Die Familienunternehmer - ASU / Die Jungen Unternehmer - BJU Quelle: NZ Nürnberger Zeitung vom 26.06.2015, S.21 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Nürnberg) Auflage: 133.554 Reichweite: 252.417 Autor: Fragen: Josef Hofmann Ressort: Wirtschaft Seitentitel: Wirtschaft 26.06.2015 NÜRNBERG — Beim Bayerischen Familienunternehmer-Kongress tref- fen sich heute und morgen rund 250 Unternehmer in Nürnberg. Neben der Erbschaftsteuer wird das transatlanti- sche Freihandelsabkommen TTIP eines der großen Themen sein. In der NZ trafen sich im Vorfeld Dieter Jane- cek, Bundestagsabgeordneter der Grünen, und Martin Schoeller, bayeri- scher Landesvorsitzender der Famili- enunternehmer, zum TTIP-Streitge- spräch. NZ: Warum brauchen wir TTIP? Martin Schoeller: Weil es im Interesse der Unternehmen und ihrer Mitarbei- ter sowie der gut bezahlten Mittel- schicht ist, zusätzliche Märkte leich- ter zugänglich zu machen. Und weil die Verknüpfung von Handel und Standards eine bahnbrechende Chan- ce bietet, nicht nur über Kosten, son- dern auch über soziale und ökologi- sche Standards zu verhandeln. NZ: Herr Janecek, warum brauchen wir TTIP nicht? Dieter Janecek: Was wir brauchen, ist ein faires Abkommen, das ökologische und soziale Interessen und den Ver- braucherschutz im Blick hält. Das hat TTIP nicht im Angebot – und deswe- gen brauchen wir TTIP nicht. NZ: Lassen sich Industriestandards nicht auch auf einem niedrigeren Level vereinheitlichen? Schoeller: Das Lockmittel für TTIP sind nicht so sehr die Standards, son- dern die Öffnung der Märkte. Davon wird besonders Deutschland als Exportnation profitieren. So hat sich bei der Öffnung des europäischen Marktes der deutsche Export in den 90er Jahren verdoppelt. Wir als Euro- päer werden vom Freihandel auch stärker profitieren als die Amerika- ner, denn die müssen sich in 28 ver- schiedenen Ländern durchsetzen, während wir einen großen Markt auf dem Silbertablett serviert bekommen. Auch bei den ökologischen Standards würden durch das Abkommen erst ein- mal ein Standards definiert, die dann besser zu verteidigen sind. NZ: Herr Janecek, was gefällt Ihnen nicht an den Verhandlungen? Janecek: Die Standards in der Indus- trie zu vereinheitlichen, ist sinnvoll. Wo wir große Probleme sehen, ist der Bereich Agrarwirtschaft, beim Ver- braucherschutz, der Gentechnik und dem Datenschutz. Da darf man sich nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Ziel muss eine Verbes- serung sein. Die sehe ich nicht. Das größte Problem aber sind private Schiedsgerichte, die großen Konzer- nen die Möglichkeit einräumen, in die staatliche Souveränität einzugreifen. Das können wir nicht zulassen. Schoeller: Die EU hat erklärt, dass kei- ne Standards durch TTIP unterlaufen werden dürfen. Ein starkes Argument ist doch gerade, dass die Amerikaner gezwungen werden, diese Standards anzuerkennen, wenn sie in den EU-Markt wollen. Ich stimme aber zu, dass wir ökologische und soziale Standards nicht preisgeben dürfen. Janecek: Erst seit die TTIP-Debatte in Deutschland so kritisch geführt wird, redet auch die Politik und die Wirt- schaft über weitergehende Standards wie Nachhaltigkeit. Das ist gut so. NZ: Zurück zu den Schiedsgerichten. Warum brauchen wir die bei Staaten mit einer funktionierenden Justiz? Janecek: Mittelfristig wird es sinnvoll sein, Lösungen auf der Basis eines internationalen Schiedsgerichtshofs anzustreben. Aktuell haben wir aber die Situation, dass große Konzerne über Klagerechte versuchen, ihre Marktposition zu sichern. Das kann nicht im Sinn der Demokratie, auch nicht im Sinn des Mittelstands sein. Schoeller: Ich sehe die Schiedsgerich- te als Institution, die den Staat zur Zuverlässigkeit ermahnen. Ich habe Zutrauen, dass Deutschland ein guter Rechtsstaat ist, aber das gilt nicht in gleichem Maß für alle EU-Staaten. Zudem neigt Politik manchmal dazu, opportunistische Kehrtwendungen zu machen, ohne zu berücksichtigen, dass Firmen langfristige Planungssi- cherheit brauchen. Da kann eine wei- tere Instanz nicht schaden. Ziel muss sein, Machtmissbrauch zu verhindern – auch auf Staatsebene. Janecek: Aber die privaten Schiedsge- richte dienen ja nicht dazu, den Staat zu kontrol- lieren, sondern die Interes- sen von Konzernen durch- zusetzen. Rechtssicherheit ist auch ein Investitionsar- gument. Im Wettbewerb können sich Rechtssyste- me weiterentwickeln. Die privaten Schiedsgerichte müssen raus aus dem Ver- trag, sonst wird es keine Zustimmung geben. NZ: Gibt es eine Kompro- misslinie? Janecek: Es muss gelin- gen, zwischen zwei entwi- ckelten Rechtsräumen wie der EU und den USA auf eine Sonderinstanz zu verzichten. Schoeller: Mein Kompromissvor- schlag wäre, die privaten Schiedsge- richte darauf zu beschränken, Staaten auf die Einhaltung ihrer Zusagen ver- pflichten zu können. Sonst könnte jeder Staat zickzack fahren. Janecek: O.k., Politik sollte verläss- lich sein. In Bayern sehen wir beim Thema Energiewende gerade, wie es nicht sein soll . . . Schoeller: ... vielleicht sollten wir eine Versicherung für unzuverlässige Politik einführen . . . Janecek: . . . da wäre Horst Seehofer ein guter Kunde – Stichwort Strom- trassen. NZ: Was soll TTIP aus regionaler Sicht bringen? Janecek: Auch den hiesigen Industrie- unternehmen würden vernünftige ein- heitliche Standards helfen. Aber das wäre auch ohne TTIP möglich. Schoeller: Viele Unternehmen sind gleich mit einer Fertigung nach Ameri- ka gegangen, um Risiken beim Markt- zugang zu vermeiden. Wenn die Märk- te offen sind, könnten wir Wachstum auch von hier aus generieren und müssten nicht immer gleich mit einer Produktion vor Ort sein. NZ: Herr Schoeller, wer profitiert mehr von TTIP, Mittelstand oder Konzerne? Schoeller: Die Konzerne haben ihr internationales Geschäft längst gere- gelt. Der Freihandel wird also sogar eher dem Mittelstand helfen. Janecek: Herr Schoeller vertritt eher die großen Firmen. Der Verband der mittelständischen Unternehmen ist sehr viel kritischer. Sie weisen etwa darauf hin, dass ein Investorenschutz- verfahren vier Millionen kostet. Das kann keine kleine Firma schultern. Schoeller: Aber nicht nur. Und es geht doch nicht um Konzerninteressen. Wenn man TTIP fallen lässt, nimmt man sich das Instrument, in einem wei- teren Schritt auch beispielsweise Pro- duktionsstandards oder Themen der sozialen Absicherung zu vereinbaren. Ich sehe in TTIP die Chance, zu zei- gen, dass internationale Verträge auch mit solchen Standards ver- knüpft werden können.... Janecek: Wenn dem so wäre, würde ich nicht einmal widersprechen. Doch noch fehlt mir der Glaube. Fragen: Josef Hofmann Vier Buchstaben, die für viel Wirbel sorgen: TTIP, das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen. Foto: dpa Der Grüne Dieter Janecek und Martin Schoeller vom Verband der Familienunternehmer. Foto: J. Hofmann Der Verband der Familienunter- nehmer ist die Interessenvertre- tung für mehr als 180 000 Unter- nehmer. Sie beschäftigen deutschlandweit rund acht Millio- nen Mitarbeiter und erwirtschaf- ten einen Jahresumsatz von 1,7 Billionen Euro. In Bayern sind 90 Prozent aller Firmen familienge- führt. Sie stellen hier fast 60 Pro- zent aller sozialversicherungs- pflichtigen Arbeitsplätze. Der Lan- desbereich Bayern wird von Mar- tin Schoeller geleitet. Er ist Ge- schäftsführender Gesellschafter der Pullacher Schoeller Gruppe. Sie ist nach eigenen Angaben Marktführer im Bereich Mehrweg- Verpackung, aber auch im Recy- cling, bei erneuerbare Energien sowie Dienstleistungen tätig. NZ Unternehmen in Familienhand Dieter Janecek und Martin Schoeller im Streitgespräch Freihandelsvertrag: Chance oder Gefahr? 1 / 1