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Fpl. 320: Die im August 2007 mit einer Vorunter- suchung begonnenen archäologischen Untersu- chungen im Quartier 17, unmirrelbar südlich von Rathaus und Sr. Nikolai, fanden im Juni 2008 ihren vorläufigen Abschluss. Die folgende Zu- 460 smenfassung orientiert sich an den das Quartier einfassenden Straßenzügen: der Kleinschmied- straße im Osten, der Heilgeiststraße im Süden, der Ossenreyerstraße im Westen und der Badenstraße im Norden. In den Kellern Kleinschmiedstraße 5, 7 und 8/9 wurden Schwellbalkenabdrücke hölzerner Vor- gängerbauten freigelegt, deren Kubatur im Ver- gleich zu ihren in Backstein gesetzten Nachfolge- bauten leicht eingezogen isr. Der Holzkeller der Kleinschmiedsrraße 5 (Abb. 184, 1) entstand frühestens um 1274 (Holzkohle- Datierung: 1274 Waldkante) und wurde um 1310 zugunsten eines etwa 6 m breiten und 12 m tiefen massiven Giebelhauses aufgegeben. Aus den Lauf- und Erhöhungsschichten des Holz- kellers stammen zahlreiche Kleinmetallobjekte aus der Werkstarr eines Gelbgießers; unter anderem Rohlinge von Messingschnallen, Schließen sowie einem Schreibgriffel (Abb. 187, 1-9). Etwas später, wahrscheinlich kurz nach 1320, wurde der etwa 21 m2 große Holzkeller (etwa 5,5 m Ost/ West x 3,8 m Nord/Süd) im Bereich der Klein- schmiedstraße 7 aufgegeben. In der ersten Hälſte des 14. Jahrhunderts entstand auf den Grund- stücken Kleinschmiedstraße 6 und 7 als ursprüng- licher Steinbau ein Traufenhaus mit etwa 12 m Breite und 7 m T iefe. Von der ersten Ausstarrung dieses Kellers blieb der etwa 4 m2 große, aus Feldsteinen und Backsteinen gesetzte Unterbau einer Schmiedeesse (Abb. 184, 2) erhalten. Die Häuser Kleinschmiedstraße 7 und 8 harren einen gemeinsamen Kemladen, der nicht zum ur- sprünglichen Bestand gehörte, sondern in der ers- ten Hälfte des 15. Jahrhunderts nachträglich an- gesetzt wurde. Der asymmetrische, etwa 25 m2 große Kemladen (Abb. 185, I) wurde um 1570/80 aufgegeben. Aus der Verfüllung stammen unter anderem Stücke aus der Produkrionspalerre eines Intarsienschnitzers (Abb. 187, 10-15). Die Kno- chenplärrchen fanden wohl als Einlagen auf Klein- möbeln und Waffen, vielleicht auch auf Buch- deckeln, Särreln und ähnlichem Verwendung. Aus der Vielzahl der spätgotischen und renaissance- zeirlichen Ofenkacheln sind unter anderem eine unglasierte Aufsatzflgur, eine Berman-Kachel mit der Darstellung des letzten Abendmahls sowie eine Kachel mit der heiligen Margarete, die den Drachen tötet, der sich ihr zu Füßen windet (Abb. 187, 16), zu erwähnen. Zur umfangreichen Gefäß- keramikkollektion zählen unter anderem Scherben eines blau glasierten Krugs vom Typ "mailing jug" und niederländische Majolika. Der Holzkeller auf dem im 17. Jahrhundert ge- teilten Grundstück Kleinschmiedsrraße 8/9 ent- stand frühestens in den 1270er Jahren (Holzkohle-
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Kurze Fundberichte Mittelalter/Neuzeit, Hansestadt Stralsund, Fpl. 320

Jan 21, 2023

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Fpl. 320: Die im August 2007 mit einer Vorunter­suchung begonnenen archäologischen Untersu­chungen im Quartier 17, unmirrelbar südlich von Rathaus und Sr. Nikolai, fanden im Juni 2008 ihren vorläufigen Abschluss. Die folgende Zu-

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sarnmenfassung orientiert sich an den das Quartier einfassenden Straßenzügen: der Kleinschmied­straße im Osten, der Heilgeiststraße im Süden, der Ossenreyerstraße im Westen und der Badenstraße im Norden. In den Kellern Kleinschmiedstraße 5, 7 und 8/9 wurden Schwellbalkenabdrücke hölzerner Vor­gängerbauten freigelegt, deren Kubatur im Ver­gleich zu ihren in Backstein gesetzten Nachfolge­bauten leicht eingezogen isr. Der Holzkeller der Kleinschmiedsrraße 5 (Abb. 184, 1) entstand frühestens um 1274 (Holzkohle­Datierung: 1274 Waldkante) und wurde um 1310 zugunsten eines etwa 6 m breiten und 12 m tiefen massiven Giebelhauses aufgegeben. Aus den Lauf- und Erhöhungsschichten des Holz­kellers stammen zahlreiche Kleinmetallobjekte aus der Werkstarr eines Gelbgießers; unter anderem Rohlinge von Messingschnallen, Schließen sowie einem Schreibgriffel (Abb. 187, 1-9). Etwas später, wahrscheinlich kurz nach 1320, wurde der etwa 21 m2 große Holzkeller (etwa 5,5 m Ost/ West x 3,8 m Nord/Süd) im Bereich der Klein­schmiedstraße 7 aufgegeben. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand auf den Grund­stücken Kleinschmiedstraße 6 und 7 als ursprüng­licher Steinbau ein Traufenhaus mit etwa 12 m Breite und 7 m T iefe. Von der ersten Ausstarrung dieses Kellers blieb der etwa 4 m2 große, aus Feldsteinen und Backsteinen gesetzte Unterbau einer Schmiedeesse (Abb. 184, 2) erhalten. Die Häuser Kleinschmiedstraße 7 und 8 harren einen gemeinsamen Kemladen, der nicht zum ur­sprünglichen Bestand gehörte, sondern in der ers­ten Hälfte des 15. Jahrhunderts nachträglich an­gesetzt wurde. Der asymmetrische, etwa 25 m2 große Kemladen (Abb. 185, I) wurde um 1570/80 aufgegeben. Aus der Verfüllung stammen unter anderem Stücke aus der Produkrionspalerre eines Intarsienschnitzers (Abb. 187, 10-15). Die Kno­chenplärrchen fanden wohl als Einlagen auf Klein­möbeln und Waffen, vielleicht auch auf Buch­deckeln, Särreln und ähnlichem Verwendung. Aus der Vielzahl der spätgotischen und renaissance­zeirlichen Ofenkacheln sind unter anderem eine unglasierte Aufsatzflgur, eine Berman-Kachel mit der Darstellung des letzten Abendmahls sowie eine Kachel mit der heiligen Margarete, die den Drachen tötet, der sich ihr zu Füßen windet (Abb. 187, 16), zu erwähnen. Zur umfangreichen Gefäß­keramikkollektion zählen unter anderem Scherben eines blau glasierten Krugs vom Typ "mailing jug" und niederländische Majolika. Der Holzkeller auf dem im 17. Jahrhundert ge­teilten Grundstück Kleinschmiedsrraße 8/9 ent­stand frühestens in den 1270er Jahren (Holzkohle-

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Jörg Ansorge, Marlies Konze, Torsten Rütz, Renate Samariter (2009): Kurze Fundberichte Mittelalter/Neuzeit, Hansestadt Stralsund, Fpl. 320. - Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, 56: 460-474.
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Abb. 184. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320.

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Datierung: 1266 ± Waldkante) und wurde um 1300 aufgegeben (Abb. 185, 2). Die rückwärtigen Grundstücksgrenzen im Quar­tier 17 waren im archäologisch erhaltenen Bestand durchgehend nachzuvollziehen und sind geradlinig ausgeführt, teils aus Holz, teils aus Feld- und Back­steinen. Sie trennen die nach Westen orientierten Grundstücke an der Ossenreyerstraße von den nach Osten ausgerichteten an der Kleinschmied­straße, wobei erstere grundsätzlich tiefer sind, so zum Beispiel Ossenreyerstraße 56 mit etwa 32 m im Vergleich zu Kleinschmiedstraße 6/7 mit etwa 22 m. Zum ältesten Mauerbestand des Quartiers zählt die aus Backsteinen gesetzte, rudimentär erhal­tene Glintmauer zwischen Ossenreyerstraße 55 und Kleinschmiedstraße 8/9, die noch vor 1300 datiert wird. Entlang der rückwärtigen Grundstücksgrenzen konzentrieren sich die meisten Latrinenschächte. Die ältesten Holzschächte wurden dendrochro­no logisch in die 1270er Jahre datiere 1273 Wald­kante (Ossenreyerstraße 55), 1275 Waldkante (Kleinschmiedstraße 8) und 1277 Waldkante (Os­senreyerstraße 56). Nach bisherigem Untersuchungsstand entstanden die Holzschächte innerhalb von zwei Hauptbau­phasen. Die erste Phase liegt im Zeitraum um 1270 und kurz danach. Der größte Teil der Holz­schächte entstand im ersten Drittel des 14. Jahr­hunderts. Das Holz für die jüngeren Schächte stammt größtenteils nicht aus einheimischen Be­ständen, sondern wurde aus Schweden importiert. Ab dem 16. Jahrhundert lösten Backsteinlatrinen die Holzschächte ab. Insgesamt wurden im Quar­tier 17 bislang 31 Holzschächte und elf Ziegel­schächte freigelegt, von denen jedoch etliche aus bau- oder arbeitsschutztechnischen Gründen erst ansatzweise ausgegraben werden konnten. Aus einem Ziegelschacht auf dem Grundstück Kleinschmiedstraße 7 stammen bemerkenswerte Keramikfunde, beispielsweise ein Gefäß in Buch­form (Abb. 187, 17), das wohl als Dekoration oder Spielzeug Verwendung fand sowie ein Olivenöl­krug (portugiesischer Merida Ware; Abb. 187, 19), der von der Iberischen Halbinsel importiert wurde. Die Funde gelangten um 1580/90-1620 in die Latrine, die um 1630/40 aufgegeben wurde. Auf dem Hofbereich des Grundstücks Klein­schmiedstraße 9 wurde 1304 oder kurz danach ein Holzschacht bis zu einer Tiefe von 1,53 m unter HN eingetieft, der als Latrine mit mehreren Entleerungen bis um 1600 genutzt wurde. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelangten Bruchstücke von Schmelztiegeln und eine voll­ständig erhaltene Muffel aus roter Irdenware (Abb.

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187, 18) in den Schacht. Muffeln fanden Ver­wendung zur Abdeckung von Schmelztiegeln in Öfen, die zum Schmelzen von Edelmetallen dien­ten. Ebenfalls mit der Werkstatt eines Gold­schmieds in Verbindung bringen lässt sich ein mittelalterlicher Probierstein (Abb. 188, 2) aus Lydit, mit dem unter anderem der Gehalt von Goldmünzen geprüft werden konnte. Weiterhin erwähnenswert ist ein relativ großer aus Knochen gefertigter Spielstein (Abb. 188, 3), der beidseitig mit einem Kreisaugenmuster verziert ist. An der Heilgeiststraße wurde bisher nur das Grundstück N r. 84 an der Ecke zur Ossenreyer­straße untersucht (Abb. 186, 1). Aus einer Lehm­entnahmegrube im Keller stammt ein um 1300 abgelagerter Krug aus grauem, braun glasiertem Steinzeug. Abgesehen von weiteren mittelalterli­chen Gruben befand sich im Keller ein als Kalk­grube genutzter kleiner Ziegelschacht, dessen Wan­dung teilweise aus importierten Kreidekalkbrocken gesetzt war. Aus dem Schacht stammen etliche schwarz glasierte Plattenkacheln des 18. Jahrhun­derts. Der älteste bisher im Quartier freigelegte Back­steinkeller befindet sich auf dem Grundstück Ossenreyerstraße 53. Er wurde um 1280 mit etwa 8 m Tiefe als Teilunterkellerung eines etwa 12 m breiten Giebelhauses gesetzt und im frühen 14. Jahrhundert gleichzeitig mit der Bebauung der Nachbargrundstücke auf etwa 11,5 m Tiefe er­weitert. Geringfügig später, in das ausgehende 13. Jahrhundert, datiert die Brandmauer Ossen­reyerstraße 58 zu 57. Auf dem Grundstück Ossenreyerstraße 55 wurde ein mittelalterlicher Kemladen mit einem etwa 30 m2 großen Kellergeschoss nachgewiesen. Seine Nordmauer ist der älteste Bestand und wurde als verlängerte Brandmauer von Nr. 56 aus gesetzt. Kontinuierlich und intensiv wurde der Hof dieses Grundstücks für die Anlage von Holz- und Ziegelschächten genutzt. Um 1327 wurde ein Tief­bauwerk aufgegeben, dessen Endtiefe aus stati­schen Gründen bislang nicht ergraben wurde. Aus der Verfüllung stammen etliche Holzteile, unter anderem Balken aus einem Dachstuhl des späten 13. Jahrhunderts. Weiterhin fanden sich Kopf­und Seitenteile eines sogenannten Spannbetts. Durch Bohrungen an der Unterkante wurden Bänder gespannt, die einen elastischen Bettenbo­den bildeten und das Bett leicht transportierbar machten. Profane Möbel dieser Art blieben nur selten erhalten. Von den Kleinmetallfunden ist ein hochrecht­eckiger Flachguss (H. 3,9 cm; 5,62 g) aus einer Blei/Zinnlegierung erwähnenswert, der unter ei­nem Dreiecksgiebel die bekrönte Maria in falten-

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Abb. 186. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320.

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Abb. 187. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320. 1–15.17 M. 1:2; 16.18–19 M. 1:3.

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Abb. 188. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320. M. 1:1.

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reichem Gewand zeigt (Abb. 188, 4). Das Pilger­zeichen wird dem Wallfahrtsort Aachen zugeord­net. Nicht modelgleiche Vergleichsfunde stammen aus Polen (Gniew) und den Niederlanden (Dord­recht); ein nahezu identisches Stück gibt es in Bremen. Zwei ursprünglich mit einem Scharnier verbun­

dene Hälften einer Spiegel dose aus Blei/Zinn zei­gen in variierender Ausführung einen Ritter (Abb. 188, 1). In einer der Hälften hatte sich das stark korrodierte Spiegelglas erhalten, das auf der Rück­seite mit einer hauchdünnen BleilZinnfolie be­schichtet war. Mit der Aufgabe des Tiefbauwerks oder kurz da­nach wurde wenige Meter östlich ein Holzschacht (1327 Waldkante) errichtet, der wie sein Vorgän­ger ursprünglich als Brunnen konzipiert war. Wenig östlich entstand 1331 oder kurz danach ein weiterer Holzschacht, der über mindestens zwei Jahrhunderte als Latrinenschacht genutzt wurde. Aus der zwischen dem Ende des 14. Jahrhunderts und der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ab­gelagerten unteren Verfüllung des Schachtes wur­den zwei aus Messing gefertigte Petschafte mit dem Wappen der Familie Zules geborgen (Abb. 189, 5-6). Die Umschrift des Petschafts mit sechs­eckigem Siegelfeld ,,+ S' IOHIS SVLIS CLlCI" ist als "Johannes Zules Kleriker" zu lesen. Wahrschein­lich handelt es sich hier um einen Priester, der 1368 in Greifswald starb und dort in der St.-Ma­rien-Kirche beerdigt ist. Das Petschaft mit rundem Siegelfeld und der Umschrift "S' WILLELMI ZVLISI" gehörte einem Wilhelm Zules, vermut­lich einem nahen Verwandten des Priesters. Zu den bemerkenswerten Holzfunden, die im glei­chen Zeitraum abgelagert wurden, zählen eine Elle (Abb. 190, 1), eine Spindel mit Fadenwick­lung (Abb. 190, 2), ein gedrechselter Pokal (Abb. 190,3), ein Schuhleisten (Abb. 190,4) mit zwei Haus- beziehungsweise Besitzermarken und ein Kamm (Abb. 190, 5) mit eingebrannter Marke. Geborgen wurden weiterhin 20 Bernsteinperlen einer Paternosterkette, die auf ein geflochtenes Seidenband aufgefädelt sind (Abb.189, I). Mit den aus dem Schacht geborgenen Gussformen aus Kalkstein (Abb. 189,2-4) konnten Plaketten mit floralem Muster oder mit Kreuzigungsdar­stellung hergestellt werden. Für den Guss eigneten sich jedoch nur die beiden Formen mit Bohrungen zur Arretierung der Formteile. Das Model mit der primitiveren Darstellung der Kreuzigungsszene ist als Rohling oder Übungsstück anzusprechen. Aus der Verfüllung eines 1339 oder kurz danach gebauten Holzschachtes stammen zwei Seiten eines Wachstafelbuches, etwa 5,8 x 3,6 cm groß und in gotischen Minuskeln beschrieben (Abb. 188, 5).

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Die ausgeprägte Handschrift konnte noch nicht entziffert werden. Weiterhin stammen aus diesem Schacht eine Armbrustsäule (Abb. 191, 1), eine Trippe (Abb. 191, 3) und eine mit umlaufend ein­getieftenRillen verzierte Deckeldose (Abb. 191,2), die im unteren Bereich eine Öffnung besaß. Es wird sich hier um ein Sauggefäß für Kleinkinder handeln. Aus der im zweiten Drittel/Ende des 14. Jahrhunderts abgelagerten Verfüllung des Schachtes wurden mehrere Gefäße, darunter auch ein fast vollständig erhaltener Krug aus Steinzeug Siegburger Art geborgen (Abb. 189,7). Aus einem frühneuzeitlichen Ziegelschacht auf demselben Grundstück stammt eine Taschenson­nenuhr (Abb. 192), die im späten 16.1der ersten Hälfte des 17. J ahrh underts abgelagert wurde. Das mehrteilige Messinggehäuse der Uhr hat einen mit Kreisaugen verzierten Deckel mit Öse zur Befestigung an einer Schnur oder einer Kette. So konnte die Uhr an der Kleidung oder um den Hals getragen werden. Auf der Zahlen platte sind die Stunden von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang eingraviert. In einer Achse mit der 12 (Mit­tagsstunde) befinden sich am unteren Ende der Zahlenplatte die Buchstaben "RO", bei denen es sich um die Initialen eines Meisters handeln kann. Der dreieckige und aufstellbare Gnomon (Schat­tenwerfer) ist an seinen stabförmig verlängerten Enden an der Zahlenplatte mit Ösen befestigt. Der klappbare Gnomon ist einseitig mit geome­trischen Mustern verziert. Diese tragbare Sonnen­uhr wutde mit Hilfe eines Kompasses unterhalb der Zahlenplatte ausgerichtet. Die Kompassrose aus Papier oder Pappe befand sich auf dem Boden der Uhr und war nur noch fragmentarisch erhal­ten. Kompassrose und die frei bewegliche Nadel waren durch eine Glasplatte geschützt, die unter der Zahlenplatte mit einem Spannring festge­klemmt war. Die Anordnung der Zahlen auf der Platte lässt darauf schließen, dass die Uhr im süd­lichen Ostseeraum verwendet werden konnte. Auf dem Hof des Grundstücks Ossenreyerstraße 57 wurde ein flacher Holzschacht freigelegt, der mit Geschirr aus einer Haushaltsauflösung verfüllt war. Die Verfüllung steht möglicherweise im Zu­sammenhang mit der Pestepidemie von 1710/11, die in Stralsund etwa 4000 Menschen das Leben kostete. Aus dem Schacht stammen unter anderem ein achteckiger, beidseitig bemalter Fayenceteller aus Portugal (Abb. 191,4). Das Wappen auf der Vorderseite des Tellers, zwei stehende Löwen über einem Sparren, ist vermutlich ein Phantasiepro­dukt des Malers. Eine weiß glasierte Buckelschale (Abb. 191, 5), eine weiß glasierte Grifflappen­schale (Abb. 191, 6) und eine im Chinoiseriestil dekorierte Deckeldose (Abb. 191, 7) sind Fayen-

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Abb. 189. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320. 1–6 M. 1:1; 7 M. 1:2.

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Abb. 190. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320. 1–2.4 M. 1:4; 3.5 M. 1:2.

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Abb. 191. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320. 1–7 M. 1:4; 8 M. 1:2.

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cen Delfter Art. Die blaue Dekoration im Chi­noiseriestil imitierte Porzellane aus dem ostasiati­schen Raum, die weiß glasierten Gefäße Fayencen aus Norditalien, die "Bianco di Faenza". Ein Glassiegel (Abb. 191, 8) einer Bouteille zeigt ein Wappen und die Umschrift "PIKE FEDES V ON SCHLOT T 1663". Mit diesem Siegel versehene Flaschen gelangten aus Schleswig-Holstein in die Stadt am Sund. Die Keller der bis zu 140 m2 großen Giebelhäuser an der Badenstraße blieben zum großen Teil mit ihren kompletten Nischenfolgen bis zur Höhe der Balkenauflager erhalten. Sie sollen in die geplante Neubebauung des Quartiers integriert und so der Welrkulrurerbestadt Srralsund erhalten bleiben. Dort wurden aus bautechnischen Gründen bislang nur die Hofflächen untersucht. Ein eingetieftes Feldsteinbauwerk (Abb. 186, 2) an der rückwärtigen Grundstücksgrenze von der Ba­denstraße 4, ist um 1270 errichtet und nach einem Brand um 1300 bereits wieder aufgegeben worden. Das Feldsteingebäude ist als thermisch-technische Anlage, vermutlich im Zusammenhang mit der Brau- und Backgerechtigkeit, die das Grundstück besaß, genutzt worden. Auf dem Hof Badenstraße 5 wurde ein Ziegel­schacht mit reichem Fundmaterial untersucht, der aus bautechnischen Gründen noch nicht vollstän­dig ausgegraben ist. Die bisher untersuchte Ver­füllung der Latrine belegt eine Nutzung vom frü­hen 17. bis in das späte 18. Jahrhundert. Aus dem 17. Jahrhundert stanlmen diverse gemarkte Messer (Abb. 193,2-5), ein Messer mit schellenförmigen Messingeinlagen im Holzgriff (Abb. 193, 1), der Ledereinband für ein Buch (Abb. 193, 6), eine Zinnngur in Ebergestalt (Abb. 193, 8), einige gut erhaltene Lacksiegel (Abb. 193, 10) sowie ein ton­nenförmiges Petschaft mit beidseitigem Siegelbild und den Initialen "GDR" (Abb. 193,9). Aus dem umfangreichen Glaskomplex lassen sich zahlreiche Trinkgläser und Flaschen restaurieren. Vollständig geborgen wurde ein Stangenglas (Abb. 193,7). Der hohe Anteil an Schank- und Trinkgefäßen aus der Schachtverfüllung steht vermutlich im Zu­sammenhang mit der Weinhändlerfamilie Berch­meyer, die im 17. Jahrhundert als Besitzer eines Grundstücks im Bereich des Wendemarktes an der Badensrraße erwähnt wird. Im Hinblick auf die stadtgeschichtliche Enrwick­lung Stralsunds lässt sich nach den bisherigen Gra­bungsergebnissen feststellen, dass das Quartier 17 ab den 1270er Jahren bebaut wurde. Aus der Frühphase in Holzbauweise blieben Spuren ent­lang der Kleinschmiedstraße im archäologischen Bestand erhalten. Zu diesen Holzgebäuden gehörte jeweils ein Larrinenschacht. Die "Versteinerung"

der Bebauung erfolgte auf dem Quartier ab dem späten 13. Jahrhundert, eine erste Baukonjunkrur ist für die Jahre 1310-1330 anzunehmen. Die intensive Nutzung des Quartiers ab den 1270er Jahren korrespondiert mit der ältesten schriftlichen Erwähnung der das Quartier nach Norden ab­grenzenden Badenstraße im Jahr 1276/78. Der auf der Freifläche am nördlichen Ende der Ba­densrraße angesiedelte "Colmarket", das "forum carbonum" erscheint erstmals im Jahr 1279 in den Quellen. Ab 1455 wird die Freifläche "Wende­markt" genannt, die Bezeichnung "Markt/Wende­markt" erst 1869 aufgegeben. Die bisher geborgenen Funde spiegeln den mate­riellen Reichtum der Bewohner an der Baden­und Ossenteyerstraße wider. An der Kleinschmied­straße wurden vielfach Hinweise auf das namen­gebende Gewerk gefunden. ALM 200711 00 Ansorge/Konze/Rütz/Samariter

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Abb. 193. Stralsund, Hansestadt, Fpl. 320. 1–2.8 M. 1:2; 3–6.9 M. 1:1; 7 M. 1:4; 10 M. 2:1.

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