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Helmut Asche über Ruanda Wirtschaft zunächst „wichtiger als perfektes
politisches Modell“
Moderation: Patrick Garber
China investiert auch in Ruanda: Das Foto zeigt Textilarbeiter in Kigali in einer Fabrik der
chinesischen Bekleidungsfirma G&H Garments. (Picture Alliance / dpa / Kristin Palitza)
25 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda sieht Afrikakenner Helmut Asche das Land
als Entwicklungsdiktatur: wirtschaftlich erfolgreich, aber autoritär regiert. Doch
vorübergehend könne Fortschritt wichtiger sein als lupenreine Demokratie, sagt er.
Als vor 25 Jahren, am 6. April 1994, im zentralafrikanischen Ruanda der Völkermord an
der Tutsi-Minderheit begann, war der deutsche Entwicklungshelfer Helmut Asche mitten
drin im Chaos. Heute ist Asche Professor für Afrikastudien an der Universität Mainz.
Ruanda bescheinigt er beachtliche Fortschritte in der wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklung. Allerdings würden in dem Land Menschenrechte in einer Weise verletzt, die
mit „nichts zu rechtfertigen“ sei.
Dennoch plädiert Asche dafür, die klassische Reihenfolge von Zielen in der
Entwicklungspolitik zu überdenken: „Wirtschaftliche und soziale Fortschritte mögen für
eine Weile wichtiger sein als ein perfektes politisches Modell“. Damit solle aber nicht
dem chinesischen Vorbild gefolgt werden, bei dem Menschenrechte überhaupt keine
Rolle spielen, sondern nur der wirtschaftliche Erfolg zählt.
Europa befindet sich in Afrika in einer Konkurrenzsituation zu China, das auf dem
Kontinent gewaltig investiert, meint Helmut Asche. Die Migrationsfrage habe immerhin
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dazu geführt, dass die EU ernsthaft an einer Afrikastrategie arbeite. Diese werde
allerdings konterkariert durch den Export subventionierter europäischer Waren nach
Afrika, der dort heimische Märkte kaputt mache: „Eine klassische wirtschaftspolitische
Strategie, sich selbst und unseren afrikanischen Partnern ins Knie zu schießen.“
Prof. Dr. Helmut Asche ist Volkswirt und Soziologe. Ab 1985 arbeitete er er mehr als
zwei Jahrzehnte lang für die damalige Deutsche Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) in der Entwicklungszusammenarbeit in verschiedenen
afrikanischen Ländern. 2006 wurde er Universitätsprofessor für Wirtschaft, Politik und
Gesellschaft Afrikas an der Universität Leipzig, derzeit ist er Honorarprofessor am Institut
für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz. Helmut Asche ist Mitglied des
wissenschaftlichen Beirats beim Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft.
Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Heute vor 25 Jahren wurde am Flughafen von Kigali, der
Hauptstadt von Ruanda, die Maschine des ruandischen Präsidenten abgeschossen, die
gerade im Landeanflug war. Dieses Attentat war der Auftakt für ein grauenvolles Morden
in dem zentralafrikanischen Land, dem zwischen 800.000 und einer Million Menschen
zum Opfer gefallen sind.
Den Beginn dieses Völkermords hat mein heutiger Gesprächspartner aus nächster Nähe
miterlebt. – Guten Tag, Prof. Helmut Asche.
Helmut Asche: Guten Tag, Herr Garber.
„Zweieinhalb Tage in Maschinengewehrfeuer“
Deutschlandfunk Kultur: Herr Asche, Sie beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten mit
Afrika, zunächst in der Entwicklungszusammenarbeit, später auch akademisch, derzeit
als Honorarprofessor an der Universität Mainz. – Warum waren Sie am 6. April 1994 in
Ruanda und was haben Sie erlebt, als der Genozid dort begann?
Asche: Ich war für die damalige Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit
als Berater im Planministerium tätig zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen. Und ich
saß an jenem Mittwochabend mit einem Kollegen aus der EU-Delegation, also der
Botschaft der EU, wenn man so will, bei uns auf der Terrasse. Bis es dann so gegen
8.00 Uhr einen gewaltigen Knall tat, bei dem wirklich bis zu uns ins Haus hinein die
Wände wackelten.
Ich saß dann mit meiner Familie und dem Kollegen zweieinhalb Tage in
Maschinengewehrfeuer, das sich über unser Hausdach hinweg abspielte, da die
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vorgeschobenste Position der damaligen Präsidialgarde keine hundert Meter hinter
unserem Haus war. Das heißt, es war gar nicht daran zu denken, irgendwie vor die Tür
zu kommen, bis wir dann am Samstagmorgen von der sehr gut vorbereiteten
amerikanischen Botschaft und dem CIA in einem Konvoi auf dem Landwege nach
Bujumbura ins Nachbarland Burundi evakuiert wurden.
Deutschlandfunk Kultur: Es waren vor allem zwei Volksgruppen, die damals
aufeinander losgegangen sind, die Tutsi und die Hutu, wobei Angehörige der Hutu-
Mehrheit einen großen Teil der Tutsi-Minderheit umgebracht haben. Also ein ethnischer
Konflikt?
Asche: Es war ein Konflikt, der eine ethnische Dimension hatte. Das heißt, dessen
ethnische Konnotation politisch ganz bewusst ausgenutzt wurde von dem damaligen
Regime, das von der alleinigen Macht nicht lassen wollte und das hoffte, auf diese Weise
auch Landkonflikte usw. in seinem Sinne zu regeln, wenn man das Wort „regeln“ an
dieser Stelle benutzen darf.
Ethnische Konflikte als deutsches Kolonialerbe
Deutschlandfunk Kultur: Das Gebiet des heutigen Ruanda, das ist vielleicht nicht allen
bekannt, war vor dem Ersten Weltkrieg deutsche Kolonie als Teil von Deutsch-Ostafrika.
Haben diese Spannungen zwischen Hutu und Tutsi, die ja auch mit einer der Gründe für
dieses grauenhafte Geschehen waren, auch etwas mit der deutschen
Kolonialvergangenheit zu tun?
Asche: Aber sicher. Das ist auch wissenschaftlich ziemlich gut dokumentiert. Die
damalige deutsche Kolonialverwaltung hat ganz aktiv dazu beigetragen, dass das relativ
kompliziert verschachtelte, auch sozial und wirtschaftlich verschachtelte Verhältnis
dieser beiden Volksgruppen überhaupt erst in sogenannte „Stämme“ auseinander gelegt
wurde, also in den Stamm der Tutsi und den Stamm der Hutu, was sie vorher und
nachher in Wirklichkeit nie waren, und wo die deutsche Kolonialverwaltung sich dann an
die regierende Tutsi-Monarchie gehalten hat und aus ihr die Verbündeten für ihr Regime
gemacht hat.
Die Belgier haben das dann nach dem Ersten Weltkrieg, als sie Ruanda und Burundi als
Mandatsgebiet übernahmen, wunderbar weitergeführt bis dahin, dass sie dann in den
30er Jahren verpflichtend die Zugehörigkeit „Rasse“, so hieß es übrigens noch, als wir
da waren, in den Ausweisen den Rassenvermerk „Tutsi“, „Hutu“ oder „Twa“ in die
Ausweise eintragen ließen. Damit war dann die politische Genese eines ethnischen
Problems abgeschlossen.
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„Deutsche Verantwortung für Tun und Nichtstun“
Deutschlandfunk Kultur: Damals vor 25 Jahren, als dieser Konflikt explodiert ist
sozusagen, hat sich die Bundesregierung irgendwie zuständig gefühlt, sich zu verhalten
in irgendeiner Form?
Asche: Nein, das hat sie eben nicht. Und damit beginnt die große Fragestellung der bis
heute nicht aufgearbeiteten deutschen Verantwortung für Tun und Nichtstun. Man hätte,
gerade so, wie Sie eingangs gefragt haben, ja erwarten können, dass gerade eine
Bundesregierung in einer Situation, wo wir unsere eigene leid- und schuldvolle
Geschichte von Völkermord haben und auch wissen, dass wir selbst zu diesem Problem
in Ruanda und in Burundi mit beigetragen haben in der Kolonialzeit – dazu haben selbst
deutsche Botschafter publiziert und das aufzuarbeiten geholfen – dass in einer
derartigen Situation man sagt: Stopp, das können wir nicht den dort hauptsächlich
engagierten westlichen Partnern, das heißt, den Belgiern und den Franzosen
überlassen.
Dies umso weniger, als seitens auch ruandischer Politiker „die Deutschen“, wenn ich das
mal jetzt so einfach sagen darf, durchaus gefragt worden sind im Aufgalopp zu diesem
Völkermord: „Könnt ihr nicht vermittelnd eingreifen? Die Belgier sind Partei der einen, die
Franzosen sind Partei der einen. Die USA sind Partei der anderen. Könnt ihr nicht
helfen?“ – Diese Bereitschaft gab es seitens der Bundesregierung absolut nicht. Es gab
sie weder in der Zentrale, damals noch in Bonn, oder gar in der Botschaft vor Ort.
Ruanda, die Schweiz Afrikas?
Deutschlandfunk Kultur: Herr Asche, schauen wir auf Ruanda heute, ein
Vierteljahrhundert nach dieser Mordorgie, die das Land ja gesellschaftlich und
wirtschaftlich verwüstet hat. Wir sehen ein afrikanisches Musterland. Manche sprechen
ja sogar von der „Schweiz Afrikas“.
Sie waren in den letzten Jahren immer wieder dort, zuletzt im Oktober, wenn ich das
richtig weiß. – Was ist geschehen in Ruanda, dass dieses Land wieder so auf die Beine
gekommen ist?
Asche: Das mit der Schweiz Afrikas gibt’s schon länger. Das hat was mit der
Topographie zu tun, dass das Land mit seinen Bergen und Seen so schön ist. Aber dass
es sich diese Bezeichnung jetzt auch ordnungspolitisch und wirtschafts- und
entwicklungspolitisch verdient, hat natürlich mit der Arbeit der neuen Regierung zu tun.
Man muss sich das vereinfacht so vorstellen: Die neue Regierung unter dem jetzigen
Präsidenten Kagame, der aber immer schon der Machthaber war, stand mit dem Rücken
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zur Wand. Sie hatten den Krieg gewonnen, aber als kleine – in An- und
Abführungsstrichen – ethnische Minderheit.
Deutschlandfunk Kultur: Also, Kagame gehört auch den Tutsi an.
Asche: Genau, als Teil der Tutsi-Minderheit bzw. derer, das muss man ja so brutal
sagen, die von dieser Tutsi-Minderheit überhaupt noch übrig geblieben waren nach
irgendwie rund 800.000 Toten. Und sie waren zum Gutteil, so auch Kagame selbst, aus
dem Exil zurück in das Heimatland ihrer Väter gekehrt, waren dort nicht zu Hause und
waren quasi zum Erfolg verdammt, wenn nicht kurze Zeit später der Konflikt wieder
losgehen sollte.
Diese Situation ist weltpolitisch nicht so ganz unbekannt. Wir haben zum Beispiel eine
ähnliche Situation mal in Taiwan gehabt 1949, als die geschlagene Armee unter General
Chiang Kai-shek auf die Insel floh vor den siegreichen Truppen von Mao Zedong und in
einem ihnen fremden Land, eben dieser Insel, wirtschaftlich Erfolg haben mussten. Das
ist ihnen gelungen und das ist in ähnlicher Weise eben auch der Regierung Kagame
gelungen, die das sehr ernst genommen haben, die deswegen auch Dinge, die
anderswo in Afrika gewöhnlich nicht gut unter Kontrolle sind – Korruption –, ganz anders
angegangen sind und ganz anders auch dagegen sanktioniert haben, auch intern
innerhalb des Regimes.
Deutschlandfunk Kultur: Es gibt ja beeindruckende Zahlen. Das Wirtschaftswachstum
in Ruanda liegt in den vergangenen Jahren durchschnittlich bei sieben Prozent. Kigali,
die Hauptstadt, gehört zu den sichersten der Welt. Auf den Straßen ist es sauber, auch
weil Plastiktüten verboten sind. So was ist in Deutschland ja bisher nicht möglich
gewesen. – Wie nachhaltig ist diese Entwicklung Ihrer Einschätzung nach?
Asche: Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Die Veränderung in der Landwirtschaft –
Modernisierung verschiedenster Anbautechniken, auch Verbreiterung dessen, was
angebaut wird – ist ziemlich weit fortgeschritten. Das Regime macht große
Anstrengungen im Bereich der Dienstleistung. Also, die Idee, die ich auch für plausibel
halte, ist ja die, aus Ruanda aufgrund seiner Binnenlage so etwas wie eine Drehscheibe
für Kommunikations- und Finanzdienstleistungen in ganz Zentralafrika inklusive des
Ostens des Kongo zu machen, das ist auf einem guten Weg. Deswegen sind die ja auch
mit der Digitalisierung der Telekommunikation zum Teil weiter als wir hier in
Deutschland.
Und das Dritte, was noch fehlt in der Sammlung, ist halt eine Industrie, die der Rede wert
ist. Eine Industrie im Sinne eines zusammenhängenden Netzes verarbeitender Gewerbe
gab es in Ruanda bis dato nicht, ebenso wenig wie in den meisten anderen Ländern
Afrikas, mit Ausnahme Südafrikas. Und die Regierung macht große Anstrengungen,
auch ganz gezielte industriepolitische Anstrengungen, um das zu beheben.
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Das ist zusammen mit ganz wenigen anderen Ländern – Mauritius, Botswana, vor allem
natürlich Äthiopien – die absolute Ausnahme in Afrika.
Kein lupenreiner Demokrat
Deutschlandfunk Kultur: Welche Rolle spielt der schon erwähnte Präsident Paul
Kagame in seinem Land? Er scheint ja die treibende Kraft hinter allem zu sein.
Asche: Ja, er ist die treibende Kraft. Er ist auch ein Visionär. Er ist auch jemand, der –
und zwar offensichtlich eben hinausgehend über seine enger definierte Volksgruppe –
ein Charisma hat, das auf die gesamte Bevölkerung ausstrahlt. Er ist natürlich kein – wie
wir das immer so nett zu nennen pflegen – „lupenreiner Demokrat“. Also, der ist
eigentlich gar kein Demokrat, sondern er ist ein autoritärer Herrscher, aber ein autoritärer
Herrscher, der sich bemüht, aus seiner Autorität etwas Entwicklungsförderndes zu
machen, also eben, wie Sie gefragt haben, etwas Nachhaltiges.
Deutschlandfunk Kultur: Geht Ruanda da den Weg einer Entwicklungsdiktatur nach
chinesischem Vorbild, also Vorrang für die wirtschaftliche Entwicklung, Demokratie und
Menschenrechte nehmen wir mal nicht so wichtig?
Asche: Ja, das ist mehr oder weniger das Modell. Das ist ja auch in Ostasien nicht auf
China beschränkt gewesen, sondern eben – wie ich eben schon sagte – das war in
Taiwan so, das war in Südkorea so und das war auch in Singapur so, die allesamt als
relativ blutige Entwicklungsdiktaturen angefangen haben und heute deutlich
demokratischere Verhältnisse darbieten, vor allem Südkorea und Taiwan, als China das
bislang tut. Das heißt, da ist die Reihenfolge der Entwicklungsprioritäten umgedreht.
Es funktioniert offensichtlich trotzdem, obwohl man den Zeitpunkt nicht verpassen darf,
wo eine Liberalisierung erforderlich wird und auch Platz greifen sollte. Und man sollte,
und das gelingt in Ruanda auch nicht so ganz perfekt, um es sehr, sehr vorsichtig
auszudrücken, man sollte kein Regime aufbauen, das autoritärer ist, als es wirklich im
Sinne des sozialen und wirtschaftlichen Fortschrittes erforderlich ist. Und es geschehen
da natürlich Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen auch in Ruanda, die mit absolut
sonst nichts zu rechtfertigen sind.
Deutschlandfunk Kultur: Trotzdem ist Ruanda ein Schwerpunktland der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit in Afrika. Schaut man da mehr auf die Stabilität und die
wirtschaftlichen Perspektiven als auf die Menschenrechte?
Asche: Das ist ein reeller Konflikt, den die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik da
hat – übrigens auch gegenüber Äthiopien, auch gegenüber anderen Ländern –, dass
man sich fragen muss, was uns jetzt die wichtigsten Werte und Wertvorstellungen sind,
und ob wir akzeptieren, dass sich diese Wertvorstellungen zum Teil in einer anderen
Reihenfolge realisieren und dass sie auch einhergehen, gerade die wirtschaftlichen
Erfolge in diesen Ländern, mit politischen Verletzungen, wie wir sie in unserem eigenen
Lande nicht dulden würden.
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Das ist ein reeller Konflikt, aus dem wir nicht immer die beste Lösung finden. Das
naheliegendste Beispiel in diesem Zusammenhang ist eben Ruanda vor dem
Völkermord 1994. Da haben wir die Stabilität des damaligen Regimes Habyarimana,
des damaligen Präsidenten, sehr hoch gewertet. Ruanda war auch damals eine Insel der
Stabilität in Zentralafrika. Sie müssen sich vorstellen, da neben dran war das zerfallende
Reich des Diktators Mobutu im Kongo und viele andere Konfliktherde. Da ging uns
Stabilität über alles, obwohl sich faktisch nichts entwickelte.
Wirtschaftliche Fortschritte wichtiger als politische
Deutschlandfunk Kultur: Ist auch ein Grund dafür, dass bei der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit in Sachen Menschenrechte schon mal ein Auge
zugedrückt wird, dass China ebenfalls sehr aktiv ist in Afrika – und die nehmen es ja
bekanntlich überhaupt nicht so genau mit den Menschenrechten, also eine
Konkurrenzsituation, die man da hat?
Asche: Ja, wir haben diese Konkurrenzsituation. Und mein Plädoyer dafür, auch eine
andere Reihenfolge von Entwicklungsimperativen zu akzeptieren, also zu sagen, jetzt
wirtschaftliche und soziale Fortschritte mögen für eine Weile wichtiger sein als ein
perfektes politisches Modell, ist kein Plädoyer dafür, dem chinesischen Beispiel zu
folgen, das gar keine Fragen stellt und gar keine Vorbehalte hat und gar keine
Menschenrechtsdialoge führt, das muss nicht unsere Vorstellung sein. Aber dass wir uns
strategisch so sortieren, dass wir trotzdem für nachhaltige Entwicklung im Spiel bleiben,
ist eine strategische Aufgabe, der sich die Bundesregierung in meiner Wahrnehmung,
und ich denke, nicht nur in meiner eigenen Wahrnehmung, nach wie vor nicht wirklich
nachhaltig stellt.
Deutschlandfunk Kultur: China, das wir gerade angesprochen haben, Herr Prof.
Asche, ist ja mächtig aktiv, nicht nur in Ruanda, überall in Afrika. Chinesische Firmen
bauen vor allem Infrastruktur auf – Bahnlinien, Straßen, Häfen, Stromleitungen. Haben
die Chinesen die Zeichen der Zeit in Afrika besser erkannt als die Europäer und
Amerikaner, dass sie sich so ins Zeug legen?
Asche: Ja, eindeutig. Sie haben vor 20 Jahren, das war wie wenn ein Schalter umgelegt
worden ist, als zentrale politische Weichenstellung diese Öffnung gegenüber Afrika ins
Werk gesetzt. Das geschah ziemlich präzise zur Jahrtausendwende. Also, vorher war
auch der chinesisch-afrikanische Handel eigentlich völlig vernachlässigenswert, ganz
abgesehen von den Infrastrukturinvestitionen und allem anderen, was Sie angesprochen
haben.
Und seither vertieft sich diese Beziehung dramatisch, übrigens auch nicht nur im Bereich
des Handels oder der Infrastruktur, sondern eben auch im Bereich der industriellen
Investitionen, also genau des Bereichs, der in Afrika am schwächsten ausgeprägt ist.
Und da laufen wir jetzt ein stückweit hinterher als westliche Partner.
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Chinas Afrikastrategie
Deutschlandfunk Kultur: Worum geht es China dabei Ihrer Meinung nach? Um die
afrikanischen Rohstoffe, um geostrategische Erwägungen?
Asche: Es geht sowohl um Rohstoffe, es geht auch um geostrategische Gesichtspunkte,
aber es geht auch um ein genuines Interesse an beidseitiger Entwicklung. Also, es wäre
– um es ganz klar zu sagen – zum Beispiel falsch zu behaupten, China wollte ja nur an
die Rohstoffe ran von Afrika oder machte ja alles nur mit chinesischen Arbeitern, die
dann aus der Volksrepublik nach Afrika verpflanzt werden. Beides ist falsch. Die
Chinesen sind eben auch, wie ich schon sagte, sehr stark im Bereich der verarbeitenden
Industrie tätig, auch in sozialen Bereichen. Und sie machen vieles, auch in den
Infrastrukturprojekten und auch entgegen dem, was oft berichtet wird, mit afrikanischen
Arbeitskräften, auch mit afrikanischen Ingenieuren, so sie denn welche finden.
Deutschlandfunk Kultur: Wobei das trotzdem für die afrikanischen Länder, wo China
aktiv ist, ja auch ein zweischneidiges Schwert sein kann. Einerseits, wenn die ländlichen
Regionen durch Straßen Made in China erschlossen werden oder wenn Industrie
aufgebaut wird, dann ist das natürlich sicherlich gut für die Entwicklung. Andererseits
verschuldet sich ein Land dadurch auch erheblich bei den Chinesen. Und diese
Schulden bedeuten ja auch eine Art von Abhängigkeit, oder?
Asche: Das ist ganz klar eine der Schattenseiten des chinesischen Engagements. Also
die erste hatten wir ja schon angesprochen, das ist diese „No questions asked“, also, wir
stellen keine Fragen nach dem Regierungssystem oder nach Menschenrechten.
Die zweite große Schattenseite ist diese wirtschaftliche Intransparenz, dass man nie und
auch bei den aktuellen Projekten, zum Beispiel den großen Eisenbahnprojekten in Kenia,
Äthiopien und anderswo oder auch den großen Engagements in Sambia, immer nicht
weiß, wie viel das die betreffende afrikanische Regierung gekostet hat, wie und zu
welchen Termini sie jetzt verschuldet ist, außer dass es offensichtlich durch die Decke zu
gehen scheint in einer ganzen Reihe von Ländern.
Deutschlandfunk Kultur: Aber wie können diese Schulden bedient werden? Durch
Rohstoffkonzessionen für China, durch Agrarland für den Export von Nahrungsmitteln
nach Asien – Stichwort Land Grabbing?
Asche: Ja, das ist genau die spannende Frage. Es sind ja unter den hoch verschuldeten
Ländern gegenüber China auch solche wie Kenia, die gar keine großen Rohstoffe
haben, die sie anbieten könnten. Das heißt, die können da nur langfristig die Erlöse aus
Häfen, Eisenbahnen und anderen Infrastruktureinrichtungen verpfänden. Oder eben
Land dran geben, wobei es aber noch gar nicht so viele und so flächendeckende
Beispiele für diesen letzten Punkt, der, wie Sie sagten Land Grabbing genannt wird, gibt.
Das heißt, das ist eben eine Grauzone, die auch wissenschaftlich noch nicht manierlich
aufgearbeitet ist. Dafür ist allerdings in erster Linie die chinesische Seite selber
zuständig, weil sie halt die notwendigen Daten gar nicht zu liefern bereit ist bis heute.
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Europa, Afrika und die Migration
Deutschlandfunk Kultur: Hat denn Europa gegenüber dem, was China so treibt auch in
Afrika, hat Europa eine Afrika-Strategie, die diesen Namen wirklich verdient und bei der
es um mehr geht, als nur möglichst schnell die Zahl von Migranten zu verringern, die
nach Europa kommen?
Asche: Wie Ihre Hörerinnen und Hörer in den letzten zwei Jahren auch mitgeschnitten
haben, nehme ich mal an, gibt es ja ziemlich starke strategische Anstrengungen, sowohl
auf der Ebene – in Anführungsstrichen – Brüssel, als auch auf der Ebene wichtiger
Mitgliedsstaaten, wie der Bundesrepublik selbst, daran was zu ändern. Und natürlich ist
das getrieben worden durch die Flüchtlings- und Migrationsfrage, auch wenn in den
entsprechenden Strategiepapieren das Thema Flüchtlinge und Migration dann irgendwo
an vierter Stelle oder so erscheint.
Aber davon lässt sich natürlich niemand, auch in Afrika niemand täuschen. Es ist schon
klar, dass das das treibende Motiv war. Aber ich gehöre auch zu denen, die sagen: So
what? Warum nicht? Wenn es zum Beispiel, und jetzt komme ich vielleicht mal auch auf
das deutsche Engagement zu sprechen, wenn es dazu führt, dass sich Europa und die
Bundesrepublik darüber Gedanken machen, wie wir verstärkt private Investitionen in
Afrika fördern können, natürlich am liebsten von einheimischen Unternehmern, aber
eben auch von deutschen Firmen, weil das die einzige Möglichkeit ist, um in
nennenswertem Umfang Arbeitsplätze zu schaffen und dadurch dann vielleicht
irgendwann später Migration einzudämmen oder zumindest die Migrationsneigung
einzudämmen, ja dann ist das eigentlich die richtige Reaktion.
Und genau das ist ja passiert, dass wir, seit wir die G20-Präsidentschaft hatten, verstärkt
selber darüber nachdenken, wie wir unser eigenes Förderinstrumentarium so
überarbeiten können, dass es vielleicht auch mal den deutschen Mittelständler nach
Afrika zieht.
Europäische Hühner für Afrika – Schuss ins Knie
Deutschlandfunk Kultur: Wobei man natürlich auch die Handelsbeziehungen Afrikas
zur EU oder umgekehrt nicht außer Acht lassen sollte, damit wir das nicht
konterkarieren. Es gibt ja das klassische Beispiel des hoch subventionierten
europäischen Hühnerfleischs, dessen Überschüsse nach Afrika exportiert werden und
dort die heimischen Geflügelmärkte und damit eben auch Arbeitsplätze in der
Ernährungsindustrie kaputt machen. Sehen Sie in Europa die Bereitschaft, auch an
diesen Handelsbeziehungen, an diesen Terms of Trade etwas zu ändern?
Asche: Ja, ja, das Hühnchen, das ist, so wie es da vor uns her läuft, das klassische
Beispiel für eine Inkonsequenz oder auch eine Widersprüchlichkeit in der europäischen
Politik, die übrigens – um es gleich erneut zu sagen – den Afrikanern natürlich auch
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auffällt. Es ist eindeutig so, dass unsere Agrarpolitik, auch wenn wir uns von direkten
Exportsubventionen seit einigen Jahren verabschiedet haben, indirekt immer noch diese
Exporte subventioniert, und sei es – wie bei der Hühnerzucht – über subventionierte
Futtermittel.
Das hat natürlich in Afrika den Nebeneffekt, dass es lokale Produktion unterminiert. Und
soweit es dazu führt, dass dadurch dann zum Beispiel auch ausländische Investitionen in
afrikanischen Ländern, also genau das, was wir fordern wollen, weniger konkurrenzfähig
werden, als es unter sonst gleichen Umständen wäre, ist es eine klassische
wirtschaftspolitische Strategie, sich selbst und unseren afrikanischen Partnern ins Knie
zu schießen.
Deutschlandfunk Kultur: Eine Strategie, an der Deutschland allein wahrscheinlich nicht
viel ändern könnte, die sicherlich, wenn, dann europäisch geändert werden kann?
Asche: Oh doch! Also, es geht in diesem Zusammenhang um diese berühmten
Economic Partnership Agreements, also diese Handelsabkommen zwischen der EU und
afrikanischen Regionalgemeinschaften, die wir so angelegt haben, dass sie zwar in
meiner Bewertung jetzt nicht unbedingt vollkommen katastrophal sind, aber doch die
wirtschaftspolitischen Steuerungsmöglichkeiten auch der afrikanischen Länder, die eben
wie Ruanda eine derartige Strategie haben, so einschränken und auch zum Beispiel den
temporären, intelligent angelegten Zollschutz einschränken, mit dem man dann
heimische Investitionen für eine Weile, das ist ja die intelligente Lösung, auch
unterstützen kann, das sind die Nachteile dieser Handelsabkommen – neben ein paar
anderen, die jetzt aufzuzählen hier zu weit führen würde.
Und die Bundesregierung, wenn ihr denn das politisch klar wäre, und da sind die
verschiedenen Stellen im BMZ, also im Entwicklungsministerium, und im
Außenministerium, sich durchaus nicht einig und auch nicht im
Landwirtschaftsministerium übrigens, dann könnten wir natürlich sehr wohl Einfluss auf
Brüssel nehmen. Zumal andere wichtige Länder der europäischen Gemeinschaft diese
etwas kritischere Position gegenüber diesen Handelsabkommen schon lange haben,
zum Beispiel die Niederländer. Aber dazu hat es in Berlin immer noch nicht gereicht.
Damoklesschwert Bevölkerungsexplosion
Deutschlandfunk Kultur: Schauen wir von den Problemen innerhalb der
Bundesregierung wieder zurück auf Afrika. Herr Asche, über all diesen Überlegungen zur
Zukunft Afrikas, zu denen wir jetzt, von Ruanda ausgehend, für den ganzen Kontinent
gekommen sind, schwebt ja ein Damoklesschwert, nämlich die
Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsexplosion.
In den nächsten 30 Jahren wird sich die Bevölkerung Afrikas verdoppeln auf dann
zweieinhalb Milliarden Menschen. Das betrifft gerade auch die Sahelzone, die durch
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Dürren und den Klimawandel ja sowieso besonders gebeutelt ist. Frisst dieser rasante
Bevölkerungszuwachs alle zarten Pflänzchen wirtschaftlicher Entwicklung mittelfristig
wieder auf?
Asche: Nicht alle, aber einige. Die demographische Herausforderung ist vielleicht die
größte überhaupt, die, wie Sie sagen, wie ein Damoklesschwert über dem Kontinent
schwebt. Das ist zur einen Hälfte eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Denn dieser
Bevölkerungszuwachs nährt sich ja rein rechnerisch zur einen Hälfte daraus, dass die
Sterbeziffern dramatisch zurückgegangen sind in den letzten Jahrzehnten – praktisch in
allen afrikanischen Ländern. Das ist auch ein Erfolg der internationalen
Entwicklungshilfe, gerade der multilateralen Hilfe der Weltgesundheitsorganisation, des
Global Fund, der sich gegen Malaria, Tuberkulose und Aids einsetzt – usw. usf. Das ist,
wenn Sie so wollen, ein Beitrag zu einer anderen Debatte, nämlich: Nützt die
Entwicklungshilfe irgendetwas? Ja, sie tut es offensichtlich – und in diesem Fall sehr
effizient.
Aber der zweite Trend, der für den Übergang in eine bessere Situation nötig ist, nämlich
der Rückgang der Geburtenraten, ist in ganz vielen afrikanischen Ländern dem nicht
gefolgt. Also, der hinkt immer nach. Das ist in diesem sogenannten demographischen
Übergang überall so. Er hinkt immer nach, aber er hinkt, auch was die Kinderzahl und
auch die gewünschte Kinderzahl angeht, in etlichen afrikanischen Ländern immer noch
viel zu sehr hinterher.
Es gibt natürlich wieder Länder, in denen sich das ändert und – oh Wunder – darunter
sind erneut auch die Kandidaten wie Äthiopien, auch Ruanda, über die wir bereits
gesprochen haben. Das heißt, gerade in städtischen Räumen, im Großraum Addis
Abeba oder auch im Großraum Nairobi in Kenia, haben wir mittlerweile Geburtenraten,
die auch nicht viel höher sind als bei uns in der Bundesrepublik. Das heißt, dort wird der
Übergang bewältigt, anderswo nicht, gerade in den Sahelstaaten. Die dramatischsten
Beispiele sind Niger oder Tschad, da eben überhaupt noch nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist also der alte Teufelskreis zwischen Armut und
Überbevölkerung, der dadurch durchbrochen werden kann, dass es Entwicklung gibt und
dass die Kinderzahlen dann zurückgehen, wenn die Leute ein bisschen wirtschaftlich
besser gestellt sind?
Asche: Wie das so ist mit Teufelskreisen, man weiß nie so genau, an welcher Stelle
man eingreifen soll in den Kreislauf. Über einen Punkt, nämlich Arbeitsplätze zu
schaffen, haben wir schon gesprochen. Ein anderer, der sozusagen noch direkter
einhakt, ist natürlich die Förderung von Sekundarschulbildung und insbesondere die
Förderung von Sekundarschulbildung für Mädchen, die, das ist durch unzählige Studien
belegt, einer der wichtigsten und wirksamsten Hebel ist, um in dieser Frage einzugreifen.
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Und genau auf dem Gebiet ist die internationale Entwicklungshilfe eben noch nicht so
besonders effizient und auch nicht bei direkten Programmen zur Familienplanung. Das
ist natürlich insbesondere dadurch kritisch geworden, dass jetzt die USA unter der
Trump-Regierung aus immer mehr dieser Programme aussteigen. Das ist unter der von
Ihnen angesprochenen Herausforderung natürlich eine blanke Katastrophe.
Deutschlandfunk Kultur: Professor Asche, Afrika-Kenner von der Universität Mainz,
haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.