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1. Einleitung „Es gab nur noch Essig in den Regalen im Geschäft 1981, nichts sonst!“ erinnert sich Aleksandra Krajewska aus Wschowa, dem ehemaligen Fraustadt in Niederschlesien, eine 53-jährige polnische Lehrerin. „Von 1979 bis 1989 hat es Lebensmittelkarten gegeben und der Schmuggel blühte und dann hatten wir Schokolade aus der DDR, aus Deutschland und aus Ungarn. Und wir haben immer nichts gewusst. Niemand sagte uns in den zwei Radiosendern, was passiert. Erst heute weiß ich zum Beispiel von einem Streik in Posen 1968.“ Die Geschichte Polens im Warschauer Pakt zwischen 1945 und 1989 ist vielfältig und kompliziert. Sie besteht aus zahlreichen Einflüssen in wirtschaftlicher, politischer und auch gesellschaftlicher Hinsicht. Es ist sicherlich der polnischen Mentalität gutzuschreiben, dass Polen den Sozialismus besser als andere Ost-Staaten überwunden hat und heutzutage gesunde Banken, eine große Geisteselite und starkes Wirtschaftswachstum aufweisen kann, wie die Financial Times Deutschland erst kürzlich berichtete. 1 Diese Arbeit kann nur in einem groben Umriss den Verlauf und die Entwicklungsströme dieser sensiblen Jahre beschreiben, da der polnische Staat unter den Einflüssen des gesamten Europas, der US-Wirtschaft sowie den Belangen der UdSSR stand. Zudem gestalten sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Strömungen 1 Vgl. Financial Times Deutschland vom 28. Dezember 2011, S. 23. 1
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Das Scheitern des Sozialismus in Polen zu Zeiten des Warschauer Paktes

Sep 06, 2015

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1. Einleitung

Es gab nur noch Essig in den Regalen im Geschft 1981, nichts sonst! erinnert sich Aleksandra Krajewska aus Wschowa, dem ehemaligen Fraustadt in Niederschlesien, eine 53-jhrige polnische Lehrerin. Von 1979 bis 1989 hat es Lebensmittelkarten gegeben und der Schmuggel blhte und dann hatten wir Schokolade aus der DDR, aus Deutschland und aus Ungarn. Und wir haben immer nichts gewusst. Niemand sagte uns in den zwei Radiosendern, was passiert. Erst heute wei ich zum Beispiel von einem Streik in Posen 1968. Die Geschichte Polens im Warschauer Pakt zwischen 1945 und 1989 ist vielfltig und kompliziert. Sie besteht aus zahlreichen Einflssen in wirtschaftlicher, politischer und auch gesellschaftlicher Hinsicht. Es ist sicherlich der polnischen Mentalitt gutzuschreiben, dass Polen den Sozialismus besser als andere Ost-Staaten berwunden hat und heutzutage gesunde Banken, eine groe Geisteselite und starkes Wirtschaftswachstum aufweisen kann, wie die Financial Times Deutschland erst krzlich berichtete.[footnoteRef:1] Diese Arbeit kann nur in einem groben Umriss den Verlauf und die Entwicklungsstrme dieser sensiblen Jahre beschreiben, da der polnische Staat unter den Einflssen des gesamten Europas, der US-Wirtschaft sowie den Belangen der UdSSR stand. Zudem gestalten sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Strmungen innerhalb Polens als mannigfaltig und das Wirken der katholischen Kirche kann gar nicht gro genug eingeschtzt werden. Das Bestreben, in ein unabhngiges Europa zurckzukehren, mobilisierte offensichtlich ungeahnte Krfte eines glaubensstarken und agrarisch geprgten Volkes. Die Ablehnung und die Nichtakzeptanz eines bergriffigen Russlands und einer sozialistischen Fhrung verhinderte eine Entfremdung und Entfernung von der europischen Gesinnung. Jedoch stellt sich die Frage, welche Krfte denn mageblich den Niedergang eines erzwungenen Realsozialismus in Polen erwirkten und warum dieser implizit in diesem Land im Vorhinein zum Scheitern verurteilt war. Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. [1: Vgl. Financial Times Deutschland vom 28. Dezember 2011, S. 23.]

2. Grndung der Volksdemokratie in Polen

2.1Parteien und Gesellschaft

Die Neugestaltung Polens war Folge des Zweiten Weltkriegs. Polen wurde entschdigt mit dem Groteil der deutschen Gebiete stlich der Oder und der westlichen Neie. Das 1921 an Polen abgetretene Land bekam die UdSSR zurck.[footnoteRef:2] [2: Vgl. Riediger, Alexander: Sowjetrussland - Polen 1919- 1921, Mnchen 2007, S. 28.]

Sofern neue Gesellschaftsordnungen demokratisch-pluralistisch legitimiert unmittelbar nach den Grueltaten und Ruinenfeldern des Zweiten Weltkrieges ausgerichtet gewesen wren, htte die Mehrheit der Polen diesen sicher zugestimmt, denn der stalinistische Terror nach dem September 1939 in Ostpolen hatte im Volk zu einer mehrheitlich antibolschewistischen Grundhaltung gefhrt. Aber wie in allen von der Roten Armee befreiten Staaten wurde bei der politischen Um- und Neugestaltung des neuen Polens sogleich die politische Opposition durch Einschchterung und Verhaftungswellen ausgeschaltet.[footnoteRef:3] [3: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 12.]

Bereits bei den Parlamentswahlen im Januar 1947 stand die Bauernpartei PSL dem so genannten Demokratischen Block, bestehend aus der 1943 gegrndeten kommunistischen Polnischen Arbeiterpartei (PPR), der Sozialistischen Partei (PPS), der Volkspartei und mehr, als einzige Oppositionspartei gegenber und unterlag bei den Wahlen beraus deutlich durch geflschte Wahlergebnisse. Der PSL-Vorsitzende Mikoajczyk floh 1947 ins Ausland, whrend die beiden Arbeiterparteien eine Suberung von Rechtsabweichlern vornahmen.[footnoteRef:4] [4: Vgl. ebd., S. 12.]

Der Wunsch nach Erhaltung nationaler Traditionen im Sozialismus oder Bedenken zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft galten unter Fhrung des PPR-Politikers Prsident Boleslaw Bierut bei der stalintreuen Riege der Kommunisten beim Aufbau der Volksdemokratie zu bekmpfen. Durch die Vereinigung von PPR (polnische Arbeiterpartei) und PPS (sozialistische Partei) entstand unter Bierut die PZPR, die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, im Dezember 1948, die in Folge unanfechtbare Macht genoss.[footnoteRef:5] [5: Vgl. Hollnder, Michael: Konfliktlinien und Konfiguration der Parteiensysteme in Ostmitteleuropa 1988-2002, Norderstedt 2003, S. 161f.]

Bei der Besetzung der Stellen zum Aufbau einer polnischen Verwaltung wurden Mitglieder der PZPR bevorzugt. Gleichzeitig entstanden auch die Strukturen der Miliz. Nach sowjetischem Muster wurde die politische Polizei organisiert.

Eine nicht zu unterschtzende Widersacherin der kommunistischen Lager, besonders der PZPR, stellte die katholische Kirche dar, der noch 95% der Bevlkerung angehrten und die nicht vergessen wollte, dass die Solidaritt mit dem Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror 3.000 Priester das Leben gekostet hatte.[footnoteRef:6] Den Einfluss der Kirche zu unterbinden sollte sich in den nchsten Jahren als ausgesprochen schwierig darstellen. Die katholische Kirche untersttzte die Abwehr von der Fremdherrschaft und schuf dadurch eine Art Nationalismus. Auf die Rolle der Kirche wird im spteren Verlauf noch eingegangen werden. [6: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 12.]

2.2 Besiedlung und Wiederaufbau der Wirtschaft

Siedler kamen in Massen nach der Errichtung der polnischen Verwaltung aus den Ostgebieten. Es entstand das Staatliche Amt fr Repatriierung, was den Umsiedlern durch neue Aufteilung der Flchen und Gter zur Existenzgrndung verhalf. Die restlichen Flchen gingen in den Besitz der staatlichen Agrarverwaltung ber. In ganz Polen wurden groe und kleine Betriebe verstaatlicht. Unter Wadysaw Gomuka, PPR-Sekretr und 1. Stellvertretender Ministerprsident, entstand ein Ministerium fr wiedergewonnene Gebiete im Zeitraum von 1947-1955, das sich insbesondere dem Wiederaufbau der Westgebiete widmete.[footnoteRef:7] Groe Industriebetriebe (Metall, Textil, Holz), die zerstrt worden waren, erfuhren Wiederaufbau und Entwicklung und lockten mit neuen Arbeitspltzen die Landbevlkerung in die Stdte, wo es trotz Intensivierung der Bauindustrie zu Wohnungsmangel kam.[footnoteRef:8] [7: Vgl. Loew/Pletzing/Serrier: Wiedergewonnene Geschichte Zur Aneignung von Vergangenheit in den Zwischenrumen Mitteleuropas, Wiesbaden 2006, S. 22f.] [8: Spter resultierten aus dieser Tatsache die Trabantenstdte. ]

Zur Realisierung des Kommunismus wurde die wissenschaftlich-technische Revolution verkndet im Sinne einer neuen technischen Zivilisation. Groprojekte wurden geplant, industrielle Fertigung auch im Hinblick auf standardisierten Wohnungsbau gehrte zum Fortschrittsglauben. Allerdings konnten die technischen Standards mit Absinken der Berufsniveaus im industriellen Bereich, bedingt durch Massenherstellung, mit westlichen Standards nicht mehr Schritt halten. Der Konformittszwang und die Bevormundung fhrten dazu, dass Bildung, Wissenschaft und Kultur deutliche Vernachlssigungen erfuhren.[footnoteRef:9] Um die Arbeiterklasse zu protegieren, war die Bildungselite gezwungen, Arbeitspltze unter ihrem Niveau anzunehmen. Die Arbeiterklasse als ideologische Klasse htte der Bezugspunkt der Partei sein sollen, war jedoch von dieser nicht erreichbar, da sich die Arbeiterschaft aufgrund der geringen Lhne minderwertig fhlte. Beispielsweise stand die Unterbringung der Arbeitskrfte auf Grobaustellen und Kolchosen nebst der unzureichenden Versorgung im krassen Gegensatz zur allgegenwrtigen arbeiterglorifizierenden Propaganda des Regimes.[footnoteRef:10] [9: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde: Arbeiter im Staatssozialismus, Band 31, Kln 2005, S. 60.] [10: Vgl. ebd., S. 62.]

3. Versuch der Verstaatlichung und Aufbau des Arbeiterstaates

3.1Konfliktfrdernde Ausgangssituation

Den Hhepunkt der kommunistischen Macht beschreiben die Jahre 1953-1961. In der UdSSR wurde um die Nachfolge Stalins gekmpft, als dieser 1953 verstarb. Als eine der politischen Manahmen wurde sogar das klassische stalinistische System in Frage gestellt. Bis 1955 hatte der Sechsjahresplan den Umbau Polens zur sozialistischen Wirtschaft vorgesehen. Unter Fhrung der UdSSR bildeten die Mitgliedsstaaten Bulgarien, Polen, Rumnien, DDR, SSR und Ungarn den Warschauer Pakt als Militrbndnis des Ostens als quivalent zur NATO. Allerdings deckte die Geheimrede Nikita Sergejevi Chruvs im Februar 1956 auf dem 20. Parteitag der KPdSU den stalinistischen Terror, nmlich die Verfolgung von 250.000 Menschen, auf und schwchte damit auch das Ansehen Bieruts erheblich.[footnoteRef:11] Nach Bieruts pltzlichem Tod in Moskau 1956 wurde der Rechtsabweichler Gomuka erneut zum Parteichef, whrend in Posen die ersten Streiks um politische Freiheiten gewaltsam niedergeschlagen wurden. Gomuka versprach die Planwirtschaft und die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft zu lockern, nach dem stndigen Widerstand der Bauern.[footnoteRef:12] Erwhnenswert ist der Ungarn-Aufstand 1956, der mit den Forderungen nach wirtschaftlichen und demokratischen Reformen und freien Wahlen niedergeschlagen wurde. Die Schaffung von industriellen Arbeitspltzen unter gleichzeitiger Vernachlssigung materieller Anreize frderte die Unzufriedenheit der Bevlkerung, die im Weitesten ohnehin agrarisch geprgt war. Zudem stand die Lebenswirklichkeit, nmlich dass es an wirklich Allem fehlte, dem Realsozialismus gegenber. Auerdem bercksichtigte das stalinistische System nicht die heterogene Zusammensetzung der Bevlkerung, welches historische, kulturelle und religise Traditionen nicht in die Vorstellung einband. Die Mentalitt der Volksstmme Polens (Goralen, Beskiden und weitere) und ihre unterschiedlichen kulturellen Auffassungen sowie ihre Herkunft aus spezifischen Regionen trugen dazu bei, diese eigentlich berhaupt nicht als homogene Masse behandeln zu knnen. Die Volksstmme hatten bisher relativ isoliert voneinander ihre jeweils eigene Kultur bewahren knnen. [11: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 13.] [12: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 13.]

3.2 Einfhrung des Sozialismus

Die Planwirtschaft und die Einparteienherrschaft als strukturelle Vorgaben der realsozialistischen Gesellschaften zeitigten einige diesem Gesellschaftssystem gemeinsame Merkmale, die es als einen Gesellschaftstypus charakterisieren. Die Unmglichkeit, eine komplexe Volkswirtschaft durch das Instrument koordinierender Planung zu lenken, fhrte bekanntlich zu fehlgeleiteter Produktion und somit zu Versorgungsengpssen, Technologierckstand und infolge dessen zu extensivem Gebrauch von Arbeitskraft, der im konomischen Sinne eine berbeschftigung bedeutete, sozial betrachtet aber die Sicherheit des Arbeitsplatzes begrndete.[footnoteRef:13] Bevor es zu Beginn der 1960er Jahre zur Stagnation des Wirtschaftswachstums kam, wurden die Investitionen in die Schwer- und Rstungsindustrie gesenkt, um die Herstellung von Gebrauchsgegenstnden zu forcieren.[footnoteRef:14] Gleichzeitig inszenierte man Preissenkungen, die allerdings nicht auf einem Anstieg der Produktion basierten. In Wirklichkeit resultierte das Beisteuern aus dem Missverhltnis zwischen der Produktion der Ressourcen und dem Verbrauch auf sptere Jahre. Das Problem der Regierung bestand auerdem darin, nicht aus dem Widerstand der Arbeiter und deren Forderungen nach Verbesserungen des Lebensniveaus gleichzeitig diesen als Klassenfeind deklarieren zu drfen.[footnoteRef:15] [13: Bertels, Lothar: Gesellschaft, Stadt und Lebensverlufe im Umbruch, Bad Bentheim 1994, S. 18.] [14: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 98.] [15: Vgl. ebd., S. 98.]

Aus Angst vor wirtschaftlichem und politischem Kontrollverlust wurde wenige Zeit spter unter Innenminister Mieczysaw Moczar deutlicher als zuvor der polnische Realsozialismus durchgesetzt. Kurzum behauptete Moczar, die Unzufriedenheit der Bevlkerung basiere auf jdischer Stimmungsmache.[footnoteRef:16] 1968 erhoben sich Studenten und weitere Intellektuelle zu Protesten in Warschau als Auslufer des Prager Frhlings, den Gomuka als Angriff auf Partei und Sozialismus wertete. Um seine Stellung auch gegenber Moczar zu behaupten, kam es erneut zu einer Suberung auch gegen jene, die die antijdische Hetze verurteilt hatten. Circa 30.000 Menschen jdischen Glaubens verlieen das Land.[footnoteRef:17] Diese Kampagne diskreditierte Polen auf gesamtinternationaler Ebene. [16: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 13.] [17: Vgl. ebd., S. 13.]

Dennoch gelang es der kommunistischen Regierung nicht, das Arbeitermilieu zu kontrollieren, da die Funktionre der PPR gegenber der Arbeiterklasse behaupteten, sie hielten sie fr unreif, eine sozialistische Ordnung aufzubauen[footnoteRef:18]. [18: Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 431.]

3.3Die Arbeiter des Arbeiterstaats

Eine Homogenisierung des Arbeiterstaates stellte sich in Polen als uerst schwierig dar. David Lockwood analysierte 3 Typen des polnischen Industriearbeiters: den traditionell proletarischen, den traditionell ergebenen und den auf das Private bezogenen Typ.[footnoteRef:19] 1946 waren 57% der Beschftigten unqualifizierte Arbeiter. 1958 besaen 86,3% der krperlich ttigen Arbeiter in der Industrie maximal Grundschulbildung, wobei 38,5% die Grundschule nicht abgeschlossen hatten. Von 1946 bis in die 1970er Jahre erhhte sich die Zahl der Industriearbeiter von einer Million auf drei Millionen, Mittel- und Hochschulbildung lagen unter einem Prozent.[footnoteRef:20] Dennoch lebten die Polen und auch die Menschen, die nach Schlesien einwanderten, das Werte- und Normenmuster mit all ihren Traditionen, die fest mit dem katholischen Glauben verwurzelt waren. Nicht zuletzt ist anzunehmen, dass der Pole sich auf eine christliche Weltanschauung sttzt und daher resistent gegen politischen Propagandismus ist. Die Menschen lebten mit diesen Wertigkeiten und ihren eigenen Ritualen ein starkes Gemeinschaftsgefhl. [19: Vgl. ebd., S. 428.] [20: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 433ff.]

Die Arbeiter, die bereits vor 1939 in den Betrieben gearbeitet hatten, verfgten ber hohe Qualifikationen und ein hohes Selbstwertgefhl und waren imstande, traditionelle Werte zu kultivieren und weiterzugeben. Groe Kritik am neuen System kennzeichnete diese Gruppe von Industriearbeitern.[footnoteRef:21] Die Partei sah in ihnen das Haupthindernis, das Arbeitermilieu in den Griff zu bekommen. Aber auch nachfolgende Generationen und die Einstellung zahlreicher junger Frauen mit niedrigem Bildungsniveau konnten nicht dazu fhren, das traditionelle Denken in den Arbeiterfamilien zu erschttern und somit galten sie als Strfaktor fr den realen Sozialismus. Dass die sozialistische Wirtschaft im Grunde beraus ineffektiv war und die Arbeitsleistung des Volkes nicht ertragsbringend einzusetzen wusste, wurde nicht nur in Arbeiterkreisen registriert, sondern auch zunehmend in Form von Widerstandsaktionen zum Thema.[footnoteRef:22] [21: Vgl. Hbner, Peter & Christa: Sozialismus als soziale Frage - Sozialpolitik in der DDR und Polen 1968-1976, Weimar 2008, S. 146.] [22: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 451.]

Soziologische Untersuchungen zeigten, dass sich unqualifizierte Arbeiter mit weniger Bildungsniveau eher bereit waren, die PZPR-Machtansprche hinzunehmen, weil diese aus Existenzsicherungsgrnden lieber unauffllig verhielten. Je hher das Bildungsniveau des Arbeiters war, je hher Berufspraxis und Einkommen, desto mehr zeigte sich die Neigung zu Streiks und offenen Beschwerden in den Betrieben.[footnoteRef:23] [23: Vgl. ebd., S. 437.]

4.Die Wirtschaft in Polen

Die Neustrukturierung der Handelsbeziehungen zwischen Ost und West und dabei fhrten alle Wege ber Moskau[footnoteRef:24] gestaltete sich schwierig, war aber zwingend notwendig. Gleichzeitig waren Beziehungen zum Bolschewismus fr den Westen verboten, was den illegalen Ost-West-Handel frderte. 1953 kam es zu neuen deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen, wenngleich zu diesem Zeitpunkt die Embargoliste des Westens ihren grten Umfang erreichte.[footnoteRef:25] Massenarbeitslosigkeit und die Auftrge, die zum Beispiel die Werftindustrie im Westen betrafen, forderten die Zustimmung Adenauers, fr die Sowjetunion Schiffe zu bauen. In den 1950er Jahren gelang es der westdeutschen Groindustrie, eine eigene Ostwirtschaftspolitik aufzubauen, die eine gewisse Wirtschaftsdiplomatie entwickeln lie.[footnoteRef:26] Der Krupp-Generalbevollmchtigte Beitz wurde in Warschau empfangen, wobei Krupp vorgab, lediglich in Exportzwngen zu stecken die politischen Akzente wrden unberhrt bleiben. Auch vollbrachte Krupp in Moskau empfangen zu werden und traf auch mit Gomuka auf der Posener Messe zusammen. 1959 stattete Chruv demonstrativ auf der Leipziger Frhjahrsmesse der Essener Firma und dem Stand von Phoenix-Rheinrohr einen Besuch ab. Fr den Ostausschuss besuchte Otto Wolff von Amerongen gemeinsam mit Beitz zur 29. Posener Messe und schloss einen Handelsvertrag mit dem polnischen Auenhandelsminister Trampczynki, der offiziell zwischen Bonn und Warschau galt, ab[footnoteRef:27]. [24: Vgl. Rudolph, Karsten: Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg, Frankfurt 2004, S. 58.] [25: Vgl. ebd., S. 59. ] [26: vgl. ebd., S. 141.] [27: Vgl. ebd., S. 144f. ]

Industrielle Aktionen wurden allerdings angefeindet und politisch kritisch hinterfragt. Der westdeutschen Industrie war daran gelegen, verlssliche langfristige Handelsbeziehungen aufzubauen, die durch politische Einflsse immer wieder Strungen unterlagen. Aber das Engagement von Berthold Beitz in den deutsch-polnischen Beziehungen lsst sich nicht ausschlielich firmenpolitisch erklren. Es hing eng mit seiner pommernschen Herkunft und der Konfrontation mit dem Holocaust in Galizien whrend seiner Ttigkeit fr die dortige Beskiden-Erdl-Gewinnungs GmbH zusammen. [footnoteRef:28] [28: Ebd., S. 148. ]

Jacob Kaiser als Minister fr Gesamtdeutsche Fragen versuchte, ber die wirtschaftlichen Handelsgesprche hinaus die Repatriierung der Deutschen mit einzuweben, was zur Folge hatte, dass Polen ab 1954 seine Deutschen auswandern lie. Es ist festzustellen, dass sich daraus eine durchaus akzeptable Wirtschaftsverknpfung ergab und die Diplomaten der Industrie an politischem Gewicht gewinnen konnten. Beitz, Wolff und Ernst Wolf Mommsen als Industrielle verfgten in diesen Jahren durch ihre Firmenkontakte ber weitreichende Informationen, die die Bundesregierung nutzen konnte, um eine Beziehung zu den Lndern Osteuropas zum Nutzen des Osthandels aufbauen zu knnen.[footnoteRef:29] [29: Vgl. Rudolph 2004., S. 147f. ]

Die Unterzeichnung des Warschauer Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen, in dem die Oder-Neie-Linie als deutsch-polnische Grenze offiziell anerkannt wurde, kam unter Gomuka am 7.12.1970 zustande. Kurze Zeit spter wurden die Lebensmittel in Polen bis zu 37% teurer.[footnoteRef:30] Blutige Auseinandersetzungen mit den Armee- und Milizeinheiten in mehreren polnischen Industriestdten folgten. Gomuka wurde wegen seines Scheiterns 1970 schlielich seines Amtes enthoben.[footnoteRef:31] [30: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 14.] [31: Vgl. Karner, Stefan et al.: Prager Frhling Das internationale Krisenjahr 1986, Weimar 2008, S. 482.]

Unter dem neuen Parteivorsitzenden Gierek entspannte sich zunchst die Lage mit den Versprechungen, die Konsumbedrfnisse der Bevlkerung anzupassen.[footnoteRef:32] Gegen den Protest der katholischen Kirche und der Intellektuellen wurde die sozialistische Verfassung 1976 weiter gefestigt, whrend es wieder zu empfindlichen Preiserhhungen kam. 80.000 Arbeiter streikten. Haftentlassungen und Geldbuen folgten. Die erstarkende antisozialistische Haltung der Bevlkerung zeigte sich, indem 1956 bis 1980 bereits 80 verschiedene oppositionelle Zeitschriften gedruckt und gelesen wurden die auflagenstrkste davon mit beachtenswerten 70.000 Exemplaren.[footnoteRef:33] Auerdem fungierte der Radiosender Freies Europa mit einer Zuhrerquote von 40-50% der Polen als Medium der Opposition.[footnoteRef:34] An Streiks nahmen in diesen Jahren vornehmlich Menschen mit hherem Einkommen und qualifizierterem Bildungsniveau teil. Solidarisches Auftreten, im Hintergrund religise Festigung, die Kultivierung traditioneller Werte, die Autoritt des Familienkreises, aber auch die Verbundenheit mit der europischen Kultur standen der kommunistischen Doktrie und der Dominanz der UdSSR gegenber.[footnoteRef:35] [32: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 84.] [33: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz: Wechselwirkungen Ost-West Dissidenz, Opposition und Zivilgesellschaft 1975-1989, Kln 2007, S. 47.] [34: Vgl. ebd., S. 51.] [35: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 450. ]

5.Zur Rolle der Kirche

Die kommunistische Partei war der Meinung, dass je mehr Festigung der Sozialismus erfahre, die Kirche im Gegenzug an Einfluss verlieren wrde. Grundstzlich wurden alle Kirchenvertrge gekndigt und der Religionsunterricht ausgesetzt[footnoteRef:36]. Noch unter Gomuka wurde ein Auslaufen der Kircheneinflsse strategisch sanft in einer Art Duldung vollzogen. Trotzdem erhielt sich in der Bevlkerung Polens das Christentum als Gegenpol zum Realsozialismus und deutete damit eine politische Gegenposition an. Insbesondere suggerierte die katholische Kirche Orientierung und Halt, da sie dickkpfig und stur ihre Eigenstndigkeit betonte auch und vor allem whrend der Zeit des Sozialismus. Mglich, dass die Religion dort, wo massiv enteignet wird, das Einzige darstellt, was nicht zu entziehen ist: eine letzte Zuflucht. Die Trockenlegung der Kirche durch die Kommunisten frderte also im Prinzip das oppositionelle Denken, in dem die Kirche die Grofamilie der Glubigen und Andersdenkenden unter ihrem Dach binden konnte. Die Kirche stand fr Gewissensfreiheit und Achtung der Menschenrechte und dem Glubigen war es unmglich, 2 Herren gleichzeitig zu dienen. [36: Vgl. Maier, Hans: Gesammelte Schriften, Band 2: Politische Religionen, Mnchen 2007, S. 166.]

Menschenmassen bindend war Johannes Paul II., der polnische und gleichzeitig politische Papst, ohne dessen Untersttzung auch spter Lech Waesa und der Solidarno-Bewegung der gewaltfreie Ausstieg aus dem kommunistischen System nicht geglckt wre. Whrend Johannes Paul II. den Solidarno-Anhngern von der Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele eindringlich abriet, warnte er ebenso die UdSSR vor der Anwendung von Gewalt bzw. einer bereits in Planung befindlichen Invasion Polens, welche er mit dem Nazi-Einmarsch nach Polen im Jahre 1939 verglich und die im Endeffekt dann auch nicht ausgefhrt wurde[footnoteRef:37]. [37: Vgl. Samerski, Stefan: Johannes Paul II., Mnchen 2008, S. 65.]

6.Opposition in Polen

Widerstandsbewegungen in Polen drften eine weltweit ganz eigene Definition verlangen. In den 1970er Jahren entstand das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR). Es handelt sich hierbei um eine Gruppe von regimekritischen, intellektuellen Dissidenten, aus der spter 1980 die Solidarno-Bewegung erwchst[footnoteRef:38]. Die Gruppierungen der Oppositionen waren sehr vielschichtig. Zum einen bestanden sie aus Dissidenten, ehemaligen Kommunisten oder Marxisten oder aus einfach nur enttuschten Kommunisten, die sich fr Polens Unabhngigkeit gegenber der Sowjetunion und eine freie Marktwirtschaft einsetzten. Ebenso waren in diesen Gruppen viele junge Leute, davon Nachkommen von Soldaten des Warschauer Aufstandes 1944 und Kinder von Katy-Opfern, die Widerstand als Familienkultur lebendig hielten und fr die Freiheit kmpften.[footnoteRef:39] Kasimierz Wycicki beschreibt in seinem Artikel den Dissidenten in erster Linie als freien Mensch, dem es um seine eigene menschliche Freiheit geht und erst im zweiten Schritt um Demokratie. Gleichzeitig unabhngig vom politischen Bereich entfaltet sich eine kulturelle Komponente als dissidente Kultur. Es scheint so, als sei der Begriff Dissident von unterschiedlicher Bedeutung, folglich sehr dehnbar, was seine Definition angeht. Dissidentschaft in Polen wurde vermutlich besonders, abgesetzt von Opposition und Widerstand, zum ureigenen Typus. Wann der zunchst kirchenrechtlich definierte Begriff des Dissidenten zu einem politisch akzentuierten wurde, scheint nicht klar zu sein. Es muss irgendwann gegen Ende der 1960er Jahre gewesen sein. Mglicherweise bernahmen die westlichen Medien den Begriff aus den osteuropischen Sprachen, weil er geeignet schien, einigermaen unbestimmt verschiedenste Ausprgungen von Opposition, Widerstand und Resistenz innerhalb der Ostblock-Staaten zusammenzufassen.[footnoteRef:40] Der Dissident, von der Sowjetunion vermutlich unterschtzt, tritt selbst dann in seinem Bestreben nicht zurck, wenn er sich selbst schadet. Dissidenz beschreibt in Polen eine politische Bewegung, vom Einzelnen bis zur Gruppenbildung, vom lauten bis zum leisen Auftreten, mit nicht grundstzlich definierten Zielen, und sie tritt in bunter Vielfalt auf. Sie findet sich auf geistig-kultureller Ebene bis in die einfache, auf sich selbst bezogene Starrkpfigkeit und Widerborstigkeit. Grundstzlich muss festgehalten werden, dass in allen Ost-Staaten Widerstand, Opposition und Dissidenz nicht einheitlich zu verstehen sind, jedoch trotz Unterschieden der Milieus eine politische Grundberzeugung vorhanden war gegen den einen und selben politischen Gegner. Mglicherweise resultierten die angestrebte Unabhngigkeit und die Resistenz in der polnischen Mentalitt aus der 1000-jhrigen Erfahrung ihrer Geschichte, die das bloe berleben in der Sicherung der Familienstruktur und der buerlichen Existenz sieht. Man bedenke die dreimalige Teilung und die Streichung Polens von der Landkarte, die dennoch nicht zur Auslschung der polnischen Volksstmme fhren konnte. [38: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 14] [39: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz 2007, S. 48.] [40: Ebd., S. 12. ]

7.Realsozialismus, daraus resultierende Gewerkschaftskulturen und

die Folgen

Unter der KOR grndete sich die KSS (Komitee fr gesellschaftliche Selbstverteidigung), nachdem zu Beginn der 1970er Jahre die Bevlkerung zunehmend weniger mit Grundnahrungsmitteln versorgt wurde. Nicht zuletzt war die weltweite Energiekrise verantwortlich fr die Konjunkturabschwchung im Westen, was sich auch auf Polen auswirkte. Da Polen auf die Anschaffung hochtechnisierter Produkte aus dem Westen angewiesen war, zugleich aber wegen der Konjunkturabschwchung weniger Devisen durch Westexporte ins Land kamen, konnten Polens Importe nur noch durch Kreditaufnahmen finanziert werden. Ab 1976 kam es zu erheblichen Preiserhhungen fr Lebensmittel von mehr als 60% fr die Bevlkerung. Die Staatsverschuldung erreichte 12 Milliarden US-Dollar, Polen war damit vllig berschuldet.[footnoteRef:41] Es mussten spter sogar Lebensmittelkarten in Polen eingefhrt werden, was die Unsicherheit in der Bevlkerung steigerte. Bis 1989 kam es durchlaufend zu Versorgungsengpssen und zu weiterer Verschuldung im Ausland. Selbst 1989 noch betrug der Anstieg der Lebensmittelpreise nebst Inflation 500%.[footnoteRef:42] [41: Vgl. Kierzkowski/Oklski/Wellisz: Stabilization and structural adjustment in Poland, London 1993, S. 10.] [42: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 28.]

Die katastrophale Lage bestrkte um 1980 die oppositionellen Ideen und ihre Verbreitung. Der Opposition war klar, dass sie das herrschende System weder in seiner ureigenen Form renovieren noch in direkter Konfrontation strzen konnte. Man sah stattdessen in der Installation freier Gewerkschaften eine Mglichkeit fr die Einfhrung demokratischer Ordnungen. Es galt, einen Pfad zu beschreiben zwischen dem polnischen Volk und der kommunistischen Doktrie.[footnoteRef:43] [43: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz 2007, S. 53.]

Gewerkschaften galten als grundstzliche Gegner des Kapitalismus, hatten aber insbesondere in Polen eine auergewhnliche Rolle einzunehmen. Gesellschaftspolitisch mussten sie auch antikommunistisch sein und gleichzeitig die Interessen der Arbeiter vertreten. Sie bildeten eine kmpferische Interessensorganisation im Sinne von Sicherung und Versorgung. Arbeiterbewegungen resultierten letztendlich aus der Zunahme der Industrialisierung. Auer den Brgerrechtsbewegungen gab es auch staatsgelenkte Gewerkschaften, die Konflikte bereits im Keim ersticken und die Bildung von freien Gewerkschaften obsolet machen sollten. Diese staatsgelenkten Gewerkschaften dienten als Sprachrohr der Regierung.[footnoteRef:44] Allemal waren Streiks verboten, da nach sozialistischer Auffassung die Partei ohnehin die Arbeiterklasse vertrat. 1980 kam es nichtsdestotrotz zur grten Streikbewegung landesweit, als eine qualifizierte Arbeiterin namens Anna Walentynowicz auf der Danziger Lenin-Werft 5 Monate vor ihrer Pensionierung entlassen wurde. Zuvor hatte sie sich dafr eingesetzt, dass Frauen und Mnner in der Werft fr gleiche Arbeit auch gleich entlohnt werden sollten. Auerdem deckte sie die Veruntreuung von Geldern durch einen Mitarbeiter der Werftleitung auf. Sie gehrte neben Lech Waesa zum Grndungskomitee unabhngiger Gewerkschaften. Ihre Kndigung fhrte zur Grndung des berbetrieblichen Streikkomitees unter Fhrung von Lech Waesa.[footnoteRef:45] [44: Vgl. Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 33.] [45: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 14.]

Auf symbolischer Ebene wurde auf die Macht der katholischen Kirche hingewiesen, nachdem immer wieder whrend der Streiks heilige Messen abgehalten wurden, whrend denen laut zusammen gebetet wurde. Um sich vom politischen System zu distanzieren, fand ebendiese Form des Protestes, die auf Unverstndnis in anderen Lndern traf, immer wieder Anwendung.[footnoteRef:46] [46: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 41.]

Die Arbeiter der Lenin-Werft forderten, den ebenfalls entlassenen Waesa und Walentynowicz wieder einzustellen, woraufhin diese erneut in das Streikkomitee gewhlt wurden. Der Betrieb wurde besetzt gehalten, whrend die Arbeiter Abgesandte der PZPR zu Verhandlungen in das Werk bestellten. Die so genannte Solidarno wurde einen Monat spter gegrndet.[footnoteRef:47] Circa 10 Millionen Polen traten innerhalb krzester Zeit in diese Gewerkschaft ein. Mit 21 Forderungen wurde der Regierung gegenbergetreten, die Streikrecht, Pressefreiheit, angemessenen Lohn und sozialpolitische Manahmen, Krippenpltze, freie Wochenenden, Abschaffung der Miliz usw. beinhalteten.[footnoteRef:48] Whrend viele Betriebe von Arbeitern besetzt wurden, offenbarte sich die Unfhigkeit der Brokratie mit all ihren Planungsfehlern und Produktionsausfllen. Das Solidarno-Programm und die KOR legten Wert darauf, dass zuknftig Betriebe und Genossenschaften selbstverwaltend operieren drften, auch um zu verhindern, dass gefragte Waren wie bisher exportiert oder nur in von der Regierung auserwhlte Hnde gelangen. Die Solidarno strebte den aus einer Rtedemokratie erwachsenen realen Sozialismus an, mit allen sozialen Rechten der Arbeiter, und keine Rckkehr zum Kapitalismus. Die 21 Forderungen und die Vereinbarungen mit dem Stellvertretenden Ministerprsidenten Mieczysaw Jagielski bedingten die absolute Schwchung der PZPR[footnoteRef:49]. Die Staatsgewerkschaften verloren ihre Mitglieder und auch Parteichef Gierek wurde aus seinem Amt entfernt. Im Februar 1981 wurde General Jaruzelski zum Regierungschef, whrend zugleich Moskau unter Androhung eines Einmarschs forderte, die Einflussnahme der Solidarno in Regierungsgeschfte zu beenden. Daraufhin lie Waesa die Arbeiter wissen, dass die Solidarno sich zuknftig persnlich der Rettung der Wirtschaft annehme. Da dies eine Provokation fr die PZPR bedeutete, verhngte General Jaruzelski das Kriegsrecht ber Polen[footnoteRef:50]. Von nun an agierte der Armeeapparat gegen die Solidarno, die angeblich einen Brgerkrieg heraufbeschworen hatte. 1982 verbat man dann die Solidarno, und staatsabhngige Gewerkschaften wurden neu aufgebaut, indem man Branchengewerkschaften schuf unter einem gesamtpolnischen Gewerkschaftsverband (OPZZ).[footnoteRef:51] [47: Vgl. Crampton, R. J.: Eastern Europe in the twentieth century and after, London 1997, S. 1ff.] [48: Vgl. Jrn Schulz: Die Madonna streikt; in: Jungle World Nr. 32 vom 12. August 2010; in: Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 15f.] [49: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 14.] [50: Vgl. Diedrich, Torsten/S, Walter: Militr und Staatssicherheit im Sicherheitskonzept der Warschauer-Pakt-Staaten, Berlin 2010, S. 192.] [51: Vgl. Kierzkowski/Oklski/Wellisz 1993, S. 134. ]

Die Ermordung des oppositionellen Priesters Jerzy Popieuszko durch den polnischen Staatssicherheitsdienst erhitzte erneut die Gemter in Polen. Aufgrund dieses Ereignisses fhlte sich die katholische Kirche massivst in eine politische Rolle gedrngt. Die Jaruzelski-Fhrung versuchte notgedrungen die Verstndigung mit der katholischen Kirche, schloss aber den Dialog mit Oppositionellen aus. Als Zeichen der sozialistischen Erneuerung verkndete Jaruzelski die Amnestie von politischen Gefangenen und lie liberale Kulturpolitik zu[footnoteRef:52]. Die polnische Gesellschaft erkannte jedoch, dass das vorhandene System schlichtweg nicht zu erneuern war. Die Wirtschaftsreformprogramme der Regierung fielen 1987 durch, im Frhling 1988 kam es erneut zu heftigen Streiks, die Gesellschaft boykottierte die Kommunalwahlen. Die Regierung lud resigniert zu Verhandlungen mit gemigten Vertretern der Solidarno ein. Politische Reformen, eine demokratische Verfassung sowie die Ausarbeitung eines demokratischen Wahlrechts wurden beschlossen. Dies sicherte Polen die erste nicht-sozialistische Regierung im Ostblock seit 40 Jahren. Um die Sowjetunion nicht zu provozieren und gleichzeitig die Bndnisloyalitt aufrecht zu erhalten, verzichtete man zunchst nicht auf Parteichef Jaruzelski. 1989 erhielt die PZPR weniger als 50% der Sitze im Parlament, whrend die Vertreter der Solidarno die restlichen Sitze bekam; 1990 lste sich die PZPR selbst auf. Die Solidarno-Regierung setzte die Umbenennung des Landes in Republik Polen um[footnoteRef:53]. Das Polen der achtziger Jahre [] ist von der Revolte der Werftarbeiter, der Militrdiktatur, Solidarno und dem Runden Tisch geprgt [][footnoteRef:54] [52: Vgl. Crampton 1997, S. 379.] [53: Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011, S. 18.] [54: Hbner/Klemann/Tenfelde 2005, S. 71.]

8.Rstung und Propaganda

Wenig Erkenntnisse gibt es ber die Militrausgaben unter den realsozialistischen Regierungen, da sie zahlreichen Flschungen und Manipulationen unterliegen. Die Militrausgaben des Warschauer Paktes unter Beachtung des geringen Lohnkostenanteils mit viel zu hoch gegriffenen Zahlen fhrten in den USA im brigen zu unntigen Rstungsanstrengungen.[footnoteRef:55] Zwischen 1980 und 1989 fhrten die hohen Ausgaben fr das Militr zwangslufig auch zu wirtschaftlichen Problemen. Unter Jaruzelski stiegen in Polen mit dem Ziel, der wichtigste Verbndete der UdSSR im Warschauer Pakt zu sein, die Militrausgaben radikal.[footnoteRef:56] Die polnischen Autoren der Dokumentation unterstreichen, da der Betrag der Militrausgaben nur um 180,5% hher als der des Vorjahres war, whrend der Umfang des Gesamtetats Polens um 244,2% zugenommen habe.[footnoteRef:57] Die Volkswirtschaft unterlag erheblichen Belastungen, nicht zu vergessen die Schden, die Stationierungstruppen stets hinterlassen. Gleichzeitig wurden die sowjetischen Truppen, die sich schlielich auch zwecks der Unterdrckung interner Aufstnde im Land aufhielten, von der polnischen Regierung mitfinanziert. Diese Truppen mussten aufgrund eines Abkommens von 1956 auch nicht die marktblichen Preise fr ihren Lebensunterhalt zahlen. Erheblich mssen zudem die Kosten zur Wiederherstellung der Umwelt bedingt durch die durch die sowjetischen Truppen verursachten Schden (Wald, Wasser, Boden) gewesen sein.[footnoteRef:58] [55: Vgl. Danos, Ninel: Wirtschaft und Verteidigung. Bestandsaufnahme des Umbruchs in Osteuropa, Mnster 1995, S. 7.] [56: Vgl. ebd., S. 22.] [57: Ebd., S. 23. ] [58: Forum Berlin-Brandenburg regional: Kulturlandschaft Lebuser Land/Ziemia Lubuska Dokumentation der Konferenz, 1. Auflage, Potsdam 1999 (keine Seitenzahlen vorhanden).]

Zur Propaganda von Michail Gorbav gehrte die Vision eines gemeinsamen europischen Hauses[footnoteRef:59]. Daher demonstrierten die Staaten Ostmitteleuropas gegen die Mauer in Berlin, die ein freies Europa unmglich machte. 1990 ging mit dem Mauerfall auch der Kommunismus zugrunde, nachdem sich lange Zeit der Westen ignorant gegenber Menschenrechtsverletzungen der Kommunisten verhalten hatte und die Rufe, die Ordnung von Jalta zu beseitigen, berhrt hatte. In einem neuen vereinten Mitteleuropa knnten keine politischen Ideologien mehr existieren, die die Brger in kollektiver Unmndigkeit halten. Die Gesellschaften wrden pluralistischer werden.[footnoteRef:60] Zu Beginn der 1980er Jahre wurde zunehmend die Lsung der Deutschlandfrage von Oppositionellen in Polen angestoen, nicht zuletzt um einer atomaren Katastrophe auszuweichen. Andererseits erwuchsen ngste aus diesen Forderungen, da man als Reaktion auf diese Provokation Aggressionen seitens der UdSSR frchtete, die in einem militrischen Schlag enden konnten. [59: Vgl. Veen/Mhlert/Mrz 2007, S. 39.] [60: Veen/Mhlert/Mrz 2007, S. 38.]

9.Fazit

Eines der Hauptmotive Polens war die Rckkehr nach Europa. Dieses Ziel wurde mit dem Beitritt zur NATO im Jahre 1999 und der Aufnahme in die Europische Union anno 2004 erreicht. Und trotz aller Anstrengungen zur Homogenisierung des Volkes behielten die Polen ihre Individualitt und Identitt, was nicht zuletzt ihrer Sturheit im positiven Sinne zuzurechnen ist. Aber auch die Kirche und Papst Johannes Paul II. spielen eine wichtige Rolle fr die Entwicklung des Landes in der ra des Warschauer Pakts: die Kirche bildete den gemeinsamen Nenner aller Polen und lie sich von der Regierung nicht einschchtern. Johannes Paul II. untersttzte seine Landsleute mit Zuversicht. Auerdem wusste er die Ur-Religiositt des polnischen Volkes konstruktiv politisch zu nutzen.

Htte die UdSSR die polnischen Bauern nicht in die Rolle von Industriearbeitern gezwungen, htten diese in dieser relativ kurzen Zeit sicher nicht derart heftig gegen das System rebelliert. Dem polnischen Pragmatiker waren die Vorteile der sozialistischen Ideologie nicht begreifbar zu machen, solange er Hunger und Mangel leiden musste. Die wirtschaftlichen Bedingungen reichten zudem nicht aus, in derartig kurzer Zeit eine Arbeiterideologie zu implantieren. Weiterhin mangelte es an ideologischer Erziehung, die vielleicht in einer zweiten, in dieses System hineingeborenen, Generation htte greifen knnen. Mglicherweise war auch die polnische Mentalitt bezglich des stoischen Freiheitswillens von sowjetischer Seite unterschtzt worden.

Als Antwort auf die Frage, welche Krfte denn mageblich den Niedergang eines erzwungenen Realsozialismus in Polen erwirkten und warum dieser implizit in diesem Land im Vorhinein zum Scheitern verurteilt war, lsst sich schlussendlich sagen: Der polnische Arbeiter war es, der den Verfall des Kommunismus mageblich vorangetrieben hat ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Es ist schwierig speziell die polnische Dissidenz zu definieren, jedoch kann man festhalten, dass es sich beim Polen um einen ausgesprochen stark agrarisch und kulturell geprgten Menschentypus handelt, der in seinem Inneren gefestigt eine besondere Immunitt gegenber Ideologien wie dem Sozialismus aufweist. Der Pole war zu keiner Zeit gewillt, sein gewachsenes Kulturgut aufzugeben.

Literatur

Bertels, Lothar: Gesellschaft, Stadt und Lebensverlufe im Umbruch, Bad Bentheim 1994.

Crampton, R. J.: Eastern Europe in the twentieth century and after, London 1997.

Danos, Ninel: Wirtschaft und Verteidigung. Bestandsaufnahme des Umbruchs in Osteuropa, Mnster 1995.

Diedrich, Torsten/S, Walter: Militr und Staatssicherheit im Sicherheitskonzept der Warschauer-Pakt-Staaten, Berlin 2010.

Financial Times Deutschland vom 28. Dezember 2011.

Forum Berlin-Brandenburg regional: Kulturlandschaft Lebuser Land/Ziemia Lubuska Dokumentation der Konferenz, 1. Auflage, Potsdam 1999.

Hollnder, Michael: Konfliktlinien und Konfiguration der Parteiensysteme in Ostmitteleuropa 1988-2002, Norderstedt 2003.

Hbner, Peter & Christa: Sozialismus als soziale Frage - Sozialpolitik in der DDR und Polen 1968-1976.

Hbner/Klemann/Tenfelde: Arbeiter im Staatssozialismus, Band 31, Kln 2005.

Informationen zur politischen Bildung, Heft 311, Ausgabe Februar 2011.

Karner, Stefan et al.: Prager Frhling Das internationale Krisenjahr 1986, Weimar 2008.

Kierzkowski/Oklski/Wellisz: Stabilization and structural adjustment in Poland, London 1993.

Loew/Pletzing/Serrier: Wiedergewonnene Geschichte Zur Aneignung von Vergangenheit in den Zwischenrumen Mitteleuropas, Wiesbaden 2006.

Maier, Hans: Gesammelte Schriften, Band 2: Politische Religionen, Mnchen 2007.

Riediger, Alexander: Sowjetrussland - Polen 1919- 1921, Mnchen 2007.

Rudolph, Karsten: Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg, Frankfurt 2004.

Samerski, Stefan: Johannes Paul II., Mnchen 2008.

Veen/Mhlert/Mrz: Wechselwirkungen Ost-West Dissidenz, Opposition und Zivielgesellschaft 1975-1989.

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