1. Einleitung
Es gab nur noch Essig in den Regalen im Geschft 1981, nichts
sonst! erinnert sich Aleksandra Krajewska aus Wschowa, dem
ehemaligen Fraustadt in Niederschlesien, eine 53-jhrige polnische
Lehrerin. Von 1979 bis 1989 hat es Lebensmittelkarten gegeben und
der Schmuggel blhte und dann hatten wir Schokolade aus der DDR, aus
Deutschland und aus Ungarn. Und wir haben immer nichts gewusst.
Niemand sagte uns in den zwei Radiosendern, was passiert. Erst
heute wei ich zum Beispiel von einem Streik in Posen 1968. Die
Geschichte Polens im Warschauer Pakt zwischen 1945 und 1989 ist
vielfltig und kompliziert. Sie besteht aus zahlreichen Einflssen in
wirtschaftlicher, politischer und auch gesellschaftlicher Hinsicht.
Es ist sicherlich der polnischen Mentalitt gutzuschreiben, dass
Polen den Sozialismus besser als andere Ost-Staaten berwunden hat
und heutzutage gesunde Banken, eine groe Geisteselite und starkes
Wirtschaftswachstum aufweisen kann, wie die Financial Times
Deutschland erst krzlich berichtete.[footnoteRef:1] Diese Arbeit
kann nur in einem groben Umriss den Verlauf und die
Entwicklungsstrme dieser sensiblen Jahre beschreiben, da der
polnische Staat unter den Einflssen des gesamten Europas, der
US-Wirtschaft sowie den Belangen der UdSSR stand. Zudem gestalten
sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Strmungen innerhalb
Polens als mannigfaltig und das Wirken der katholischen Kirche kann
gar nicht gro genug eingeschtzt werden. Das Bestreben, in ein
unabhngiges Europa zurckzukehren, mobilisierte offensichtlich
ungeahnte Krfte eines glaubensstarken und agrarisch geprgten
Volkes. Die Ablehnung und die Nichtakzeptanz eines bergriffigen
Russlands und einer sozialistischen Fhrung verhinderte eine
Entfremdung und Entfernung von der europischen Gesinnung. Jedoch
stellt sich die Frage, welche Krfte denn mageblich den Niedergang
eines erzwungenen Realsozialismus in Polen erwirkten und warum
dieser implizit in diesem Land im Vorhinein zum Scheitern
verurteilt war. Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist das Ziel
der vorliegenden Arbeit. [1: Vgl. Financial Times Deutschland vom
28. Dezember 2011, S. 23.]
2. Grndung der Volksdemokratie in Polen
2.1Parteien und Gesellschaft
Die Neugestaltung Polens war Folge des Zweiten Weltkriegs. Polen
wurde entschdigt mit dem Groteil der deutschen Gebiete stlich der
Oder und der westlichen Neie. Das 1921 an Polen abgetretene Land
bekam die UdSSR zurck.[footnoteRef:2] [2: Vgl. Riediger, Alexander:
Sowjetrussland - Polen 1919- 1921, Mnchen 2007, S. 28.]
Sofern neue Gesellschaftsordnungen demokratisch-pluralistisch
legitimiert unmittelbar nach den Grueltaten und Ruinenfeldern des
Zweiten Weltkrieges ausgerichtet gewesen wren, htte die Mehrheit
der Polen diesen sicher zugestimmt, denn der stalinistische Terror
nach dem September 1939 in Ostpolen hatte im Volk zu einer
mehrheitlich antibolschewistischen Grundhaltung gefhrt. Aber wie in
allen von der Roten Armee befreiten Staaten wurde bei der
politischen Um- und Neugestaltung des neuen Polens sogleich die
politische Opposition durch Einschchterung und Verhaftungswellen
ausgeschaltet.[footnoteRef:3] [3: Vgl. Informationen zur
politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 12.]
Bereits bei den Parlamentswahlen im Januar 1947 stand die
Bauernpartei PSL dem so genannten Demokratischen Block, bestehend
aus der 1943 gegrndeten kommunistischen Polnischen Arbeiterpartei
(PPR), der Sozialistischen Partei (PPS), der Volkspartei und mehr,
als einzige Oppositionspartei gegenber und unterlag bei den Wahlen
beraus deutlich durch geflschte Wahlergebnisse. Der PSL-Vorsitzende
Mikoajczyk floh 1947 ins Ausland, whrend die beiden
Arbeiterparteien eine Suberung von Rechtsabweichlern
vornahmen.[footnoteRef:4] [4: Vgl. ebd., S. 12.]
Der Wunsch nach Erhaltung nationaler Traditionen im Sozialismus
oder Bedenken zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft galten
unter Fhrung des PPR-Politikers Prsident Boleslaw Bierut bei der
stalintreuen Riege der Kommunisten beim Aufbau der Volksdemokratie
zu bekmpfen. Durch die Vereinigung von PPR (polnische
Arbeiterpartei) und PPS (sozialistische Partei) entstand unter
Bierut die PZPR, die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, im
Dezember 1948, die in Folge unanfechtbare Macht
genoss.[footnoteRef:5] [5: Vgl. Hollnder, Michael: Konfliktlinien
und Konfiguration der Parteiensysteme in Ostmitteleuropa 1988-2002,
Norderstedt 2003, S. 161f.]
Bei der Besetzung der Stellen zum Aufbau einer polnischen
Verwaltung wurden Mitglieder der PZPR bevorzugt. Gleichzeitig
entstanden auch die Strukturen der Miliz. Nach sowjetischem Muster
wurde die politische Polizei organisiert.
Eine nicht zu unterschtzende Widersacherin der kommunistischen
Lager, besonders der PZPR, stellte die katholische Kirche dar, der
noch 95% der Bevlkerung angehrten und die nicht vergessen wollte,
dass die Solidaritt mit dem Widerstand gegen den
nationalsozialistischen Terror 3.000 Priester das Leben gekostet
hatte.[footnoteRef:6] Den Einfluss der Kirche zu unterbinden sollte
sich in den nchsten Jahren als ausgesprochen schwierig darstellen.
Die katholische Kirche untersttzte die Abwehr von der
Fremdherrschaft und schuf dadurch eine Art Nationalismus. Auf die
Rolle der Kirche wird im spteren Verlauf noch eingegangen werden.
[6: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe
Februar 2011, S. 12.]
2.2 Besiedlung und Wiederaufbau der Wirtschaft
Siedler kamen in Massen nach der Errichtung der polnischen
Verwaltung aus den Ostgebieten. Es entstand das Staatliche Amt fr
Repatriierung, was den Umsiedlern durch neue Aufteilung der Flchen
und Gter zur Existenzgrndung verhalf. Die restlichen Flchen gingen
in den Besitz der staatlichen Agrarverwaltung ber. In ganz Polen
wurden groe und kleine Betriebe verstaatlicht. Unter Wadysaw
Gomuka, PPR-Sekretr und 1. Stellvertretender Ministerprsident,
entstand ein Ministerium fr wiedergewonnene Gebiete im Zeitraum von
1947-1955, das sich insbesondere dem Wiederaufbau der Westgebiete
widmete.[footnoteRef:7] Groe Industriebetriebe (Metall, Textil,
Holz), die zerstrt worden waren, erfuhren Wiederaufbau und
Entwicklung und lockten mit neuen Arbeitspltzen die Landbevlkerung
in die Stdte, wo es trotz Intensivierung der Bauindustrie zu
Wohnungsmangel kam.[footnoteRef:8] [7: Vgl. Loew/Pletzing/Serrier:
Wiedergewonnene Geschichte Zur Aneignung von Vergangenheit in den
Zwischenrumen Mitteleuropas, Wiesbaden 2006, S. 22f.] [8: Spter
resultierten aus dieser Tatsache die Trabantenstdte. ]
Zur Realisierung des Kommunismus wurde die
wissenschaftlich-technische Revolution verkndet im Sinne einer
neuen technischen Zivilisation. Groprojekte wurden geplant,
industrielle Fertigung auch im Hinblick auf standardisierten
Wohnungsbau gehrte zum Fortschrittsglauben. Allerdings konnten die
technischen Standards mit Absinken der Berufsniveaus im
industriellen Bereich, bedingt durch Massenherstellung, mit
westlichen Standards nicht mehr Schritt halten. Der
Konformittszwang und die Bevormundung fhrten dazu, dass Bildung,
Wissenschaft und Kultur deutliche Vernachlssigungen
erfuhren.[footnoteRef:9] Um die Arbeiterklasse zu protegieren, war
die Bildungselite gezwungen, Arbeitspltze unter ihrem Niveau
anzunehmen. Die Arbeiterklasse als ideologische Klasse htte der
Bezugspunkt der Partei sein sollen, war jedoch von dieser nicht
erreichbar, da sich die Arbeiterschaft aufgrund der geringen Lhne
minderwertig fhlte. Beispielsweise stand die Unterbringung der
Arbeitskrfte auf Grobaustellen und Kolchosen nebst der
unzureichenden Versorgung im krassen Gegensatz zur allgegenwrtigen
arbeiterglorifizierenden Propaganda des Regimes.[footnoteRef:10]
[9: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde: Arbeiter im Staatssozialismus,
Band 31, Kln 2005, S. 60.] [10: Vgl. ebd., S. 62.]
3. Versuch der Verstaatlichung und Aufbau des
Arbeiterstaates
3.1Konfliktfrdernde Ausgangssituation
Den Hhepunkt der kommunistischen Macht beschreiben die Jahre
1953-1961. In der UdSSR wurde um die Nachfolge Stalins gekmpft, als
dieser 1953 verstarb. Als eine der politischen Manahmen wurde sogar
das klassische stalinistische System in Frage gestellt. Bis 1955
hatte der Sechsjahresplan den Umbau Polens zur sozialistischen
Wirtschaft vorgesehen. Unter Fhrung der UdSSR bildeten die
Mitgliedsstaaten Bulgarien, Polen, Rumnien, DDR, SSR und Ungarn den
Warschauer Pakt als Militrbndnis des Ostens als quivalent zur NATO.
Allerdings deckte die Geheimrede Nikita Sergejevi Chruvs im Februar
1956 auf dem 20. Parteitag der KPdSU den stalinistischen Terror,
nmlich die Verfolgung von 250.000 Menschen, auf und schwchte damit
auch das Ansehen Bieruts erheblich.[footnoteRef:11] Nach Bieruts
pltzlichem Tod in Moskau 1956 wurde der Rechtsabweichler Gomuka
erneut zum Parteichef, whrend in Posen die ersten Streiks um
politische Freiheiten gewaltsam niedergeschlagen wurden. Gomuka
versprach die Planwirtschaft und die Zwangskollektivierung der
Landwirtschaft zu lockern, nach dem stndigen Widerstand der
Bauern.[footnoteRef:12] Erwhnenswert ist der Ungarn-Aufstand 1956,
der mit den Forderungen nach wirtschaftlichen und demokratischen
Reformen und freien Wahlen niedergeschlagen wurde. Die Schaffung
von industriellen Arbeitspltzen unter gleichzeitiger
Vernachlssigung materieller Anreize frderte die Unzufriedenheit der
Bevlkerung, die im Weitesten ohnehin agrarisch geprgt war. Zudem
stand die Lebenswirklichkeit, nmlich dass es an wirklich Allem
fehlte, dem Realsozialismus gegenber. Auerdem bercksichtigte das
stalinistische System nicht die heterogene Zusammensetzung der
Bevlkerung, welches historische, kulturelle und religise
Traditionen nicht in die Vorstellung einband. Die Mentalitt der
Volksstmme Polens (Goralen, Beskiden und weitere) und ihre
unterschiedlichen kulturellen Auffassungen sowie ihre Herkunft aus
spezifischen Regionen trugen dazu bei, diese eigentlich berhaupt
nicht als homogene Masse behandeln zu knnen. Die Volksstmme hatten
bisher relativ isoliert voneinander ihre jeweils eigene Kultur
bewahren knnen. [11: Vgl. Informationen zur politischen Bildung,
Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 13.] [12: Vgl. Informationen zur
politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 13.]
3.2 Einfhrung des Sozialismus
Die Planwirtschaft und die Einparteienherrschaft als
strukturelle Vorgaben der realsozialistischen Gesellschaften
zeitigten einige diesem Gesellschaftssystem gemeinsame Merkmale,
die es als einen Gesellschaftstypus charakterisieren. Die
Unmglichkeit, eine komplexe Volkswirtschaft durch das Instrument
koordinierender Planung zu lenken, fhrte bekanntlich zu
fehlgeleiteter Produktion und somit zu Versorgungsengpssen,
Technologierckstand und infolge dessen zu extensivem Gebrauch von
Arbeitskraft, der im konomischen Sinne eine berbeschftigung
bedeutete, sozial betrachtet aber die Sicherheit des Arbeitsplatzes
begrndete.[footnoteRef:13] Bevor es zu Beginn der 1960er Jahre zur
Stagnation des Wirtschaftswachstums kam, wurden die Investitionen
in die Schwer- und Rstungsindustrie gesenkt, um die Herstellung von
Gebrauchsgegenstnden zu forcieren.[footnoteRef:14] Gleichzeitig
inszenierte man Preissenkungen, die allerdings nicht auf einem
Anstieg der Produktion basierten. In Wirklichkeit resultierte das
Beisteuern aus dem Missverhltnis zwischen der Produktion der
Ressourcen und dem Verbrauch auf sptere Jahre. Das Problem der
Regierung bestand auerdem darin, nicht aus dem Widerstand der
Arbeiter und deren Forderungen nach Verbesserungen des
Lebensniveaus gleichzeitig diesen als Klassenfeind deklarieren zu
drfen.[footnoteRef:15] [13: Bertels, Lothar: Gesellschaft, Stadt
und Lebensverlufe im Umbruch, Bad Bentheim 1994, S. 18.] [14: Vgl.
Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 98.] [15: Vgl. ebd., S. 98.]
Aus Angst vor wirtschaftlichem und politischem Kontrollverlust
wurde wenige Zeit spter unter Innenminister Mieczysaw Moczar
deutlicher als zuvor der polnische Realsozialismus durchgesetzt.
Kurzum behauptete Moczar, die Unzufriedenheit der Bevlkerung
basiere auf jdischer Stimmungsmache.[footnoteRef:16] 1968 erhoben
sich Studenten und weitere Intellektuelle zu Protesten in Warschau
als Auslufer des Prager Frhlings, den Gomuka als Angriff auf Partei
und Sozialismus wertete. Um seine Stellung auch gegenber Moczar zu
behaupten, kam es erneut zu einer Suberung auch gegen jene, die die
antijdische Hetze verurteilt hatten. Circa 30.000 Menschen jdischen
Glaubens verlieen das Land.[footnoteRef:17] Diese Kampagne
diskreditierte Polen auf gesamtinternationaler Ebene. [16: Vgl.
Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar
2011, S. 13.] [17: Vgl. ebd., S. 13.]
Dennoch gelang es der kommunistischen Regierung nicht, das
Arbeitermilieu zu kontrollieren, da die Funktionre der PPR gegenber
der Arbeiterklasse behaupteten, sie hielten sie fr unreif, eine
sozialistische Ordnung aufzubauen[footnoteRef:18]. [18:
Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 431.]
3.3Die Arbeiter des Arbeiterstaats
Eine Homogenisierung des Arbeiterstaates stellte sich in Polen
als uerst schwierig dar. David Lockwood analysierte 3 Typen des
polnischen Industriearbeiters: den traditionell proletarischen, den
traditionell ergebenen und den auf das Private bezogenen
Typ.[footnoteRef:19] 1946 waren 57% der Beschftigten
unqualifizierte Arbeiter. 1958 besaen 86,3% der krperlich ttigen
Arbeiter in der Industrie maximal Grundschulbildung, wobei 38,5%
die Grundschule nicht abgeschlossen hatten. Von 1946 bis in die
1970er Jahre erhhte sich die Zahl der Industriearbeiter von einer
Million auf drei Millionen, Mittel- und Hochschulbildung lagen
unter einem Prozent.[footnoteRef:20] Dennoch lebten die Polen und
auch die Menschen, die nach Schlesien einwanderten, das Werte- und
Normenmuster mit all ihren Traditionen, die fest mit dem
katholischen Glauben verwurzelt waren. Nicht zuletzt ist
anzunehmen, dass der Pole sich auf eine christliche Weltanschauung
sttzt und daher resistent gegen politischen Propagandismus ist. Die
Menschen lebten mit diesen Wertigkeiten und ihren eigenen Ritualen
ein starkes Gemeinschaftsgefhl. [19: Vgl. ebd., S. 428.] [20: Vgl.
Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 433ff.]
Die Arbeiter, die bereits vor 1939 in den Betrieben gearbeitet
hatten, verfgten ber hohe Qualifikationen und ein hohes
Selbstwertgefhl und waren imstande, traditionelle Werte zu
kultivieren und weiterzugeben. Groe Kritik am neuen System
kennzeichnete diese Gruppe von Industriearbeitern.[footnoteRef:21]
Die Partei sah in ihnen das Haupthindernis, das Arbeitermilieu in
den Griff zu bekommen. Aber auch nachfolgende Generationen und die
Einstellung zahlreicher junger Frauen mit niedrigem Bildungsniveau
konnten nicht dazu fhren, das traditionelle Denken in den
Arbeiterfamilien zu erschttern und somit galten sie als Strfaktor
fr den realen Sozialismus. Dass die sozialistische Wirtschaft im
Grunde beraus ineffektiv war und die Arbeitsleistung des Volkes
nicht ertragsbringend einzusetzen wusste, wurde nicht nur in
Arbeiterkreisen registriert, sondern auch zunehmend in Form von
Widerstandsaktionen zum Thema.[footnoteRef:22] [21: Vgl. Hbner,
Peter & Christa: Sozialismus als soziale Frage - Sozialpolitik
in der DDR und Polen 1968-1976, Weimar 2008, S. 146.] [22: Vgl.
Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 451.]
Soziologische Untersuchungen zeigten, dass sich unqualifizierte
Arbeiter mit weniger Bildungsniveau eher bereit waren, die
PZPR-Machtansprche hinzunehmen, weil diese aus
Existenzsicherungsgrnden lieber unauffllig verhielten. Je hher das
Bildungsniveau des Arbeiters war, je hher Berufspraxis und
Einkommen, desto mehr zeigte sich die Neigung zu Streiks und
offenen Beschwerden in den Betrieben.[footnoteRef:23] [23: Vgl.
ebd., S. 437.]
4.Die Wirtschaft in Polen
Die Neustrukturierung der Handelsbeziehungen zwischen Ost und
West und dabei fhrten alle Wege ber Moskau[footnoteRef:24]
gestaltete sich schwierig, war aber zwingend notwendig.
Gleichzeitig waren Beziehungen zum Bolschewismus fr den Westen
verboten, was den illegalen Ost-West-Handel frderte. 1953 kam es zu
neuen deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen, wenngleich zu
diesem Zeitpunkt die Embargoliste des Westens ihren grten Umfang
erreichte.[footnoteRef:25] Massenarbeitslosigkeit und die Auftrge,
die zum Beispiel die Werftindustrie im Westen betrafen, forderten
die Zustimmung Adenauers, fr die Sowjetunion Schiffe zu bauen. In
den 1950er Jahren gelang es der westdeutschen Groindustrie, eine
eigene Ostwirtschaftspolitik aufzubauen, die eine gewisse
Wirtschaftsdiplomatie entwickeln lie.[footnoteRef:26] Der
Krupp-Generalbevollmchtigte Beitz wurde in Warschau empfangen,
wobei Krupp vorgab, lediglich in Exportzwngen zu stecken die
politischen Akzente wrden unberhrt bleiben. Auch vollbrachte Krupp
in Moskau empfangen zu werden und traf auch mit Gomuka auf der
Posener Messe zusammen. 1959 stattete Chruv demonstrativ auf der
Leipziger Frhjahrsmesse der Essener Firma und dem Stand von
Phoenix-Rheinrohr einen Besuch ab. Fr den Ostausschuss besuchte
Otto Wolff von Amerongen gemeinsam mit Beitz zur 29. Posener Messe
und schloss einen Handelsvertrag mit dem polnischen
Auenhandelsminister Trampczynki, der offiziell zwischen Bonn und
Warschau galt, ab[footnoteRef:27]. [24: Vgl. Rudolph, Karsten:
Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg, Frankfurt 2004, S. 58.] [25:
Vgl. ebd., S. 59. ] [26: vgl. ebd., S. 141.] [27: Vgl. ebd., S.
144f. ]
Industrielle Aktionen wurden allerdings angefeindet und
politisch kritisch hinterfragt. Der westdeutschen Industrie war
daran gelegen, verlssliche langfristige Handelsbeziehungen
aufzubauen, die durch politische Einflsse immer wieder Strungen
unterlagen. Aber das Engagement von Berthold Beitz in den
deutsch-polnischen Beziehungen lsst sich nicht ausschlielich
firmenpolitisch erklren. Es hing eng mit seiner pommernschen
Herkunft und der Konfrontation mit dem Holocaust in Galizien whrend
seiner Ttigkeit fr die dortige Beskiden-Erdl-Gewinnungs GmbH
zusammen. [footnoteRef:28] [28: Ebd., S. 148. ]
Jacob Kaiser als Minister fr Gesamtdeutsche Fragen versuchte,
ber die wirtschaftlichen Handelsgesprche hinaus die Repatriierung
der Deutschen mit einzuweben, was zur Folge hatte, dass Polen ab
1954 seine Deutschen auswandern lie. Es ist festzustellen, dass
sich daraus eine durchaus akzeptable Wirtschaftsverknpfung ergab
und die Diplomaten der Industrie an politischem Gewicht gewinnen
konnten. Beitz, Wolff und Ernst Wolf Mommsen als Industrielle
verfgten in diesen Jahren durch ihre Firmenkontakte ber
weitreichende Informationen, die die Bundesregierung nutzen konnte,
um eine Beziehung zu den Lndern Osteuropas zum Nutzen des
Osthandels aufbauen zu knnen.[footnoteRef:29] [29: Vgl. Rudolph
2004., S. 147f. ]
Die Unterzeichnung des Warschauer Vertrags zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Polen, in dem die Oder-Neie-Linie
als deutsch-polnische Grenze offiziell anerkannt wurde, kam unter
Gomuka am 7.12.1970 zustande. Kurze Zeit spter wurden die
Lebensmittel in Polen bis zu 37% teurer.[footnoteRef:30] Blutige
Auseinandersetzungen mit den Armee- und Milizeinheiten in mehreren
polnischen Industriestdten folgten. Gomuka wurde wegen seines
Scheiterns 1970 schlielich seines Amtes enthoben.[footnoteRef:31]
[30: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe
Februar 2011, S. 14.] [31: Vgl. Karner, Stefan et al.: Prager
Frhling Das internationale Krisenjahr 1986, Weimar 2008, S.
482.]
Unter dem neuen Parteivorsitzenden Gierek entspannte sich
zunchst die Lage mit den Versprechungen, die Konsumbedrfnisse der
Bevlkerung anzupassen.[footnoteRef:32] Gegen den Protest der
katholischen Kirche und der Intellektuellen wurde die
sozialistische Verfassung 1976 weiter gefestigt, whrend es wieder
zu empfindlichen Preiserhhungen kam. 80.000 Arbeiter streikten.
Haftentlassungen und Geldbuen folgten. Die erstarkende
antisozialistische Haltung der Bevlkerung zeigte sich, indem 1956
bis 1980 bereits 80 verschiedene oppositionelle Zeitschriften
gedruckt und gelesen wurden die auflagenstrkste davon mit
beachtenswerten 70.000 Exemplaren.[footnoteRef:33] Auerdem
fungierte der Radiosender Freies Europa mit einer Zuhrerquote von
40-50% der Polen als Medium der Opposition.[footnoteRef:34] An
Streiks nahmen in diesen Jahren vornehmlich Menschen mit hherem
Einkommen und qualifizierterem Bildungsniveau teil. Solidarisches
Auftreten, im Hintergrund religise Festigung, die Kultivierung
traditioneller Werte, die Autoritt des Familienkreises, aber auch
die Verbundenheit mit der europischen Kultur standen der
kommunistischen Doktrie und der Dominanz der UdSSR
gegenber.[footnoteRef:35] [32: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S.
84.] [33: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz: Wechselwirkungen Ost-West
Dissidenz, Opposition und Zivilgesellschaft 1975-1989, Kln 2007, S.
47.] [34: Vgl. ebd., S. 51.] [35: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005,
S. 450. ]
5.Zur Rolle der Kirche
Die kommunistische Partei war der Meinung, dass je mehr
Festigung der Sozialismus erfahre, die Kirche im Gegenzug an
Einfluss verlieren wrde. Grundstzlich wurden alle Kirchenvertrge
gekndigt und der Religionsunterricht ausgesetzt[footnoteRef:36].
Noch unter Gomuka wurde ein Auslaufen der Kircheneinflsse
strategisch sanft in einer Art Duldung vollzogen. Trotzdem erhielt
sich in der Bevlkerung Polens das Christentum als Gegenpol zum
Realsozialismus und deutete damit eine politische Gegenposition an.
Insbesondere suggerierte die katholische Kirche Orientierung und
Halt, da sie dickkpfig und stur ihre Eigenstndigkeit betonte auch
und vor allem whrend der Zeit des Sozialismus. Mglich, dass die
Religion dort, wo massiv enteignet wird, das Einzige darstellt, was
nicht zu entziehen ist: eine letzte Zuflucht. Die Trockenlegung der
Kirche durch die Kommunisten frderte also im Prinzip das
oppositionelle Denken, in dem die Kirche die Grofamilie der
Glubigen und Andersdenkenden unter ihrem Dach binden konnte. Die
Kirche stand fr Gewissensfreiheit und Achtung der Menschenrechte
und dem Glubigen war es unmglich, 2 Herren gleichzeitig zu dienen.
[36: Vgl. Maier, Hans: Gesammelte Schriften, Band 2: Politische
Religionen, Mnchen 2007, S. 166.]
Menschenmassen bindend war Johannes Paul II., der polnische und
gleichzeitig politische Papst, ohne dessen Untersttzung auch spter
Lech Waesa und der Solidarno-Bewegung der gewaltfreie Ausstieg aus
dem kommunistischen System nicht geglckt wre. Whrend Johannes Paul
II. den Solidarno-Anhngern von der Anwendung von Gewalt zur
Durchsetzung ihrer Ziele eindringlich abriet, warnte er ebenso die
UdSSR vor der Anwendung von Gewalt bzw. einer bereits in Planung
befindlichen Invasion Polens, welche er mit dem Nazi-Einmarsch nach
Polen im Jahre 1939 verglich und die im Endeffekt dann auch nicht
ausgefhrt wurde[footnoteRef:37]. [37: Vgl. Samerski, Stefan:
Johannes Paul II., Mnchen 2008, S. 65.]
6.Opposition in Polen
Widerstandsbewegungen in Polen drften eine weltweit ganz eigene
Definition verlangen. In den 1970er Jahren entstand das Komitee zur
Verteidigung der Arbeiter (KOR). Es handelt sich hierbei um eine
Gruppe von regimekritischen, intellektuellen Dissidenten, aus der
spter 1980 die Solidarno-Bewegung erwchst[footnoteRef:38]. Die
Gruppierungen der Oppositionen waren sehr vielschichtig. Zum einen
bestanden sie aus Dissidenten, ehemaligen Kommunisten oder
Marxisten oder aus einfach nur enttuschten Kommunisten, die sich fr
Polens Unabhngigkeit gegenber der Sowjetunion und eine freie
Marktwirtschaft einsetzten. Ebenso waren in diesen Gruppen viele
junge Leute, davon Nachkommen von Soldaten des Warschauer
Aufstandes 1944 und Kinder von Katy-Opfern, die Widerstand als
Familienkultur lebendig hielten und fr die Freiheit
kmpften.[footnoteRef:39] Kasimierz Wycicki beschreibt in seinem
Artikel den Dissidenten in erster Linie als freien Mensch, dem es
um seine eigene menschliche Freiheit geht und erst im zweiten
Schritt um Demokratie. Gleichzeitig unabhngig vom politischen
Bereich entfaltet sich eine kulturelle Komponente als dissidente
Kultur. Es scheint so, als sei der Begriff Dissident von
unterschiedlicher Bedeutung, folglich sehr dehnbar, was seine
Definition angeht. Dissidentschaft in Polen wurde vermutlich
besonders, abgesetzt von Opposition und Widerstand, zum ureigenen
Typus. Wann der zunchst kirchenrechtlich definierte Begriff des
Dissidenten zu einem politisch akzentuierten wurde, scheint nicht
klar zu sein. Es muss irgendwann gegen Ende der 1960er Jahre
gewesen sein. Mglicherweise bernahmen die westlichen Medien den
Begriff aus den osteuropischen Sprachen, weil er geeignet schien,
einigermaen unbestimmt verschiedenste Ausprgungen von Opposition,
Widerstand und Resistenz innerhalb der Ostblock-Staaten
zusammenzufassen.[footnoteRef:40] Der Dissident, von der
Sowjetunion vermutlich unterschtzt, tritt selbst dann in seinem
Bestreben nicht zurck, wenn er sich selbst schadet. Dissidenz
beschreibt in Polen eine politische Bewegung, vom Einzelnen bis zur
Gruppenbildung, vom lauten bis zum leisen Auftreten, mit nicht
grundstzlich definierten Zielen, und sie tritt in bunter Vielfalt
auf. Sie findet sich auf geistig-kultureller Ebene bis in die
einfache, auf sich selbst bezogene Starrkpfigkeit und
Widerborstigkeit. Grundstzlich muss festgehalten werden, dass in
allen Ost-Staaten Widerstand, Opposition und Dissidenz nicht
einheitlich zu verstehen sind, jedoch trotz Unterschieden der
Milieus eine politische Grundberzeugung vorhanden war gegen den
einen und selben politischen Gegner. Mglicherweise resultierten die
angestrebte Unabhngigkeit und die Resistenz in der polnischen
Mentalitt aus der 1000-jhrigen Erfahrung ihrer Geschichte, die das
bloe berleben in der Sicherung der Familienstruktur und der
buerlichen Existenz sieht. Man bedenke die dreimalige Teilung und
die Streichung Polens von der Landkarte, die dennoch nicht zur
Auslschung der polnischen Volksstmme fhren konnte. [38: Vgl.
Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar
2011, S. 14] [39: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz 2007, S. 48.] [40: Ebd., S.
12. ]
7.Realsozialismus, daraus resultierende Gewerkschaftskulturen
und
die Folgen
Unter der KOR grndete sich die KSS (Komitee fr gesellschaftliche
Selbstverteidigung), nachdem zu Beginn der 1970er Jahre die
Bevlkerung zunehmend weniger mit Grundnahrungsmitteln versorgt
wurde. Nicht zuletzt war die weltweite Energiekrise verantwortlich
fr die Konjunkturabschwchung im Westen, was sich auch auf Polen
auswirkte. Da Polen auf die Anschaffung hochtechnisierter Produkte
aus dem Westen angewiesen war, zugleich aber wegen der
Konjunkturabschwchung weniger Devisen durch Westexporte ins Land
kamen, konnten Polens Importe nur noch durch Kreditaufnahmen
finanziert werden. Ab 1976 kam es zu erheblichen Preiserhhungen fr
Lebensmittel von mehr als 60% fr die Bevlkerung. Die
Staatsverschuldung erreichte 12 Milliarden US-Dollar, Polen war
damit vllig berschuldet.[footnoteRef:41] Es mussten spter sogar
Lebensmittelkarten in Polen eingefhrt werden, was die Unsicherheit
in der Bevlkerung steigerte. Bis 1989 kam es durchlaufend zu
Versorgungsengpssen und zu weiterer Verschuldung im Ausland. Selbst
1989 noch betrug der Anstieg der Lebensmittelpreise nebst Inflation
500%.[footnoteRef:42] [41: Vgl. Kierzkowski/Oklski/Wellisz:
Stabilization and structural adjustment in Poland, London 1993, S.
10.] [42: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311,
Ausgabe Februar 2011, S. 28.]
Die katastrophale Lage bestrkte um 1980 die oppositionellen
Ideen und ihre Verbreitung. Der Opposition war klar, dass sie das
herrschende System weder in seiner ureigenen Form renovieren noch
in direkter Konfrontation strzen konnte. Man sah stattdessen in der
Installation freier Gewerkschaften eine Mglichkeit fr die Einfhrung
demokratischer Ordnungen. Es galt, einen Pfad zu beschreiben
zwischen dem polnischen Volk und der kommunistischen
Doktrie.[footnoteRef:43] [43: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz 2007, S.
53.]
Gewerkschaften galten als grundstzliche Gegner des Kapitalismus,
hatten aber insbesondere in Polen eine auergewhnliche Rolle
einzunehmen. Gesellschaftspolitisch mussten sie auch
antikommunistisch sein und gleichzeitig die Interessen der Arbeiter
vertreten. Sie bildeten eine kmpferische Interessensorganisation im
Sinne von Sicherung und Versorgung. Arbeiterbewegungen resultierten
letztendlich aus der Zunahme der Industrialisierung. Auer den
Brgerrechtsbewegungen gab es auch staatsgelenkte Gewerkschaften,
die Konflikte bereits im Keim ersticken und die Bildung von freien
Gewerkschaften obsolet machen sollten. Diese staatsgelenkten
Gewerkschaften dienten als Sprachrohr der
Regierung.[footnoteRef:44] Allemal waren Streiks verboten, da nach
sozialistischer Auffassung die Partei ohnehin die Arbeiterklasse
vertrat. 1980 kam es nichtsdestotrotz zur grten Streikbewegung
landesweit, als eine qualifizierte Arbeiterin namens Anna
Walentynowicz auf der Danziger Lenin-Werft 5 Monate vor ihrer
Pensionierung entlassen wurde. Zuvor hatte sie sich dafr
eingesetzt, dass Frauen und Mnner in der Werft fr gleiche Arbeit
auch gleich entlohnt werden sollten. Auerdem deckte sie die
Veruntreuung von Geldern durch einen Mitarbeiter der Werftleitung
auf. Sie gehrte neben Lech Waesa zum Grndungskomitee unabhngiger
Gewerkschaften. Ihre Kndigung fhrte zur Grndung des
berbetrieblichen Streikkomitees unter Fhrung von Lech
Waesa.[footnoteRef:45] [44: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S.
33.] [45: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311,
Ausgabe Februar 2011, S. 14.]
Auf symbolischer Ebene wurde auf die Macht der katholischen
Kirche hingewiesen, nachdem immer wieder whrend der Streiks heilige
Messen abgehalten wurden, whrend denen laut zusammen gebetet wurde.
Um sich vom politischen System zu distanzieren, fand ebendiese Form
des Protestes, die auf Unverstndnis in anderen Lndern traf, immer
wieder Anwendung.[footnoteRef:46] [46: Vgl. Informationen zur
politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 41.]
Die Arbeiter der Lenin-Werft forderten, den ebenfalls
entlassenen Waesa und Walentynowicz wieder einzustellen, woraufhin
diese erneut in das Streikkomitee gewhlt wurden. Der Betrieb wurde
besetzt gehalten, whrend die Arbeiter Abgesandte der PZPR zu
Verhandlungen in das Werk bestellten. Die so genannte Solidarno
wurde einen Monat spter gegrndet.[footnoteRef:47] Circa 10
Millionen Polen traten innerhalb krzester Zeit in diese
Gewerkschaft ein. Mit 21 Forderungen wurde der Regierung
gegenbergetreten, die Streikrecht, Pressefreiheit, angemessenen
Lohn und sozialpolitische Manahmen, Krippenpltze, freie
Wochenenden, Abschaffung der Miliz usw.
beinhalteten.[footnoteRef:48] Whrend viele Betriebe von Arbeitern
besetzt wurden, offenbarte sich die Unfhigkeit der Brokratie mit
all ihren Planungsfehlern und Produktionsausfllen. Das
Solidarno-Programm und die KOR legten Wert darauf, dass zuknftig
Betriebe und Genossenschaften selbstverwaltend operieren drften,
auch um zu verhindern, dass gefragte Waren wie bisher exportiert
oder nur in von der Regierung auserwhlte Hnde gelangen. Die
Solidarno strebte den aus einer Rtedemokratie erwachsenen realen
Sozialismus an, mit allen sozialen Rechten der Arbeiter, und keine
Rckkehr zum Kapitalismus. Die 21 Forderungen und die Vereinbarungen
mit dem Stellvertretenden Ministerprsidenten Mieczysaw Jagielski
bedingten die absolute Schwchung der PZPR[footnoteRef:49]. Die
Staatsgewerkschaften verloren ihre Mitglieder und auch Parteichef
Gierek wurde aus seinem Amt entfernt. Im Februar 1981 wurde General
Jaruzelski zum Regierungschef, whrend zugleich Moskau unter
Androhung eines Einmarschs forderte, die Einflussnahme der
Solidarno in Regierungsgeschfte zu beenden. Daraufhin lie Waesa die
Arbeiter wissen, dass die Solidarno sich zuknftig persnlich der
Rettung der Wirtschaft annehme. Da dies eine Provokation fr die
PZPR bedeutete, verhngte General Jaruzelski das Kriegsrecht ber
Polen[footnoteRef:50]. Von nun an agierte der Armeeapparat gegen
die Solidarno, die angeblich einen Brgerkrieg heraufbeschworen
hatte. 1982 verbat man dann die Solidarno, und staatsabhngige
Gewerkschaften wurden neu aufgebaut, indem man
Branchengewerkschaften schuf unter einem gesamtpolnischen
Gewerkschaftsverband (OPZZ).[footnoteRef:51] [47: Vgl. Crampton, R.
J.: Eastern Europe in the twentieth century and after, London 1997,
S. 1ff.] [48: Vgl. Jrn Schulz: Die Madonna streikt; in: Jungle
World Nr. 32 vom 12. August 2010; in: Informationen zur politischen
Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 15f.] [49: Vgl.
Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar
2011, S. 14.] [50: Vgl. Diedrich, Torsten/S, Walter: Militr und
Staatssicherheit im Sicherheitskonzept der Warschauer-Pakt-Staaten,
Berlin 2010, S. 192.] [51: Vgl. Kierzkowski/Oklski/Wellisz 1993, S.
134. ]
Die Ermordung des oppositionellen Priesters Jerzy Popieuszko
durch den polnischen Staatssicherheitsdienst erhitzte erneut die
Gemter in Polen. Aufgrund dieses Ereignisses fhlte sich die
katholische Kirche massivst in eine politische Rolle gedrngt. Die
Jaruzelski-Fhrung versuchte notgedrungen die Verstndigung mit der
katholischen Kirche, schloss aber den Dialog mit Oppositionellen
aus. Als Zeichen der sozialistischen Erneuerung verkndete
Jaruzelski die Amnestie von politischen Gefangenen und lie liberale
Kulturpolitik zu[footnoteRef:52]. Die polnische Gesellschaft
erkannte jedoch, dass das vorhandene System schlichtweg nicht zu
erneuern war. Die Wirtschaftsreformprogramme der Regierung fielen
1987 durch, im Frhling 1988 kam es erneut zu heftigen Streiks, die
Gesellschaft boykottierte die Kommunalwahlen. Die Regierung lud
resigniert zu Verhandlungen mit gemigten Vertretern der Solidarno
ein. Politische Reformen, eine demokratische Verfassung sowie die
Ausarbeitung eines demokratischen Wahlrechts wurden beschlossen.
Dies sicherte Polen die erste nicht-sozialistische Regierung im
Ostblock seit 40 Jahren. Um die Sowjetunion nicht zu provozieren
und gleichzeitig die Bndnisloyalitt aufrecht zu erhalten,
verzichtete man zunchst nicht auf Parteichef Jaruzelski. 1989
erhielt die PZPR weniger als 50% der Sitze im Parlament, whrend die
Vertreter der Solidarno die restlichen Sitze bekam; 1990 lste sich
die PZPR selbst auf. Die Solidarno-Regierung setzte die Umbenennung
des Landes in Republik Polen um[footnoteRef:53]. Das Polen der
achtziger Jahre [] ist von der Revolte der Werftarbeiter, der
Militrdiktatur, Solidarno und dem Runden Tisch geprgt
[][footnoteRef:54] [52: Vgl. Crampton 1997, S. 379.] [53: Vgl.
Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar
2011, S. 18.] [54: Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 71.]
8.Rstung und Propaganda
Wenig Erkenntnisse gibt es ber die Militrausgaben unter den
realsozialistischen Regierungen, da sie zahlreichen Flschungen und
Manipulationen unterliegen. Die Militrausgaben des Warschauer
Paktes unter Beachtung des geringen Lohnkostenanteils mit viel zu
hoch gegriffenen Zahlen fhrten in den USA im brigen zu unntigen
Rstungsanstrengungen.[footnoteRef:55] Zwischen 1980 und 1989 fhrten
die hohen Ausgaben fr das Militr zwangslufig auch zu
wirtschaftlichen Problemen. Unter Jaruzelski stiegen in Polen mit
dem Ziel, der wichtigste Verbndete der UdSSR im Warschauer Pakt zu
sein, die Militrausgaben radikal.[footnoteRef:56] Die polnischen
Autoren der Dokumentation unterstreichen, da der Betrag der
Militrausgaben nur um 180,5% hher als der des Vorjahres war, whrend
der Umfang des Gesamtetats Polens um 244,2% zugenommen
habe.[footnoteRef:57] Die Volkswirtschaft unterlag erheblichen
Belastungen, nicht zu vergessen die Schden, die
Stationierungstruppen stets hinterlassen. Gleichzeitig wurden die
sowjetischen Truppen, die sich schlielich auch zwecks der
Unterdrckung interner Aufstnde im Land aufhielten, von der
polnischen Regierung mitfinanziert. Diese Truppen mussten aufgrund
eines Abkommens von 1956 auch nicht die marktblichen Preise fr
ihren Lebensunterhalt zahlen. Erheblich mssen zudem die Kosten zur
Wiederherstellung der Umwelt bedingt durch die durch die
sowjetischen Truppen verursachten Schden (Wald, Wasser, Boden)
gewesen sein.[footnoteRef:58] [55: Vgl. Danos, Ninel: Wirtschaft
und Verteidigung. Bestandsaufnahme des Umbruchs in Osteuropa,
Mnster 1995, S. 7.] [56: Vgl. ebd., S. 22.] [57: Ebd., S. 23. ]
[58: Forum Berlin-Brandenburg regional: Kulturlandschaft Lebuser
Land/Ziemia Lubuska Dokumentation der Konferenz, 1. Auflage,
Potsdam 1999 (keine Seitenzahlen vorhanden).]
Zur Propaganda von Michail Gorbav gehrte die Vision eines
gemeinsamen europischen Hauses[footnoteRef:59]. Daher
demonstrierten die Staaten Ostmitteleuropas gegen die Mauer in
Berlin, die ein freies Europa unmglich machte. 1990 ging mit dem
Mauerfall auch der Kommunismus zugrunde, nachdem sich lange Zeit
der Westen ignorant gegenber Menschenrechtsverletzungen der
Kommunisten verhalten hatte und die Rufe, die Ordnung von Jalta zu
beseitigen, berhrt hatte. In einem neuen vereinten Mitteleuropa
knnten keine politischen Ideologien mehr existieren, die die Brger
in kollektiver Unmndigkeit halten. Die Gesellschaften wrden
pluralistischer werden.[footnoteRef:60] Zu Beginn der 1980er Jahre
wurde zunehmend die Lsung der Deutschlandfrage von Oppositionellen
in Polen angestoen, nicht zuletzt um einer atomaren Katastrophe
auszuweichen. Andererseits erwuchsen ngste aus diesen Forderungen,
da man als Reaktion auf diese Provokation Aggressionen seitens der
UdSSR frchtete, die in einem militrischen Schlag enden konnten.
[59: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz 2007, S. 39.] [60: Veen/Mhlert/Mrz 2007,
S. 38.]
9.Fazit
Eines der Hauptmotive Polens war die Rckkehr nach Europa. Dieses
Ziel wurde mit dem Beitritt zur NATO im Jahre 1999 und der Aufnahme
in die Europische Union anno 2004 erreicht. Und trotz aller
Anstrengungen zur Homogenisierung des Volkes behielten die Polen
ihre Individualitt und Identitt, was nicht zuletzt ihrer Sturheit
im positiven Sinne zuzurechnen ist. Aber auch die Kirche und Papst
Johannes Paul II. spielen eine wichtige Rolle fr die Entwicklung
des Landes in der ra des Warschauer Pakts: die Kirche bildete den
gemeinsamen Nenner aller Polen und lie sich von der Regierung nicht
einschchtern. Johannes Paul II. untersttzte seine Landsleute mit
Zuversicht. Auerdem wusste er die Ur-Religiositt des polnischen
Volkes konstruktiv politisch zu nutzen.
Htte die UdSSR die polnischen Bauern nicht in die Rolle von
Industriearbeitern gezwungen, htten diese in dieser relativ kurzen
Zeit sicher nicht derart heftig gegen das System rebelliert. Dem
polnischen Pragmatiker waren die Vorteile der sozialistischen
Ideologie nicht begreifbar zu machen, solange er Hunger und Mangel
leiden musste. Die wirtschaftlichen Bedingungen reichten zudem
nicht aus, in derartig kurzer Zeit eine Arbeiterideologie zu
implantieren. Weiterhin mangelte es an ideologischer Erziehung, die
vielleicht in einer zweiten, in dieses System hineingeborenen,
Generation htte greifen knnen. Mglicherweise war auch die polnische
Mentalitt bezglich des stoischen Freiheitswillens von sowjetischer
Seite unterschtzt worden.
Als Antwort auf die Frage, welche Krfte denn mageblich den
Niedergang eines erzwungenen Realsozialismus in Polen erwirkten und
warum dieser implizit in diesem Land im Vorhinein zum Scheitern
verurteilt war, lsst sich schlussendlich sagen: Der polnische
Arbeiter war es, der den Verfall des Kommunismus mageblich
vorangetrieben hat ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Es
ist schwierig speziell die polnische Dissidenz zu definieren,
jedoch kann man festhalten, dass es sich beim Polen um einen
ausgesprochen stark agrarisch und kulturell geprgten Menschentypus
handelt, der in seinem Inneren gefestigt eine besondere Immunitt
gegenber Ideologien wie dem Sozialismus aufweist. Der Pole war zu
keiner Zeit gewillt, sein gewachsenes Kulturgut aufzugeben.
Literatur
Bertels, Lothar: Gesellschaft, Stadt und Lebensverlufe im
Umbruch, Bad Bentheim 1994.
Crampton, R. J.: Eastern Europe in the twentieth century and
after, London 1997.
Danos, Ninel: Wirtschaft und Verteidigung. Bestandsaufnahme des
Umbruchs in Osteuropa, Mnster 1995.
Diedrich, Torsten/S, Walter: Militr und Staatssicherheit im
Sicherheitskonzept der Warschauer-Pakt-Staaten, Berlin 2010.
Financial Times Deutschland vom 28. Dezember 2011.
Forum Berlin-Brandenburg regional: Kulturlandschaft Lebuser
Land/Ziemia Lubuska Dokumentation der Konferenz, 1. Auflage,
Potsdam 1999.
Hollnder, Michael: Konfliktlinien und Konfiguration der
Parteiensysteme in Ostmitteleuropa 1988-2002, Norderstedt 2003.
Hbner, Peter & Christa: Sozialismus als soziale Frage -
Sozialpolitik in der DDR und Polen 1968-1976.
Hbner/Klemann/Tenfelde: Arbeiter im Staatssozialismus, Band 31,
Kln 2005.
Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar
2011.
Karner, Stefan et al.: Prager Frhling Das internationale
Krisenjahr 1986, Weimar 2008.
Kierzkowski/Oklski/Wellisz: Stabilization and structural
adjustment in Poland, London 1993.
Loew/Pletzing/Serrier: Wiedergewonnene Geschichte Zur Aneignung
von Vergangenheit in den Zwischenrumen Mitteleuropas, Wiesbaden
2006.
Maier, Hans: Gesammelte Schriften, Band 2: Politische
Religionen, Mnchen 2007.
Riediger, Alexander: Sowjetrussland - Polen 1919- 1921, Mnchen
2007.
Rudolph, Karsten: Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg,
Frankfurt 2004.
Samerski, Stefan: Johannes Paul II., Mnchen 2008.
Veen/Mhlert/Mrz: Wechselwirkungen Ost-West Dissidenz, Opposition
und Zivielgesellschaft 1975-1989.
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