Der Einfluss von Schleifkerben auf die Biegefestigkeit eines Zahnrads Dr. Ulrich Kissling, Dr. Ioannis Zotos Zusammenfassung Um die geforderte Qualität zu erzielen, werden heute die meisten Zahnräder geschliffen. Der gängige Schleifprozess besteht darin, die Zahnflanke zu bearbeiten, jedoch mit dem Werkzeug auszutauchen, bevor der Bereich der Fussrundung erreicht wird. Wird das Zahnrad mit einem Werkzeug ohne Protuberanz vorgefertigt, entsteht an der Position, an der das Schleifwerkzeug austaucht, eine Schleifkerbe. Eine solche Kerbe im Bereich des Zahnfusses kann zu einer erhöhten Biegebeanspruchung führen und somit die Festigkeit verringern. In der ISO 6336-3 gibt es eine Regel zur Berücksichtigung der erhöhten Beanspruchung durch eine Schleifkerbe. Die aufgeführten Formeln basieren auf einer Forschung von Wirth in den 1970er Jahren. In einer kürzlich durchgeführten Diskussion der ISO-Arbeitsgruppe, die für die Entwicklung der Norm ISO6336 zuständig ist, zeigte sich, dass eine Überarbeitung der Formeln erforderlich ist. Ausserdem kann und wird die Definition der wirksamen Kerbtiefe gemäss Norm unterschiedlich interpretiert. Moderne FEM-Werkzeuge sind gut geeignet zur Berechnung der Beanspruchung im Fussbereich. Somit ist es möglich, eine FEM-basierte Parameterstudie durchzuführen, um einen Vergleich zwischen dem Einfluss einer Schleifkerbe gemäss FEM-Berechnung mit den Resultaten nach den Formeln der Norm anzustellen. Um eine solche Studie zu ermöglichen, wurde in unserer Berechnungssoftware zur Festigkeitsanalyse gemäss ISO 6336 eine Option zum Aufrufen einer externen FEM-Software eingeführt. Die erforderlichen Daten wie die exakte Zahnform und die Belastung am oberen Einzeleingriffspunkt werden direkt zum Präprozessor übertragen, der automatisch das 2D- FEM-Netz generiert, dann den Solver und den Postprozessor aufruft. Die wichtigsten FEM- Resultate sind die Beanspruchung am 30°-Tangentenpunkt (60° bei Hohlrädern) und die maximale Beanspruchung, welche im gesamten Fussbereich auftritt. Die maximale Beanspruchung tritt typischerweise an der Position der Schleifkerbe auf. Die Beanspruchung am 30°-Tangentenpunkt ist interessant, weil die Norm die Spannung nur an diesem Punkt ermittelt. Damit kann eine Aussage über die Eignung dieser Vereinfachung gemacht werden. Bei Schrägstirnrädern wird die Zahnform des äquivalenten Geradstirnrads gemäss der in ISO 6336-3 angegebenen Vorgehensweise erzeugt und für die 2D-FEM-Analyse verwendet. Interessant ist zudem die Frage nach dem Nutzen einer 3D-FEM-Analyse für Schrägstirnräder und nach dem Grad der Übereinstimmung der Resultate der FEM-Analyse mit denen des in
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Der Einfluss von Schleifkerben auf die Biegefestigkeit eines Zahnrads
Dr. Ulrich Kissling, Dr. Ioannis Zotos
Zusammenfassung
Um die geforderte Qualität zu erzielen, werden heute die meisten Zahnräder geschliffen. Der
gängige Schleifprozess besteht darin, die Zahnflanke zu bearbeiten, jedoch mit dem Werkzeug
auszutauchen, bevor der Bereich der Fussrundung erreicht wird. Wird das Zahnrad mit einem
Werkzeug ohne Protuberanz vorgefertigt, entsteht an der Position, an der das Schleifwerkzeug
austaucht, eine Schleifkerbe. Eine solche Kerbe im Bereich des Zahnfusses kann zu einer
erhöhten Biegebeanspruchung führen und somit die Festigkeit verringern.
In der ISO 6336-3 gibt es eine Regel zur Berücksichtigung der erhöhten Beanspruchung durch
eine Schleifkerbe. Die aufgeführten Formeln basieren auf einer Forschung von Wirth in den
1970er Jahren. In einer kürzlich durchgeführten Diskussion der ISO-Arbeitsgruppe, die für die
Entwicklung der Norm ISO6336 zuständig ist, zeigte sich, dass eine Überarbeitung der Formeln
erforderlich ist. Ausserdem kann und wird die Definition der wirksamen Kerbtiefe gemäss Norm
unterschiedlich interpretiert.
Moderne FEM-Werkzeuge sind gut geeignet zur Berechnung der Beanspruchung im
Fussbereich. Somit ist es möglich, eine FEM-basierte Parameterstudie durchzuführen, um
einen Vergleich zwischen dem Einfluss einer Schleifkerbe gemäss FEM-Berechnung mit den
Resultaten nach den Formeln der Norm anzustellen.
Um eine solche Studie zu ermöglichen, wurde in unserer Berechnungssoftware zur
Festigkeitsanalyse gemäss ISO 6336 eine Option zum Aufrufen einer externen FEM-Software
eingeführt. Die erforderlichen Daten wie die exakte Zahnform und die Belastung am oberen
Einzeleingriffspunkt werden direkt zum Präprozessor übertragen, der automatisch das 2D-
FEM-Netz generiert, dann den Solver und den Postprozessor aufruft. Die wichtigsten FEM-
Resultate sind die Beanspruchung am 30°-Tangentenpunkt (60° bei Hohlrädern) und die
maximale Beanspruchung, welche im gesamten Fussbereich auftritt. Die maximale
Beanspruchung tritt typischerweise an der Position der Schleifkerbe auf. Die Beanspruchung
am 30°-Tangentenpunkt ist interessant, weil die Norm die Spannung nur an diesem Punkt
ermittelt. Damit kann eine Aussage über die Eignung dieser Vereinfachung gemacht werden.
Bei Schrägstirnrädern wird die Zahnform des äquivalenten Geradstirnrads gemäss der in ISO
6336-3 angegebenen Vorgehensweise erzeugt und für die 2D-FEM-Analyse verwendet.
Interessant ist zudem die Frage nach dem Nutzen einer 3D-FEM-Analyse für Schrägstirnräder
und nach dem Grad der Übereinstimmung der Resultate der FEM-Analyse mit denen des in
ISO 6336 verwendeten Ersatzgeradstirnradmodells. Aus diesem Grund wird zusätzlich noch
eine 3D-FEM-Analyse durchgeführt. Da die Berührlinien auf der Zahnflanke schräg verlaufen,
werden die Beanspruchungen im Fussbereich über der gesamten Zahnbreite am 30°-
Tangentenpunkt gemäss ISO und an der Stelle mit maximaler Beanspruchung mithilfe der
FEM-Software berechnet.
In der Parameterstudie mit verschiedenen Zahnradgeometrien werden die Schleifzugabe, der
Kopfradius der Schleifscheibe, die Eintauchtiefe der Schleifbearbeitung und der Schleifprozess
(Wälzfräsen und Formschleifen) variiert. Die Resultate liefern eine gute Übersicht über die
Genauigkeit der ISO-Methode zur Ermittlung der Biegebeanspruchung und über den Einfluss
der Schleifkerbe. Auf Grundlage der Studie wird ein Ansatz für eine Verbesserung der Formel
zum Schleifkerbeneinfluss bestimmt. Insbesondere die Position der Kerbe in
Zahnhöhenrichtung hat einen grossen Einfluss und muss besser berücksichtigt werden.
1 Einführung
Um für Zahnräder in Fahrzeug- und Industriegetrieben oder Windturbinen eine hohe
Drehmomentkapazität zu erzielen, werden einsatzgehärtete Stahlwerkstoffe verwendet.
Solche Zahnräder werden vorgefräst, dann einsatz- und randschichtgehärtet. Der
Härtungsprozess erzeugt aufgrund der hohen Temperaturen während der Behandlung einen
relativ grossen Verzug der Zahnräder. Ein Zahnrad, das vor der Behandlung der Qualität 7
(ISO1328 [2]) entspricht, hat danach typischerweise die Qualität 9. Um ein gutes Tragbild und
niedriges Laufgeräusch zu erhalten, müssen diese Zahnräder durch Schleifen (oder einen
ähnlichen Prozess) nachgearbeitet werden.
Normalerweise wird nur der Teil der Zahnflanke, der in Kontakt mit dem zugepaarten Zahnrad
ist (die so genannte Nutzflanke), geschliffen. Das Schleifen über die gesamte Zahnhöhe,
einschliesslich des Fussbereichs, ist aufwändig und erhöht die Fertigungskosten.
Wird das Zahnrad mit einem Werkzeug ohne Protuberanz vorgefertigt, entsteht an der
Position, an der das Schleifwerkzeug von der Flanke abgehoben wird, eine Schleifkerbe im
Bereich des Zahnfusses. Eine solche Kerbe neigt dazu, eine erhöhte Biegebeanspruchung im
Fussbereich zu erzeugen und verringert somit die Festigkeit.
In der ISO 6336-3 ist eine Regel zur Berücksichtigung der erhöhten Beanspruchung durch eine
Schleifkerbe dokumentiert. Die aufgeführten Formeln basieren auf einer Forschung von Wirth
in den 1970er Jahren. In einer jüngeren Diskussion der ISO-Arbeitsgruppe, die für die
Entwicklung dieser Norm zuständig ist, zeigte sich, dass eine Überarbeitung der Formeln
erforderlich ist.
2 Untersuchungen über den Einfluss einer Schleifkerbe
Der Einfluss einer Schleifkerbe auf die Biegefestigkeit des Zahns wurde in den 1970er Jahren
von Wirth [1] an der FZG in München untersucht. Wirth führte viele Messungen an Zahnrädern
mit und ohne Schleifkerben durch und leitete S/N-Kurven daraus ab. Er untersuchte Zahnräder
mit Modul 3 mm auf einem Prüfstand, andere Zahnränder mit Modul 8 mm wurden auf einem
Pulsator gemessen. Die Spannung im Zahnfussbereich ermittelte Wirth mit dem
fotoelastischen Verfahren. Heute würde die FE-Methode für die theoretische Analyse der
Zahnfussspannung angewandt werden. In den 1970er Jahren war diese Methode jedoch noch
nicht sehr verbreitet, daher nutzte Wirth das fotoelastische Verfahren für seine
Untersuchungen. Mit diesem Verfahren lässt sich die Lage der höchsten Spannung bestimmen,
ansonsten sind die gelieferten Ergebnisse nur begrenzt hilfreich.
Die Prüfzahnräder von Wirth waren auf Maag Schleifmaschinen geschliffen worden. Das Maag
Trockenschleifverfahren war seinerzeit weit verbreitet, ist heute jedoch eindeutig veraltet. Die
Werkzeuge für die Vorbearbeitung sind genau beschrieben, aber die durch das Schleifen
erhaltene Form wurde nur mit Kontrastbildern dokumentiert, so dass Form, Lage und Radius
der Schleifkerbe an den verschiedenen Prüfzahnrädern nur grob geschätzt werden können.
Leider ist keine dokumentierte Profilmessung von einer Evolventen-Messmaschine verfügbar.
Wir versuchten, die von Wirth verwendeten Zahnräder nachzurechnen, da aber die genaue
Zahnform nach dem Schleifen nicht präzise genug angegeben ist, war dies nicht möglich.
Deshalb sind wir heute nicht in der Lage, die seinerzeit verwendeten Zahnräder mit einer FEM-
Analyse neu zu berechnen. Die eindrucksvolle Forschungsarbeit von Wirth ist daher nicht sehr
hilfreich, wenn wir seine Ergebnisse mit modernen Berechnungsmethoden nachvollziehen
wollen.
3 Die Berücksichtigung der Schleifkerbe in ISO 6336-3
Die DIN 3990-3 [3] enthält eine Regel für die Berücksichtigung der erhöhten Beanspruchung
aufgrund einer Schleifkerbe. Die gleiche Regel wurde später in der ISO 6336-3 [4]
übernommen. Laut Literaturverweisen beruht diese Methode auf einer Arbeit von
Puchner/Kamenski [5], die einige Jahre vor der Arbeit von Wirth veröffentlicht wurde. Puchner
untersuchte den Effekt einer Kerbe in der Mitte einer grösseren Kerbe ganz allgemein, nicht
für Zahnräder. Seine Ergebnisse sind daher für Schleifkerben nur anwendbar, wenn die
Normale zum 30°-Tangentenpunkt in der Fussrundung und die Normale zum 30°-
Tagentenpunkt der Schleifkerbe übereinstimmen. Wirth [1, Seite 6-7] dokumentiert die 1975
verwendeten Formeln in einem Arbeitspapier für die Norm ISO 6336-3. Die Formeln, die in der
ersten offiziellen Ausgabe der ISO 6336 im Jahr 1996 veröffentlicht wurden, unterscheiden
sich jedoch von den von Wirth dokumentierten Gleichungen. Also wurden später Änderungen
auf der Grundlage weiterer Forschungen von Wirth und anderen vorgenommen.
Die Beschreibung des Einflusses von Schleifkerben in ISO 6336-3 ist leider nicht einfach zu
verstehen und lässt Spielraum für Interpretation. Bei einer Schleifkerbe muss der Faktor für
die Spannungskonzentration nach Gleichung 1 durch YSg ersetzt werden. Die Skizze (Bild 1a)
in ISO 6336-3 [4] zeigt die beiden wichtigen Parameter der Schleifkerben-Formel, nämlich die
maximale Tiefe der Schleifkerbe (tg) und den Radius der Schleifkerbe (ρg). Die Tiefe tg wird
angegeben als der Abstand zwischen der 30°-Tangente an der vorgefertigten Zahnform und
der 30°-Tangente an der Schleifkerbe.
YSg =1,3 YS
1,3-0,6√tgρg
(1)
Schleifkerben-Parameter gemäss
ISO6336-3 [4]
Blau: Vorbearbeitete Zahnform. Grün gestrichelt:
Schleifen im Bereich der Nutzflanke. Rot punktiert:
Schleifen bis in den Zahnfussradius. Grüner Kreis: