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K a m p f b l a t t f r d e n G e n e r a l s t r e i k / / N r. 1 5 / / D e z e m b e r 2 0 0 7 /J a n u a r 2 0 0 8
2 STREIK I. Mag Wompel imInterview ber aktuelle
Arbeitskmpfe und die
Rolle der Gewerkschaft
6 REPRESSION. Im italieni-schen Genua steht die
antikapitalistische
Bewegung vor Gericht
4 STREIK II. Kapital undArbeit. Arbeitskmpfe
drfen nicht beim volle-
ren Geldbeutel aufhren
ANTIBERLINER
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In eigener Sache
Der Anti-
berliner ist
eine Zei-
tung fr
linke Politik
und Kultur, die alle
zwei bis drei Monateerscheint und kosten-
los in Berlin verteilt
wird. Oft werden wir
verstndnislos nach
unserem Namen ge-
fragt und was wir
denn gegen die Berli-
ner htten. Dabei le-
ben wir sogar sehr
gern in Berlin. Ihren
Namen hat die Zeitungvom ehemaligen Berli-
ner CDU-Brgermeister
Eberhard Diepgen, der
die Kreuzberger als
Antiberliner brand-
markte, nachdem sie
am 1. Mai 1987 nach-
drcklich darauf be-
standen hatten, den
Tag der Arbeit ohne
Polizei zu feiern. EinEhrentitel also fr an-
stndige Berliner ...
Impressum: V.i.S.d.P.: E. Diepgen,
Fasanenweg 30,
10123 Berlin
Redaktionskontakt:
www.antiberliner.de
Untersttzer: Antifa-schistische Linke Berlin
Namentlich gekenn-
zeichnete Artikel spie-
geln nicht unbedingt
die Position des Redak-
tionskollektivs wider
0 2 / / / A n t i b e r l i n e r 1 5 / 2 0 0 7
Der Antiberliner sprach mit
der Journalistin und Indu-striesoziologin Mag Wompel
ber die gegenwrtige Wirk-
samkeit von Arbeitskmpfen
D erzeit kann mit demStreik der Gewerk-schaft der Lokfhrer(GDL) einer der grten und me-
dienwirksamsten Arbeitskmpfe in
der BRD der jngeren Vergangen-
heit beobachtet werden. Wie kanndieser Streik eingeschtzt werden?
Es ist eine sehr spannende und
hoch symbolische Auseinander-
setzung. Die breite Unterstt-
zung aus linken Kreisen darf
zwar nicht darber hinwegtu-
schen, dass es keinesfalls geklrt
ist, ob bzw. inwieweit die GDL
wirklich gegen die Privatisie-
rung der Bahn ist und auch
nicht, wie es um die innerge-werkschaftliche Demokratie
oder um die ffnung dieser Ge-
werkschaft der Lokfhrer fr an-
dere, weniger einflussreiche
Bahnbeschftigte steht. Ganz si-
cher ist die GDL keine linke,ge-
schweige revolutionre Gewerk-
schaft. Und dennoch verdient
sie unsere breite Untersttzung.
Lohndumping und Hunger-
lhne haben wir bereits und im-
mer mehr trotz Einheitsge-
werkschaften und Flchentarifen!
Dies scheinen auch viele Ge-
werkschaftsmitglieder so zuse-
hen,die momentan von Transnet
und verdi zur GDL wechseln.
Neben dem Bahnstreik kam es zur
bernahme eines Fahrradwerkes
durch die Belegschaft (strike-bike).
Ein Przedenzfall?
Ein Glcksfall, denn eigenpro-duzierte Opel-Autos oder AEG-
Splmaschinen htten kaum ei-
nen solchen Erfolg haben kn-nen! Ein Glcksfall auch, weil
die Besetzung und der Bau der
Strike-Bikes eine breite Debatte
innerhalb der Linken, nicht nur
in den Gewerkschaften ausgelst
haben, auch ber lngst verges-
sene geschichtliche Flle besetz-
ter Fabriken und eigenprodu-
zierter Waren.
Darber und den nicht ein-
schtzbaren Gewinn an Selbst-achtung bei den KollegInnen
hinaus hat sich nun der Fall fr
die Belegschaft leider als nicht
viel anders geartet erwiesen, als
bei Opel Bochum oder AEGNrnberg: dort hhere Abfin-
dung und Beschftigungsgesell-
schaft als Lohn des Kampfes
in Nordhausen steht die Abfin-
dung noch nicht mal fest.
Gate Gourmet und Bosch-Siemens
Hausgerte sind die Namen weite-
rer Betriebe die bestreikt wurden.
Scheint es nur so, oder erleben wir
eine neue Qualitt der Organisie-
rung?Organisierung ist ein groes
Wort, das zudem zeitliche Stabi-
litt unterstellt. Reden wir alsolieber von einer neuen Qualitt
der Arbeitskmpfe.Sie finden al-
lerdings aus der Not heraus, mit
dem Rcken zur Wand und in
groer Angst vor Hartz-IV statt.
Meist nach jahrelangen,wieder-
holten Verzichtserklrungen und
der Enttuschung heraus, dass
diese nichts gentzt haben.Und
sie finden entweder von Be-
ginn an oder irgendwann im Ver-lauf - zwangsweise an den Ge-
werkschaften vorbei statt, ent-
weder, weil ihre Verhandlungs-
knste nicht erfolgreich genug
sind oder weil sie diese Arbeits-
kmpfe wenn schon nicht ver-
hindern, so doch behindern
wollen. Dies drfte die ange-
sprochene, aufkeimende neue
Qualitt ausmachen: dass die
KollegInnen auch allein kmp-fen, wenn der Betriebsrat oder
die Gewerkschaft es nicht wol-
len.Auch dass sie anders kmp-
fen, v. a. versuchen, andere Be-
legschaften einzubeziehen. Lei-
der ist es bisher nicht gelungen,
Solidarittskmpfe, geschweige
einen Flchenbrand auszul-
sen und doch ist es weit mehr,als
die bisherigen gewerkschaftli-
chen Aktivitten, die aus Angstvor Kontrolleverlust lieber jede
Bude fr sich allein sterben las-
sen wollen.
Abgesehen von diesen expliziten
Fllen, wie kann die Entwicklung
der Arbeitskmpfe in der BRD und
vielleicht auch im benachbarten Aus-
land generell eingeschtzt werden?
Wir erleben national wie in-
ternational zunehmende Ver-
zweiflung und Wut angesichtsmassiver Entlassungen und stei-
Leider wurde bisher keinFlchenbrand ausgelst
K r i t i k e r i n und b e r -z e ug t e Km p fe r i nb e i v e r . d i undLab o u rN e t
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Wo wohnste, Neuklln? Da wurden doch
Rosa und Karl in den Kanal geschmissen,
nee, das is kein guter Ort..
So bekam ich es letztens in der Ausstadt von einem
lteren unwissenden Ausstdter zu hren.Ansonsten wre
er wohl nicht abgeneigt gewesen, mich mit seiner Karre in
den Berliner Moloch zu fahren. Frher htte er so etwas
schon mal spontan gemacht. Tja, Neuklln, mein
Wohnzimmer, Kakerlaken, Fernsehn luft, Talkshows,
wie immer. Noch vor drei Jahren von Bundesinnen-
minister Schuble zum Ghettobezirk stigmatisiert, zwi-
schenzeitlich dieses Image mit den bezahlten Steinwrfen
des Rtlipausenhofes anbiedernd, vollzieht sich doch in
letzter Zeit ein stetiger Wandel.Wenn nicht allein schon
die Benutzung des entsprechenden Wortes aus der
Stadtgeographie heutzutage fr eine Inhaftierung reichen
wrde, knnte man glatt von Gentrifikation sprechen.
Jener Prozess, der sich rumlich, mit den treffendenWorten eines Neukllner Vermieters, von Mitte ber
Prenzlberg, Friedrichshain bis nach Kreuzberg vollzogen
habe und nun auch hier ankme.Aber jetzt habe ja hier
auch eine Kneipe aufgemacht. Darber sei man sehr
glcklich.
Doch des Vermieters Glck ist meist des Mieters Pech.
Und so steigt der Mietpreis auch im Ghetto frhlich wei-
ter. Uns gefllts hier trotzdem am Besten, die Grnde
dafr aufzuzhlen wrde den Rahmen sprengen, genau-
so, wie jetzt mit dem alten Kiezgedisse wieder anzufan-
gen. Man soll sich besser solidarisieren. Zumindest mit
der Mehrheit. Und ein uerer Feind schweit ja auch
zusammen.So schliee ich mit den altbekannten Worten:Mitte? Das ist doch kein Name fr einen Bezirk!
Tante Kthe plaudert aus dem Nhkstchen
New Colonia
gender Erwerbslosigkeit und so-
mit schwindende Chancen, ei-
nen Ersatzarbeitsplatz zu finden.
Die Wut bezieht sich auf die
gleichzeitig explodierenden Ge-
winne, die angesichts der aktu-
ellen Krfteverhltnisse genauso
wenig verschwiegen werden,wie die horrenden Managerge-
hlter. Die Angst, abgehngt zu
werden angesichts der steigen-
den,zunehmend internationalen
Konkurrenz auf dem Arbeits-
markt und den sinkenden Lh-
nen, fhrt zu Kmpfen, die vor
den ersten Verzichtsrunden ht-
ten gefhrt werden mssen und
sich immer noch um die Lohn-
abhngigkeit, nicht gegen siedrehen. Dennoch sind sie alle
wichtig und erfordern breite,in-
ternationale Untersttzung.
Welche Untersttzungsmglichkei-
ten gibt es fr Sympathisanten?
Immer mehr kommt betriebs-
und gewerkschaftsexternen Un-
tersttzerInnen der Kmpfe eine
zentrale Rolle zu. In all den ge-nannten Fllen bisheriger be-
trieblicher Kmpfe auerhalb
der blichen Tarifr ituale der be-
ruflichen Stellvertreter war die
Rolle der jeweiligen Gewerk-
schaft als Untersttzer sehr klg-
lich bis bremsend.Es waren im-
mer die UntersttzerInnen/
Sympathisanten,die fr die f-
fentlichkeit dieser Kmpfe und
ihre breite, auch internationaleUntersttzung durch Solidaritt
oder Proteste an den Arbeitge-
ber gesorgt, Spenden gesam-
melt, berbetriebliche und
bergewerkschaftliche Kontak-
te organisiert und bei organisa-
torischen Fragen geholfen ha-
ben.Und schlielich:Angestell-
te eines Unternehmens drfenund die gesetzestreuen Gewerk-
schafterInnen wollen nicht die
Tore einer besetzten Fabrik
blockieren und/oder Streikbre-
cher aufhalten.Die betriebs- und
gewerkschaftsexternen Unter-
sttzerInnen knnen dies tun!
Was hltst du von der DGB-Forde-
rung nach einem gesetzlichen Min-
destlohn von 7,50 Euro pro Stunde
Natrlich ist es viel zu wenig, al-lerdings oft weit mehr, als diese
Gewerkschaften als Tariflohn ver-
edelt haben. Immerhin ist es ein
Eingestndnis,dass die eigene,ta-
rifliche Kraft nicht ausreicht.
Meines Erachtens brauchen wir
auch ein neues Arbeitszeitgesetz
tarifliche Verbesserungen sind ja
in beiden Fllen nicht ausge-
schlossen,sie erreichen aber einen
immer geringeren Teil der arbei-tenden Lohnabhngigen.
mg-Verdacht brckelt
Die drei Angeklagte im
Terrorismusverfahren
gegen die militante
gruppe (mg) sind vor-
erst frei. Am 28. No-
vember 2007 setzte der
Bundesgerichtshof dieHaftbefehle auer Voll-
zug. Die Anschuldigung,
Axel, Florian und Oliver
htten im Sommer
2007 drei Fahrzeuge
anznden wollen, bleibt
jedoch. Der Vorwurf der
Bildung einer terrori-
stischen Vereinigung
(Paragraphen 129a)
wurde auf eine krimi-nelle Vereinigung ab-
geschwcht. Bei einer
Verurteilung drohen den
Drei mehrere Jahre Haft.
einstellung.so36.net
Berliner Polizei tasert
Nach einer Meldung der
tazgeht die Testphase
der Polizei bezglich
der Benutzung der
Elektrowaffe Taser be-
reits in das siebte Jahr.
Seit dem Jahr 2000
wird erprobt, ob sich
die neue Waffentechnik
bewhrt.Der Taser ist eine pi-
stolenartige Waffe, die
statt eines Projektils
Pfeile abschiet, die ei-
nem Menschen lh-
mende Stomste ver-
setzen knnen.
Vor kurzem wurden
in Kanada binnen sechs
Wochen drei Mnner
durch den Einsatz vonTasern gettet.
G l c k s fa l l S t r i k e -B i k e , A u s l s e r f rD e b a t te n i n G e w e r k sc h a f te n u n d d er L i n k en
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nicht allein als Nahrung zu verstehen, sondern als gewisse kulturel-
le Standards wie z. B. eine Wohnung, eine Waschmaschine oder ein
Fernseher. Dinge, die der Mensch zum Leben braucht, bzw. solche
die ihm gesellschaftlich zugestanden werden.
Es waren vor allem Gewerkschaften, die historisch fr hhere
Lhne gekmpft haben und so fr eine Anhebung des gesellschaft-
lich anerkannten Lohns gesorgt haben. In Zeiten einer schwachen
Arbeiterbewegung sinkt der Lebensstandart wieder. Die Hartz IV
Gesetze sind hierfr ein gutes Bespiel. Zweifelsohne liegt schon al-
lein in diesem Aspekt die
Notwendigkeit der Exi-stenz von Gewerkschaf-
ten als auch einer Arbei-
terbewegung allgemein.
Lohnsteigerungen und
Vermehrung eines gewis-
sen persnlichen Luxus
sind Resultate von Ar-
beitskmpfen. Dennoch
kann es sich bei diesen
auch um eine affirmative Art der Politik handeln, eben dann wenn
der grundstzliche Konflikt zwischen Arbeit und Kapital negiertwird.Denn eins ist klar:die Interessen der Arbeitnehmer/innen kn-
nen nicht die Interessen der Unternehmen sein. Und das Sozial-
partnerschaftsmodell, das zu Zeiten relativen Wohlstands noch
funktioniert und gemeinsame Anliegen suggeriert haben mag, ist
sptestens im Lauf der letzten Jahre zur Farce geraten.
Wem gehrt der Mehrwert?Ein wichtiger Aspekt der Ausbeutung besteht eben in dem Um-
stand, dass der Wert der Arbeitskraft geringer ist, als der Wert, der
durch diese produziert wird.Der Mehrwert gehrt dem Kufer der
Arbeitskraft, welche zu ihrem vollen Wert bezahlt worden ist. berden Mehrwert wird der Profit realisiert, ohne Mehrwert kein Ge-
winn. Im Kapitalismus wird also Menschen ihre Arbeitskraft abge-
kauft um Profit zu erwirtschaften. Dabei spielt es keine Rolle, ob
dies im Dienstleistungssektor,in der Landwirtschaft oder in der In-
dustrie geschieht.
Zweierlei geht hieraus hervor. Zum einen, wird das Verhltnis
zwischen den Menschen zu einem Warenverhltnis, indem Men-
schen die Arbeitskraft anderer Menschen kaufen und sie fr sich
arbeiten lassen.Das bedeutet gleichzeitig eine unterschiedliche ge-
sellschaftliche und vor allem konomische Stellung der Menschen,
nmlich in Kufer und
Verkufer von Arbeits-kraft: Arbeit und Kapital.
Zum anderen zeigt sich
hier noch ein anderer
Ausbeutungsaspekt. Die-
jenigen, die den Mehr-
wert produzieren, sind
von diesem fast gnzlich
ausgeschlossen. Nicht
durch die eigene Arbeit
wird man reich, sondern durch die Arbeit anderer. Selbststndige
Handwerker knnen hiervon ein Lied singen. Dieser Umstandschliet ein solidarisches Miteinander schon fast aus, so stark sind
die damit verknpften gesellschaftlichen Zwnge.
Allein schon deshalb ist eine starke Linke so wichtig. Eine Lin-
ke die immer wieder auf ein Leben fern von Profitmaximierung,
Konkurrenz, Ausbeutung und Unterdrckung besteht und dabei
dennoch das Hier und Jetzt nicht vergisst. Arbeitskmpfe sind ein
wichtiger Bestandteil linker Politik, allerdings darf ein emanzipa-
torischer Arbeitskampf die Kritik der gesellschaftlichen Verhltnis-
se nicht vergessen. Und bei aller Realpolitik gilt es die Utopie ei-
ner freien Gesellschaft aufrecht zu erhalten, in der die freie Ent-
wicklung des Einzelnen die Bedingung der freien Entwicklung al-ler ist.
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B i tt e A n s a g e b ea c h t en ! B e i S t r e i k h e l f en a u c hk e i n e n e u en S c h n p p c h e n- S p a r -Ta r i f e d e r B a h n
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Michael Heinrich, (5. Aufl.), ISBN 3-89657-593-7, Bro-
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ten langen Werk, in Grundbegriffe der marxistischen ko-
nomie ein. Sehr bersichtlich geschrieben und absolut le-
senswert der wissen will wie der Kapitalismus funktioniert.
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herausgeben und ausfhrlich kommentiert. Dabei befreit
Kurz von Marx Theorien von etlichen historischen und
ideologischen Interpretationen.
Entfesselter Kapitalismus. Joachim Bischoff, 2003,
ISBN 3-89965-034-4, 15,95 Euro Bischoff geht der Frage
nach welche Widersprche sich im Kapitalismus entwik-
keln. Dabei nimmt er Bezug auf Theorien der FrankfurterSchule und Gramsci.
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Brennender Asphalt
Nach dem Unfalltod von
zwei migrantischen Ju-
gendlichen in einem
Vorort der franzsischen
Hauptstadt Paris, ist es
Ende November zu
mehrttigen Krawallengekommen.
Es wurden zahlreiche
Autos in Brand gesetzt,
Geschfte geplndert
und in Brand gesteckt.
Auch zwei lokale Poli-
zeiwachen wurden ab-
gebrannt. Ein Polizist
wurde mit einem
Schrotgewehr beschos-
sen. Auch seine Kollegenerffneten das Feuer.
Musik gegen Neonazis
Um den erstarkendem
Faschismus und Rassis-
mus in England etwas
entgegen zu setzten,
haben linke Aktivisten,
Gewerkschaften und
Knstler Love Music
Hate Racism ins Leben
gerufen. Mit Konzerten
und Aktionen soll auf
das Thema aufmerksam
gemacht werden.
Im November lag der
Musikzeitschrift NMEeine kostenlose CD der
Kampagne bei, die im
Internet herunter gela-
den werden kann. Mit
dabei sind neben Mano
Chao und dem Babys-
hambles Snger, Pete
Doherty, alles was in
der Club- und Popszene
eine Namen hat.
Download:lovemusi-chateracism.com
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Am 17. November 2007
gingen mehr als 50.000
Menschen in der italie-
nischen Hafenstadt Genua auf die
Strae um gegen die Anklage von
25 Demonstranten zu demonstrie-
ren. Aufgrund ihrer vermeintli-
chen Beteiligung an den Straen-
schlachten beim G8 Gipfel 2001 in
Genua sollen die Angeklagten, zu
Haftstrafen zwischen sechs und 16Jahren verurteilt werden.Den De-
monstranten,die unter Slogans wie
Die Geschichte sind wir und
Wir vergessen nicht protestier-
ten, ging es jedoch nicht nur um
die Freiheit der 25 Gipfelgegner.
Sie kritisierten, dass die Staats-
anwlte durch die Anklage mit
dem Artikel Verwstung und
Plnderung versuchen die Ge-
schichte der Proteste umzuschrei-ben.Nicht die Gewalt der Polizei,
welche die Demonstrationen an-
griff, faschistische Lieder sang, auf
den Wachen folterte und schliess-
lich Carlo Giuliani erschoss, wr-
de sich so im kollektiven Gedcht-
nis verankern, sondern die gewalt-
ttige Form, des als Reaktion er-
folgenden, massenhaften Auf-
stands.
DiskreditierenDie konkrete Anklage ist zudem
ein einziger Skandal, stammt doch
der Artikel Verwstung und Pln-
derung aus dem Faschismus und
sollte berflle militrischer Ein-
heiten auf italienische Stdte sank-
tionieren. Richtigerweise wurden
nicht einmal die oft mit Pistolen
bewaffneten Straenkmpfer der
70er Jahre mit dieser Anklagekonfrontiert.
Um den absurden Vorwurf
trotzdem aufrecht zu erhalten,hal-
luziniert die Staatsanwaltschaft
eine internationale Terrorgruppe
namens Black Bloc herbei. Die-
se soll die Stadt Genua verwstet
und in Brand gesteckt haben.Ob-
wohl weder diese Organisation,noch das Szenario jemals Wirk-
lichkeit waren und die Angeklag-
ten aus den unterschiedlichsten
Lebensrealitten kommen, wird
jedem von ihnen vorgeworfen
Mitglied in diesem Black Bloc
zu sein.
RuinierenAuch die Mitte-Links-Regierung
beteiligt sich an diesem Angriff auf
das kollektive Gedchtnis, indem
sie sich innerhalb des erinnerungs-
politischen Diskurses klar positio-
niert. Sie forderte krzlich von je-
dem der Angeklagten 100.000
Euro Entschdigung fr den
Imageverlust,den Italien wegen der
Ereignisse in der Weltffentlichkeit
erleiden musste.Dabei stand damals
hauptschlich die Brutalitt der
Ordnungskrfte im Fokus des in-
ternationalen Interesses.
DisziplinierenNeben der erinnerungspoliti-
schen Dimension hat der Pro-
zess aber auch eine disziplinie-
rende Funktion. Er stellt eine
unmiverstndliche Botschaft
an die auerparlamentarische
Bewegung dar: Widerstand ge-gen staatliche Manahmen wird
aufs Schrfste sanktioniert.Inso-
fern sind die sich in Genua Bahn
brechende Brutalitt der Beam-
ten und die nun folgende Ankla-
ge zwei Seiten der selben Me-
daille.
Dies betrifft letztendlich uns
alle, und zwar nicht nur weil die
internationale Beteiligung damals
unbertroffen gro gewesen ist.Denn sptestens seit den Ereig-
nissen rund um die Gipfelprote-
ste von Rostock,bei denen Poli-
zeigewalt und Massenverhaftun-
gen mit einer Welle von Paragra-
phen 129a Verfahren einhergin-
gen, ist deutlich geworden, dass
die Repression gegen den antika-
pitalistischen Widerstand kein lo-
kales Phnomen ist, sondern so
international wie die Bewegungselbst.
Wir vergessen nichtDie antikapitalistische Linke hierzulande ist, sechs Monate nach den Protesten gegen den
G8 Gipfel an der Ostsee, verstrkt mit Antirepressionsarbeit und dem Thema Innere Sicher-
heit beschftigt. Ein Blick ber die Alpen verrt, dass die repressiven Nachwehen eines sol-
chen Widerstandsspektakels die lokalen Zusammenhnge noch Jahre beschftigen knn-
ten
D ie B ew eg un g k eh rt z ur c k n ac h Ge nu a
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7/8
Antifa ermordet
Mitte November 2007
ist in der spanischen
Hauptstadt Madrid ein
Antifa von einem Neo-
nazi gettet worden.
Der 16jhrige Carlos Ja-
vier Palomino war mitzahlreichen Genossen
auf dem Weg zu einer
Antifa-Demo, als sie in
der U-Bahn auf eine
Gruppe Neonazis tra-
fen. Es kam zu einer
Auseinandersetzung, in
Folge derer Carlos td-
lich und ein Bekannter
schwer verletzt wurde.
In ganz Spanien so-wie in Katalonien und
im Baskenland fanden
als Reaktion Demon-
strationen statt. In
Berlin versammelten
sich rund 300 Personen
und gedachten Carlos
mit einer Spontande-
mo.
nodo50.org/antifa
Neues AIB erschienen
Seit Ende November
gibt es das aktuelle An-
tifaschistische Info-
blatt. Die Ausgabe hat
den Schwerpunkt Bun-
deswehr und (Nicht)-
Aufarbeitung mit der
NS-Geschichte. Die An-
tifaschistische Linke
Berlin liefert einenGastbeitrag zu antifa-
schistischen Stratgien
und Hans Coppie zieht
Resum aus 60 Jahren
VVN/BdA. Elias Bierdel,
Vorsitzender der Cap
Anamur schreibt in ei-
nem Gastbeitrag ber
Europas grtes Mas-
sengrab, das Meer
zwischen Afrika undEuropa.
Die in Deutschland vor
allem unter dem Na-men Graue Wlfe be-
kannte Bewegung wurde 1968
unter dem Namen lkc Gen-
lik (Idealistische Jugend), als pa-
ramilitrische Jugendorganisation
der Partei der nationalistischen
Bewegung (MHP), gegrndet.
Ihre Geschichte ist untrennbar mit
der ihres obersten Fhrers Alpars-
lan Trkes verbunden.Der inzwi-
schen verstorbene, ehemalige Of-fizier und rechte Putschist wird
von den trkischen Ultra-Natio-
nalisten noch heute mystisch ver-
ehrt.
Rechtsextreme IdeologieIhre ideologischen Ursprnge sind
der Panturkismus und der Islam.
Erstgenannter ist die Bewegung
fr ein trkisches Weltreich, dass
sich ber den Balkan bis nachChina erstrecken soll. Dem Pant-
urkismus,dem der Islam ursprng-
lich fremd war, liegt ein oft vl-
kisch, machmal auch kulturali-
stisch begrndeter Nationalismus
zu Grunde. Mit ihm einher geht,
neben dem Autoritarismus,vor al-
lem die rassistische Diskriminie-
rung nicht-trkischer Minderhei-
ten.
Durch die von Trkes vorge-nommene Integration des Islam,
als einen vermeintlich untrennba-
ren, kulturellen Aspekt des Tr-
kentums, bildete sich die heutige
Weltanschauung der Grauen Wl-
fe in den 70er Jahren heraus.
Zu den ihren Grundlagen ge-
hren, neben bereits erwhntem,
auch die Diskriminierung religi-
ser Minderheiten, der Antikom-
munismus, Antiliberalismus undAntisemitismus, sowie die Ableh-
nung von Demokratie und Plura-
lismus. Es muss bei den Grauen
Wlfen also zweifelsohne von ei-
ner rechtsextremen Bewegung
gesprochen werden. Dies wurde
nicht zuletzt durch die politischePraxis bis Anfang der 80er Jahre
klar.
Verhltnis zur GewaltVorwiegend in der Trkei bten
die Grauen Wlfe damals un-
zhlige Attentate und Massaker
gegen Kommunisten und religi-
se,sowie nicht-trkische Minder-
heiten aus. Sie hatten nach etwa
zehn Jahren mehrere tausendMenschen auf dem Gewissen.
In den folgenden Jahren ging
das Morden auf einem niedrige-ren Niveau weiter, und zwar
nicht nur in der Trkei. In
Deutschland, wo die Grauen
Wlfe bis 1993 regelmig ge-
waltttige Aktionen verbten,
finden sie heutzutage besonders
bei Jugendlichen zuspruch, die
von gesellschaftlicher Partizipati-
on ausgeschlossen werden. Zum
Teil seit Jahren in Deutschland
lebend oder hier geboren undnoch immer als Fremde behan-
delt und ausgegrenzt, gibt ihnen
ihr agressiver Nationalismus das
Gefhl zu einem starken Kollek-
tiv zu gehren.
Wolf im SchafspelzDie sich in den letzten Jahren mo-
derater gebenden Ultra-Nationa-
listen rekrutieren ihren Nach-
wuchs in eigenen Moscheen,Sport- und Kulturvereinen. Dort
werden ihnen nicht nur Freizeit-
angebote gemacht, sondern auch
die Ideen der Grauen Wlfe nher
gebracht.In Berlin-Kreuzberg ste-
hen dafr exemplarisch die Mo-
scheen der Trkischen Fderation.
Doch auch diverse Kultur-, oder
Sportvereine wie der BSV Hr-
trkel e.V. sind zur kreuzberger
Infrastruktur der Rechtsextremenzu zhlen.
Die einleitend erwhnte, mas-
senhafte,kurdenfeindliche Gewalt
zeigt was fr Frchte diese Art
von Kulturarbeit trgt.Nicht um-
sonst waren unter den Angreifern
immer wieder die MHP-Symbo-
le zu sehen. Seien es der
Bozkurt, also der Graue Wolf
oder die drei Halbmonde auf ro-
tem Grund zeigende,osmanischeKriegsflagge.
In Berlin kam es am letzten Oktoberwochenende zu massenhaften, kurdenfeindlichen An-
griffen. Verantwortlich hierfr war vor allem eine trkisch-nationalistische Bewegung, von
der hierzulande schon lange nichts mehr zu hren war
Die Wlfe heulen wieder
0 7 / / / A n t i b e r l i n e r 1 5 / 2 0 0 7
Graue W l fe ,
Jugendorgan i sa t iond e r M H P, b es t i mm e ni n d e r T r ke i g a nz eS t raenzge undV ie r te l . Fo to :I s t anb u l , 2 0 0 7
8/9/2019 Antiberliner 15
8/8
Kriegssthetik
US-amerikanische Mili-
trstrategen sprechen
von einem Theater of
War und rcken den
Krieg damit in die Nhe
einer Inszenierung. Tat-
schlich werden mo-derne Kriege zusehends
unsichtbarer. Der Vor-
trag untersucht die In-
szenierung der Unsicht-
barkeit des Krieges.
Hans-Joachim Len-
ger, Unsichtbarkeit. Zur
An-sthetik des Krie-
ges, 7. Januar
Anatomie der FolterDer Vortrag untersucht
Abu Ghraib jenseits der
bekannten Bilder und
stellt weiter das politi-
sche System dar, das
solche Ereignisse er-
mglicht.
Carolin Emcke, Ana-
tomie der Folter jen-
seits der medialen und
politischen Inszenie-rung, 22. Januar
SchocksituationenIm Vortrag sollen die
Phnomene diskutiert
werden, die ber das
Fallbeispiel Kolumbien
hinausweisen: Die Irre-
gularisierung und Pri-
vatisierung von Kriegen
sowie die Bedeutunggesellschaftlicher
Schocksituationen.
Raul Zelik, Informel-
ler Ausnahmezustand in
Kolumbien, 4. Februar
Alle Veranstaltungen
beginnen um 19.30
Uhr, Kulturhaus Mitte,
August Str. 21, mehr
unter Informationen:www.jourfixe.net
0 8 / / / A n t i b e r l i n e r 1 5 / 2 0 0 7
Erna tagespolitisch: B ah n v e r sa gt a uf g an ze r Li ni e
Obrint Pas, was soviel be-
deutet wie einen Weg ff-
nen, verpacken ihre politi-
schen Botschaften in lyri-schen Texten. Der Antiberli-
ner sprach mit ihrem Front-
mann Xavi Sarri
Ihr seid eine politische Bandund erfolgreich mit eurenSka- und Punkliedern.Wasthematisiert ihr in euren Texten?
Die Texte thematisieren vor al-
lem die Probleme, die uns als
junge Menschen berhren,undall das was uns sonst noch be-
schftigt.Wir sagen immer, dass
wir ber unsere Gefhle reden,
unsere Gefhle als Individuen,
aber ebenso ber unsere Gefh-
le,die mit dem Wunsch verbun-
den sind die Sachen zu vern-
dern, dem Bedrfnis Alternati-
ven zu dem aufzubauen was der-
zeit existiert.
Ihr engagiert euch bei verschiedenensozialen und politischen Aktionen.
Dieses Jahr habt ihr u. a. in Ro-
stock bei dem Move against G8
gespielt.
Wir treten bereits seit mehreren
Jahren immer wieder in
Deutschland auf, dadurch sind
verschiedene politische Kontak-
te entstanden. Auf einem so
groen Festival wie in Rostock
aufzutreten, wo so viele politi-sche Aktivisten sind, ist fr uns
sehr wichtig. Wir haben uns
schon immer mit der Antiglo-
balisierungsbewegung verbun-
den gefhlt.
Wie siehst du die derzeitige Re-pression gegen die baskische Linke?
Dazu muss man wissen, dass es
vom spanischen Staat aus schon
immer eine starke nationalisti-
sche Dynamik gegeben hat.Das
heit nichts anderes,als dass der
Staat sehr an der territorialen
Einheit des Landes festgehalten
hat und nach wie vor festhlt.
Die Wurzeln dieser Ideologie
stammen vor allem aus der Zeitdes franquistischen Falange,die
die Einheit Spaniens als zentra-
len Punkt behandelt hat. Das
Militr und der Knig sind bis
heute der Garant fr die Einheit
des Landes. Deswegen wird je-
der Versuch unterschiedliche
Kulturen innerhalb des spani-
schen Staates zu verteidigen mit
einer groen Repression ber-
zogen. Der letzte groe Schlagwar gegen die baskische Bewe-
gung.Allerdings wird hier nicht
nur mehr der bewaffnete
Kampf einer starken Repressi-
on unterworfen, sondern auch
der politische.
Also hat sich unter der neuen so-
zialdemokratischen Regierung von
Zapatero in den letzten drei Jah-ren gar nichts verndert?
Es gab am Anfang die Hoff-
nung,dass sich etwas verndern
wrde.Zapatero hatte verspro-
chen, dass nun eine Politik er-
folgen wrde, die weniger na-
tionalistisch, sondern sozialer
sein sollte. Natrlich hat es ei-
nige kleine soziale Verbesserun-
gen gegeben, aber die Rechte
in Spanien hat sehr viel Druckaufgebaut. Als Zapatero zum
Beispiel die homosexuelle Ehe
gesetzlich durchgesetzt hat, ist
die rechtskonservative PP auf
die Strasse gegangen und hat
dort Grodemonstrationen mit
50.000 bis 100.000 Personen
gegen dieses Gesetz durchge-
fhrt. Und das Schlimme ist,
dass die Rechte in Spanien
nicht wie in anderen europi-schen Lndern in der ffent-
lichkeit delegitimiert wird. Es
ist hier etwas ganz normales,
wenn hier die Massen gegen
Homosexualitt auf die Strae
gehen.
Der ganze Druck der Rechten
hat auf die Politik von Zapate-
ro Einfluss genommen und ent-
sprechend ist diese heute natio-
nalistischer, patriotischer undrepressiver als am Anfang.
Die Repression hatwieder zugenommen
X a v i S a r r i