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1© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische
Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 79 (2010), Heft
4
Sonderdruck
Martin MensingerMario FontanaAndrea Frangi
DOI: 10.1002/stab.201001320
Im Zuge des nachhaltigen Bauens tritt die Multifunktionalität
vonDecken immer mehr in den Vordergrund und verdrängt rein
stati-sche Überlegungen beim Entwurf von Decken. Bereits
vorhande-ne individuelle Lösungen und multifunktionale
Deckensystemewerden vorgestellt. Ein Vorteil dieser Systeme stellt
die Integrati-on der Installationsebene in die Konstruktionshöhe
dar.
Eine Weiterentwicklung dieser Ansätze stellt das Decken-system
Topfloor integral dar, welches aus einem halben Waben-träger und
einer Betonplatte besteht. Die Öffnungen in denWaben ermöglichen
eine flexible Installationsführung und führenzu einer hohen
Materialeffizienz. Versuchsergebnisse vonstatischen Trägerversuchen
werden vorgestellt und mit üblichenBerechnungsmodellen des
Verbundbaus verglichen. Anhand derVersuchsergebnisse werden die
Schubübertragung und die ausihr resultierenden lokalen
Beanspruchungen im Bereich derWaben detailliert diskutiert.
Ingenieurmäßige Nachweise zumBiegedrillknicken und zur
Schubeinleitung in den Beton durchBewehrungsstäbe werden ebenso
vorgestellt wie Überlegungenzum Feuerwiderstand und zum dynamischen
Verhalten derDecke. Am Ende des Beitrages werden erste Beispiele
von mitdem neuen Deckensystem ausgeführten Bauten vorgestellt.
Development of a composite slab system with integrated
in-stallation floor and increased material-efficiency. The need
ofsustainable buildings demands the design of multifunctional slabs
considering more than only structural aspects. The paperpresents
state-of-the-art solutions for multifunctional slabs and a novel
type of composite floor system using cellular beams.A major benefit
of the multifunctional slabs is the integration ofan installation
floor. The new developed system “Topfloor inte-gral” uses half
cellular beams made of existing hot-rolled sec-tions with welded
reinforcing bars. The openings in the cellularbeams allow the
placing of installations in all directions, thus pro-viding
excellent flexibility to the user when maintaining or chang-ing
installations. The results of tests on the structural behaviorand
the load-carrying capacity are presented and compared toproposed
design models for the “Topfloor integral” slabs. Localstresses
caused by shear forces at the web openings are dis-cussed.
Additional information about lateral-torsional-buckling,the design
of the shear connection using common reinforcingbars, the fire
resistance and the dynamic behavior are given.Finally, the paper
presents some examples of first buildingswhere the novel type of
floor system is used.
1 Einführung
Die an Deckenkonstruktionen gestellten Anforderungenwerden
traditionell auf drei grundlegende Funktionalitä-ten zurückgeführt:
Decken sind lastabtragende Konstruk-tionselemente, trennen Räume
und dienen als Versorgungs-ebenen. In den letzten Jahren hat neben
den drei klassi-schen Funktionalitäten die Funktion der Decke als
Teilder Gebäudeklimatisierung und als Installationsebene
fürVersorgungselemente der Haustechnik an Bedeutung ge-wonnen. Die
in der Vergangenheit übliche Trennung dergenannten Funktionen wurde
in den letzten Jahren zu-nehmend aufgegeben. Ein Beispiel für die
Trennung derFunktionen einer Decke ist in Bild 1 dargestellt.
Diese Entwicklung steht in einem engen Zusammen-hang mit der
Idee des nachhaltigen Bauens. Dabei werdenvor allem ökologische,
ökonomische und soziokulturelleAspekte berücksichtigt. Hier lassen
sich Deckensystemenur im Gesamtkontext des Lebenszyklus eines
Bauwerkesbetrachten, zum Beispiel auf der Grundlage von
[2].Trotzdem können einige wichtige Aspekte wie Massenop-timierung
und Flexibilität in der Nutzung als generell gül-tig angesehen
werden. Auch die Reduktion der Gesamt-
Entwicklung eines multifunktionalenDeckensystems mit erhöhter
Ressourceneffizienz
Bild 1. Deckenkonstruktion mit Hohlboden und abgehängterDecke
nach [1]Fig. 1. Slab with raised floor and suspended
ceilingaccording to [1]
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multifunktionalen Deckensystems mit erhöhter
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konstruktionshöhe einer Geschossdecke spielt eine großeRolle, da
sich mit schlanken Decken eine größere Anzahlan Geschossen und
damit eine höhere Ausnutzung vorallem innerstädtischer Flächen
erzielen lässt. Diese Über-legungen haben in der jüngeren
Vergangenheit sowohl zurRealisierung innovativer Einzellösungen als
auch, vorallem im europäischen Ausland, zur Entwicklung
inno-vativer Stahlbaulösungen für multifunktionale Decken-systeme
geführt.
2 Aktuelle Konstruktionsformen2.1 Gefaltete Deckenkonstruktion
beim Hochhaus
WestendDuo in Frankfurt am Main
Als Beispiel einer besonders gelungen Einzellösung seihier auf
das Hochhaus WestendDuo in Frankfurt amMain verwiesen. Mit dem Ziel
der Konstruktionshöhen-optimierung wurde bei dem WestendDuo ein
integriertesDeckensystem entwickelt, dessen Idee darin besteht,
so-wohl die obere als auch die untere Installationsebene indie
Konstruktionshöhe des Tragwerkes zu integrieren(Bild 2). Die
Konstruktion wird dabei durch schlanke ge-schweißte Stahlträger mit
Spannweiten von ca. 12 m ge-bildet. Die in den Außenbereichen
untenliegende, in derGebäudemitte aber nach oben verspringende,
schlaffbe-wehrte Ortbetondecke mit einer Dicke von 15 cm bildetden
Raumabschluss und erfüllt die Anforderungen an denSchall- und den
Brandschutz. Zusätzlich übernimmt siestatische Funktionen wie
Scheiben- und Plattentragwirkung.
In den Bereichen, in denen die Stahlträger nicht in
dieDeckenplatte einbinden, sind diese mit einer
Brandschutz-verkleidung geschützt, so dass die Konstruktion (auch
imHohlboden) einen Feuerwiderstand von R120 erfüllt.
Der Vorteil der gefalteten Decke ist dabei in ihrerraumteilenden
Funktion zu sehen. Die den einzelnenStockwerken zugehörigen
Installationen müssen nichtdurch schall- und brandschutztechnisch
möglicherweiseproblematische Durchbrüche geführt werden. Die
Kon-struktion basiert auf der Erkenntnis, dass ein Hohlbodenzur
Leitungsführung nur im Bereich der Büronutzung undeine Zu- und
Abluftzufuhr nur im Flurbereich nötig ist.
Das gewählte Deckensystem benötigt keine Zwi-schenstützen und
erfüllte die Anforderungen des Bau-herrn: – Flexibilität des
Grundrisses (Stützenfreiheit)– Minimierung der Geschosshöhen (es
konnten gegen-
über konventionellen Lösungen zwei zusätzliche Ge-schosse
realisiert werden)
– Minimierung der Tragwerkslasten (führte zu reduzier-ten
kleineren Dimensionen der Stützen und zu Einspa-rungen bei der
Gründung)
– Integration der haustechnischen Installationen– Ermöglichung
wirtschaftlicher Bauabläufe
Nach [3] hat die Inkaufnahme der höheren Baukostenaufgrund des
Mehrertrags in der Vermietung der Immobi-lie die Rentabilität des
Projektes erhöht. Weitere Informa-tionen zum Projekt finden sich in
[4].
Bild 2. Gefaltete Decke beim Hochhaus WestendDuo in Frankfurt am
Main [3]Fig. 2. Folded slab used at the high-rise building
WestendDuo in Frankfurt/Main [3]
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2.2 Slimline Buildings / Infra+
Dieses von der niederländischen Firma Slimline
Buildingsvertriebene Deckensystem (s. Bild 3) folgt ebenfalls
derIdee, die Installationsebenen in die Ebene der Konstruk-tion zu
integrieren und so schlanke und flexible Decken-konstruktionen zu
ermöglichen. Das System, für welchesin den Niederlanden eine
bereits über 10-jährige Anwen-dungstradition besteht, wurde in
Deutschland bisher nochnicht eingesetzt. Im Unterschied zur bereits
vorgestelltenOrtbetonlösung handelt es sich um eine schnell zu
ver-legende Stahl-Beton-Fertigteillösung. Diese besteht
ausWalzprofilen, die zusammen mit einer ca. 70 mm
starkenBetonplatte eine umgekehrte PI-Platte bilden, aber nichtim
Verbund mit ihr wirken. Die Betonplatte spannt als un-tere Decke
zwischen den Stahlträgern, die einen Abstandzwischen 0,6 m und 1,20
m aufweisen. Die Platte dientdem Raumabschluss (Brand und Schall),
kann zur Klima-tisierung aktiviert werden und trägt die Lasten aus
denInstallationen.
Der obere Boden der Decke kann wahlweise als Hohl-raumboden oder
als Doppelboden ausgeführt werden(Bild 4). Bei der Ausführung als
Hohlraumboden wird derEstrich mit integrierter Fußbodenheizung auf
ein niedri-ges, schwalbenschwanzförmig hinterschnittenes
Profil-blech aufgebracht. Dieses wird, um eine sehr gute Tritt-
schalldämmung zu erreichen, mit Hilfe von Elastomer-streifen
gefedert auf die Stahlprofile aufgelagert.
Die Stahlträger selbst weisen, je nach Bedarf, großeindividuelle
Aussparungen zur Durchführung der Installa-tionen auf. In der
Installationsebene werden sowohl diefür eine Klimatisierung nötigen
Zu- und Ablaufleitungenals auch die Versorgungsleitungen für eine
Büronutzunggeführt. Durch dieses Konzept können Durchbrüchedurch
die Decke notwendig werden, die für den Brandfallabgeschottet
ausgebildet werden müssen und auch schall-technisch sorgfältig
geplant werden sollten.
Die Deckenkonstruktion weist für den Fall einerBrandbelastung
von unten einen Feuerwiderstand größerals REI 120 min auf, ohne
dass Brandschutzmaßnahmenfür die Stahlträger nötig sind [6]. Bei
den in [6] dargestell-ten Brandversuchen wurden dabei
Deckendurchbrüchefür Beleuchtungselemente, Elektroverteilerdosen
und iso-lierte Installationsrohre etc. berücksichtigt. Die im
Versuchaufgetretenen Temperaturen lagen auch nach 145 minBranddauer
oberhalb des Betons jeweils unter 140 °C.
Bei einer Brandbelastung von oben kann auf die Feuer-widerstände
der Bodenelemente zurückgegriffen werden.Aufgrund der in
Doppelböden üblicherweise vorliegendengeringen Brandlast und den
für eine Brandentstehung un-günstigen Ventilationsverhältnissen
wurde ein Brand imHohlraum des Doppelbodens selbst nicht
betrachtet.
Tabelle 1. Vorbemessungstabelle für Gebäude mit einer Ausbaulast
von 1,0 kN/m2 und einer Nutzlast von 4,0 kN/m2 [5]Table 1.
Preliminary design values for buildings with 1,0 kN/m2 additional
dead load and 4,0 kN/m2 live load
s = s = s = s =6000 mm 8000 mm 10000 mm 12000 mm
a = 600 mm IPE 220 IPE 270 IPE 300 IPE 360
a = 900 mm IPE 240 IPE 300 IPE 360 IPE 400
a = 1200 mm IPE 270 IPE 330 IPE 400 IPE 450
a: Trägerabstand / s: Trägerspannweite
Bild 3. Multifunktionales Deckensystem der Firma
SlimlineBuildings [5]Fig. 3. Multifunctional floor system “Slimline
Buildings” [5]
Bild 4. Bodenausbildung als höhenjustierbarer Doppelboden mit
akustischer Trennung [5]Fig. 4. Construction details of the
adjustable raises floor with acoustic separation [5]
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Für das System liegen zahlreiche Detaillösungen hin-sichtlich
der akustischen Trennung von Nutzereinheitenvor. Die akustische
Trennung erfolgt dabei nicht nurdurch die Decke selbst, sondern zum
Beispiel auchzwischen zwei benachbarten Wohneinheiten. Auf dem
inBild5 dargestellten Detail wird durch Ausführung des
Auf-lagerträgers mit zwei U-Profilen eine akustische Trennungder
Konstruktionselemente erreicht. Werden diese U-Pro-file an ein und
dieselbe Stütze angeschlossen, kann dieseTrennung jedoch zumindest
teilweise wieder aufgehobenwerden. Bei der Detaillierung
derAnschlüsse derAuflager-träger sollten daher schalltechnische
Erfordernisse mit be-rücksichtigt werden. Es kann in bestimmten
Fällen auchsinnvoll sein, Doppelstützen anzuordnen, die eine
kom-plette akustische Trennung zwischen Nutzereinheiten
er-möglichen.
Laut Herstellerangaben sind mit dem System folgen-de
schalltechnischen Werte erreichbar:
Luftschall: R'w = 60 – 62 dBTrittschall L'm,w = 47–50 dB
Das System wurde in den Niederlanden für eine Vielzahlvon Büro-
und Wohngebäuden sowie Hotels eingesetzt.Durch den hohen Grad der
Vorfertigung sind sehr kurzeMontagezeiten möglich. Hauptargumente
für die Anwen-dung sind jedoch die durch das System zur Verfügung
ge-stellte Flexibilität in der Nutzung, die optimale Integrationvon
Heizung und Kühlung sowie der geringe Ressourcen-verbrauch. In
bestimmten Fällen, insbesondere bei Auf-stockungen, ist auch das
besonders geringe Eigengewichtder Konstruktion von Bedeutung.
Als ein Anwendungsbeispiel sei hier das als Wohnge-bäude
genutzte Hochhaus La Fenêtre in Den Haag genannt
Bild 5. Lagerung der Deckenelemente mit Auflagerknaggen (links)
und direkte Auflagerung auf Stahlträger mit breitemunterem Flansch
(rechts) [5]Fig. 5. Support of the slab element using steel angles
(left) and direct support on steel beams with broad lower flanges
(right) [5]
Bild 6. Wohngebäude La Fenêtre in Den HaagFig. 6. Residential
building La Fenêtre, Den Haag
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(Bild 6). Das Gebäude mit 16 Stockwerken besitzt eineHöhe von 70
m. Im Projekt wurden insgesamt 16000 m2
Deckenelemente verlegt. Die Deckenelemente sind größ-tenteils in
Längsrichtung des Gebäudes angeordnet undhaben eine
durchschnittliche Spannweite von 7,2 m. Auf-grund der
Gebäudenutzung wurde kein Doppelboden,sondern ein Hohlraumboden
ausgebildet. Die akustischeTrennung zwischen den Wohneinheiten
erfolgte wie inBild 7 dargestellt.
3 Ressourceneffizientes multifunktionales Deckensystem3.1
Prinzip des Deckensystems
Das Deckensystem Topfloor integral ist eine Entwicklungder ETH
Zürich, und der Schweizer Stahlbaufirma H.Wetter AG, für das in
Deutschland ein Gebrauchsmuster-schutz [7] und in der Schweiz
Patentschutz ([8] und [9])besteht. Das System verfolgt die
Grundidee der Integra-tion des Hohlbodens in die statische
Konstruktionshöheund realisiert dies mit Hilfe einer
Fertigteillösung. Im Un-terschied zur niederländischen Lösung
werden jedochnicht ganze Stahlträger zur Herstellung des
Fertigteils ge-nutzt, sondern es werden halbierte Wabenträger in
einemAbstand von 1,25 m schubfest mit der unten liegenden90 mm bis
100 mm dicken Betonplatte verbunden. Da-durch wird, ganz im Sinne
des nachhaltigen Bauens, eine
größere Materialeffizienz und eine größere
Flexibilitäthinsichtlich der Installationsführung und auch der
mög-lichen späteren Veränderung der Installationen erzielt.
Beim Einsatz in Negativlage (d. h. mit Betonplattenach unten,
vgl. Bild 8) können Doppel- und Hohlraum-böden in ähnlicher Weise
ausgebildet werden, wie diesbeim im vorigen Abschnitt vorgestellten
System möglichist. Die Aktivierung der Decke als Kühlelement und
dieIntegration einer Fußbodenheizung erfolgen ähnlich wiebei dem
bereits beschriebenen System. Beim Einsatz inPositivlage (d. h. mit
Betonplatte nach oben, vgl. Bild 9)wird das System zweckmäßig mit
einer abgehängtenDecke kombiniert, mit deren Hilfe sich auch
Brand-schutzanforderungen erfüllen lassen.
3.2 Bauteilversuche an Biegeträgern
Das Trag- und Verformungsverhalten des DeckensystemsTopfloor
integral sowohl in Negativ- als auch in Positiv-lage wurde durch
zwei großmaßstäbliche Bauteilversuchean der ETH Zürich untersucht
[10]. Besondere Beachtungwurde der Anwendbarkeit der Regelungen der
EN 1994-1-1[11] und EN 1992-1-1 [12] für die
Schubübertragunggewidmet. Ein Probekörper wurde in Positivlage
(vgl.Bild 10, Beam 1) und ein Probekörper in Negativlage (vgl.Bild
11, Beam 2) getestet. Die Probekörper wiesen eineLänge von 7,4 m
auf. Als Grundprofil der halben Waben-träger wurde ein IPE360 in
der Stahlgüte S 235 eingesetzt.Der Wabenschnitt wurde so gewählt,
dass die Höhe deshalbierten Trägers 270 mm betrug. Die Dicke des
Beton-gurtes betrug jeweils 80 mm. Es wurde ein normaler Betonder
Festigkeitsklasse C25/30 gemäß EN 1992-1-1 [13] ver-wendet.
Zur Schubübertragung zwischen Stahlträger undBetonplatte wurden
jeweils zwei Bewehrungsstäbe mitDurchmesser 16 mm für den
Versuchskörper in Positiv-lage und Durchmesser 20 mm für den
Versuchskörper inNegativlage seitlich an den Stegen der Stahlträger
ange-schweißt. Die Betonplatten wurden mit einer Netzbeweh-rung
(Durchmesser 10 mm, Abstand 150 mm für beideRichtungen) bewehrt.
Für den Versuchskörper in Negativ-lage wurden drei zusätzliche
Bewehrungsstäbe mit einemDurchmesser von 10 mm durch jede Öffnung
der Waben-träger in Querrichtung geführt. Dazu wurde Betonstahlder
Festigkeitsklasse B500 gemäß EN 1992-1-1 [13] ver-wendet.
Bild 7. Akustische Trennung zwischen zwei Nutzereinheiten[5];
zusätzlich ist der Hohlraum in der Decke, z. B. mitMineralwolle, zu
schließen (hier nicht dargestellt)Fig. 7. Acoustic separation
between two building units;further, the hollow space should be
filled e.g. with mineralwool [5]
Bild 8. Konstruktionsprinzip Topfloor integral in Negativ-lage
[8], [9]Fig. 8. Principal design of “Topfloor integral” elements
withconcrete slab on the bottom [8], [9]
Bild 9. Konstruktionsprinzip Topfloor integral in
Positivlage[10], [8]Fig. 9. Principal design of “Topfloor integral”
elements withconcrete slab on the top side [10], [8]
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Die Versuche wurden als 4-Punkt-Biegeversuchedurchgeführt. Bild
12 rechts zeigt das Last-Durchbie-gungs-Diagramm für den
Versuchskörper in Positivlage.Der Träger zeigte ein
linear-elastisches Materialverhaltenbis zu einer Last von ca. 70 kN
und begann bei einer Lastvon ca. 93 kN zu fließen. Der Biegeversuch
wurde nach
Erreichen einer Durchbiegung von mehr als 200 mm ab-gebrochen
(vgl. Bild 12, links). Bild 14 rechts zeigt
dasLast-Durchbiegungs-Diagramm für den Versuchskörper
inNegativlage. Der Träger zeigte ein rein
linear-elastischesMaterialverhalten bis zu einer Last von ca. 8 kN,
als sichder erste Riss in der auf Zug beanspruchten Betonplatte
Longitudinal section
2400 2400
300
2400100 100
180 420 180
18090
Detail steel beam
180
Cross-section 625 625
1/2 WPE 360220
30
Steel reinforcing
mesh φ10-1502 φ16 300
30
3020
50
Stiffener StiffenerStiffenerF F
Bild 10. Versuchskörper in Positivlage (Beam 1)Fig. 10. Test
specimen with concrete slab on top (Beam 1)
Longitudinal section
2400 2400
290
2400100 100
Cross-section
625 625
1/2 WPE 360210
60
Steel reinforcing
mesh φ10-150 2 φ20 φ10
Stiffener Stiffener
180420180
18090
Detail steel beam180
20
290
303020
StiffenerF F
Bild 11. Versuchskörper in Negativlage (Beam 2)Fig. 11. Test
specimen with concrete slab on the bottom (Beam 2)
Bild 12. Biegeversuch am Träger in Positivlage (links) und
Vergleich zwischen Versuchsresultaten und Berechnungsmodellgemäß EN
1994-1-1 [11] (rechts)Fig. 12. Bending test with composite beam
with concrete slab on top (left) and comparison between test
results and simplecalculation model according to EN 1994-1-1 [11]
(right)
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bildete. Mit zunehmender Last bildeten sich weitere Rissein der
Betonplatte, die die Biegesteifigkeit des Verbund-trägers
reduzierten und zu einer nicht-linearen Zunahmeder Durchbiegung
führten. Der letzte Riss wurde bei einerLast von ca. 45 kN
beobachtet. Die in der Betonplatteverlegte Längsbewehrung begann
bei einer Last von ca.66 kN zu fließen. Der Biegeversuch wurde nach
Erreicheneiner Durchbiegung von ca. 200 mm abgebrochen (vgl.Bild 14
links). Gemäß visueller Beobachtungen nach demBiegeversuch kann
angenommen werden, dass der obereFlansch des Stahlträgers während
des Fließens der in derBetonplatte verlegten Bewehrungen auch die
Fließgrenzeerreichte.
Während beider Versuche wurde keine relative Ver-schiebung
(Schlupf) zwischen Stahlträger und Betonplattegemessen. Die Annahme
einer starren Verbundfuge wurdesomit experimentell bestätigt. Bild
12, rechts beziehungs-weise Bild 14, rechts zeigen zudem den
Vergleich zwi-schen Versuchsresultaten und Berechnungsmodell
gemäßEN 1994-1-1 [11] (vgl. auch Bild 13 und Bild 15), wobeidie
Berechnung der Biegesteifigkeit und des Biegewider-standes unter
Annahme einer starren Verbundfuge sowieunter Berücksichtigung der
effektiven gemessenen Material-kennwerten (Betondruckfestigkeit und
Fließgrenze des Bau-stahls und Betonstahls) erfolgte. Eine gute
Übereinstim-mung zwischen Versuchsresultaten und Berechnungsmo-
Tabelle 2. Fließspannung und Bruchspannung der bei Versuch 2
verwendeten StähleTable 2. Yield strength fy and tensile strength
fu of Beam 2 and reinforcing steel
Baustahl Bewehrung ∅ 10 mm Bewehrung ∅ 20 mm
Test 1 Test 2 Test 1 Test 2 Test 1 Test 2
fy in N/mm2 314 304 481 475 545 544
fu in N/mm2 428 430 617 618 649 647
Mpl
+
-0.85.fc
fy
Bild 14. Biegeversuch am Träger in Negativlage (links) und
Vergleich zwischen Versuchsresultaten und Berechnungsmodellgemäss
EN 1994-1-1 [11] (rechts)Fig. 14. Bending test with composite beam
with concrete slab on the bottom (left) and comparison between test
results andcalculation model according to EN 1994-1-1 [11]
(right)
Bild 13. Vereinfachtes Berechnungsmodell für die Berech-nung des
Biegewiderstandes Mpl des Versuchskörpers inPositivlageFig. 13.
Simplified model for the calculation of the plasticresistance
moment Mpl of the composite Beam 1 withconcrete slab on top
Bild 15. Vereinfachtes Berechnungsmodell für die Berech-nung des
Biegewiderstandes Mpl des Versuchskörpers inNegativlageFig. 15.
Simplified Model for the calculation of the plasticresistance
moment Mpl of the composite beam with concreteslab on the
bottom
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dell kann für beide Fälle festgestellt werden. Eine
ausführ-liche Darstellung der Trägerversuche findet sich in
[8].
3.3 Statische und konstruktive Detailfragen3.3.1 Lokale
Instabilitäten
Lokale Instabilitätserscheinungen können bei Einsatz desSystems
in Negativlage nur bei den Stegen der halben Wa-benträger
auftreten. Betrachtet man den Stegstummel inder Wabenöffnung als
einseitig gestützten Flansch undden Steg zwischen den Waben als
beidseitig gestütztenSteg, lässt sich mit Hilfe der
c/t-Verhältnisse nach EN1993-1-1, Tabelle 5-2 [12] feststellen,
dass für Träger ausS 235 in der überwiegenden Zahl der
baupraktischen Fäl-le nicht mit einem lokalem Stabilitätsversagen
zu rechnenist (Bilder 16 und 17). Bei höheren Stahlgüten sind
lokaleStabilitätserscheinungen, wie zum Beispiel Stegbeulen
amÜbergang Wabe – Wabenöffnung, zusätzlich zu untersu-chen. In
vielen baupraktischen Fällen wird die Bemessungder Träger jedoch
durch die Gebrauchstauglichkeitsanfor-derungen und das
Schwingungsverhalten bestimmt, sodass der Einsatz höherer
Stahlgüten meist nicht notwen-
dig wird. Im Weiteren wird in diesem Aufsatz daher
aus-schließlich von Klasse-1-Querschnitten ausgegangen.
3.3.2 Verteilung der Querkraft zwischen Betongurt und
Stahlteil
Für den effizienten Einsatz des Systems sind ausreichendgroße
Wabenöffnungen besonders wichtig. Diese erleich-tern zum einen die
Installationsarbeiten, zum anderen er-lauben sie größere
Konstruktionshöhen und tragen damitzu einem besseren
Schwingungsverhalten bei. Die maxi-mal mögliche Wabenhöhe wird
durch das Auftreten se-kundärer Biegemomente aufgrund von
Querkräften imBereich der Wabenöffnungen limitiert. Die maximal
mög-liche Öffnungshöhe kann mit Hilfe einfacher mechani-scher
Modelle berechnet werden. Dabei sind die aus pri-märer und
sekundärer Tragwirkung auftretenden Span-nungen miteinander zu
überlagern. Aktuell wird für dieBemessung der Deckenplatten das in
Bild 18 dargestellteModell verwendet, welches für den Fall der
Negativlagerealitätsnahe und für den Fall der Positivlage
konservativeErgebnisse liefert. Dieses geht aufgrund der einlagigen
Be-wehrungsführung im Betonquerschnitt davon aus, dassdieser
gelenkig an die Waben angeschlossen ist und selbstkeine
Biegemomente aufnimmt. Tatsächlich weist der Be-tonquerschnitt
durchaus eine gegenüber dem T-förmigenStahlrestquerschnitt nicht
vernachlässigbare Biegesteifig-keit aus, die zu einer geringeren
lokalen Beanspruchungdes T-Querschnittes durch Biegung führt. Die
tatsäch-lichen Steifigkeitsverhältnisse werden durch die
Rissbil-dung im Beton und durch die lokal mitwirkende Breitedes
Betonquerschnittes beeinflusst.
Anhand der in Abschnitt 3.2 geschilderten Träger-versuche wird
das Modell überprüft. Es zeigt sich, dass inPositiv- und in
Negativlage deutlich unterschiedlicheMechanismen auftreten.
Bei Versuch 1 in Positivlage wurde das Fließplateaubei einer
Pressenlast von ca. 92 kN erreicht. Unter derLasteinleitung traten
damit ein Biegemoment M von221 kNm und eine Querkraft V von 92 kN
auf. Diese glo-balen Beanspruchungen führen sowohl im
Stahl-T-Profilals auch im Betongurt zu einer Beanspruchung durch
eine
Bild 16. c/t-Verhältnisse für den vollständig überdrücktenSteg
zwischen den Waben (S 235)Fig. 16. c/t values for the web between
the openingsassuming that it acts as internal compression part
(steel grade: S 235)
Bild 17. c/t-Verhältnisse für den einseitig gestützten
Steg-stummel der Wabenöffnungen (S 235)Fig. 17. c/t values for the
web at the openings assuming thatit acts as outstand flange (steel
grade: S 235)
Bild 18. Mechanisches Modell zur Bestimmung derBeanspruchungen
im Bereich der WabenöffnungFig. 18. Static model for calculating
stresses in steel sectionat the openings
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Normal-, eine Querkraft und ein lokales Biegemoment.Dabei sind
sowohl der innere Hebelarm (und damit dieNormalkräfte) als auch das
jeweilige lokale Biegemomentvon der Verteilung der Querkraft
abhängig.
Für den stählernen T-Querschnitt wurde daher eineplastische
Schnittgrößeninteraktion durchgeführt. Dazuwurde für eine, in einem
ersten Iterationsschritt geschätz-te, Querkraft im Stahlprofil die
notwendige Stegfläche er-rechnet. In der hier vorgenommenen
Auswertung wurdediese etwas vereinfacht als über die gesamt
Querschnitts-höhe durchgehend angenommen. Für den auf diese
Weiseermittelten Restquerschnitt wurde in einem nächstenSchritt
unter Berücksichtigung der Ausrundungen die La-ge des Schwerpunktes
xs ermittelt.
Unter Berücksichtigung der plastischen Druckzonen-höhe des
Betons kann so der innere Hebelarm des Gesamt-systems und die
Normalkraftbeanspruchung des T-Quer-schnittes in der Wabe sowie die
Normalkraftbeanspru-chung im Betonquerschnitt aus dem globalen
Moment be-stimmt werden. Über die Verschiebung des Schwerpunktsxs
des Restquerschnittes beeinflusst die im T-Querschnittvorhandene
Querkraft damit die aus dem globalen Mo-ment resultierenden
Normalkräfte im T-Querschnitt undim Betongurt. Die zurAufnahme der
Normalkraft aus demglobalen Moment notwendige Fläche lässt sich
einfachmit Hilfe der Fließspannung errechnen und wird symme-trisch
zum Schwerpunkt des Restquerschnittes angeord-net. Die
verbleibenden Flächen im Steg und im oberenTeil des Flansches
können zur Aufnahme des durch dieQuerkraft verursachten lokalen
Biegemomentes im Be-reich der Wabenöffnungen genutzt werden:
(1)
Dabei ist b die obere Öffnungsbreite der Wabe im Falledes
Stahlteils und die untere Öffnungsbreite im Fall desBetongurtes.
Durch Gegenüberstellung des einwirkendenlokalen Momentes Mlokal und
des durch die Restflächengegebenen aufnehmbaren Moments kann
überprüft wer-den, ob der Querschnitt in der Lage ist, die ihm
zugewie-sene Querkraft aufnehmen zu können.
Die durch den Betongurt aufnehmbare Querkraftkann unter
Berücksichtigung der Längsspannungen nachDIN 1045-1, Abschnitt
10.3.3, Gl. (70) [14] oder alternativnach EN1993-1-1Abschnitt
6.2.2, Gl. (6.2a) [13] bestimmtwerden. Die Defaultwerte des
Eurocodes führten dabei zueiner besseren Übereinstimmung mit den
Versuchsergeb-nissen als die Werte der DIN 1045-1.
M V blokal = ⋅ 2
Für den Betongurt lässt sich damit die aufnehmbareQuerkraft wie
folgt bestimmen:
(2)
mit
Bewehrungsgrad des Betongurtes
Normalspannung im Betongurt (beiDruck positiv)
d statische Höhe; Nutzhöhe der Biegebe-wehrung, im hier
betrachteten Fall ent-spricht dies der halben Dicke des
Be-tongurtes
bw lokale mitwirkende Breite des Beton-gurtes
Die Gleichung gibt die Abhängigkeit der aufnehmbarenQuerkraft
von den Betonlängsspannungen wider: Druck-spannungen in
Längsrichtung führen zu einer Erhöhungder Querkraftfähigkeit,
Zugspannungen zu einer Reduzie-rung. Erreicht die Längsbewehrung
des Gurtes die Fließ-grenze, verliert der Gurt praktisch seine
Schubtragfähig-keit. Die lokale mitwirkende Breite des Betongurtes
konn-te bei den Versuchen nicht exakt bestimmt werden.
DieAuswertungen deuten jedoch daraufhin, dass sie in
derGrößenordnung zwischen 600 mm und 500 mm gewesensein muss. Das
durch die im Betongurt übertragene Quer-kraft erzeugte lokale
Biegemoment kann auch bei teilwei-ser Ausnutzung der Bewehrung
durch Biegung im Beton-gurt selbst aufgenommen werden und ist für
bauprakti-sche Abmessungen als unkritisch zu betrachten.
Mit Hilfe des dargestellten plastischen Bemessungs-konzeptes für
Träger in Positivlage wurde Versuch 1 aus-gewertet. Dazu wurde die
durch das Stahlprofil aufnehm-bare Querkraft iterativ ermittelt,
der Rest der Querkraftwurde dem Betongurt zugewiesen. Weiter wurde
unter-sucht, welchen Einfluss Biegung im Betongurt auf
dieQuerkraftkapazität des T-Querschnittes ausübt. Dazuwurden drei
Szenarien betrachtet: 1. Der Betongurt beteiligt sich nicht an der
Abtragung des
globalen Biegemomentes.2. Der Betongurt beteiligt sich an der
Abtragung des glo-
balen Biegemomentes. Dabei erreicht die Bewehrungeine Spannung
von 50 % der Fließgrenze.
σcpc
NA
=
ρ =⋅
≤A
b dsl
w0 02,
V f bRk c ck cp w,/
, ,= ⋅ ⋅ ⋅( ) + ⋅⎡⎣⎢
⎤⎦⎥
⋅0 36 100 0 151 8
ρ σ ⋅⋅ d
Tabelle 3. Verteilung der Schnittgrößen bei Versuch 1 (V = 92
kN, M = 221 kNm)Table 3. Distribution of the internal forces and
moments for the bending test with Beam test 1(V = 92 kN, M = 221
kNm)
Betongurt Stahlteil
Szenario Mc Nc Vc Mc,lokal bw Ns Vs Ms,lokalkNm kN kN kNm cm kN
kN kNm
1 0,0 833 73,5 15,5 60 833 18,5 1,66
2 10,3 793 63,5 13,3 55 793 28,5 2,54
3 20,6 754 55,0 11,5 50 754 37,0 3,38
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3. Der Betongurt beteiligt sich an der Abtragung des glo-balen
Biegemomentes. Dabei erreicht die Bewehrungeine Spannung von 100 %
der Fließgrenze.
In Tabelle 3 sind sich aus den Berechnungen ergebendemaßgebende
Größen angegeben. Dabei wurde die lokalmitwirkende Breite des
Betongurtes so gewählt, dass die-ser den Querkraftanteil des
Betongurtes gerade aufneh-men konnte, da im Versuch ja kein
Querkraftversagen be-obachtet wurde.
Die in Tabelle 3 angegebene Schnittgrößenverteilungzeigt auf,
dass das Stahlprofil bei einer Belastung mitF = 92 kN voll
durchplastiziert war. Eine weitere, kleineLaststeigerung wäre nur
durch Umlagern von Querkräftenaus dem Stahlprofil heraus in den
Betongurt hinein denk-bar gewesen. Ein Vernachlässigen der
Spannungen ausQuerkraft und lokalen Biegemomenten im
Stahlträgerwürde zu einer Überschätzung der Tragfähigkeit
führen.
Aus der Auswertung der Tabelle kann man erkennen,dass die
Querkraft im Stahlquerschnitt sich zwischen18,5 kN bis maximal 37
kN bewegte, also nur zwischen20 % und 40 % der Gesamtquerkraft.
Bemerkenswert istauch der relativ große Einfluss der Biegung des
schlankenBetongurtes, der das Stahlprofil nennenswert von
Nor-malspannungen entlastet und diesem ermöglicht, sich ver-stärkt
am Querkraftabtrag zu beteiligen.
Wird das System in Negativlage eingesetzt und damitder Betongurt
auf Zug belastet, führt dies zu einer drasti-schen Abnahme der
Querkraftkapazität des Betongurtes.Dieser beteiligt sich aufgrund
der Nulllinienlage zudemnicht mehr durch Biegung an der Abtragung
der globalenBiegemomente. Da er aber nicht völlig querkraftfrei
ist,tritt neben der Zugbeanspruchung aus dem globalenBiegemoment
auch lokale Biegung auf. Für den Stahl-querschnitt gelten dagegen
die gleichen Interaktionsbezie-hungen wie für den Fall der
Positivlage.
Versuch 2 versagte durch Fließen der unteren Beweh-rungslage bei
einer Querkraft von V = 66 kN und einemBiegemoment von 158,4 kNm.
Dieses globale Momentwurde durch ein Kräftepaar mit N = 629 kN und
eineminneren Hebelarm von 252 mm vom Stahlprofil und vonder
Bewehrung des Betongurtes aufgenommen. Die Kraft N führte in der
Bewehrung zu Spannungen von ca.500 N/mm2, also ca. 10 % unterhalb
der Fließgrenze derBewehrung.
Die verbleibende Querkraftkapazität des Stahlteilsunter
Berücksichtigung der lokalen Biegung betrug unterdieser Belastung
ca. 56 kN, das heißt, der Betongurt muss-te eine Querkraft von
mindestens 10 kN aufnehmen. Beieiner angenommenen lokalen
mitwirkenden Breite desBetongurtes von 50 cm betrug die
Querkraftkapazität deszugbeanspruchten Gurtes nur ca. 13 kN. Diese
Querkraftverursachte ein lokales Biegemoment im Betongurt, wel-ches
wiederum zu zusätzlichen Zugspannungen in der Be-wehrung in der
Größenordnung von ca. 50 N/mm2 führ-te, wodurch das Fließen in der
Bewehrung einsetzte. Dasheißt, es ist als unwahrscheinlich
anzusehen, dass der Be-tongurt sich in einem stärkeren Maß am
Querkraftabtragbeteiligte. Eine ausreichend hohe verbleibende
Querkraft-kapazität des Stahlteils hätte jedoch die Ausbildung
einesstatischen Systems ermöglicht, welches eine reine
Zug-gurtwirkung des Betongurtes erlaubt (vgl. Bild 18).
Die Anwendung des in Bild 18 dargestellten stati-schen Systems
liefert unter Verwendung der vorgestelltenplastischen Interaktion
für das T-Profil realitätsnahe Er-gebnisse für den Einsatz des
Systems in Negativlage. Fürden Einsatz des Systems in Positivlage
können wirtschaft-liche Ergebnisse durch die Berücksichtigung der
Biege-und Querkrafttragfähigkeit des Betongurtes erzielt wer-den,
da dieser dann einen erheblichen Teil der Querkraftüberträgt.
In den meisten Anwendungsfällen wird die maximaleQuerkraft nicht
wie in den Versuchen an der Stelle desmaximalen Biegemomentes
auftreten. Aufgrund der rela-tiv komplexen Zusammenhänge zwischen
lokalen undglobalen Beanspruchungen ist der maßgebende
Nach-weisschnitt in vielen Fällen daher nicht an der Stelle
desmaximalen Biegemomentes oder der maximalen Quer-kraft.
3.3.3 Schubeinleitung in den Betongurt
Die erhöhte Materialeffizienz wird bei dem vorgestelltenKonzept
zum einen durch die beim Einsatz von Waben-trägern größere
statische Höhe und zum anderen durchdie Nutzung der Verbundwirkung
von Stahl und Betonhergestellt. Dieses Konzept führt jedoch auch zu
weiter-führenden Fragestellungen bezüglich der statischen
undkonstruktiven Auslegung des Systems.
Bild 19. Plastische Spannungsblöcke im T-QuerschnittFig. 19.
Plastic stress blocks at the T-section
Bild 20. Verteilung der globalen Schnittgrößen
beimEinfeldträgerFig. 20. Distribution of shear force and moment
for a singlespan beam
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Bei der Wahl des Verbundmittels wurden dabei diekonventionellen
Pfade des Verbundbaus verlassen undstattdessen auf herkömmliche
Bewehrungsstäbe zurück-gegriffen, die mit den Waben der Trägerstege
verschweißtwerden. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass im
Gegen-satz zu ebenfalls möglichen Lösungen mit liegenden
Kopf-bolzendübeln oder mit einer durch die geschickte Wahldes
Brennschnittes erzeugten Dübelleiste keine Konstruk-tionshöhe des
Wabenträgers verloren geht und die für dieInstallationsführung
notwendigen großen Wabenöffnun-gen mit den zur Verfügung stehenden
Profilreihen reali-sierbar bleiben. Der an die Waben angeschweißte
Beweh-rungsstahl beteiligt sich zudem am Lastabtrag der Zug-kräfte
bei Einsatz des Systems in Negativlage, so dass nurein Teil dieser
Kräfte in die Betonplatte ausgeleitet werdenmüssen, und erhöht die
Steifigkeit der Konstruktion wäh-rend des Betoniervorgangs im
Fertigteilwerk.
Die zwischen den mit den Trägerstegen verschweiß-ten
Bewehrungsstäbe und dem Betonteil übertragbarenSchubkräfte können
auf der Grundlage der Angaben inEN 1992-1-1, Abschnitt 8.4.2, (8.2)
[13] bemessen werden.Dabei ist von einem nichtduktilen Verhalten
des Ver-bundmittels auszugehen und elastischer Schubfluss zu
be-rücksichtigen. Die Dübeltragwirkung der in den Betoneinbindenden
Wabenkanten und der durch die Wabenöff-nung quer durchgesteckten
Bewehrungselemente wird beider Schubbemessung vernachlässigt.
Der Bemessungswert der Verbundfestigkeit fbd kannfür Rippenstäbe
unter Berücksichtigung des wirksamenUmfangs (vgl. Bild 21) wie
folgt ermittelt werden [13]:
fbd = 2,25 · η1 · η2 · fctd (3)
dabei istη1 ein Beiwert, der die Qualität der
Verbundbedingun-
gen und die Lage der Stäbe während des
Betonierensberücksichtigt:η1 = 1,0 wenn gute Verbundbedingungen
erreichtwerden, undη1 = 0,7 für alle anderen Fälle sowie für Stäbe
in Bau-teilen, die im Gleitbauverfahren hergestellt wurden,außer es
kann nachgewiesen werden, dass gute Ver-bundbedingungen gegeben
sind
η2 Beiwert zur Berücksichtigung des Stabdurchmessers:η2 = 1,0
für ϕ ≤ 32 mmη2 = (132 – ϕ)/100 für ϕ > 32 mm
fctd der Bemessungswert der Betonzugfestigkeit gemäßEN
1992-1-1:2004 [13]
Bei beiden Trägerversuchen konnte weder Schlupf an
denTrägerenden noch ein Versagen des Schubverbundes be-obachtet
werden. Aufgrund der Durchführung der Versu-che als
4-Punkt-Biegeversuch trat bei beiden Trägern zwi-schen Auflager und
Lasteinleitung jeweils ein konstanterSchubfluss auf.
Die Schubflüsse ergeben sich aus den Überlegungenin Abschnitt
2.3.2 aus den globalen Normalkräften imT-Profil zu:
(4)TN
mglobal=
2 4,
Im Fall der Positivlage wird dabei der gesamte Schubflussin den
Betongurt eingeleitet, während im Fall der Negativ-lage nur der
Anteil der nicht mit dem halben Wabenträgerverschweißten Bewehrung
eingeleitet werden muss. Die-serAnteil lässt sich leicht über die
Fließnormalkraft diesesBewehrungsanteils bestimmen.
Aus dem Schubfluss lässt sich wiederum die durch dieBewehrung
übertragene Schubspannung zurückrechnen.Man erkennt, dass im Fall
der Positivlage deutlich höhereSchubspannungen als im Fall der
Negativlage übertragenwerden müssen.
Bei der Rückrechnung der Verbundspannungen fbkann man
feststellen, dass der Beton bei Versuch 1 einen5 %-Fraktilwert der
Zugfestigkeit fct;0,05 in der Größenord-nung von 2,5 N/mm2 oder
höher gehabt haben muss, sichalso im Rahmen der durch die Norm
gegebenen Werte be-wegte und dass offensichtlich auch eine gute
Verbundwir-kung vorlag.
3.3.4 Biegedrillknicken
Aufgrund der Einspannung der Wabenstege in die Beton-platte und
der daraus resultierenden Stabilisierung desProfilflansches liegt
auch beim Einsatz der Profile inNegativlage in den meisten Fällen
nur eine geringe Kipp-gefährdung vor. Dies kann einfach mit Hilfe
eines Trog-brückenmodells nachgewiesen werden, mit dem die
Knick-länge des Obergurtes bestimmt werden kann. Das
Trog-brückenmodell ermöglicht die Berücksichtigung der Stei-figkeit
des Betongurtes und die gegenseitige Beeinflussungbenachbarter
Träger. Die auf diese Weise ermittelten
Tabelle 4. Durch Bewehrung übertragene Verbundspannung Table 4.
Bond stress of reinforcement
Nglobal T Uwirk fbkN kN/m mm2/m N/mm2
Versuch 1
Szenario 1 833 347 66264 5,2
Szenario 2 793 330 66264 5,0
Szenario 3 754 314 66264 4,7
Versuch 2 340 142 82830 1,7
Bild 21. Für die Schubeinleitung in den Betongurt wirk-samer
Umfang der Bewehrungsstäbe Fig. 21. Effective area for bond between
reinforcement andconcrete
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Knicklängen sind etwas auf der sicheren Seite, da
günstigeEinflüsse aus Saint Venantscher Torsion
vernachlässigtwerden. Die so ermittelten Abminderungsbeiwerte für
dieglobale Normalkraft der Profile sind in Bild 23 dargestellt.Man
erkennt, dass ohne den Einsatz von Kipphalterungendie Profile in
jedem Fall zwischen 75 % und 80 % statischausgenutzt werden können.
Der Einfluss lokaler Bean-spruchungen des T-Querschnittes auf das
Kippverhaltendes Stahlquerschnittes wird durch dieses Modell
nochnicht abgebildet und ist Gegenstand aktueller Forschung.
Da in vielen Fällen Gebrauchstauglichkeitskriteriendie Bemessung
dominieren, sind Kipphalter nur selten nö-tig. In Trägerversuch 2
konnte auch bei großen Verfor-mungen kein Kippversagen beobachtet
werden, obwohlgemäß Bild 23 nur eine rechnerische Ausnutzung des
Pro-fils von ca. 86 % möglich wäre. Dies könnte zum einen aufdie
vereinfachte Betrachtung des Kippproblems alsKnickproblem des
Obergurtes zurückzuführen sein. Mög-licherweise wurde das System
auch durch die Lasteinlei-tung und eine Lasteinleitungssteife
während des Versuchsausreichend stabilisiert.
3.3.5 Auflagerausbildung und Scheibenwirkung
Die Auflagerung der Elemente wird zweckmäßig mit Hilfevon
Winkelauflagern ausgeführt. Werden die Elemente inPositivlage
verwendet, können warmgewalzte Winkel ein-gesetzt werden, die man
über die gesamte Elementlängedurchlaufend anordnet (Bild 24). Die
Winkel dienen dannim Fertigteilwerk als verlorene Schalung. Im
eingebautenZustand reduzieren sie die Schallübertragung über
dieFlanken und können zudem als Anschlusswinkel für eineeventuell
notwendige Dampfsperre im Fassadenbereichherangezogen werden (vgl.
Bild 25). Sie stellen zudem dieAktivierung der Scheibenwirkung der
Elemente sicher.Trotzdem sollte auf eine Koppelung der Elemente im
Be-reich der maximalen Durchbiegung nicht verzichtet wer-den. Diese
wird im Fall von Topfloor integral mit speziellentwickelten
Schubverbindern sichergestellt [10].
3.4 Bauphysikalische Fragestellungen3.4.1 Brandschutz
Das System weist in der Negativlage einen
rechnerischenFeuerwiderstand von R120 und I90 für die Situation
Bild 23. Abminderungsfaktoren χ für Deckenträger aus IPE bzw.
HEA-Profilen (S 235) zur Berücksichtigung desBiegedrillknickens des
Stahlprofils in NegativlageFig. 23. Reduction factors χ for
buckling of the upper flangeunder compression
Bild 24. Elemente mit Endwinkel für den Einbau inPositivlage vor
dem BetonierenFig. 24. Elements with angles as supports before
concreting
Bild 22. Mechanisches Modell zur Bestimmung der Knicklänge des
Druckgurtes [8], [10]Fig. 22. Static model for calculating the
buckling length of the upper flange under compression [8], [10]
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„Brand von unten“ auf. Für die Situationen „Brand vonoben“ kann
die Stahlkonstruktion durch die eine entspre-chende Ausbildung des
Doppel- beziehungsweise Hohl-raumbodens geschützt werden.
Zusätzlich zu den Szenarien „Brand von oben“ und„Brand von
unten“ ist das Szenario „Brand im Hohlraum“zu betrachten. Für
dieses Szenario liegen momentan nurwenig Erkenntnisse und keine
normativen Regelungenvor. Aus diesem Grund werden, wie zum Beispiel
bei demin Abschnitt 2.1 vorgestellten Gebäude, für
Stahlkonstruk-tion im Hohlraum die gleichen Anforderungen wie für
dierestliche Stahlkonstruktion gestellt. Da die in der
Praxisüblicherweise vorhandenen Brandlasten in Systembödengering
sind, ist es fraglich, ob die aus dieser Praxis resultie-renden
hohen Anforderungen tatsächlich gerechtfertigtsind. Die geringen
Brandlasten in Systemböden begrün-
den sich in der Tatsache, dass vielfach moderne, wenigerleicht
entflammbare Baustoffe für die InstallationenVerwendung finden.
Waren vor 20 Jahren noch 40 bis50 kWh/m2 durchaus übliche Werte, so
übersteigt dieBrandlast in Doppel- und Hohlböden heute in
modernenGebäuden kaum noch 20 kWh/m2. In besonderen Fällen,wie zum
Beispiel in Bereichen die zur Stromversorgungvon Server-Räumen
dienen, können jedoch auch höhereWerte von 70 bis 80 kWh/m2
auftreten. Bei Brandlastenvon mehr als 6 kWh/m2 sind üblicherweise
Brandmelderim Hohlboden anzuordnen.
Sollte ein Brand im Hohlraum entstehen, ist es auf-grund der
Hohlbodengeometrie, der geringen Brandlastenund der
Ventilationsverhältnisse fraglich, ob sich das Feuerausbreitet oder
ob es von selbst erlischt. Dies ist von derDichtigkeit der Hohl-
und Doppelböden genauso abhän-
Bild 25. Fassadendetail bei Einbau der Elemente in Positivlage
für das Wohngebäude Residenza Villa Lugano (CH)Fig. 25. Detail of
the facade at the residential building Residenza Villa Lugano
(CH)
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gig wie vom gesamten eingeschlossenen Luftvolumen.Noch nicht
abgeschlossene Untersuchungen am Lehr-stuhl für Metallbau an der
Technischen Universität Mün-chen bekräftigen die Vermutung, dass
die selbst bei nen-nenswerten Undichtigkeiten stark
unterventiliertenBrandszenarien eher dahin tendieren selbst zu
erlöschenals sich auszubreiten. Die dabei auftretenden
Temperatu-ren im Brandraum liegen deutlich unter 500 °C, so
dasskeine Gefährdung der Stahlkonstruktion vorzuliegenscheint. Die
Ergebnisse lassen zum jetzigen Zeitpunkt je-doch noch keine
Verallgemeinerung zu. Wird das Systemin Positivlage eingesetzt,
kann der Brandschutz zum Bei-spiel durch Ausbildung einer
abgehängten Decke mit ent-sprechendem Feuerwiderstand
sichergestellt werden.
3.4.2 Schwingungsverhalten
Die Wahrnehmung von Schwingungen durch den Men-schen ist von der
Frequenz der Schwingung, der Beschleu-nigungsamplitude und der
Schwingungsrichtung in Bezugzum Körper abhängig (Bild 26). Die
frequenzabhängigeWahrnehmung kann mit Hilfe von
richtungsabhängigenWichtungsfaktoren zum Beispiel für
Beschleunigungen,wie sie in [15] angegeben sind, berücksichtigt
werden(Bild 27). Für Deckenschwingungen sind in der Regel
dieFaktoren Wb (z-Richtung) relevant. Man erkennt, dasssowohl
tieffrequente Schwingungen zwischen 1 und 2 Hzals auch
höherfrequente Schwingungen oberhalb von ca.30 Hz weniger stark
wahrgenommen werden als Schwin-gungen in dem Bereich dazwischen.
Beschleunigungenaufgrund von Schwingungen im Bereich typischer
Eigen-frequenzen von Decken werden allerdings stark
wahrge-nommen.
Bewertungskriterien für Schwingungen finden sich inverschiedenen
Richtlinien und Normen, die zum Beispielin [16] aufgeführt sind.
Eine Vorbemessung des Schwin-gungsverhaltens der Decke kann zum
Beispiel mit Hilfedes in [17] und [18] vorgestellten Verfahrens
einfachdurchgeführt werden. Bei derAnwendung dieses und ähn-licher
Verfahren zeigt sich, dass das Schwingungsverhal-ten nicht nur von
Frequenz und der Dämpfung sondernauch stark von der modalen Masse
abhängt. Zu leichteDeckensysteme können daher auch bei höheren
Eigen-frequenzen problematisch sein. In den ausgeführten Pro-jekten
wurde daher die Betongurtdicke von 80 mm auf100mm erhöht.
Das Schwingungsverhalten der Elemente wird starkdurch die
jeweils zur Verfügung stehende Konstruktions-höhe der Decke
geprägt, kann aber auch durch die Profil-wahl beeinflusst werden.
Wirtschaftlich und auch öko-logisch sinnvoll sind sicher die Wahl
einer ausreichendgroßen Konstruktionshöhe und der Einsatz von
Waben-trägern aus IPE-Profilen. Liegt keine ausreichende
großeKonstruktionshöhe vor, kann das Schwingungsverhaltendurch den
Einsatz von HEA- statt IPE-Profilen verbes-sert werden. Zudem ist
es möglich, bei Bedarf Schwin-
Bild 26. Schwingungsrichtungen nach [14]Fig. 26. Direction of
vibrations according to [14]
Bild 27. Frequenz-Wichtungsfaktoren für die Wahrnehmungvon
Beschleunigungen in z-Richtung (Wb) und in x- und y-Richtung (Wd)
aus [15]Fig. 27. Weighting factors for the perception of
accelerationin z-direction (Wb) and as well in x- and y-direction
(Wd)[15]
Bild 28. Eingebaute Deckenelemente in Positivlage bei der
Erweiterung eines Gartenmöbelgeschäftes im KantonAargau (CH)Fig.
28. Slab elements used for the enlargement of a store in Kanton
Aargau (CH)
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gungsdämpfer im Hohlraum des Bodens auch nachträglichzu
integrieren. Wie bei allen leichten Deckensystemen em-pfiehlt sich
ein Einsatz in Kombination mit dämpfungser-höhenden Ausbauten, zum
Beispiel mit einem schwim-menden Estrich oder mit leichten
Zwischenwänden.
3.5 Aktuelle Projekte
Seit Sommer 2009 werden mit dem vorgestellten Systemdie ersten
Gebäude in der Schweiz realisiert. Dabei han-delt es sich um die
Erweiterung eines Gartenmöbelge-schäftes im Kanton Aargau und um
ein siebenstöckigesWohngebäude in Lugano mit ca. 3200 m2
Elementfläche(Bild 28), welches sich momentan in der
Werkstattferti-gung befindet. Bei beiden Projekten werden die
Elementein Positivlage gebaut, obwohl gerade bei dem
genanntenWohngebäude ein Einsatz in Negativlage
wünschenswertgewesen wäre.
Das siebenstöckige Wohngebäude Residenza VillaLugano besitzt
eine Breite von ca. 10,5 m und eine Längevon 50,0 m (Bild 29). Das
Gebäude hat in den unterenvier Geschossen einen Durchgang, der von
den oberenGeschossen überbrückt wird. In diesem Bereich werdendie
Deckenelemente in Längsrichtung des Gebäudes an-
geordnet. In allen anderen Bereichen überspannen siestützenfrei
die gesamte Gebäudebreite. Es entsteht damitein äußerst flexibel
nutzbares Gebäude ohne Innenstützen.
Die maximale Spannweite der in den Projekten ver-bauten Elemente
beträgt jeweils ca. 10,5 m. Aufgrund derLimitierung der statischen
Höhe wurden Elemente mitHEA-Trägern eingesetzt, was zu einem
geringfügig höherenMaterialverbrauch führte (ca. 10 kg/m2
Mehrverbrauchgegenüber der Standardlösung), aber das
Schwingungsver-halten deutlich verbesserte.
Neben der kurzen Bauzeit waren für die Bauherrenjeweils die
geringen Eigenlasten, die große Flexibilität inder Nutzung und der
sorgsame Umgang mit den zur Ver-fügung stehenden Ressourcen die
wichtigsten Argumentefür die Wahl des Systems. Bei dem Projekt in
Luganoführten die geringen Eigenlasten zu erheblichen Einspa-rungen
bei den Fundamenten und waren ein Hauptgrundfür die Wahl des
Systems, da ein denkbar schlechter Bau-grund vorlag.
4 Zusammenfassung
Das Deckensystem Topfloor integral wurde unter den As-pekten der
Multifunktionalität und der Nachhaltigkeitentwickelt. Durch die
schlanke Konstruktionsform unddie Nutzung der Konstruktionsebene
zur Installationsfüh-rung ermöglicht es eine optimale Ausnutzung
der zur Ver-fügung stehenden Bauhöhen bei mehrgeschossigen Bau-ten.
Durch die Verwendung von halben Wabenträgernweist es zudem eine
sehr hohe Materialeffizienz auf. Sobenötigt z.B. ein 10 m
stützenfrei gespanntes Decken-element nur einen Baustahlverbrauch
von ca. 40 kg/m2.Hinzu kommen ca. 12 bis 20 kg/m2 Bewehrungsstahl
und0,1m3/m2 Beton.
In enger Kooperation der ETH Zürich, der Techni-schen
Universität München und der H. WetterAG wurdentheoretische und
experimentelle Untersuchungen durch-geführt, das System zur
Baureife entwickelt und in erstenProjekten erfolgreich eingesetzt.
Für das vorgestellte Sys-tem besteht in der Schweiz Patent- und in
DeutschlandMusterschutz.
Bild 29. CAD-Modelle des 7-stöckigen Wohnhauses Residenza Villa
Lugano (CH)Fig, 29. CAD-model of a residential building in Lugano
(CH) with 7 stores
Tabelle 5. Vorbemessungstabelle Topfloor integral für
Büro-nutzungTable 5. Preliminary design of „Topfloor integral“
slabs foroffice buildings
Spannweite 1/2-Träger (in S 235) Konstruktionshöhe
6,0 m IPE 300 290 mm
7,5 m IPE 360 350 mm
9,0 m IPE 450 440 mm
10,0 m IPE 500 490 mm
12,0 m IPE 600 590 mm
(Ausbaulast: 1,5 kN/m2; Verkehrslast: 3,0 kN/m2; Trägerabstand:
1250 mm; Eigenfrequenz unter ständigen Lasten ca. 7 Hz;
Konstruktionshöhe ohne Doppelbodenaufbau)
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Literatur
[1] Frisch, E. C.: Steeldoc 01/06 Konstruktives Entwerfen
–Grundlagen und Praxis. Zürich: Stahlbauzentrum Schweiz(SZS)
2006.
[2] DIN ISO 14040: 2009-11: Umweltmanagement – Ökobi-lanz –
Grundsätze und Rahmenbedingungen.
[3] Herrmann, A.: Hochhaus „WestendDuo“ in Frankfurt.
db(deutsche bauzeitung), 142 (2008), Heft 5, S. 70–73.
[4] Weischede, D.: WestendDuo in Frankfurt am Main –
Pro-jektpräsentation. Stuttgart: Weischede, Herrmann und Part-ner
GmbH, Beratende Ingenieure.
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Autoren dieses Beitrages:Prof. Dr.-Ing. Dipl. Wirt.-Ing. (NDS)
Martin Mensinger, [email protected],Lehrstuhl für Metallbau,
Technische Universität MünchenArcisstr. 21, 80290 München
Prof. Dr. Mario Fontana, [email protected]. Andrea
Frangi, [email protected] für Baustatik und
Konstruktion, ETH Zürich, HIL D 36.1Wolfgang-Pauli-Str. 15, 8093
Zürich
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