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Mathematische Modellierung und numerische
Simulation der Sublimationszüchtung von
Siliziumkarbid-Volumenkristallen
Der Technischen Fakultät der
Universität Erlangen-Nürnberg
zur Erlangung des Grades
D O K T O R - I N G E N I E U R
vorgelegt von
Markus Selder
Erlangen 2002
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Als Dissertation genehmigt von der
Technischen Fakultät der
Universität Erlangen-Nürnberg
Tag der Einreichung : 24.01.2002Tag der Promotion:
18.04.2002
Dekan: Prof. Dr. A. Winnacker
Berichterstatter: Prof. Dr. Dr. h.c. F. DurstProf. Dr. M.
Schäfer
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Danksagung
Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als
wissenschaftlicher Mitar-beiter am Lehrstuhl für
Strömungsmechanik der Universität Erlangen-Nürnberg. Die
zu-grundeliegenden Arbeiten wurden von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft im Rahmendes Verbundprojektes
,,Mathematische Modellbildung und Programmentwicklung für
dienumerische Simulation des Züchtungsprozesses von
Siliziumkarbid-Halbleiterkristallen ausder Gasphase” sowie von der
Bayerischen Forschungsstiftung im Rahmen des Forschungs-und
Entwicklungsvorhabens ,,Herstellung von defektarmen
Siliziumkarbidkristallen alsSubstratmaterial für neue Bauelemente
der Leistungselektronik, Hochtemperaturelektro-nik/-sensorik und
Informationstechnik” finanziell gefördert.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. F. Durst, der
mir die Durchführung derArbeit unter hervorragenden
Rahmenbedingungen ermöglichte, für seine Unterstützungund das
stete Interesse, das er dem Thema entgegengebracht hat. Bedanken
möchte ichmich auch bei Prof. Dr. M. Schäfer vom Fachgebiet
Numerische Berechnungsverfahren imMaschinenbau, Technische
Hochschule Darmstadt, für die Übernahme des Zweitgutach-tens und
sein Interesse an dieser Arbeit.
Bedanken möchte ich mich weiterhin bei Dr. L. Kadinski, dem
Leiter meiner Arbeitsgrup-pe, der die Arbeit begleitet hat und
stets durch tatkräftige fachliche Unterstützung zuihrem Gelingen
beigetragen hat. Besonderen Dank schulde ich auch Dr. M.
Dauelsberg,Dr. Y. Egorov und Dipl.-Ing. P. Kaufmann, die mich in
die mathematische Modellierungder Halbleiterprozeßtechnologie
eingeführt haben und bei Problemen jederzeit behilflichwaren. Mein
Dank gilt auch Dr. S. Karpov, der mir oftmals mit wertvollen
Ratschlägenzur Seite stand. Herausstellen möchte ich, daß ich von
Dr. M. Dauelsberg und Dr. L. Kad-inski ein sehr leistungsfähiges
Rechenprogramm übernommen habe, das als Basis für diein dieser
Arbeit durchgeführten Entwicklungen diente. Besondere Erwähnung
verdientauch die Unterstützung von Prof. Dr. M. Schäfer und
Dipl.-Ing. I. Teschauer bei derImplementierung von
Berechnungsverfahren der linearen Elastizitätstheorie.
Großen Dank schulde ich den Mitarbeitern des Lehrstuhls für
Werkstoffe der Elektro-technik der Universität Erlangen-Nürnberg,
mit denen ich im Rahmen der oben ge-nannten Projekte
zusammengearbeitet habe. Insbesondere möchte ich Dr. D.
Hofmann,Dr. Th. Straubinger und Dr. P. Wellmann erwähnen, die
meine Arbeit durch vielfältigeAnregungen und Diskussionen
unterstützt haben und deren experimentelle Untersuchun-gen die
Verifizierung des Programmcodes ermöglicht haben.
Mein Dank gilt auch unseren Systemadministratoren, insbesondere
Dipl.-Ing. P. Kauf-mann und Dipl.-Phys. F. Schäfer, die ein
reibungsloses Arbeiten ermöglicht haben undbeim Umgang mit
Rechnern und Betriebssystemen jederzeit behilflich waren.
Bedankenmöchte ich mich schließlich aber auch bei allen anderen
Kollegen und insbesondere bei denMitarbeiterinnen im Sekretariat,
die wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragenhaben.
Erlangen, im Januar 2002 Markus Selder
i
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
1.1 Inhalt der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 2
1.2 Physikalische Eigenschaften und technologische Bedeutung . .
. . . . . . . 3
1.3 Herstellungsverfahren für SiC-Volumenkristalle . . . . . .
. . . . . . . . . . 6
1.4 Sublimationszüchtung im induktiv beheizten Reaktor . . . .
. . . . . . . . 8
1.5 Die Bedeutung der Prozeßmodellierung . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 10
1.6 Literaturübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . 12
1.6.1 Reaktorbezogene Modellierung . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 12
1.6.2 Eindimensionale Transportmodelle . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 14
1.6.3 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 15
1.6.4 Weiterführende Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 15
1.6.5 Beiträge der vorgelegten Arbeit . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 17
2 Das mathematische Modell 19
2.1 Die Modellierung der induktiven Leistungseinkopplung . . . .
. . . . . . . 19
2.1.1 Die Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik . . . . . . . .
. . . . 19
2.1.2 Die Differentialgleichung für das elektrische Feld im
Züchtungsreaktor 20
2.2 Die Grundgleichungen für den Kontinuumstransport . . . . .
. . . . . . . . 22
2.2.1 Die hydrodynamischen Gleichungen . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 22
2.2.2 Die Erhaltungsgleichungen für den
Multikomponentenstofftransport 24
2.2.3 Energietransport in festen Reaktorbereichen . . . . . . .
. . . . . . 27
2.3 Chemische Prozesse an reaktiven Oberflächen . . . . . . . .
. . . . . . . . 27
2.3.1 Thermodynamische Gleichgewichtsberechnungen . . . . . . .
. . . . 28
2.3.2 Chemische Modelle für reaktive Oberflächen . . . . . . .
. . . . . . 30
2.3.3 Kristallisations- und Sublimationskinetik . . . . . . . .
. . . . . . . 31
2.3.4 Advektion an reaktiven Oberflächen . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 33
2.3.5 Die Bestimmung der Wachstumsraten . . . . . . . . . . . .
. . . . . 33
2.4 Die Formulierung der Randbedingungen . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 34
iii
-
iv Inhaltsverzeichnis
2.4.1 Geschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 34
2.4.2 Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 35
2.4.3 Stoffmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 37
2.5 Transportprozesse und Reaktionen in porösen Medien . . . .
. . . . . . . . 37
2.5.1 Impulstransport in porösen Medien . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 38
2.5.2 Stofftransport und chemische Reaktionen in porösen Medien
. . . . 39
2.5.3 Die Kopplung der Stofftransportbeziehungen an
Porös-Fluid-Grenzen 41
2.5.4 Energietransport in porösen Medien . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 42
2.6 Quasi-stationäre Modellierung des Züchtungsprozesses . . .
. . . . . . . . . 45
2.7 Die Berechnung thermischer Spannungen . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 47
2.7.1 Grundgleichungen der anisotropen linearen
Elastizitätstheorie . . . 47
2.7.2 Die Form des Elastizitätstensors für unterschiedliche
Kristallsysteme 49
2.7.3 Die thermoelastischen Gleichungen für hexagonale
SiC-Modifikationen 51
2.7.4 Einfluß thermischer Spannungen auf die Generierung von
Verset-zungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 52
3 Das numerische Lösungsverfahren 55
3.1 Das Finite-Volumen-Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . 55
3.2 Lösungsalgorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 59
3.3 Das Mehrgitterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . 61
3.4 Behandlung der Gleichgewichtsbeziehungen . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 63
3.5 Numerische Berechnung der Strahlungswärmeflüsse . . . . .
. . . . . . . . 64
4 Grundlegende Aspekte des Züchtungsprozesses 67
4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 67
4.2 Untersuchung der thermischen Bedingungen . . . . . . . . . .
. . . . . . . 68
4.2.1 Verteilung der elektrischen Feldstärke und der
Wärmequellen . . . . 68
4.2.2 Temperaturverteilung im Züchtungsreaktor . . . . . . . .
. . . . . . 70
4.2.3 Experimentelle Validierung . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 72
4.3 Die physikalischen Prozesse im Quellmaterial . . . . . . . .
. . . . . . . . . 75
-
Inhaltsverzeichnis v
4.3.1 Die Sublimation des Quellmaterials . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 75
4.3.2 Die zeitliche Entwicklung der Pulvereigenschaften . . . .
. . . . . . 78
4.3.3 Vergleich berechneter Ergebnisse mit experimentellen
Beobachtungen 80
4.4 Der Fluidbereich des Züchtungstiegels . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . 82
4.4.1 Die Zusammensetzung der Gasphase . . . . . . . . . . . . .
. . . . 83
4.4.2 Der Transportmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 87
4.5 Simulation des Kristallwachstums . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . 90
4.5.1 Zeitliche Entwicklung des Kristalls . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 90
4.5.2 Experimentelle Validierung . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 94
4.6 Der Spannungszustand des wachsenden Kristalls . . . . . . .
. . . . . . . . 95
5 Optimierung der Züchtungsbedingungen 101
5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 101
5.2 Variation der induktiven Reaktorbeheizung . . . . . . . . .
. . . . . . . . . 101
5.2.1 Änderung der Induktionsleistung . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 102
5.2.2 Änderung der Spulenposition . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 104
5.3 Variation des Prozeßdrucks . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . 108
5.4 Modifizierung der Reaktorgeometrie . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . 109
5.4.1 Radius des Pyrometerkanals . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 109
5.4.2 Aufbau des Züchtungstiegels . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 113
6 Zusammenfassung und Ausblick 117
6 Summary and Conclusion 121
Anhang 125
A Die Bestimmung der Transporteigenschaften 125
A.1 Die Chapman-Enskog-Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 125
A.2 Die Transportkoeffizienten für Gasgemische . . . . . . . .
. . . . . . . . . . 126
A.3 Die Bestimmung der Diffusions- und der
Thermodiffusionskoeffizienten . . 127
A.4 Die Temperaturabhängigkeit der Transportkoeffizienten . . .
. . . . . . . . 128
-
vi Inhaltsverzeichnis
B Transporteigenschaften der Gasverbindungen 129
C Die Berechnung der chemischen Potentiale 131
D Die elastischen Konstanten von 4H- und 6H-SiC 133
Literaturverzeichnis 135
-
1 Einleitung
Das Halbleitermaterial Siliziumkarbid (SiC) besitzt aufgrund
seiner physikalischen undchemischen Eigenschaften
außergewöhnliches Potential für Anwendungen in
Leistungs-,Hochtemperatur-, Hochfrequenz- und Optoelektronik.
Voraussetzung für die Umsetzungdieses Potentials in der
Halbleiterindustrie ist die Verfügbarkeit qualitativ
hochwertigerSiC-Volumenkristalle, deren Durchmesser ausreichend
für die wirtschaftliche Produktionelektronischer Bauelemente ist.
Da die Herstellung von Kristallen großen Durchmessersbei
gleichzeitiger Kontrolle der Kristalldefekte nach wie vor ein
prinzipielles Problem dar-stellt, werden von den gegenwärtig
erhältlichen SiC-Wafern die Anforderungen bezüglichPreis, Größe
und Qualität häufig nicht erfüllt. Aus diesem Grund werden
weltweit großeAnstrengungen unternommen, Forschungs- und
Entwicklungsergebnisse auf dem Gebietder SiC-Kristallzüchtung zu
erzielen, die eine weitere Verbesserung der
Züchtungsprozesseinsbesondere bei großen Kristalldurchmessern
ermöglichen.
Die Existenz einer chemischen Verbindung zwischen den Elementen
Silizium und Kohlen-stoff wurde erstmals im Jahr 1824 von Berzelius
[7] diskutiert. Natürliches SiC wur-de von Moissan [77] zu Beginn
des zwanzigsten Jahrhunderts bei der Untersuchungvon Proben eines
Meteoritenkraters in Canyon Diablo (Arizona, USA) nachgewiesen,die
experimentelle Herstellung von SiC-Kristallen war Cowless [14]
schon zwanzig Jah-re zuvor gelungen. Aufgrund seiner
außergewöhnlichen Härte wurde die technologischeBedeutung des
Materials für Schleifprozesse frühzeitig erkannt, und der erste
großtech-nische Herstellungsprozeß, die Synthese von
Aluminiumsilikat und Kohlenstoff zu SiCin einem elektrischen
Schmelzofen, wurde von Acheson [2] bereits im Jahr 1891
ent-wickelt. Die strukturellen und elektronischen Eigenschaften von
SiC konnten zunächstnicht untersucht werden, da die Synthese von
SiC-Einkristallen erst seit 1955 durch dasvon Lely [70] entwickelte
Sublimationsverfahren möglich ist. Systematische Studien, dieseit
etwa 1960 durchgeführt wurden, zeigten allerdings bald, daß SiC
aufgrund seiner her-ausragenden physikalischen Eigenschaften den
herkömmlichen Halbleitern Si und GaAs,insbesondere in vielen
Bereichen der Leistungselektronik, deutlich überlegen ist.
Mitt-lerweile konnte eine Vielzahl unterschiedlicher Bauelemente
für den Einsatz bei hohenTemperaturen, bei hohen Leistungen und
bei hohen Frequenzen im Labormaßstab rea-lisiert werden.
Kommerziell werden SiC-Wafer gegenwärtig von der Firma Infineon
zurProduktion von Hochleistungsschottkydioden und von den Firmen
Osram und Cree zurHerstellung von GaN-basierten Leuchtdioden
eingesetzt.
Im Gegensatz zu den Volumenkristallen der anderen kommerziell
relevanten Halblei-termaterialien, zu deren Produktion Schmelz-
oder Lösungszüchtungsverfahren einge-setzt werden, werden
SiC-Kristalle gegenwärtig ausschließlich mit dem modifizierten
Lely-Verfahren durch Abscheidung aus der Gasphase hergestellt. Bei
diesem Verfahren, das eineWeiterentwicklung der ursprünglichen
Methode von Lely [70] darstellt, wird ein axialsym-metrischer
Graphittiegel teilweise mit hochreinem SiC-Pulver gefüllt und ein
Keimkristallin den verbleibenden Hohlraum eingebracht. Das
SiC-Pulver, das als Quellmaterial für denZüchtungsprozeß dient,
sublimiert bei Temperaturen von 1800◦C bis 2600◦C, die meist
1
-
2 1 Einleitung
durch induktive Beheizung des Tiegels realisiert werden. Die bei
der Sublimation entste-henden gasförmigen Verbindungen werden
durch Diffusion und Advektion zum Kristalltransportiert und an
dessen Oberfläche adsorbiert und zerlegt. Die
Zerlegungsproduktewerden geordnet in das Kristallgitter eingebaut.
Die Aufgabe der Prozeßoptimierung be-steht darin, Reaktorgeometrie
und Prozeßbedingungen so einzustellen, daß ein gleichmäßi-ges und
defektfreies Kristallwachstum gewährleistet ist und zugleich die
Anforderungender Prozeßökonomie erfüllt sind.
Die Anforderungen an aktuelle Entwicklungen in der
Kristallzüchtung sind durch das Zielgeprägt, die Effizienz der
Waferverarbeitung durch eine Vergrößerung der Kristalldurch-messer
zu erhöhen. So wurde der Durchmesser kommerziell erhältlicher
Silizium-Waferseit 1950 durch die kontinuierliche Verbesserung der
Züchtungsprozesse von 20 mm auf300 mm gesteigert, der Durchmesser
handelsüblicher SiC-Wafer stieg in den letzten zehnJahren von 25
mm auf immerhin 75 mm an. Verfahren zur Herstellung von
SiC-Kristallenmit 100 mm Durchmesser befinden sich gegenwärtig im
Entwicklungsstadium. Durch dieOptimierung der Züchtungsprozesse
konnte in den letzten Jahren auch die kristallineQualität der
SiC-Wafer deutlich verbessert werden. Dennoch ist der Einsatz von
SiC alsBasismaterial in der Bauelementeproduktion nach wie vor
durch die geringe Größe derWafer und eine Vielzahl
unterschiedlicher Kristalldefekte eingeschränkt, und die
Weiter-entwicklung der Züchtungsverfahren unter Einsatz aller
bereitstehenden experimentellenund numerischen Methoden wird auch
in Zukunft eine wichtige Aufgabe und Herausfor-derung bleiben.
Das vorrangige Ziel dieser Arbeit war die Untersuchung der
Sublimationszüchtung vonSiC-Volumenkristallen in induktiv
beheizten Reaktoren durch die globale mathematischeModellierung des
Züchtungsvorganges. Die Modellierung basierte auf der
zweidimensiona-len Berechnung der induktiven Reaktorbeheizung, der
Strömung, des Wärme- und Stoff-transports einschließlich der
Ausbreitung thermischer Strahlung, der Sublimations-
undKristallisationsprozesse sowie der thermischen Spannungen. Durch
die Implementierungdes entwickelten Modells in ein Computerprogramm
konnten numerische Simulations-rechnungen durchgeführt werden, die
zu einem vertieften Verständnis der grundlegen-den physikalischen
Prozesse führten und Beiträge zur Optimierung von
Reaktorgeometrieund Prozeßbedingungen leisteten (siehe z.B. Selder
et al. [117, 116], Wellmannet al. [130, 131], Schmitt et al.
[108]). Vorhersagen der Modellierung wurden durchVergleiche mit
experimentellen Daten verifiziert (Selder et al. [114, 115]).
1.1 Inhalt der Arbeit
Die Einleitung der vorliegenden Arbeit beginnt mit einer
allgemeinen Darstellung derphysikalischen Eigenschaften und
technologischen Bedeutung des Halbleitermaterials SiC.Anschließend
wird ein Überblick über die Herstellungsverfahren gegeben, die
für die Ent-wicklung der aktuellen Prozeßtechnologie von Bedeutung
waren. Das Züchtungsverfahren,das gegenwärtig als Standardprozeß
zur Herstellung von SiC-Kristallen eingesetzt wird,wird
ausführlich beschrieben. Die Notwendigkeit der mathematischen
Modellierung zur
-
1.2 Physikalische Eigenschaften und technologische Bedeutung
3
Untersuchung und Verbesserung dieses Verfahrens wird
herausgestellt. Den Abschluß desKapitels bildet ein
Literaturüberblick, der den Stand der Arbeiten auf dem Gebiet
derModellierung der SiC-Sublimationszüchtung zusammenfaßt und
Hinweise auf relevanteArbeiten benachbarter Fachgebiete gibt.
In Kapitel 2 wird das mathematische Modell für den
Züchtungsprozeß vollständig beschrie-ben. Die Darstellung
konzentriert sich auf die Modellierung der physikalischen und
chemi-schen Prozesse, die an reaktiven Oberflächen ablaufen, auf
die Modellierung des Wärme-und Stofftransports in porösen
Materialien sowie auf die mathematische Beschreibung derthermischen
Spannungen, die während der Züchtung im wachsenden Kristall
entstehen,da die Simulation dieser Prozesse im Mittelpunkt der
vorliegenden Arbeit stand und diebenötigten Modelle teilweise
neuentwickelt und in das bestehende
Simulationsprogrammimplementiert werden mußten. Die Modellierung
der induktiven Reaktorbeheizung unddes Wärme- und Stofftransports
in der Fluidphase wird in relativ knapper Form vorge-stellt.
Die wesentlichen Merkmale des eingesetzten numerischen
Lösungsverfahrens werden inKapitel 3 zusammengestellt. Die
Diskretisierung der Transportgleichungen und der Al-gorithmus zur
effektiven Lösung der resultierenden Gleichungssysteme werden
erläutert,und die Verfahren, mit denen die konsistente Berechnung
der unterschiedlichen Wärme-transportmechanismen sowie von
Transportprozessen und chemischen Gleichgewichtsre-aktionen
sichergestellt wird, werden angegeben. Die Effizienz des
Mehrgitterverfahrensfür die untersuchten Problemstellungen wird
anhand von typischen Beispielrechnungengezeigt.
In Kapitel 4 werden die physikalischen und chemischen Vorgänge,
die der SiC-Sublima-tionszüchtung zugrunde liegen, durch
numerische Berechnungen untersucht. Die thermi-schen Bedingungen,
die während der Züchtung im Reaktor vorherrschen, und die
Subli-mation des SiC-Pulvers werden diskutiert, und der Mechanismus
des Stofftransports imZüchtungstiegel wird analysiert. Daneben
wird die zeitliche Entwicklung von Form undGröße des Kristalls
untersucht und das Entstehen thermischer Spannungen im
wachsendenKristall diskutiert. Vergleiche mit experimentellen
Untersuchungen werden angegeben, umdie Genauigkeit und die Grenzen
der Modellvorhersagen zu charakterisieren.
Die Abhängigkeit der Züchtungsbedingungen von veränderbaren
Prozeßparametern wirdin Kapitel 5 diskutiert. Zunächst wird
gezeigt, inwieweit der Züchtungsprozeß für einevorgegebene
Reaktorgeometrie durch Modifizierungen des Drucks und der
induktiven Be-heizung steuerbar ist. Anschließend wird anhand von
zwei Beispielen zusammenfassenddargestellt, wie sich Veränderungen
der Reaktorgeometrie auf die Züchtungsbedingungenauswirken.
1.2 Physikalische Eigenschaften und technologische Bedeutung
Verglichen mit Si und GaAs, den heute in der
Bauelementetechnologie etablierten Halblei-termaterialien, weist
SiC einige Besonderheiten auf, die in Tabelle 1.1
zusammengestellt
-
4 1 Einleitung
Si GaAs 3C-SiC 6H-SiC 4H-SiC
Bandlücke Eg [eV] 1.1 1.4 2.2 3.3 3.0
Max. Arbeitstemperatur Tmax [K] 570 730 1150 1510 1510
Wärmeleitfähigkeit λ [ WcmK
] 1.5 0.5 4.5 4.5 4.5
Durchbruchfeldstärke Eb [106 Vcm
] 0.3 0.4 1.2 2.0 2.4
Elektronenbeweglichkeit µe [cm2
V s] 1450 9200 900 300 500
Löcherbeweglichkeit µn [cm2
V s] 400 400 20 50 50
Sättigungsdriftgeschw. vs [107 cm
s] 1.0 2.0 2.0 2.0 2.0
Tab. 1.1: Vergleich physikalischer Eigenschaften von Si, GaAs
und den drei technologischbedeutsamsten SiC-Modifikationen (nach
Chow [13] bzw. Madelung [72]).
sind. Bedingt durch die große Bandlücke Eg ist die maximale
Arbeitstemperatur Tmaxsehr hoch, und die Durchbruchfeldstärke Eb
liegt für SiC etwa eine Größenordnung höherals für GaAs und Si.
Bemerkenswert ist auch der hohe Wert der Wärmeleitfähigkeit,der
ungewöhnlich für Halbleitermaterialien ist und im Bereich der
Wärmeleitfähigkeitvon Kupfer liegt. Vorzüge, die auf die
genannten Besonderheiten zurückzuführen sind,überwiegen in
vielen Anwendungsbereichen Probleme, die durch die geringeren
Ladungs-trägerbeweglichkeiten entstehen. Wie von Ivanov und
Chelnokov [49] herausgestelltwurde, ist die Sonderstellung von SiC
unter anderem auf die hohe Si-C-Bindungsenergie(≈ 5 eV)
zurückzuführen, die auch die Ursache für die außergewöhnliche
physikalischeund chemische Stabilität des Materials ist.
Die oben genannten physikalischen Eigenschaften machen SiC zu
einem attraktiven Ma-terial für die Bauelementeproduktion in der
Leistungs-, Hochtemperatur- und Hochfre-quenzelektronik. Die
Leistungselektronik, in der SiC insbesondere aufgrund der
hohenDurchbruchfeldstärke und der hohen Arbeitstemperaturen
enormes Anwendungspotentialbesitzt, umfaßt das Steuern und Umformen
elektrischer Energie durch den Einsatz vonThyristoren und
Transistoren. Die Einsetzbarkeit bei hohen Arbeitstemperaturen und
dieaußerordentliche chemische Stabilität bedingen die
Attraktivität von SiC als Basismaterialfür die Produktion von
Sensor- und Steuerelementen für Hochtemperaturanwendungen.Die
Verwendung von SiC für die Herstellung von Bauelementen der
Hochfrequenzelektro-nik, die in vielen Bereichen der Nachrichten-
und Informationstechnologie zum Einsatzkommen, ist begünstigt
durch die elektronischen Eigenschaften des Materials.
Ein weiteres Feld, in dem SiC als Halbleitermaterial Verwendung
findet und in der Zu-kunft noch verstärkt finden wird, ist die
Produktion optoelektronischer Bauelemente. Beider Herstellung von
blau emittierenden Leucht- und Laserdioden wird SiC in zunehmen-dem
Maße anstelle von Saphir als Substratmaterial für nitridische
Verbindungshalbleitereingesetzt, da die Epitaxie von GaN auf SiC
aufgrund der geringen Gitterfehlanpassung
-
1.2 Physikalische Eigenschaften und technologische Bedeutung
5
zwischen SiC und GaN ohne zusätzliche Pufferschichten möglich
ist. Bei Verwendung vondotiertem SiC können infolge der
elektrischen Leitfähigkeit des Substrats zudem
vertikaleBauelementestrukturen realisiert werden.
Mit der Schmuckindustrie hat sich in den letzten Jahren ein
völlig neuer Interessent fürSiliziumkarbid herauskristallisiert.
Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen SiC und Diamantbezüglich
Brechungsindex, mechanischer Härte und thermischer Leitfähigkeit
wird SiCgegenwärtig als Basismaterial für die Produktion von
Edelsteinen diskutiert und unterder Bezeichnung ”Moissanite” auch
bereits eingesetzt (Hobgood et al. [40]). Ähnlichwie Diamant ist
Moissanite charakterisiert durch Transparenz im gesamten
sichtbarenSpektralbereich, optischen Glanz sowie chemische und
mechanische Stabilität. Die Anfor-derungen, die bei der
Herstellung von Edelsteinen an Qualität und Reinheit des
Ausgangs-materials gestellt werden, sind vergleichbar mit den
Kriterien in der Halbleitertechnologie.
Eine Besonderheit von Siliziumkarbid besteht darin, daß mehr als
200 verschiedene kristal-lographische Modifikationen des Materials
bekannt sind. Bei gleicher Nahordnung (CSi4-bzw. SiC4-Tetraeder)
unterscheiden sich die verschiedenen SiC-Modifikationen durch
dieStapelfolge der Si/C-Doppellagen in Richtung der
kristallographischen Hauptachse deshexagonalen Gitters (vgl.
Abbildung 1.1a). Dieses Phänomen ist die eindimensionaleForm des
Polymorphismus und wird als Polytypie bezeichnet. Die Nomenklatur
der SiC-Modifikationen erfolgt üblicherweise durch eine Notation
nachRamsdell und Kohn [99],bei der die Periodenlänge und die
Struktur der Elementarzelle angegeben werden. 6H-SiCbezeichnet
beispielsweise die aus sechs Doppellagen aufgebaute hexagonale
Einheitszelle,3C-SiC die kubische Einheitszelle mit Periodenlänge
drei. Die physikalischen Eigenschaf-ten der verschiedenen
Modifikationen können sich erheblich unterscheiden (siehe Tabel-le
1.1). Technologisch relevant sind gegenwärtig mit 4H-SiC und
6H-SiC nur hexagonale
A
B
C
A
B
C
A
A
A
A
B
B
B
B
C
C
C
C
A
A
B
B
B
B
C
C
3C 6H4H
Position A
Position B
Position C
b)a)
Abb. 1.1: (a) Relative Positionierung der Si/C-Doppellagen im
hexagonalen Kristall-system. (b) Stapelfolge der Si/C-Doppellagen
in der 3C-, 4H- und 6H-Modifikation. InAbbildung (a) weist die
kristallographische Hauptachse aus der Papierebene heraus,
inAbbildung (b) ist die kristallographische Hauptachse nach oben
gerichtet.
-
6 1 Einleitung
Modifikationen mit kurzen Stapelfolgen. Die Stapelfolgen dieser
beiden Modifikationenund der kubischen Modifikation 3C-SiC sind in
Abbildung 1.1b schematisch dargestellt.
1.3 Herstellungsverfahren für SiC-Volumenkristalle
Durch die besonderen physikalischen Eigenschaften von SiC ist
die Möglichkeit, Lösungs-oder Schmelzzüchtungsverfahren zur
Herstellung von SiC-Kristallen einzusetzen, starkeingeschränkt.
Eine theoretische Abschätzung von Tsvetkov et al. [125] zeigt,
daßstöchiometrisches Wachstum von SiC aus der Schmelze erst bei
Drücken von 105 bar undTemperaturen von mehr als 3200◦C zu
erwarten ist. Die Möglichkeit, SiC aus der flüssi-gen Phase
herzustellen, ist daher auf den Bereich der Lösungszüchtung
beschränkt. Dietechnologische Realisierbarkeit eines
Lösungszüchtungsverfahrens wurde von Hofmannund Müller [44]
gezeigt. Aufgrund der niedrigen Wachstumsraten und der
extremenAnforderungen an die Stabilität der Tiegelmaterialien
konnte sich die Lösungszüchtungim Bereich der SiC-Herstellung
bislang jedoch nicht durchsetzen (Carter et al. [10]).
Als Standardverfahren zur Herstellung von SiC-Volumenkristallen
hat sich die Sublima-tionszüchtung in induktiv oder resistiv
beheizten Tiegeln etabliert. Die Sublimationszüch-tung beruht auf
der Verdampfung von SiC-Pulver und der Rekristallisation der
entstehen-den gasförmigen Verbindungen an einem Keimkristall. Da
homogene chemische Reaktio-nen dabei von untergeordneter Bedeutung
sind, gehört die Methode zu den PVT(PhysicalVapour
Transport)-Verfahren. Züchtungsprozesse, bei denen zusätzlich
kohlenstoff- undsiliziumhaltige Verbindungen durch einen Gaseinlaß
zugeführt werden (Chemical VapourDeposition, CVD, oder
modifiziertes (M)-PVT-Verfahren), befinden sich gegenwärtig inder
Entwicklungsphase.
Die Entwicklung der SiC-Sublimationszüchtung begann mit dem
Acheson-Prozeß, der1892 patentiert wurde und in leicht
modifizierter Form nach wie vor zur Herstellung vonSiC für die
Schleifmittelindustrie eingesetzt wird (Acheson [1]). Bei diesem
Verfahrenwird ein Gemisch aus Quarzsand (SiO2), Kohlenstoff, NaCl
und Sägemehl in mehrerenSchritten auf eine Temperatur von 2700◦C
erhitzt und anschließend ungefähr 30 h auf einerTemperatur von
etwa 2000◦C gehalten. Dabei bildet sich zunächst polykristallines
SiC-Pulver, aus dem durch Rekristallisation schließlich kommerziell
nutzbares SiC entsteht.Die gebildeten SiC-Plättchen haben eine
Größe von mehreren Quadratzentimetern, ihreQualität ist
allerdings aufgrund von Verunreinigungen und strukturellen Defekten
nichtausreichend für die Produktion elektronischer
Bauelemente.
Die Herstellung von Kristallen mit deutlich verbesserten
Materialeigenschaften wurdedurch das 1955 vorgestellte
Lely-Verfahren [70] möglich. In der ursprünglichen Anord-nung,
die in Abbildung 1.2a schematisch dargestellt ist, wird granulares
SiC im äußerenBereich eines axialsymmetrischen Graphittiegels
aufgeschichtet und der entstehende Hohl-raum mit einer SiC-Platte
abgedeckt. Durch resistive oder induktive Beheizung wird derTiegel
bei Atmosphärendruck auf Temperaturen zwischen 2200◦C und 2800◦C
erhitzt.Das Quellmaterial sublimiert, und die entstehenden
gasförmigen Verbindungen diffun-dieren in den Hohlraum. Da die
Temperaturen an der Innenseite des Pulvers niedriger
-
1.3 Herstellungsverfahren für SiC-Volumenkristalle 7
Abb. 1.2: Schematische Darstellung der Züchtungstiegel, die (a)
im ursprünglichen Lely-Verfahren [70] und in den modifizierten
Verfahren nach (b)Tairov und Tsvetkov [123],(c) Ziegler et al.
[134] und (d) Tairov und Tsvetkov [124] eingesetzt werden.Beim
ursprünglichen Lely-Verfahren kommt es zu spontaner Nukleation der
Sublima-tionsprodukte an der Pulverinnenseite, bei den
modifizierten Verfahren wird die spontaneNukleation durch den
Keimkristall unterdrückt.
sind als in den Bereichen, die dem beheizten Tiegel direkt
benachbart sind, kommt es zuspontaner Nukleation der gasförmigen
Sublimationsprodukte an der Pulverinnenseite. Esentstehen kleine
Kristallplättchen von sehr guter kristalliner Qualität, die
jedoch wegenihrer unregelmäßig geformten, geringen Fläche nicht
zur Herstellung von elektronischenBauelementen verwendet werden
können.
Das modifizierte Lely-Verfahren wurde von Tairov und Tsvetkov
[123] mit dem Zielentwickelt, Geometrie und Orientierung des
wachsenden Kristalls vorzugeben bzw. zu be-einflussen. Wie in
Abbildung 1.2b schematisch dargestellt ist, unterscheidet sich das
modi-fizierte Verfahren vom ursprünglichen Züchtungsprozeß
prinzipiell nur durch einen dünnenKeimkristall, der in den
Hohlraum eingebracht wird. Bei Drücken von 10–100mbar wirdder
Tiegel auf Temperaturen zwischen 2000◦C und 2400◦C erhitzt. Durch
die bevorzugteAblagerung der Sublimationsprodukte am Keimkristall
wird die spontane Nukleation ander Pulverinnenseite unterdrückt,
und der Keim wächst zu einem Volumenkristall vonmehreren
Zentimetern Länge und Durchmesser. Obgleich die kristalline
Qualität der immodifizierten Lely-Verfahren hergestellten
Kristalle meist etwas schlechter ist als die derLely-Plättchen,
hat sich das Verfahren als Standardprozeß für die Produktion von
SiC-Halbleitermaterial durchgesetzt. Mittlerweile wurden
verschiedene Varianten des Verfah-rens vorgestellt, die sich im
wesentlichen nur durch die relative Positionierung von Quelleund
Keim unterscheiden (siehe Abbildung 1.2b–d). In der Praxis werden
gegenwärtigmeist Tiegelgeometrien verwendet, die der in Abbildung
1.2d dargestellten Anordnungnachgebildet wurden. Aus Gründen der
Prozeßökonomie wird dabei die induktive Lei-stungseinkopplung
gegenüber der resistiven Beheizung bevorzugt. Eine spezielle
Variantedes modifizierten Lely-Verfahrens wird im nächsten
Abschnitt im Detail erläutert.
-
8 1 Einleitung
Als Ergänzung sei abschließend noch die
Sublimation-Sandwich-Methode (SSM) von Vo-dakov et al. [126, 78]
erwähnt, die eine Extremform des modifizierten
Lely-Verfahrensdarstellt. Als Quelle wird bei diesem Verfahren ein
Einkristall verwendet, der in geringemAbstand (∼ 1mm) vom Keim
befestigt wird. Die Züchtung erfolgt bei Drücken zwischen10−5 und
10−1 mbar und Temperaturen zwischen 1600◦C und 2100◦C. Die
produziertenKristallplättchen weisen sehr gute kristalline
Qualität auf. Das Verfahren kann zum Auf-tragen epitaktischer
Schichten eingesetzt werden, zur Herstellung von
Volumenkristallenist die Methode nicht geeignet.
1.4 Sublimationszüchtung im induktiv beheizten Reaktor
Die Sublimationszüchtung in induktiv beheizten Reaktoren stellt
heute das Standardver-fahren zur Herstellung von
SiC-Volumenkristallen dar. Die Geometrie des Reaktors, derden in
der vorliegenden Arbeit durchgeführten Untersuchungen der
SiC-Sublimations-züchtung zugrunde liegt, ist in Abbildung 1.3
schematisch dargestellt. Die wichtigstenKomponenten des Reaktors
sind der Züchtungstiegel, die Isolationsschicht und die
Induk-tionsspule. Die Geometrie des Tiegels entspricht einem von
Tairov und Tsvetkov [124]vorgeschlagenen Aufbau (vgl. Abbildung
1.2d).
Durch die induktive Leistungseinkopplung wirken alle elektrisch
leitfähigen Materialien imReaktorinneren als Wärmequellen. Die
größte Einkopplung erfolgt in den Graphitwändendes Tiegels, deren
elektrische Leitfähigkeit um mehrere Größenordnungen höher ist
alsdie Leitfähigkeit aller anderen Reaktormaterialien. Um die
Züchtungstemperaturen von2100◦C–2400◦C zu realisieren, ist eine
Induktionsleistung von etwa 6–12 kW nötig. Dergenaue Wert der
Induktionsleistung wird von der Größe des Reaktors, dem genauen
Reak-toraufbau, den verwendeten Materialien und den gewünschten
thermischen Bedingungen
Abb. 1.3: Schematische Darstellung des induktiv beheizten
Züchtungsreaktors und desZüchtungstiegels, dessen Geometrie einem
von Tairov und Tsvetkov [124] vorgeschla-genen Aufbau
entspricht.
-
1.4 Sublimationszüchtung im induktiv beheizten Reaktor 9
bestimmt. Die Induktionsfrequenz liegt meist zwischen 10 und 20
kHz. Gegenüber einerwiderstandsbeheizten Züchtungsanlage
reduziert die direkte Einkopplung der Wärmequel-len in den Tiegel
den Energieverbrauch und verbessert daher die Prozeßökonomie.
Um die Energieverluste durch Wärmeabgabe in den Außenraum zu
minimieren, wird derZüchtungstiegel thermisch isoliert. Die
Isolationsschicht wird an der Ober- und Unterseitedes Tiegels durch
zwei Kanäle, die Temperaturmessungen unter Verwendung
optischerPyrometrie ermöglichen, durchbrochen. Auf diese Weise
können die thermischen Bedin-gungen während der Züchtung
kontrolliert werden. Die Öffnung der Isolationsschicht be-einflußt
allerdings die Temperaturverteilung im Tiegel, da durch die
PyrometerkanäleEnergie nach außen abgestrahlt wird.
Der Züchtungstiegel, der in Abbildung 1.3 schematisch
dargestellt ist, befindet sich imZentrum des Reaktors. Er dient als
Behälter für das Quellmaterial und den wachsen-den Kristall und
wirkt durch die induktive Leistungseinkopplung als Wärmequelle.
DasQuellmaterial, feinkörniges SiC-Pulver, wird am Boden des
Tiegels aufgeschichtet, derKeimkristall ist an der Decke des
Tiegels befestigt. Zu Beginn der Züchtung beträgt derAbstand
zwischen Kristall- und Pulveroberfläche einige Zentimeter. Als
Keimkristall wer-den Lely-Plättchen oder Scheiben aus zuvor
gezüchteten Kristallen verwendet. Das SiC-Pulver kann
beispielsweise mit der van Arkel-Methode [4] durch Pyrolyse
hergestelltwerden.
Der Züchtungsreaktor wird mit einem chemisch inerten Trägergas
befüllt, typische Drückeliegen zwischen 20 und 100mbar. Als
Prozeßgas wird meist Argon gewählt. Die Tempe-raturen im
Graphittiegel betragen 2100◦C–2400◦C, die Temperatur an der
Kristallober-fläche liegt zu Beginn der Züchtung etwa 50–100 K
unter der Temperatur an der Pul-veroberfläche. Bei der Sublimation
des Quellmaterials entstehen in erster Linie die dreigasförmigen
Spezies Si, Si2C und SiC2. Diffusion und durch Advektion bedingte
Konvek-tion bewirken den Transport der chemischen Verbindungen zum
Kristall, homogene Gas-phasenreaktionen sind dabei von
untergeordneter Bedeutung. An der Kristalloberflächewerden die
Spezies in einer Reihe von Prozeßschritten adsorbiert, zerlegt und
schließlichin das Kristallgitter eingebaut.
Der gesamte Züchtungsvorgang kann als Resultat mehrerer
gekoppelter Einzelprozesseangesehen werden, die bei einer
Untersuchung des Kristallwachstums simultan analysiertwerden
müssen:
1. Induktive Leistungseinkopplung: Durch das elektromagnetische
Hochfrequenzfeldwerden Wärmequellen in den elektrisch leitfähigen
Reaktormaterialien induziert.
2. Wärmetransport: Energie, die durch induktive
Leistungseinkopplung insbesonderein den Graphitwänden des Tiegels
erzeugt wird, wird durch thermische Strahlung,Wärmeleitung und
Konvektion in die kälteren Bereiche des Reaktors
transportiert.
3. Sublimation des SiC-Pulvers: An der Oberfläche der
Pulverpartikel werden Ato-me aus dem Gitterverbund gelöst und
über heterogene chemische Reaktionen ingasförmigen Verbindungen
gebunden.
-
10 1 Einleitung
4. Strömung im Züchtungstiegel: Der advektive Fluß, der mit
der Produktion bzw.dem Verbrauch gasförmiger Verbindungen an
reaktiven Oberflächen verbunden ist,verursacht eine vom SiC-Pulver
zum Kristall gerichtete Strömung.
5. Stofftransport im Züchtungstiegel: Die chemischen
Verbindungen, die bei der Sub-limation des SiC-Pulvers entstehen,
gelangen durch diffusiv-advektiven Transportzum Kristall.
6. Wachstum des Kristalls: Nach der Adsorption an der
Kristalloberfläche durchlau-fen die gasförmigen Verbindungen
Zerlegungsreaktionen. Die Zerlegungsproduktewerden geordnet in das
Kristallgitter eingebaut.
Die aktuellen Probleme in der SiC-Kristallzüchtung lassen sich
großenteils darauf zurück-führen, daß im Züchtungstiegel keine
optimalen thermischen Bedingungen vorherrschen.Die Anforderung an
das Temperaturfeld besteht einerseits darin, daß sich im Innerenvon
Kristall und SiC-Pulver eine möglichst gleichmäßige
Temperaturverteilung einstellensollte, andererseits erfordert
stabiles Wachstum eine Temperaturdifferenz von 50–100Kzwischen
Kristall- und Pulveroberfläche. Zur Optimierung der thermischen
Bedingun-gen müssen Änderungen am Reaktoraufbau vorgenommen
werden, da durch steuerbareProzeßparameter nur eine sehr geringe
Einflußnahme möglich ist. Die hohen Temperatur-gradienten, die bei
den momentan gebräuchlichen Züchtungsanlagen in Kristall und
Pul-ver vorliegen, bedingen eine starke Inhomogenität der
Pulversublimation, ungleichmäßigeMaterialabscheidung an der
Kristalloberfläche und das Entstehen kristalliner Defekte
imwachsenden Kristall.
1.5 Die Bedeutung der Prozeßmodellierung
Die weitere Verbesserung der Prozeßbedingungen und die
Skalierung etablierter Züch-tungsprozesse auf größere Reaktoren
machen es erforderlich, die Abhängigkeit der
Züch-tungsbedingungen von veränderbaren Prozeßparametern zu
untersuchen. Dabei kommenexperimentelle Analyseverfahren und
numerische Simulationsprogramme zum Einsatz.Das Ziel ist die
Entwicklung von Züchtungsprozessen, die bei gleichmäßigem
Wachs-tum eine hohe strukturelle und kompositionelle Qualität des
Kristalls gewährleisten. AusGründen der Prozeßökonomie wird
zudem eine hohe Wachstumsrate und die gleichmäßigeSublimation des
Quellmaterials angestrebt.
Aufgrund der prozeß- und materialspezifischen Besonderheiten der
SiC-Sublimationszüch-tung kommen nur wenige experimentelle
Analyseverfahren zur Untersuchung des Züch-tungsvorganges in
Betracht:
1. Temperaturmessung durch optische Pyrometrie.Die pyrometrische
Messung der Temperatur an Ober- und Unterseite des
Züchtungs-tiegels ermöglicht die Überwachung des
Temperaturniveaus während der Züchtung
-
1.5 Die Bedeutung der Prozeßmodellierung 11
und die Abschätzung der Temperaturdifferenz zwischen Kristall-
und Pulverober-fläche. Der Einsatz von Thermoelementen ist bei
Temperaturen von mehr als 2000◦Cnicht möglich.
2. In-situ Markierung der Phasengrenze.Der Zufluß von
Stickstoff, der als Dotiermaterial dem Trägergas beigemischt
wird,wird während der Züchtung in definierten Zeitabständen für
jeweils einige Minutenunterbrochen. Dadurch entstehen undotierte
Bereiche im Kristall, die im Längs-schnitt als Dotierstoffstreifen
sichtbar sind und die zeitliche Entwicklung der Pha-sengrenze
kennzeichnen (Eckstein et al. [26]).
3. In-situ Visualisierung des
Züchtungsprozesses.Röntgenaufnahmen des Züchtungstiegels, die
während der Züchtung angefertigt wer-den, enthalten Informationen
über die zeitliche Entwicklung des Kristalls und
derPulvereigenschaften. Die Auswertung dieser Aufnahmen durch den
Einsatz digi-taler Bildgebungsverfahren ermöglicht die
Visualisierung bestimmter Aspekte derSublimations- und
Kristallisationsprozesse (Wellmann et al. [130]).
Einzelne Aspekte des Züchtungsvorganges können mit den
genannten Methoden teilweisesehr genau untersucht werden. So ist
eine detaillierte Analyse der zeitlichen Entwicklungder
Phasengrenzform möglich, und die Degradation des Quellmaterials
kann kontrolliertwerden. Für eine Vielzahl anderer Fragestellungen
stellen die experimentellen Verfahrendagegen nur sehr begrenzt
Informationen zur Verfügung. Beispielsweise sind die ther-mischen
Bedingungen im Inneren des Züchtungstiegels, die für den Ablauf
des Wachs-tumsprozesses und für die Qualität des Kristalls von
entscheidender Bedeutung sind,experimentell nicht zugänglich, da
die optische Pyrometrie nur eine Messung an der Tie-gelaußenseite
ermöglicht. Auch der Mechanismus des Materialtransports zwischen
Quelleund Kristall oder der Ablauf chemischer Reaktionen an den
Oberflächen von Kristall undPulverpartikeln kann mit
experimentellen Methoden nicht untersucht werden.
Zur Untersuchung des Kristallwachstums und zur Optimierung der
Züchtungsbedingun-gen bietet sich daher der Einsatz numerischer
Simulationsprogramme an. Voraussetzungdafür ist die Entwicklung
mathematischer Modelle für die im letzten Abschnitt
genanntenphysikalischen Prozesse und die simultane Lösung der
resultierenden gekoppelten Glei-chungen. Die Aufgabe der
Prozeßsimulation besteht darin, Aussagen über den Ablauf
derphysikalischen und chemischen Vorgänge zu machen, die das
Wachstum und die Qualitätdes Kristalls beeinflussen. Dabei können
sehr unterschiedliche Aspekte des Züchtungsvor-ganges betrachtet
werden:
1. Die thermischen Bedingungen im Inneren des Züchtungstiegels,
die das Ergebnisder komplexen Wechselwirkung von induktiver
Leistungseinkopplung und Energie-übertragung durch thermische
Strahlung, Konvektion und Wärmeleitung in unter-schiedlichen
Materialien sind.
2. Die Transportvorgänge im Fluidbereich des Züchtungstiegels,
die dem Material-transport zwischen SiC-Pulver und Kristall
zugrunde liegen.
-
12 1 Einleitung
3. Heterogene chemische Reaktionen und kinetische Prozesse im
Quellmaterial undan der Kristalloberfläche, die stark von den
jeweiligen thermischen Bedingungenabhängen.
4. Die zeitliche Entwicklung des Kristallwachstums und der
physikalischen Eigenschaf-ten des SiC-Pulvers.
5. Die Auswirkungen der thermischen Bedingungen auf den
Spannungszustand deswachsenden Kristalls und somit auf eine
mögliche Ursache von Kristalldefekten.
Mit der Analyse der Einflußfaktoren auf den Züchtungsprozeß und
der Abhängigkeit derKristalleigenschaften von den
Prozeßbedingungen wird die Voraussetzung für eine ziel-gerichtete
und effektive Prozeßoptimierung geschaffen. Die Modellierung ist
ein idealesWerkzeug, diese Optimierungsarbeit bei vermindertem
experimentellem Aufwand zu lei-sten. Ein weiterer Anspruch der
mathematischen Modellierung besteht darin, grundlegen-de
physikalische Mechanismen bei der Sublimationszüchtung von SiC
aufzuklären und aufdiese Weise zu einem allgemeinen Verständnis
des Wachstumsprozesses beizutragen.
1.6 Literaturübersicht
Die Arbeiten, die bislang auf dem Gebiet der Modellierung der
SiC-Sublimationszüchtungveröffentlicht wurden, lassen sich
unterteilen in die reaktorbezogene Modellierung, de-ren Ziel die
Untersuchung von Wärme- und Stoffübertragungsprozessen in
konkretenZüchtungsreaktoren ist, und in die Formulierung
eindimensionaler Transportmodelle, mitdenen für vorgegebene
thermische Bedingungen der Stofftransport zwischen Quellmateri-al
und Kristall und die Höhe der Wachstumsrate abgeschätzt werden
kann. Als Basis fürdie reaktorbezogene Modellierung wurde bislang
fast ausnahmslos die Formulierung zwei-dimensionaler,
zeitunabhängiger Gleichungen gewählt, da der geometrische Aufbau
derZüchtungsreaktoren axialsymmetrisch ist und bei den üblichen
Prozeßbedingungen kei-ne dreidimensionalen Strömungsphänomene
vorliegen. Eindimensionale Transportmodellevernachlässigen die
Abhängigkeit der physikalischen Größen von der
Radialkomponenteund beschränken das Rechengebiet auf das Innere
des Züchtungstiegels.
1.6.1 Reaktorbezogene Modellierung
Das Ziel der reaktorbezogenen Modellierung besteht in der
Untersuchung der grundlegen-den Wärme- und
Stoffübertragungsprozesse in konkreten Züchtungsreaktoren.
Währendder letzten Jahre wurden verschiedene Reaktormodelle
vorgestellt, beispielhaft seien dieArbeiten von Pons et al. [94],
Karpov et al. [61], Råback et al. [96] und Mülleret al. [83]
genannt. Die Modelle unterschieden sich teilweise erheblich in
ihrer physi-kalischen Reichweite und in den verwendeten Methoden,
gemeinsam war ihnen jedochdie prinzipielle Vorgehensweise bei der
Ermittlung der thermischen Bedingungen im Re-aktor. Berücksichtigt
wurden dabei die induzierten Wärmequellen, die durch das
Lösen
-
1.6 Literaturübersicht 13
einer geeignet vereinfachten Form der Maxwell-Gleichungen
berechnet wurden, Wärmelei-tung in festen Reaktorbereichen und
Wärmeübertragung durch thermische Strahlung. DieVernachlässigung
weiterer Wärmeübertragungsmechanismen wurde mit den
zugrundege-legten Züchtungsbedingungen gerechtfertigt. Zur
Bestimmung der Strahlungswärmeflüssewurden View-Faktor-basierte,
grau-diffuse Strahlungsmodelle eingesetzt. Die Verwendungeiner
effektiven Gaswärmeleitfähigkeit zur Approximation der
Strahlungsausbreitung er-wies sich als unzureichend (Pons et al.
[95]).
In den oben angegebenen Reaktormodellen wurde die Ermittlung der
Temperaturver-teilung von der Untersuchung der Strömung und der
Stofftransportvorgänge entkop-pelt. Die berechneten
Temperaturfelder dienten als Basis für weitergehende Analysen
desZüchtungsprozesses. Untersuchungen des Stofftransports im
Züchtungstiegel und der Ma-terialabscheidung an der
Kristalloberfläche wurden insbesondere von Pons et al. [93, 94,95,
71] durchgeführt, wobei Multikomponentendiffusion und
Thermodiffusion als Trans-portmechanismen berücksichtigt wurden,
konvektive Effekte jedoch vernachlässigt wur-den. Die Strömung im
Züchtungstiegel wurde von Karpov et al. [61], Egorov et al.[27]
und Ramm et al. [98] diskutiert. In diesen Arbeiten, in denen
erstmals der Stefan-Fluß untersucht wurde, wurde von direkter
Strömung zwischen Quelle und Keim be-richtet, deren
Geschwindigkeit einige Meter pro Sekunde betragen kann. Zu
beachtenist allerdings, daß sich diese hohen Geschwindigkeiten bei
Modellrechnungen für Tantal-Züchtungstiegel ergaben, in denen
üblicherweise der Inertgasdruck sehr niedrig gewähltwird.
Im Rahmen der linearen Elastizitätstheorie wurden von Karpov et
al. [58] und Mül-ler et al. [83] die Spannungen berechnet, die
während der Züchtung infolge der inho-mogenen thermischen
Bedingungen im wachsenden Kristall entstehen. Da die
ermitteltenSpannungswerte teilweise deutlich über dem in der
Literatur als kritisch angenommenenNiveau lagen, kann davon
ausgegangen werden, daß die thermischen Bedingungen großenEinfluß
auf die Generierung zumindest der Defekte haben, die mit
thermischen Spannun-gen korreliert sind. Ein einfaches Modell für
den Zusammenhang zwischen thermischenSpannungen und der Entstehung
von Versetzungen wurde in den beiden angegebenenArbeiten
skizziert.
Von Klein et al. [68] und Chen et al. [11] wurde vorgeschlagen,
als Basis der Re-aktormodellierung die zeitabhängigen
Erhaltungsgleichungen zu wählen. Da
instationäreZüchtungsbedingungen, die dies motivierten, in den
Arbeiten von Karpov et al. [58]und Selder et al. [117] im Rahmen
quasi-stationärer Berechnungen berücksichtigtwerden konnten, ist
es allerdings fraglich, ob der mit diesem Vorgehen verbundene
Mehr-aufwand gerechtfertigt ist. Auch der Einfluß der
Semitransparenz von SiC auf die Tem-peraturverteilung, der von
Klein et al. [68] im Rahmen eines vereinfachten Modellsuntersucht
wurde, scheint unter Berücksichtigung der Daten, die von Müller
et al. [80]für das Absorptionsverhalten von SiC bestimmt wurden,
nicht bedeutsam zu sein.
-
14 1 Einleitung
1.6.2 Eindimensionale Transportmodelle
Mit der Entwicklung eindimensionaler Transportmodelle wird das
Ziel verfolgt, mit ver-einfachten Methoden die Abhängigkeit der
Wachstumsrate von Prozeßparametern wieZüchtungstemperatur,
Temperaturgradient oder Inertgasdruck abzuschätzen. Die
Betrach-tungen beschränken sich üblicherweise auf das Innere des
Züchtungstiegels. Temperatu-ren oder Wärmeflüsse, die in den
eindimensionalen Modellrechnungen als Eingabedatenbenötigt werden,
müssen durch experimentelle Messungen oder zweidimensionale
Simu-lationsrechnungen bestimmt werden.
Ein von Müller [79] vorgeschlagenes Modell wurde in den
Arbeiten von Müller et al.[81] und Straubinger et al. [122]
verwendet, um die zeitliche Entwicklung der Wachs-tumsrate in
Abhängigkeit von Züchtungsdruck und thermischen Bedingungen zu
unter-suchen. Die thermischen Bedingungen wurden durch die
Temperaturen an Ober- undUnterseite des Züchtungstiegels
charakterisiert und durch zweidimensionale Simulations-rechnungen
für die jeweilige Reaktorkonfiguration ermittelt. Die
Wachstumsrate wurdedurch die iterierte Berechnung der Wärmebilanz
an der Kristalloberfläche und des Stoff-transports zwischen Quelle
und Kristall bestimmt, wobei diffusiver und advektiver
Stoff-transport, Sublimations- und Wachstumskinetik, latente
Kristallisationswärme, Wärme-leitung und thermische Strahlung
berücksichtigt wurden. Experimentell beobachtete Ten-denzen
konnten durch Simulationsrechnungen gut wiedergegeben werden. Die
Notwen-digkeit, nicht klar definierte Anpaßparameter zu verwenden,
läßt die Aussagekraft desModells jedoch etwas fraglich
erscheinen.
Ein zweites Modell, das auf der iterierten Berechnung von
Stofftransport und Wärme-bilanz beruht, wurde in einer Arbeit von
Råback et al. [97] vorgestellt. Die thermi-schen Bedingungen
wurden hier durch die mittlere Temperatur im Züchtungstiegel
undden eindimensionalen Wärmefluß charakterisiert und durch den
kombinierten Einsatz vonPyrometermessungen und zweidimensionalen
Simulationsrechnungen bestimmt. Die Be-rechnung des Stofftransports
erfolgte durch eine Interpolation zwischen diffusivem undfreiem
molekularem Transport, bei der Wärmebilanzierung wurden thermische
Strahlung,Wärmeleitung und Kristallisationswärme berücksichtigt.
Zufriedenstellende Übereinstim-mung mit experimentellen Daten
konnte nur für spezielle Züchtungsbedingungen erzieltwerden.
Der gekoppelte Einsatz von zweidimensionalen Temperatur- und
eindimensionalen Stoff-transportberechnungen, der vonChen et al.
[11] durchgeführt wurde, ermöglichte es, beider Ermittlung der
Temperaturverteilung neben induktiver Leistungseinkopplung,
ther-mischer Strahlung und Wärmeleitung auch die
Kristallisationswärme zu berücksichtigen.Die Modellierung des
Stofftransports enthielt diffusive und advektive
Transportprozesseunter Berücksichtigung kinetischer Effekte an der
Kristalloberfläche. Bei der Formulierungder
Stofftransportgleichungen wurden einige fragwürdige Annahmen
zugrundegelegt, diedie physikalische Relevanz der
Simulationsergebnisse stark einschränken.
-
1.6 Literaturübersicht 15
1.6.3 Diskussion
Numerische Simulationsprogramme werden mittlerweile als
zuverlässiges Werkzeug zurUntersuchung und Optimierung der
thermischen Züchtungsbedingungen angesehen. DieBerechnung der
Temperaturverteilung erfolgt bei den meisten Programmen mit
ähnlichenMethoden, wobei induktive Leistungseinkopplung,
thermische Strahlung und Wärmelei-tung in Festkörpern als
dominierende Mechanismen betrachtet werden. Für
Standard-Züchtungsbedingungen scheint das Fehlen verläßlicher
thermophysikalischer Daten ge-genwärtig ein schwerwiegenderes
Problem zu sein als die Qualität der Simulationspro-gramme bzw.
der verwendeten Modelle.
Die physikalischen Prozesse, die von verschiedenen Autoren bei
der Modellierung desStofftransports und der chemischen
Reaktionsabläufe berücksichtigt wurden, und die je-weils
verwendeten Berechnungsverfahren unterschieden sich erheblich
stärker als die zurErmittlung der Temperaturverteilung
eingesetzten Methoden. Beispielsweise ist der Me-chanismus des
Stofftransports zwischen SiC-Pulver und Kristall bislang nicht
hinreichendgeklärt. Während in den Arbeiten von Pons et al. [92,
93, 94] konvektive Transport-prozesse gänzlich vernachlässigt
wurden, beschrieben Karpov et al. [61, 27] zwar dieAuswirkungen des
advektiven Stroms, verzichteten aber weitgehend auf die
Erläuterungder verwendeten Modelle und der betrachteten
Züchtungsbedingungen. Eine systema-tische Untersuchung der
Transportmechanismen wurde bislang nicht durchgeführt. Einweiteres
Defizit der bisherigen Arbeiten betrifft die Modellierung der
physikalischen undchemischen Prozesse im porösen Quellmaterial.
Das SiC-Pulver wurde in allen veröffent-lichten Untersuchungen
durch einen Festkörper mit möglichst gut approximierten
ther-mophysikalischen Eigenschaften ersetzt. Dadurch wurden die
Sublimationsprozesse aufdie Oberfläche des Pulvers beschränkt,
chemische Reaktionen und Transportvorgänge imInneren des
Quellmaterials wurden vernachlässigt.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß alle bislang
veröffentlichten Ansätze zurSimulation der
SiC-Sublimationszüchtung wichtige Aspekte des Züchtungsprozesses
ver-nachlässigten oder stark vereinfacht behandelten. Das Ziel der
vorliegenden Arbeit wardaher die Entwicklung eines mathematischen
Modells, das die gekoppelte Berechnungvon Wärme- und
Stoffübertragung, Strömung und chemischen Prozessen ermöglicht
undeine verbesserte Beschreibung wichtiger physikalischer Prozesse
beinhaltet. Die Ergebnis-se einiger Veröffentlichungen, die für
die notwendige Weiterentwicklung der Modelle fürStofftransport und
chemische Prozesse von Bedeutung waren, sind im folgenden
Abschnittzusammengestellt.
1.6.4 Weiterführende Arbeiten
Der Materialtransport zwischen Quelle und Kristall erfolgt bei
der PVT-Züchtung durchdiffusiv-advektiven Transport, der bei
Vorliegen von Temperatur- oder Dichtegradientenvon natürlicher
oder solutaler Konvektion überlagert wird. Eine numerische
Untersuchung
-
16 1 Einleitung
der durch Advektion dominierten Strömung einer
zweikomponentigen Gasmischung in zy-lindrischen Ampullen wurde von
Greenwell et. al. [32, 73] durchgeführt und ergab,daß infolge der
viskosen Wechselwirkung der Strömung mit der Seitenwand eine
Rezirku-lation der Inertgaskomponente auftritt und signifikante
radiale Variationen der Konzen-trationsverteilung und der
Wachstumsrate vorliegen können. Eine ausführliche Diskussiondes
PVT-Prozesses in geschlossenen Systemen, die allerdings weitgehend
auf eindimen-sionale Betrachtungen beschränkt wurde, findet sich
bei Kaldis und Piechotka [55].
Ein analytisches Modell für die SiC-Züchtung mit der
Sublimation-Sandwich-Methodewurde von Karpov et al. [60, 59]
entwickelt. Die Autoren verwendeten die Hertz-Knudsen-Beziehung, um
einen Zusammenhang zwischen den Partialdrücken der Verbin-dungen
an der Pulver-/Kristalloberfläche und den molaren Flüssen
herzustellen, und er-hielten durch die kombinierte Berechnung von
heterogenen chemischen Gleichgewichts-reaktionen und
Flußbilanzgleichungen ein Gleichungssystem zur Ermittlung der
Parti-aldrücke. Die vorausgesetzten sehr niedrigen Drücke
schlossen den Einsatz des Modellszur Beschreibung des
PVT-Kristallwachstums zunächst aus, eine von Segal et al.
[109]vorgeschlagene Verallgemeinerung ermöglichte jedoch die
Modellierung von Züchtungspro-zessen auch in anderen
Druckbereichen. Dazu wurde das Konzept der Übersättigung undder
Knudsen-Schicht eingeführt, und anstelle von freier molekularer
Diffusion wurdenKonvektion und Multikomponentendiffusion als
Transportmechanismen in der Gaspha-se zugrundegelegt. Unter
Vernachlässigung kinetischer Prozesse wurde die
kombinierteBerechnung von chemischen Gleichgewichtsreaktionen und
vereinfachten Stofftransport-prozessen bereits von Hofmann et al.
[43] durchgeführt.
Die Wärmeleitfähigkeit des SiC-Pulvers wurde von Rexer [101]
und Müller et al.[82] experimentell untersucht. Ausgehend von
diesen Arbeiten entwickelten Kitanin etal. [66] ein mathematisches
Modell, in dem die Abhängigkeit der Pulverwärmeleitfähig-keit
von unterschiedlichen Einflußgrößen (Porosität, Partikelgröße
etc.) berücksichtigtwurde. Dazu wurden die wichtigsten
Einzelprozesse analysiert und deren Beitrag quanti-tativ
abgeschätzt. Die durchgeführten Überlegungen basierten auf der
Annahme, daß dasheterogene Medium durch eine reguläre, aus festen
und gasförmigen Blöcken bestehendeStruktur ersetzt werden kann,
für deren Einheitszelle eine effektive Wärmeleitfähigkeitzu
berechnen ist (Dulnev und Zarichniyak [20]). Diese Entwicklung ist
als wichtigeVerbesserung der thermophysikalischen Modellierung
anzusehen, die die Genauigkeit beider Berechnung der stark
temperaturabhängigen Sublimationsprozesse erheblich erhöht.
Die eindimensionale Modellierung von Sublimations- und
Transportprozessen im Quell-material wurde in einer von Karpov et
al. [57] vorgestellten Arbeit mit dem Zielvorgenommen, die
zeitliche Entwicklung der Pulvereigenschaften zu analysieren. Für
einvorgegebenes realitätsnahes Temperaturprofil wurden die
Sublimation des Pulvers, diffusi-ver und konvektiver Transport der
gasförmigen chemischen Verbindungen durch die Porenund die
Änderung des Oberflächenzustandes der Pulverpartikel berechnet.
Die Untersu-chungen ergaben, daß in den heißen Bereichen des
Pulvers Graphitisierung zu erwartenist, während für die kälteren
Regionen Übersättigung und damit Rekristallisationsprozes-se
vorausgesagt wurden. Die Ergebnisse der Berechnungen standen
qualitativ in Überein-
-
1.6 Literaturübersicht 17
stimmung mit experimentellen Beobachtungen.
1.6.5 Beiträge der vorgelegten Arbeit
Im Rahmen der durchgeführten Arbeit wurde ein mathematisches
Modell für die SiC-Sublimationszüchtung entwickelt und
implementiert, das die gekoppelte Berechnung derWärme- und
Stofftransportvorgänge, der Strömung und der chemischen
Reaktionsabläufeermöglicht. Von Bedeutung waren dabei
insbesondere die Fortschritte, die bei der mathe-matischen
Beschreibung der Sublimations- und Transportprozesse im porösen
Quellma-terial und an reaktiven Festkörperoberflächen erreicht
wurden. Darüber hinaus wurdendie Grundgleichungen der anisotropen
linearen Elastizitätstheorie implementiert und
einquasi-stationäres Wachstumsmodell formuliert, um die zeitliche
Entwicklung von Form,Größe und Spannungszustand des Kristalls
berechnen zu können. Somit wurde erstmalsein zweidimensionales
Reaktormodell formuliert, das die realitätsnahe Berechnung
allerrelevanten Transportprozesse und Reaktionsabläufe in den
unterschiedlichen Materialienvorsieht und die gekoppelte Lösung
der mathematischen Gleichungen beinhaltet. Ein-zelne Teilaspekte
des Modellierung wurden bereits in Selder et al. [114, 117,
111,112] veröffentlicht, in der vorliegenden Arbeit wird erstmals
eine zusammenfassende undvollständige Darstellung des
Gesamtmodells gegeben.
Durch den Einsatz des entwickelten Simulationsprogramms konnten
wichtige Beiträgezum physikalischen Verständnis des
Züchtungsvorganges geleistet werden. So wurde bei-spielsweise in
Selder et al. [117, 115] eine systematische Analyse des
Stofftransportsund des Kristallwachstums durchgeführt, Gegenstand
einer anderen Untersuchung warendie thermischen Bedingungen, die
bei einer typischen Züchtung im Reaktor vorherrschen(Selder et al.
[114]). Weitere Studien beschäftigten sich mit dem
Spannungszustanddes Kristalls während der Züchtung (Selder et al.
[113, 116]) und den Eigenschaftendes SiC-Pulvers (siehe z.B.
Wellmann et al. [129, 132]). Zusammen mit Ergebnissen,die in dieser
Arbeit erstmals vorgestellt werden, tragen die angegebenen
Untersuchungenzu einem vertieften, in dieser Form bislang nicht
zugänglichen Wissen über grundlegendeAspekte des
Züchtungsvorganges bei.
-
2 Das mathematische Modell
Das in dieser Arbeit entwickelte mathematische Modell für den
SiC-Züchtungsprozeßumfaßt die induktive Leistungseinkopplung in
den elektrisch leitfähigen Reaktorberei-chen, Wärme- und
Stofftransportprozesse in der Fluidphase und in porösen
Materialien,Wärmeleitung in Feststoffen, Sublimations- und
Kristallisationsprozesse im Quellmaterialund an der
Kristalloberfläche und thermoelastische Spannungen im wachsenden
Kristall.Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird die mathematische
Formulierung der induktivenReaktorbeheizung vorgestellt.
Anschließend werden die nichtlinearen, gekoppelten par-tiellen
Differentialgleichungen angegeben, die die Gasströmung, den
Stofftransport derchemischen Verbindungen und den konjugierten
Wärmetransport im Gasgemisch und infesten Reaktorbestandteilen
beschreiben. Die physikalische Modellvorstellung über chemi-sche
Prozesse an reaktiven Oberflächen, die in den Randbedingungen für
die Stoffmengenenthalten ist, und die Randbedingungen für die
übrigen Variablen, die auch die Model-lierung der thermischen
Strahlung beinhalten, werden im dritten und vierten
Abschnitterläutert. Danach wird die mathematische Formulierung von
Sublimations-, Kristallisa-tions-, Wärme- und
Stofftransportprozessen im porösen Quellmaterial vorgestellt und
diequasi-stationäre Modellierung des Züchtungsprozesses
beschrieben. Am Ende des Kapi-tels wird die Vorgehensweise bei der
Berechnung des Spannungszustandes des wachsendenKristalls
erläutert, die im Rahmen der anisotropen linearen
Elastizitätstheorie erfolgt.
2.1 Die Modellierung der induktiven Leistungseinkopplung
Die Berechnung der im Züchtungsreaktor induzierten
Wärmequellen basiert auf der Lö-sung der Maxwell-Gleichungen der
Elektrodynamik, die ein System linearer, gekoppelterpartieller
Differentialgleichungen für die elektrischen und magnetischen
Feldgrößen dar-stellen. Bei der Formulierung der Gleichungen muß
die Wechselwirkung der Reaktormate-rialien mit den
elektromagnetischen Feldern berücksichtigt werden. Erhebliche
Vereinfa-chungen ergeben sich durch die harmonische
Zeitabhängigkeit des Induktionsstroms unddurch den
axialsymmetrischen Aufbau des Züchtungsreaktors.
2.1.1 Die Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik
Der Wechselstrom in der Induktionsspule, die den eigentlichen
Züchtungsreaktor umgibt,induziert außerhalb der Spule ein zeitlich
oszillierendes Magnetfeld, das seinerseits wie-derum die Ursache
für ein elektrisches Wechselfeld ist. Die resultierenden,
zeitabhängigenelektromagnetischen Felder werden durch die
Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamikbeschrieben, deren Herleitung
in Standardmonographien zu finden ist (siehe z.B. Jack-son [50]).
Falls die elektromagnetischen Eigenschaften aller
Reaktormaterialien richtungs-unabhängig sind und im gesamten
Rechengebiet ein linearer Zusammenhang zwischen derelektrischen
Feldstärke und der dielektrischen Verschiebung sowie zwischen der
magne-tischen Flußdichte und der magnetischen Feldstärke
vorausgesetzt werden kann, können
19
-
20 2 Das mathematische Modell
die Maxwell-Gleichungen in folgender Form angegeben werden:
∇ · (�eE) = 4πρe (2.1)
∇×E+ 1c
∂B
∂t= 0 (2.2)
∇ ·B = 0 (2.3)
∇× Bµe
− 1c
∂(�eE)
∂t=
4π
cje (2.4)
wobei E : elektrische FeldstärkeB : magnetische Flußdichteje :
elektrische Stromdichteρe : elektrische Ladungsdichte�e :
Dielektrizitätskonstanteµe : magnetische Permeabilitätc :
Lichtgeschwindigkeit
Die Voraussetzungen für die Gültigkeit der Maxwell-Gleichungen
in dieser Form sindfür die Materialien, die üblicherweise im
Züchtungsreaktor eingesetzt werden, in guterNäherung
erfüllt.
Das zeitlich oszillierende elektrische Feld induziert in
elektrisch leitfähigen Materialieneinen Strom, der parallel zur
elektrischen Feldstärke gerichtet ist. Der Zusammenhangzwischen
der Feldstärke und der Stromdichte ist durch das Ohmsche Gesetz
gegeben:
je = σeE (2.5)
wobei σe : elektrische Leitfähigkeit
2.1.2 Die Differentialgleichung für das elektrische Feld im
Züchtungsreaktor
Die Maxwell-Gleichungen (2.1–2.4) stellen ein System linearer,
gekoppelter partieller Dif-ferentialgleichungen dar, mit denen die
im Züchtungsreaktor induzierten elektromagneti-schen Felder
vollständig und exakt beschrieben werden. Die gekoppelte Lösung
des Glei-chungssystems kann umgangen werden, wenn Vereinfachungen
vorgenommen werden, diesich aus dem Reaktoraufbau und den
Züchtungsbedingungen ergeben:
(i) Im Züchtungsreaktor treten keine freien Ladungen auf. Im
gesamten Rechengebietgilt daher ρe = 0.
(ii) In Gleichung (2.4) kann der Verschiebungsstrom 1/c ·
∂(�eE)/∂t vernachlässigt wer-den, falls die Ausdehnung des
Reaktors klein gegenüber der Wellenlänge der elek-tromagnetischen
Felder ist (siehe z.B. Fließbach [29]). Diese Bedingung ist beider
SiC-Sublimationszüchtung erfüllt, da die Wellenlänge bei
Frequenzen von 10–100 kHz mehrere Kilometer beträgt.
-
2.1 Die Modellierung der induktiven Leistungseinkopplung 21
(iii) Als Induktionsstrom wird Wechselstrom mit konstanter
Frequenz und in guter Nähe-rung harmonischer Zeitabhängigkeit
verwendet. Die Zeitabhängigkeit des Induk-tionsstroms überträgt
sich auf die induzierten elektrischen und magnetischen Felderund
auf die induzierten Ströme.
(iv) Der Aufbau des Züchtungsreaktors ist axialsymmetrisch. Die
elektromagnetischenFelder und die Stromdichte hängen nicht von der
Azimutalkoordinate ab.
(v) Die Helizität der Induktionsspule ist vernachlässigbar,
d.h. der Induktionsstromfließt in guter Näherung ausschließlich in
azimutaler Richtung. Aus diesem Grundverschwindet die
Azimutalkomponente des magnetischen Feldes. Das elektrische Feldist
parallel zum Induktionsstrom gerichtet.
Infolge dieser Vereinfachungen ist nur die Azimutalkomponente
der elektrischen Feldstärkevon Null verschieden, und das
gekoppelte Gleichungssystem (2.1–2.4) kann durch eineeinfache
Differentialgleichung für die Amplitude der Feldstärke ersetzt
werden:
∆Eϕ = 4πiµeω
c2je (2.6)
wobei Eϕ : Amplitude der elektrischen Feldstärkeje : Amplitude
der Stromdichteω : Induktionsfrequenz
Die Amplitude der Stromdichte ist in der Induktionsspule durch
den Induktionsstromgegeben, während sie in den übrigen elektrisch
leitfähigen Materialien über das OhmscheGesetz (2.5) mit der
Amplitude des elektrischen Feldes verknüpft ist. In allen
anderenBereichen fließen keine elektrischen Ströme. Da Gleichung
(2.6) die elektrische Feldstärkenur bis auf eine additive
Konstante festlegt, ist die Formulierung von
Randbedingungenerforderlich. Die eindeutige Lösung ergibt sich aus
der Forderung, daß die Amplitudedes elektrischen Feldes auf der
Symmetrieachse und in großer Entfernung vom
Reaktorverschwindet:
Eϕ(|r| = 0) = Eϕ(|r| → ∞) = 0 (2.7)Nach dem Jouleschen Gesetz
ist die an jedem Ort pro Zeit- und Volumeneinheit
dissipierteEnergie durch das Produkt der Stromdichte und der
elektrischen Feldstärke gegeben,wobei über eine Zeitperiode zu
mitteln ist (Gresho und Derby [33]):
q = j ·E = σeE2ϕ (2.8)
wobei q : pro Zeit- und Volumeneinheit dissipierte Energie
Durch die Temperaturabhängigkeit der elektrischen
Leitfähigkeit sind die Gleichungen(2.6) und (2.8) mit den
Beziehungen, die den Energietransport im Reaktor
beschreiben,gekoppelt. Da allerdings für die meisten
Reaktormaterialien die Temperaturabhängigkeitder elektrischen
Leitfähigkeit nur näherungsweise bekannt ist, wurden in dieser
ArbeitLeitfähigkeitswerte verwendet, die unter Berücksichtigung
der erwarteten Temperaturver-teilung abgeschätzt wurden. Die
Ermittlung der induzierten Wärmequellen konnte daherentkoppelt von
der Berechnung des Wärme- und Stofftransports durchgeführt
werden.
-
22 2 Das mathematische Modell
2.2 Die Grundgleichungen für den Kontinuumstransport
Die mathematische Formulierung der Transportvorgänge in der
Fluidphase basiert auf denkontinuumsmechanischen
Erhaltungsgleichungen für Masse, Impuls, Energie und Stoff-mengen
und resultiert in einem System gekoppelter partieller
Differentialgleichungen, mitdenen die Strömung, das Temperaturfeld
und die Konzentrationsverteilungen beschriebenwerden. Die
Transporteigenschaften des Fluides hängen von der Temperatur und
der Zu-sammensetzung des Gasgemisches ab und werden durch Modelle,
die in Anhang A zusam-mengestellt sind, approximiert. Zahlenwerte
zur Berechnung der Transportkoeffizientensind in Anhang B
angegeben. Der Transport von Energie in festen Reaktorbereichen
wirddurch die Wärmeleitungsgleichung beschrieben. Die Modellierung
der Transportvorgängein porösen Materialien wird in Abschnitt 2.5
gesondert behandelt.
2.2.1 Die hydrodynamischen Gleichungen
Die Gasströmung im Züchtungsreaktor ist laminar und durch
kleine Strömungsgeschwin-digkeiten mit Reynoldszahlen von Re =
0.1–10 gekennzeichnet. Temperatur- und Dichte-gradienten führen zu
freier Konvektion. Infolge der niedrigen Rayleighzahlen, für die
vonMüller [79] die Abschätzung Ra < 4 angegeben wird, wird die
Strömung jedoch durchAdvektion an den reaktiven
Begrenzungsflächen dominiert.
Die mathematische Beschreibung der stationären
Transportvorgänge erfolgt durch folgen-de zeitunabhängige
Erhaltungsgleichungen, deren Herleitung in Standardmonographienzu
finden ist (siehe z. B. Bird et al. [8], Kleijn [67]):
(i) Die Kontinuitätsgleichung, die die Gesamtmassenerhaltung
ausdrückt.
∇ · (ρv) = 0 (2.9)
wobei v : Geschwindigkeitsvektorρ : Dichte
(ii) Die Navier-Stokes-Gleichungen, die die Impulserhaltung
beschreiben.
∇ · (ρvv) = −∇p + ρg + 2∇ ·(
µṠ)
− 23∇ (µ∇ · v) (2.10)
wobei Ṡ = 12
(
∇v +∇vT)
: Deformationsratentensor
p : Druckg : Gravitationsbeschleunigungµ : dynamische
Viskosität
Aufgrund der Temperatur- und Dichtegradienten ist die Strömung
trotz der klei-nen Machzahlen, die typischerweise in der
Größenordnung von Ma ≈ 10−3 liegen,
-
2.2 Die Grundgleichungen für den Kontinuumstransport 23
im allgemeinen nicht inkompressibel. Da die geringe
Abhängigkeit des Drucks vonTemperatur und Dichte und die daraus
resultierenden niedrigen Druckgradientenbei der numerischen Lösung
zu Schwierigkeiten führen können, wird in dieser Ar-beit das
Low-Mach-Number-Modell für hyposonische Strömungen verwendet.
Beidiesem Modell wird eine Reihenentwicklung für Druck,
Geschwindigkeit, Tempe-ratur und Dichte durchgeführt. Die
hydrodynamischen Gleichungen in der Low-Mach-Number-Näherung
ergeben sich, wenn die Reihenentwicklungen nach der er-sten Ordnung
abgebrochen werden und Entwicklungskoeffizienten gleicher
Ordnunggleichgesetzt werden. Im Druckterm der
Navier-Stokes-Gleichungen tritt dann andie Stelle des
tatsächlichen Drucks die Druckabweichung gegenüber einem
hydro-statischen Grunddruck. Die weiter unten angegebene
Zustandsgleichung des Gas-gemisches, die die
Temperaturabhängigkeit der Dichte beschreibt, enthält dagegennur
den hydrostatischen Grundwert des Drucks. Einzelheiten zur
Herleitung desLow-Mach-Number-Modells finden sich in Kadinski
[53].
(iii) Die Energieerhaltungsgleichung, die aus der
Erhaltungsgleichung für die Enthalpieabgeleitet ist.
cp∇ · (ρvT ) = ∇ · (λ∇T ) (2.11)
wobei T : Temperaturcp : Wärmekapazität bei konstantem Druckλ
: Wärmeleitfähigkeit
Da das Gasgemisch als transparent für thermische Strahlung
angenommen wird,enthält die Energieerhaltungsgleichung keinen
Term, der eine Wechselwirkung desFluides mit thermischer Strahlung
beschreibt. Wärmeaustausch durch Strahlung fin-det nur zwischen
festen Berandungen statt und bestimmt über die Randbedingungendie
Temperaturen an Wänden und Fest-Fluid-Grenzen. Ferner wird die
Erwärmungdurch viskose Dissipation oder Druckschwankungen als
vernachlässigbar angesehen.Energieproduktion oder -verbrauch durch
chemische Reaktionen muß nicht berück-sichtigt werden, da bei
PVT-Züchtungsprozessen keine homogenen chemischen Re-aktionen
ablaufen.
(iv) Das ideale Gasgesetz, das als Zustandsgleichung des
Gasgemisches die Temperatur-abhängigkeit der Dichte
approximiert.
ρ =P0M
RT(2.12)
wobei P0 : ProzeßdruckM =
∑
ixiMi : mittlere molare Masse
xi : Molenbruch von Komponente iMi : molare Masse von Komponente
iR : allgemeine Gaskonstante
-
24 2 Das mathematische Modell
2.2.2 Die Erhaltungsgleichungen für den
Multikomponentenstofftransport
Die Transportgleichungen der chemischen Verbindungen stellen
Erhaltungsgleichungenfür die Stoffmengen der einzelnen Komponenten
des Gasgemisches dar. Die Gleichungenenthalten konvektive und
diffusive Beiträge, wobei diffusiver Stofftransport durch
Konzen-trations- und Temperaturgradienten verursacht werden kann.
Der gesamte Massenfluß derKomponente i im Gasgemisch ist in
allgemeiner Form durch folgende Beziehung gegeben:
ρivi = ρωiv + ρωi(vi − v) := ρωiv + ji (2.13)
wobei ρivi : gesamter Massenfluß von Komponente iji : diffusiver
Massenfluß von Komponente iωi : Massenbruch von Komponente ivi :
Geschwindigkeit von Komponente i
v =N∑
k=1ωkvk : massengemittelte Geschwindigkeit des Gasgemisches
N : Anzahl unterschiedlicher Komponenten des Gasgemisches
Der erste Term auf der rechten Seite, ρωiv, stellt den
konvektiven Massenfluß der Kompo-nente i dar. Die massengemittelte
Geschwindigkeit entspricht der Fluidgeschwindigkeit,die in der
Kontinuitätsgleichung (2.9) und in den Navier-Stokes-Gleichungen
(2.10) alsVariable auftritt (Rosenberger [103]). Aus diesem Grund
werden die Stofftransportglei-chungen unter Verwendung von
Massenbrüchen und massengemittelten Geschwindigkei-ten formuliert,
da auf diese Weise die unmittelbare Kopplung mit den
hydrodynamischenGleichungen möglich ist. Die Umrechnung zwischen
Massenbrüchen und Molenbrüchen,die proportional zu den
Partialdrücken der chemischen Verbindungen sind und die
bei-spielsweise bei der Berechnung der Zustandsgleichung des
Gasgemisches (2.12) benötigtwerden, erfolgt durch folgende
Beziehungen:
ωi =xiMi
N∑
k=1xkMk
(2.14)
xi =ωi/Mi
N∑
k=1ωk/Mk
(2.15)
Für stationäre Transportprozesse ergibt sich die
Erhaltungsgleichung für Komponente iin der massengemittelten
Darstellung aus Gleichung (2.13):
(v)
∇ · (ρvωi) = −∇ · ji (2.16)
-
2.2 Die Grundgleichungen für den Kontinuumstransport 25
Dabei wurde vorausgesetzt, daß zwischen den Komponenten des
Gasgemisches keine ho-mogenen chemischen Reaktionen ablaufen. Zur
vollständigen Beschreibung der Transport-prozesse muß die
Transportgleichung nur für (N−1) Verbindungen formuliert werden,
dader Massenbruch einer Komponente aus der Beziehung
N∑
k=1
ωk = 1 (2.17)
ermittelt werden kann.
Die diffusiven Flüsse in den Stofftransportgleichungen (2.16)
setzen sich aus zwei Bei-trägen zusammen, die die Diffusion
infolge von Konzentrationsgradienten und die Ther-modiffusion
infolge von Temperaturgradienten enthalten:
ji = jDi + j
Ti (2.18)
wobei jDi : diffusiver Fluß infolge von
KonzentrationsgradientenjTi : diffusiver Fluß infolge von
Temperaturgradienten
Die Diffusion einer chemischen Verbindung in einem Gasgemisch
ist abhängig von denKonzentrationsgradienten aller Komponenten. Es
bestehen verschiedene Möglichkeiten,Multikomponentendiffusion in
Gasgemischen zu behandeln, wobei sich die Methoden so-wohl
hinsichtlich ihrer Genauigkeit als auch hinsichtlich ihrer
Komplexität unterscheiden:
(i) Binäre Diffusion der Komponenten im Gasgemisch.Besteht das
Gasgemisch aus einem Trägergas und (N − 1) in sehr geringer
Konzen-tration gelösten Verbindungen, so kann die Diffusion der
einzelnen Verbindungenals Ficksche Diffusion der Komponenten im
Trägergas approximiert werden:
jDi = −ρDi∇ωi (2.19)
wobei Di : binärer Diffusionskoeffizient von Komponente i im
Trägergas
Diese Formulierung ist exakt, falls das Gasgemisch aus zwei
Komponenten besteht.Bei mehrkomponentigen Mischungen ist die
Genauigkeit um so höher, je größer dieKonzentration des
Trägergases ist.
(ii) Wilke-Approximation.Bei stärkeren Konzentrationen der
gelösten Verbindungen kann die Form des Fick-schen Gesetzes (2.19)
beibehalten werden, wenn effektive Diffusionskoeffizienten
ver-wendet werden, die von den Konzentrationen aller Komponenten
des Gasgemischesabhängen (Kleijn [67]):
D′i = (1− xi)
N∑
j=1i6=j
xjDij
−1
(2.20)
-
26 2 Das mathematische Modell
wobei Dij : binärer Diffusionskoeffizient von Komponente i in
Komponente jD′i : effektiver Diffusionskoeffizient von Komponente i
im Gasgemisch
(iii) Stefan-Maxwell-Gleichungen.In allgemeiner Form wird die
Abhängigkeit der diffusiven Flüsse von den
Konzen-trationsgradienten aller Komponenten des Gasgemisches durch
die Stefan-Maxwell-Gleichungen beschrieben (Kleijn [67]):
∇ωi + ωi∇ lnM =M
ρ
N∑
j=1
1
MjDij
(
ωijDj − ωjjDi
)
(2.21)
Durch die Stefan-Maxwell-Gleichungen entsteht eine starke
Kopplung zwischen denStofftransportgleichungen, da die
Konzentrationsgradienten von den diffusiven Flüs-sen aller
Komponenten abhängen. (N − 1) der Gleichungen sind unabhängig,
dazusätzlich die Beziehung
N∑
k=1
jDk = 0 (2.22)
zu erfüllen ist. Durch Auflösen von Gleichung (2.21) nach jDi
ergeben sich expli-zite Ausdrücke für die diffusiven
Massenflüsse, zu deren Berechnung ein iterativesVerfahren
angewendet werden muß:
jDi = −ρDi∇ωi − ρωiDi∇(lnM) +MωiDiN∑
j=1
j 6=i
jDj
MjDij(2.23)
wobei Di =
N∑
j=1j 6=i
xjDij
−1
: effektiver Diffusionskoeffizient der Komponente i
Die Thermodiffusionsflüsse werden durch eine dem Fickschen
Gesetz analoge Beziehungbeschrieben:
jTi = −DTi ∇ lnT (2.24)
wobei DTi : Thermodiffusionskoeffizient von Komponente i
Die Thermodiffusion ist im allgemeinen ein schwacher Effekt, der
nur bei sehr hohenTemperaturgradienten von Bedeutung ist. Sie
bewirkt, daß Moleküle, deren molare Massegrößer ist als die
mittlere molare Masse des Gasgemisches, in kältere Bereiche
diffundieren.Die Thermodiffusionskoeffizienten sind abhängig von
den Konzentrationen aller Kompo-nenten des Gasgemisches. In
vereinfachter, binärer Form kann der Thermodiffusionsflußder
Komponente i, bezogen auf das in hoher Konzentration vorhandene
Trägergas, fol-gendermaßen dargestellt werden (Hirschfelder et al.
[38]):
jTi = −Diρωiαi∇ lnT (2.25)
-
2.3 Chemische Prozesse an reaktiven Oberflächen 27
wobei αi : Thermodiffusionsfaktor von Komponente i im
Trägergas
Wird die gewöhnliche Diffusion im Rahmen der
Wilke-Approximation und die Thermo-diffusion durch die zuletzt
angegebene Beziehung beschrieben, so ergibt sich folgenderAusdruck
für den gesamten diffusiven Fluß der Komponente i:
ji = −[
ρD′i(
∇ωi + ωiαi∇ lnT)]
(2.26)
2.2.3 Energietransport in festen Reaktorbereichen
In den Festkörperbereichen des Züchtungsreaktors reduziert
sich die Beschreibung derTransportprozesse auf die
Energieerhaltungsgleichung, die durch das Fouriersche Gesetzgegeben
ist:
∇ · (λs∇T ) + q = 0 (2.27)
wobei λs : Wärmeleitfähigkeit des Festkörpersq :
Wärmequelle
Als Wärmequelle wirkt die dissipierte elektrische Energie, die
gemäß Gleichung (2.8) be-rechnet wird.
Die Ermittlung der Wärmeleitfähigkeit der verschiedenen
Reaktormaterialien wird durchden Umstand erschwert, daß in dem
Temperaturbereich von 2000◦C–2500◦C, in dem derReaktor betrieben
wird, keine experimentellen Daten für die thermophysikalischen
Ei-genschaften der Materialien vorliegen. Eine zusätzliche
Schwierigkeit entsteht dadurch,daß die Materialien großen
Temperaturgradienten ausgesetzt sind und beispielsweise
dieWärmeleitfähigkeit der Isolationsschicht in einem
Temperaturintervall von beinahe 2000 Kzu beschreiben ist. Als
Ansatz für die Approximation der Temperaturabhängigkeit
derFestkörperwärmeleitfähigkeiten wurde in dieser Arbeit
folgende Funktion gewählt:
λs(T ) = λ0
(T
T1
)γ
exp[
α(T − T2)]
(2.28)
Die Parameter λ0, T1, T2, γ und α wurden für alle Materialien
aus experimentellen Da-ten ermittelt, wobei die Ergebnisse von
Messungen, die bei niedrigeren Temperaturendurchgeführt wurden,
auf den relevanten Temperaturbereich extrapoliert wurden.
2.3 Chemische Prozesse an reaktiven Oberflächen
An reaktiven Oberflächen wird die Modellierung des
Stofftransports mit thermodynami-schen Gleichgewichtsberechnungen
gekoppelt, um Randwerte für Stoffmengen oder Mas-senflüsse zu
bestimmen. Die thermodynamischen Analysen beruhen auf der
Annahme,
-
28 2 Das mathematische Modell
daß an jedem Ort der Oberfläche ein gleichgewichtsnaher Zustand
vorliegt. Der Zusam-menhang zwischen den
Gleichgewichtspartialdrücken, den tatsächlichen
Partialdrückenund den Speziesflüssen wird durch die
Hertz-Knudsen-Beziehung beschrieben. Durch dieadvektive Strömung
ergibt sich zusätzlich eine Kopplung der thermodynamischen
Gleich-gewichtsberechnungen mit den Navier-Stokes-Gleichungen.
2.3.1 Thermodynamische Gleichgewichtsberechnungen
Im Rahmen der Thermodynamik werden Zustände und
Zustandsänderungen von Syste-men beschrieben, die sich im
thermodynamischen Gleichgewicht befinden. Ein
Gleichge-wichtszustand ist dadurch charakterisiert, daß
makroskopische Größen wie Temperaturoder Spezieskonzentrationen
gleichmäßig verteilt und zeitlich konstant sind. Diese Be-dingung
ist beim Wachstum von Kristallen nicht erfüllt, da Temperatur- und
Konzen-trationsgradienten die treibende Kraft für
Materialtransport und Abscheidungsprozessedarstellen. Die
Irreversibilität der ablaufenden Zerlegungsreaktionen schließt
zudem dasVorliegen chemischer Gleichgewichtsreaktionen aus. Dennoch
ist die Annahme lokalenthermodynamischen Gleichgewichts an
reaktiven Oberflächen eine gute Näherung, fallsdie Zeitskala der
atomaren, kinetischen Prozesse klein im Vergleich zur Zeitskala des
Ma-terialtransports ist, da sich dann an den Oberflächen nahezu
Gleichgewichtsbedingungeneinstellen (Rosenberger [103]).
Eine chemische Gleichgewichtsreaktion ist dadurch
gekennzeichnet, daß sie den makro-skopischen Zustand des Systems
nicht ändert, da Hin- und Rückreaktion gleich schnellablaufen.
Für ein System, das aus M unterschiedlichen Komponenten besteht,
werdenGleichgewichtsreaktionen folgendermaßen dargestellt:
M∑
i=1
νijXi ⇀↽ 0 (2.29)
wobei νij : Stoffmenge von Komponente i in Reaktion jXi :
Komponente i
Die Komponenten können feste oder gasförmige chemische
Verbindungen sein. Der Gleich-gewichtszustand ist durch das Minimum
der Gibbsschen freien Energie festgelegt (Fließ-bach [30]):
dGj =M∑
i=1
µidνij = 0 (2.30)
wobei Gj : Gibbssche freie Energie der Reaktion jµi : chemisches
Potential der Komponente i
dνij : Stoffmengenänderung von Komponente i in Reaktion j
-
2.3 Chemische Prozesse an reaktiven Oberflächen 29
In dieser Gleichung wurde vorausgesetzt, daß Temperatur und
Druck durch die äußerenBedingungen vorgegeben sind. Infolge der
Stöchiometrie der chemischen Reaktionen sinddie
Stoffmengenänderungen dνij aller Reaktionen miteinander
verknüpft, und die Bedin-gung (2.30) kann durch folgende Beziehung
ersetzt werden:
M∑
i=1
νijµi = 0 (2.31)
Aus dieser Gleichung ergeben sich unmittelbar die
Massenwirkungsgesetze der Gleichge-wichtsreaktionen, wenn die
chemischen Potentiale der einzelnen Verbindungen in Abhän-gigkeit
von ihren Partialdrücken ausgedrückt werden (Atkins [5]):
M∑
i=1
νij
µ0i (T ) +RT ln
p(e)i
p0
= 0 (2.32)
⇒M∏
i=1
p(e)i
p0
νij
= exp
−
M∑
i=1νijµ
0i (T )
RT
:= Kj(T ) (2.33)
wobei µ0i (T ) : chemisches Potential von Komponente i bei
Standardbedingungen
p(e)i : Gleichgewichtspartialdruck der Komponente ip0 :
Standarddruck
Kj(T ) : Gleichgewichtskonstante der Reaktion j
Die chemischen Potentiale bei Standardbedingungen, µ0i (T ),
werden unter Benutzungtabellierter thermodynamischer Daten
berechnet. Das genaue Vorgehen und die in dieserArbeit verwendeten
Zahlenwerte sind in Anhang C angegeben.
Für feste Komponenten treten in den Massenwirkungsgesetzen
(2.33) Aktivitätskoef-fizienten an die Stelle der Partialdrücke.
Die Aktivitätskoeffizienten reiner Stoffe undbinärer Halbleiter
haben den Wert 1. Aus diesem Grund ist bei der Modellierung
derSiC-Sublimationszüchtung die Berechnung von
Aktivitätskoeffizienten nicht erforderlich,da nur SiC und reiner
Kohlenstoff als feste Komponenten vorliegen.
An jedem Ort einer reaktiven Oberfläche ergeben sich die
Gleichgewichtspartialdrückeder gasförmigen chemischen
Verbindungen aus der Lösung der Massenwirkungsgesetze(2.33) für
ein vorgegebenes System chemischer Gleichgewichtsreaktionen. Den
Reaktions-gleichungen entsprechen keine tatsächlich ablaufenden
chemischen Prozesse, sie dienenvielmehr der mathematischen
Verknüpfung der Partialdrücke der chemischen Verbindun-gen. Dabei
ist zu beachten, daß die Zahl der linear unabhängigen
Reaktionsgleichgewichtedurch die Differenz der Anzahl chemischer
Verbindungen und der Anzahl der in ihnen ge-bundenen Elemente
gegeben ist. Übersteigt die Anzahl der gasförmigen chemischen
Ver-bindungen die Anzahl der linear unabhängigen
Reaktionsgleichungen, so muß das Glei-chungssystem durch
zusätzliche Bedingungen geschlossen werden. Als Nebenbedingung
-
30 2 Das mathematische Modell
zur Schließung der Gleichgewichtsrelationen werden in dieser
Arbeit lokale Bilanzglei-chungen für die molaren Flüsse der
chemischen Verbindungen gewählt. Einzelheiten zudiesem Vorgehen
werden im nächsten Abschnitt erläutert.
2.3.2 Chemische Modelle für reaktive Oberflächen
Bei der Sublimationszüchtung von SiC besteht das Gasgem