gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 225 Kaiserschnitt – arterielle Hypertonie – chronisch-entzündliche Darmerkrankungen – Geburtenreport – Routinedaten gynäkologische praxis 45, 225–245 (2019) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Kaiserschnitt und Frühgeburt – ausgewählte Kontextfaktoren Ergebnisse einer Routinedatenanalyse der Techniker Krankenkasse A. Gillessen, C. Vietor, M. Suling, A. Lanfer Techniker Krankenkasse, Hamburg Einleitung In Deutschland lässt sich, wie in nahezu allen Mitgliedsländern der OECD, seit Jahren eine mehr oder weniger starke Zunahme der Kai- serschnittgeburten beobachten. Zudem ist die Frühgeburtenrate in Deutschland mit 8,5 % ver- gleichsweise hoch [1]. Die Sectiorate von Deutschland lag mit 31 % im Jahr 2011 über dem OECD-Schnitt von 27 %. Die Steigerungsrate war zwischen 2005 und 2011 mit 2,5 % in Deutschland ebenfalls größer als im OECD-Schnitt von 1,5 %. In den Jahren 2011–2015 ist die Steigerungsrate mit –0,5 % rückläufig – ob dies bereits eine Trendwende ist, lässt sich noch nicht sagen. Mit 30 % ist die Sectiorate in Deutschland auch 2015 noch immer über dem OECD-Schnitt von 28 % [2]. Un- strittig ist: Kaiserschnitte können Leben retten. Aber können immer mehr Kaiserschnitte immer mehr Leben retten? WHO-Daten über die Neu- geborenensterblichkeit zeigen beispielsweise für Finnland und Schweden mit einer Sectiorate un- terhalb des OECD-Durchschnitts eine niedrigere Neugeborenensterblichkeit als in Deutschland. Geburten sind nicht nur ein elementares Erleb- nis, sondern auch einer der häufigsten Auslöser für die Inanspruchnahme einer medizinischen Behandlung. Grund genug, die Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt in den Fokus zu nehmen. Für Krankenkassen – die Techniker ist mit mehr als 10,3 Millionen Versicherten die größte bun- desweit – beschreibt das Sozialgesetzbuch den Handlungsspielraum für ein Engagement für eine bessere medizinische Versorgung, z. B. mit den Regelungen im 10. Abschnitt zur Weiterentwick- lung der Versorgung oder der besonderen Ver- sorgungsformen nach § 140a SGB V. Datenaus- wertungen für eigene Forschungsvorhaben regelt der § 287 SGB V. Mit einem Modellvorhaben zur Vermeidung von Frühgeburten von 2004–2006 sowie Selektivverträgen zur Förderung der na- türlichen Geburt ab 2009 sollten Erkenntnisse aus Studien in der Versorgungsrealität erprobt werden. Jedoch konnten bislang mit keinem die- ser Ansätze belegbare Effekte auf die Frühge-
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Kaiserschnitt und Frühgeburt – ausgewählte Kontextfaktoren · Sectio caesarea mit Stand August 2011 erfolgte auf Basis von ICD-Clustern, da anhand der DRG (diagnosis related groups;
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Ergebnisse einer Routinedatenanalyse der Techniker Krankenkasse
A. Gillessen, C. Vietor, M. Suling, A. Lanfer
Techniker Krankenkasse, Hamburg
Einleitung
In Deutschland lässt sich, wie in nahezu allen Mitgliedsländern der OECD, seit Jahren eine mehr oder weniger starke Zunahme der Kai-serschnittgeburten beobachten. Zudem ist die Frühgeburtenrate in Deutschland mit 8,5 % ver-gleichsweise hoch [1].
Die Sectiorate von Deutschland lag mit 31 % im Jahr 2011 über dem OECD-Schnitt von 27 %. Die Steigerungsrate war zwischen 2005 und 2011 mit 2,5 % in Deutschland ebenfalls größer als im OECD-Schnitt von 1,5 %. In den Jahren 2011–2015 ist die Steigerungsrate mit –0,5 % rückläufig – ob dies bereits eine Trendwende ist, lässt sich noch nicht sagen. Mit 30 % ist die Sectiorate in Deutschland auch 2015 noch immer über dem OECD-Schnitt von 28 % [2]. Un-strittig ist: Kaiserschnitte können Leben retten. Aber können immer mehr Kaiserschnitte immer mehr Leben retten? WHO-Daten über die Neu-geborenensterblichkeit zeigen beispielsweise für Finnland und Schweden mit einer Sectiorate un-terhalb des OECD-Durchschnitts eine niedrigere Neugeborenensterblichkeit als in Deutschland. Geburten sind nicht nur ein elementares Erleb-nis, sondern auch einer der häufigsten Auslöser für die Inanspruchnahme einer medizinischen Behandlung. Grund genug, die Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt in den Fokus zu nehmen.
Für Krankenkassen – die Techniker ist mit mehr als 10,3 Millionen Versicherten die größte bun-desweit – beschreibt das Sozialgesetzbuch den Handlungsspielraum für ein Engagement für eine bessere medizinische Versorgung, z. B. mit den Regelungen im 10. Abschnitt zur Weiterentwick-lung der Versorgung oder der besonderen Ver-sorgungsformen nach § 140a SGB V. Datenaus-wertungen für eigene Forschungsvorhaben regelt der § 287 SGB V. Mit einem Modellvorhaben zur Vermeidung von Frühgeburten von 2004–2006 sowie Selektivverträgen zur Förderung der na-türlichen Geburt ab 2009 sollten Erkenntnisse aus Studien in der Versorgungsrealität erprobt werden. Jedoch konnten bislang mit keinem die-ser Ansätze belegbare Effekte auf die Frühge-
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unseres Vorhabens die Genehmigung des Bun-desversicherungsamtes gemäß § 287 SGB V zu erwirken. Diese wurde im Januar 2014 erteilt [5]. Nach Vorstellung und Diskussion von Analyse-verfahren und ersten Zwischenergebnissen im Rahmen von Poster-Sessions auf verschiedenen Fachkongressen wurden im Juli 2017 mit dem Geburtenreport kompakte Ergebnisse des inter-disziplinären Teams aus Medizinern, Epidemio-logen und Gesundheitsexperten der Techniker Krankenkasse (TK) veröffentlicht [6].
»Routine- oder Sekundärdaten im Gesund-heitswesen sind standardisierte Informatio-nen, die vorrangig zur Leistungsabrechnung von Versicherten erhoben werden und nicht in erster Linie für wissenschaftliche Studien. In den letzten Jahren jedoch wurden sie zunehmend auch zur Beantwortung ganz bestimmter Forschungsfragen herangezogen. Wichtig ist, dass der Datenschutz gewahrt wird. Die Daten werden für solche Auswertun-gen vorher anonymisiert.« [6]
Routinedaten haben zwei wesentliche Vorteile gegenüber Primärdaten. Erstens sind sie unter Alltags- und nicht unter Studienbedingungen zustande gekommen. Zweitens haben sie einen weit größeren Umfang, als Studien normaler-weise erbringen können. So ist sowohl die Po-pulation entsprechend groß als auch der Zeit-raum, der betrachtet werden kann. Andererseits haben Routinedaten auch Limitationen. Da sie ja eben nicht für den Zweck bestimmter For-schungsfragestellungen erhoben wurden, sind die Datensätze nicht komplett, sondern müssen aus verschiedenen Quellen zusammengeführt werden. Zudem erfordert die Interpretation der Daten die Kenntnis über den Kontext der Da-tengenerierung. Zwar enthalten Routinedaten medizinische Informationen wie Diagnosen und verordnete Arzneimittel, jedoch wurden diese zu Abrechnungszwecken entsprechend der jeweils gültigen Kodierrichtlinien des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) oder der Klassifikationen des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) erfasst und sind nicht 1:1 gleichzuset-
burten- oder die Kaiserschnittrate erzielt wer-den. 2010 scheiterte der Vorstoß des Gemeinsa-men Bundesausschusses (G-BA), für die Behand-lung von Frühgeborenen mit höchstem Risiko die Mindestmenge von 14 auf 30 zu erhöhen.
Experten der WHO haben auf der Jahrestagung der Internationalen Vereinigung für Gynäkolo-gie und Geburtskunde (Fédération Internationa-le de Gynécologie et d'Obstétrique, FIGO) 2018 die Einschätzung vertreten, die regional sehr unterschiedliche Häufigkeitsentwicklung der Sectio caesarea habe vor allem »kulturelle und finanzielle Gründe« [3, 4]. Unsere Beobachtung ist: Bei durchaus vorhandenem grundsätzlichem Konsens über Sachverhalte und Zusammenhänge zu Kaiserschnitt und Frühgeburt ist dabei die auf den konkreten Entscheidungsfall passende Evidenz oftmals strittig. Welche konkrete Sectio- rate oder Mindestmenge ist eine sinnvolle Vor-gabe für eine Geburtsklinik? Welche Einflussfak-toren spielen welche Rolle? Ist eher das Alter der Mütter oder der Grad der Versorgung durch Hebammen ursächlich? Zusätzlich stellt sich auch die Organisation des Zusammenwirkens von werdenden Eltern, Hebammen, Frauenärzten und Geburtskliniken regelmäßig als Herausforderung in der Versorgungsrealität dar. Eltern wie Ge-burtshelfern ist im Übrigen in der Regel nicht klar, dass Krankenkassen üblicherweise erst von einer Schwangerschaft erfahren, wenn die Klinik die Geburt abrechnet – eine gezielte Begleitung mit Informationen während der Schwangerschaft ist nur möglich, wenn die Schwangere ihre Kran-kenkasse rechtzeitig darum bittet.
Routinedaten als wertvolle zusätzliche
Informationsquelle
In diesem Zusammenhang reifte die Entschei-dung, Erkenntnisse aus den Routinedaten zu er-schließen, um damit Evidenzlücken zu schließen und solche Handlungsfelder für Pilotprojekte zu identifizieren, die sich mithilfe von Routineda-ten beschreiben lassen und deshalb mutmaßlich auch eine Datengrundlage für spätere aussage-kräftige Evaluationen aufweisen. Vorab galt es noch, für die erforderliche Datenaufbereitung
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zen mit der medizinischen Dokumentation in einer Patientenakte oder einer klinischen Doku-mentation für eine medizinischen Studie.
Ein Beispiel: Laut Kodierrichtlinie ist eine pri-märe Sectio gleichgesetzt mit einer geplanten Kaiserschnittentbindung, eine sekundäre ent-sprechend mit einer ungeplanten Sectio. Die medizinische Definition spricht abweichend von einem primären Kaiserschnitt, wenn dieser vor Geburtsbeginn (Eröffnungswehen, Abgang von Fruchtwasser ohne Wehentätigkeit) erfolgt, und entsprechend von einem sekundären Kaiser-schnitt bei einer nach dem Wehenbeginn ini-tiierten Schnittentbindung [7, 8]. Ein anderes Beispiel ist, dass Routinedaten keine eindeutige, verlässliche Information über Frühgeburtlichkeit gemäß der medizinischen Definition einer Ge-burt vor der 37. Schwangerschaftswoche enthal-ten. Im ICD-10-Katalog des DIMDI findet sich unter P07.- (»Störungen im Zusammenhang mit kurzer Schwangerschaftsdauer und niedrigem Ge-burtsgewicht, anderenorts nicht klassifiziert«) der folgende Hinweis: »Liegen Angaben zum Geburts-gewicht und zum Gestationsalter vor, sollte primär nach dem Geburtsgewicht verschlüsselt werden.« [9] Nach Prüfung aller verfügbaren Datenquellen zum Gestationsalter und Geburtsgewicht haben wir für den Geburtenreport die ICD-10-Angaben P07.0- und P07.1- für ein Geburtsgewicht un-ter 2.499 g als verlässlichste Angaben befunden und verwendeten in den Analysen anstelle der Frühgeburt das Geburtsgewicht als Indikator. Zu bestimmten Fragestellungen wurde auch der Punkt P08.- für ein Geburtsgewicht über 4.500 g einbezogen.
Der Geburtenreport enthält im ersten Teil eine umfassende Darstellung der relevanten medi-zinischen Begriffe wie primäre/sekundäre Sec-tio, relative und absolute Indikationen für eine Sectio, Risikoschwangerschaft, Früh-, Fehl- und Totgeburt, ambulante und stationäre Geburt und die zugehörigen Erläuterungen aus dem deut-schen Dokumentations- und Vergütungssystem als Interpretationsgrundlage für die nachfolgen-den Analysen. Ferner ist das Verfahren für die Zusammenführung (Matching) der Datensätze von Mutter und Kind beschrieben, welches für
die Analyse von prä-, peri- und postpartalen Zusammenhängen mütterlicher und kindlicher Gesundheit erforderlich war.
Merkmale der TK-Kohorte
Mithilfe des entwickelten Matching-Verfahrens für die Zusammenführung der Mutter-Kind-Da-ten konnten über 80 % aller Mütter, die 2008 entbunden hatten und mindestens ein Jahr vor und zwei Jahre nach der Entbindung bei der TK versichert waren, einbezogen werden, sodass die Kohorte für alle nachfolgenden Analysen 38.857 Mutter-Kind-Paare umfasst. Die Unter-schiede hinsichtlich Alter, Sectiorate, Anteil der Kinder mit Geburtsgewicht unter 2.500 g und ambulanten Entbindungen zwischen der Gesamt-population der TK-Versicherten und der Kohorte sowie ergänzende bundesweite Angaben sind in
Tabelle 1 beschrieben.
27,9 % der Frauen in der Kohorte waren über 35 Jahre alt. Tabelle 2 zeigt, wie häufig bzw. zu welchem Anteil andere klassische Risikofaktoren auftraten. Die differenzierte Betrachtung nach Entbindungsmodus zeigt, dass eine sogenannte Risikoschwangerschaft nicht zwingend im Zu-sammenhang mit einer Kaiserschnittentbindung steht.
Weiterhin zeigte sich in Tabelle 3, dass ledig-lich 2,8 % der Frauen eine absolute Sectioindi-kation aufwiesen. Von diesen Frauen haben dann letztlich auch 84,1 % ihr Kind per Kaiserschnitt entbunden. 85,2 % der Frauen wiesen eine re-lative Sectioindikation auf, von diesen haben immerhin 68,6 % vaginal entbunden. 12 % der Frauen wiesen keinerlei Sectioindikationen auf, dennoch haben 5,9 % per Kaiserschnitt entbun-den [12].
Das Alter der Frauen spielte keine wesentliche Rolle: Das Durchschnittsalter von Frauen mit absoluter Sectioindikation liegt mit 33,2 Jahren nur leicht über dem von Frauen mit einer rela-tiven oder keiner Indikation für eine Schnittge-burt (32,1 bzw. 32,0 Jahre). Auch waren Mütter, die eine Kaiserschnittgeburt hatten, mit durch-
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Neben mütterlichen Risikofaktoren war auch die Versorgungsstruktur Thema der Analyse. Mangels verfügbarer Listen über das Versorgungslevel von Geburtskliniken wurde mithilfe von Internetre-cherchen und telefonischen Nachfragen eine Kategorisierung der Krankenhäuser in Universi-tätskliniken, Perinatalzentren mit Level 1 oder 2 sowie Geburtskliniken mit (Level 3) und ohne (Level 4) perinatalem Schwerpunkt vorgenom-men. Die Auswertung ergab eine Kaiserschnittra-te in Universitätskliniken von 36 %, in Perina-talzentren der Levels 1 und 2 von 32 % und in Perinatalzentren der Levels 3 und 4 von 28 %.
In Universitätskliniken wurden mehr Sectio-DRG mit komplizierenden Diagnosen und kürzeren Schwangerschaftsdauern als in Zentren mit Le-vel 1 und 2 abgerechnet, in Kliniken der Levels 3 oder 4 wurden Sectiones mit hohem Schwe-regrad mit den DRG O01A und O01B gar nicht abgerechnet. Die meisten Sectiones (73 %) in Level-3- und Level-4-Häusern waren unkompli-zierte Kaiserschnitte mit der DRG O01F. Auch bei der vaginalen Entbindung zeigt sich ein höhe-rer Anteil von komplizierten Geburten bei den Unikliniken, genauso wie bei Kindern mit niedri-gem Geburtsgewicht [14]. Das können Hinweise darauf sein, dass medizinisch schwerere Fälle in
schnittlich 32,7 Jahren nur etwas älter als sol-che mit einer Spontangeburt (31,9 Jahre) [13].
Die Re-Sectio war bei 12 % der Frauen dokumen-tiert und führte mit 94 % am häufigsten zu einer (weiteren) Schnittentbindung. Vergleichbar ist das Geburtshindernis bei 12,5 % der Frauen, das in 80,4 % der Fälle zur Sectio führte. Weniger häufig waren eine misslungene Geburtseinlei-tung (bei 1,5 % der Frauen, bei 83,8 % kam es zur Sectio), die Präeklampsie (1,3 %/74,0 %) und Mehrlinge (2,0 %/70,2 %). Angst wurde bei 8,5 % der Frauen festgestellt, von denen 36,3 % per Kaiserschnitt entbunden haben ( Tab. 3) [12]. Die Abbildung sowohl der Risikofaktoren als auch der Sectioindikationen gemäß der AWMF-Leitli-nie über absolute und relative Indikationen zur Sectio caesarea mit Stand August 2011 erfolgte auf Basis von ICD-Clustern, da anhand der DRG (diagnosis related groups; diagnosebezogene Fallgruppen) aufgrund der Spielräume in den Ko-dierrichtlinien diesbezüglich keine trennscharfe Unterscheidung möglich war. Das Geburtshinder-nis ist nur dann als absolute Indikation einge-stuft, wenn es sich um eine Querlage handelt, alle anderen Einstellungsanomalien während der Geburt, wie z. B. Gesichts- oder Beckenendlage, sind als relative Indikationen eingestuft.
2008 Grundgesamtheit Kohorte Differenz Deutschland
Durchschnittsalter Mütter in Jahren 32,34 32,14 –0,2 o. A.
Anzahl Mütter 48.446 38.174 –10.272 o. A.
Anzahl Kinder 52.137 38.857 –13.280 682.514
Sectiorate 30,0 % 29,8 % –0,2 % 30,2 %
Anteil Kinder mit P071/P072 3,8 % 3,6 % –0,1 % 4,7 %
Anteil ambulanter Entbindungen 2,9 % 2,7 % –0,2 % o. A.
Tab. 1 | Merkmale der TK-Kohorte im Vergleich; modifiziert nach [10] (ergänzt um Angaben für Deutschland für das
Jahr 2008)
gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 229
Entbindungsmodus
Sectio Vaginal Summe
Cluster n % n % n% vom
Total
Überwachung einer Risikoschwangerschaft
10.932 30,1 % 25.354 69,9 % 36.286 95,3 %
Mehrlinge oder pathologische Kindslage, Missverhältnisse, Anomalien
Häusern mit entsprechend hohem Versorgungs-level behandelt werden, medizinisch weniger komplizierte Fälle in Häusern mit geringem Ver-sorgungslevel dennoch vergleichsweise häufig per Sectio entbunden werden ( Abb.1).
Mütterliche Morbidität:
Schwangerenvorsorge nicht auf Diabetes
& Co. begrenzen
Den Kern der Analysen bilden jedoch die Aussa-gen über mütterliche Erkrankungen und assozi-ierte Zusammenhänge mit dem Entbindungsmo-dus bzw. dem Geburtsgewicht. Betrachtet wurden das Jahr vor der Entbindung sowie das erste
und zweite Jahr nach der Entbindung. In einem weiteren Kapitel wurden auch Zusammenhänge kindlicher Morbidität und assoziierte Zusammen-hänge mit dem Entbindungsmodus bzw. dem Geburtsgewicht untersucht. Für die mütterliche Morbidität zeigte sich zunächst, dass mithilfe der Routinedaten etliche relevante Erkrankungen darstellbar waren, die als bekannte Risikofak-toren in der Schwangerenvorsorge aufgegriffen werden, wie z. B. Infektionen, Eisenmangel, Ges- tationsdiabetes, Bluthochdruck und Rauchen. Auch andere Indikationen, die im Zusammen-hang oder im Vorfeld einer Schwangerschaft von Gynäkologen diagnostiziert werden, können mithilfe der Routinedaten ausgewertet werden, wie z. B. gutartige Neubildungen, Schilddrüsen-
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erkrankungen, Fehlgeburten, Abbrüche oder Fertilisationsstörungen. Unser Interesse wur-de jedoch vor allem durch solche Indikationen geweckt, die ebenfalls relativ häufig sind, je-doch bislang nicht systematisch im Rahmen der Schwangerenvorsorge gescreent und behandelt werden, wie z. B. Depressionen, Angsterkran-kungen, Adipositas oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Wie unsere Auswertungen zeigen, besteht für all diese ein Zusammenhang mit einer Entbindung per Sectio ( Abb. 2) [15]. Die Erkenntnisse aus dem TK-Geburtenreport wurden bereits praktisch aufgegriffen. Wallwiener et al. haben eine Ein-
bettung in den Kontext aktueller wissenschaft-licher Studien vorgenommen [16]. Ein systema-tisches Screening auf psychische Belastungen startete im Januar 2019 als Pilotprojekt in Baden-Württemberg (www.mindpregnancy.de). Betroffenen wird ein onlinebasiertes Achtsam-keitstraining angeboten. Das Projekt wird vom Innovationsfonds des G-BA gefördert und evalu-iert – unter anderem auch auf seine Effekte auf die Frühgeburten- und Kaiserschnittrate [17].
Die Auswertungen im nächsten Abschnitt bezie-hen sich auf Zusammenhänge zwischen Morbidi-täten während Schwangerschaft und Geburt und dem Geburtsgewicht des Kindes sowie dem Ent-bindungsmodus. Relevant sind dabei Diagnosen aus dem Jahr vor der Entbindung sowie aus dem Quartal, in dem die Geburt stattfand. Der Zeit-raum »Jahr vor der Entbindung« umfasst genau genommen die vier Quartale vor dem Quartal, in dem die in der Analyse untersuchte Entbindung aus dem Jahr 2008 abgerechnet wurde. Es kann jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass auch Diagnosen über Komplikationen aus vorangegangenen Schwangerschaften im ana-lysierten Datensatz enthalten sind. Dargestellt werden Prävalenzen und adjustierte Odds Ratios, wobei signifikante Ergebnisse jeweils mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet wurden.
Höhere prä- und postpartale Prävalenz
von arterieller Hypertonie bei Sectio
caesarea und niedrigem Geburtsgewicht
Zunächst wurde die arterielle Hypertonie ohne definierte Ursache und ohne expliziten Schwan-gerschaftsbezug (ICD-10-Kapitel 10.-) unter-sucht.
In der untersuchten Kohorte erhielten 3,4 % aller Frauen im Jahr vor der Entbindung die Diagnose einer arteriellen Hypertonie. Im Jahr nach der Entbindung blieb der Anteil mit 3,9 % in etwa stabil. An dieser Stelle muss beachtet werden, dass ein bestehender Bluthochdruck, der den Schwangerschaftsverlauf zu verkomplizieren droht oder der im Rahmen einer Gestose auf-tritt, hier nicht mit eingeschlossen ist und se-
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
%
■ O01A
2 46 3
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20
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17
23
48 58 73 63
Universitätskliniken
Geburtskliniken
Level 3 und 4
Perinatalzentren
Level 1 und 2
Gesamt
■ O01C ■ O01E
■ O01B ■ O01D ■ O01F
Abb. 1 | Verteilung der Sectio-DRG nach Krankenhaus-
kategorie in der TK-Kohorte 2008 [14]
gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 233
parat analysiert wurde. Ob diese diagnostische Differenzierung sich in der Praxis, aber auch in einer entsprechenden Kodierung niederschlägt, oder ob die Kodierqualität hier kritisch zu sehen ist, kann nicht beurteilt werden. Bei der Unter-suchung der Mütter, die via Sectio entbunden
haben, zeigte sich im Beobachtungszeitraum vor der Geburt eine Prävalenz von 4,9 % im Ver-gleich zu den Frauen mit vaginaler Entbindung, die eine Prävalenz von 2,8 % aufwiesen. Während diese Prävalenz bei den Vaginalentbindungen in dem Beobachtungszeitraum ein Jahr nach der
Schwangerenvorsorge nicht auf Diabetes begrenzen
Häufige Erkrankungen im Jahr vor der Entbindung in Prozent*
■ Schwangerschaftsunabhängige Erkrankungen ■ Typische Diagnosen in der Schwangerschaft
■ Weitere Diagnosen auch im Vorfeld einer Schwangerschaft
Quelle: TK-Geburtenreport 2017: Sekundärdatenanalyse von rund 38.000 Datensätzen von Müttern, die im Jahr 2008 entbunden haben und ihren Kindern
* Zugehörige Diagnosen im Detail sind dem TK-Geburtenreport 2017 zu entnehmen
Abb. 2 | Häufige Erkrankungen im Jahr vor der Entbindung in Prozent [15]
2019 Band 45 / 2 gynäkologische praxis 234
Ebenso ist ein Zusammenhang zwischen der arte-riellen Hypertonie und einem niedrigen Geburts-gewicht in allen drei Beobachtungszeiträumen erkennbar. Mütter mit einem Kind mit einem Geburtsgewicht unter 2.500 g hatten deutlich häufiger Bluthochdruck als Mütter, deren Kinder normal- oder übergewichtig sind.
Am deutlichsten ist der Zusammenhang im Jahr nach der Geburt ersichtlich: Hier waren Mütter
Geburt annähernd stabil blieb (2,9 %), stieg sie bei den Kaiserschnittentbindungen auf 6,3 % an und sank erst im zweiten Jahr postpartum wie-der auf 4,9 % (2,4 % bei Vaginalentbindungen). Statistisch ist die Assoziation zwischen der Dia-gnosegruppe »Arterielle Hypertonie« und einer erhöhten Sectio-Wahrscheinlichkeit in allen drei Beobachtungszeiträumen sowohl vor als auch nach Adjustierung signifikant (Faktor 1,7–2,0) ( Abb. 3).
Gesamt Sectio Vaginale Entbindung
0 %
1 %
2 %
3 %
4 %
5 %
6 %
7 %
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
1 J. prä-p
*
*
*
1 J. pp 2 J. ppa
0,0
0,5
Adju
stie
rter
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s Ra
tio
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rsch
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eit
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r Se
ctio
)
1,0
1,5
2,0
2,51 J. prä-p 1 J. pp 2 J. pp
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
*
* *
b
Abb. 3 | a) Anteil an Müttern
mit arterieller Hypertonie,
die vaginal oder per Sectio
entbunden haben; b) Odds
Ratios für Entbindung per
Sectio bei vorliegender
Diagnose einer arteriellen
Hypertonie der Mutter
gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 235
Signifikanter Zusammenhang von Gestose-
symptomen und Sectio caesarea sowie
niedrigem Geburtsgewicht
Die nachfolgende Diagnosegruppe beinhaltet die Schwangerschaftshypertonie (ICD-10-Kapi-tel O10.-) sowie Diagnosen wie z. B. eine die Schwangerschaft komplizierende vorherbeste-hende Hypertonie, Schwangerschaftsbluthoch-druck, Ödeme und Proteinurie (ICD-10-Kapitel O11.-, O12.-, O13.- und O16.-). Diese Symptome können Hinweise auf eine Gestose sein, die für Mutter und Kind fatale Folgen haben kann.
von Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht mehr als dreimal so häufig betroffen (11,9 % der Müt-ter von Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht vs. 3,7 % der Mütter mit einem normal- bzw. übergewichtigen Kind). Ein statistisch signifi-kanter Zusammenhang für eine erhöhte Wahr-scheinlichkeit (Faktor 1,85 im Jahr vor Geburt bis Faktor 2,75 im Jahr danach) lässt sich auch nach Adjustierung noch feststellen ( Abb. 4). Diese Ergebnisse sind vereinbar mit Erkenntnis-sen aus internationalen Studien [18–20].
Gesamt Kinder mit Untergewicht Kinder mit Normal- oder Übergewicht
0 %
2 %
4 %
6 %
8 %
10 %
12 %
14 %
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
1 J. prä-p
*
*
*
1 J. pp 2 J. ppa
0,0
0,5
1,0
1,5
Adju
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Odd
s Ra
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nied
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Gebu
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2,0
3,0
2,5
4,0
3,5
1 J. prä-p 1 J. pp 2 J. pp
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
ArterielleHypertonie
*
*
*
b
Abb. 4 | a) Anteil an Müttern
mit arterieller Hypertonie,
die ein Kind mit niedrigem
Geburtsgewicht oder Normal-/
Übergewicht entbunden
haben; b) Odds Ratios für
niedriges Geburtsgewicht
des Kindes bei arterieller
Hypertonie
2019 Band 45 / 2 gynäkologische praxis 236
In der untersuchten Kohorte lag die Gesamtprä-valenz der Frauen mit Diagnosen aus der Gruppe »Ödeme, Proteinurie und Hypertonie während der Schwangerschaft« im Jahr vor der Entbin-dung bei 7,5 %. Im Jahr nach der Entbindung stieg der Anteil auf 10,3 %.
Die Analyse der Prävalenz je nach Entbindungs-modus zeigt, dass im Jahr nach der Entbindung bei 13,3 % aller sectionierten und bei 9 % der
Generell sind Diagnosen, die Komplikationen während der Schwangerschaft beschreiben, sta-tistisch signifikant mit höheren Sectioraten ver-bunden – egal, ob sie im Jahr vor dem Geburts-quartal oder im Geburtsquartal gestellt werden. Der statistische Zusammenhang zwischen der Diagnosegruppe und einer erhöhten Sectiorate besteht auch nach Adjustierung der Ergebnisse für das Geburtsgewicht des Kindes, das Alter der Mutter und den Wohnort.
Gesamt Sectio Vaginale Entbindung
0 %
2 %
4 %
6 %
8 %
10 %
12 %
14 %
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie
während der Schwangerschaft
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie
während der Schwangerschaft
1 J. prä-p
*
*1 J. ppa
2 %
4 %
6 %
8 %
10 %
12 %
14 %
16 %
18 %
20 %
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie
während der Schwangerschaft
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie
während der Schwangerschaft
1 J. prä-p
*
1 J. pp
0 %
b
Gesamt Kinder mit Untergewicht Kinder mit Normal- oder Übergewicht
Abb. 5 | a) Anteil an Müttern
mit Diagnosen Ödeme, Pro-
teinurie und Hypertonie in der
Schwangerschaft, die vaginal
oder per Sectio entbunden
haben; b) Anteil an Müttern
mit Diagnosen Ödeme, Pro-
teinurie und Hypertonie in der
Schwangerschaft, die ein Kind
mit niedrigem Geburtsgewicht
oder mit Normal-/Übergewicht
entbunden haben
gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 237
Validierung der Ergebnisse durch die Analyse
der Verordnungen von Antihypertonika
Im Rahmen dieser Sekundärdatenanalyse wurde auch die Verordnung von Medikamenten unter-sucht, insbesondere zum Zweck der Ergebnisva-lidierung.
Medikamente, die mit der Behandlung des Blut- hochdrucks generell in Verbindung stehen, sind Substanzen aus den Gruppen »ACE-Hemmer«, »Betablocker« sowie »Zentral wirksame anti-ad-renerge Substanzen«. Die Verordnungszahlen für diese Medikamente sind zusätzlich analysiert
vaginal entbindenden Mütter eine Diagnose aus dieser Gruppe kodiert wurde. Bei der Untersu-chung der Prävalenz bezogen auf das Geburtsge-wicht wiesen knapp 17,5 % der Mütter von Kin-dern mit niedrigem Geburtsgewicht und 10 % der Mütter mit einem normal- bzw. übergewichtigen Kind diese Diagnosen auf ( Abb. 5).
Die statistische Analyse ergibt für die Sectio in allen Beobachtungszeiträumen (Faktor 1,4 bzw. Faktor 1,5) sowie für ein Neugeborenes mit niedrigem Geburtsgewicht im Jahr nach der Ent-bindung (Faktor 1,6) signifikante Assoziationen ( Abb. 6).
Abb. 6 | a) Odds Ratios für
niedriges Geburtsgewicht
des Kindes bei vorliegenden
Diagnosen von Ödemen,
Proteinurie und Hypertonie in
der Schwangerschaft;
b) Odds Ratios für
Entbindung per Sectio
a
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,51 J. prä-p 1 J. pp
*
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Ödeme, Proteinurie und Hypertonie während der
Schwangerschaft
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie während der
Schwangerschaft
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2,51 J. prä-p 1 J. pp
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eine
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ctio
)
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie während der
Schwangerschaft
Ödeme, Proteinurie und Hypertonie während der
Schwangerschaft
*
2019 Band 45 / 2 gynäkologische praxis 238
sprechend sehr selten verordnet, Betablocker und zentral wirksame anti-adrenerge Substanzen hingegen etwas häufiger.
Im Jahr nach der Geburt stiegen die Verord-nungszahlen für alle Medikamente an, sanken dann aber im zweiten Jahr nach Geburt wieder. Mütter mit einer Kaiserschnittgeburt erhiel-ten in allen drei Jahren häufiger Medikamente
worden, um weitere Anhaltspunkte für das Be-stehen der genannten Zusammenhänge zwischen Bluthochdruck und Entbindungsmodus sowie Ge-burtsgewicht zu finden.
Bezüglich der genannten Medikamentengruppen zeigen sich insgesamt nur geringe Fallzahlen, gerade ACE-Hemmer sind während der Schwan-gerschaft kontraindiziert und wurden dement-
Gesamt Sectio Vaginale Entbindung
a
0,0 %
0,5 %
1,0 %
1,5 %
2,0 %
2,5 %
3,0 %
3,5 %1 J. prä-p 1 J. pp 2 J. pp
*
*
**
ACE-
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0,0
1,0
2,0
3,0
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)
4,0
6,0
5,0
7,01 J. prä-p 1 J. pp 2 J. pp
** * *
**
*b
Fallzahl zu
gering
Abb. 7 | a) Anteil verordneter
Antihypertonika bei Frauen,
die vaginal oder per Sectio
entbunden haben; b) Odds
Ratios für Entbindung per
Sectio bei vorliegender Verord-
nung von Antihypertonika
gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 239
tor 1,9–3,8) für einen Kaiserschnitt. Bei den ACE-Hemmern ist im Jahr vor der Geburt die Fall-zahl zu gering, um Aussagen treffen zu können. Im zweiten Jahr nach Geburt ist nur noch für die ACE-Hemmer und die Betablocker eine statis-tisch signifikante Assoziation mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit (Faktor 2,0 bzw. 2,1) vor und nach Adjustierung feststellbar ( Abb. 7).
gegen Bluthochdruck als Mütter mit vaginaler Geburt.
Die statistische Auswertung ergibt für die ersten zwei Analyseintervalle eine signifikante Assozi-ation vor und nach Adjustierung zwischen der Verordnung von Mitteln gegen Bluthochdruck und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit (Fak-
Adju
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ACE-
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ame
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ge
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0,0
1,0
2,0
3,0
4,0
6,0
5,0
7,01 J. prä-p 1 J. pp 2 J. pp
* *
*
*
Fallzahl zu
gering
Fallzahl zu
gering
Fallzahl zu
gering
Fallzahl zu
gering
Fallzahl zu
gering
Abb. 8 | a) Anteil verordneter
Antihypertonika bei Frauen,
die ein Kind mit niedrigem
Geburtsgewicht oder Normal-/
Übergewicht entbunden
haben; b) Odds Ratios für
Entbindung eines Kindes mit
niedrigem Geburtsgewicht bei
Verordnung von Antihyper-
tonika
a
1 %
2 %
3 %
4 %
5 %
6 %
7 %
8 %1 J. prä-p 1 J. pp 2 J. pp
*
*
*
ACE-
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ACE-
Hem
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cker
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en
ACE-
Hem
mer
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ablo
cker
Zent
ral w
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ener
ge
Subs
tanz
en
*
0 %
Gesamt Kinder mit Untergewicht Kinder mit Normal- oder Übergewicht
Die Störungen des Verdauungstraktes umfassen die nichtinfektiösen Darmerkrankungen inklusi-ve der chronisch-entzündlichen Darmerkrankun-gen (CED). In der untersuchten Kohorte wurden präpartal bei 11,3 % der Mütter Störungen des
Statistische Zusammenhänge zum Geburtsge-wicht lassen sich ebenfalls feststellen, allerdings ist im Falle der ACE-Hemmer und teilweise auch der zentral wirksamen anti-adrenergen Substan-zen die Fallzahl in der untersuchten Stichprobe zu klein, um statistische Analysen durchzufüh-ren ( Abb. 8).
Ein signifikanter Zusammenhang mit einer er-höhten Wahrscheinlichkeit (Faktor 2,37–3,10) für ein Kind mit niedrigem Geburtsgewicht be-steht dabei im gesamten Zeitraum für die Beta-blocker sowie im Jahr nach der Geburt für die
a
Gesamt Sectio Vaginale Entbindung
2 %
4 %
6 %
8 %
10 %
12 %
14 %
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
1 J. prä-p
*
*
*
1 J. pp 2 J. pp
0 %
Abb. 9 | Anteil an Müttern
mit Störungen des Verdau-
ungssystems (inkl. CED), die
vaginal oder per Sectio ent-
bunden haben; b) Odds Ra-
tios für Entbindung per Sectio
bei vorliegenden Störungen
des Verdauungssystems (inkl.
CED) der Mutter
b
0,0
0,5
1,5
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1 J. prä-p
*
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
1 J. pp
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Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
2 J. pp
*
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 241
mehr signifikant. Da diese Diagnosen ebenfalls mit einer höheren Kaiserschnittrate einhergin-gen und Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht häufiger per Kaiserschnitt geboren wurden, hebt die Adjustierung für Sectio den zuvor bestehen-den Zusammenhang auf. Anders verhält es sich bei Müttern, die im Jahr nach der Entbindung eine Diagnose aus dem Bereich der Störungen des Verdauungssystems erhielten. Vor und nach Adjustierung findet sich hier ein statistisch si-gnifikanter Zusammenhang zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für ein Neugeborenes mit niedrigem Geburtsgewicht (Faktor 1,4). Für das zweite Jahr nach Entbindung lassen sich hin-gegen keine Zusammenhänge mehr aufzeigen ( Abb. 10).
Verdauungstrakts dokumentiert. Die Analyse zeigt statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Entbindungsmodus und den Störungen des Verdauungstrakts in allen drei Beobach-tungszeiträumen (Faktor ~1,2): Frauen, die eine Kaiserschnittgeburt hatten, wiesen demnach häufiger eine Diagnose auf, die eine Erkrankung des Gastrointestinaltraktes anzeigt, als Frauen mit einer vaginalen Entbindung ( Abb. 9).
Die Analyse zeigt, dass Mütter, bei denen im Jahr vor der Geburt »Störungen des Verdau-ungssystems (inklusive chronisch-entzündliche Darmerkrankungen)« diagnostiziert wurden, zwar häufiger ein Kind mit niedrigem Geburts-gewicht zur Welt brachten – allerdings ist dieser Unterschied nach Adjustierung statistisch nicht
Abb. 10 | Anteil an Müttern
mit Störungen des Verdau-
ungstraktes (inkl. CED),
die ein Kind mit niedrigem
Geburtsgewicht oder Normal-/
Übergewicht entbunden
haben; b) Odds Ratios für
ein niedriges Geburtsgewicht
des Kindes bei Störungen des
Verdauungstraktes (inkl. CED)
der Mutter
0,0
0,5
1,5
2,0
2,5
3,0
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1 J. prä-p
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
1 J. pp
*
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
2 J. pp
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
b
2 %4 %6 %8 %
10 %12 %14 %16 %
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
Störungen des Verdauungssystems (inkl. chronisch-
entzündliche Darmerkrankungen)
1 J. prä-p*
*
1 J. pp 2 J. pp
0 %
a
Gesamt Kinder mit Untergewicht Kinder mit Normal- oder Übergewicht
2019 Band 45 / 2 gynäkologische praxis 242
stoffgruppe verordnet. Die statistische Analyse ergibt für die ersten beiden Beobachtungszeit-räume einen signifikanten Zusammenhang mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit (Faktor 1,6–1,7) für eine Schnittentbindung sowohl vor als auch nach Adjustierung. Im zweiten Jahr nach der Geburt ist dieser Zusammenhang nicht mehr feststellbar ( Abb. 11).
Die Analyse der Verordnungsdaten im Kontext des Geburtsgewichts ergibt keine statistisch si-gnifikanten Zusammenhänge. Diese Ergebnisse ergänzen bereits vorliegende internationale Stu-dien über den Zusammenhang von Darmerkran-kungen und unerwünschten Geburtsoutcomes [21–25].
Validierung der Ergebnisse durch die
Analyse der Verordnungen von intestinalen
Antiphlogistika
Zur weiteren Unterstützung der Ergebnisse wur-den die Verordnungsdaten von krankheitsspezifi-schen Medikamenten in der untersuchten Stich-probe geprüft. Im Bereich der gastrointestinalen Erkrankungen sind dies Medikamente der Gruppe »Intestinale Antiphlogistika«.
In der untersuchten Stichprobe sind während des gesamten Analysezeitraums die Verordnungs-zahlen von intestinalen Antiphlogistika stabil. Frauen, die per Kaiserschnitt entbunden haben, wurden dabei häufiger Medikamente dieser Wirk-
Abb. 11 | a) Anteil verord-
neter Antiphlogistika bei
Frauen, die vaginal oder per
Sectio entbunden haben; b)
Odds Ratios für Entbindung
per Sectio bei vorliegender
Verordnung intestinaler
Antiphlogistika
b
0,0
0,5
1,5
2,0
2,5
3,0
1,0
Adju
stie
rter
Odd
s Ra
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(Wah
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ichk
eit
eine
r Se
ctio
)
1 J. prä-p
*
IntestinaleAntiphlogistika
1 J. pp
*
IntestinaleAntiphlogistika
2 J. pp
IntestinaleAntiphlogistika
Gesamt Sectio Vaginale Entbindung
0,1 %
0,2 %
0,3 %
0,4 %
0,5 %
0,6 %1 J. prä-p
**
1 J. pp 2 J. pp
0,0 %
a
IntestinaleAntiphlogistika
IntestinaleAntiphlogistika
IntestinaleAntiphlogistika
gynäkologische praxis 2019 Band 45 / 2 243
Ziel der Studie war darzustellen, ob die im Rah-men der Leistungsabrechnung erhobenen Daten Hinweise auf Zusammenhänge zwischen den Er-krankungen von Mutter und dem Geburtsmodus bzw. dem Outcome des Kindes aufweisen, und somit eine bessere Evidenz sowie eine stabilere Basis für zukünftige Versorgungsentscheidungen zu schaffen.
In der vorliegenden Studie wurden die Datensät-ze von 38.857 Müttern der Techniker Kranken-kasse (TK) mit ihren im Jahr 2008 geborenen Kindern anonymisiert untersucht.
Als primärer Observationszeitraum wurde ein Jahr prä- und zwei Jahre postnatal definiert. Die erhobenen Routinedaten wurden in Bezug auf den Entbindungsmodus und das Geburtsgewicht sowohl für die Mutter als auch für das Kind ana-lysiert. Zur Vermeidung von etwaigen Verzerrun-gen wurden die Ergebnisse mittels Confounder adjustiert.
Eine Reihe von Morbiditäten wird mit dem Ge-burtsgewicht und der Sectio assoziiert. Auch bisher weniger beachtete mütterliche Vorerkran-kungen wie chronisch-entzündliche Darmerkran-kungen begünstigen einen Kaiserschnitt oder haben Auswirkungen auf die Kindergesundheit.
Gillessen A, Vietor C, Suling M, Lanfer A: Caesarean section and premature birth –
selected context factors. Results of a routine data analysis by the Techniker Krankenkasse, a
German statutory health insurance
Summary: Most studies depend on primary data that have well known limitations such as highly selected participants, few study participants and no intersectoral and longterm data.
Therefore, claims data of health insurances are increasingly used to address health care questions, as they do not suffer from the common problems of primary data. However, if it is possible to adequately complement ante- and perinatal healthcare investigations with claims
Mittelbare Folgen von Kaiserschnitten
und Frühgeburten
Nicht nur eine Frühgeburt, sondern auch Kaiser-schnitte haben Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung und Gesundheit. Das hat auch öko-nomische Auswirkungen. Anhand ausgewählter Daten zur Krankheitslast von Kindern der TK-Ko-horte im Zeitraum 2008–2013 ließen sich Kos-ten zuordnen und mögliche volkswirtschaftliche Auswirkungen darstellen [26].
Eine umfassende Analyse der TK-Kohorte im Hin-blick auf die gesundheitliche Entwicklung der Kinder bis zum 8. Lebensjahr erfolgt zurzeit, die Publikation ist für Herbst 2019 geplant. Auch hier stehen wiederum Zusammenhänge zum Ent-bindungsmodus und zur Frühgeburtlichkeit im Fokus. Eine entsprechende aufsichtsrechtliche Genehmigung ermöglicht eine Speicherung der Daten bis 2028 und somit eine langfristige Wei-terverfolgung der Gesundheitsentwicklung der Kinder bis zur Volljährigkeit.
Fazit für die Praxis
Mütterliche Erkrankungen stehen häufig im Zu-sammenhang mit Kaiserschnitten und Frühge- burten – auch solche, die bislang noch nicht sys-tematisch in der Schwangerenvorsorge gescreent werden. Die gezielte Versorgung von Schwange-ren mit Komorbiditäten wie z. B. CED und Hyper-tonie kann helfen, unnötige Kaiserschnitte und Frühgeburten zu verhindern.
Zusammenfassung
Die schlechte Messbarkeit komplexer Versor-gungssituationen ist ein grundlegendes Pro- blem. Die meisten Studienergebnisse basieren auf Primärdaten, für die diverse Limitationen, wie spezifisch selektierte Probanden, wenige Studienteilnehmer sowie das Fehlen von inter-sektoralen- und Langzeitdaten gelten. Daten von Krankenversicherungen gewinnen für die Beant-wortung von Gesundheitsfragen zunehmend an Bedeutung.
2019 Band 45 / 2 gynäkologische praxis 244
4. Boerma T, Ronsmans C, Melesse DY, et al. Global
epidemiology of use of and disparities in caesarean sections.
Lancet 2018; 392: 1341–1348.
5. Bundesversicherungsamt. Aktenzeichen IT 5 - 8269 -
70/2014.
6. Techniker Krankenkasse. Versorgungsforschung für ein
besseres Gesundheitssystem – der TK-Geburtenreport. 2018.
zur Stärkung psychischer Stabilität von Schwangeren und
data will be able to evaluate was the main goal of this cohort study.
We analyzed data of all births that could be found in the Techniker Krankenkasse (TK) billing data from 2008 (L46,000). Of all newborns in 2008, 82 % (38,857) could be matched with a TK-insured mother. Health data from one year prior until two years after birth was investigated in relation to birth outcomes. Birth weight had to be used as a proxy for premature birth.
Statistical confounder adjustment had to be used to control for the fact that observed higher disease prevalence for mothers with caesarean section might be explained by the lower birth weight of their babies. A huge variety of analyses on health effects on birth outcome during pregnancy and beyond two years after birth were done. It can be observed that in our population a range of different morbidities are linked to birth weight and caesarean section. In accordance with previous studies, claims data support the need to increase awareness of various disorders and their management and treatment during pregnancy.
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass bei der Erstellung des Beitrags keine Interessen-konflikte im Sinne der Empfehlungen des Inter-national Committee of Medical Journal Editors bestanden.