsfaktoren
ηerf
Erforderlicher Standsicherheitsfaktor
ηWhite
Schleppkraftfaktor nach van White
θ Korrelationslänge [m] θh
Horizontale Korrelationslänge [m] θi
Korrelationslänge des stochastischen Eingangsparameters i
[m] θs
Bettungswinkel des Grundwasserleiters
[°] θv Vertikale Korrelationslänge
[m] κ
Bezogener Korrekturfaktor der Fließstrecke im Zeitintervall i
κi Permeabilität [m²] λ&
Plastischer Multiplikator μ
Mittelwert μlnt
Koeffizient zur Anpassung des Verlaufs der Hochwasserwelle
ν Schiefe ν’
Querdehnzahl νs
Kinematische Viskosität des Grundwasserleiters
[m²/s] ρ Korrelationskoeffizient
ρ
Korrelationsvektor bzw. Korrelationsmatrix
-
Verwendete Symbole
xix
ρi
Korrelationskoeffizient des stochastischen Eingangsparameters i
σ Standardabweichung σ2
Varianz in einem Punkt σ’
Effektive Normalspannung [kN/m²] σ’
Spannungsmatrix [kN/m²] ʹσ&
Inkrementelle Zuwächse der Spannungsmatrix
[1/s] σ1’ Größere Hauptnormalspannung
[kN/m²] σ3’ Kleinere Hauptnormalspannung
[kN/m²] σ2g Varianz in einem Gebiet
σlnt
Koeffizient zur Anpassung des Verlaufs der Hochwasserwelle
σn’
Effektive Normalspannung beim Bruch
τ Vorhandene Schubspannung
[kN/m²] τf Aufnehmbare Scherfestigkeit
[kN/m²] τg Abstand von Punkten
[m] τmob Mobilisierte Scherfestigkeit
[kN/m²] Φ
Standardnormalverteilte Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion
ϕ’
Effektiver Reibungswinkel des Bodens
[°] ϕb
Reibungswinkel im ungesättigten Bereich
[°] ϕk’
Charakteristischer effektiver Reibungswinkel
[°] ϕmob’
Mobilisierter effektiver Reibungswinkel
[°] ψm Matrixpotenzial [m] dΩ
Volumen des Körpers, auf den Kräfte wirken
[m³] ω
Winkel der Lamelle zur Vertikalen beim Gleitkreisverfahren
[°]
-
Verwendete Symbole
xx
-
1
Kapitel 1
Einleitung
1.1
Probabilistische Analysen im Bauwesen
Seit vielen
Jahrzehnten werden Wahrscheinlichkeitsmethoden
im konstruktiven In‐genieurbau angewandt,
z.B. bei der Festlegung von
erforderlichen Sicherheiten
in den Normen für die Erstellung
zuverlässiger Bauwerke oder
bei der Analyse von Rissbreiten
von Stahlbetonbauteilen. Eine
probabilistische Analyse ist von
Bedeu‐tung, wo große Unsicherheiten aufgrund von natürlichen Streuungen, Datenmangel oder Modellungenauigkeiten herrschen.
In der Hydrologie und
Flusshydraulik sind es
die Unsicherheiten in
den Nieder‐schlagsereignissen, im Klimawandel, aber auch die im Laufe der Jahrzehnte geänder‐te Abflusscharakteristik durch Veränderungen der Landnutzung
im Vorland sowie einer Retention oder Begradigung an den Oberläufen, die die Vorhersage bestimmter Wasserstände
mit zugehörigen
statistischen Wiederkehrperioden erschweren.
Be‐züglich des Untergrunds können die natürliche Variabilität der mechanischen und geohydraulischen
Parameter als Folge von geologischen
Prozessen, aber auch
die statistische Unsicherheit aufgrund
des geringen Anteils vorhandener
direkter Bo‐denaufschlüsse
im Bezug auf das Gesamtvolumen des Baugrunds als maßgebende geotechnische Unsicherheiten
identifiziert werden. Deshalb
ist eine probabilistische Untersuchung gerade für Hochwasserschutzdeiche wertvoll, die durch hydraulische und geotechnische Unsicherheiten beeinflusst werden.
1.2
Vergleich deterministischer und probabilistischer Ana‐lysen
Der Nutzen
einer probabilistischen Analyse von Hochwasserschutzdeichen
soll
an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden. Für die in Abbildung 1.1 dargestellten Deiche
soll die Standsicherheit eines
landseitigen Böschungsbruchs überprüft wer‐den. Beide Deiche besitzen die gleiche Kronenhöhe. Deich A unterscheidet
sich
je‐doch von Deich B durch seine halb so steilen wasser‐ und
landseitigen Böschungen sowie durch seine Scherparameter φ’ und c’, die um den Faktor 1,5 geringer sind als für Deich B. Die für das Gleitkreisverfahren nach Bishop (1954) maßgebenden Para‐meter für Deichkörper und Untergrund sind in Tabelle 1.1 zusammengestellt.
-
Kapitel 1 Einleitung
2
4
Auelehm
Auesand
Auekies
Aufschüttung
2,0313,00
1
2Auesand
Auekies
Aufschüttung
HW 100 4,0615,99
1
Deich B
Deich A
Auelehm
HW 100
4
Auelehm
Auesand
Auekies
Aufschüttung2,03
13,001
2Auesand
Auekies
ϕ’ = 15,8°, c k ’
= 2,0 kN/m²k
HW 100 4,0615,99
1
Deich B
Deich A
Auelehm
HW 100
Aufschüttung
ϕ’ = 15,8°, c k ’
= 2,0 kN/m²k
ϕ’ = 26,4°, c k ’
= 0,0 kN/m²k
ϕ’ = 26,4°, c k ’
= 0,0 kN/m²k
ϕ’ = 23,7°, c k ’
= 3,0 kN/m²kϕ’ = 23,7°, c k ’
= 3,0 kN/m²k
ϕ’ = 26,4°, c k ’
= 0,0 kN/m²k
ϕ’ = 26,4°, c k ’
= 0,0 kN/m²k
Abbildung 1.1.: Geometrie der untersuchten Beispieldeiche
Tabelle 1.1: Böschungsneigungen und effektive Scherparameter für die untersuchten Beispieldeiche
Böschungsneigung Deichkörper / Auelehm
γ = 13,4 / 19 kN/m³ γr = 15,3 / 20 kN/m³
wasser‐seitig
land‐seitig
Effektiver Rei‐bungswinkel φk‘ für Deichkörper und Auelehm
Effektive Kohäsion ck‘
für Deichkörper und Auelehm
Deich A 5,99 4,06 15,8°
2,0 kN/m²
Deich B 3,00 2,03 23,7°
3,0 kN/m²
Für beide Deiche werden zunächst Nachweise nach deterministischen Konzepten für ein 100‐jährliches Hochwasser geführt. Das globale Sicherheitskonzept der DIN 4084 (1981) vergleicht haltendes und
treibendes Moment für
einen kritischen Gleitkreis. Im Lastfall 2 ist dann eine Sicherheit ηerf = 1,3 einzuhalten. Das Teilsicherheitskonzept der DIN 4084
(2009) mindert die Scherparameter mit den Teilsicherheiten γϕ = γc = 1,15 ab. Der Ausnutzungsgrad
f ergibt
sich durch den Vergleich des einwirkenden Bemessungsmoments mit dem so reduzierten, widerstehenden Bemessungsmoment.
Die deterministische Bemessung für
ein 100‐jährliches Hochwasser liefert
einen Standsicherheitsfaktor η = 1,35 bzw. einen Ausnutzungsgrad f = 0,85 für Deich A und η = 1,36 und f = 0,84 für Deich B, wie Tabelle 1.2 entnommen werden kann. Für beide Deiche sind die Standsicherheitsnachweise mit dem globalen Sicherheitskonzept als auch mit dem Teilsicherheitskonzept knapp erfüllt. In beiden Fällen können nur ge‐ringe Standsicherheitsreserven gegenüber
einem 100‐jährlichen Hochwasser festge‐
-
1.2 Vergleich deterministischer und probabilistischer Analysen
3
stellt werden. Da sich die
Standsicherheiten bzw. Ausnutzungsgrade
kaum unter‐scheiden, muss davon
ausgegangen werden, dass beide Deiche
ein
vergleichbares Schutzniveau gegenüber einem Hochwasser besitzen.
Im Vergleich dazu werden nun die beiden Deiche probabilistisch untersucht. Als sto‐chastische Parameter der Aufschüttung und der Auelehmschicht werden die Scher‐parameter ϕ’ und c’ berücksichtigt. Statt eines charakteristischen Werts wird die Va‐riabilität der geotechnischen Parameter durch eine probabilistische Verteilungsfunk‐tion ausgedrückt,
für die Mittelwert μ und Standardabweichung σ angegeben wer‐den kann. Die
ermittelte Verteilungsfunktion kann dabei
in der Regel nicht durch Untersuchungen
des betreffenden Untergrunds
belegt werden. Vielmehr stellt
die Wahl der Verteilungsfunktion
eine mathematische Vereinfachung für
die
Bestim‐mung der Versagenswahrscheinlichkeit dar. Für die weniger
stark streuenden Rei‐bungswinkel wird
eine Normalverteilung mit einem
Variationskoeffizienten
von 10 % für Aufschüttung und Auelehm angenommen. Die Kohäsion der beiden Schich‐ten, die
für beide Deiche einer größeren
Streuung unterliegt, soll durch
eine Log‐Normalverteilung beschrieben
werden. Die für die deterministischen
Nachweise verwendeten charakteristischen Werte entsprechen 20%‐Fraktilwerten, d.h. 20 % der Werte liegen unterhalb des charakteristischen Werts. Gemäß der Normung der DIN 1055‐100 (2001) ist damit für die charakteristischen Werte die Forderung nach einem vorsichtigen Schätzwert erfüllt. Die verwendeten Verteilungsfunktionen und statisti‐schen Momente μ und σ sind in Abbildung 1.2 dargestellt.
2 4 6 8 1012 14 c[kPa]
d.f.→ log-normalverteilt
μc’ = 4,65 kPaσc’ = 3,72 kPa
μc’ ’
c‘k= 2,0 kPa15 18 21 @°D
d.f.
μϕ’ = 17,1 °σϕ’ = 1,71 °
Effektiver Reibungswinkel ϕ‘→
normalverteilt
ϕ‘μϕ’
ϕ‘k= 15,8 °
Prob
ab. V
erteilu
ngsfun
ktion
Prob
ab. V
erteilu
ngsfun
ktion
Effektive Kohäsion c ‘
4 8 12 16 c[kPa]
d.f.→ log-normalverteilt
μc’ = 6,98 kPaσc’ = 5,58 kPa
μc’ ’
c‘k= 3,0 kPa21 27 @°D
d.f.
μϕ’ = 25,6 °σϕ’ = 2,56 °
Effektiver Reibungswinkel ϕ‘→ normalverteilt
ϕ‘μϕ’
ϕ‘k= 23,7 °
Prob
ab. V
erteilu
ngsfun
ktion
Prob
ab. V
erteilu
ngsfun
ktion Effektive Kohäsion c ‘
24 30
Deich A
Deich B
Abbildung 1.2.: Angenommene probabilistische Verteilungsfunktionen
für die Scherparameter der untersuchten Beispieldeiche
-
Kapitel 1 Einleitung
4
Tabelle 1.2: Vergleich der Ergebnisse für die Deiche A und B nach deterministischer und probabilistischer Bemessung
Standsicherheit
nach DIN 4084:1981 Ausnutzungsgrad nach DIN 4084:2009
Wiederkehrperiode des Versagens
Deich A η = 1,35
f = 0,85 Tf = 1200 Jahre
Deich B η = 1,36
f = 0,84 Tf = 550 Jahre
Die Bestimmung der
jährlichen Versagenswahrscheinlichkeit
ist Thema dieser Dis‐sertation
und wird später erklärt. Neben
den Unsicherheiten der
Scherparameter wird auch der Wasserstand
im Fluss als unsicherer Parameter betrachtet, der einer statistischen
Wiederkehrperiode zugeordnet ist. Anders
als für die
determini‐stischen Nachweise wird nicht nur ein Wasserstand berücksichtigt, sondern es wer‐den alle möglichen Wasserstände in ihrer Gesamtheit betrachtet. Die Ergebnisse der deterministischen
und probabilistischen Untersuchung der
beiden Deiche sind
in Tabelle 1.2 zusammengefasst. Für den Deich A mit einer
flacheren Böschung ergibt sich eine
Wiederkehrperiode Tf des Versagens
als Kehrwert einer
jährlichen Versagenswahrscheinlichkeit von
1200 Jahren. Im Gegensatz dazu
besitzt
der Deich B, der aus einem
tragfähigeren Material besteht, eine Wiederkehrperiode des Versagens von nur 550 Jahren.
Für beide Deiche
liegt die Wiederkehrperiode deutlich über 100
Jahren. Damit sind gegenüber einem 100‐jährlichen Hochwasser doch erhebliche Standsicherheitsreser‐ven vorhanden. Die konservative Wahl des charakteristischen Werts für die determi‐nistischen Bemessungen ist die Ursache, weswegen die Nachweise nur knapp erfüllt werden. Der Unterschied der Wiederkehrperioden für die beiden Deiche zeigt, dass die
beiden Deiche ein unterschiedliches
Schutzniveau aufweisen. Der flacher
ge‐böschte Deich A besitzt eine etwa um einen Faktor 2 höhere Zuverlässigkeit als der Deich B.
1.3 Zielsetzung
Das vorangegangene Beispiel zeigt
die Vorzüge einer probabilistischen
Untersu‐chung von Hochwasserschutzdeichen, welche die Möglichkeit bietet, detailliert die Zuverlässigkeit
eines Deiches zu bestimmen.
Standsicherheitsreserven
aufgrund konservativer Herangehensweisen in den Normenwerken können damit aufgedeckt und
ein auf das jeweilige Bauwerk
zugeschnittener Schutzgrad
bestimmt werden. Geotechnische wie hydraulische Unsicherheiten werden dabei gezielt berücksichtigt. In Verbindung mit den bei einem Hochwasser auftretenden Schäden liefern probabi‐listische Analysen Nutzen‐Kosten‐Betrachtungen, mit denen die Effizienz von Maß‐nahmen zur Deichverstärkung bewertet werden kann.
-
1.3 Zielsetzung
5
Diese Dissertationsschrift verfolgt das Ziel, die Vorteile der probabilistischen Unter‐suchung von Hochwasserschutzdeichen
an unterschiedlichen Anwendungsbeispie‐len
aufzuzeigen. Dass diese Vorteile mit
einem gewissen Zusatzaufwand bei
der Auswertung der vorhandenen Datenbasis verbunden sind,
lässt sich nicht
leugnen. Der Aufwand einer Evaluation einer historischen Abflussstatistik, einer Aufstellung eines
hydrodynamisch‐numerischen Modells oder
einer Baugrunderkundung als Ingenieuraufgabe
steht jedoch in einem
vernünftigen Verhältnis mit
dem Nutzen, der sich aus den Analysen ergibt. Die beschriebenen Untersuchungen sind ohnehin unabdingbarerer Bestandteil einer klassischen Hochwasserschutzplanung, die ledig‐lich bei der Ermittlung von Wasserständen für extreme Hochwässer im hydrodyna‐misch‐numerischen Modell das gebräuchliche Maß überschreitet.
Die Weiterentwicklung des
in den Niederlanden entstandenen Softwarepakets PC‐Ring auf Deichbetrachtungen an Flüssen im Tiefland und in Mittelgebirgen hat zum Ziel,
die Effizienz der Analyse einer
Vielzahl von Deichabschnitten, die das
Pro‐gramm bietet, zu nutzen und das Programm
im deutschsprachigen Raum anwend‐bar zu machen. Ein weiterer Ansatz, wie ein vorhandenes Modell zur Bestimmung der Gefährdung
eines landseitigen Böschungsbruchs sinnvoll
auf eine
instationäre Deichdurchsickerung und auf
Inhomogenitäten
in Deich und Untergrund erweitert werden kann, wird
im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt. Dabei wird Hauptaugen‐merk darauf gelegt, wie der Zusatzaufwand der probabilistischen Untersuchung re‐duziert werden kann.
In der
Ingenieurpraxis herrscht häufig noch eine gewisse Skepsis gegenüber Wahr‐scheinlichkeitsmethoden, was wohl auf die verwendeten
statistischen Ansätze und die auf
Jährlichkeiten bezogenen Wasserstände
zurückzuführen ist. Eine Überprü‐fung
durch einfache Handrechnungen erscheint
kaum möglich. Die
Dissertation stellt jedoch in vielen Fällen leicht umsetzbare Methoden zur Beurteilung der Signifi‐kanz verschiedener Versagensmechanismen mit der Bestimmung eines Zuverlässig‐keitsniveaus und eines Zuverlässigkeitsbords und zur Überprüfung des Ergebnisses einer probabilistischen Untersuchung vor, die durch die Vergleichsmöglichkeit mit deterministischer Methodik „greifbarer“ gemacht wird.
1.4 Gliederung
Probabilistische Untersuchungsmethoden,
angewandt auf interdisziplinäre
Frage‐stellungen der Geotechnik und des Wasserbaus, stehen im Zentrum dieser Arbeit. Im Kapitel 2 werden die Grundlagen
für die probabilistische Analyse von zeitlich un‐veränderlichen
Eingangsparametern gelegt, die für
die Berücksichtigung des
geo‐technischen Widerstandsverhaltens des Deiches meist ausreicht. Probabilistische Re‐chenverfahren werden in Level‐I‐ bis Level–IV‐Methoden eingeteilt. Darüber hinaus werden wichtige Merkmale der räumlichen Variabilität von Untergrundeigenschaf‐ten erläutert.
-
Kapitel 1 Einleitung
6
Die Berücksichtigung der
zeitlich unveränderlichen geotechnischen Unsicherheiten liefert
eine dimensionslose
Stichprobenwahrscheinlichkeit. Die Verknüpfung
mit dem Wasserspiegel im Fluss führt zu einer zeitreferenzierten Versagenswahrschein‐lichkeit des Deiches, auf deren Ermittlung in Kapitel 3 eingegangen wird.
Die meisten Versagensmechanismen von
Flussdeichen lassen sich durch
bekannte analytische Versagenszustandsgleichungen
beschreiben. Bei der
probabilistischen Untersuchung von Flussdeichen ist Augenmerk auf veränderte Abflusscharakteristi‐ken an Flüssen im Tiefland und in Mittelgebirgen zu richten, weswegen Erweiterun‐gen an einem bestehenden Modell für Deiche an der See und an den Deltabereichen der Flüsse vorgenommen werden. Diese Erweiterungen werden anhand der Fallstu‐die an der sächsischen Elbe und der Unteren Iller
im Grenzgebiet zwischen Baden‐Württemberg und Bayern validiert.
Eine Analyse der Böschungsinstabilität erfolgt in der Praxis oft durch ein Gleitkreis‐verfahren
bei Annahme einer stationären
Sickerströmung. Mit Hilfe einer
Finite‐Elemente‐Berechnung lassen sich
Inhomogenitäten im Deichkörper und
im Unter‐grund berücksichtigen, weiterhin Tragreserven aufgrund einer
instationären Sicker‐strömung
aufdecken und diese schließlich mit
einer
Standsicherheitsuntersuchung koppeln. Die
Vorteile der Finite‐Elemente‐Methode lassen
sich effizient mit
einer probabilistischen Untersuchung durch die First Order Reliability Methode mit Adap‐tiver
Response Surface (FORM‐ARS)
verknüpfen, was an Fallbeispielen
illustriert wird.
Viele Ergebnisse, die
im Rahmen dieser Dissertation
erläutert werden, wurden
im Rahmen des Forschungsprojektes
„PC‐River
– Zuverlässigkeitsanalyse und Risiko‐abschätzung
im Hochwasserschutz unter integrierter
Berücksichtigung geotechni‐scher, hydrologischer
und hydraulischer Einflussgrößen“ erzielt.
PC‐River wurde gemeinsam vom Institut für Geotechnik, Prof. Dr.‐Ing. Pieter A. Vermeer, und Insti‐tut für Wasserbau, Prof. Dr.‐Ing. habil. Bernhard Westrich, an der Universität Stutt‐gart bearbeitet. Parallel zu dieser Arbeit wird am Institut für Wasserbau die Disserta‐tion von Herrn Dipl.‐Ing. Uwe Merkel erstellt, in der die wasserbaulichen Fragestel‐lungen einer probabilistischen Untersuchung von Hochwasserschutzdeichen detail‐liert behandelt werden.
PC‐River
ist Teil der Förderaktivität „RIMAX
‐ Risikomanagement extremer Hoch‐wasserereignisse“ und wurde aus Projektfördermitteln des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF)
finanziert. Über 30 Projekte in
ganz Deutschland haben sich
im Rahmen von RIMAX mit der Verbesserung des Hochwasserschutzes beschäftigt. Durch eine Vielzahl an gemeinsamen Veranstaltungen, die vom GeoFor‐schungszentrum Potsdam koordiniert wurden, und zahlreiche Kontakte zu anderen Teilprojekten war
das PC‐River‐Projekt in die
Förderaktivität RIMAX
eingebettet, was zum Erfolg des Projekts beigetragen hat.
-
7
Kapitel 2
Probabilistische Rechenverfahren in der Geo‐technik Die Bestimmung der Versagenswahrscheinlichkeit p(F) eines Bauwerks oder Bauteils wird
nach Plate (1993),
Baecher und Christian (2003)
sowie Ang und Tang (2007) auch
als Zuverlässigkeitsanalyse bezeichnet.
„Zuverlässigkeit“ ist dabei als
das Komplement von Versagenswahrscheinlichkeit zu verstehen, d.h.
ein Bauwerk mit einer Versagenswahrscheinlichkeit von 1%
ist zu 99% zuverlässig. Für die Untersu‐chung der
Standsicherheit unter Berücksichtigung aller
erfassbaren Unsicherheiten werden die
Begriffe „probabilistische Analyse“ und
„Zuverlässigkeitsanalyse“ gleichbedeutend
verwendet. Eine Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit
er‐folgt durch probabilistische Rechenverfahren. Dazu werden zunächst einige statisti‐sche Grundlagen vorgestellt, die das Verständnis der probabilistischen Rechenver‐fahren erleichtern sollen.
2.1 Statistische Grundlagen
2.1.1 Gruppen von Unsicherheiten
Für eine probabilistische Untersuchung
in der Geotechnik werden drei Arten
von Unsicherheiten unterschieden:
• Natürliche Variabilität
• Statistische Unsicherheit
• Modellunsicherheit
Die natürliche Variabilität oder auch aleatorische Unsicherheit beschreibt die Streu‐ung der Bodeneigenschaften und Geometrie aufgrund von geologischen Vorgängen, die
in der Vergangenheit stattgefunden
haben. Die Veränderlichkeit der
Schicht‐mächtigkeiten oder
der Durchlässigkeit des Bodens in
vertikaler und
horizontaler Richtung sind Beispiele für eine natürliche Variabilität. Häufig lassen sich vor Ermitt‐lung der natürlichen Variabilität Trends herausrechnen, z.B. eine Zunahme der Lage‐rungsdichte mit der Tiefe. Die Zufälligkeit der Eigenschaften
lässt
sich auch durch eine vermehrte Probenahme nicht
reduzieren. Die natürliche Variabilität
ist häufig
-
Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
8
die einzige Art von Unsicherheit, die bei einer Zuverlässigkeitsanalyse
in der Geo‐technik berücksichtigt wird, da davon ausgegangen wird, dass die vorhandene An‐zahl von Stichproben repräsentativ für die Grundgesamtheit sein wird.
Obwohl sie in Standardwerken der Statistik (z.B. Schneider, 1996) beschrieben wird, wird der Einfluss einer statistischen Unsicherheit bei der Ermittlung der Versagens‐wahrscheinlichkeit
bei einer probabilistischen Analyse
in der Geotechnik
häufig nicht berücksichtigt. Diese Gruppe, die auch als epistemische Unsicherheit bezeich‐net wird,
beruht auf der Begrenztheit der
Stichprobennahme und dem damit ver‐bundenen Mangel an Wissen, wie der dazwischenliegende Bereich aussehen könnte. Die statistische Unsicherheit herrscht dort, wo zum Zweck einer Deichkartierung in regelmäßigen Abständen Bohrungen abgeteuft wurden. Anhand von geophysikali‐schen Verfahren, die aufgrund der aus den Bohrungen gewonnenen Erkenntnissen Schwachstellen
im Deichkörper oder Deichuntergrund aufdecken sollen, wird dann versucht, die statistische Unsicherheit auf ein Minimum zu
reduzieren. Phoon und Kulhawy (1999)
berücksichtigen die
statistische Unsicherheit bei
der Auswertung von Bodenparametern aus gängigen Laborversuchen. Eine Möglichkeit der Berück‐sichtigung einer statistischen Unsicherheit wird im Abschnitt 2.4 vorgestellt
Die Modellunsicherheit, die ebenfalls unter die Gruppe der epistemischen Unsicher‐heiten
fällt, berücksichtigt schließlich, dass der
Ingenieur durch sein Rechenmodell immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit erzielen wird. Zur Beurteilung der Modellunsicherheit
ist eine Fehleranalyse oder ein Vergleich mit anderen Modellen durchzuführen. So stehen
für die Beschreibung der Böschungsstabilität Diagramme nach
Hoek und Bray (1977), verschiedene
Lamellen‐Gleitkreisverfahren, z.B.
das nach Bishop (1955) unter Vernachlässigung einer Lamelleninteraktion sowie numeri‐sche Analysen mit
und ohne Vorgabe
einer möglichen Gleitflächengeometrie
zur Verfügung, die sich in ihrem Detaillierungsgrad und der Möglichkeit der Berücksich‐tigung von Inhomogenitäten im Baugrund unterscheiden.
2.1.2 Probabilistische Verteilungsfunktionen
Die Basis einer Beschreibung von
stochastischen Parametern
liefern mathematische Verteilungsfunktionen (vgl. Abbildung 2.1). Die auf der Ordinate abgetragene Wahr‐scheinlichkeitsdichte (Probability density function, pdf) besitzt an sich keine physika‐lische Bedeutung. Vielmehr lässt sich jedoch aus dem Integral der Funktion im Inter‐vall
von a bis
b die Wahrscheinlichkeit p
ablesen, dass der Parameter
einen Wert zwischen a und b annimmt.
Dass die Wahrscheinlichkeit p eines unsicheren geotechnischen Parameters im Inter‐vall
zwischen a und b tatsächlich
dieser Verteilungsfunktion entspricht,
ist meist nicht durch ausreichendes
Datenmaterial abgesichert. Die Annahme
einer
Vertei‐lungsfunktion stellt in der Regel eine mathematische Vereinfachung dar, die sich
je‐doch bei probabilistischen Analysen im Ingenieurwesen durchgesetzt hat.
-
2.1 Statistische Grundlagen
9
f(x)
a b
∫=b
adx)x(fp
Abbildung 2.1: Verteilungsfunktion f(x) und Wahrscheinlichkeit p
2.1.2.1 Normalverteilung
Die Normalverteilung oder nach
dem Mathematiker C.F. Gauss
benannte Gauss‐Verteilung hat grundlegende Bedeutung in der Statistik, da bewiesen werden kann, dass Fehler, die ganz zufällig vom genauen Wert einer Größe abweichen, einer Nor‐malverteilung gehorchen (Plate, 1993):
( )( )
2
2
2x
e21xf σ
μ−−
πσ= (2.1)
In der angegebenen Formel (2.1) beschreibt μ den Mittelwert und σ die Standardab‐weichung des stochastischen Eingangsparameters x mit der Dichtefunktion f(x).
20 25 30 35 40 x0
0.04
0.08
0.12
Wah
rscheinlichk
eitsdichte(pdf) f(x)
μ = 30
σ = 3σ = 3
0,12
0,08
0,04
0,00
25 30 35 40x
0.2
0.4
0.60.8
1F x
μ = 30
1,00
0,80
0,60
0,40
0,20
0,00
Summen
häufigkeit
x
Abbildung 2.2: Beispiel einer Normalverteilung als Wahrscheinlichkeitsdichtefunkti‐
on (links) und Summenhäufigkeitsverteilung (rechts)
-
Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
10
( )( )
∫∞−
σ
μ−−
πσ=
x2t
dte21xF 2
2
(2.2)
Gleichung (2.2) beschreibt die Summenhäufigkeitsverteilung F(x). Im Gegensatz zur Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion
f(x) lässt
sich aus der Summenhäufigkeitsvertei‐lung F(x) als
Integral von
f(x) direkt die Unterschreitungswahrscheinlichkeit von x ablesen.
Durch den normierten Abstand
vom Mittelwert lassen sich
unter Annahme
einer Normalverteilung die Quantile bestimmen, die die Unterschreitungswahrscheinlich‐keit p einer normalverteilten Variablen charakterisieren:
‐ σ
-
2.1 Statistische Grundlagen
11
f(x)
μx = 2
σx = 0,8σx = 0,8
0,6
0,4
0,2
0,0
Abbildung 2.3: Beispiel einer Log‐Normalverteilung
⎟⎟⎟⎟⎟
⎠
⎞
⎜⎜⎜⎜⎜
⎝
⎛
⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛μσ
+
μ=μ 2
x
x
2x
y
1
ln21
⎟⎟
⎠
⎞
⎜⎜
⎝
⎛+⎟⎟
⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛μσ
=σ 1ln2
x
x2y (2.5)
Gebräuchlich
sind die zwei‐ und die dreiparametrische Log‐Normalverteilung. Bei der
zweiparametrischen Log‐Normalverteilung wird
x0 = 0,
bei der dreiparametri‐schen Log‐Normalverteilung kann x0 beliebige Werte annehmen.
Im Gegensatz zur symmetrischen Normalverteilung handelt es sich bei der Log‐Normalverteilung um eine
linksschiefe Verteilung. Das dritte statistische Moment, die Schiefe ν, kann nur positive Werte annehmen und
ist
linear abhängig von Mittelwert μx und Standard‐abweichung σx:
33
x
x
x
x vv33 +⋅=⎟⎟⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛μσ
+μσ⋅=ν (2.6)
Der Quotient v aus Standardabweichung σx und Mittelwert μx wird auch als Variati‐onskoeffizient
v bezeichnet. Neben der
mathematischen Einfachheit der
Log‐Normalverteilung bietet sie für viele geotechnische Parameter wie die effektive Ko‐häsion c’ und die Durchlässigkeit k eine
realistischere Verteilungsfunktion, da auf‐grund der Asymmetrie „Ausreißer“ nach oben mit einer größeren Wahrscheinlich‐keit auftreten als „Ausreißer“ nach unten, was in der Natur für diese Parameter beo‐bachtet werden kann. Außerdem lässt die zweiparametrische Log‐Normalverteilung keine negativen Werte zu. Für einen Variationskoeffizienten v
-
Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren der Geotechnik
12
2.2 Level‐II‐Methoden
Eine probabilistische Bemessung kann nach Plate (2004) auf vier verschiedenen Stu‐fen (Levels) erfolgen. Die einfachste Level‐I‐Methode hat seit den 1990er‐Jahren Ein‐zug in die Normen des Bauwesens (DIN 1055‐100, 2001) gehalten. Das mit der Level‐I‐Methode
gleichbedeutende Teilsicherheitskonzept
beaufschlagt die
charakteristi‐schen Einwirkungs‐ und Widerstandsgrößen
eines Nachweises mit Teilsicherheits‐beiwerten γS bzw. γR.
Der Nachweis nach dem Teilsicherheitskonzept
stellt den mit der Teilsicherheit
γS beaufschlagten Bemessungswert der Einwirkung
Sd dem Bemessungswert des Wi‐derstands Rd gemäß Gleichung (2.7) gegenüber:
R
kddkS
RRSS
γ=≤=⋅γ (2.7)
Wie
in Abbildung 2.5 dargestellt, handelt es sich bei den charakteristischen Werten der Einwirkung Sk bzw. des Widerstands Rk bereits um konservative, d.h. mit einer Sicherheit behaftete Werte. Für Standsicherheitsbetrachtungen im Bauwesen wird bei ausreichender
Datenbasis ein Wert zwischen dem
Mittelwert und dem
95 %‐Fraktilwert als charakteristischer Wert verwendet, d.h. 95 % der Werte liegen für die Nachweisführung günstiger als der verwendete Wert. Von Kanning
(2005) werden Teilsicherheitsbeiwerte für die Untersuchung der Standsicherheit von Deichen unter Berücksichtigung
einer akzeptablen Versagenswahrscheinlichkeit
hergeleitet. Für Deutschland
finden sich Regelungen
für Standsicherheitsnachweise von Deichen
in dem von der Bundesanstalt
für Wasserbau herausgegebenen Merkblatt
über
die Standsicherheit von Dämmen an Bundeswasserstraßen (MSD, 2005).
Deterministische Methoden
Historische MethodenEmpirische Methoden
Probabilistische Methoden
Zuverlässigkeitsmethoden
Vollständige probabili‐1. Ordnung (Level II)
stische Methoden
FORM
(Level III)
Kalibration
Semiprobabilistische Methoden(Level I)
Bemessung mit TeilsicherheitsbeiwertenMethode a
Methode c
Kalibration Kalibration
Methode b
Abbildung 2.4: Überblick über Level‐I‐, II‐ und III‐Methoden (DIN 1055‐100, 2001)
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2.2 Level‐II‐Methoden
13
f(Einwirkung: S) f(Widerstand: R)
μS μRSk RkSd Rd
Abbildung 2.5: Teilsicherheitskonzept als gängige Normenpraxis im Bauwesen
Gebrauchstauglichkeitsnachweise sind von der
in Gleichung
(2.7) beschriebenen Si‐cherheitsbetrachtung
unabhängig. Eine Verwendung eines
anderen charakteristi‐schen Werts
als des Mittelwerts würde dann zu
einer konservativen Abschätzung führen. Bei Setzungsberechnungen
in der Geotechnik
liegen deshalb die erforderli‐chen charakteristischen Eingangsparameter nahe des Mittelwerts. Somit wird hierbei keine konservative Abschätzung erreicht, sondern eine bestmögliche Setzungsprog‐nose geliefert.
2.2.1
First Order Second Moment Methode
Die mathematische Beschreibung einer Zuverlässigkeitsanalyse erfolgt nach Schnei‐der
(1996) mittels einer Versagenszustandsgleichung Z, die
sich als Differenz eines Widerstands RF1F und einer Einwirkung SF1F ergibt:
SRZ −= (2.8)
Ein Versagen tritt auf, wenn Z 0 und der Grenzzustand wird
erreicht
für Z = 0. Wird die Unsicherheit der Parameter R und
S durch eine zweidimensionale,
probabilistische Verteilungsfunktion
gemäß Gleichung (2.9) beschrieben, wie
in Abbildung 2.6 dargestellt, so
liegt
die Versagenswahrscheinlichkeit jenseits der Geraden für Z = 0:
( ) ( )∫ ∫<
⋅=<0Z
SR dsdrsfrf)0Z(p (2.9)
1 R für „resistance“, S für „solicitation“
-
Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
14
S
R
f(Z)
Z > 0 (kein Versagen)
Z
-
2.2 Level‐II‐Methoden
15
Die in Gleichung (2.12) definierte Wahrscheinlichkeitsfunktion Φ stellt die standardi‐sierte
Form der Normalverteilung mit Mittelwert
μ = 0 und
Standardabweichung σ = 1 dar. Die Beziehung zwischen Wahrscheinlichkeitsfunktion Φ und Zuverlässig‐keitsindex β
ist in Plate (1993) vertafelt. Für
Ingenieurprobleme
liegt der Zuverläs‐sigkeitsindex β meist
zwischen 2 und 4, was einer
zugehörigen
Versagenswahr‐scheinlichkeit von 3,2 ⋅ 10‐5 – 2,3 ⋅ 10‐2 entspricht. DIN 1055‐100 (2001) liefert Zielwerte für den Zuverlässigkeitsindex β für Bauteile in Abhängigkeit von einem Bezugszeit‐raum.
Der Zuverlässigkeitsindex β lässt
sich auch für eine
zeitreferenzierte Versagenswahrscheinlichkeit,
deren Ermittlung in Kapitel 3
beschrieben wird, an‐wenden.
Ein nützliches Nebenprodukt einer Zuverlässigkeitsanalyse sind die Sensitivitätsfak‐toren αi:
Z
SS
Z
RR σ
σ−=α
σσ
=α (2.13)
Der Sensitivitätsfaktor αi gibt
an, welchen Beitrag der
Eingangsparameter i
zur Versagenswahrscheinlichkeit liefert. αi
kann Werte zwischen –1 und 1
annehmen, negative Werte stehen dabei
für Einwirkungsparameter, positive Werte
für Wider‐standsparameter.
Je näher der Betrag des Sensitivitätsfaktors αi bei eins
liegt, desto größer ist dessen Beitrag zur Versagenswahrscheinlichkeit. Die Summe der Quadrate der Sensitivitätsfaktoren ist 100 %. Die Größe des Sensitivitätsfaktors liefert eine ob‐jektive Entscheidungsbasis dafür, welche Eingangsparameter maßgebenden Einfluss auf das Versagen haben und im Verlauf weiterer Untersuchungen genauer betrachtet werden sollten.
2.2.2
First und Second Order Reliability Methode
Die Versagenszustandsfunktion Z lässt
sich selten direkt als Differenz
zweier Ein‐gangsparameter beschreiben. In
der Regel sind Widerstand R und
Einwirkung
S Funktionen weiterer Eingangsparameter. Zuverlässigkeitsindex β und Sensitivitäts‐faktoren αi lassen sich dann nicht durch die Gleichungen (2.11) bzw. (2.13) ermitteln. Die First Order Reliability Methode (FORM) oder Methode nach Hasofer‐Lind bietet wie die First Order Second Moment Methode den Vorteil, dass hierbei durch einfa‐che Ableitungen direkt die Sensitivitätsfaktoren der Eingangsparameter für beliebige Typen von Versagenszustandsfunktionen ermittelt werden können. Im Gegensatz zu der First Order Second Moment Methode unterscheidet sich die First Order Reliabili‐ty Methode dadurch, dass eine Linearisierung nicht im Mittelwert der Versagenszu‐standsfunktion, sondern im Bemessungspunkt durchgeführt wird, der im folgenden erklärt wird.
Zur Beschreibung der First Order Reliability Methode werden die normalverteilten Parameter xR und xS eingeführt, die gemäß den Gleichungen (2.14) eine Funktion des Widerstands
R bzw. der Einwirkung S
sind. Gemäß Abbildung 2.7, links,
besitzt
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Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
16
Z
-
2.2 Level‐II‐Methoden
17
uR
uS
Z(u ,R u )S
Z = 0 (nicht linearisiert)
Z = 0 (linearisiert)
Z > 0 (kein Versagen) Z
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Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
18
Mit Hilfe von Gleichung (2.18) wird dann ein neuer Bemessungspunkt (xR*, xS*) be‐stimmt,
indem erneut die Gleichungen (2.16)
und (2.17)
ausgewertet werden. Der Iterationsalgorithmus
stellt bei
regulären Grenzzustandsgleichungen Z
sicher, dass die Linearisierung
auf den Bemessungspunkt zu
konvergiert, der die wahrschein‐lichste Parameterkombination bei Versagen darstellt.
Die First Order Reliability Methode
lässt sich grafisch mittels Abbildung 2.7 veran‐schaulichen. Gemäß Gleichung (2.15) ist die Versagenszustandsfunktion zunächst in den
standard‐normalverteilten Raum zu
transformieren. Wie bereits
beschrieben, lässt sich dort der Bemessungspunkt als kürzester Abstand der Versagenszustands‐funktion
Z = 0 vom Ursprung
identifizieren. Die Linearisierung der
Versagenszu‐standsfunktion kann durch die Tangente
im Bemessungspunkt dargestellt werden. Die Sensitivitätsfaktoren αi lassen sich durch den Kosinus des Winkels zwischen dem Vektor
vom Ursprung zum Bemessungspunkt und
der
zugehörigen Koordinaten‐achse darstellen.
Der Iterationsalgorithmus wird in Abbildung 2.9 grafisch veranschaulicht. Die Line‐arisierung
der Versagenszustandsfunktion ergibt die
Tangente, von der
senkrecht dazu der kürzeste Abstand zum Ursprung bestimmt werden kann. Die Überprüfung des Versagenspunktes anhand der wahren Versagenszustandsfunktion führt zu einer Verlängerung dieser Normalen. Im Schnittpunkt mit der Versagenszustandsfunktion kann erneut die Tangente der zweiten Iteration gebildet werden. Nach erneuter Be‐stimmung
des kürzesten Abstands der Tangente
zum Ursprung wird wieder
der Schnittpunkt mit der Versagenszustandsfunktion gebildet. Nach wenigen Schritten konvergiert die
Iteration
im Bemessungspunkt. Mitunter kann
jedoch die Verwen‐dung eines Relaxationsfaktors δ von Vorteil sein. Es wird hierzu ein Startpunkt
für die neue
Iteration verwendet, der zwischen dem alten und dem neuen Versagens‐punkt liegt. Dieser führt in diesem Fall zu einer schnelleren Konvergenz, da der wah‐re Bemessungspunkt zwischen den Versagenspunkten für zwei aufeinanderfolgende Iterationsschritte liegt.
Z
-
2.2 Level‐II‐Methoden
19
Vorteil der First Order Reliability Methode
ist der geringe Rechenaufwand gegen‐über den meisten anderen probabilistischen Rechenverfahren. Weiterhin liefert diese Methode neben der Ermittlung der Versagenswahrscheinlichkeit auch eine Aussage über
den Einfluss der Eingangsparameter,
die sich in den Sensitivitätsfaktoren
αi niederschlägt. Die Ermittlung des
Bemessungspunktes gibt Auskunft darüber,
bei welcher Parameterkombination das Versagen am wahrscheinlichsten ist.
Es ist jedoch zu beobachten, dass der Iterationsalgorithmus der First Order Reliabili‐ty Method nicht immer konvergiert. Von Waarts (2000) wurden verschiedene Arten von Grenzzustandsfunktionen auf deren Konvergenzverhalten untersucht.
Im Falle einer
irregulär geformten Versagenszustandsfunktion zeigen
sich Konvergenzprob‐leme. Weiterhin zeigt
sich bei anderen probabilistischen
Rechenverfahren die
Be‐rücksichtigung von Korrelationen
zwischen Eingangsparametern handhabbarer
als bei der First Order Reliability Methode. Bei der Second Order Reliability Methode (SORM) werden zur Annäherung an die wahre Versagenszustandsfunktion auch die zweiten Ableitungen verwendet. Bei nichtlinearem, aber gleichförmigem Verhalten führt dadurch die
Second Order Reliability Methode zu
einer
schnelleren Konver‐genz des Bemessungspunktes.
2.2.3
First Order Reliability Methode mit Adaptiver Response Surface
Die First Order Reliability Methode mit Adaptiver Response Surface
(FORM‐ARS) oder Antwortfunktion stellt
eine Erweiterung der
First Order Reliability Methode dar. Lässt sich eine analytische Versagenszustandsfunktion nicht geschlossen ange‐ben, wie bei der Durchführung von hochgradig nichtlinearen numerischen Standsi‐cherheitsberechnungen, wird das Ergebnis einer Reihe von deterministischen, nume‐rischen Analysen mit unterschiedlichen Parameterkombinationen ersetzt durch eine analytische Antwortfunktion, die in der Nähe des Versagens ähnlich reagiert wie die realistischere numerische Berechnung. Zuverlässigkeitsanalyse und numerische Be‐rechnung können so miteinander verknüpft werden.
Waarts
(2000) beschreibt die Anwendung einer Antwortfunktion bei verschiedenen Level‐II‐ und Level‐III‐Methoden der Zuverlässigkeitsanalyse
im konstruktiven
In‐genieurbau und stellt deren Vor‐ und Nachteile heraus. Eine Gefahr der Anwendung einer Antwortfunktion
liegt in der unkorrekten Wiedergabe
der Physik des
Bau‐werks. Eine Anwendung der FORM‐ARS
erweist sich als nicht
effizient, wenn ein System von
gekoppelten Versagensmechanismen
untersucht wird. Soll jedoch
der Rechenaufwand für eine
Zuverlässigkeitsanalyse eines einzelnen
Bauwerks auf‐grund eines einzigen
Versagensmechanismus’ minimiert werden, ist
dies mit
der FORM‐ARS optimal zu erreichen. Bucher et al. (2000) beschreiben die Einbettung der Response
Surface Methode in
Finite‐Elemente‐Programme. Die Verwendung
eines Polynoms als Antwortfunktion kann bei stark nichtlinearer Versagenszustandsfunk‐tion in die Irre führen, was auch von Bucher (2005) an Beispielen gezeigt wird.
-
Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
20
Die Vorgehensweise der FORM‐ARS lässt sich anhand der Abbildung 2.10 verdeutli‐chen und durch ein Beispiel erläutern. Zur Bestimmung der Versagenswahrschein‐lichkeit
eines Deiches im Hochwasserfall
aufgrund eines landseitigen
Böschungs‐bruchs unter Berücksichtigung
einer stationären Deichdurchsickerung werden
die unsicheren Parameter Wasserstand
im Fluss h sowie die effektiven Scherparameter des homogen aufgebauten Deiches und Deichuntergrunds φ’ und c’ berücksichtigt. Gehorchen die Eingangsparameter
einer anderen Verteilung
als der Normalvertei‐lung, sind diese zunächst durch eine geeignete Transformation in eine Normalvertei‐lung zu überführen. Es wird eine Reihe zufälliger Kombinationen der drei Eingangs‐parameter in der Nähe der Mittelwerte numerisch untersucht. Die Mindestzahl ent‐spricht dabei der Anzahl der Koeffizienten bi der Antwortfunktion, die gemäß Glei‐chung (2.19) linear angenommen wird:
errhbʹcbʹbb 3210 +⋅+⋅+ϕ⋅+=η (2.19)
Jede der numerischen Simulationen liefert einen Standsicherheitsfaktor η und einen Fehler err, der bestimmt werden kann, wenn die Anzahl der Berechnungen die An‐zahl der Koeffizienten bi übersteigt. Bei der Annäherung des Standsicherheitsfaktors aus Ergebnissen von Finite‐Elemente‐Berechnungen kann err als Modellunsicherheit identifiziert werden. Da ein Versagen dann eintritt, wenn der Standsicherheitsfaktor η
-
2.2 Level‐II‐Methoden
21
Im nächsten Schritt werden dann die Koeffizienten bi der Antwortfunktion bestimmt, sodass die über die Anzahl der Berechnungen aufsummierten Quadrate der Fehler err minimiert werden. Mit der FORM wird dann für die so bestimmte Polynomfunk‐tion
(2.19) der Bemessungspunkt bestimmt und durch eine weitere numerische Be‐rechnung überprüft. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn eine Antwortfunktion höherer Ordnung gewählt wird, bei der mehrere mathematisch gültige Lösungen für den Bemessungspunkt gefunden werden können. Die Überprüfung durch eine nu‐merische Berechnung liefert dann die Kontrolle, ob die gefundene Lösung auch phy‐sikalisch sinnvoll ist. Wird für die Parameterkombination im Bemessungspunkt kein Grenzgleichgewicht mit
η ≈ 1 erreicht, so
sind weitere numerische
Berechnungen inder Nähe des Bemessungspunkts durchzuführen und die Koeffizienten der Ant‐wortfunktion zu aktualisieren, was adaptiver Aspekt der First Order Reliability Me‐thode mit Adaptiver Response Surface ist. Die Iteration konvergiert, wenn die nume‐rische Überprüfung des Bemessungspunkts η ≈ 1
liefert und wenn der neue Bemes‐sungspunkt von dem
im vorherigen Iterationsschritt
ermittelten Bemessungspunkt nur um eine festzulegende Schranke abweicht. Schließlich lässt sich aus dem im vo‐rangegangenen Iterationsschritt ermittelten Wert für den Zuverlässigkeitsindex β die Versagenswahrscheinlichkeit gemäß Gleichung (2.12) ermitteln.
In Abschnitt 5 wird der Wahl der Ordnung des Polynoms, welches als Antwortfunk‐tion verwendet wird, besondere Beachtung geschenkt. Die Verwendung einer quad‐ratischen Antwortfunktion mit und ohne gemischte Terme führt neben der Mehrdeu‐tigkeit des ermittelten Bemessungspunkts zu einer größeren Anzahl an numerischen Berechnungen
in Verbindung mit Konvergenzproblemen des Iterationsalgorithmus. Die
Zweckmäßigkeit einer linearen
Antwortfunktion in Zusammenhang mit
der FORM als Linearisierung der Versagenszustandsfunktion wird dort diskutiert.
2.3 Level‐III‐Methoden
Level‐III‐Methoden gelten gegenüber den zuvor behandelten Level‐II‐Methoden als exakte Verfahren. Während bei Level‐II‐Methoden Annahmen über die Verteilungs‐funktion getroffen werden und die Eingangsparameter xR und xS durch deren stati‐stische Momente Mittelwert und Standardabweichung beschrieben werden, wird bei Level‐III‐Methoden
die kombinierte Verteilungsdichte (2.21)
einer Versagenszu‐standsfunktion Z
für die Bestimmung der Versagenswahrscheinlichkeit herangezo‐gen:
( ) ( )∫ ∫<
⋅=<0z
SRSxSRxR dxdxxfxf)0Z(p (2.21)
Die Verwendung einer kombinierten Verteilungsdichte bietet den Vorteil, dass auch Korrelationen
zwischen den Eingangsparametern xR und
xS berücksichtigt werden können.
Neben der sehr
verbreiteten Anwendung von
Level‐III‐Methoden wird von
Plate (2004) auch die Level‐IV‐Methode
definiert. Diese berücksichtigt zusätzlich
zur
-
Kapitel 2 Probabilistische Rechenverfahren in der Geotechnik
22
Versagenswahrscheinlichkeit auch den im Falle eines Bauwerksversagens auftreten‐den Schaden. Das als Produkt aus Versagenswahrscheinlichkeit und Schaden ermit‐telte
Risiko wird mittels einer
Kosten‐Nutzen‐Analyse optimiert. Diese
Betrach‐tungsweise stellt gegenüber einer deterministischen Bemessung einen wesentlichen Zugewinn einer probabilistischen Bemessung dar, die damit Grundlage einer Wirt‐schaftlichkeitsuntersuchung ist.
2.3.1 Monte Carlo Simulation
Das wohl gebräuchlichste Rechenverfahren der probabilistischen Bemessung
ist die Monte‐Carlo‐Simulation. Für
rein zufällig
gewählte Werte der Eingangsparameter, die
in
ihrer Gesamtheit einer bestimmten Verteilungsfunktion gehorchen, wird die Versagenszustandsfunktion Z ausgewertet. Bei einer Vielzahl von Realisationen mit zufälligen
Kombinationen der Eingangsparameter kann
schließlich das
Verhältnis derjenigen Realisationen n(Z
-
2.3 Level‐III‐Methoden
23
• Die Ermittlung einer sich
aus mehreren Teilprozessen ergebenden
System‐versagenswahrscheinlichkeit ist durch
Kopplung der Realisationen
einfach möglich.
• Wie oben beschrieben, können
auch korrelierte Eingangsparameter
berück‐sichtigt werden.
Den großen Nachteil einer Monte‐Carlo‐Simulation stellt der erhebliche Rechenauf�