Netzgemeinde in Aufruhr Spontandemos in mehreren Städten gegen EU-Urheberrechtsreform Berlin. In mehreren deutschen Städten haben am Dienstagabend Tausende gegen eine EU- Urheberrechtsreform protestiert. Spontan wurden noch im Laufe des Nachmittags von der Initiative »Save the Internet« (Rettet das Internet) Proteste in Berlin, München, Stutt- gart, Frankfurt und Köln angemeldet, einen Tag später in Hamburg und Hannover. Die Kundgebungen fanden hauptsächlich vor CDU-Parteizentralen statt. Die EU-Abgeordneten Julia Reda (Piraten- partei) und Tiemo Wölken (SPD) hatten zuvor Dokumente auf sozialen Netzwerken veröf- fentlicht. Diese sollen zeigen, dass Abgeord- nete der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören, offenbar eine für Ende März geplante Abstimmung vorzie- hen und bereits kommende Woche entschei- den wollten. Die Gegner der Reform befürch- ten, dass die EVP und ihr Fraktionschef Man- fred Weber (CSU) damit geplanten Protesten am 23. März zuvorkommen wollten. Diese Drohung ist nun jedoch scheinbar vom Tisch. »Die Abstimmung über dieses Ur- heberrecht findet Ende März statt, so wie ge- plant, und wird auch nicht geändert wer- den«, sagte Weber am Mittwoch gegenüber der ARD. Voraussichtlich werden die Abge- ordneten damit Ende März über den zwi- schen den EU-Staaten erzielten Kompromiss abstimmen. Artikel 13 der Urheberrechtsreform sieht vor, dass Plattformen wie Youtube oder Face- book zukünftig selber sicherstellen sollen, dass keine urheberrechtlich geschützten Werke bei ihnen hochgeladen werden. Dazu müssten sie sogenannte Uploadfilter einrichten. Kritiker befürchten, dass durch diese Maßnahme Kunst- und Meinungsfreiheit eingeschränkt werden. Verschiedene Organisationen rufen weiterhin für den 23. März zu europaweiten Großde- monstrationen auf. nd Seite 4 Artikel 13 regelt, dass auf Online-Plattformen nichts urheberrechtlich Geschütztes hochgeladen werden darf. Foto: imago/IPON/Stefan Boness STANDPUNKT Politisierung hochgeladen Markus Drescher über Proteste gegen die Urheberrechtsreform und die anstehenden Europawahlen Die EU ist an allem Schlechten Schuld. Jahrelang diente die euro- päische Staatengemeinschaft allen möglichen Politikern auch abseits rechtspopulistischer Europagegner als Mistabladeplatz. Jetzt, da nicht nur ihr Ruf ruiniert ist, sondern auch ihre Existenz nicht mehr ga- rantiert scheint und die anstehen- den Europawahlen nichts Gutes verheißen, steht Europa ganz oben auf der politischen Agenda. Viel ist nun von den doch vorhandenen Vorzügen die Rede, von Reformen, davon, dass die EU bürgernäher gemacht werden muss. Just in diesem Krisenmoment macht sich die EU nun aber gerade bei vielen jungen Menschen, die es eigentlich gilt, für die europäische Idee zu begeistern, besonders un- beliebt. Mit der Urheberrechtsre- form, der Kritiker das Potenzial zur Zerstörung des Internets wie wir es bisher kennen – und wie es für Junge zum festen Bestandteil ihres Lebens gehört – attestieren, agiert die EU derzeit geradezu so, als wolle sie den endgültigen Be- weis antreten, dass sie tatsächlich nur Schlechtes gebiert. Beratungs- resistent, lobbyistengesteuert, den Bürger arrogant austricksend und ahnungslos, wenn es ums Internet geht – wenige Wochen vor der Europawahl wiegen derartige An- schuldigungen schwer. Und haben doch ihr Gutes. Denn noch kann das Europaparlament den Gegen- beweis antreten, die Proteste ernst nehmen und die Reform stoppen. Und zumindest wurde eine or- dentliche Portion Politisierung in Kreise hochgeladen, die sich bisher vielleicht überhaupt nicht für Poli- tik interessierten. UNTEN LINKS Verschwörungstheorien kommen in der unübersichtlichen und un- sicheren neuen Weltlage zuneh- mend in Mode. Ist es etwa Rache des Stromkonzerns Vattenfall, dass an dem Tag, an dem bekannt wird, dass ihm der Betrieb des Stromnetzes entzogen werden soll, im Roten Rathaus der Strom ausfällt? Möglicherweise. Genau- so gut könnte in dieser Logik auch der Senat Sabotage geübt haben, um zu unterstreichen, wie schlecht es ist, wenn Private sen- sible Infrastruktur betreiben. Im Sinne der Dialektik oder so. Wo- bei, so privat ist das Unternehmen ja gar nicht, es gehört schließlich dem schwedischen Staat. Schwie- rig. So geht es fröhlich von einem Widerspruch zum nächsten. Oder mal recherchieren. Dafür ist leider in den zusammengesparten Me- dien viel zu wenig Zeit. Eine gern gewählte Lösung für das Problem sind Ratgebertexte. Verbraucher sollten für solche Fälle immer Kerzen vorrätig haben. Ob es lan- deseigene Kerzenwerke geben sollte, klären wir in der nächsten Folge. nic Schlechte Ernte in Nordkorea UN-Koordinator Mishra spricht von großer »Lebensmittel-Lücke« Seoul. Die Vereinten Nationen haben ange- sichts der schlechtesten Ernte in Nordkorea seit mehr als einem Jahrzehnt Alarm ge- schlagen. Laut einem am Mittwoch vorge- stellten UN-Bericht ging die Gesamternte- menge im vergangenen Jahr um 500 000 Tonnen auf 4,95 Millionen Tonnen zurück. UN-Nordkorea-Koordinator Tapan Mishra warnte, dadurch sei eine große »Lebensmit- tel-Lücke« entstanden. Als Gründe für die schlechte Ernte werden Naturkatastrophen, ein Mangel an landwirtschaftlich nutzbarem Land und ineffiziente Landwirtschaft ange- führt. Unterdessen hat ein US-Institut erklärt, es hätten auf einer nordkoreanischen Raketen- anlage neue Aktivitäten ausgemacht. Laut dem in Washington ansässigen Zentrum für strategische und internationale Studien lie- fern Satellitenaufnahmen vom Sohae-Gelän- de im Westen des Landes Hinweise darauf, dass Pjöngjang die Anlage wieder aufbauen wolle. AFP/nd Kommentar Seite 8 Anstieg rechter Gewalt in Berlin Opferverbände legen Zahlen für die Hauptstadt und Brandenburg vor Berlin. Die Zahl der extrem rechten, rassisti- schen und antisemitischen Angriffe in Berlin ist im vergangenen Jahr wieder angestiegen, in Brandenburg verbleibt sie auf hohem Ni- veau. Die Berliner Opferberatungsstelle Re- ach Out registrierte 309 Angriffe – 42 mehr als im Jahr davor. Mehr als die Hälfte der An- griffe waren rassistisch motiviert. Die Berli- ner Registerstellen erfassten 3405 generelle Vorfälle aus dem Spektrum, ein Plus von 605 Fällen. In Brandenburg zählte der Verein Op- ferperspektive im vergangenen Jahr mit 174 rechten Attacken ähnlich viele Fälle wie im Jahr davor. 86 Prozent der Fälle waren ras- sistisch motiviert, so viele wie noch nie seit Beginn der Registrierung 2001. mfr Seite 11 ISSN 0323-3375 Frauen feiern, Frauen kämpfen, Frauen streiken Dem Internationalen Frauentag widmet sich »nd« auf vielen Seiten. Von Kipping-Kolumne bis Frauenfußballfilm, von Außenpolitik bis Literatur. Und dazu noch mit einem Extrablatt Foto: dpa/Jens Büttner Erster Frauenstreik nach 25 Jahren Auch Journalistinnen initiieren Aufruf für bessere Arbeitsbedingungen Bundesweit sollen am 8. März in mehr als 40 Städten Frauen- streiks stattfinden. Dies nehmen knapp 100 Journalistinnen zum Anlass, um gegen Missstände in der Medienbranche zu kämpfen. Von Alexander Isele Es ist das erste Mal seit einem Vierteljahrhundert, dass Frauen in Deutschland am 8. März wieder bundesweit streiken wollen. Während beispielsweise in Polen oder Spanien in den vergangenen Jahren große Frauenstreiks statt- fanden, ist es hier 25 Jahre her: Am 8. März 1994 beteiligten sich circa eine Million an dem bun- desweiten Frauenstreik. Wie viele Menschen sich am Freitag betei- ligen werden, ist nicht abzuse- hen; unter dem Slogan »Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still« sind Aktionen in mehr als 40 Städten angekündigt. Dabei geht es den Initiator*in- nen nicht nur darum, dass be- zahlte Arbeit niedergelegt wird, sondern auch jene, die Frauen täglich unentlohnt und oft un- sichtbar leisten, etwa Sorge-, Haus- oder Erziehungsarbeit. Deshalb wollen Frauen und Queers am Freitag den »globalen Aufschrei« auch in Deutschland sicht- und vor allem spürbar ma- chen. Unter anderem sind De- monstrationen, kämpferische Mit- tagspausen, Spülstreiks, ein bun- desweiter Stuhlsitzstreik um 11.55 Uhr geplant. Auch Journalist*innen beteili- gen sich und kämpfen für Verän- derungen in der Medienbranche. Am Dienstag veröffentlichten Frauen, darunter auch Mitarbei- terinnen des »nd«, einen Journa- listinnen-Aufruf, in dem sie bes- sere Arbeitsbedingungen für Frau- en in der Medienbranche, ein En- de von Lohndiskriminierung, die Durchsetzung der Tarifbindung für alle Journalist*innen und Wieder- eingliederung ausgelagerter Teil- bereiche der Verlagsunternehmen fordern. In dem Aufruf heißt es auch, dass man sich für umfas- sende Transparenz bei Gehalts- und Honorarverhandlungen ein- setze, »sowohl für Festangestellte in unterschiedlichen Positionen als auch für freiberufliche Journalis- tinnen«. Initiiert wurde der Aufruf un- ter anderem von Journalist*innen des »nd«, der Monatszeitung »analyse & kritik«, der »Latein- amerika Nachrichten« und der ös- terreichischen »an.schläge«. Un- ter den knapp 100 Unterzeichne- rinnen sind neben vielen Freibe- ruflerinnen weitere Journa- list*innen der »taz«, des »Tages- spiegels«, von »Zeit Online«, »Edi- tion F«, des NDR, der Deutschen Welle und anderen Medien. Sie fordern den Ausbau von Struktu- ren, die guten Journalismus er- möglichen. Einen Journalismus, der Schluss machen müsse mit »Geschlechterstereotypen und Desinteresse gegenüber Proble- men, die Frauen betreffen«. Ge- fordert wird ein Ende von »Ein- zelkämpfertum« und »elitärem Journalismus«. Man unterstütze zudem die Forderungen des bun- desweiten Frauen*streiks. Am 7. und 8. März werden in Deutschland im Rahmen dieses Streiks zahlreiche Proteste und Aktionen stattfinden. Mitarbeite- rinnen des »nd« werden sich da- ran beteiligen und bereits am 7. März die Arbeit niederlegen. »Schluss mit der inhaltlichen Verflachung. Gegen Ignoranz und Einzelkämpfertum, gegen elitären Journalismus.« Aufruf von Journalistinnen zum Frauentag am 8. März Donnerstag, 7. März 2019 74. Jahrgang/Nr. 56 Einzelverkaufspreis 1,80 € www.neues-deutschland.de Am 8. März erscheint wegen des neuen Berliner Feiertags das »nd« nicht in der Hauptstadt. »nd.DieWoche« am Samstag gibt es wieder für alle. Venezuela weist Botschafter aus Empfang Guaidós durch deutschen Diplomaten als Einmischung gewertet Caracas. Die venezolanische Regierung von Präsident Nicolás Maduro hat den deutschen Botschafter des Landes verwiesen. Daniel Kriener habe sich in die inneren Angelegen- heiten Venezuelas eingemischt und werde deshalb zur unerwünschten Person erklärt, teilte das Außenministerium am Mittwoch auf seiner Internetseite mit. Der Diplomat müsse das südamerikanische Land deshalb innerhalb von 48 Stunden verlassen. »Venezuela sieht es als inakzeptabel an, dass ein ausländischer Diplomat sich in sei- nem Territorium wie ein politischer Führer verhält, in Übereinstimmung mit der Ver- schwörungsagenda der extremistischen Sek- toren der venezolanischen Opposition«, hieß es in der Erklärung des Außenministeriums. Kriener hatte am Montag mit anderen Dip- lomaten den selbst ernannten Interimsprä- sidenten Juan Guaidó am Hauptstadtflug- hafen Maiquetía erwartet. Damit wollten sie verhindern, dass er bei seiner Rückkehr ins Land festgenommen wird. dpa/nd Seite 5