-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Selbstorganisation von Produktionsanlagen und die
Perspektiven von Industrie 4.0Julius Pfrommer
(Karlsruher Institut fr Technologie)
Agenda Eigener Hintergrund
Industrie 4.0
Selbstorganisation im Kontext von I4.0
Ausblick
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Eigener Hintergrund! Doktorand am Karlsruher Institut fr
Technologie! Auszug Kurzvita!
Dipl.-Wirt.-Ing Karlsruhe Institut fr Technologie! Diplom
Wirt.-Ing. Institut National Polytechnique de Grenoble (Grande
Ecole)! Preistrger Bundeswettbewerb Informatik 2006! Vorstand &
Projektleiter bei studentischer Unternehmensberatung delta
Karlsruhe (zertifiziert
nach ISO 9001:2008, u.a. Projektleitung bei der
Commerzbank)!!Hintergrund Institut! Fraunhofer Institut fr
Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB)! 5 Standorte,
davon 4 in Deutschland mit 440 MA! Enge Kooperation mit dem KIT
durch Personalunion Beyerer als Institutsleiter und
Uni-Professor
mit dem Lehrstuhl fr Interaktive Echtzeitsysteme
(Informatik)
Fraunhofer IOSB
!3
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Arbeiten im Bereich Informationsmanagement u. Leittechnik
(Abteilung ILT)!1. Informations-, Leit- und Testsysteme:!
Eigenes Leitsystem ProVis (Daimler in Bremen u. Wrth, Thyssen)!
Industrielle Kommunikation (OPC-UA)! Modellierung
(AutomationML)!
2. Sensorik/Sensornetzwerke! Tsunami-Frhwarnsystem! berwachung
Grundwasserqualitt!
3. Auswertung von Informationen aus industriellen Anlagen u.
Sensornetzen! Big Data-Auswertung!
ProVis.Paula (Manufacturing Intelligence)! Condition
Monitoring/Predictive Maintenance!
Planungsalgorithmen! Provis.APS (Scheduling/Produktionsplanung)!
Sensoreinsatzplanung!
.
Informationsmanagement und Leittechnik
!4
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Fr das produzierende Gewerbe gelten heute verschrfte
Spielregeln. Auf den weltweiten Absatzmrkten ist die weltweite
Konkurrenz vertreten. Dadurch ist nicht nur Kostendruck, sondern
auch eine groe Unsicherheit entstanden, die Vorhersagen schwierig
macht. Nehmen wir als gelufiges Beispiel den Handyhersteller Nokia.
Vor 2-3 Jahren htte niemand sagen knnen, wie viele Handys Nokia
heute verkaufen wird. Viele Millionen? Null?!!Um in der direkten,
weltweiten Konkurrenz relevant zu bleiben, wenden Firmen zwei
Strategien an:!1. Kurze Produktlebenszyklen. Um den Vorsprung der
eigenen Produkte zu halten (oder um
nachzuziehen) hat sich die Zeit bevor die nchste
Produktgeneration eingefhrt erheblich verringert. Im Automotive
kommt die erste Modellpflege heute nach 2-3 Jahren.!
2. Mehr Produkte, mehr Varianten und Mass Customisation. Damit
kann zum einen durch individuell passende/angepasste Lsungen der
Nutzen fr Kunden erhht werden. Und man kann seine Produkte von der
Konkurrenz differenzieren. Und sei es durch das Design. Denn
niemand will 100% vergleichbar sein. Nichts ist tdlicher fr die
Marge als ein transparenter Markt.!!
Kurze Produktlebenszyklen und mehr Varianten steigern aber den
Aufwand eine Produktionsanlage einzurichten und anzupassen im
Verhltnis zur produzierten Stckzahl.!Die Maschinen und Anlagen
kaufen und physisch integrieren, die Steuerung von automatisierten
Prozessen programmieren und eine Anlaufphase mit niedrigen
Stckzahlen (Ramp-Up) zu begleiten. Dass alles kostet Zeit und Geld.
Beides wird knapp, wenn Anlagen sich nur noch im stndigen Umbau
befinden. Weiterhin bentigen Anlageninvenstitionen einen meist
recht langen Amortisierungszeitraum. Volatile Mrkte und kurze
Produktlebenszyklen machen es immer schwieriger langfristige
Investitionen in Anlagen zu begrnden!!
Ausgangslage in der Produktion
Globale Mrkte, globale Konkurrenz Mehr Produkte, mehr Varianten,
krzere
Produktlebenszyklen Hufiges Reengineering von Anlagen
Anlagen-Investitionen weiterhin mit
langfristigem Horizont
!5
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Seit zwei Jahren ist nun Industrie 4.0 als Schlagwort
aufgekommen. Nach der mechanischen ersten industriellen Revolution,
der Elektrifizierung und zuletzt der Computerisierung der
Produktion soll es nun eine weitere industrielle Revolution geben.
Die Flexibilisierung der Produktion durch Internettechnologien in
der Fabrik, Cyber-Physische Systeme, etc.!!Die auf der
vorhergehenden Folie angesprochenen Herausforderungen sollen also
angegangen werden. Das Ziel ist mehr Flexibilitt in der Produktion
bei hoher Effizienz. Wenn mglich soll man sogar komplett
verschiedene Produktreihen auf der selben Anlage herstellen knnen.
Die ganze Produktion (Maschinen, Logistikinfrastruktur, Supply
Chain, etc.) passt sich auf scheinbar magische Weise an die
aktuellen Gegebenheiten an. Wie die Transformer in den
Kinofilmen.!!Aber bevor die Visionen berhand nehmen, zuerst einmal
ein Blick auf den aktuellen Stand der Technik. Was wird heute
bereits gemacht, das Industrie 4.0 nahe kommt?!!
Industrie 4.0
Quelle: DFKI (2011), Kagermann et al. (2012)!6
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Baxter ist der Name dieses zweiarmigen Roboter, der ebenfalls
als Revolution angepriesen wird. Die Spezifikation sieht auf den
ersten Blick nicht gut aus. Keine hohe Genauigkeit der Bewegung,
keine hohe Traglasten, usw.!!Aber Baxter hat auch andere Ziele.!!
Einfach zu programmieren. Baxter bekommt die Aufgaben die er
erledigen soll gezeigt. Und kann
die danach endlos wiederholen. Durch Kameras in den Armen und
Software-Intelligenz kann er Werkstcke auch dann erkennen und
greifen, wenn deren Position nicht millimetergenau vorgegeben
ist.!
Einfach zu bewegen. Baxter steht auf Rollen und kann einfach
verschoben werden.! Arbeit im direkten Kontakt zu Menschen. Durch
die spezielle Auslegung der Arme, Motoren u.
Getriebe ist es sicher neben Baxter zu arbeiten. Auch wenn
dieser nicht in einem Kfig eingehaust ist.!
Gnstig. Hausnummer 20.000 Euro!!Der Verlust an Genauigkeit der
Bewegungen ist fr die meisten Kunden nicht ausschlaggebend. Viel
wichtiger ist es, dass Baxter schnell an laufend wechselnde
Aufgaben angepasst werden kann. Und man dafr kein IT-Experte sein
muss.!!
Quelle: Rethink Robotics!7
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
In den Warenhusern von Amazon und anderen Online-Hndlern hatten
die sogenannten Picker immer viel Weg zu Fu zurck zu legen. Jedes
bestellte Buch wurde von Hand aus einem Regal entnommen und (mit
den anderen bestellten Gtern) in ein Paket gelegt.!Letzte
Weihnachten hat man mehr von den Picken gehrt. Als diese nmlich in
Deutschland wegen schlechter Bezahlung und schlechten
Arbeitsbedingungen streikten.!!Kiva Systems stellt diesen Ansatz
auf den Kopf. Anstelle zu Bchern zu gehen, kommen die Bcher zu den
Verpackern. Die kleinen orangen Roboter im Video fahren unter die
Regale, heben diese an und fahren sie zu den Verpackungsstationen.
Sogar in der richtigen Reihenfolge, dass Gter fr das selbe Paket
hintereinander ankommen.!!Die Effizienzsteigerung war Amazon soviel
Wert, dass sie Ende 2012 Kiva fr 750 Millionen Dollar kauften.
Nicht schlecht fr ein paar Roboter und eine intelligente
Steuerung.!!
Quelle: Kiva Systems!8
http://www.youtube.com/watch?v=szU2-1infqc#t=383
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Lif&Fung ist ein in Hong Kong ansssiges Handelshaus, dass
sich Supply Chain Orchestration als Geschftsmodell auf die Fahnen
geschrieben hat.!!Wenn man bei einer bekannten Textilkette in
Deutschland ein blaues T-Shirt kauft und in ein paar Wochen spter
nochmal ein blaues T-Shirt haben will, dann gibt es oft kleine
Unterschiede in der Farbe oder an den Nhten. Das liegt daran, dass
das zweite T-Shirt von komplett unterschiedlichen Unternehmen
hergestellt worden sein kann. Und die bekannte Textilkette in
Deutschland hat das nicht einmal mitbekommen.!!Li&Fung hat in
ihrer Datenbank weltweit verfgbare Kapazitten gespeichert. Wer
liefert Baumwolle? Wer frbt die Wolle? Wer spinnt daraus einen
Faden? Wer webt das Tuch? Wer schneidert das T-Shirt? Daraus wird
dynamisch eine Tier-N Supply Chain, eine Lieferkette mit
prinzipiell beliebiger Tiefe, zusammengesetzt. Und wenn 100.000
T-Shirts in 2 Wochen vor Ort sein sollen, dann wird aus vielen
Quellen gleichzeitig gesourct und der Transport per Flugzeug
organisiert. Hat man 3 Monate Zeit, kann die Supply Chain vllig
anders aussehen.!Mittlerweile geht man soweit, dass sogar die
Preisschilder an der Ware befestigt werden und die Gter in der
richtigen Menge direkt an die Filialen in Deutschland verschickt
werden. So spart man sich weiteren logistischen Aufwand.!!Wer sich
fr mehr Hintergrnde und Details interessiert, der sei an das Buch
Competing in a Flat World der Brder Fung verwiesen.!!
We can take an idea from design to finished product and deliver
it
Supply Chain Orchestration 28.000 Angestellte 1.5000
Zulieferer
!9
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Das Beispiel von Li&Fung hat das Potential der
Orchestrierung eines Netzwerkes mit heterogenen Teilnehmern
gezeigt. Dieses Prinzip soll nun nicht nur in der Supply Chain,
sondern auch auf Mikro-Ebene auf dem Shopfloor selbst eingesetzt
werden.!Die klassische Automatisierungspyramide wird dabei als
limitierende Abstraktion empfunden. Wenn alle Komponenten einer
Produktionsanlage in einem gemeinsamen Netzwerk hngen, warum soll
die totale Freiheit in der Kommunikation dann knstlich beschrnkt
werden? Wer Informationen braucht, der soll sie sich doch einfache
holen!!!Prinzipiell eine tolle Sache. Jetzt geht es aber um die
Umsetzung. Die ersten Kunden rufen an und wollen Industrie 4.0
kaufen, wovon sie schon so vieles gehrt haben. Da mssen die Fragen
nach dem wie genau beantwortet werden knnen.!Also wie denn genau?
Woher wei eine bestimmte Maschine in einem solchen Netzwerk was sie
aktuell zu tun hat?!!
I4.0 macht alles neu?
Quelle: VDI/VDE-GMA FA 7.20 CPS (2013)!10
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Die hufige Antwort: Selbstorganisation!Als Antwort auf die Frage
wie genau? wirkt das zunchst unbefriedigend. Doch sehen wir einmal
nach, wie in der Literatur Selbstorganisation definiert
wird:!Selbstorganisation ist ein dynamischer und adaptiver Prozess,
bei dem Systeme selbst ohne externe Steuerung Struktur erlangen und
erhalten.!!Also ein System, das sich selbst steuert und so Struktur
erlangt.!Damit ist aber jedes System, das seine eigene Steuerung
enthlt automatisch selbstorganisierend. An der Stelle kommt man
also auch nicht weiter.!Vielleicht macht es mehr Sinn, sich
dediziert nur die Steuerkomponente als Teil eines
selbstorganisierenden Systems genauer anzusehen!!!!!!!!!!!!(Die
Grafik mit der Regelstrecke ist aus der Regelungstechnik. Sie
bildet den Sachverhalt schn grafisch ab. Als Quelle fr Methoden und
Anstze ist die klassische (kontinuierliche) Regelungstechnik fr
Industrie 4.0 aber leider ungeeignet, da viele Probleme in der
diskreten Fertigung - wie der Name es bereits andeutet - diskret
sind.)!!
SelbstorganisationSelbstorganisation ist ein dynamischer und
adaptiver Prozess, bei dem Systeme selbst ohne externe Steuerung
Struktur erlangen und erhalten. (Wolf und Holvoet, 2005)
selbst-organisierend
Ob ein System selbstorganisierend ist hngt davon ab, wie die
Systemgrenzen gezogen werden.
!11
nicht selbst-organisierend
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
wovon auf dieser Folie alle mglichen Varianten abgebildet
sind.!!Als Grundlage fr eine Steuerentscheidung braucht man zunchst
Informationen zum System und zum Systemzustand. Die kann man in ein
einziges, globales Systemmodell zusammen ziehen. Da das aber mit
viel Aufwand verbunden ist (und sich groe Datenmengen nur schwer in
Echtzeit bewegen lassen) lassen sich auch verteilte Systemmodelle
aufbauen, die jeweils nur fr einen lokalen Bereich Informationen
vorhalten.!!Auf Seiten der Steuerentscheidung gibt es ebenfalls die
Mglichkeit zentral zu Optimieren oder an mehreren Stellen lokale
Entscheidungen zu treffen. Dabei ist es nicht mglich nur mit
lokalen Informationen globale Entscheidungen zu treffen.!!Die
verbleibenden Mglichkeiten sind! Lokal Reaktiv! Unabhngige Agenten!
berwachte Agenten! Zentrale Planung!!Werfen wir nun ein
detaillierten Blick auf die einzelnen Varianten.!!
Information & Steuerung
!12 Quelle: Pfrommer (2014)
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
In den meisten Produktionsanlagen kommen sogenannte SPS
(Speicherprogrammierbare Steuerungen) zum Einsatz. Diese sind mit
einer oder mehreren Komponenten der Anlage fest verdrahtet und
beinhalten die Logik, die aus empfangenen Sensorwerten (und
eventuell Kommunikation ber Bus-Systeme) Steueraktionen ableitet.
Hufig sind sehr einfache wenn-dann Regeln zum Einsatz. Und das
interne Modell der Welt, auf Basis dessen die Steuerentscheidungen
abgeleitet werden, ist meistens nur auf das direkte Umfeld
bezogen.!!In den letzten 5-10 Jahren ist dann die Weitergabe von
Informationen ber das Produkt selbst aufgekommen (auto-Id Prinzip).
Jedes Produkt enthlt einen kleinen Datenspeicher der lokal
ausgelesen werden kann. Oder zumindest eine ID-Nummer, ber die mehr
Informationen aus einer Datenbank gezogen werden knnen.
RFID-Lesegerte sind damit so etwas wie ein besonderer Sensor, der
nicht nur einen einfachen Wert, sondern komplexe und strukturierte
Informationen bereit stellt.!!Nehmen wir als Beispiel eine
Produktionsanlage in der Tablet-PCs zusammen gesetzt werden. Ganz
zum Schluss kann je nach Kundenwunsch noch eine Gravur auf dem
Gehuse aufgebracht werden. Wenn der Text fr die Gravur auf einem
RFID-Chip am Tablett gespeichert ist, dann muss die Gravur-Maschine
nicht extern kommunizieren. Sie erkennt, dass ein Tablett
angekommen ist, liest den Text lokal aus und kann direkt
arbeiten.!!Fr die variantenreiche Produktion und in der Logistik
bedeuten RFID-Chips einen groen Fortschritt. Doch nur durch den
Einsatz von RFID wird aber noch keine automatische Koordination
erreicht. Wenn etwa eine Gravur-Maschine in dem Tablet-Beispiel
ausfllt oder lngere Zeit belegt ist, wird dies nicht automatisch
nach auen kommuniziert.!Es sei denn, wir entfernen uns vom pur
lokalen Systemmodell und ziehen den Zustand mehrerer
Anlagenkomponenten an zentraler Stelle zusammen.
Lokal Reaktiv Nur lokales Systemmodell
Vordefinierte Routinen werden durch Sensoren getriggert
Jetzt neu: Produkt bringt ID (und Anweisungen) selbst mit
Fr viele Anwendungen vllig ausreichend
!13
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Wenn jetzt aggregierte Informationen zum aktuellen Systemzustand
vorliegen (von einem relevanten Ausschnitt, nicht unbedingt von der
kompletten Anlage) knnen zentral Steuerentscheidungen getroffen
werden, oder man erlaubt lokalen Einheiten (Agenten) Entscheidungen
zu treffen. Das Problem ist dann die Koordination zwischen diesen
Agenten.!!Ein bekanntes Beispiel ist die Ameisenkolonie. Ameisen
die Futter gefunden haben strmen auf dem Rckweg zur Kolonie ein
Pheromon aus, dem die anderen Ameisen folgen. So knnen die Ameisen
mit ihren wenigen Neuronen im Kollektiv erstaunlich komplex und
effizient handeln.!!Ein zweiter Ansatz zur Koordination sind
Auktionen. Wenn nur eine fixe Menge Ressourcen zur Verfgung stehen,
bieten die Agenten in Abhngigkeit von ihrem Nutzen um die
Ressourcen zu bekommen. Wenn die Auktion richtig designed wurde
fhrt dies zu einer effizienten Allokation.!!Problematisch bei den
ganzen agentebasierten Anstzen, dass das entstehende
Systemverhalten emergent ist, also zur Laufzeit entsteht. Wer eine
genaue Planung bentigt, oder harte Anforderungen an die Effizienz
hat, fr den sind Agenten oftmals zu unsicher.!!Zusammengefasst:
Wenn unabhngige Agenten lokal nach sehr einfachen Regeln handeln
oder selbstschtig die eigenen Entscheidungen optimieren kann das
entstehende Systemverhalten nah am Optimum liegen. Und man hat den
Vorteil extremer Robustheit und Flexibilitt (wenn ein Agent ausfllt
legt das nicht das ganze System lahm) bei einer vergleichsweisen
einfachen Architektur fr die Steuerung.!!Die Betonung liegt aber
auf kann effizient sein. Es gibt Flle, in denen dies nicht
zutrifft.!!!
Unabhngige Agenten Agenten haben die Freiheit
ihre Aktionen zu optimieren Selbstschtige (rationale)
Entscheidungen
Emergentes Verhalten des Gesamtsystems
Effizienz? Planbarkeit?
!14
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Eines dieser Beispiele ist Braess Paradox.!!Im oberen Graphen
wollen 100 Agenten durch ein Netzwerk von der Quelle zur Senke. Das
kann man sich vorstellen wie 100 Pendler, die nach der Arbeit nach
Hause fahren. Jetzt gibt es Kanten (Straen) mit fixen Kosten, bzw.
fixer Fahrtdauer. Und es gibt Kanten bei denen die Kosten abhngig
davon sind, wie viele Agenten diesen Weg whlen. Also wenn 20
Agenten auf der Kante x1 fahren, dann kostet sie diese Teilstrecke
je 20 Einheiten.!!Im oberen Beispiel werden die selbstschtig
entscheidenden Agenten genau 50:50 aufteilen. Jeder erfhrt dann
Kosten von insgesamt 150. Das Ergebnis wird in der Spieltheorie
auch ein Nash-Gleichgewicht genannt.!!In Braess Paradox wird dann
eine weitere Kante mit Kosten von Null hinzugefgt. Eigentlich, so
denkt man sich, hat man damit ja etwas Gutes getan. Eine weitere
Kante, die kann das Systemverhalten nur verbessern. Leider nicht so
bei Agenten.!!Denn selbst Agent Nr. 99 ist jetzt vor die Frage
gestellt, ob er im ersten Schritt Kosten von 100 in Kauf nimmt,
oder ob er ber Kante x1 (mit Kosten von 99) fhrt. Im Ergebnis drngt
sich alles auf einer Route und die Agenten haben Kosten von einem
Drittel mehr als ursprnglich.!!Wie wir als sehen knnen ist das
emergente Verhalten von Agenten oftmals unintuitiv. Und die
Auswirkungen von Vernderungen lassen sich bei komplexen Systemen
selten vollumfnglich abschtzen.!!Und es geht noch schlimmer!!!
Braess Paradox
Kosten steigen von 150 auf ca. 200 pro Agent.!15
100 Agenten wollen zur Senke
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
!Verklemmungen (auf englisch Deadlock) sind Situationen, in
denen ein Prozess festhngt und keine Mglichkeit hat sich selbst zu
befreien. Leider sind agentenbasierte Systeme bei denen diskrete
Ereignisse und Ressourcenbelegung eine Rolle spielen auch von
Deadlocks betroffen. Das Beispiel auf der Folie soll verdeutlicht
dies an einem einfachen Beispiel.!!Erstes Bild: Die grnen Objekte
(Kreise und Sterne) sind Produkte, die durch ein einfaches
Produktionssystem durchgeschleust werden. An zwei Arbeitsstationen
wird eine weiteres Werkstck(in rot) mit dem Produkt gefgt. Dabei
muss ein roter Kreis auf einen grnen Kreis und ein roter Stern auf
einen grnen Stern montiert werden. Die Transportwege zwischen den
Stationen sind durch die Pfeile markiert und funktionieren nur in
eine Richtung.!Zweites Bild: Nun hat ein grner Kreis als Agent den
ersten Zug gemacht. Zum Beispiel, indem er eine Auktion um die
Reihenfolge gewonnen hat. Oder einfach durch Zufall. Er liegt jetzt
in einem Zwischenpuffer und kann sich entscheiden ob er zur
Arbeitsstation links oder rechts will.!Drittes Bild: Nun ist der
erste Agent zur oberen Arbeitsstation weiter gerutscht. Das war
auch seine einzige Mglichkeit, denn in der unteren Arbeitsstation
ist aktuell kein roter Kreis als Werkstck verfgbar.!Gleichzeitig
sind ihm zwei grne Kreise nachgefolgt. Etwa weil die Kreise einen
besonders wichtigen Auftrag reprsentieren. Daher haben sie
sozusagen Vorfahrt. Jetzt ist das Unglck allerdings schon passiert.
Man sieht es noch nicht auf den ersten Blick, aber durch mangelnde
Koordination und Voraussicht haben sich die Agenten in eine
Situation gebracht in der es nicht mehr weiter gehen kann.!Viertes
Bild: Wenn nmlich der erste Agent den roten Kreis konsumiert hat,
dann kommen die verbleibenden Agenten nicht weiter. Es geht nicht
mehr vor und nicht zurck. Solche Situationen sind mitunter schwer
zu erkennen, wenn der Horizont in dem sich das Problem nicht mehr
vermeiden lsst zu lang ist. Man muss also weit in die Zukunft
blicken um sauber zu koordinieren.!!
Beispiel: Verklemmung
!16
Kapazitt: 2
Beispiel: Verklemmung
!16
Kapazitt: 2
Beispiel: Verklemmung
!16
Kapazitt: 2
Beispiel: Verklemmung
!16
Kapazitt: 2
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Die eben besprochenen Problem bezglich des Laufzeitverhaltens
und der Effizienz von agentenbasierten Steuerungen lassen sich lsen
(oder zumindest reduzieren), indem man eine Form der berwachung
einfhrt. Diese hat mehr Informationen zum Systemzustand und greift
- zum Wohle aller - regulierend in die Entscheidungen der Agenten
ein.!!Supervisory Control trennt alle mglichen Systemzustnde in
sicher und unsicher. Ein unsicherer Zustand ist ein Deadlock, oder
eine Situation in der ein Deadlock nicht mehr vermieden werden
kann. Symbolisiert ist dies hier durch das Auge des Horus. Denn man
muss einen vollstndigen berblick ber das System und seine Dynamik
haben. Und man muss prdiktiv quasi die Zukunft vorhersehen um
gegenwirken zu knnen.!!Mechanism Design lst mehr die Klasse von
Effizienzproblemen, die mit Braess Paradox verdeutlicht wurden. Man
kann sich Mechanism Design wie umgekehrt Spieltheorie vorstellen.
Wie mssen die Spielregeln (etwa die Preise fr bestimmte Aktionen,
oder der Ablauf einer Auktion) gestaltet sein, sodass die
Spielteilnehmer (Agenten) sich aus eigenem Interesse so verhalten
wie ich es wnsche. Und eben nicht nur ein einzelner Agent, sondern
auch als Gruppe im Zusammenwirken mit vielen Spielteilnehmern.
Leonid Hurwicz hat 2007 dafr den Nobelpreis fr
Wirtschaftswissenschaften bekommen.!!Das Subsidiarittsprinzip ist
eigentlich ein rechtliches Konzept. Eine bergeordnete Stelle macht
Vorgaben, die dann lokal umgesetzt werden knnen. So wie in der EU,
wenn EU-Recht auf nationaler Ebene in Gesetzen umgesetzt wird. Auf
diese Art kann man gewissermaen die Leitplanken vorgeben, innerhalb
derer lokale optimiert werden kann. Das hat den Vorteil, dass man
zwar Vorgaben zum gewnschten Verhalt macht, auf der anderen Seite
mssen nicht alle Details von zentraler Stelle abgesegnet werden.
Das reduziert den Aufwand in der Kommunikation und belsst die
Mglichkeit zu lokaler Optimierung.!!
berwachte AgentenSupervisory Control!Vermeiden unsicherer
Zustnde (prdiktiv)
Mechanism Design!Festlegen der Spielregeln um Verhalten zu
beeinflussen
Subsidiarittsprinzip!Leitplanken fr lokale Entscheidungen
!17
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Wenn man fr die berwachung von Agenten bereits ein Systemmodell
mit Dynamik und aktuellem Zustand fr vorhlt, dann knnte man dieses
auch nutzen um direkt optimierte Entscheidungen zu treffen. Also an
einer zentralen Stelle planen und das Ergebnis 1:1 umsetzen.!Zwei
grundstzliche Arten die Planung zu machen sind Scheduling und
Planer aus der Tradition der knstlichen Intelligenz.!!Scheduling
ist das Probleme die richtige Reihenfolge zu finden. Angenommen man
hat mehrere Auftrge, die zu unterschiedlichen Zeiten geliefert
werden sollen. Jeder Auftrag muss von den vorhandenen Maschinen
bearbeitet werden. In welcher Reihenfolge soll nun welcher Auftrag
in welcher Maschine bearbeitet werden um insgesamt mglichst wenig
Kosten durch gerissene Deadlines zu verursachen?!!Scheduling setzt
vorraus, dass man im voraus wei, welche (Klasse von) Maschinen fr
jeden Auftrag eingesetzt werden. Die AI-Planner gehen da noch einen
Schritt weiter. Ausgangspunkt ist ein Modell des Zustands der Welt.
Weiterhin gibt es Aktionen mit Vor- und Nachbedingungen, die den
Zustand der Welt ndern. Es wird dann nicht nur nach der richtigen
Reihenfolge der Aktionen gesucht, sondern auch danach welche
Aktionen berhaupt eingesetzt werden sollen um den Zielzustand zu
erreichen. Natrlich so, dass der resultierende Aktionsplan
konsistent ist, also immer die Vorbedingungen fr die nchste Aktion
erfllt sind.!!In den letzten 20 Jahren ist die Geschwindigkeit mit
denen beide Problemklassen gelst werden etwa eine Million mal
schneller geworden. Das klingt nach viel. Tatschlich lsst sich die
Zahl aufteilen in die ber 1000x schnelleren Computer von heute und
die Fortschritte bei den Lsungsalgorithmen.!Da die
Optimierungsprobleme aber sehr gro werden, reicht selbst dieser
Geschwindigkeitsgewinn oft nicht aus. Stattdessen verwendet man
Heuristiken, die ein gutes Ergebnis liefern (aber nicht garantiert
das optimale Ergebnis) und viel schneller sind.!
Zentrale Planung
!18
Scheduling AI-Planning Gemischt-ganzzahlige
Optimierung Liefert Reihenfolge
vordefinierter Aktionen um ein Ziel gnstig zu erreichen
Vorwrts-Suche im Zustandsraum
Liefert Art und Reihen-folge von Aktionen um Ziel zu
erreichen
Luft durch hohen zeitlichen Aufwand nur selten in the loop
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Ich selbst leite aktuell das Projekt OptimusPlant (gefrdert von
EU u. BMBF).!!Ausgangspunkt ist die tolle Entwicklung, freie
Kommunikation in einem Netzwerk in der Fabrik machen zu knnen.
Diese Mglichkeit muss aber auch in der Steuerung von Anlagen
genutzt werden. Ansonsten verpufft sie wirkungslos.!!In
OptimusPlant werden die Grundlagen geschaffen, die Funktionalitt
von Produktionshardware mit einer einheitlichen Schnittstelle zu
versehen und in ein IP-basiertes Netzwerk zu bringen.!!Darauf
aufbauend werden von den vorgestellten Paradigmen zur Steuerung
ausgewhlte Anstze (zentrale Planung und ein agentenbasierter
Ansatz) implementiert.!!Wie gut sich ein bestimmter Ansatz fr den
praktischen Einsatz eignet wird dann fest gemacht an! der
Performanz im Rahmen eines praxisnahen Einsatzbeispiels und! anhand
einer formalen Analyse des Laufzeitverhaltens im worst case.!!
Projekt OptimusPlant Grundlagen schaffen um
echte Anlagen mit I4.0-Anstzen zu betreiben (Schnittstellen,
Adapter-hardware, Simulation)
Validieren von Anstzen Organisation u. Steuerung
Formale Methoden
Realistische Einsatz-beispiele aus der Praxis
!19
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Die langfristige Vision ist es, die Fhigkeiten einer Anlage
dynamisch nutzbar zu machen.!! Ein Schweiroboter hat die Fhigkeit
schweien. Jede Trajektorie in seinem Arbeitsraum knnte
er abfahren.! Ein Frderband kann jedes Gut, dass von den Maen
und Gewicht passt transportieren.! Additive Verfahren (3D-Drucker)
der neuesten Generation knnen jegliche Form in einer Vielzahl
von Materialien herstellen (Kunststoff, Metall, Gummi,). Man
darf sich da nicht von der schlechten Qualitt von 3D-Druckern fr
zuhause ablenken lassen.!!
Fr die Produktion von kleinen Losgren ist in wenigen Jahren die
Schwelle erreicht, an der es sich kostentechnisch lohnen wrde auf
generische Fertigungstechnologien (wie additive Fertigung)
umzusteigen, anstelle die Anlagen fr die Massenproduktion immer
anzupassen.!Dann ist es zu Production-as-a-Service nur noch ein
kleiner Schritt. Vlt. gibt es ja den einen groen Anbieter auf
diesem Gebiet, dessen Dienst genutzt werden. So wie man Amazon mit
der Abwicklung der eigenen Logistik Richtung Kunde beauftragen
kann.!!Zuletzt noch zwei Hinweise zu diesem Vortrag. Wir haben uns
hauptschlich mit Beispielen auf dem Shopfloor selbst beschftigt.
Industrie 4.0 hat aber einen greren Scope. Wertschpfungsprozesse
der Logistik, After Sales Service, etc. werden dort auch alle
betrachtet.!Und: Durch bessere Technologie erhht sich oft der
Automatisierungsgrad zu Lasten der menschlichen Arbeitskraft.
Industrie 4.0 sieht den Menschen aber als besonders wertvolles
Element in einer Produktionsumgebung an. Und will den Menschen
lieber integrieren und in seinen Fhigkeiten untersttzen als ihn
loszuwerden. Die Intelligenz, die Kreativitt, die Mglichkeit kleine
Problem selbst zu lsen und sich zu organisieren, da bringt der
Mensch soviel auf den Tisch, es wre Unsinn diese Kapazitten in
einer flexiblen Produktionsumgebung nicht zu bercksichtigen. Bei
repetitiven Aufgaben, die in der Massenfertigung tausendfach immer
gleich wiederholt werden, dort wird sich der Automatisierungsgrad
aber sicher weiter erhhen.!
Ausblick Vision: Fhigkeiten von Anlagen dynamisch
nutzbar machen Kleine Losgren ohne Effizienzverluste
Production-as-a-Service
Hier wurde nur die Fertigung an sich betrachtet. Industrie 4.0
hat einen viel greren Scope!
Es muss auch nicht alles automatisiert werden. Der Mensch macht
vieles von alleine richtig
!20
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
!
Danke frs Zuhren
Fragen drfen gerne gestellt werden !
[email protected]
[email protected]
-
CeBIT Future Talk 2014 Selbstorganisation von Produktionsanlagen
(Julius Pfrommer)
Quellen[1] Kagermann, H., W. Wahlster, and J. Helbig.
"Umsetzungsempfehlungen fr das
Zukunftsprojekt Industrie 4.0Abschlussbericht des Arbeitskreises
Industrie 4.0." Forschungsunion im Stifterverband fr die Deutsche
Wissenschaft, 2013.
[2] VDI/VDE-GMA Fachausschuss 7.20 CPS. Stellungnahme
Cyber-Physical Systems: Chancen und Nutzen aus Sicht der
Automation, 2013. Online:
http://www.vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/gma_dateien/Stellungnahme_Cyber-Physical_Systems.pdf
[3] De Wolf, Tom, and Tom Holvoet. "Emergence versus
self-organisation: Different concepts but promising when combined."
Engineering self-organising systems. Springer Berlin Heidelberg,
2005.
[4] Pfrommer, J. Information and Control in Cyber-Physical
Production Systems. In: Proceedings of the 2013 Joint Workshop of
Fraunhofer IOSB and Institute for Anthropomatics, Vision and Fusion
Laboratory, Karlsruher Schriften zur Anthropomatik, KIT Scientific
Publishing, 2014.
ImpressumKarlsruher Institut fr Technologie (KdR) Lehrstuhl fr
Interaktive Echtzeitsysteme Adenauerring 4, 76131 Karlsruhe
Fraunhofer-Institut fr Optronik, Systemtechnik und
Bildauswertung IOSB Fraunhoferstrae 1 76131 Karlsruhe Ist eine
rechtlich nicht selbstndige Einrichtung der Fraunhofer-Gesellschaft
zur Frderung der angewandten Forschung e.V. Hansastrae 27 c 80686
Mnchen