Eine ethnographische Studie zu Selbstverortung und transnationalen Kommunikationsnetzwerken von syrischen Geflüchteten in Freiburg i.Br. Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Bachelor of Arts“ der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. vorgelegt von Clara Dröll Sommersemester 2017 Europäische Ethnologie
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Eine ethnographische Studie zu Selbstverortung und ...
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Eine ethnographische Studie zu Selbstverortung und
transnationalen Kommunikationsnetzwerken von
syrischen Geflüchteten in Freiburg i.Br.
Bachelorarbeit
zur
Erlangung des akademischen Grades
„Bachelor of Arts“
der Philologischen, Philosophischen und
Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der
Anhang C: Interview-Transkription mit Legende ................................................................ 39
Anhang D: DVD mit Audiodatein der Interviews ................................................................ 74
3
1. Einleitung
Was ist für dich momentan der wichtigste Gegenstand?
Abbildung 1: Eigene Aufnahme von Rasal
„Also [in] erster Linie, mein Handy. Ohne Handy würde ich den Kontakt nach Hause
verlieren.“1
Seit 2011 tobt in Syrien ein Bürgerkrieg zwischen den Regierungstruppen und opposi-
tionellen Gruppen. 13,5 Millionen Menschen – das entspricht etwa zwei Drittel der ursprüng-
lichen Bevölkerung Syriens – sind auf Hilfsleistungen angewiesen.2 Der Großteil der syri-
schen Geflüchteten (ca. 4,2 Millionen) ist in die Nachbarländer Türkei, Jordanien, Irak und
den Libanon geflohen, da eine schnelle Rückkehr angestrebt wird oder die finanziellen Mittel
für eine Flucht über eine größere Distanz fehlen.3 Wegen der großen Notlage sind besonders
seit 2015 einige Syrer*innen auch nach Deutschland geflohen. Dies führt hier zu einem hitzi-
gen Diskurs zwischen Bürger*innen, Interessengruppen oder politischen Parteien. Aus einer
kulturanthropologischen Sicht besteht das Interesse, die induktive Perspektive der geflohenen
Menschen näher zu beleuchten. Unter der Flucht, als eine Form der Gewaltmigration, versteht
1 WhatsApp Sprachnachricht von Rasal, am 14.06.2017. 2 Vgl. O.V.: Syrien. In: Oxfam Deutschland. Für eine gerechte Welt. Ohne Armut. Abrufbar unter: https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/laender/syrien?pk_campaign=ox-syrien&pk_kwd=syrienkrieg&utm_wec=11494&gclid=CImv3MK37NICFdQK0wodKSEP_g (Stand: 12.06.2017). 3 Vgl. Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. München 2. Aufl. 2016, S. 129.
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man das Ausweichen vor einer lebensbedrohenden Zwangslage auf Grund von Gewalt.4 Diese
Form von Gewaltmigration ist von den Konzepten der Deportation, Evakuierung, Umsiedlung
oder Vertreibung zu trennen. Flucht ist selten ein linearer Prozess. In den meisten Fällen ist er
durch ein überstürztes Ausweichen in den nächsten, sicher erscheinenden Ort gekennzeichnet.
Darauf folgt eine Weiterwanderung zu Verwandten und Bekannten oder die Suche nach ei-
nem rechtlich geschützten und unterstützenden Rahmen. In vielen Fällen müssen sich Ge-
flüchtete auf Dauer oder längere Sicht auf eine prekäre Existenz einstellen. Die Handlungs-
macht der betroffenen Personen ist hierbei oftmals sehr eingeschränkt und die Zukunftsper-
spektive sehr ungewiss.
1.1. Erkenntnisinteresse
In meiner Bachelorarbeit möchte ich der Frage nachgehen, wie sich aus Syrien geflohene
Menschen in der prekären Situation und Zuschreibung als Flüchtling selbstverorten. Wie se-
hen sie sich in ihrem neuen Wohnort, der oftmals nicht frei gewählt wurde? Der Fokus soll
hierbei auf transnationale Vernetzungen und Beziehungsverhältnissen zwischen verschiede-
nen Orten liegen. Wie und über welche nationalen Grenzen hinweg kommunizieren und tau-
schen sich syrische Geflüchtete aus? Und mit wem? Wie findet transnationale Kommunikati-
on statt?
In meiner Literaturarbeit geht es mir in erster Linie darum, die Konzepte „Flucht“ und
„Transnationalität“ einzugrenzen und in einen gemeinsamen Kontext einzubauen. In meiner
empirischen Forschung möchte ich durch mehrere qualitative Interviews die verstehende Per-
spektive von Einzelfällen einnehmen und analysieren.
Um mich meinem Forschungsfeld zu nähern, werde ich mit einer theoretischen und li-
teraturbasierten Darstellung der zentralen Konzepte meiner Bachelorarbeit anfangen. Was
wird unter Flucht verstanden? Wie lässt sich Transnationalismus eingrenzen und definieren?
Darauf aufbauend möchte ich durch die Interviewanalyse wissenschaftlich untersuchen, wie
syrische Geflüchtete über Grenzen hinweg kommunizieren und sich in transnationalen Le-
benswelten verorten. Hierfür ist von Forschenden eine gewisse Sensibilität verlangt, um die
oftmals sehr prekäre Situation der Geflüchteten empirisch erfassen zu können.
Die Erforschung von Selbstbildern ist in der Kulturanthropologie ein zentraler Be-
standteil zum Verständnis kultureller Phänomene. Alltagsphänomene stellen hierbei ein
4 Vgl. Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. München 2. Aufl. 2016, S. 25.
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Haupterkundungsfeld dar. Die empirische Forschung stellt deshalb das Herzstück dieser Ar-
beit dar. Ziel ist es, einen Beitrag zu leisten, der im Fach der Kulturanthropologie/Europäische
Ethnologie Anklang findet und zum Weiterforschen anregt.
1.2. Relevanz
Das Leben von Syrer*innen in Deutschland ist nur bruchstückhaft dokumentiert und wis-
senschaftlich noch nicht tiefgehend bearbeitet. Vergleichbare Arbeiten in der Kulturanthropo-
logie/Europäische Ethnologie und interdisziplinären Fachdisziplinen liegen mir nicht vor.
3269 Syrer*innen leben derzeit in Freiburg; sie stellen die größte Gruppe an Geflüchteten
dar, gefolgt von Geflüchteten aus dem Irak.5 Der Anteil an syrischen Frauen und Kindern ist
in Freiburg größer als bundesweit.6 So bildet die Altersgruppe von 0 – 7 Jahren mit 22,6% die
zweitstärkste Gruppe.7 Insgesamt ist die Gruppe der Minderjährigen deutlich größer (43,9%)
als bundesweit (36,2). 61,2% aller Geflüchteten in Freiburg sind jünger als 25 Jahre.8
2. Theoretische Grundlagen
In den folgenden Unterkapiteln werden die Begriffe und Konzepte, die dieser Arbeit
zugrunde liegen, näher vorgestellt.
2.1. Geflüchtete
Nicht nur die Fluchterfahrung selbst, sondern auch die Wahrnehmung als Flüchtling
ist wichtig für die Selbstverortung. Ich werde im Folgenden den Begriff "Flüchtling" durch
den Begriff "Geflüchtete" ersetzen. Das erscheint mir wichtig, um der Entsubjektivierung, der
"Versächlichung" der geflüchteten Menschen zu entgehen. Die Etikettierung, die "Macht des
Labels" kann die Fremdwahrnehmung von Geflüchteten negativ beeinflussen.9 Die Wortwahl
„Geflüchtete“ erlaubt es auch, eine Schwäche der deutschen Sprache zu beheben, denn die
Entsubjektivierung findet sich nicht in anderen europäischen Sprachen (refugee, réfugié, refu-
giado, rifugiato, ...). Somit möchte ich an dieser Stelle auch dafür plädieren, einen neuen Be-
griff für „Flüchtlingsheim“ zu finden, wie beispielweise Unterkunft für Geflüchtete.
5 Vgl. O.V.: Freiburgs Flüchtlinge. In: Badische Zeitung: Freiburger Zeitung, 05.05.2017. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Vgl. Krause, Ulrike: It Seems You Don’t Have Identity, You Don’t Belong. Reflexionen über das Flüchtlings-label und dessen Implikationen. In: Zeitschrift für Internationale Beziehung, 23 (2016), S. 8-37, hier S. 9f.
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2.2. Selbstverortung
Unter dem Begriff der Selbstverortung verstehe ich die eigene räumlich Einordnung
und Wahrnehmung des Wohnortes.
Es geht um die analytische Kategorie „Ort“10 als Teil des Verstehens von Geschichte,
um eine „Verräumlichung" der historischen Erzählung11, die gerade bei Geflüchteten eine
besondere Bedeutung hat. Auch wenn der Begriff Heimat oder "zweite Heimat" öfter in den
Interviews gebraucht wurde, geht es mir nicht um Wertung, nicht um ein theoretisches Kon-
zept, sondern um eine induktive ("Selbst") Herangehensweise, um sehr Konkretes, wie Woh-
nung, persönliche Gegenstände oder Essen. Diese Räumlichkeit erscheint mir gerade in der
Zerrissenheit durch das erzwungene Verlassen des Herkunftsortes und den von außen be-
stimmten Zielort von Geflüchteten besonders interessant.
2.3. Transnationalität
Der Begriff der Transnationalität ist noch keine 100 Jahre alt und auch in der Kultur-
anthropologie/Europäischen Ethnologie erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts aufgegriffen
worden.12 Interessant erscheint mir dabei, dass der Begriff „Trans“ schon 1940 im Bereich der
Kultur verwendet wurde, um das Wort Akkulturation, das die Aufgabe einer Kultur in der
Folge eines Ortwechsels beinhaltete, mit einem dem wirklichem Geschehen besser entspre-
chenden Begriff („transculturisation“) zu ersetzen.13 Ende der 1990er Jahre wurde der Begriff
„Transnationalismus“ im wissenschaftlichen Kontext der Migrationsforschung aufgegriffen.14
Der Begriff löst damit ältere Konzepte wie „Assimilation“ und „cultural pluralism“ ab. All-
gemein gefasst versteht man unter der Transnationalität, den Link zwischen verschiedenen
Orten, welcher sehr komplex sein kann. Diese Links können Familienbesuche, Geldüberwei-
sungen oder sozialer sowie politischer Natur sein.
10 Vgl. Lipphardt, Anna: Vilne. Die Juden aus Vilnius nach dem Holocaust. Eine transnationale Beziehungsge-schichte. Paderborn 2010, S. 29. 11 Vgl. Soja, Edward: Postmodern Geographies. The Reassertion of Space in Critical Social Theory. Lon-don/New York 8. Aufl. 1989, S. 1. 12 Vgl. Glick Schiller, Nina; Basch, Linda; Blanc-Szanton, Cristina: Towards a Definition of Transnationalism. Introductory Remarks and Reserach Questions. In: Glick Schiller, Nina; Basch, Linda; Blanc-Szanton, Cristina (Hrsg.): Towards a Transnational Perspektive on Migration. Race, Class, Ethnicity, and Nationalism Reconsid-ered. New York 1992, S. ix-xiv, hier S. ix. 13 Vgl. Fernando Ortez zitiert nach Comitas, Lambros: Preface. In: Glick Schiller, Nina; Basch, Linda; Blanc-Szanton, Cristina (Hrsg.): Towards a Transnational Perspektive on Migration. Race, Class, Ethnicity, and Na-tionalism Reconsidered. New York 1992, S. vii-viii, hier S. vii. 14 Vgl. Kivisto, Peter: Theorizing transnational immigrants. A critical review of current efforts. Ethnic and Raci-al Studies, Vol. 24., No. 04.07.2001, S. 549.
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Die aus meiner Sicht nach wie vor treffendste Definition der Transnationalität kommt
von Pries, der verschiedene Typen der Internationalisierung je nach Handelndem unterschei-
det (z.B. Inter-Nationalisierung, Supra-Nationalisierung, Re-Nationalisierung, Globalisierung,
Glokalisierung) und zur Vermeidung eines "catch-all" Begriffs den Intensitätsgrad der Bezie-
rellen Gemeinsamkeiten, Kommunikationsverflechtungen, Arbeitszusammenhänge und die
alltägliche Lebenspraxis sowie die hierauf bezogenen Organisationen und gesellschaftlichen
Ordnungen und Regulierungen, die sich in relativ dauerhaften und pluri-lokalen, die Grenzen
von Nationalstaaten überschreitenden sozialen Gebilden und Sozialräumen niederschlagen."16
Das Konzept der transnationalen Migration ist heute präsenter denn je, da es einfacher
geworden ist zu reisen und über soziale Medien in Kontakt zu bleiben. Transnationalität über-
trägt sich somit auch auf die Lebenswelten von Geflüchteten. In einer globalen, dicht vernetz-
ten Welt gegenseitiger Abhängigkeit ist die Analyse von transnationalen Lebenswelten unab-
dingbar.
Die Betonung des Überschreitens des Nationalen eröffnet auch Chancen, dem Dilem-
ma des „weder hier noch dort“ zu entkommen und im Verständnis eines „hier und dort“ das
Lokale zu demystifizieren.17 Die dürfte jedoch bei Geflüchteten, deren Überschreitung mit
Verlust und Traumata verbunden ist, und deren Ankunft eventuell neue Verluste und Trauma-
ta mit sich bringt, erst mittelfristig von Bedeutung sein.
2.4. Kommunikationsnetzwerke
Kommunikation und Netzwerken kommt in der Geschichte der Migration eine beson-
dere Rolle zu, hängt doch von der Qualität und Vollständigkeit der Informationen nicht nur
eine realistische Einschätzung der Risiken während der Reise, sondern auch der Chancen und
Risiken am Ankunftsort ab. Herkunfts- und Aufenthaltsorte sind deshalb "über Netzwerke,
also über durch Verwandtschaft, Bekanntschaft und Herkunftskollektive zusammengehalten
Kommunikationsysteme miteinander verbunden."18
15 Vgl. Faist, Thomas; Fauser, Margit: Das Transnationale in der Migration. Eine Einführung. Weinheim und Basel 2014, S. 18. 16 Pries, Ludger: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Frankfurt am Main 2008, S. 44. 17 Vgl. Hess, Sabine: Transnationalismus und die Demystifizierung des Lokalen. In: Schmidt-Lauber, Brigitta (Hrsg.): Ethnizität und Migration. Einführung in die Wissenschaft und Arbeitsfelder. Berlin 2007, S. 179-193, hier S. 179. 18 Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. München 2. Aufl. 2016, S. 14.
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3. Empirische Forschung
3.1. Forschungsfeld
Das Forschungsfeld umschreibt „ein sich immer wieder neu und anders konstitu-ierendes Gebilde, das sehr verschiedene Ausdrucksformen enthält: Handlungen, Akteurinnen und Akteure, Bedeutungen, Objekte und Diskurse, die sich stetig verändern, auflösen und wieder neu zusammensetzen. Damit steht nicht (mehr) die Homogenität eines konkreten Ortes im Mittelpunkt, sondern die Heterogenität, die sich aus dem Netzwerk von Bezügen und Beziehungen ergibt.“19
Da meine Feldforschung von Freiburg ausgehen sollte, ergab sich hierdurch schon die
erste Eingrenzung auf einen realen Forschungsort: Freiburg im Breisgau. Durch meine über-
geordnete Fragestellung, wie sich Geflüchtete selbst verorten und welche Bedeutung hier
transnationaler Kommunikation zukommt, ergaben sich die weiteren Handlungen und Ak-
teur*innen in meinem Forschungsfeld. Für die Akteur*innen als handlungsmächtige Subjekte
nahm ich als zweite Eingrenzung die Staatszugehörigkeit und begrenzte mich somit auf Ge-
flüchtete syrischer Nationalität. Weitere Eingrenzungen des Forschungsfeldes nahm ich zu
Beginn des Forschungsprozesses nicht vor, um vielfältige Perspektiven darstellen zu können.
Als Objekte meines Feldes ergaben sich im Verlauf der Forschung, die fotographi-
schen Aufnahmen von den wichtigsten Gegenständen oder Fotos der Akteur*innen. Hier-
durch konnten für die Studie bildlich Objekte festgehalten werden, welche für die Selbstver-
ortung sowie die transnationalen Kommunikationsnetzwerke von zentraler Bedeutung sind.
Im Prozess der Feldforschung ergaben sich stetig neue Fragestellungen, neu aufkommende
Themen und Diskurse sowie weitere Kontaktmöglichkeiten.
3.2. Feldzugang
Mein Zugang zum Forschungsfeld wurde mir durch meinen syrischen Mitbewohner in
meiner Freiburger Wohngemeinschaft ungemein erleichtert. Er stellte sich für diese Studie
sehr schnell als mein Gatekeeper20 heraus und öffnete mir viele Türen und Kontaktmöglich-
keiten. Über ihn erlangte ich nicht nur Zugang zu mehreren Gesprächspartner*innen, sondern
darüber hinaus auch zahlreiche Hinweise und Tipps. Durch den gemeinsamen Alltag in unse-
rer Wohngemeinschaft kam es schon vor dem Forschungsprozess zu zahlreichen Gesprächen
19 Gajek, Esther: Lernen vom Feld. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 53-68, hier S. 53. 20 Vgl. Von Dobeneck, Florian; Zinn-Thomas, Sabine: Statusunterschiede im Forschungsprozess. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 86-100, hier S. 89.
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über sein Heimatsland Syrien, seine Flucht, alltägliche Sorgen und Probleme, wodurch mir
hochsensible „inside“ Informationen zugetragen wurden.
Über diesen ersten Kontakt kam es zum Schneeballeffekt, nämlich einem „Multiplika-
torensystem der Kontaktvermittlung“.21 Somit erhielt ich schnell Handynummern von Freun-
den meines Gatekeepers. Der Zugang und die Bereitschaft für Gespräche seitens meiner neu-
en Kontaktpersonen fiel erneut sehr leicht. Dies erkläre ich mir zum einen dadurch, dass diese
ihrem Freund/meinem Gatekeeper einen Gefallen erbringen wollten, indem sie sich Zeit für
ein Treffen mit mir nahmen. Zudem kannte ich einige der Freunde meines Gatekeepers schon
von WG-Besuchen, wo bereits Sympathie entstanden war, die auch für eine Vertrauensbasis
sorgte.
Um die Heterogenität des Forschungsfeldes zu gewährleisten, war es mir sehr wichtig,
auch an weibliche Gesprächspartnerinnen heranzukommen. Der Zugang erwies sich jedoch
als sehr schwierig. Im engeren Freundeskreis meines Gatekeepers fanden sich keine syrischen
Frauen, die sich für ein Gespräch bereiterklärten. Erst durch mehrfaches Nachfragen bei mei-
nen weiteren Gesprächspartnern kam ich schließlich mit Gesprächspartnerinnen in Kontakt.
So konnte ich ein Interview mit der jüngeren Schwester meines zweiten Interviewpartners
führen, sowie mit einer 13-Jährigen, die, die Tochter eines Bekannten meines vierten Inter-
viewten war. An dieser Stelle möchte ich jedoch auch darauf hinweisen, dass die Heterogeni-
tät des Forschungsfeldes im Rahmen dieser Arbeit eingeschränkt ist, da sich viele der Befrag-
ten untereinander kennen und befreundet und in einem Fall sogar verwandt sind. Daraus ergab
sich eine sehr junge Akteursgruppe. Die erhobenen inhaltlichen Daten, auch im familiären
Vergleich, ergaben jedoch sehr unterschiedliche Aussagen und thematische Schwerpunkte,
wodurch wiederum ein gewisses Maß an Heterogenität gewährleistet werden konnte. Insge-
samt konnte ich kein Zögern oder Zurückhalten von hochvertraulichen und sehr persönlichen,
wie auch bedrückenden Erlebnissen und Erfahrungen feststellen, sondern vielmehr eine sehr
redefreudige und offene Haltung mir gegenüber.
3.3. Methodisches Vorgehen
Die Kernmethode dieser Studie stellen sieben qualitative Interviews dar. Qualitative
Interviews ermöglichen es, dass die „einzelnen Menschen [...] in ihrem sozialen und kulturel-
len Lebensumfeld erkennbar bleiben und nicht hinter Organisationsstrukturen verschwinden 21 Von Dobeneck, Florian; Zinn-Thomas, Sabine: Statusunterschiede im Forschungsprozess. In: Bischoff, Chris-tine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 86-100, hier S. 90.
10
oder sich als demografische Daten in die Anonymität verflüchtigen“.22 Eine der großen Stär-
ken qualitativer Interviewverfahren stellt somit die besondere Nähe zu den Biographien der
Gesprächspartner*innen dar.23 Diese Herangehensweise erachte ich für mein Erkenntnisinte-
resse als sehr geeignet, da für die Analyse der aktuellen Lebenswelten die Fluchterfahrung
sowie Betrachtung der gesamten Biographie von großer Bedeutung ist.
Den qualitativen Interviews liegt ein Leitfaden zu Grunde (siehe Anhang B). Diesen
habe ich möglichst offen gestaltet, damit die Themen- und Schwerpunktsetzung von den In-
terviewten ausgehen konnte und möglichst wenig durch mich als Forschende eingegrenzt
wurde. Der Leitfaden dient somit einer groben Strukturierung des Gesprächs, soll aber zeit-
gleich einen großen Handlungsspielraum ermöglichen.24 Die Einstiegsfrage meiner Gespräche
lautete: „Erzähl doch mal einfach ein bisschen über dich.“ Durch diesen offenen Gesprächs-
anfang, konnten die Interviewten ganz frei die für sie persönlich wichtigsten Informationen
preisgeben. Der erste Teil des Interviews stellte somit den Fokus auf die jeweilige Biographie
und wurde dann gefolgt von einem zweiten Teil, dem teilstandartisierten Interviewkatalog.
Hierfür habe ich drei übergeordnete Kategorien gebildet: Rechtlicher Status, aktuelle Lebens-
situation/Selbstverortung, Kommunikation & Netzwerke. Je nach der Schwerpunktsetzung
meiner Interviewpartner*innen im ersten Gesprächsteil setzte ich mit dem passendem The-
menblock an. Wenn der/die Interviewten also beispielsweise direkt am Anfang auf sei-
nen/ihren rechtlichen Status zu sprechen kam, stellte ich im nächsten Schritt die für diesen
Themenblock untergeordneten Fragen. Dadurch wollte ich sicherstellen, dass es nicht zu ab-
rupten Sprüngen und Themenwechsel kam und einen möglichst freien Erinnerungs- und Ar-
gumentationsfluss25 anregen.
Die Interviews wurden alle mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet und sind als Au-
diodateien auf einer DVD im Anhang zu finden (siehe Anhang D). Das Aufnahmegerät wurde
von meinen Interviewpartner*innen kaum beachtet, also nicht als störend empfunden, sodass
ich davon ausgehen kann, dass ein vertraulicher Rahmen geschaffen wurde, in welchem die
Interviewten frei erzählen konnten.
22 Lehmann, Albrecht: Vom Verstehen des Selbstverständlichen. Fragestellungen und Methoden der Volkskun-de. In: Fetthauer, Sophie; Grauel, Ralf; Matthiesen, Jens (Hrsg.): Die Standortpresse. Kulturwissenschaften in der Standortdiskussion. Hamburg 1995, S. 87-91, hier S. 88. 23 Vgl. Spiritova, Marketa: Narrative Interviews. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgru-ber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 117-130, hier S. 119f. 24 Vgl. Ebd., S. 121.25 Vgl. Ebd.
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Für die Auswertung des erhobenen Datenmaterials richtete ich mich nach der Qualita-
tiven Inhaltsanalyse von Mayring.26 In einem ersten Schritt verfasste ich beim Anhören der
Interviews eine Inhaltsanalyse um somit in einem weiteren Schritt inhaltliche Schwerpunkt-
setzung und Kategorien herausarbeiten zu können. Bei einem zweiten Abhören der Audioda-
teien notierte ich Brüche sowie besondere Elemente der Sprachstruktur. Ein vollständiges
Interviewtranskript liegt im originalen Wortlaut exemplarisch als Anhang der Arbeit bei (sie-
he Anhang C). Für die Übertragung der mündlichen Rede in einen schriftlichen Text richtete
ich mich an die Vorgaben zum Transkribieren nach Schmidt-Lauber.27 Da die Interviews
nicht auf der Muttersprache der Befragten geführt wurden, habe ich die direkten Zitate leicht
angepasst, um einen Lesefluss zu gewährleisten und meinen Gesprächspartner*innen gegen-
über Respekt zu erweisen.
Die Namen der Interviewten sowie weitere hochvertrauliche Informationen wurden
alle anonymisiert. Vor Beginn der Interviews wurde eine Einverständniserklärung (siehe An-
hang A) von beiden Seiten unterschrieben. Die Interviewten konnten auf diesem Formular ein
selbstausgewähltes Pseudonym eintragen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass
meine zwei Gesprächspartnerinnen trotz meines Hinweises ihren richtigen Namen auf dem
Dokument eintrugen und ich dann später zwei Pseudonyme für sie auswählte, um die Ano-
nymisierung zu gewährleisten.
Eine weitere für diese ethnographische Studie bedeutende Methode stellen die infor-
mellen Gespräche dar. Es kam sowohl vor als auch im Anschluss der Interviews zu längeren
Diskussionen mit weiteren interessanten Informationen, die ich anschließend in meinem Feld-
tagebuch festhielt. Neben den Inhalten der informellen Gesprächen hielt ich in einem Ge-
dächtnisprotokoll nach jedem Interview auch Beobachtungen des Gesprächsortes sowie der
Interviewsituation, Qualitäten des/der Erzählenden, nonverbale Äußerungen und die Reflexi-
on der eigenen Rolle fest. Zudem sammelte ich in meinem Feldtagebuch Ideen, Schwierigkei-
ten und neuaufkommenden Fragen. Zu informellen Gesprächen kam es darüber hinaus auch
in meiner Wohngemeinschaft, auf einer sich zufällig ergebenden Begegnung während einer
sechsstündigen Zugfahrt und auch bei einem zufälligen Treffen mit einem meiner Inter-
viewpartner auf einer Demonstration gegen Abschiebung in der Freiburger Innenstadt.
26 Vgl. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. Weinheim, Basel 5. Auflage 2008. 27 Vgl. Schmidt-Lauber, Brigitta: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Göttsch, Silke; Lehmann, Albrecht (Hrsg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäi-schen Ethnologie. Berlin 2001, S. 169-188, hier S. 181f.
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Darüberhinaus erhielt ich weitere interessante Informationen über zwei Besuche in
zwei verschiedenen Flüchtlingsheimen in Freiburg, die sich als sehr unterschiedlich heraus-
stellten. Ich erlangte hierdurch noch tiefergehende Einblicke in die Wohnsituation von ge-
flüchteten Menschen. Alle Interviews fanden im aktuellen Wohnort meiner Gesprächs-
partner*innen statt, da ich bei der Orts- und Terminvereinbarung freundlicher Weise von allen
in ihre Wohnung eingeladen wurde. So ist meinen Gedächtnisprotokollen auch zu entnehmen,
wie die jeweiligen Zimmer eingerichtet sind. Einer meiner Interviewpartner hat beispielswei-
se seine Sprachzeugnisse sowie beglaubigte Abschlusszertifikate sichtbar an eine seiner Wän-
de gehängt. Ein weiterer Interviewpartner hat eine große syrische und deutsche Flagge in sei-
nem Zimmer hängen. Diese Objekte können in Bezug auf die Selbstverortung interpretiert
werden, jedoch kann im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter darauf eingegangen werden.
Zum Zeitpunkt meines Forschungsprozesses fand Ramadan statt, so dass es sich erge-
ben hat, dass ich zweimal auch zum Fastenbrechen eingeladen wurde. Daraus ergaben sich
weitere Gesprächsmöglichkeiten sowie eine Teilhabe an einem für die Selbstverortung der
Geflüchteten zentralem Moment. Ein Fastenbrechen erlebte ich in einem Flüchtlingsheim, wo
ich die Trennung zwischen Frauen und Männern und den Umgang miteinander beobachten
konnte. Zudem erhielt ich interessante Einblicke in Familiendynamiken und Erziehungsmaß-
nahmen. Das zweite Fastenbrechen fand im intimen Rahmen nur mit meinem Inter-
viewpartner statt, der sich nach meinem Dank für die freundliche Einladung und die Zuberei-
tung vieler Köstlichkeiten, bei mir bedankte, dass ich gekommen sei, sodass er nicht alleine
das Fasten brechen musste und somit seine Freunde und Familie noch stärker vermissen wür-
de (auf das darauf folgenden Interview gehe ich in meinem zweiten Fallbeispiel im Unterka-
pitel 3.5.2 genauer ein). Ich konnte zahlreiche Beobachtungen machen und dabei feststellen,
dass der Zelebration des Fastenbrechens eine enorme Bedeutung für die Selbstverortung zu-
geschrieben wird.
3.4. Sampling
Unter Sampling „wird in den Sozialwissenschaften eine Auswahl der zu untersuchen-
den Fälle im Sinne forschungsleitender Fragestellungen und der zu entwickelnden Theorie
bezeichnet.“28 Wie bereits im Kapitel über meinen Feldzugang (siehe Kapitel 3.2.) themati-
28 Von Dobeneck, Florian; Zinn-Thomas, Sabine: Statusunterschiede im Forschungsprozess. In: Bischoff, Chris-tine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 86-100, hier S. 91.
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siert, besteht das Ziel darin, möglichst heterogene Fälle zu finden.29 Die zwei von mir vorge-
nommen Einschränkungen auf den Raum Freiburg und die Staatsangehörigkeit der untersuch-
ten Gruppe wurden schon im Kapitel über das Forschungsfeld (siehe Kapitel 3.1.) erläutert.
Ein weiteres Kriterium für das theoretische Sampling waren soliden Kenntnisse der deutschen
Sprache. Dieses Kriterium ergab sich jedoch von selbst, da sich nur Personen mit fortgeschrit-
tenen Sprachkenntnissen (Niveau B2 – C1) für ein Interview bereit erklärten. Ich bot meinen
Interviewpartner*innen auch an, das Gespräch auf Englisch zu führen, falls es ihnen lieber
sein sollte, doch meine sieben Gesprächspartner*innen bevorzugten die deutsche Sprache.
Im folgenden Abschnitt möchte ich eine Kurzvorstellung aller Interviewten vorneh-
men, um dann im darauf folgenden Schritt die von mir vorgenommene Fallauswahl offen zu
legen.
Interview 1 mit Jan30: Jan ist 27 Jahre alt und vor zwei Jahren aus dem Irak nach Deutsch-
land geflohen. Er ist mit 13 Geschwistern und seinen beiden Eltern in einer ländlichen Region
auf einem großen Hof mit vielen Tieren im Norden von Syrien aufgewachsen. Sein Bachelor-
studium zum Bauingenieur hat er erfolgreich in Latakia absolviert. Sein großer Traum ist es
in Deutschland einen Platz für ein Masterstudium zu finden und anschließend zu promovie-
ren. Als Kurde ist er zweisprachig aufgewachsen, lernte in der Schule und an der Universität
Englisch und steckt jetzt viel Zeit und Energie in das Perfektionieren der deutschen Sprache.
Interview 2 mit Ivan31: Ivan ist 20 Jahre alt und mit seiner jüngeren Schwester und seinen
beiden Eltern im Zentrum Aleppos aufgewachsen. Zwei Jahre lang konnte er nicht zur Schule
gehen und hat während dieser Zeit über 200 Bücher aus der Bibliothek seines Vaters gelesen.
Im Krieg hat er einen seiner engsten Freunde verloren. Als für ihn wichtigstes Objekt hat er
ein gemeinsames Foto von sich und seinem verstorbenem Freund ausgewählt. Ivan ist poli-
tisch sehr interessiert und wenn er etwas hier in Deutschland ändern könnte, dann wäre das
die AFD. Vor kurzem hat Ivan die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH)
erfolgreich bestanden und wird im kommenden Wintersemester mit dem Medizinstudium in
Freiburg beginnen.
29 Vgl. Von Dobeneck, Florian; Zinn-Thomas, Sabine: Statusunterschiede im Forschungsprozess. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 86-100, hier S. 91. 30 Persönliches Interview mit Jan am 30.05.2017 in Freiburg i.Br. 31 Persönliches Interview mit Ivan am 01.06.2017 in Freiburg i.Br.
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Interview 3 mit Ali32: Ali, 24 Jahre alt, kommt aus Aleppo, wo er in einer wohlhabenden
Familie mit sechs Geschwistern aufgewachsen ist. Vor zwei Jahren ist er aus der Türkei nach
Deutschland geflohen, lernt seitdem Deutsch und kellnert nebenbei in einem Restaurant. Er
hat bisher keinen Aufenthaltstitel erhalten, was ihn in vielerlei Hinsicht stark einschränkt. So
kann er beispielsweise nicht in eine WG ziehen, obwohl er schon eine gefunden hat, sondern
muss im Heim wohnen bleiben, wo es ihm nicht gefällt. Zudem ist es ihm durch die Duldung
nicht erlaubt Deutschland zu verlassen, was bedeutet, dass er seine deutsche Freundin, die
momentan in Prag studiert, nicht besuchen kann. Ali ist politisch sehr gut informiert und auch
sehr aktiv. Die Revolution in Syrien und das Regime Assads sind Themen, die ihn sehr be-
schäftigen und bewegen.
Interview 4 mit Rasal33: Rasal ist 27 Jahre alt, verheiratet und hat einen Sohn, den er bisher
noch nie gesehen hat. Seit über einem Jahr wartet er auf die Familienzusammenführung mit
seiner Frau und seinem Kind, die momentan in der Türkei auf Pässe warten. In Syrien ist Ra-
sal in einer sehr großen Familie mit 24 (Halb-)Geschwistern aufgewachsen und hat dort als
Obstlieferant gearbeitet, um seine jüngeren Geschwister über die Runden zu bringen. Diese
Arbeit stellte für ihn während der Zuspitzung der Kriegslage in Syrien eine tägliche Lebens-
bedrohung dar. Dies musste er jedoch zwei Jahre lang jeden Tag wieder erneut auf sich neh-
men, um genügend Geld für die Flucht beiseite legen zu können. Dass er während seiner
Flucht nicht allen Frauen und Kindern helfen konnte, beschäftigt ihn sehr. Bei seiner Ankunft
in Deutschland hat er sich sehr verloren gefühlt, da er weder Deutsch noch Englisch sprechen
konnte und alleine war. In Freiburg angekommen, wurde er in einer Theatergruppe aufge-
nommen, wovon er freudig berichtet.
Interview 5 mit Osan34: Osan ist 21 Jahre alt und lebt zusammen mit seinem Vater in einer
Einzimmerwohnung. Er ist Kurde und hat in Syrien als Journalist gearbeitet und viel Fotoma-
terial gesammelt. Sein Mitbewohner in Syrien hat ihm seine SIM-Karte geklaut und ihn an die
Regierung verraten. Daraufhin wurde er inhaftiert und verbrachte drei Monate im Gefängnis,
wo er viel durchmachte, bis ihn sein Vater freikaufen konnte. Osan spricht fließend Kurdisch,
Arabisch, Türkisch, Englisch und Deutsch und konnte sich so, vor, während und nach der
Flucht in vielen Situationen als sehr hilfsbereit erweisen und sich etwas Geld dazu verdienen.
Momentan schreibt er an einem Roman, den er auf Deutsch übersetzen lassen möchte und zu
veröffentlichen hofft.
32 Persönliches Interview mit Ali am 02.06.2017 in Freiburg i.Br. 33 Persönliches Interview mit Rasal am 03.06.2017 in Freiburg i.Br. 34 Persönliches Interview mit Osan am 04.06.2017 und am 15.06.2017 in Freiburg i.Br.
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Interview 6 mit Bisan35: Bisan ist vor kurzem 18 Jahre alt geworden und die jüngere
Schwester von Ivan. Sie lebt zusammen mit ihren Eltern in einem Flüchtlingsheim, wo ihr
Bruder Ivan oft vorbei schaut. Bisan besucht die zehnte Klasse einer katholischen Mädchen-
schule. Ihre Heimat Syrien ist für sie im Alltag sehr präsent wie auch all ihre Kontakte und
Freundschaften dort. Sie träumt davon, dass der Krieg in Syrien bald endet und dass sie dahin
zurückkehren kann. Im Flüchtlingsheim fühlt sie sich nicht wohl und ist mit ihren Eltern
schon länger erfolglos auf der Suche nach einer Zweizimmerwohnung in Freiburg.
Interview 7 mit Almira36: Almira ist 13 Jahre alt und 2015 mit ihrem Vater aus Syrien ge-
flohen. Ihre Mutter und die drei jüngeren Geschwister mussten sie in Griechenland in einem
Flüchtlingscamp zurücklassen, da das Geld für die Schmuggler nicht für alle reichte. Zwei
Jahre später, vor zwei Monaten, konnte Almiras Mutter mit den Kindern aus Griechenland
nach Deutschland kommen. Almira übernimmt nun sehr viel Verantwortung für die ganze
Familie und baut viele Brücken zwischen ihren Eltern und dem hiesigen Umfeld. So begleitet
sie ihren Vater ins Jobcenter und ihre schwangere Mutter zum Frauenarzt. Ihre jüngere
Schwester, welche in den zwei Jahren im Flüchtlingscamp griechisch gelernt hat und dort
viele Freundschaften geknüpft hat, versucht sie über Heimweh hinweg zu trösten und ihr
Deutsch beizubringen. In der Schule wird Almira häufig von ihrer Klasse in die Vorberei-
tungsklasse zu ihren Geschwistern geholt, um zu vermitteln und unterstützen. Im Interview
betont sie mehrfach wie sehr sie Baschar (Hafiz al-Assad) hasst.
Diese Kurzvorstellungen lassen die Fülle und Vielfältigkeit an erhobenem Datenmate-
rial erahnen. Im folgendem Kapitel werde ich nun genauer auf die Interviews mit Jan, Ali und
Bisan eingehen. Die durch den Rahmen dieser Arbeit vorgegebene Reduzierung auf drei Fall-
beispiele ist mir sehr schwer gefallen. Um möglichst heterogene Fallbeispiele darzustellen,
war mir wichtig, einen männlichen sowie einen weiblichen Interviewten genauer vorzustellen
und die Inhalte des Interviews zu analysieren. Ein weiterer Grund für die Fallauswahl war der
aktuelle Wohnort: Jan wohnt in einer WG, Ali bei seiner Freundin und Bisan in einer Unter-
kunft für Geflüchtete. Alle weiteren Unterschiede werden in den folgenden Fallbeispielen
ersichtlich und im Fazit (siehe Kapitel 4) übergeordnet miteinander verglichen, um eine
Schlussfolgerung ziehen zu können.
35 Persönliches Interview mit Bisan am 18.06.2017 in Freiburg i.Br. 36 Persönliches Interview mit Almira am 22.06.2017 in Freiburg i.Br.
16
3.5. Einzelfallanalysen
3.5.1. Fallbeispiel 1 – Jan
Abbildung 2: Eigene Aufnahme von Jan
„Ich meine zum Beispiel, wenn man fließend sprechen kann, kann man über viele Sachen sprechen, aber jetzt ist es zum Beispiel ein bisschen schwierig. Ich möchte zum Beispiel manchmal über eine Sache sprechen oder so, schwierig. Und manchmal wenn zum Beispiel die Deutschen mit mir sprechen, kann ich nicht verstehen was sie sagen oder fragen und manchmal ist das ein Scham[gefühl] und ich hasse diese Situation, verstehst du was ich meine? Und immer sagt man zum Beispiel ‚Wie bitte? Wie bitte?‘ und das ist ein bisschen schwierig für mich und es gibt Leute, die zum Beispiel, die 18 bis 20 Jahre alt sind, die sprechen sehr gut und sprechen immer mit Deutschen und ja vielleicht denken die nicht wie ich, ich mein’ zum Beispiel, die Leute in meinem Alter oder älter, denn ich kenne auch Leute, die auch 27 oder [älter sind] (kurze Pause) die Leute leiden auch (kurze Pause) unter der Sprache.“37
Das Interview mit Jan fand am 30.05.2017 in unserer gemeinsamen Wohngemein-
schaft statt. Die Atmosphäre war somit sehr entspannt und ich hatte nicht das Gefühl, dass Jan
mir Informationen vorenthielt, sondern im Gegenteil sehr offen von seinem Leben, seiner
Flucht und seiner aktuellen Lebenssituation erzählte. Dies lässt sich auch damit erklären, dass
im Vorfeld bereits durch einen gemeinsamen Alltag Vertrauen aufgebaut werden konnte. Das
Interview dauerte 2:08:7 und im Anschluss fand noch ein längeres Gespräch statt, welches
nicht mehr aufgezeichnet wurde, sondern in meinem Gedächtnisprotokoll festgehalten wurde.
37 Dieses Zitat wie alle weiteren Zitate in diesem Unterkapitel sind dem persönlichen Interview mit Jan vom 30.05.2017 in Freiburg i.Br. zu entnehmen.
17
Auf meine Einstiegsfrage erzählte Jan fast 20 Minuten völlig frei. Insgesamt musste ich als
Interviewerin das Gespräch wenig lenken. Viele Fragen aus dem Interview-Leitfaden wurden
bereits von ihm an anderer Stelle beantwortet. An drei Stellen im Interview wurde die von mir
formulierte Frage von meinem Gegenüber nicht verstanden, sodass ich sie durch eine Neu-
formulierung anders stellte. Ansonsten gab es keine größeren sprachlichen Schwierigkeiten.
Auf einige Fragen bekam ich die Reaktion „das ist eine gute Frage“, woraus ich auch schlie-
ßen kann, dass mein Gegenüber Interesse an diesem Gespräch hatte.
Auf den Gesprächseinstieg „erzähl doch mal einfach ein bisschen über dich“, schilder-
te mir Jan ganz ausführlich seine Fluchtgeschichte. Wichtige Erzählelement hierbei waren
u.a.: Schmuggler, Polizei, Geld(Überweisungen), Grenzen und Hilfsorganisationen. Aufgefal-
len ist mir, dass Jan beim Erzählen über seine Flucht präzise Zeit- und Ortsangaben machte.
Dies macht deutlich, wie wichtig einzelne Grenzüberschreitungen waren, sodass die genaue
Angabe von Zeit, Wochentagen und Ort präsent in Erinnerung bleiben. Ein weiteres wieder-
aufkommendes Element ist die Thematisierung von Fingerabdrücken. So schildert Jan, dass er
in Ungarn nach einem anderen Weg gesucht hat, um den Fingerabdrücken zu entkommen:
„Denn wir möchten zum Beispiel hier in Ungarn (kurze Pause), wie kann man sagen, Finger-
abdruck nicht machen, denn das ist schwierig [...] vielleicht geben sie uns in Deutschland kei-
nen Aufenthaltstitel und das ist sehr schlecht für uns.“
Eine weitere thematisch übergeordnete Kategorie, die für dieses Interview zentral ist,
ist die Kommunikation. Schon während der Flucht spielt das Handy als Kommunikationsmit-
tel eine wichtige Rolle: „In Serbien haben wir auch mit der Familie telefoniert für die Über-
weisung oder wo wir sind, denn die Eltern haben Sorgen was mit uns passiert. Wir haben im-
mer Kontakt mit den Eltern gehabt. Wir hatten fast alle ein Handy.“ Auch vor der Flucht sind
Kommunikationsnetzwerke für Jan von großer Bedeutung und prägen somit auch die Ent-
scheidung des Fluchtziels.
Besonders wichtig ist für Jan die Kommunikation mit seiner Familie:
„Drei Brüder und eine Schwester [wohnen] in Reutlingen, hier in Deutschland und anderer [Bruder] mit seiner Familie in Dänemark und (..) ja, wir sind 14 Ge-schwister [...] und ein Bruder mit seiner Familie in der Region Kurdistan-Irak und eine Schwester mit [...] ihrem Mann auch in der Region Kurdistan-Irak und ande-re [Schwester] in Syrien. Ja und jetzt (...) wir sind nur vier, wir haben nicht gehei-ratet, aber alle anderen sind verheiratet. Ja und sie haben Kinder und ich habe vielleicht 16 oder 17 Nichten und Neffen und ja das ist gut und immer es gibt Kontakt. Ja (..) ja und gut, das ist gut, denn es gibt WhatsApp. WhatsApp ist sehr wichtig.“
18
Dieses Zitat macht deutlich, wie eine große Familie durch den Bürgerkrieg in Syrien auf
unterschiedliche Teile der Welt verstreut wurde, wodurch sich transnationale Kommunikati-
onsnetzwerke ergeben. Die Familien-WhatsApp-Gruppe ist somit sehr bedeutend für das
Funktionieren eines Grenzen überschreitenden Netzwerkes.
Für die Kommunikation vor Ort in Freiburg spielt die deutsche Sprache selbstver-
ständlich eine ganz zentrale Rolle. Wie wichtig die Sprache für Jan persönlich ist, wird allein
schon durch das Foto deutlich, welches er aufgenommen hat, um den für ihn aktuell wichtigs-
ten Gegenstand zu repräsentieren (siehe Abbildung 2). Jan besucht zur Zeit einen C1 Sprach-
kurs und bereitet sich auf den dritten Versuch für die „Deutsche Sprachprüfung für den Hoch-
schulzugang“ vor, welche für geflüchtete Menschen eine der Voraussetzungen für einen Stu-
dienplatz in Deutschland ist. „Jetzt möchte ich mich für einen Master bewerben in Duisburg-
Essen und das ist sehr wichtig für mich, denn [...] Sprache ist der erste Schritt, aber ich meine,
wenn man einen Master anfängt, glaube ich, dass das gut ist. Das ist der erste Schritt von
meinem Traum, den Master und danach promovieren.“ Wie u.a. durch dieses Zitat veran-
schaulicht, möchte er seine Sprachkenntnisse verbessern, um seinen Traum verwirklichen zu
können. Sprache ist in diesem Fallbeispiel zum einen Mittel zum Zweck für die weitere Aus-
bildung und um seinem persönlichem Interesse nachzukommen: „(..) ich suche nach Wissen-
schaft und ja, ich möchte immer, wie kann man sagen, andere Sachen zum Beispiel verstehen
und was passiert und wie passiert das, ja.“ Zum anderem sieht Jan das Erlernen der deutschen
Sprache auch als Voraussetzung, um in Freiburg Freundschaften knüpfen zu können:
„Normaler Weise bin ich sozial, aber hier in Deutschland, vielleicht ist [die] Spra-che eine Grenze für mich. Denn zum Beispiel, wie kann man sagen, wenn es eine Diskussion oder ein Thema gibt, möchte ich wie andere Leute sprechen oder mich ausdrücken, verstehst du was ich meine? Aber ich bin mir sicher, dass das falsch ist. Ich muss zum Beispiel mehr Kontakt machen, damit ich gut sprechen kann. Aber leider mache ich das nicht und ich warte darauf, dass ich gut spreche und ich danach mit anderen Leuten zum Beispiel Freundschaft machen [kann] oder so. Deswegen habe ich jetzt zum Beispiel weniger Freundschaften hier in Freiburg mit Deutschen.“
Jan reflektiert also von sich aus, dass es negativ ist, dass er erst die Sprache besser ler-
nen möchte, bevor er sich auf neue Freundschaften einlassen kann. Die Sprache stellt somit
nicht nur ein verbindendes Element da, wodurch verbale Kommunikation erst ermöglich wird,
sondern kann gegebenenfalls auch trennend wirken. Schamgefühle, sowie die Tatsache man-
che Aussagen nicht verstehen zu können, werden zu einer zu überwindenden Hemmschwelle.
Die Beheimatung in der eigenen Muttersprache stellt ein Sicherheitsnetz dar, in welchem das
19
Individuum sich so ausdrücken und präsentieren kann, wie es möchte. Dadurch wird der
transnationalen Kommunikation zu Familie und Freunden, welche dieselbe Muttersprache
haben, eine noch größere Bedeutung zugeschrieben.
Neben der Flucht, Kommunikation und Sprache stellte der rechtliche Status noch ei-
nen weiteren thematischen Schwerpunkt des Interviews dar. „Ich lebe hier in Deutschland wie
andere Leute und (..) wie kann man sagen, man guckt nach sechs oder sieben Jahren was pas-
siert und vielleicht [...] bekomme ich einen deutschen Pass und ich bleibe hier und lebe wie
ein Deutscher auch in Deutschland.“ Dieses Zitat macht u.a. deutlich, wie wichtig offizielle
Dokumente, wie beispielsweise ein Pass sind, um sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen.
Aufenthaltstitel sowie Pässe haben eine enorme Macht auf das Leben der Individuen, insbe-
sondere, wenn diese nicht vorhanden sind und stellen daher entscheidende Papiere für die
Selbstverortung dar. Aus dieser Aussage wird auch ersichtlich, dass sich Jan eine Zukunft in
Deutschland gut vorstellen kann und sich somit schon in Freiburg verortet. Dies wird wiede-
rum dadurch verstärkt, dass Jan nicht an ein baldiges Ende des Kriegs in Syrien glaubt: „denn
ich glaube, dass der Krieg in Syrien [...] vielleicht noch zehn Jahre dauert.“ Auch für die Zeit
nach dem Krieg, einen Wiederaufbau des Landes, hat er wenig Hoffnung. Da Jan diese
Sichtweise hat, gestaltet er aktiv sein Leben in Deutschland, um seine Zukunftspläne realisie-
ren zu können.
„Und natürlich, wenn ich zum Bespiel [einen] Aufenthaltstitel [auf fünf Jahre verlän-gert] oder [einen] deutschen Pass bekomme (..) das freut mich, das [ist] gut zum Bei-spiel, denn vielleicht glaube ich, dass [der] deutsche Pass ist [der] stärkste Pass in der Welt und das ist auch gut, zum Beispiel kann man einfach in andere Länder [...] fahren und ja gut. Ja gut, ich glaube, das ist gut, wenn man zum Beispiel zwei [...] Pässe hat. [...] Ich komme aus Syrien und ja ich bin Syrer, aber wenn zum Beispiel hier, wenn ich in Deutschland zum Beispiel lebe, glaube ich zum Beispiel nach 20 oder 50 Jahren (..) ich mag Deutschland so wie Syrien, verstehst du was ich meine, denn zum Beispiel hier in Deutschland, sie hat auch, wie kann man sagen, gute Sachen für uns gemacht und ich glaube, man muss immer (kurze Pause) [in] diese Richtung zum Bespiel den-ken, [...] wenn zum Beispiel andere (kurze Pause) Personen, Leute oder andere Regie-rung zum Beispiel gute Sachen für dich machen, man muss (kurze Pause) dankbar sein, ja.“
20
3.5.2. Fallbeispiel 2 – Ali
„Ohne Sprache kein Menschen.“38
Abbildung 3: Eigene Aufnahme von Ali
Das Interview mit Ali39 fand am 02.06.2017 in Freiburg in der Wohngemeinschaft
seiner Freundin statt und dauerte 1:54:53. Dem Interview ging bereits ein langes Gespräch
voraus, da ich zum gemeinsamen Fastenbrechen eingeladen wurde (siehe Kapitel 3.3. zum
methodischem Vorgehen). Ali erlebte ich als einen sehr offenen Gesprächspartner, der sehr
redegewandt ist. Das Interview verlief nicht nah am Interview-Leitfaden, da das Gespräch und
somit die thematische Schwerpunktsetzung von Ali ausging.
Auf meine Einstiegsfrage hin, mir von seiner Lebensgeschichte zu erzählen, fragte er
kurz nach, ob in Deutschland oder überhaupt. Ich erwiderte darauf „überhaupt“, welches Ali
den Anstoß gab, 25 Minuten frei zu erzählen. Gleich zu Anfang kam er auf das Gefühl der
Sicherheit zu sprechen:
„Die ganze Geschichte, das ist einfach, wir hatten so zwei Häuser in Syrien und (kurze Pause) das Gefühl sicher zu sein. Das war wirklich, also ja Deutschland ist auch sicher und so, aber sicher als in du, wenn du hier geboren bist und dort auf-gewachsen bist und alle und kennst so viele Männer (kurze Pause), viele Men-schen und du kennst so viele, also Straßen [...] du kannst wirklich ganz locker lau-fen ohne, viele sagen Hallo, begrüßen dich und so, das ist [ein] anderes Gefühl.“
38 Dieses Zitat wie alle weiteren Zitate in diesem Unterkapitel sind dem persönlichen Interview mit Ali vom 02.06.2017 in Freiburg i.Br. zu entnehmen.39 Siehe vollständiges Transkript im Anhang C.
21
Besonders interessant an diesem Zitat finde ich, dass mit Syrien, obwohl dort seit längerem
ein brutaler Krieg mit unzähligen Opfern geführt wird, noch ein Gefühl der Sicherheit ver-
bunden wird. Sicherheit bedeutet für Ali, viele Menschen und Orte zu kennen. Dieses Gefühl
empfindet er (noch) nicht in Deutschland, wobei er später im Interview darauf zu sprechen
kommt, dass er nicht aus Freiburg wegziehen möchte, da er sich hier schon ein großes Kon-
taktnetz aufgebaut hat, sich gut auskennt, mit vielen Cafés vertraut ist und sich in der Stadt
gut orientieren kann. Die vielen Menschen und Orte, die er bereits kennt, also das, was er mit
einem Gefühl der Sicherheit verbindet, trifft also schon (ansatzweise) auf Freiburg zu. Ali
erzählt auch, dass er Freiburg bereits vermisst hat als er ein paar Tage in Berlin war. Daraus
lässt sich schließen, dass er sich schon ganz aktiv in der Stadt verortet.
Interessant an diesem Fallbeispiel ist auch, dass auf die Einstiegsfrage hin nicht direkt
von Fluchterlebnissen erzählt wurde wie in anderen Fallbeispielen. Ali spricht auch nicht von
Flucht, sondern von der Reise: „Die Reise, es ist wirklich ein anderes Gefühl, andere Ge-
schichte, andere Geschichte.“ Durch diese Reise hat er „ein anderes Leben betreten.“ Darauf
kommt er jedoch erst im späteren Verlauf des Interviews zu sprechen. Zu Beginn des Inter-
views geht Ali ausführlich auf die Revolution, die Diktatur und Assad ein. Dadurch wird auch
sehr gut nachvollziehbar, dass das für ihn wichtigste Foto eine Aufnahme von einer Demonst-
ration in Syrien ist. Ali war in seinem Heimatsland sehr in die Revolution involviert: „Aber
das dritte Jahr [im Studium] habe ich mich ganz tiefer, ich bin tiefer gegangen in die, als die
Revolution angefangen hat.“ Das politische Geschehen beschäftigt ihn sehr und somit wurde
und ist er bis heute sehr aktiv. Demonstrieren und für seine Rechte Einstehen ist für ihn von
großer Bedeutung und löst bei ihm Freiheitsgefühle aus:
„Aber die Geschichte als wir angefangen haben, einfach mit der ganzen Revoluti-on, das Gefühl ist unfassbar, ich kann nie vergessen, dass ich, als ich das Gefühl gehabt habe. Das ich einfach etwas äußern, etwas von meinem Herzen äußern [kann]. [...] das Gefühl zu haben die (kurze Pause) die können nicht mehr aushal-ten unter Druck zu sein, die können nicht mehr ohne Freiheit [...] leben. Freiheit, das ich alles sagen [kann] was ich will.“
Ganz zentral im Interview ist auch die Thematisierung des rechtlichen Status. Ali hat
bisher kein Aufenthaltsrecht erhalten, da ihm unterstellt wird, Palästinenser zu sein. Er wird
daher nur geduldet. Dass seine Freunde bereits einen Bescheid erhalten haben, er jedoch noch
nicht, frustriert ihn sehr. „Also je länger [desto] frustrierter wurde ich.“ Er fühlt sich dadurch
auch sehr benachteiligt, da ihm keine Person beratend zur Seite steht:
22
„Aber die, genau, das ist das [...] Hindernis von diesem Ding (kurze Pause) keine zuständige Person, die dir helfen kann (kurze Pause) soviel Bürokratie, das ist wirklich, der ohne Bescheid leidet wirklich darunter, das ist soviel Bürokratie. Auch mit so wenig Geld, mit so keine Unterstützung [...] Gottseidank habe ich das Stipendium an der Uni Freiburg gehabt.“
Nicht nur die finanzielle Unterstützung fehlt ihm, sondern auch eine empathische
menschliche Unterstützung: „Jetzt ich habe keinen, niemanden der für mich das, der mich
unterstützt. Nicht das Geld, also mit Geld, sondern mit Gefühl, weißt du, der wirklich etwas
machen kann.“ Somit ist er auf die Hilfe seiner Freundin und Freunden angewiesen. Ali hat
bereits viele Behördengänge durchgemacht und mit Hilfe eines Anwalts geklagt, jedoch blieb
dies bisher auch erfolglos.
„Mal schauen, wann ich diesen Bescheid endlich bekomme. Aber die Freude, es ist, ich habe die Freude schon verloren. Ich kann, dann kann ich einfach ein biss-chen, also frei laufen, frei mit [einem] normalen Ausweis [...]. Ich habe dieses Pa-pier so, ich hasse das.“
Hieraus wird ersichtlich, welche Bedeutung und Einschränkungen der nicht vorhandene
Bescheid in Alis Leben haben. Er fühlt sich „anders“, da er keinen „normalen“ Ausweis hat.
Er fühlt sich dadurch auch benachteiligt und eingeschränkt. Eine Aufenthaltsgenehmigung zu
bekommen würde für ihn Freiheit bedeuten; wieder „frei laufen“ zu können. Aktuell ist es
ihm nicht erlaubt aus Deutschland auszureisen, was erhebliche Einschränkungen auf sein Pri-
vatleben hat, da seine Freundin in der Tschechischen Republik wohnt.
Der Status der Duldung bringt auch die weitere Einschränkung in Alis Leben, dass er
nicht frei über seinen Wohnort entscheiden kann. So wohnt er offiziell noch in einem Wohn-
heim für Geflüchtete außerhalb von Freiburg, ist jedoch in der Wohnung seiner Freundin „ab-
getaucht“. Ali betont an mehreren Stellen im Interview, dass es ihm sehr wichtig ist, in Frei-
burg zu wohnen, um nicht durch den außerhalb liegenden Standort der Unterkunft für Ge-
flüchtete abgeschottet zu werden. Zudem möchte er eine eigene Wohnung finden, um: „So
wieder Ruhe, wieder ganz normal, normaler Mensch zu fühlen.“
In diesem Fallbeispiel werden auch wieder die transnationalen Kommunikationsnetz-
werke sichtbar. So besteht über Skype und WhatsApp Kontakt nach Prag zu seiner Freundin
und zu seinen Eltern, welche in Istanbul wohnen, seiner Schwester, die in Saudi-Arabien ver-
heiratet ist und nach Syrien, wohin eine seiner Schwestern zurückgekehrt ist. Ali sind diese
Verbindungen und Kontakte sehr wichtig, aber er verortet sich gleichzeitig auch in Freiburg.
23
Die Verortung geschieht unter anderem über die Sprache. Ali hat sehr solide deutsche
Sprachkenntnisse: „Gottseidank, dass ich meine Muttersprache nicht vergessen habe (La-
chen)." Er kann sich auch gut vorstellen, dass Deutsch zu seiner zweiten Muttersprache wird.
Die deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang hat er bisher bei zwei Versuchen noch
nicht bestehen können. Dies bedeutet eine Barriere für seinen weiteren Zukunftsplan: ein Me-
dizinstudium in Freiburg aufnehmen zu können.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Ali trotz aller Schwierigkeiten und Hürden, wel-
che das Schicksal eines geflüchteten Menschen mit sich bringen, sein Leben in Freiburg in die
Hand nimmt und aktiv gestaltet. So hat er sich bereits ein großes Netz an Kontakten aufbauen
können und sehr gute Kenntnisse über die Stadt sowie der Sprache aneignen können. Ali ge-
lingt es, die Sprache und Kultur seines Heimatlandes mit seinem Ankunftsort zu verbinden
und beide Kulturen ausleben zu können:
„Also auf jeden Fall Freizeit und so, das kommt drauf an, wenn ich die arabische Atmosphäre will, brauche, dann ich auch die syrischen Freunde besuche (kurze Pause). Wenn ich die deutsche Atmosphäre brauche, dann die deutsche Freunde. Das ist doch gut.“
3.5.3. Fallbeispiel 3 – Bisan
„Für mich ist es am Wichtigsten eine Wohnung [zu] finden. Und mehr Freunde auch. Und
mehr Kontakt mit Leuten machen und mehr deutsch lernen.“
Abbildung 4: Eigene Aufnahme von Bisan
24
Bisan40 habe ich am 18.06.2017 in ihrem aktuellen Wohnort, einer Unterkunft für Ge-
flüchtete in Freiburg, auf ein Interview getroffen. Ihre Handynummer hatte ich von ihrem
älteren Bruder bekommen, mit dem ich einige Tage zuvor in seiner Wohngemeinschaft be-
reits ein Interview geführt hatte. Das Interview fand an einem sehr heißen Tag während des
Ramadan statt. Der Ramadan wurde auch zum Gesprächsthema, da Bisan, wie ihre ganze Fa-
milie auch, fastet. Die Unterkunft hat auf mich wie ein Gefängnis gewirkt, da es isoliert auf
einem Industriegelände und komplett umzäunt war. Am Zaun hing ein Schild mit den Öff-
nungszeiten des Tores. Bisan holte mich unten am Tor ab, um mich dann zur Security zu be-
gleiten, wo ich mich anmelden musste. Das Interview fand dann in einem kleinem Zimmer
statt, in welchem ihre Mutter, später auch ihr Bruder, anwesend waren. Im Zimmer ange-
kommen, legte Bisan ihr Kopftuch ab, was mir gegenüber Vertrauen zeigte. Da wir uns noch
nicht kannten, begannen wir mit etwas „small talk“, bevor ich das Aufnahmegerät anschaltete.
Das Interview lief ganz anders als die bisherigen, da ich durch die gewonnenen Erfahrungen
schon etwas Sicherheit und Routine mit in die Interviewsituation brachte und sich auch sehr
nah am Leitfaden orientierte. Dies lag zum einen daran, dass ich Bisan vor dem Treffen für
das Interview noch nicht kannte und ich somit eine völlig fremde Person für sie war. Zudem
sagt sie von sich selbst, dass sie ein sehr schüchternes Mädchen ist, was wiederum erklärt,
warum sie vielleicht nicht jede Frage ausführlich beantworten konnte, zumal alle Fragen sehr
persönlich waren.
Zu Beginn des Interviews wurde die Flucht direkt angesprochen. Die Flucht spielt im
Leben aller meiner Interviewpartner*innen selbstverständlich eine ganz zentrale Rolle, jedoch
wird sie in jedem Fallbeispiel unterschiedlich thematisiert. Bisan kann sich beispielsweise an
die Namen einzelner Länder, die sie bei der Flucht durchquert hat, nicht mehr erinnern. Dies
erkläre ich mir dadurch, dass sie zum Zeitpunkt der Flucht erst 15 Jahre alt war und mit ihrem
älterem Bruder und ihren beiden Eltern zusammen geflohen ist. Sie musste somit nicht die
Verantwortung oder Organisation der Flucht übernehmen, wie dies der Fall bei meinen männ-
lichen Interviewpartnern war, die sich alleine auf den Weg nach Deutschland gemacht haben.
Ein immer wieder auftauchendes Element im Interview mit Bisan ist die Angst. Nicht
nur im Kontext der Flucht, sondern auch wenn sie von der Gegenwart spricht, wird deutlich,
wie viel und was ihr Angst bereitet. Als Bisan mit ihrer Familie von der Türkei nach Grie-
chenland fliehen wollte, musste die Familie drei Versuche starten bis sie die griechische Küs-
te erreichen konnten. Einmal kenterte das Schlauchboot „und wir fallen ins Wasser, dann wir
40 Von mir ausgewählter Name.
25
bleiben im Wasser [für] zwei Stunden.“41 Ein anderes Mal wurden sie auf See von einem
„türkischem Schiff“ zurück ans Land gebracht. Bisan beschreibt wie groß ihre Angst vor dem
Wasser ist, da sie nicht schwimmen kann. „Ich habe Angst davor nochmal ins Wasser zu fal-
len, weil ich nicht schwimmen kann. [...] Und auch wenn ich sehe, dass meine Mutter ins
Wasser fällt und sie kann auch nicht schwimmen [...] das macht mir Angst.“ In dem Ge-
spräch, welches dem Interview folgte, erzählte sie mir auch, wie schwierig es für sie ist, dass
sie Schwimmunterricht in der Schule hat und wie viel Angst ihr das bereitet.
„Wenn wir in Syrien waren, ist [das] Leben normal. [...] Wir gehen zur Schule und danach zum Haus und so. Danach ich gehe zu meinen Freunden, zu meinem Onkel, zu meiner Tante, wo ich war, ich kenn’ alle die Plätze da, ich kann, wo ich war richtig gehen und niemand sagt, warum du gehst so und niemand hat Angst vor mir.“
Die Fremdwahrnehmung aus ihrer Perspektive ist auch an Angst geknüpft. „Ich weiß nicht,
sie gucken zu mir, dass sie mögen mich nicht oder ich bin gleich einem Tier oder so.“ Bisan
fühlt sich in ihrem neuen Umfeld als Fremde wahrgenommen, welches Angst bei ihr auslöst.
Sie spricht auch von Angst im Zusammenhang mit der deutschen Sprache: „Wenn ich gehe
zur Schule, ich kann nichts mit jemandem sprechen, weil ich kann nicht die Sprache und das
macht mich etwas, ich weiß nicht, Angst haben und so.“
Bisan hat auch Angst um ihre Verwandten und Freunde, welche noch in Syrien leben:
„Ich werde immer traurig und ich habe Angst auch, ich habe Angst, dass meiner Tante, Onkel
oder Freunden etwas passiert. Wenn die Situation zum Bespiel richtig nicht gut ist, dann habe
ich richtig Angst. Ich will, dass niemandem etwas passiert. Und dann, ich weiß nicht, ich habe
immer Angst.“
Die Angst findet somit auf mehreren Ebenen statt und prägt das Leben und somit die
Selbstverortung von Bisan ganz entscheidend mit. Dies verstärkt wiederum die starke Bin-
dung an ihr gewohntes Familien- und Freundesnetz. An diesem hält sie fest, durch dieses be-
kommt sie Sicherheit. Daher ist ihr Handy, welches sie als wichtigstes Objekt ausgewählt hat,
ganz entscheidend für sie, um den Kontakt nach Syrien und andernorts verstreuten
Freund*innen halten zu können.
Bisans Angst ist auch verbunden mit tiefer Traurigkeit und einem damit einhergehen-
den lähmenden Gefühl:
41 Dieses Zitat wie alle weiteren Zitate in diesem Unterkapitel sind dem persönlichen Interview mit Bisan vom 18.06.2017 in Freiburg i.Br. zu entnehmen.
26
„Als ich in Syrien war im Krieg, da war es ganz normal für mich, die Bilder [von der Zerstörung] zu sehen und so. Als ich hierher gekommen bin, am Anfang und bis jetzt, ich kann gar keine Fotos sehen und so. Das macht mich richtig sehr trau-rig. Und ich würde dann weinen und so, ich kann gar kein Foto sehen oder etwas hören, das macht mich richtig sehr traurig und so. Ich kann nichts (...).“
Neben den Gefühlen von Trauer und Angst, welche Bisans Leben begleiten, spielt die
aktuelle Wohnungssituation eine ganz entscheidende Rolle in ihrem Leben. Auf die Frage, ob
sie mir ihre Wohnungssituation schildern kann, hat Bisan einen direkten Vergleich zu ihrem
Leben vor der Flucht gezogen. „Weil weißt du, wenn jemand ein großes Haus hat [...] eine
große Familie und sie sind, leben nebeneinander und so und viele Freunde, wenn er kommt zu
einem (kurze Pause) richtig schlechtem Heim, das war richtig traurig.“ Es wird im Verlauf
des Interviews ziemlich schnell klar, dass sie sich in der Unterkunft nicht zu Hause fühlt. Zu-
hause bedeutet für sie: „dann gehe ich zur Toilette ohne mein Kopftuch und diese Sachen. Ich
kann [...] was ich will in der Küche machen, ich kann alle Leute zu mir einladen und so und
niemand sagt, warum du machst das oder so. Das für mich bedeutet das Zuhause.“ Die Unter-
kunft für Geflüchtete bringt jedoch viele Einschränkungen mit sich. So kann Bisan in den
geteilten Räumen, wie etwa Küche und Bad, nicht ohne ihr Kopftuch rumlaufen, da diese
auch von Menschen außerhalb ihrer Familie benutzt werden. Zudem läuft das Personal der
Security regelmäßig durch die Gänge: „Sie kommen jederzeit hier[her] und sie sehen, dass der
Herd ist an oder aus und so und dann gehen sie.“ Darüberhinaus ist es nicht erlaubt, dass Be-
sucher*innen in der Unterkunft übernachten. Dies stellt eine weitere folgenschwere Ein-
schränkung in Bisans Leben dar, weil sie ihre Freundinnen nicht einladen kann oder zwei
ihrer engen Freundinnen aus Syrien, welche mittlerweile in Berlin und Köln wohnen, sie nicht
besuchen können.
Bisan erzählt auch von dem schlechten Verhältnis zu den Nachbarn außerhalb des
Heimes, denen sie jedoch noch nie begegnet ist. So ist es zu Konflikten gekommen, da sich
Nachbarn über Lärm beschwert haben, woraufhin eine Ausgangssperre eingeführt wurde und
es den zahlreichen Kindern in diesem Heim nicht mehr erlaubt ist, auf der einen Straßenseite
zu spielen. „Weil da die Leute, die deutschen Leute hier, unsere Nachbarn, sie waren richtig
verärgert davon.“ Die Regelungen im Heim haben somit drastische Auswirkungen auf das
individuelle Leben der Bewohner und sind freiheitsbeschränkend, da Besuch sowie Ein- und
Ausgangszeit fremdbestimmt werden.
27
An zahlreichen Stellen im Interview zieht Bisan Vergleiche zu „meinem Land“ Syrien.
Dies veranschaulicht wie präsent ihre verlorene Heimat im alltäglichen Leben ist. Bisan hat
den Wunsch, in ihre Heimat Syrien zurückzukehren:
„Weißt du, alles hier ist richtig gut, aber etwas ganz anderes von unserer [Hei-mat]. [...] Das was ich will, nicht alle Leute wollen das [...], aber ich sage, wenn die Situation [der Krieg] ist beendet, ich will in meine Stadt [Aleppo], weil meine Stadt, meine Sprache, alles was ich gern [habe], aber hier ist alles neu für mich und so.“
3.6. Reflexion
Dieses Kapitel möchte ich der Reflexion des Forschungsprozesses sowie der For-
schungsergebnissen widmen, welches für ethnographisches Forschen eine zentrale methodo-
logische Herangehensweise darstellt. Zu allererst möchte ich festhalten, dass bedingt durch
die Tatsache, dass die Interviews nicht in der Muttersprache meiner Gesprächspartner*innen
geführt wurden, an einigen Stellen Verständnisfragen aufgekommen sind. So haben meine
Gesprächspartner*innen auf ein paar meiner Fragen nachfragen müssen und ich habe mich
stets um eine möglichst deutliche und einfache Formulierung bemüht. Während der Intervie-
wauswertung ist mir jedoch aufgefallen, dass ich einige Male mehrere Fragen mit untergeord-
neten Fragen nacheinander gestellt habe, welches die Geprächssituation verkompliziert hat
und dazu führte, dass nur auf die letztgestellte Frage eingegangen wurde.
Des Weiteren möchte ich die Rolle reflektieren, die mir von meinen Inter-
viewpartner*innen zugeschrieben wurde. So hatte ich während der Gespräche das Gefühl,
nicht nur als Forschende, sondern vielmehr (auch) als Deutsche und somit Vermittlerin, die
die Informationen an die Mehrheitsgesellschaft weiterträgt, wahrgenommen zu werden. Ins-
besondere im Gespräch mit Almira42, hatte ich den Eindruck, dass ich als Journalistin wahr-
genommen werde, mit dem Anspruch die Aussagen zu veröffentlichen. So kam es auch zu
einer längeren Diskussion über die Anonymisierung, da sie mit ihrem richtigen Namen ge-
nannt werden wollte. Ihr Vater hat Almira beispielsweise auch darum gebeten, mir zu über-
setzen, wie schlecht sie während ihrer Flucht in Ungarn behandelt worden sind und betont,
dass ich dies „denen“ weitersagen soll.
42 Von mir ausgewählter Name.
28
Darüber hinaus kann ich reflektieren, dass all meine Gesprächspartner*innen einen
enormen Redebedarf hatten. So kam es beispielsweise bei meinem Interviewpartner Osan zu
einem zweiten Treffen und generell sind alle Interviews sehr lang ausgefallen. Ein Interview
war mit mehreren Unterbrechungen knappe sechs Stunden lang. Dies interpretiere ich dahin-
gehend, dass es nicht wie im Fall eines „Research-Up“ zu zeitlichen Einschränkungen ge-
kommen ist, sondern meine Gesprächspartner*innen viel Zeit hatten und eine sehr hilfsbereite
Haltung an den Tag gelegt haben. Als noch wichtiger erachte ich jedoch die Reflexion, dass
ein großes Bedürfnis sichtbar geworden ist, die persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse,
insbesondere der Flucht, einer neutralen und externen Gesprächsperson zusammenhängend
erzählen zu können.
Zudem möchte ich reflektieren, dass mir der Ausstieg aus dem Feld bis zum jetzigen
Zeitpunkt der schriftlichen Ausarbeitung sehr schwer fällt. Durch das tiefgehende Forschen
über und mit einer sehr vulnerablen Gruppe wurde ich an viele hochvertrauliche Informatio-
nen herangetragen, u.a. auch mit der Bitte, dies an niemanden weiterzutragen, weshalb ich in
dieser Studie auch großen Wert auf die Anonymisierung sowie den vertraulichen Umgang mit
den aufgezeichneten Daten gelegt habe, was u.a. auch die Auswahl der drei Fallbeispiele be-
einflusst hat. Der Kontakt zu meinen Interviewpartner*innen, nicht zuletzt natürlich auch zu
meinem Mitbewohner, geht weit über die Forschungsarbeit hinaus und so kann ich jedoch
auch auf einen enorm gewinnbringenden persönlichen Lernprozess zurückblicken.
An dieser Stelle möchte ich auch auf den US-amerikanischen Historiker und Ethnolo-
gen James Clifford verweisen, welcher mit seinem Werk „Partial Truths“ einen bedeutenden
Leitsatz für das ethnographische Forschen gesetzt hat:
„In cultural studies at least, we can no longer know the whole truth, or even claim to approach it. The rigorous partiality I have been stressing here may be a source of pessimism for some readers. But is there not a liberation, too, in recognizing that no one can write about others any longer as if they were discrete objects or texts? And may not the vision of a complex, problematic, partial ethnography lead, not to its abandonment, but to more subtle, concrete ways of writing and reading, to new conceptions of culture as interactive and historical?“43
Ich reflektiere somit abschließend, dass in dieser Forschungsarbeit nur halbe Wahrhei-
ten dargestellt werden konnten, da allein schon die Rahmenbedingungen dieser Abschlussar-
43 Clifford, James: Introduction: Partial Truths. S. 25. Als PDF abrufbar unter: http://researchmethodswillse.voices.wooster.edu/files/2012/01/Clifford_PartialTruths1.pdf (Stand: 16.07.2017).
29
beit und gleichzeitig die Fülle an erhobenen Datenmaterial, zu Unvollständigkeiten geführt
haben, welche ich hiermit offen reflektiere.
4. Fazit
Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass viele verschiedene Mechanismen für
die Selbstverortung bedeutend sind. Die drei vorrangigen Kategorien, die ich für die verglei-
chende Materialanalyse dieser Forschung herausgearbeitet habe, sind: Sprache & Kommuni-
kation, Wohnen und der rechtliche Status. Diese Kategorien stellen zentrale Bausteine für die
Selbstverortung dar, wie in den einzelnen Fallbeispielen illustriert werden konnte.
Die Sprache stellt ein wichtiges Sicherheitsnetz dar, in welchem sich Individuen frei
ausdrücken können. Sprache kann zudem wie im Beispiel der Lebenswelt von Geflüchteten
zu einem Machtinstrument werden. So kann Sprache Türen öffnen oder auch verschließen:
Durch Sprache wird der Zugang zu Universität, Arbeit und Kontakten jeglicher Art erst er-
möglicht. Gleichzeitig kann Sprache aber auch ein Machtinstrument werden, das durch Kate-
gorisierung und Labeln trennt: In den qualitativen Interviews dieser Arbeit wurde ersichtlich,
dass die Fremdzuschreibung als „Flüchtling“ von geflüchteten Menschen aufgegriffen und
internalisiert wird. So bezeichnen sich die Befragten dieser Studie selbst als Flüchtling und
stellen diese Kategorisierung in Abgrenzung zu den Anderen, den Deutschen. Das Fremdbild
wird somit zum Selbstbild. Für die Selbstverortung bedeutet das zunächst die Dominanz des
Herkunftsortes. Dies wurde insbesondere in den Fallbeispielen meiner Interviewpartnerinnen
deutlich, die im „Flüchtlingsheim“ wohnen. Die Selbstverortung als „Flüchtling“ wird durch
den Wohnort in einem „Flüchtlingsheim“ noch verstärkt.
Wie durch die Fallbespiele auch veranschaulicht werden konnte, ist selbstbestimmtes
Wohnen ganz entscheidend, um sich mit dem Ankunftsort verbinden zu können. In der Unter-
kunft für Geflüchtete steht die Vergangenheit im Fokus und nicht das Hier und Jetzt. Die At-
mosphäre in diesen Unterkünften ist geprägt durch die Flucht, welche alle Bewohner*innen
miteinander teilen. Dadurch entstehen Dynamiken, die intern verbindend sind und nach außen
abgrenzend werden können. In Freiburg wohnen derzeit 74,8% der Geflüchteten in Unter-
künften für Geflüchtete.44 Diese Prozentzahl sinkt seit dem Frühjahr 201645, entweder, weil
mehr Geflüchtete in eine private Wohnung umziehen oder aus Freiburg wegziehen.
Drittens ist der rechtliche Status entscheidend für die Frage der Verortung, da von ihm
die Zukunftsperspektive abhängt. Interviewpartner*innen, die dank ihres rechtlichen Status,
dank der Anerkennung als Geflüchtete, eine klare Zukunftsperspektive in Deutschland haben,
verorten sich verstärkt in ihrem Ankunftsort. Wenn die individuelle Zukunftsperspektive nicht
in Deutschland gesehen wird, wird das Transnationale zum Trennendem. Dies wurde durch
das dritte Fallbeispiel dieser Studie besonders deutlich.
In dem Spannungsverhältnis von Herkunfts- und Ankunftsort, also von Transnationali-
tät, wirken Sprache, Wohnort und rechtlicher Status dann sichernd und verbindend, wenn sie
von den Geflüchteten beherrscht und selbstbestimmt sind beziehungsweise ihrem Ziel ent-
sprechen. Ist, wie im Fallbeispiel von Bisan, der Bezugspunkt zum Herkunftsort in die Ver-
gangenheit gerichtet, als dort noch alles in Ordnung war, bezieht sich die transnationale Ver-
ortung auf einen utopischen Ort, und geht damit ins Leere, was zusätzlich trennend wirkt.
Die Kommunikationsnetzwerke zeigten sich so wichtig (siehe Abbildung 1) wie selbst-
verständlich: In den Interviews wurden sie nicht direkt thematisiert, sie wurden vorausge-
setzt. Das zeigte sich daran, dass meine Fragen nach den Kommunikationsmitteln und – part-
ner*innen kurz und schlicht beantwortet wurden.
In allen Interviews tauchte ein weiteres Element auf, das ich bei der Konzeption meiner
Arbeit nicht im Blick hatte, das mir aber für die Selbstverortung wichtig erscheint: Dankbar-
keit. Dankbarkeit kann, neben Sprache, Wohnort und Status, zu einem verbindendem Element
zu dem neuen Ort werden.
Ali: „Also ich muss sagen, dass ich bin wirklich beeindruckt von den Deutschen. [...] Es gibt Leute, die helfen so gerne, die faszinieren mich. Sie helfen (kurze Pause) also ich kannte die Leute überhaupt nicht und sie haben mir geholfen mehr als ein Verwandter, sie haben mir soviel geholfen [...]. Und das finde ich wirklich so gut, deswegen eigentlich, mag ich so gerne, ich glaube deswegen das war der eine Grund von den Gründen, das ich die Sprache so schnell gelernt habe [...]. Weil ich [...] mag [...] diese Spontanität von den Deutschen manchmal, dieses gu-te Herz von den Deutschen und das mag ich gerne.“
5. Ausblick
Wie eingangs schon erwähnt, stellt mein Forschungsthema eine Lücke in der aktuellen
sozialwissenschaftlichen Forschung dar und konnte im Rahmen dieser Studie auch nicht
gänzlich gefüllt werden, weshalb ich an dieser Stelle auf weiteren Forschungsbedarf hinwei-
31
sen möchte. Von weiterem Interesse erachte ich, die Durchführung qualitativer Interviews mit
syrischen Geflüchteten einer anderen Altersgruppe. Meine Interviewpartner*innen sind zwi-
schen 13 und 27 Jahren alt und stehen somit beispielhaft für Kinder und Jugendliche. Es wäre
jedoch auch interessant, ältere Gesprächspartner*innen zu finden, um auch deren Lebenssitua-
tion durch einen anderen Blickwinkel darstellen zu können.
Das Thema und die Herangehensweise an die Lebenssituation einer Vielzahl an ge-
flüchteten Menschen ist so komplex und vielfältig, dass ich noch eine große Brandbreite an
weiterem Forschungsbedarf sehe. So wäre eine thematische Fokussierung auf die Fluchterfah-
rung von besonderer Relevanz sowie eine vertiefte Auseinandersetzung der damit einherge-
henden Belastungsstörungen und mit dem Umgang mit Erinnerungen.
Ich erachte es für wichtig, aktuelle sowie politisch stark umstrittene und diskutierte
Themen, wie die der Lebenswelten von Geflüchteten, aus einer kulturanthropologischen Per-
spektive aus zu beleuchten und zu dekonstruieren. Mein Ziel war es durch diese Arbeit zu
verdeutlichen, wie vielfältig und divers die in aller Munde im aktuellen Diskurs gebrauchte
Kategorie „Flüchtling“ ist. Ich möchte mit diesem Forschungsbeitrag dazu anregen, vorsichtig
mit solcher Kategorienbildung umzugehen und dafür plädieren, stets das jeweilige individuel-
le Schicksal in Betracht zu ziehen.
Mit diesem Zitat von Zygmunt Bauman, welcher Anfang dieses Jahres verstorben ist,
möchte ich meine ethnographische Forschungsarbeit auf einer aktivistischen und anregenden
Note abschließen:
„In einer global dicht vernetzten Welt gegenseitiger Abhängigkeit können wir uns unserer moralischen Unschuld niemals gewiss sein, solange Menschen Leid und Elend ertragen müssen. Wir können weder behaupten, von nichts gewusst zu ha-ben, noch sicher wissen, dass ihr Leiden nicht möglicherweise durch eine Ände-rung unseres Verhaltens hätte verhindert werden oder zumindest gemildert wer-den können. Als einzelne mögen wir machtlos sein, aber gemeinsam können wir etwas tun, und Gemeinsamkeit wird durch einzelne hergestellt.“46
46 Bauman, Zygmunt: Leben in der Flüchtigen Moderne. Frankfurt am Main 2007, S. 58.
32
Literaturverzeichnis
Bauman, Zygmunt: Leben in der Flüchtigen Moderne. Frankfurt am Main 2007. Clifford, James: Introduction: Partial Truths. Als PDF abrufbar unter: http://researchmethodswillse.voices.wooster.edu/files/2012/01/Clifford_PartialTruths1.pdf (Stand: 16.07.2017). Comitas, Lambros: Preface. In: Glick Schiller, Nina; Basch, Linda; Blanc-Szanton, Cristina (Hrsg.): Towards a Transnational Perspektive on Migration. Race, Class, Ethnicity, and Nati-onalism Reconsidered. New York 1992, S. vii-viii. Faist, Thomas; Fauser, Margit: Das Transnationale in der Migration. Eine Einführung. Wein-heim und Basel 2014. Gajek, Esther: Lernen vom Feld. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leim-gruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 53-68. Glick Schiller, Nina; Basch, Linda; Blanc-Szanton, Cristina: Towards a Definition of Trans-nationalism. Introductory Remarks and Reserach Questions. In: Glick Schiller, Nina; Basch, Linda; Blanc-Szanton, Cristina (Hrsg.): Towards a Transnational Perspektive on Migration. Race, Class, Ethnicity, and Nationalism Reconsidered. New York 1992, S. ix-xiv. Hess, Sabine: Transnationalismus und die Demystifizierung des Lokalen. In: Schmidt-Lauber, Brigitta (Hrsg.): Ethnizität und Migration. Einführung in die Wissenschaft und Arbeitsfelder. Berlin 2007, S. 179-193. Kivisto, Peter: Theorizing transnational immigrants. A critical review of current efforts. Eth-nic and Racial Studies, Vol. 24., No. 04.07.2001. Krause, Ulrike: It Seems You Don’t Have Identity, You Don’t Belong. Reflexionen über das Flüchtlingslabel und dessen Implikationen. In: Zeitschrift für Internationale Beziehung, 23 (2016), S. 8-37. Lehmann, Albrecht: Vom Verstehen des Selbstverständlichen. Fragestellungen und Methoden der Volkskunde. In: Fetthauer, Sophie; Grauel, Ralf; Matthiesen, Jens (Hrgs.): Die Standort-presse. Kulturwissenschaften in der Standortdiskussion. Hamburg 1995, S. 87-91. Lipphardt, Anna: Vilne. Die Juden aus Vilnius nach dem Holocaust. Eine transnationale Be-ziehungsgeschichte. Paderborn 2010. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitati-vem Denken. Weinheim, Basel 5. Auflage 2008. Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. München 2. Aufl. 2016.
33
Pries, Ludger: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Frankfurt am Main 2008. Schmidt-Lauber, Brigitta: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Göttsch, Silke; Lehmann, Albrecht (Hrsg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2001, S. 169-188. Soja, Edward: Postmodern Geographies. The Reassertion of Space in Critical Social Theory. London/New York 8. Aufl. 1989. Spiritova, Marketa: Narrative Interviews. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 117-130. Von Dobeneck, Florian; Zinn-Thomas, Sabine: Statusunterschiede im Forschungsprozess. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hrsg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 2014, S. 86-100.
34
Quellenverzeichnis
Persönliches Interview mit Jan am 30.05.2017 in Freiburg i.Br.
Persönliches Interview mit Ivan am 01.06.2017 in Freiburg i.Br.
Persönliches Interview mit Ali am 02.06.2017 in Freiburg i.Br.
Persönliches Interview mit Rasal am 03.06.2017 in Freiburg i.Br.
Persönliches Interview mit Osan am 04.06.2017 und am 15.06.2017 in Freiburg i.Br.
Persönliches Interview mit Bisan am 18.06.2017 in Freiburg i.Br.
Persönliches Interview mit Almira am 22.06.2017 in Freiburg i.Br.
WhatsApp Sprachnachricht von Rasal, am 14.06.2017.
O.V.: Syrien. In: Oxfam Deutschland. Für eine gerechte Welt. Ohne Armut. Abrufbar unter: https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/laender/syrien?pk_campaign=ox-syrien&pk_kwd=syrienkrieg&utm_wec=11494&gclid=CImv3MK37NICFdQK0wodKSEP_g (Stand: 12.06.2017).
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Eigene Aufnahme von Rasal, per WhatsApp zugeschickt am 14.06.2017.
Abbildung 2: Eigene Aufnahme von Jan, per WhatsApp zugeschickt am 19.06.2017.
Abbildung 3: Eigene Aufnahme von Ali, per WhatsApp zugeschickt am 26.06.2017.
Abbildung 4: Eigene Aufnahme von Bisan, per WhatsApp zugeschickt am 18.06.2017.
35
Anhang
Anhang A: Einverständniserklärung der Interviews
Informationen und Einverständniserklärung
zur Teilnahme an folgendem Forschungsprojekt:
Titel: Eine ethnographische Studie zu Selbstverortung und transnationalen Kommunikations-netzwerken von syrischen Geflüchteten in Freiburg i. Br. Forschende: Clara Dröll Rahmen der Forschung: Es handelt sich um ein empirisches Forschungsprojekt im Rahmen einer B.A. Abschlussarbeit am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Betreuerin der Arbeit: Prof. Dr. Anna Lipphardt Informationen zur Teilnahme am Forschungsprojekt:
• Die Verantwortliche, Clara Dröll, trägt dafür Sorge, dass alle erhobenen Daten streng vertraulich behandelt und ausschließlich zum vereinbartem Zweck verwendet werden.
• Der/Die Interviewte erklärt sein/ihr Einverständnis mit der Tonaufnahme und wissen-schaftlichen Auswertung des Interviews.
• Relevante personenspezifische Daten werden durch die Forschende anonymisiert.
• Der/Die Interviewte erklärt sich damit einverstanden, dass Aussagen aus dem folgen-
dem Gespräch in ausgewerteter Form, paraphrasiert oder direkt zitiert in oben genann-ter Forschungsarbeit verwendet werden dürfen.
• Der/Die Interviewte erklärt sich damit einverstanden, dass die fertige Forschungsarbeit
ggf. veröffentlich werden darf. à Nicht Gewünschtes bitte streichen!
• Gewünschtes Pseudonym für die Verwendung von personenbezogenen Daten und Ge-sprächsinhalten:
• Sonstige Bemerkungen und Erklärungen zur gewünschten Verwendung von personen-
bezogenen Daten und Gesprächsinhalten:
36
Einverständniserklärung des/der Interviewten Hiermit erkläre ich mich damit einverstanden, dass die Informationen, die ich auf diesem Formular und im anschließendem Gespräch preisgebe, unter den oben genannten und hiermit zugestimmten Bedingungen, zur Bearbeitung des genannten und durch die Forschende erklär-ten Forschungsprojekts im Rahmen einer B.A. Abschlussarbeit genutzt werden dürfen. Ort, Datum Unterschrift Erklärung der Forschenden zur Verwendung von personenbezogenen Daten und In-formationen, die aus dem folgendem Gespräch hervorgehen: Hiermit versichere ich, Clara Dröll, dass ich die auf diesem Formular und im anschließendem Gespräch preisgegebenen Informationen ausschließlich zur Anfertigung der oben genannten Forschungs- und Abschlussarbeit und unter den oben genannten und von dem/der Interview-ten bewilligten (unterschriebenen und nicht durchgestrichenen) Bedingungen verwenden wer-de. Ort, Datum Unterschrift
37
Anhang B: Interview-Leitfaden
Interview-Leitfaden
Datum: Ort: Zeit:
Atmosphäre:
Angaben zur Person à informed consent sheet
- Alter:
- Geschlecht:
- Gegenwärtige Tätigkeit:
- Zeitpunkt der Flucht:
- Seit _____________________ in Deutschland
- Seit _____________________ in Freiburg
Einstieg: Lass’ dir ruhig Zeit für die Antworten, es geht nicht darum was richtig oder falsch
ist, sondern um deine persönlichen Ansichten und Erfahrungen. Die Antworten und alle ge-
nannten Namen oder Straßen werden selbstverständlich anonymisiert.
Aufrechterhaltene Fragen: Fällt dir sonst noch was hierzu ein? Wie ging es weiter? Du hat-
test vorher erwähnt, dass [...]. Was meinst du damit? à Paraphrasen und Spiegelungen
Einstiegsfragen
Erzähl doch mal einfach ein bisschen über dich. (Lebensgeschichte)
Wie bist du nach Deutschland gekommen? Seit wann wohnst du in Freiburg?
Kannst du mir noch mehr über deine Flucht erzählen?
Wie würdest du dein Leben vor der Flucht beschreiben?
Rechtlicher Status
Was für einen Aufenthaltstitel hast du momentan?
Was bedeutet das für dich?
Wie wirkt sich das auf dein Leben in Freiburg aus?
38
Aktuelle Lebenssituation/Selbstverortung
Wie sieht deine Lebenssituation jetzt aus? Was machst du momentan?
Beschreibe mir doch mal deine aktuelle Wohnungssituation. Wo und mit wem wohnst du?
Wo hältst du dich in Freiburg auf? Was sind deine täglichen Wege?
Wo verbringst du gerne deine Freizeit? Mit wem verbringst du deine Freizeit?
Wie fühlst du dich hier in Freiburg?
Zur Zeit ist ja Ramadan. Fastest du? Wie nimmst du den Ramadan hier in Freiburg wahr?
Welche Unterschiede zwischen deinem Leben in Syrien und deinem Leben in Deutschland
sind für dich bedeutend?
Wie wirst du hier in Freiburg mit deiner Vergangenheit konfrontiert?
Wie fühlst du dich von deinen Mitmenschen in Deutschland wahrgenommen?
Kommunikation & Netzwerke
Erzähl mir doch mal ein bisschen über die Menschen, die gerade für dich wichtig sind.
Wen würdest du in Freiburg als deine Bezugspersonen oder Freunde bezeichnen?
Was machen diese Beziehungen für dich aus? Wie verändern sie sich mit der Zeit?
Wie kommst du hier sprachlich zurecht?
Wie stehst du im Kontakt zu deiner Familie oder Freunden in Syrien? Wie oft?
Zu wem hast du noch Kontakt? Wohin? Wie entwickeln sich diese Kontakte?
Welche sozialen Medien benutzt du für die Kommunikation?
Wie verfolgst du das politische System in deinem Heimatland Syrien?
Ausblick
Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
An welchem Ort möchtest du in Zukunft gerne leben? Warum?
Was würdest du gerne an deiner momentanen Situation ändern?
Was wünschst du dir für deine Zukunft?
Offene Ausstiegsfrage
Von meiner Seite wär’s das jetzt. Möchtest du noch irgendetwas erzählen, was dir wichtig ist
und noch nicht erwähnt wurde?
Interviewdauer:
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Anhang C: Interview-Transkription mit Legende
Legende nach dem Transkriptionsprogramm f5:
(kurze Pause) à Kurze Pause
(..) à Mittlere Pause
(...) à Lange Pause
(Lachen) à Außersprachliches Ereigniss
Persönliches Interview mit Ali am 02.06.2017 in Freiburg i.Br.
Interviewdauer: 1:54:53
Interviewerin: Ok, geht los (Lachen) Aber du kannst, es geht wirklich darum einfach deine
persönliche Erfahrung und dein Leben, nicht was irgendwie richtig oder falsch ist und (..)
genau, alles was dir irgendwie wichtig erscheint und wenn du irgendetwas nicht verstehst,
dann gerne nachfragen oder so oder du kannst auch auf Englisch versuchen zu erklären, mit
Händen und Füßen, aber dein Deutsch ist ja auch wunderbar, also glaube ich, dass das gar
kein Problem ist. Genau, vielleicht kannst du mir einfach ein bisschen von deiner Lebensge-
schichte erzählen. #00:00:38-8#
Befragter: Ok, meine Lebensgeschichte. Also (...) also hier in Deutschland oder überhaupt?
#00:00:46-4#
Interviewerin: Überhaupt. #00:00:46-4#
Befragter: Ok. Also ich bin, also ich bin in Syrien geboren und auch dort also aufgewachsen
(kurze Pause). Mein Leben war ehrlich gesagt, es war wie ich schon gesagt habe, vorher war
es einfacher. Die ganze Geschichte, das ist einfach, wir hatten so zwei Häuser in Syrien und
(kurze Pause) das Gefühl sicher zu sein. Das war wirklich, also ja Deutschland ist auch sicher
und so, aber sicher als in du, wenn du hier geboren bist und dort aufgewachsen bist und alle
und kennst so viele Männer (kurze Pause) viele Menschen und du kennst so viele, also Stra-
ßen, du kennst viele, du kannst wirklich ganz locker laufen ohne, viele sagen Hallo, begrüßen
dich und so, das ist anderes Gefühl. Und (kurze Pause) ja genau und meine erste Lebens, ich
habe, bei uns ist das Abitur bis 18, ich hatte, bei uns Abitur ist etwas anderes, nicht wie bei
euch, also bei uns Abitur bedeutet, dass ich, ich musste so fast zwei Jahre ganz auswendig
lernen um das zu schaffen, um eine gute Punkt zu haben. (kurze Pause) Ich hatte das gut ge-
40
macht, ich hatte so perfekte Punkte, aber (kurze Pause) ich hatte immer diese, diese Problem
mit meinem, meinem Arabisch Lehrer. Und der war so keine Ahnung, ich hasste ihn und
deswegen ich hatte die, den, ich hatte die ganzen Fach, also nicht gemocht und deswegen hat-
te ich wirklich in meine Abitur, alle Punkte waren, waren perfekt, nur in Arabisch hatte ich elf
Punkte von, also von 40 verloren. Genau, das war lustig, weil ich bin Araber, aber ich mag
meine arabische Sprache, weil nicht, weil mein Lehrer hat mich das eingestellt, so, ich hab, so
hatte ich diese zwei Jahre so lange, also gedauert, also wirklich das war für mich ewig gedau-
ert, das ich endlich fertig also fertig war. Und dann habe ich also mich entschieden, dass ich,
ich also Ingenieur, also Bauingenieur studieren will (kurze Pause) habe ich das geschafft und
habe ich an der Uni angefangen, das war gut, also der erste (..) das war neues Gefühl, also
meine Uni war irgendwo anders, nicht in meiner Heimat, also mein Haus und (kurze Pause)
mit Studenten zu sein, so zu unterwegs zu sein, ein bisschen frei von meinen Eltern zu sein,
das war also anderes Gefühl. Und (kurze Pause) genau und Aleppo das ist ein, eine ganz alte
Stadt. Ich liebe diese alten Gassen von Aleppo so zu laufen. Das ist so diese Feuchtigkeit, ein
bisschen so man fühlt diese, diese, diese, den alt, ein bisschen, also natürlich man fühlt das
nicht, aber man spürt das ist wirklich ein altes, altes Gebäude vor mir steht. Oder der alte,
keine Ahnung, bei uns ist es dieses Schloss, dieses riesige Schloss in der Mitte von Aleppo,
das ist eine Schloss, der so viele Menschen erlebt hat. Und (kurze Pause) ja, ein Vorteil von
das war mein Schwester, meine Schwester hat auch Medizin studiert und wir waren zusam-
men, also wir, sie ist zwei Jahre älter als ich, sie ist auch meine, also ein bisschen Vorbild war
für mich, weil bis heute eigentlich, sie ist immer motiviert und sie war, sie war immer der, der
Person, der (kurze Pause) mich berichtigen, weißt du? Es gibt, manchmal habe ich ein paar
Fehler gemacht und die war meine, wie eine so, keine Ahnung, wie meine Lehrerin, ein biss-
chen, ja also manche, manche Beziehung zwischen Geschwister ist nicht so gut, aber (kurze
Pause) also ich glaube das liegt daran, dass ich mit ihr so, so als ich Kind war so gestritten
habe und eine Seite von diesen Punkt gehabt wir beide (unverständlich) das reicht. Wir sind
jetzt also nicht feindlich, sondern Freunde oder so. Genau (..) wir haben uns getroffen, also
kochen, also zur Zeit, ich musste das also kochen lernen, aber vorher, keine Ahnung, meine
Mutter hat mir immer etwas, ein paar, also Gerichte geschickt, also fertige Gerichte, das heißt
ich brauchte nicht so viel zu kochen und sogar wie so eine alle in Berlin zur Zeit, gab es auch
bei uns so viele Restaurants und so viel, in der Mitte von unserem Wohnheim, gab so ganze
also viel mehr als zehn Restaurants und das zu essen uns zu geben und ganz billig, also Preis
für Studenten. Ja und dann das habe ich gemacht die ersten zwei Jahre war gut, aber die dritte
Jahr, habe ich mich ganz tiefer, ich bin tiefer gegangen in die, als die Revolution angefangen
41
hat. Ich hatte, also natürlich hatte ich nebenbei ein bisschen gelernt, ein bisschen für Klausur,
ein bisschen für Vorlesung gehabt, aber meine Hauptgedanken waren also diese Revolution,
was bei uns in unserer Heimat angefangen hat. Am Anfang war es ganz anonym, weißt du, es
gab, also unserer, unserer Präsident, also der Vater von unserem Präsidenten ist 2000 gestor-
ben. Er war ganz altmodisch, er ist so, wie, eine richtiger Diktator, er ist ein richtiger Diktator.
Aber als sein Sohn, dieser Stuhl von Macht also genommen hat, wir dachten ok, er ist jung, er
ist (kurze Pause) also Augenarzt, er, er hat einen, also seine Frau ist auch, sie ist syrisch, sie
ist aus Syrien, aber sie hat auch, sie ist in Britannien aufgewachsen, das heißt sie sind nicht
wie die altmodische Gedanken von Diktatur, wir sind vielleicht Diktatur, aber (kurze Pause)
eine neue Ding, also er hat, er will, neue Reflexion in alle Richtungen machen. Deswegen
hatte ich, ich hab ihn immer gemocht. Er, obwohl es ist ein bisschen komisch, an meine Fami-
lie war also mittel, wir waren nicht so arm, wir waren nicht so reich, wir waren in der Mitte.
Wir hatten Laden, hatten Häuser, aber (kurze Pause) wir hatten auch Länder von Oliven und
von, also Bäume von Oliven und auch Pistazien. Und das war, also das ist andere Geschichte,
aber (kurze Pause) aber auf jeden Fall wir hatten, ich hatte das Gefühl, dass Assad, die neue
Assad, er wird unsere Heimat also verbessern. Er wird neue, keine Ahnung, neuer Aufstieg
von, von die Gedanken, dass wir einfach so in die Diktatur, so diese Gedanken, das Soldaten
und Militär und Polizei haben die Macht auf die Menschen und ohne Recht sie können alles
machen was sie wollen. Aber keine Ahnung, deswegen ist, das ist, das hat mich wirklich ver-
wirrt. Am Anfang war einfach (kurze Pause) wir dachten das ist wirklich eine (..) verschwo-
rene Theorie, Verschwörung von die andere Ländern, das sie einfach Assad nicht mehr wol-
len, aber (kurze Pause) aber die ersten zwei Monate, also das hat, hat sich geändert, langsam
geändert. Obwohl ich hab eine Demo mit Assad gemacht, die erste Woche von Assad, als
diese, aber nachher das war total anders. Er hat angefangen wirklich Leute, die demonstrieren,
die protestieren, die gegen ihn, einfach, also erschossen, einfach. Ich, ich, ich kannte so viele
Freunde, die sind im Gefängnis gegangen einfach, weil sie, keine Ahnung, die Name von,
also war nicht rassistisch am Anfang, war einfach nicht so, weil bei uns gibt so Hauptteile;
Sunniten, das sind so fast 95% von die, also Einwohner, Bevölkerung und es gibt die Aleviten
und christlich gibt, also die Leute von andere religiös gibt, aber die sind Minderheit. Und
trotzdem Assad ist, kommt aus Aleviten, er ist Muslim und andere Partei kann man und er hat
die Macht (kurze Pause) und er hat, er hat immer das profitiert, dass er einfach die andere
Minderheit, das er einfach sagt, die Mehrheit wird euch vernichten, du solltest gegen die an-
deren kämpfen, das ist die andere Seite, die andere gegen Assad sie haben das gemacht, ge-
sagt und das und ein bisschen langsam, langsam, es ist einfach in einem Tornado gewesen, es
42
ist einfach alles zerstört ist. Aber (kurze Pause) was ich wirklich sagen will, es ist einfach
(kurze Pause) das unsere Heimat war so, das Leben, also in unserer Heimat war ganz lang-
sam, langsam, also natürlich modern, aber langsam, irgendwie. Ja, ja, wir wollen das alles
schaffen, wir wollen, wir gehen ganz langsam, wir machen meine Priorität war, das ich meine
Studium fertig mache, dann ich wollte nach Deutschland kommen, ein bisschen Master ma-
chen und nachher nach Syrien zurück kommen, ja gehen. Aber der (unverständlich) irgendwie
hat das, der Schicksal, Gott hat etwas anderes entschieden, das ich bevor meine, bevor ich
meine Studium fertig mache, das ich hierher komme. (..) Ja und das, also mit der Geschichte
mit dem also vorher war, ich kann dir nie vorstellen was, was, was, wie schön unsere Heimat
war. So denn man kann alles machen, alles tun, außer die Freiheitteil, das es einfach, das man
sich nicht mit dem, keine Ahnung, Polizei oder mit dem Assad, Politikersachen, einmischen,
dann alles ok. Aber wenn man sagt ok, ich habe einmal ausgewählt wer, also Präsident, also
Auswahl (Lachen) es gab nur den Namen von Assad. Man darf nichts anderes, gab niemand
anderes, wirklich. Und ich musste seinen Namen schreiben (kurze Pause) sonst kriege ich
einen Ärger, weil warum hast du nicht, warum hast du nicht ausgewählt, warum hast du nicht
Assad gewollt, gewählt, das heißt du bist, keine Ahnung, du bist (kurze Pause) ein Feind von
dem Staat, also (Lachen) und ich erinnere mich an eine gute Geschichte, das ich, ich habe
meinem Vater das angetan, also 2009 oder so, ich hatte, habe auf meinem Handy selber eine
Nachricht geschrieben (kurze Pause) aber ich habe das geschrieben, niemand hat mir ge-
schickt (kurze Pause) und ich hatte das in meiner Nachrichtenteil also gespeichert und mein
Vater gezeigt und der ist, also es geht darum, ich habe geschrieben, dass es, wenn du gegen
Assad, also demonstrieren willst, wenn du (unverständlich) Freiheit willst, in Syrien willst
und so etwas, ganz verboten, also Politiker verboten. Ok und also meine Mutter stand neben-
bei und ich habe sie gemerkt, dass sie, ich habe sie ein Zeichen gegeben, dass sie, das eine,
also denk von damit ich meinen Vater also verarsche (Lachen) und dann sie hat das auch ge-
kriegt, das sie nicht lacht und ich hatte das versucht, dass ich nicht lache auch, weil, aber als
er die ersten zwei Zeilen gelesen hat, seine Gesichtsfarbe hat sich geändert, wirklich, es ist
also gelb geworden und oh Gott und am Ende es gibt so ein paar Sachen, das du mit uns also
kommunizieren kannst und erst hat er, also einen Schock oder so (..) und dann fängt er an zu
schimpfen und dann mit mir zu schimpfen ‚Was hast du gemacht? Mit wem hast du also kon-
taktiert? Hast du, oh Gott, wir sind verloren‘ und es gibt diese Aussagen, wenn man gegen
Assad etwas macht, also gegen Regierung, es geht, sie würden uns also hinter die Sonne schi-
cken. Das heißt es ist eine Aussage, also man wird verschwunden. Genau und er hat das ge-
sagt und dann nach zwei, drei Minuten, ich musste etwas sagen, damit er also sich beruhigt
43
(kurze Pause) und dann hat er, er wollte mich also (kurze Pause) ich hab ihm das nie erzählt
und dann ‚Oh Gott, oh mein Gott‘ er hat geseufzt und ‚Gottseidank, alles ok, alles ok‘, aber
und dann hat er mein Handy genommen und sofort gelöscht und ‚Alles, es ist nie passiert,
alles ok, du bist nicht so, also du hast nicht‘, also er wollte einfach von dem Themas schnell
rausgehen, also nichts, nichts passiert. Und dann stell dir vor, ich bin ein Junge und das ich
einfach neu in diese Leben gehen will, also einfach (kurze Pause) vorher hatte ich nie ge-
dacht, dass es keine Ahnung Krieg gibt, das Diktatur, das wir Diktatur, keine Ahnung, also
ich bin hier aufgewachsen, ich dachte das ist normal, wir sind Kinder und die erziehen uns,
sie haben uns erzogen, dass wir einfach Assad ist alles, keine Ahnung, die andere Seite von
man muss das machen und das machen, nur mit einer Partei von (kurze Pause) wie zum Bei-
spiel CDU bei euch, bei uns gab’s so Baath, das gehört Assad und alle müssen reingehen,
müssen reingehen, wenn du nicht reingehst, dann, dann wirst du einfach keinen Job finden
und keine gute Position in der (unverständlich) und dann aber das war, das war meine Gedan-
ken, ich war Kind, ich wollte etwas frei sagen und ich wusste, dass mein Vater reagiert und
das wär so (..) und, und keine Ahnung, stell dir vor, dass du eine Mann bist oder ein Mensch
bist, der so ausgeprägt ist, der kann nicht äußern, der kann nicht sagen, nicht kündigen, weil
er, keine Ahnung, Angst von, von, es gibt die Aussage, dass die (kurze Pause) die Wände hat
Ohren auch (..) und das andere Gesichte ist meine Cousin ist, hat in Rumänien also, also seine
Medizin, also seine Studium war in Rumänien. Er hat dort studiert und so, er war ein bisschen
frei, weißt du, er hat nicht so sofort wie die anderen Männer oder Menschen, die in Syrien
geblieben sind. Und ich mochte ihn, weil wir hatten vor der Revolution ganz locker miteinan-
der, oh Gott (Lachen), mit einander geredet, Assad gegen keine Ahnung, gegen, die ganze
Geschichte von die Kooperation in unserer Heimat (Lachen) und ich habe, ich mag deswegen
die Leute bisschen, ich hab so etwas, er hatte so etwas und ich hatte einfach seine ganze
Stimme (kurze Pause) ich habe nichts geredet (Lachen) ich hatte, ich habe ein bisschen ihn
profeziert [provoziert] und dann er hat angefangen gegen die ganze Regierung zu reden (kur-
ze Pause) ich habe das Rekord, also aufgenommen und dann (kurze Pause) am Ende er wusste
das nicht und dann habe ich ihn (kurze Pause) er ist fertig und dann habe ich ihm gesagt, also
ich hab das angespielt (kurze Pause) und er ‚Oh my God, willst du mich verarschen?! Willst
du, dass ich nicht hier leben kann‘. Er hat das nicht so reagiert, weil er wusste, dass ich nichts
machen will (kurze Pause) genau, aber nachher, ich habe das sofort gelöscht. Das ist, so ist
das. Wir, wir konnten nicht äußern (kurze Pause) und wir (..) so es gab diese, diese Soll von
Assad und seiner Familie und seine Macht und keine Ahnung (kurze Pause) und das Problem,
die anderen Teile, es gibt (unverständlich) ok, ich verstehe es, ich bin nicht mit Diktatur oder
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so, aber du bist Assad, ok du bist der Präsident, verstehe ich, aber du kannst mindestens etwas
Gutes in diesem, diesem, diesem Land machen, weißt du, du hast so viel Geld, wir haben
Erdöl und (kurze Pause) und als die Revolution angefangen hat, wir hatten etwas wir haben
erfahren, dass Assad hat in verschiedene Konto, also über die ganze Welt, er hat mehr als,
keine Ahnung, eine Zahl von, von Milliarde Dollar (kurze Pause) der, ich verstehe nicht, also
er hat, könnte zwei Möglichkeiten nehmen, entweder er könnte einfach sagen: ‚Ich nehme die
ganze Geld und gehe ich weg. Dann kaufe ich eine, eine (unverständlich) Halbinsel, keine
Ahnung, irgendwo in Hawai, keine Ahnung.‘ Aber was ich nicht verstehe, er ist geblieben
und diese, diese, diese Heimat zu (..) er hat das zerstört, alles, alles, alles, fast, es, mein Vater
hat einmal, ist gefahren von einer Stadt zu andere (kurze Pause) nach andere und er meinte,
normaler Weise gab eine Stadt nebenan, also in der rechten Seite von der Autobahn (kurze
Pause) und er meinte, es ist nicht da, überhaupt, es gab, es gab, weißt du, es gab überhaupt
keine, keine Säule, keine, keine kleinen Häuser geblieben. Das ist absurd, warum man hat
soviel investiert und diese Geld, weißt du Panzer und keine Ahnung, so viele Militärsachen
(kurze Pause) um nichts, also, was, also, das ist die Frage, was, was will er. (kurze Pause)
Genau, wir haben uns überlegt, ok, er könnte einfach weg gehen (kurze Pause) jemand ande-
ren und am Anfang war die Revolution, nicht am Anfang gesagt, dass er so rausgehen muss.
Am Anfang wir wollten also etwas Neues, neue, keine Ahnung, Struktur von, von die Regie-
rung, Struktur von die, keine Ahnung, das ist ganz normal, aber als er das nach fünf, also vier
Monaten, er hat angefangen die Leute zu verhaften und so. Natürlich wird die Reaktion von
den Mensch einfach sagen, wir wählen (unverständlich) so keine Präsident, so eine Präsident
für uns. Genau (kurze Pause) dann, dann also so Ende 2012 hat Assad ist verrückt geworden
und hat er einfach, keine Ahnung, zum Militär, richtigem Militär angefangen, also zu bom-
bardieren. Luftangriffe hat er so Ende 2012 angefangen und (kurze Pause) ich war in Aleppo,
ich hatte meine letzte, oh Gott, ich hatte meine letzte Zeit von, ich hatte meine Praktikum,
Praktikum an der Uni gemacht, alle gut gemacht, alle Punkte gehabt, obwohl ich schon stolz
war (kurze Pause) und hatte ich erfahren, dass keine Ahnung, dass mein Staat Syrien gerade
bombardiert ist (..) dann hatte ich, bin ich zu, nach andere Stadt also gegangen, weil wir konn-
ten nicht direkt, ich bin, also Assad (kurze Pause) es gibt bestimmte Name von Städte und
weil ich andere, diese Städte gehört, kann ich nicht durch diese, diese Militärpunkt nicht
durchfahren. Deswegen also ich wollte andere Stadt, also andere Weg nehmen, damit ich
nicht verhaftet werde. Und dann habe ich so nach (..) das am schlimmsten war, dass keine,
keine Internet gibt in dem, sie sind alle von meinem Dorf also gegangen draußen zu, nach
anderer Stadt und es gab keine Kommunikation, also ich konnte mit meine Eltern, mit meine
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Familie, die ganze Familie nicht kommunizieren (kurze Pause) und das war so schlimm, ich
hab, ich hatte so drei oder vier Tagen nichts von, keine Auskünfte von meine Familie Situati-
on. Vielleicht stirbt, jemand ist gestorben, vielleicht jemand ist verletzt (kurze Pause) oder,
das waren die schlimmsten Tagen meines, meines Lebens. Dann habe ich entschieden, dass
ich direkt irgendwo in die Nähe von meinem Dorf also hingehen soll, damit ich (kurze Pause)
keine Ahnung, niemand, natürlich würde ich jemand also treffen, damit ich begegne, dann
also, dann kann ich meine Eltern suchen, also meine Familie. Dann habe ich das gemacht,
habe ich meine Familie von anderer Stadt entfernt, so 20km von meiner Dorf gefunden (kurze
Pause) dann haben wir uns entschieden, dass (kurze Pause) dass wir nach andere Stadt gehen
soll, weil es macht keinen Sinn, dass wir einfach in diese Stadt bleiben. Das ist alles zerstört,
man hat, man, also als ich mein Haus also betraten, betreten habe (kurze Pause) ich hab, eine
Träne von meine Auge ist einfach so runtergegangen, ich, ich wusste mein Haus, meine eigen
Haus, ich hab das nicht erkannt. Was, was, warum, also es gibt, weißt du (kurze Pause) bei
uns es gab immer mit normale, mit normale Krieg zwischen Länder, das wär also vielleicht
Hauptstadt, Hauptstadt, vielleicht richtige große Städte, aber mein Dorf ist so klein und das,
ich hab nie gewusst, dass ich mein Haus durch einen Krieg, keine Ahnung zerstört wird. Und
das am schlimmsten war für unsere, unsere Jets, unsere, unsere Militär (kurze Pause) oh Gott
und dann haben wir entschieden, wir gehen weg. So die Sache mit, dann hatte, dann man wird
entweder mit Assad oder gegen Assad und mit die Name meinen Dorf, also ich kam aus Idlib,
Idlib ist ein Dorf, es gibt also es war immer gegen Assad, also in der Assad, der Vater von
den, also den Vater von die aktuelle Assad (kurze Pause) wir haben ihm (Lachen) mit Sanda-
len, Sandalen und Tomaten auf ihn geworfen (Lachen) wie in das 80iger Jahre und dann hat
er wirklich so (unverständlich) so zwei (unverständlich) gemacht. Er hat, keine Ahnung, er
war so verrückt, dann hat er versucht, die so viele Menschen wurden verhaftet, aber das war
eine richtige gute Aktion, also Akt von uns, dass wir das gemacht haben. Deswegen ist es, wir
hatten immer diesen schlechten Ruf von keine Ahnung, gegen Assad und so. Aber mit dem
Anfang ehrlich gesagt, wenn du die Nachrichten hörst, also es ist immer Idlib geblieben, im-
mer es ist die Teil von gegen alles, gegen die andere Partei von (unverständlich) die mit Iran
und so und auch gegen Assad und das freut mich sehr (Lachen) (...) Aber die Geschichte als
wir angefangen haben, einfach mit den ganzen Revolution, das Gefühl ist unfassbar, ich kann
nie vergessen, dass ich, als ich das Gefühl gehabt habe. Das ich einfach etwas äußern, etwas
von meinem Herzen äußern (kurze Pause) also ja natürlich es kommt die Polizei und sie ha-
ben viele Menschen verhaftet, sogar viele Freunde. Aber das Gefühl zu haben die (kurze Pau-
se) die können nicht mehr aushalten unter Druck zu sein, die können nicht mehr ohne Freiheit
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zu leben. Freiheit, das ich alle sagen was ich will, dass ich die Leute, die, die für mich arbei-
ten, also Politiker zumindest, also die Politiker sie arbeiten für Menschen, natürlich und um-
gekehrt. Und das ich diese Leute also, also auswähle, nicht umgekehrt. Und ja natürlich und
(...) #00:25:54-7#
Interviewerin: Und wie war das Gefühl? Wenn du das beschreiben kannst. #00:25:56-8#
Befragter: Das, das ist unglaublich. Es ist, ich war so glücklich. Ich konnte von, vor Freunde
fliegen. Wirklich, wirklich. Ich war (kurze Pause) ich war die erste sechs Monate oder so, also
so halbe Jahr, also mehr, das war die beste. Ich glaube, wenn ich so (..) ja genau (kurze Pause)
das war die beste Zeit meines Lebens, weil anderes, anderes ich hatte so viele Erfahrung ge-
habt, keine Ahnung, ich hab so schnell (kurze Pause) ich bin so viel Auto gefahren, ich bin,
ich bin ein bisschen Abenteuer, ich bin gewandert, ich bin alleine in die, in die also Wälder
geblieben so. So viele Sachen mit den Menschen gemacht (kurze Pause) aber so viele Sachen
gemacht, aber die, das war wirklich so etwas anderes. Mein Vater er hat immer, er war so
immer schockiert. Also (Lachen) er meinte, das geht nicht. Er, er wusste das, er wusste, dass
Assad verrückt sein wird. Wirklich, er meinte, dass wir, wir hatten, wir mussten, wir sollten
das vorher machen für euch, damit ihr ein gutes Leben haben, aber wir hatten keinen Mut das
zu machen. Und das ist, das tut uns leid, dass ihr das machen solltet. Ja (..) dann bin ich also,
bevor dem IS entstanden hat, dann waren wir in diese, in Aleppo Nord und wir sind bei einem
also ganz enge Freund von meinem Vater geblieben, dort sechs Monate oder so, bevor der
(kurze Pause) bevor das, die Situation sich also eskaliert hat, dann haben wir, sind also nach
Türkei geflohen. Das auch nicht so offiziell, sondern mit Schmuggler Sachen (..) und das war
auch nicht so gut. #00:27:52-7#
Interviewerin: Und wer ist wir? Also wer war da alles dabei? Deine ganze Familie, oder?