6. Dresdner Symposium für Neonatologie und Pädiatrische Intensivpflege „ Drogen im Fokus “ Illegale Drogen – ein intensivmedizinisch relevantes Problem ? / ! Jürgen Dinger Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Dresden
71
Embed
Illegale Drogen ein intensivmedizinisch relevantes Problem · muskulärer Hypotonus Hypoglykämie Tremor Schwitzen Krämpfe Symptome des Drogenentzuges bei Crystal , , ? + ...
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
6. Dresdner Symposium für Neonatologie und
Pädiatrische Intensivpflege
„ Drogen im Fokus “
Illegale Drogen – ein intensivmedizinisch relevantes Problem ? / !
Jürgen Dinger
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Dresden
Gefährdungen des (ungeborenen) Kindes durch mütterlichen Drogenkonsum
I Folgezustände beim Neugeborenen
werden zu selten diagnostiziert, da die Kenntnis der verschiedenartigen fetalen und neonatalen Erkrankungen oft unzureichend ist.
I Dies kann zum Nachteil des Kindes werden, da für viele solcher Erkrankungen des Neugeborenen spezielle Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen und ein Netzwerk sozialer Hilfen aktiviert werden muss.
Gedanken zum Thema …..
I … warum ist es nötig, sich im Jahr 2016 diesem Thema zu widmen ?
I … was hat das mit meiner täglichen Arbeit zu tun ? I … was kann ich da schon groß machen ?
I … wenn ich mich einmische, entzieht sich mir die Mutter und ich
bekomme das Kind nie wieder zu sehen. I … wie erkenne ich die Konsumentinnen ?
I … welche Symptome zeigen die Neugeborenen ?
Diese Gedanken sind begründet
I denn immer wieder stirbt ein Kind (in den letzten 3 Jahren insgesamt
8 Neugeborene !!!)
I und zwingt uns zu fragen
Wie konnte das passieren ? I denn alltäglich werden von uns professionelle Aufträge mit “Fach- und
Rechtsverantwortung“ übernommen
Zentralnervös wirksame Substanzen, unter ihnen zahlreiche
legale und illegale Drogen, können beim Feten drei Schädigungs-
mechanismen hervorrufen:
1. Eine teratogene Wirkung, d.h. Störung von Entwicklungsprozessen (Beispiel: Störung der neuronalen und glialen Migration durch Alkohol)
2. Eine Gewebe-destruierende Wirkung (Beispiel: Zerebraler Infarkt bei Kokainexposition gegen Ende der Schwangerschaft)
3. Eine Abhängigkeit („passive addiction“) mit postnatalem Entzugssyndrom (Beispiel: Heroin, Methadon, Nikotin)
Zentralnervös wirksame Substanzen, unter ihnen zahlreiche
legale und illegale Drogen, können beim Feten drei Schädigungs-
mechanismen hervorrufen:
1. Eine teratogene Wirkung, d.h. Störung von Entwicklungsprozessen (Beispiel: Störung der neuronalen und glialen Migration durch Alkohol)
2. Eine Gewebe-destruierende Wirkung (Beispiel: Zerebraler Infarkt bei Kokainexposition gegen Ende der Schwangerschaft)
3. Eine Abhängigkeit („passive addiction“) mit postnatalem Entzugssyndrom (Beispiel: Heroin, Methadon, Methamphetamine)
Zentralnervös wirksame Substanzen, unter ihnen zahlreiche
legale und illegale Drogen, können beim Feten drei Schädigungs-
mechanismen hervorrufen:
1. Eine teratogene Wirkung, d.h. Störung von Entwicklungsprozessen (Beispiel: Störung der neuronalen und glialen Migration durch Alkohol)
2. Eine Gewebe-destruierende Wirkung (Beispiel: Zerebraler Infarkt bei Kokainexposition gegen Ende der Schwangerschaft)
3. Eine Abhängigkeit („passive addiction“) mit postnatalem Entzugssyndrom (Beispiel: Heroin, Methadon, Methamphetamine)
I Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft Heroin, Methadon oder andere Opiate eingenommen haben, werden fast immer nach der Geburt mit einer schweren, behandlungsbedürftigen Entzugssymptomatik auffällig.
I Die betroffenen Familien sind durch ihre Suchtbelastung geprägt und stammen häufig aus schwierigen sozialen Verhältnissen.
I Im Rahmen des stationären Aufenthaltes muss neben der medizinischen Betreuung auch die weitere Gewährleistung des Kindeswohls abgesichert werden.
Neonatales Abstinenzsyndrom
― Inzidenz NAS in Deutschland bei ca. 2/1000 Geburten, somit deutlich höher als Inzidenz des SIDS
― ca. 10% der weiblichen Bevölkerung zwischen 18 – 29 Jahren haben Erfahrungen mit der Einnahme illegaler Drogen
(Jahresbericht 2013 der Deutschen Referenzstelle der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht)
― 1,3% dieser Frauen konsumieren Heroin, Methadon oder weitere Opiate
(ca. 25.300 Frauen)
― USA: ca. 5,5 – 11% aller Neugeborenen waren in utero Drogen ausgesetzt
Neonatales Abstinenzsyndrom
Epidemiologie
I Seit 2001 ist die Aufnahme von drogenabhängigen Menschen in
Substitutionsprogramme liberalisiert worden
I Richtiger Schritt vor dem Hintergrund drohender vollständiger sozialer
Verelendung dieser Menschen und um unkontrollierte Ausbreitung von
Infektionskrankheiten (Hepatitis, AIDS, ..) in dieser Gruppe zu
vermeiden
I Aber, soziale Stabilisierung hat auch „Nebenwirkungen“
― Menschen dieser Altersgruppe kümmern sich um Familienplanung
― gesundheitliche Stabilisierung, auch des hormonellen Zyklus von
abhängigen, substituierten Frauen, lässt eine Schwangerschaft zu
Neonatales Abstinenzsyndrom
Situation in Deutschland
I Methadon unterscheidet sich in Bezug auf das Abhängigkeitspotential
beim Feten und die potentielle Schädigung des zentralen Nervensystems
nicht vom Heroin
I insofern ist das Krankheitsbild des neonatalen Entzugssyndromes unter
Methadonsubstitution der Mutter genauso ausgeprägt wie unter
Heroineinnahme
I deshalb werden in den nächsten Jahren, auch in unserer Region,
Neugeborene mit diesem Krankheitsbild zu behandeln sein
Neonatales Abstinenzsyndrom
Situation in Deutschland
I offizielle Erhebungen zum Thema NAS gibt es nicht
I Jahresberichte der Deutschen und auch der EU-Drogenbeauftragten
thematisieren zwar Untergruppen der Drogenabhängigen (HIV-
Infizierte, Aufteilung Ost- und Westdeutschland), aber
I Problem von Drogenabhängigkeit und Schwangerschaft wurde bis in
jüngste Zeit nahezu vollständig ignoriert
Neonatales Abstinenzsyndrom
Situation in Deutschland
I 80 – 90 % der Kinder opiatabhängiger Schwangerer entwickeln nach der Geburt eine behandlungsbedürftige Entzugssymptomatik.
I Die Symptome treten in der Regel 40 – 60 Stunden nach der Geburt auf, ein maximaler Entzugsscore wird nach 92 Stunden beschrieben.
I Besondere Gefahren für das Neugeborene entstehen bei ambulanter Entbindung oder Frühentlassung aus Geburtsklinik oder außerklinischer Geburt
Neonatales Abstinenzsyndrom
Deshalb muss das Neugeborene einer drogenabhängigen Mutter grundsätzlich stationär in eine Kinderklinik aufgenommen und überwacht werden !
Neonatales Abstinenzsyndrom
Symptome des Opiatentzuges bei Neugeborenen und ihre relative Häufigkeit
Neonatales Abstinenzsyndrom
75 – 100% 25 – 75 % < 25 %
Zittrigkeit Trinkschwierigkeiten Fieber
Irritabilität Erbrechen Krämpfe
Hyperaktivität Durchfälle
Muskuläre Hypotonie Niesen
Kurze Schlafphasen Tachypnoe
Schrilles Schreien Schwitzen
Übermäßiges Saugen
Neonataler Drogenentzugsscore
I Monitorüberwachung I Finnegan Score ≥ 10, dann Therapiebeginn I Morphinlösung I Startdosis: 6 x 0,4 ml/kg/KG I Therapie Finnegan Score 8 – 11 Punkte, deshalb Kontrolle vor
jeder neuen Gabe I Score > 11: Dosis um 50% steigern I Score 8 – 11: Dosis unverändert I Score < 8 : Dosisreduktion I (Alternative: Therapie mit Phenobarbital, umstritten, eventuell bei
polytoxomanem Drogenkonsum)
Neonatales Abstinenzsyndrom
Therapie
Lübecker Modell
Ergebnisse des Lübecker Modells
I Die Dauer des stationären Aufenthaltes hat um 50% zugenommen.
I Der Anteil der Kinder, die in die elterliche Obhut entlassen werden konnte, ist von 80% auf 37% gesunken.
I Ursache: Die standardisierte Dokumentation während des stationären Aufenthaltes machte deutlich, dass ein Großteil der suchtkranken Frauen nicht dazu in der Lage ist, eine stabile und tragfähige Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen, die zur Befriedigung der elementaren Bedürfnisse des Kindes erforderlich ist.
Lübecker Modell zeigt zwei deutliche Veränderungen bei
Betreuung von Neugeborenen mit Drogenentzug
Wygold,T., Michel C., Herting E. Das Krankheitsbild des neonatalen Drogenentzugs (NAS),
Kinderärztliche Praxis 2006, 77: 148 - 152
Suchtbericht 2014
Suchtbericht 2014
2. Sächsischer Drogen- und Suchtbericht
Häufigkeit des opioid- und des methamphetamin-induzierten
Neonatalen Abstinenz Syndroms (NAS) in Sachsen 2007 - 2015
0
1
2
3
4
5
6
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
opioid-induziert methamphetamin-induziert
Häufigkeit des opioid- und des methamphetamin-induzierten
Neonatalen Abstinenz Syndroms (NAS) in Sachsen 2007 - 2015
0
1
2
3
4
5
6
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
opioid-induziert methamphetamin-induziert
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, RB Chemnitz)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
RB Chemnitz
Fälle/Jahr
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, RB Chemnitz)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
RB Chemnitz
Fälle/Jahr
620 %
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, RB Leipzig)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
RB Leipzig
Fälle/Jahr
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, RB Leipzig)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
RB Leipzig
Fälle/Jahr 630 %
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, RB Dresden)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
RB Dresden
Fälle/Jahr
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, RB Dresden)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
RB Dresden
Fälle/Jahr
1100 %
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, Sachsen)
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Sachsen gesamt
Fälle/Jahr
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch Einnahme von
abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die Mutter (Crystal, Sachsen)
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Sachsen gesamt
Fälle/Jahr 820 %
Warum ist diese Droge auf dem Vormarsch ?
sie gibt das, was unsere Gesellschaft fordert:
I wach sein
I leistungsfähig sein
I gut drauf sein
I schlank sein und abnehmen können
I sich ausprobieren (auch sexuell)
I preiswert („Geiz ist geil“)
I Balanceakt zwischen Sucht und life style
I drei Gruppen von Konsumenten:
― life style
― Leistungssteigerung
― klassische Suchtkonsumenten
Erkennen der Konsumentinnen
I Wacher Blick
I Stigmata
Erkennen der Konsumenten
I Wacher Blick
I Stigmata
Anamnese
Erkennen der Konsumenten
I Wacher Blick
I Stigmata
Anamnese
P04.4 Schädigung des Feten und Neugeborenen durch
Einnahme von abhängigkeitserzeugenden Drogen durch die
Mutter (Universitätsklinikum Dresden, Crystal, n = 146)
0
5
10
15
20
25
30
35
40
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
Mütterliches Alter
0
5
10
15
20
25
30
35
< 20 21 - 25 26 - 30 31 - 35 36 - 40 > 40
Zeitpunkt der ersten Vorsorgeuntersuchung
0
5
10
15
20
25
30
35
40
bis 12. SSW 13.-19. SSW 20. SSW keine
Zeitpunkt der ersten Vorsorgeuntersuchung
0
5
10
15
20
25
30
35
40
bis 12. SSW 13.-19. SSW 20. SSW keine
Beikonsum der Mütter
0 20 40 60 80 100
Nikotin
Cannabis
Alkohol
Psychopharmaka
Opiate
Gesamt
Drogennachweis im Urin postpartal
positiv negativ n. u. positiv negativ n. u.
bei der Mutter beim Neugeborenen
Gestationsalter der Neugeborenen
0
10
20
30
40
50
60
70
< 30 30 - 31 32 - 33 34 - 36 > 37 SSW
Gestationsalter der Neugeborenen
0
10
20
30
40
50
60
70
< 30 30 - 31 32 - 33 34 - 36 > 37 SSW
Frühgeborenenrate = 32 %, d.h.
ca. 4 – fach höher
Geburtsgewicht der Neugeborenen
0
10
20
30
40
50
60
70
< 10.
Perzentile
10. - 90.
Perzentile
> 90.
Perzentile
Geburtsgewicht der Neugeborenen
0
10
20
30
40
50
60
70
< 10.
Perzentile
10. - 90.
Perzentile
> 90.
Perzentile
Rate an hypotrophen
Neugeborenen 24,2 %, d. h.
ca. 3 - fach höher
Kopfumfang der Neugeborenen
0
10
20
30
40
50
60
70
80
< 10.
Perzentile
10. - 90.
Perzentile
> 90.
Perzentile
Kopfumfang der Neugeborenen
0
10
20
30
40
50
60
70
80
< 10.
Perzentile
10. - 90.
Perzentile
> 90.
Perzentile
Rate an Neugeborenen mit
Mikrozephalie 22,1 %, d. h.
ca. 3 - fach höher
Morphologische Auffälligkeiten
0% 20% 40% 60% 80% 100%
somat. Fehlbildungen
Niere
Herz
Hirn
angeborene Auffälligkeit Fehlbildung normal nicht untersucht
Universitäts Kinder- und Frauenzentrum mit Perinatalzentrum-I
Schwangerenvorsorge Entbindung GYN
KIK
Frauen mit
Kinderwunsch
Schwangere
Zusammenfassung
Das ungeborene Kind ist potentiell durch eine Vielzahl
suchtauslösender Substanzen gefährdet, die
I Fehlbildungen (Teratogenität)
I Gewebedestruktionen und/oder Wachstumsretardierung
I Fetale Drogenabhängigkeit
auslösen können.
Zusammenfassung
I Die Folgezustände beim Neugeborenen, insbesondere das
neonatale Drogenentzugssyndom, werden zu selten diagnostiziert,
da u.a. die Kenntnis dieser fetalen und neonatalen Erkrankungen oft
unzureichend ist.
I Dies birgt Risiken für das Kind, da für viele dieser Erkrankungen des
Neugeborenen wirksame vorbeugende und Behandlungsmethoden
zur Verfügung stehen und ein Netzwerk sozialer Hilfen aktiviert
werden muß.
We were wrong about „Crack Babies“: Are we repeating our
mistake with „Meth Babies“?
David Lewis MD, 2005
The headlines have changed. Today we are reading about „meth
babies“, again without having any evidence of what real risks are to the children and their families. …..If we want to address the problems associated with the use of methamphetamines, we have to focus on prevention and treatment for mothers, children, and families and avoid the stigmatizing labels that lead to punitive policies.