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„Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

May 13, 2023

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Für Jürg und Aurelia

4

Mit Unterstützung von

HSBC Guyerzeller ~

Impressum

Projektleitung

Judith Ri ckenbach

Ausstellungskonzept und -gestaltung

Judith Rickenbach

Übersetzung der englischen Texte

Judith Rickenbach [M ithilfe: Urs Thoenen)

Übersetzung des italienischen Texts [Orefici)

Judith Rickenbach

Katalogeinträge

siehe Anhang

Objektfotos

siehe Anhang

Redaktion

Judith Rickenbach, Axel Langer

Umschlag, Kataloggestaltung

Elizabeth Hefti

Druck

Druckerei Konstanz GmbH , D-Konstanz

Fotolithos

Th omas Hu mm, M atzingen

Copyright

© Museum Rietberg Zürich, 1999

© Fotos bei den Besitzern

© Texte bei den Autorinnen und Autoren

Vertrieb

Museum Ri etberg Zürich

Gablerstrasse 15, CH-BDD2 Zürich

Telefon 01 202 45 2B

Fax 01 202 52 01

[email protected]

ISBN : 3-907070-91-7

Leihgeber der Ausstellung

Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen

Museo de America, Madrid

Museum Bellerive , Zürich

Brooklyn Museum of Art, New York

Musee d'Ethnographie, Genf

The Art Institute of Chicago

UCLA Fowler Museum of Cultural History,

Los Angeles

Museum der Kulturen Basel

Linden-Museum, Stuttgart

Lippisches Landesmuseum, Detmold

The Metropolitan Museum of Art, New York

Privatsammlung

Rautenstrauch-Joest-Museum , Köln

Museum Rietberg Zürich

Staatliche Museen zu Berl in -

Preussischer Kulturbesitz. Museum für

Vö lkerkunde

Staatliches Museum für Völkerkunde, München

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162 Das Nasca-Gebiet an der Südküst e Perus.

163 Das Palpa-Tal zwisc hen den Bergaus laufern

der Anden .

Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus

Markus Reindei und Johny Isla Cuadrado

Dass die Archäologie des Palpa-Tals bislang kaum eine Rolle bei der Erforschung

der Nasca-Kultur gespielt hat . ist erstaunlich . Immerhin haben schon einige der

Pioniere der Nasca-Forschung auf das grosse Potential hingewiesen . welches die­

ses kleine Tal im äussersten Norden des Einzugsgebiets des Rio Grande de Nasca

für die Rekonstruktion der Kulturgeschichte der südlichen Küste Perus birgt

[Abb . 162.163) . Angesichts der Funde einer Expedition im Jahr 1956. welche die

Besiedlung des Palpa-Tals von der Formativzeit bis zur Inka-Kultur belegen. be­

zeichnete der peruanische Archäologe Toribio Mejia Xesspe das Palpa-Tal einmal

treffend als «grosses prähistorisches Archiv» der südlichen Küste Perus .' Auch

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177

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Hans Horkheimer, der erste Wissenschaftler, der archäologische Untersuchun­

gen aus dem Palpa-Tal veröffentlichte, war überzeugt, dass systematische For­

schungen dort mit Sicherheit zu bedeutenden Erkenntnissen über die Entwicklung

der Nasca-Kultur führen würden. 2

Die archäologische Erforschung der Nasca-Kultur begann jedoch an anderen

Schauplätzen. Schon der Begründer der andinen Archäologie, Max Uhle, hatte

seine Erkenntnisse zur Chronologie der Kulturen der Südküste Perus durch Aus­

grabungen in dem weiter nördlich gelegenen Ica-Tal gewonnen. Julio C. Tello , oft

als «Vater der peruanisehen Archäologie» bezeichnet, bereiste nach seiner Ent­

deckung der Chavin-Kultur und der frühen Paracas-Kultur auch das Nasca-Gebiet.

Er beachtete das Palpa-Tal jedoch kaum , sondern begab sich direkt in das Zen­

trum des Nasca-Gebiets, wo er im gleichnamigen Tal und den weiter südlich

liegenden Tälern Taruga und Trancas sowie im Ingenio- und Santa Cruz-Tal in

kurzer Zeit Hunderte von Gräbern freilegte. Deren Inhalt brachte er nach Lima,

wo er heute einen wertvollen Bestand des Nationalmuseums bildet. 3 Später waren

es die amerikanischen Archäologen Dorothy Menzel, John H. Rowe und Lawrence

E. Dawson , die wiederum im Ica-Tal das Material für ihre Studien zur Keramik­

Chronologie der Südküste Perus sammelten. " Nicht zu vergessen sind natürlich

auch der grösste Fundort der Nasca-Kultur, Cahuachi , im Nasca-Tal , sowie die

unzähligen Bodenzeichnungen der pampa von Nasca , die seit Jahrzehnten das

Interesse der Öffentlichkeit auf sich ziehen, während das Palpa-Tal meist nur am

Rande erwähnt wird.

Erst seit jüngster Zeit wird dem Palpa-Tal von Archäologen mehr Aufmerksam­

keit gewidmet. Ein Gebiet nahe dem Ort Palpa wurde als Untersuchungsregion

für ein archäologisches Projekt der Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung

für archäologische Forschungen im Ausland (SLSAj unter der Leitung des Autors

ausgewählt . Die bisherigen Ergebnisse des für mehrere Jahre geplanten For­

schungsprojekts haben bereits in den ersten Feldkampagnen unsere Vermutun­

gen bestätigt , wenn nicht sogar übertroffen. In der Tat lässt sich - im Gegensatz

zu anderen Regionen des Nasca-Gebiets - im Palpa-Tal eine besonders lange

Kulturentwicklung nachvollziehen . Sie erlaubt Schlüsse nicht nur über die Kultur­

geschichte der Region in vorspanischer Zeit, sondern auch über die Entwicklung

und Bedeutung der rätselhaften Bodenzeichnungen, die auf den Hochflächen und

Hängen des Palpa-Tals in gleicher Form wie in der bekannten pampa von Nasca

vorkommen .

Das Palpa-Tal

Der Rio Palpa ist der nördlichste der Zuflüsse des Rio Grande de Nasca. Diese

und sieben weitere Flüsse mit ihren Tälern und dazwischen liegenden Höhenzügen

bilden das Nasca-Gebiet. Bedingt durch den kalten Humboldtstrom und die be­

sonderen klimatischen Bedingungen ist die schmale Küstenebene des südlichen

Peru eine der trockensten Wüsten der Welt. Die einzigen Lebenszonen bilden dort

die Oasen der Flüsse, welche ihren Ursprung an der Westabdachung der Anden

besitzen und in den Pazifik fliessen . Die Flüsse haben sich in das Küstenplateau

eingeschnitten, welches als Ergebnis eines langsamen tektonischen Hebungs­

prozesses entstanden ist . Die charakteristischen langgezogenen Bergsporne

zwischen den Tälern , mit oft topfebenen Hochflächen , sind die Überreste dieses

ehemals durchgehenden Küstenplateaus .

Die Wasserführung der Flüsse ist von der Regenzeit in den Bergen abhängig. Das

zumeist nur während weniger Monate verfügbare Wasser reicht gerade aus, um

die Talböden in den mittleren Läufen der Flüsse zu bewirtschaften . An vielen Stei­

len versickert es und ist nur durch Erschliessung wasserundurchlässiger geolo­

gischer Schichten wieder verfügbar zu machen . Unmittelbar südlich des Palpa-

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Tals liegt das Viscas-Tal. Dort , wo der Rio Grande , der Rio Palpa und der Rio Vis­

cas zusammenfliessen, hat sich eine weite, fruchtbare Ebene ausgebildet , die mit

Sicherheit schon in vorspanischer Zeit eine grosse wirtschaftliche Bedeutung für

die in diesem Gebiet lebende Bevölkerung besass .

Alles bewässerbare Land am Talboden wird heute, wie wahrscheinlich auch in vor­

spanischer Zeit , für den Anbau von Kulturpflanzen genutzt . Dies sind vor allem

Baumwolle, Bohnen und Mais, aber auch Kartoffeln und Zitrusfrüchte . Die ur­

sprüngliche Vegetation ist nur noch in Nischen zu finden . Sie besteht vor allem

aus xerophytischen, dornigen Gewächsen. Der ehemals wohl üppige Baumbestand

wird mehr und mehr dezimiert. Die letzten schattenspendenden und für das Mi­

kroklima so wichtigen Johannisbrotbäume entlang der Flussbetten und Bewäs­

serungskanäle werden trotz Verboten gefällt , um Holzkohle für die Städte zu ge­

winnen.

Die archäologische Erforschung des Palpa-Tals

Das Palpa-Tal wurde erstmals im Jahr 1927 von einer Gruppe peruanischer

Archäologen unter Leitung von Julio C. Tello besucht . 5 Unter diesen befand sich

auch Toribio Mejia Xesspe , der später noch einmal zu intensiveren Unter­

suchungen in das Palpa-Tal zurückkehren sollte . Das Ziel der Reise in das Nasca­

Gebiet war unter anderem , archäologische Objekte für Museen und Ausstellun ­

gen zu beschaffen. Dies tat Tello sehr erfolgreich, indem er mit Hilfe lokaler

Grabräuber auf den zahlreichen ausgedehnten Gräberfeldern der Täler um Nasca

in wenigen Wochen über 500 intakte Gräber fand .

Aus dem gleichen Jahr stammt die erste wissenschaftliche Untersuchung der

Bodenzeichnungen des Nasca-Gebiets von Toribio Mejia Xesspe . Zunächst inter­

pretierte Mejia die Linien als Bewässerungskanäle , verwarf jedo ch bald diese

Hypothese, um die Linien als Zeremonialwege zu deuten. Er hatte die Boden­

zeichnungen vor allem in einem Gebiet südlich von Nasca beobachtet. Nach einem

im Jahr 1967 veröffentlichten Bericht hatten Tello und seine Mitarbeiter Gra­

bungen in den Tälern Trancas, Nasca, Ingenio und Wayuri unternommen . Palpa

wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt . Es ist jedoch anzunehmen, dass

auch dort zumindest Begehungen durchgeführt wurden. 6

Einige Zeit später, im Jahr 1946, untersuchte Hans Horkheimer mehrere Geo­

glyphen und Steinkonstruktionen im Nasca-Gebiet, so auch im Palpa-Tal. Er war

der erste , der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen über die Boden­

zeichnungen des Palpa-Gebiets veröffentlichte . Horkheimer unternahm drei Flüge

und mehrere Feldbegehungen und klassifizierte die Geoglyphen na ch formalen

Kriterien. Auch machte er sich Gedanken um den Herstellungsprozess von Boden­

zeichnungen . Grosse Flächen , die zum Teil von kleinen Steinhaufen bedeckt waren ,

interpretierte er als nicht fertiggestellte Geoglyphen . Sie gaben ihm Anlass zu

der Vermutung, dass bei der Anlage von grossen Freiflächen zunächst die dunk­

len Steine von der Oberfläche zu kleinen Haufen aufgesammelt und anschliessend

abtransportiert oder am Rand der Bodenzeichnungen aufgehäuft wurden . Beson­

deres Augenmerk schenkte er auch den zahlreichen Gebäuden , die sich in der

Nähe der Geoglyphen befinden und seltsamerweise bei späteren Untersuchungen

der Bodenzeichnungen kaum beachtet wurden. Horkheimer interpretierte die Kon­

struktionen zum Teil als Gräber, wofür allerdings aufgrund der fehlenden Knochen­

funde, auch bei geplünderten Konstruktionen, keine Anzeichen vorhanden sind .

Auch die jüngst durchgeführten Testgrabungen an solchen Gebäuden in Palpa

haben diese Hypothese widerlegt .

Richtig lag Horkheimer allerdings mit der Vermutung , dass die Bodenzeichnun­

gen aus der Nasca-Zeit stammen mussten . Darauf wiesen nicht nur die Kera­

mikfunde an der Oberfläche hin, sondern auch die Tatsache , dass Gebäude aus

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der SpSten Zwischenperiode [1000 -1400 n . Chr. ) über den Bodenzeichnungen

errichtet worden waren . Horkheimer bot mehrere Interpretationsmöglichkeiten

für die Geoglyphen an , unter anderem die von KultplStzen zur Ahnenverehrung.

Bedeutsam scheint mir die Beobachtung , dass die Bodenzeichnungen einen star­

ken Bezug zu Landschaftsmerkmalen haben . Horkheimer konnte nicht viel Zeit

für die Untersuchung der Geoglyphen aufwenden, wies jedoch nachdrücklich auf

das Potential der Gegend für zukünftige archäologische Forschungen hin . 7

Wegen intensiver Raubgrabungen im Palpa-Tal wurde Toribio Mejia Xesspe im

Jahr 1957 von der «Staatlichen Kommission für Archäologie und Geschichte»

Perus damit beauftragt, archSologische Untersuchungen im Palpa-Tal durchzu­

führen . B Nach einer kurzen Erkundung des gesamten Tals konzentrierte Mejia

seine Studien auf dessen linken Rand , da er dort die grösste Anzahl archäolog i­

scher FundsteIlen registriert hatte . Sein Hauptaugenmerk lag auf dem Bere ich

zwischen Chichictara und dem Ort Palpa . 9 Am rechten Talrand untersuchte er

nur vier FundsteIlen , die er Cerro Punchango A , B, C und 0 nannte . 'O Mejia be­

suchte keine weiteren Orte auf den Hochflächen der Höhenzüge , beobachtete sie

aber von einem Flugzeug aus . Dabei weckten die zahlreichen ausgedehnten Bo­

denzeichnungen sein besonderes Interesse. "

WShrend seines Aufenthalts im Palpa-Tal fand Mejia Xesspe 88 Gräber, die in

verschiedene Zeitstufen - von der Formativzeit bis zur Inka-Zeit - datiert werden

konnten . Ausserdem unternahm er 1148 Testgrabungen. Alle von ihm geborge­

nen Objekte befinden sich heute im Nationalmuseum für Archäologie und An ­

thropologie in Lima . Eine Mitarbeiterin des SLSA-Projekts hat den grössten Teil

der Funde dort identifizieren können . Sie sollen im Rahmen dieses Forschungs­

vorhabens untersucht und veröffentlicht werden .

Toribio Mejia Xesspe hatte als erster einen wissenschaftlichen Artikel über die

Bodenzeichnungen von Nasca veröffentlicht und gilt daher als ihr Entdecker. '2

Weltweit bekannt wurden die Nasca-Linien jedoch durch den amerikanischen Geo­

graphen Paul Kosok , der im Jahr 1941 bei seinen Untersuchungen über Bewäs­

serungssysteme an der Küste Perus auf die geometrischen Linien und die Figuren

im Wüstensand aufmerksam geworden war. Da Kosok gerade am Tag der Winter­

sonnenwende, am 22. März 1941, beobachtete , wie die Sonne fast genau in der

VerlSngerung einer der Nasca-Linien am Horizont verschwand , kam er auf die

Idee, dass es sich bei den Bodenzeichnungen um Hilfsmittel für astronomische

Beobachtungen handeln könnte . Für ihn war die Nasca-Wüste «das grösste Astro­

nomiebuch der Welt». '"

Im Jahr 1941 traf die deutsche Mathematikerin Maria Reiche in Nasca mit Paul

Kosok zusammen und begeisterte sich spontan für dessen Ideen. Maria Reiche

ging der astronomischen Hypothese Kosoks in den folgenden Jahren nach und

dokumentierte unermüdlich die Scharrbilder des Nasca-Gebiets. Sie analysierte

Luftbilder des Staatlichen peruanischen Luftbildinstituts , machte zahllose Foto­

grafien von Flugzeugen und Hubschraubern aus, vermass und säuberte zahlreiche

Bodenzeichnungen . Unter den von ihr beschriebenen und abgebildeten Geo­

glyphen finden sich auch mehrer e Scha r rbilder aus der Gegend von Palpa und

der unmittelbar südlich der TSler von Palpa und Viscas gelegenen Hochfläche ,

die heute auch als pampa de Sacramento bezeichnet wird . 14 Maria Reiche fielen

schon damals zahlreiche kleinere , meist menschenartige Figuren in der Gegend

von Palpa auf , die fast ausschliesslich auf SteilhSngen angebracht sind . Sie ver­

mutete , dass es sich um Sitere Formen von Bodenzeichnungen handelt. Diese

Vermutung sollte sich anlSsslich der jüngsten Untersuchungen der SLSA be­

stStigen . Oie kleinen Figuren sind mit grosser Wahrscheinlichkeit die Vorläufer

der ausgedehnten Bodenzeichnungen auf den Hochflächen und gegen Ende der

Formativzeit [ca . 600-200 v.Chr. ) aus Felsbildern entwickelt worden.

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Maria Reiche verfolgte über viele Jahre die Hypothese der astronomischen Deu­

tung der Geoglyphen von Nasca . Vor allem in ihren frühen Publikationen listet sie

zahlreiche Indizien zur Bestätigung ihrer Theorien auf. '5 Als Einzelperson , ohne

finanziellen und institutionellen Rückhalt , war sie jedoch nicht in der Lage, die

notwendigen Daten zu einem endgültigen Beweis ihrer Thesen zusammenzutra­

gen . Spätere Untersuchungen zu demselben Thema kamen zu gegenteiligen

Ans ichten : die astronomische Deutung gilt heute weitgehend als widerlegt . '6

Maria Reiche hat die Ergebnisse dieser Studien jedoch zeitlebens krit isiert . Eine

endgültige Antwort steht wohl noch aus . In jedem Fall ist es dem Engagement

und der Popularität Maria Reiches zu verdanken , dass die Bodenzeichnungen von

Nasca und Palpa nicht der Zerstörung an heim gefallen und von der UNESCO sogar

zu einem schützenswerten Kulturerbe der Menschheit erklärt worden sind .

Der amerikanische Archäologe William D. Strong veröffentlichte 1957 die Ergeb­

nisse einer Forschungsexpedition an die Südküste Perus , die zwischen 1952 und

1953 von der Universität ausgeführt worden war. Diese Untersuchung gilt als die

erste systematisch vergleichende Studie zum Nasca-Gebiet . Während seiner

Reise besuchte Strong mehrere Fundsteilen im Bereich des Rio Grande-Beckens

und verschaffte sich so einen ersten Überblick über die Besiedlungsgeschichte

der Region . Im Palpa-Tal besichtigte er nur die beiden Anlagen La Mulia und Los

Molinos , die wichtigsten Fundorte des Tals , was nicht zuletzt aus der grossen

Anzahl an Lehmziegelbauten hervorgeht . '7 Nach den spärlichen Aufzeichnungen

Strongs zu urteilen , hielt er sich nur sehr kurz an beiden Fundorten auf .

Der englische Archäologe David Browne unternahm im Jahr 1987 während 20

Tagen eine Oberflächen begehung in einem kleinen Sektor des mittleren Palpa­

Tals . ,a Sie diente Browne zur Vorbereitung eines ausgedehnteren Besuchs , den

er im Jahr 1989 durchführte . Die Reise umfasste Teile der Täler Viscas , Palpa

und Rio Grande bis zum Zusammenfluss des Rio Grande mit dem Tal des Rio

Ingenio weiter südlich , wo sich sein Prospektionsgebiet mit dem von Helaine

Silverman traf , die in demselben Jahr eine Untersuchung des Ingenio-Tals durch­

führte . '9

Auch Browne konnte eine grosse Anzahl von Fundorten im Palpa-Tal feststellen ,

wobei sein Hauptaugenmerk auf den Nasca-zeitlichen Siedlungen lag. Bodenzeich­

nungen und spätere Siedlungen behandelte er jedoch nur kursorisch. Durch die

Datierung der untersuchten Fundsteilen an hand von Oberflächenkeramik und die

Analyse der Fundsteilenverteilung konnte er bedeutende Bewegungen in der Be­

siedlungsgeschichte des Palpa-Tals ausmachen . Brownes Angaben zur Bevölke­

rungsentwicklung und insbesondere zum Wandel in der Siedlungsweise konnten

im Rahmen des SLSA-Projekts für das untersuchte Gebiet noch erheblich präzi­

siert werden .

Im Zuge seiner Siedlungsbegehungen entdeckte Browne am Cerro Carapo , zwi­

schen dem Palpa- und dem Viscas-Tal , unmittelbar hinter einer modernen Fried­

hofsmauer ein Depot von 48 Trophäenköpfen der Nasca-Kultur, welches kurz

zuvor von Plünderern angegraben worden war. Als Trophäenköpfe werden diese

Schädel bezeichnet , weil sie in der Stirnplatte ein Loch aufweisen, durch das in

vielen anderen bekannten Fällen Seile gezogen waren . In bildlichen Darstellungen

auf Nasca-Keramik ist häufig zu sehen , dass solche Trophäenköpfe als Schmuck

an der Kleidung getragen oder auf Pfählen demonstrativ zur Schau gestellt wur­

den . Die Jagd nach Trophäenköpfen war offenbar besonders in der späten Nasca­

Zeit (400-600 n .Chr.) verbreitet und wird als Anzeichen verstärkter kriege­

rischer Konflikte interpretiert .20 Das durch Browne fachgerecht ausgegrabene

und dokumentierte Depot von Cerro Carapo ist der bislang grösste Fund von

Trophäenköpfen im Nasca-Gebiet .

181

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Nicht unerwi3hnt bleiben sollen schliesslich die Veröffentlichungen des Schweizer

Publizisten Erich von Di3niken , dem es neben Paul Kosok und Maria Reiche zu ver­

danken ist, dass die Bodenzeichnungen von Nasca auch einem breiten , nicht­

spezialisierten Publikum weltweit bekannt geworden sind .21 Von Di3nikens Bekannt­

heitsgrad ist jedoch weniger das Ergebnis wissenschaftlicher Forschungen als

vielmehr wilder Spekulationen und sensationalistischer Behauptungen . Freilich

sind die Thesen zum Teil so weit hergeholt, dass es kaum gelingt , das Gegenteil

der abenteuerlichen Szenarien zu beweisen, wie zum Beispiel die Deutung der

Scharrbilder als Landepli3tze ausserirdischer Wesen. Es mag dem Autor vergönnt

sein, dass er durch seine Veröffentlichungen ein Laienpublikum in seinen Bann

zieht und nicht zuletzt , dass er durch umfangreiche Recherchen und schriftstel­

lerisches Können erhebliche Verkaufserfolge erzielt . Vorzuwerfen ist von Di3niken

jedoch , dass er diese Effekte zum Teil wider besseres Wissen durch die Vorti3u­

schung von Tatsachen erzielt , die jeglicher realer Grundlage entbehren.

In der neuesten Publikation von Di3nikens über die Bodenzeichnungen von Nasca

finden sich mehrere Abbildungen von Geoglyphen aus dem Palpa-Tal. Zur Stüt­

zung seiner Behauptung , dass es sich hierbei um Landepli3tze für Raumfahrzeuge

von Göttern oder sonstigen Wesen aus dem All handeln soll , zeigt von Di3niken

einen Teil des Bergausli3ufers zwischen den Tälern des Rio Grande und des Rio

Palpa ."" Er suggeriert , dass die Berge planiert worden seien und ursprünglich an­

ders ausgesehen hi3tten , was bei der Betrachtung der Abbildungen durchaus

plausibel erscheint . Hätte er jedoch für die Aufnahme einen etwas anderen Blick­

winkel gewi3hlt, wi3re sofort aufgefallen, dass diese Behauptung jeder Grundlage

entbehrt . Wie bereits weiter oben erli3utert, eröffnet sich ni3mlich den Besu­

cherinnen und Besuchern des Palpa-Tals ein spektakuläres Panorama von einer

ausgedehnten , vollkommen planen Hochfli3che, die mehrfach von Flussli3ufen zer­

schnitten ist. Diese Hochfli3che , eine grosse Schotterterrasse , ist das Ergebnis

eines natürlichen tektonischen Hebungsprozesses und nicht etwa menschlicher

Planierungsarbeiten .

Vollends li3cherlich machen dürfte sich von Di3niken mit der Beschreibung seiner

neuesten Entdeckungen , ni3mlich komplizierter geometrischer Figuren in der Art

von Mandalas , die mit Steinen in die Hochfli3chen der Wüsten des Nasca-Gebiets

gesetzt worden sind .23 Ein Blick auf Luftfotos des Staatlichen Luftbildinstituts von

Peru aus dem Jahr 1944 hi3tte von Di3niken belehrt, dass die Figuren zu dieser

Zeit noch nicht vorhanden waren , also aus jüngster Zeit stammen müssen . Eine

genaue Inspizierung vor Ort hi3tte ihm dank frischer Spuren gezeigt, von wo die

Steine entnommen wurden . Auch die kleinen beschrifteten Papierchen, die unter

vielen Steinhaufen liegen, stammen wohl nicht aus vorspanischer Zeit. Eine Be­

fragung der lokalen Bevölkerung Mtte ihn darüber aufgeklärt , dass seit einiger

Zeit unzählige Esoterikergruppen das Nasca-Gebiet besuchen, die glauben , sich

auf ähnliche Weise verewigen zu müssen wie die Träger der alten Nasca-Kultur.

Und schliesslich wäre ihm sicherlich von dem etwas verwirrten Lehrer aus einem

kleinen Dorf im Ingenio-Tal erzählt worden , der es sich zur Aufgabe gemacht hat,

das kulturelle Erbe seiner Vorfahren durch neue Steinsetzungen fortzuführen .

Neue Forschungen des archäologischen Projektes Nasca-Palpa der SLSA

Das Engagement von Maria Reiche und die Erklärung des ganzen Nasca-Gebiets

zum «Weltkulturerbe» durch die UNESCO führten zwar zu einem verstärkten

öffentlichen Interesse , aber nicht zu einer Zunahme der Forschungsgelder. Daher

kommt dem Engagement der Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für

archäologische Forschungen im Ausland (SLSAj eine besondere Bedeutung zu .

Sie hat sich zum Ziel gesetzt , in einem interdisziplinären Projekt zum Erhalt und

182

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zur Erforschung der Nasca-Kultur und ihren Bodenzeichnungen beizutragen . Den

Aktivitäten der SLSA liegen zwei Gedanken zugrunde :

1. Es ist kaum möglich, das ausgedehnte Gebiet , auf dem sich die Scharrbil­

der befinden, dauerhaft zu überwachen und einen absoluten Schutz vor der wei­

teren Zerstörung archäologischer Fundplätze zu sichern . Es ist jedoch möglich,

zumindest den gegenwärtigen Zustand der Bodenzeichnungen und weiterer

Bodendenkmäler zu dokumentieren. Dies geschieht mit modernsten Methoden

der Luftbildvermessung. In einem ersten Schritt soll der heutige Zustand der

Geoglyphen erfasst und mit Informationen aus früheren Luftaufnahmen ergänzt

werden . Auf diese Weise entsteht ein Atlas der Bodenzeichnungen, der für alle

zukünftigen Forschungen als Grundlage dienen kann.

2 . Der Versuch einer Deutung und Erklärung der Scharrbilder kann nur sinn­

voll sein, wenn diese im kulturellen Gesamtkontext erfasst werden . Die Geo­

glyphen wurden von Menschen angelegt, die Teil eines Gesellschaftssystems in

einer spezifischen Lebenssituation waren. Dieses System von in der Vergangen­

heit interagierenden Faktoren gilt es zu erfassen . Für die archäologische For­

schung wurde daher ein integraler Ansatz angestrebt , in dem die Bodenzeich­

nungen als Bestandteil kultureller, gesellschaftlicher und ökologischer Systeme

und deren historischer Entwicklung betrachtet werden. In einem fest umgrenz­

ten Gebiet wurden alle archäologischen Fundsteilen registriert und - anhand der

sichtbaren Hinterlassenschaften sowie durch Ausgrabungen - die Besiedlungs­

geschichte des ausgewählten Talbereichs rekonstruiert. Ziel der Forschungen ist

es, Befunde innerhalb der Siedlungen zu sichern, durch die ein Zusammenhang

mit den Bodenzeichnungen hergestellt werden kann und die Hinweise auf deren

Bedeutung zu geben vermögen .

Das Untersuchungsgebiet

Sowohl für die fotogrammetrischen als auch für die archäologischen Arbeiten bot

es sich an, zunächst ein kleines Untersuchungsgebiet auszuwählen . Dort sollten

geeignete Methoden für die Dokumentation und Kartierung von Topographie und

Bodenzeichnungen entwickelt werden , die dann später auch für grössere Projekte ,

wie etwa die vollständige Dokumentation der Bodenzeichnungen der pampa von

Nasca, angewandt werden könnten . Für die archäologischen Arbeiten galt es , ein

Gebiet zu finden , in dem der unmittelbare Zusammenhang zwischen Bodenzeich­

nungen und vorspanischen Siedlungen dokumentiert werden kann. Ein solches Ge­

biet fand sich in der Nähe des Orts Palpa , etwa 40 Kilometer nördlich von Nasca

(Abb . 164). Hier sind auf der Hochfläche und an den Hängen eines Höhenzugs ,

der sogenannten Cresta de Sacramento, unzählige Bodenzeichnungen zu sehen . An

den Talrändern, aber auch in Höhenlagen, also in unmittelbarer Nähe zu den Scharr­

bildern, lässt sich eine grosse Anzahl archäologischer Fundplätze beobachten .

Das für die Untersuchungen ausgewählte Gebiet besitzt eine Länge von etwa zehn

Kilometern und eine Breite von etwa fünf Kilometern. Dort liessen sich insgesamt

149 archäologische Fundsteilen identifizieren . Als archäologische Fundplätze wer­

den sowohl Siedlungen als auch Gräberfelder und Gruppierungen von Bodenzeich­

nungen angesehen . Da sich die Fundplätze zumeist ausserhalb des Anbaulandes ,

also in Wüstengebiet ohne Pflanzenbedeckung befinden, lassen sich an der Ober­

fläche Gebäudereste und Fundkonzentrationen sehr gut beobachten.

Die meisten Gräberfelder wurden von Grabräubern stark zerwühlt, Reste von

Grabbeigaben und Skeletten liegen an der Oberfläche verstreut . Keramikfragmente,

aber auch organische Reste wie Gewebe , Muschelartefakte und einige Metali­

objekte haben sich wegen der grossen Trockenheit in hervorragendem Zustand

183

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erhalten . Wie bereits Toribio Mejia Xesspe feststellte, umspannt die vorspani­

sche Besiedlung des Palpa-Tals einen Zeitraum von der Formativzeit (ca . 600 v.ehr.)

bis zum Beginn der Kolonialzeit (1534 n . ehr.). Im Untersuchungsgebiet konnten

FundsteIlen und Funde aus all diesen Zeitstufen festgestellt werden . Im Folgenden

sollen einige charakteristische Fundplätze vorgestellt werden.

Mittlere Formativzeit (600-400 v.ehr.)

Die meisten archäologischen Fundsteilen befinden sich an den Talrändern oder

in Höhenlagen . Am Talboden lassen sich nur vereinzelt Scherben feststellen. Dies

ist auch in anderen Tälern des Nasca-Gebiets nicht anders. Man nimmt heute

deshalb an, dass die vorspanischen Siedler ihre Wohnplätze generell an den Tal­

rändern anlegten, um kein Stück von dem kostbaren Ackerland zu verlieren .

Umso interessanter ist der Fund der bisher frühesten im Rahmen der Projekt­

arbeiten festgestellten Gräber von Jauranga (Abb . 165, 166) . Der Fundort liegt

inmitten des Anbaulandes zwischen den Flüssen Rio Viscas und Rio Palpa, nicht

weit von deren Zusammenfluss mit dem Rio Grande entfernt. Die Fundsteile wurde

durch Zufall entdeckt, weil dort beim Bau eines Hauses und bei landwirtschaft­

lichen Arbeiten mehrere Formativ-zeitliche Scherben zutage gekommen waren .

Die Grabungen reichten durch relativ fundarme Schichten bis in 3,5 Meter Tiefe.

Dort fanden sich neben Gebäuderesten , die von einfachen Häusern stammen

mussten , zwei Bestattungen in gestreckter Rückenlage, mit drei bzw. vier Kera­

mikgefässen als Beigaben . Die zum Teil dekorierten Gefässe lassen sich in mitt­

lere Phasen des Ocucaje-Stils datieren, also in eine Zeit um 600 v.ehr. Es sind

bisher keine geschlossenen Fundkomplexe dieser Zeit aus dem Nasca-Gebiet be­

kannt.

Die Forschungsergebnisse von Jauranga sind in zweierlei Hinsicht interessant.

Zum einen geht man davon aus , dass sich die Nasca-Kultur nicht im Nasca-Gebiet

1B4

164 Karte des Untersuchungsgebiets mit dem

Höhenzug Cresta de Sacramento als zentrale Achse .

Die arch~o l ogischen FundsteIlen sind mit Nummern

bezeichnet.

165 Zwei Bestattungen an dem Fundort Jauranga

aus der mittleren Formativzeit [600-400 v.Chr.).

Page 11: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

166 Gra bbeigaben eines der Graber von Jaura nga .

M ittler e Ocucaie-Phasen [600 - 400 v.ehr .] .

selbst entwickelt haben kann , da man zu wenige Funde gemacht hat , die auf eine

Besiedlung in dieser Zeit hindeuten. 2 4 Die neuen Resultate widersprechen dieser

Hypothese . Zum anderen zeigt die Bestattungen und Siedlungsreste unter einer

mehr als drei Meter dicken Schicht von Sedimenten , dass der Oberflächenbefund

im Bereich der Böden wahrscheinlich ein falsches Bild von der Besiedlung des

Tals in dieser Zeit abgibt . Vielmehr ist anzunehmen , dass sich gerade die Sied­

lungsplätze dieser frühen Zeit, als der Anbau noch nicht so ausgedehnt war, auf

die Bereiche in Flussnähe konzentrierten . Weitere tiefe Grabungen , auch in an­

deren Tälern, würden möglicherweise ein ähnliches Bild ergeben . In jedem Fall

würde es sich sehr lohnen , in Jauranga noch weitere frühe Siedlungsreste frei­

zulegen .

Späte Formativzeit (400 -200 v. Chr. )

Für die späte Formativzeit (400-200 v.Chr. ) lassen sich bereits zahlreiche Sied­

lungen an den Talrändern nachweisen. Sie treten bezeichnenderweise dort ge­

häuft auf , wo der Zugang zum Wasser gesichert oder Wasser dauerhaft verfügbar

ist. Dies ist zum einen am Zusammenfluss von Rio Grande und Rio Palpa der Fall ,

wo gleichzeitig ausgedehnte Anbauflächen vorhanden sind , zum anderen dort ,

wo sich das Palpa-Tal zu weiten beginnt. An letzterer Stelle befindet sich eine

der grössten Siedlungen der späten Formativzeit, der Fundort Pinchango Viejo

(Abb . 167,168) . Zahlreiche Terrassen ziehen sich vom Talrand über einen Berg­

ausläufer bis weit den Hang hinauf. Die Siedlung ist ganz offensichtlich strate­

gisch angelegt . Sie ist durch zwei tiefe Schluchten von den benachbarten Berei­

chen des Talhangs getrennt . Dort , wo ein Übergang möglich wäre, sowohl seitlich

als auch zum oberen Bereich des Talhangs hin , wurden Verteidigungsmauern er­

richtet, die zum Teil noch bis zu einer Höhe von 3 ,5 Metern erhalten sind .

Bei den Testgrabungen in Pinchango Viejo konnten zwei Hockerbestattungen

geborgen werden (Abb. 169) . Als Beigaben fanden sich Keramikgefässe , ein Korb ,

Gewebefragmente , Knochenperlen und eine Fusskette aus Muschelperlen . Die

Keramik lässt sich der Phase Ocucaje 8 der Paracas-Kultur zuordnen (400 - 200

v.Chr.).

Proto-Nasca-Zeit (200 v.Chr.-O)

In der Proto-Nasca-Zeit (200 v.Chr.-O) zeigen sich die ersten stilistischen Merk­

male, die später so bestimmend für die Keramik späterer Nasca-Phasen sind .

Die Technik der Keramikverzierung , konturierende Ritzlinien um die Motive sowie

eine Bemalung , die nach dem Brand aufgetragen wurde , sind jedoch noch der

Tradition der Formativzeit verhaftet . In dieser Zeit ist ein bedeutender Anstieg in

der Siedlungsdichte zu beobachten . Sowohl in den unteren Talbereichen nahe der

grossen Anbauflächen, als auch in den oberen Talbereichen wurden die Hänge

besiedelt . An dem Fundort, der in der Nomenklatur des Projekts die Bezeichnung

PAP-73 trägt , konnten bei Testgrabungen in etwa 0,5 Metern Tiefe die Reste von

einfachen Behausungen aus Schilfrohr mit Lehmbewurf nachgewiesen werden .

Frühe Nasca-Zeit (0-200 n.Chr.)

Die frühe Nasca-Zeit (Phasen 2 und 3; 0-200 n.Chr.) gilt allgemein als die Blüte­

zeit der Nasca-Kultur. Ausgrabungen in Cahuachi im Nasca-Tal , dem grössten

Zentrum im Nasca-Gebiet, zeigen für diese Zeit die grösste Bauaktivität . 25 Nach

Phase 3 soll sich eine Krise ereignet haben , deren Ursache bisher ungeklärt ist .

Auch im Palpa-Tal zeigt sich in dieser Zeit die qualitätvollste Keramik mit den

berühmten polychromen figürlichen Motiven . Die gesamten Talränder sind nun

gleichmässig besiedelt. Offenbar wurde das Anbauland in dieser Ze it maximal ge­

nutzt . Die Tatsache , dass die Siedlungen ohne jegliche Verteidigungsanlagen offen

185

Page 12: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

•• 0

Muro

o I

SO m I

N

r

Legende/ leyenda:

Runde Steingruben Pozos redondos

'--' Terrassen ~ Terrazas

•• 0

LL Steingebäude Estructuras de piedra

am Talrand angelegt wurden , weist darauf hin , dass sich die Bevölkerung ohne

krieger ische Konflikte entfaltete .

Für die frühe Nasca-Zeit ist im Untersuchungsgebiet eine deutliche Siedlungs­

hierarchie zu beobachten. Einfache Siedlungen bestehen aus kleinräumig zusam­

mengeballten Gebäuden aus Bruchstein und Schilfrohr. An wenigen Orten finden

sich grössere Anlagen aus Lehmziegeln. Nur ein Ort, Los Molinos, ist fast voll­

ständig aus Lehmziegeln gebaut [Abb . 170, 171) . Bereits bei den ersten Bege­

hungen wurde deutlich, dass es sich bei Los Molinos um eine Art regionales

Verwaltungszentrum der frühen Nasca-Zeit gehandelt haben muss. Die ersten

Flächengrabungen der Feldkampagne 199B bestätigten den ersten Eindruck einer

geplant angelegten Siedlung mit monumentaler Architektur. Die fast ein Meter

dicken Mauern ziehen sich über lange Strecken in einem rechtwinklig angelegten

Muster. Lange Gänge mit Treppenanlagen schaffen den Zugang zu grossen Räu­

men , die auf Terrassen angelegt sind. Die Terrassen überformen den unteren

Bereich des Talhangs , auf dem die Siedlung angelegt ist . An deren oberen Rand

zieht sich ein Kanal entlang , der wohl ehemals die Wasserversorgung sicherte .

186

167 Kartierung des formativzeit lichen Fundorts

Pinchango Viejo . An den Hangen sind zah lreiche

Terrassen, Gebaude und Verteidigungsmauern zu

erkennen .

168 Gr osse Verteidigungsmauer, die den Zugang

zu der Sied lung vom oberen Talhang her schützt .

Page 13: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

169 Formativzeitliche Bestattung [ca . 400 v.ehr.) Los Molinos war fast ausschliesslich in der frühen Nasca-Zeit bewohnt. In tiefen

von den Testgrabungen an dem Fundort Pinchango Vieio .

Schichten fanden sich vereinzelt Reste früherer Bauten. Nach der Auflassung der

Siedlung wurden zahlreiche Gräber der Phasen 4 und 5 in die zerfallenden Ge­

bäude eingebracht . Die meisten dieser Gräber sind heute geplündert. Es liessen

sich aber noch viele Reste von Objekten bergen . Auch die Grabformen konnten

dokumentiert werden.

Im zentralen Bereich der Anlage befanden sich offenbar die grossräumigen Resi­

denzen oder Verwaltungsbauten . Da die ehemaligen Bewohner beim Verlassen ihr

Hab und Gut mitnahmen, fällt es schwer, Aussagen über die Funktion der Bauten

zu treffen. In den Randbereichen lagen einfache Hütten aus Schilfrohr. Etwas ab­

gesetzt vom Kern der Siedlung und in unmittelbarer Nähe zu den nächsten Boden­

zeichnungen finden sich weitere Gebäude und Plattformen , deren Ausgrabung in

zukünftigen Grabungskampagnen weiteren Aufschluss über die ehemalige Nut­

zung der Bauten und deren Zusammenhang mit den Bodenzeichnungen geben

soll.

Mittlere Nasca-Zeit [200 -400 n. Chr.)

Die Krise nach der frühen Nasca-Zeit äussert sich auch im Siedlungsbefund des

Palpa-Tals . In der mittleren Nasca-Zeit [Phasen 4 und 5; 200-400 n.Chr.) sind

deutliche Veränderungen in der Siedlungsverteilung zu beobachten. Viele Anlagen

zwischen den wichtigsten Gunsträumen werden wieder aufgegeben . Eine Tendenz

zur Rückkehr zur alten Siedlungsverteilung zeichnet sich ab . Zum wichtigsten

Zentrum wird der Fundort La Muna, der sich am rechten Talrand des Rio Grande ,

nahe dem Zusammenfluss mit dem Rio Palpa, befindet . Gebäudekomplexe er­

strecken sich über mehrere hundert Meter an den Talhängen . Von hier aus lässt

sich die gesamte ausgedehnte Talaue überblicken, die durch das Zusammen­

treffen der Flüsse Rio Grande , Rio Palpa und Rio Viscas gebildet wird . Diese

Fläche war eine der grössten zusammenhängenden Anbauflächen des Nasca­

Gebiets und offensichtlich die wirtschaftliche Grundlage des neuen Herrschafts­

zentrums.

Etwas abgesetzt , am nordöstlichen Ende von La Muna , befindet sich eine riesige

Nekropole [Abb . 172) . Hier sind grosse Grabanlagen zu beobachten , die alle nach

dem gleichen Muster angelegt wurden. Alberto Rossel Castro gibt in seinem Buch

über die Archäologie der Südküste Perus die Beschreibung einer Grabanlage von

La Muna, die er nach den Angaben eines Grabräubers anfertigte, der dort im

Jahr 1923 gearbeitet hatte . 26 Eine grosse Mauer aus Lehmziegeln schloss einen

Hof ein . Im Zentrum des Hofs befand sich ein Grabschacht, an dessen unterem

Ende offenbar die Grabkammer lag . Im oberen Bereich war der Schacht zumeist

mit senkrechten Holzstützen stabilisiert . Im mittleren Bereich oder über den

Grabkammern fanden sich horizontale Balkendecken . Die grösste dieser Anlagen

von La Muna misst etwa 40 x 40 Meter. Der Grabschacht muss etwa 13 Meter

tief gewesen sein .

Die heute sichtbaren Grabanlagen sind alle von Raubgräbern geplündert worden .

Nach Erzählungen von Einheimischen bargen die Gräber zum Teil sehr reiche Bei­

gaben, zum Teil auch aus Gold . Ob diese Angaben der Wahrheit entsprechen , mag

dahingestellt sein . In jedem Fall trugen sie dazu bei , dass die gesamte Nekropole

stark zerstört wurde; es wurden zum Teil sogar Baumaschinen eingesetzt . Es ist

jedoch nicht auszuschliessen , dass noch intakte Grabanlagen zu finden sind .

Da die Raubgräber nur an den zentralen Grabschächten interessiert waren , blieb

die umliegende Grabarchitektur trotz der Plünderungen oft gut erhalten . Im Rah­

men der archäologischen Arbeiten der SLSA wurde 1998 eine solche Grabanlage

freigelegt und dokumentiert [Abb. 173). In der Tat liess sich eine komplizierte

Grabarchitektur aus Lehmziegelmauerwerk dokumentieren. Der Grabschacht ist

187

Page 14: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

von einer quadratischen Mauer mit gestuften Aussenseiten eingefasst . Möglicher­

weise trug dieser einmal ein Dach . Der innere Ring ist von einer weiteren Mauer

eingeschlossen, deren Durchgang gegenüber dem des inneren Mauergevierts

versetzt ist, so dass kein Einblick in die Anlage möglich war. Um die Anlage ziehen

sich weitere Mauergevierte , die wiederum Bestandteile der benachbarten Grab­

anlagen bilden. Auf diese Weise ergibt sich ein labyrinthartiger Komplex zahlrei­

cher Grabanlagen . In einiger Entfernung von dem Zentrum der Nekropole wurden

Grabungen an Plattformen vorgenommen, die von grossen Höfen eingenommen

wurden. Wahrscheinlich handelt es sich um Versammlungsplätze für Kulthand­

lungen im Zusammenhang mit den Grabanlagen. Bei allen Grabungen in La Mufia

fand sich fast ausschliesslich Keramik der mittleren Nasca-Phasen.

Späte Nasca-Zeit (400-600 n .Chr.) und Mittlerer Horizont (600-1000 n.Chr.)

In der späten Nasca-Zeit (400-600 n.Chr.) konzentrierten sich die Siedlungen

weiter an den vom Wasser begünstigten Zonen . Für diese Zeit sollen keine wei-

188

170 Dar Fundort Los Molinos zu Beginn der Aus­

grabungsarbeiten des SLSA-Projekts .

171 Die in der ersten Grabungskampagne freige­

legte Monumentalarchitektur im zentralen Bereich

von Los Molinos . Von einem zentralen Gang gehen

seitlich grosse Raume ab , die sich den terrassier­

ten Hang hochziehen .

Page 15: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

172 Die Nekropole La Muna . Im Zentrum des Bil­

des ist die wahrend der Ausgrabungen der SLSA

freigelegte Architektur einer Grabanlage zu sehen,

links unten eine freige legte Plattform . Die vie len

Löcher sind das Ergebnis ia hrzehnt elanger Raub­

grabungen.

173 Die freigelegte Graban lage in La M una. M eh­

rere Mauern bilden Umfassungen und Gange um

einen Grabschacht. Holzpfosten dienten zur Stabi li­

sierung und fOr Aufbauten .

teren Fundsteilen vorgestellt werden . Gleiches gilt für die Zeit des sogenannten

Mittleren Horizonts (600 -1000 n . ehr.). Für diese Zeit , die durch die Ausdeh­

nung von Hochlandkulturen (Huari) an die Küste bzw. die starke Interaktion der

Küstenkulturen mit den Hochlandkulturen geprägt ist, sind kaum eigenständige

Siedlungen im Untersuchungsgebiet auszumachen . Nur sehr vereinzelt konnten

Scherben mit eindeutigen Anzeichen von Keramikstilen des Mittleren Horizonts

gefunden werden . Ob Siedlungsreste des Mittleren Horizonts durch spätere An­

siedlungen in der Späten Zwischenperiode überdeckt wurden , die lokalen Keram ik­

stile sich nicht von Hochlandstilen verdrängen liessen oder ob sich im Palpa-Tal

der Hochlandeinfluss tatsächlich kaum bemerkbar machte , bleibt noch zu klären .

Späte Zwischenperiode (1000 -1400 n. ehr.)

In der Späten Zwischenperiode (1000 -1400 n . ehr.) sind wieder einschneidende

Veränderungen zu beobachten . Eines der auffallendsten Merkmale dieser Zeit ist

die Anlage von Siedlungen weit entfernt von jeglichen Wasservorkommen auf den

189

Page 16: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

Bergkämmen oder auf den Kuppen felsiger Erhebungen (Abb . 174) . Dort finden

sich ausgedehnte Gebäudekomplexe, in denen ein grosser Teil der Bevölkerung

dieser Zeit gelebt hat . Insgesamt muss die Bevölkerungsdichte noch höher ge­

wesen sein als zur Nasca-Zeit . Der Grund für die Anlage der Siedlungen in die­

sen Höhen ist allerdings schwer einsehbar. Wahrscheinlich war es gerade der

grosse Bevölkerungsdruck, der zu Konflikten und Auseinandersetzungen unter

den Bewohnern des Palpa-Tals geführt hat. Dies zwang die Menschen, strate­

gische Positionen zu besiedeln . Unklar ist jedoch, wie die Wasserversorgung in

diesen Zeiten geregelt wurde .

Die Gebäudereste der Späten Zwischenperiode sind zum Teil hervorragend er­

halten . Steinmauern stehen gelegentlich bis über drei Meter hoch (Abb . 175) . Mit

Hilfe von Luftfotos lassen sich die Siedlungspläne ohne grössere Ausgrabungs­

arbeiten kartieren . Grosse Mengen an Keramik liegen an der Oberfläche . Formen

und Verzierungen unterscheiden sich markant von denen der Nasca-Keramik .

Kleine geometrische Motive , häufig auch Fisch- und Vogeldarstellungen dominie-

190

174 Eine Höhensiedlung der Spaten Zwischenpe­

r iode (1000 - 1400 n.Chr . ], die auf einem Berg­

kamm, weit entfernt von Wasservorkommen , er­

baut wurde .

175 Ausgrabu ngen in einem Gebaude der Spaten

Zwischenperiode (1000 - 1400 n. Chr .) . Oie Mauern

haben sich bis zu ei ner Höhe von drei M etern er­

halten .

Page 17: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

176 Kartierung von Trapezen und anderen Boden­

zeichnungen auf der HochfiSche der Cresta de

Sacramento . Die S-förmige Figur ist eine der spS­

testen Bodenzeichnungen im Untersuchungsgebiet.

Südlich schliessen sich Gebsude aus der SpSten

Zwischenperiode an (1000-1400 n.Chr.], die über

die Siteren Bodenzeichnungen gebaut wurden .

177 Südwestliche Fortsetzung der Kartierung von

Abb . 176. Im oberen Teil des Bildes ist die Oarstel-

lung eines Wales zu erke nnen, wie er Mufig in der

Nasca-Keramik zu finden ist . Die lange Zickzacklinie

verbindet offenbar den Wal mit der Spirale von Abb .

176.

ren die Ikonographie . Ähnlichkeiten mit der Keramik der weiter nördlich liegenden

Täler Ica und Chincha sind offensichtlich. Eine gen aue Untersuchung dieser

Keramikstile sowie der Späten Zwischen periode insgesamt im Nasca-Gebiet ist

bisher jedoch nicht unternommen worden . Auch diese Aufgabe soll im Rahmen

der Arbeiten des SLSA-Projekts angegangen werden.

Die Geoglyphen

Die Beschreibung ausgewählter Siedlungsplätze zeigt, dass sich die Besiedlungs­

geschichte des Palpa-Tals recht gut nachzeichnen lässt . In dieses kulturelle Um­

feld lassen sich die Bodenzeichnungen einordnen. In Palpa finden sich dieselben

Typen von Bodenzeichnungen , die auch im übrigen Nasca-Gebiet zu beobachten

sind. Zu den gradlinigen geometrischen Formen gehören Linien und Plätze . Linien

Spiralen Espirales

F«igenumte F1iehe~"--Campo barcido 0

~N

o 50 m '--'--'--'-..L.

Ringronnige Konstruktionen .. Estructuras circulares

Rechteckige Konstruktion Estructura rectangular

G.J

station Antcna

o SOm ~

WaI. DarsteUung Reprcscntaci6n de una orca

F'reigernumte rläche Campo barrido

~N

191

Page 18: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

19'2

o I

? N

100m

I

Fundort 8 S·· 4

11:10

Page 19: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

178 Oie sogenannte Sonnenuhr, der Reloj Solar.

Neben vie len linearen, tra pezförmigen und figUr­

lichen Geoglyphen sind am Hang auch mehrere

kleine, anthropomorphe Figuren zu erkennen, die

wohl in der spaten Formativze it (400-200 v.Chr.)

oder in der Pr oto-Nasca-leit (200 v.Chr.-o ) ent­

standen sind.

179 Ausschnitt aus einem Luftfoto vo n den in

Abb . 17B dargestellten Bodenzeichnungen aus dem

Jahr 1944. Oie Linien sind noch weitgehend vo ll ­

standig . Servicio Aerofotogratico Nacional dei Peru

543-12 .

180 Der gleiche Bildausschnitt wie in Abb . 179 in

einem Luftfoto aus dem Jahr 1997. Viele Linien sind

nur noch schwach zu erkennen. In der Bildmitte

wurde ein grosses Feld freigeraumt. Dad urch wur­

den Tei le der Bodenzeichnungen zerstört . Oie Reste

einer vorspanischen Sied lung si nd dur ch den Bau

moderner HUtten ebenfa il ls zerstört (l inks unten im

Bild) .

kommen in unterschiedlicher Breite und Tiefe vor. Sie erstrecken sich als ein­

fache gerade Linien oder als Zickzacklin ien zumeist über mehrere hundert Meter.

Die Plätze entstanden durch Wegräumen oxidierter Steine von grossen Flächen .

Darunter tritt heller Sand zutage . Die weggeräumten Steine wurden zumeist an

den Rändern aufgehäuft , wo sie die Freiflächen markant begrenzen. Besonders

auffallend sind die langgezogenen Trapeze , die sich zumeist von Nordosten nach

Südwesten auf den planen Hochflächen des Bergrückens erstrecken. Ihre Spitzen

liegen immer höher als die breite Basis . Da die Spitzen fast alle in die Ursprungs­

gebiete der Flüsse weisen , liegt der Gedanke nahe , dass ein Zusammenhang

zwischen dem Wasser und den Bodenzeichnungen besteht . W ie auch die Besied­

lungsgeschichte des Palpa-Tals gezeigt hat , war Wasser ganz offensichtlich der­

jenige Faktor, der das Leben , das Siedlungsverhalten , die Wirtschaft und somit

die Kulte bestimmt hat , von denen die Bodenzeichnungen sicherlich einen Be­

standteil bilden.

193

Page 20: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

Wesentlich kleiner als die geometrischen Zeichnungen, aber umso spektakulärer

sind die figürlichen Bodenzeichnungen . Sie sind zumeist aus schmalen, etwa

0,40 bis 0 ,60 Meter breiten Linien angelegt. Auf der Cresta de Sacramento sind

mehrere Spiralen, ein halbmondförmiges Messer, ein sogenanntes tumi, und

Menschenfiguren zu sehen (Abb. 176 , 177) . Besonders komplex ist die Darstel­

lung eines Walfischs, der dem Walfisch in der pampa von Nasca sehr ähnlich

sieht.

Auffallend sind auch sehr kleine, oft nur wenige Meter grosse und sehr schlecht

erkennbare Menschen- und Tierfiguren , die sich ausschliesslich an Berghängen

finden (Abb . 181,182). Oft werden sie von anderen Figuren , Linien oder Frei­

flächen überlagert und müssen somit älter sein als diese. Diese Vermutung wird

bestätigt durch die an der Oberfläche liegenden Keramikfragmente, die zumeist

194

181 Figürliche Darstellungen von den 8erghangen

des Palpa-Tals, darunter Menschendarstellungen

mit «Strahlenkronen» .

1 82 Nahaufnahme des Kopfs einer in [Abb . 181)

dargestellten Figur.

Page 21: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

aus der Proto-Nasca-Zeit (200 v.Chr.-O) oder sogar aus der späten Formativzeit

(400-200 v.Chr.) stammen .

Bei den grossen Bodenzeichnungen auf den Hochflächen findet sich fast aus­

schliesslich Keramik aus der frühen, mittleren und späten Nasca-Zeit (0 -600

n .Chr. ). In der Tat scheint die Anlage der Bodenzeichnungen mit Beginn des Mitt­

leren Horizonts (ca . 600 n.Chr.) ihr Ende gefunden zu haben. Zu den spätesten

Geoglyphen gehört die S-förmige Figur in (Abb . 176], bei der Keramikfragmente

des sogenannten Loro-Stils geborgen wurden, der an den Beginn des Mittleren

Horizontes datiert wird. Interessanterweise wiederholt sich auf mehreren Gefäss­

scherben das gleiche S-förmige Motiv, das wir auch als Bodenzeichnung kennen .

183 Testgrabungen in einer der Plattformen. die Oie Tatsache , dass zahlreiche Gebäude auf der Hochfläche unmittelbar auf älteren sich an der breit en Bas is vie ler Tra peze am Rand

der Hochflache der Cresta de Sacramento f ind en. Bodenzeichnungen errichtet wurden und diese nicht mehr respektierten , ze igt ,

dass Geoglyphen in der Späten Zwischenperiode keine Rolle mehr gespielt haben.

Felszeichnungen

«Frühe» Bodenzeichnungen zeigen oft stilisierte Menschenfiguren mit strahlen­

ähnlichen Linien am Kopf in der Art einer Krone . Identische Motive finden sich

auf Felszeichnungen , die in grosser Zahl im gesamten Palpa-Tal auf mächtigen

Steinen und Felswänden angebracht worden sind (Abb . 184 , 185) . Im Unter­

suchungsgebiet konnten mehrere solcher Felszeichnungen dokumentiert wer­

den . Eine wesentlich grössere Anhäufung befindet sich jedoch etwa 10 Kilometer

talaufwärts in Chichictara. Dort sind mehr als 400 Zeichnungen auf einem Fels­

massiv etwa 200 Meter über dem Talboden angebracht. Hier finden sich

zahlreiche Motive , die auch typisch sind für Paracas-zeitliche und Proto-Nasca­

zeitliche Keramik. Schlangen- und Vogelmotive, Kreise mit eingesch r iebenem

Punkt, aber auch typische Motive des Chavln-Stils treten hier in verschiedenen

Kombinationen immer wieder auf .

Der Gedanke liegt daher nahe , in diesen Felszeichnungen den Ursprung für die

Entwicklung der Bodenzeichnungen zu sehen. Die Motive wurden zunächst nur an

den Felsen angebracht , zumeist wohl an solchen Stellen , die vom Tal aus gut sicht­

bar waren . Dann entdeckte man , dass man die gleichen Motive auch auf die Ober­

fläche des Wüstenbodens einritzen könnte. Die frühen Bodenzeichnungen wurden

daher - ähnlich wie vorher die Felszeichnungen - an den Talhängen angebracht ,

dort , wo sie für die im Tal wohnenden Menschen gut sichtbar waren. Die Ober­

fläche des Wüstenbodens bot keine räumlichen Beschränkungen mehr für die

Entwicklung der Bodenzeichnungen. Von diesem Moment an entwickelten sich

wahrscheinlich die grösseren Zeichnungen, die immer abstrakter wurden und

geometrische Formen annahmen. Schliesslich wurden die grossen Linien und Frei­

flächen auf den ausgedehnten Hochflächen angelegt , wo sie von den Menschen

gar nicht mehr zu beobachten waren .

Ausblick

Wie der Überblick über die bisherigen Forschungen im Palpa-Tal zeigt, hat sich

die Aussage von Toribio Mejla Xesspe bestätigt : Das Palpa-Tal ist tatsächlich ein

Archiv der Vorgeschichte Perus. Von der mittleren Formativzeit bis zum Ende der

vorspanischen Zeit konnten wichtige Funde und Befunde zu fast allen Besied­

lungsepochen gesichert werden . Der Vergleich des Palpa-Tals mit einem histori­

schen Archiv ist besonders treffend , weil sich dort wie in einem engen Raum die

Kulturgeschichte an klar definierbaren Parametern ablesen lässt . Ähnlich wie die

meisten Archive stellt jedoch auch das Palpa-Tal ein schier unerschöpfliches

Reservoir von Quellenmaterial dar, das wohl nie in seiner Gesamtheit gesichtet

werden kann . Die bisherigen Forschungen sind nur erste Ansätze, die uns zu

195

Page 22: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

196

Page 23: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

184 Felszeichnungen mit anthropomorphen und

zoomorphen Darstellungen von Chichictara. M 1 :7.

Abriebe B. Gubler.

185 Eine der Ober 400 Felszeichnungen an dem

Fundort Chich ictara. Foto B. Gubler.

einem tieferen Verständnis der Archäologie des Tals und - stellvertretend - für

das Nasca-Gebiet führen .

Das archäologische Projekt Nasca-Palpa der SLSA hat bisher den umfassendsten

Versuch gemacht, die Kulturgeschichte der Region repräsentativ zu erfassen . Die

ersten Ergebnisse sind vielversprechend . Systematische Forschungen führten

uns zu den Orten , die besonders aufschlussreich für das Verständnis der Nasca­

Kultur und deren Bodenzeichnungen im Palpa-Tal sind . Die Kartierung der Geo­

glyphen wird bald abgeschlossen sein. Durch weitere Ausgrabungen und die Aus­

wertung der Kartierungen hoffen wir, in Zukunft der Lösung eines der grossen

Rätsel altamerikanischer Kulturen näher zu kommen .

197

Page 24: „Das Palpa-Tal - Ein Archiv der Vorgeschichte Perus\" in \"Nasca. Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru\", Ausstellungskatalog

Fussnoten

Mejia Xesspe 1976, 46.

2

Horkh eimer 1947 , 62.

3

Tello-Mejia Xesspe 1967 , 14511.

4

Menzel-Rowe-Oawson 1964.

5

Tello-Mejia Xesspe 1967.

6

Tello-Mejia Xesspe 1967 , 1581.

7

Horkheimer 1947 , 62.

8

Mejia Xesspe 1976, 46.

9

Mejia Xesspe 1976 , Abb . 1.

10

Die Schreibung des Namens ist heute «Pinchango».

11

Mejia Xesspe 1976 , 40.

12

Mejia Xesspe 1940.

13

Reiche 1949, 3 ; Kosok 1965 , 53 .

14

Reiche 1949, Abb . 1 , 4-12,17 , 19 , 20 , 47, 49 ;

Kosok-Reiche 1949 , Abb . 12-16; Kunstraum MOn­

ehen 1974, Abb . 16, 17, 20-22 , 31, 32 , 89-91,

92 , 93 , 110, 130-134.

198

15

Reiche 1949 ; Reiche 1968; Reiche 1969.

16

Hawkins 1975 ; Aveni 1990.

17

Strong 1957 , 5 .

18

8rowne-8araybar 1988.

19

Silverman 1993b ; 8rowne 1992 , 77.

20

Silverman-8rowne-Garcia 1993 , 290.

21

Von Oaniken 1997.

22

Von Oaniken 1997 , Abb . 33 , 34.

23

Von Oaniken 1997 , 16311.

2 4

Silverman 1994.

25

Silverman 1993a, 337.

26

Rossel-Castro 1977 , 152 Abb . 29.