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Andreas Hofers Briefe und Schreiben Alte Hüte oder neue Chancen? ANDREAS OBERHOFER 1. Andreas Hofer und die Briefkultur Zahlreiche Herrscher, aber auch Gelehrte und Kaufleute ließen sich im ausgehenden Mittelalter 1 und während der Frühen Neuzeit mit Geschäftsakten oder gar Briefen dar- stellen, schreibend oder lesend, empfangend oder sendend. 2 Der Sandwirt und „Ober- kommandant“ der Tiroler Aufständischen im Jahr 1809, Andreas Hofer (1767–1810), tritt in der bildenden Kunst ebenfalls als Briefeschreiber bzw. -leser in Erscheinung. Allerdings sind die Porträts, die ihn als Korrespondenten zeigen, nicht auf seinen Wunsch hin entstanden, sondern erst lange nach seinem Tod. Die Darstellung „Andreas Hofer in der Hofburg“ (1879) von Franz von Defregger (1832–1921) führt beispiels- weise vor Augen, wie Hofer ein kaiserliches Schreiben in Empfang nimmt, das ihm von der Verleihung einer goldenen Ehrenkette sowie 3.000 Dukaten berichtet. Der Sandwirt beäugt das ihm vom Boten gereichte Dokument skeptisch, am Rokoko-Tischchen sitzt ein älterer Herr mit Schreibfeder in der Rechten, Hofer stützt sich mit dem Unter- arm auf die auf dem Tisch liegenden Papiere. Das 15 Jahre später (1894) entstandene Gemälde „Tiroler Helden“, ebenfalls von Defregger, zeigt Andreas Hofer, der nicht mit dem Schreiben befasst ist – diese Tätigkeit überlässt er seinem „Sekretär“ Kajetan Sweth, der mit der Feder in der Hand am Tisch sitzt. Der Sandwirt selbst ist der Schriftlich- keit enthoben. Auch der Lesende, d. h. jener, der das Schreiben aktiv perzipiert, ist nicht Hofer, sondern in diesem Fall der Geistliche, P. Joachim Haspinger. Hofer steht in heroischer Pose mit entschlossenem Ausdruck im Zentrum der Darstellung, seine rechte Hand liegt demonstrativ auf dem Schriftgut und ruft die Redewendungen „seine Hand auf Allem haben“ oder „alles im Griff haben“ in Erinnerung. In einem weiteren Gemälde – entstanden im Jahr 1909 und heute in Privatbesitz – drückt Defregger Hofer einen Brief oder zumindest ein Schriftstück geradezu in die Hand. Offensichtlich wollte der Künstler suggerieren, dass der Sandwirt Anteil an der bürgerlichen Briefkultur, die sich seit dem beginnenden 19. Jahrhundert zu etablieren begann, gehabt hätte. Während im Lauf der Neuzeit in der bildenden und darstellenden Kunst eigenhän- dig schreibende Monarchen häufiger auftraten und Feder und Tinte mehr und mehr Rüstung und Schwert als Insignien der Macht verdrängten 3 , war es für einen Tiroler Bauern, Händler und Wirt auch noch am Ende des 18. Jahrhunderts gänzlich unüblich, sich als Schreiber porträtieren zu lassen. Die spätere Rezeption Andreas Hofers legte erst recht keinen Wert darauf, den Sandwirt in der Pose eines Intellektuellen zu zei- gen. Allein die Gemälde Defreggers versetzen die Gruppe der Tiroler „Helden“ in die 1 Vgl. ANTENHOFER/MÜLLER, Einführung, S. 9–11. 2 Vgl. NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 147. 3 Ebd., S. 149f.
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Andreas Hofers Briefe und Schreiben: Alte Hüte oder neue Chancen?

Mar 06, 2023

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Erich Kistler
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Page 1: Andreas Hofers Briefe und Schreiben: Alte Hüte oder neue Chancen?

Andreas Hofers Briefe und SchreibenAlte Hüte oder neue Chancen?

ANDREAS OBERHOFER

1. Andreas Hofer und die Briefkultur

Zahlreiche Herrscher, aber auch Gelehrte und Kaufleute ließen sich im ausgehenden Mittelalter1 und während der Frühen Neuzeit mit Geschäftsakten oder gar Briefen dar-stellen, schreibend oder lesend, empfangend oder sendend.2 Der Sandwirt und „Ober-kommandant“ der Tiroler Aufständischen im Jahr 1809, Andreas Hofer (1767–1810), tritt in der bildenden Kunst ebenfalls als Briefeschreiber bzw. -leser in Erscheinung. Allerdings sind die Porträts, die ihn als Korrespondenten zeigen, nicht auf seinen Wunsch hin entstanden, sondern erst lange nach seinem Tod. Die Darstellung „Andreas Hofer in der Hofburg“ (1879) von Franz von Defregger (1832–1921) führt beispiels-weise vor Augen, wie Hofer ein kaiserliches Schreiben in Empfang nimmt, das ihm von der Verleihung einer goldenen Ehrenkette sowie 3.000 Dukaten berichtet. Der Sandwirt beäugt das ihm vom Boten gereichte Dokument skeptisch, am Rokoko-Tischchen sitzt ein älterer Herr mit Schreibfeder in der Rechten, Hofer stützt sich mit dem Unter-arm auf die auf dem Tisch liegenden Papiere. Das 15 Jahre später (1894) entstandene Gemälde „Tiroler Helden“, ebenfalls von Defregger, zeigt Andreas Hofer, der nicht mit dem Schreiben befasst ist – diese Tätigkeit überlässt er seinem „Sekretär“ Kajetan Sweth, der mit der Feder in der Hand am Tisch sitzt. Der Sandwirt selbst ist der Schriftlich-keit enthoben. Auch der Lesende, d. h. jener, der das Schreiben aktiv perzipiert, ist nicht Hofer, sondern in diesem Fall der Geistliche, P. Joachim Haspinger. Hofer steht in heroischer Pose mit entschlossenem Ausdruck im Zentrum der Darstellung, seine rechte Hand liegt demonstrativ auf dem Schriftgut und ruft die Redewendungen „seine Hand auf Allem haben“ oder „alles im Griff haben“ in Erinnerung. In einem weiteren Gemälde – entstanden im Jahr 1909 und heute in Privatbesitz – drückt Defregger Hofer einen Brief oder zumindest ein Schriftstück geradezu in die Hand. Offensichtlich wollte der Künstler suggerieren, dass der Sandwirt Anteil an der bürgerlichen Briefkultur, die sich seit dem beginnenden 19. Jahrhundert zu etablieren begann, gehabt hätte.

Während im Lauf der Neuzeit in der bildenden und darstellenden Kunst eigenhän-dig schreibende Monarchen häufiger auftraten und Feder und Tinte mehr und mehr Rüstung und Schwert als Insignien der Macht verdrängten3, war es für einen Tiroler Bauern, Händler und Wirt auch noch am Ende des 18. Jahrhunderts gänzlich unüblich, sich als Schreiber porträtieren zu lassen. Die spätere Rezeption Andreas Hofers legte erst recht keinen Wert darauf, den Sandwirt in der Pose eines Intellektuellen zu zei-gen. Allein die Gemälde Defreggers versetzen die Gruppe der Tiroler „Helden“ in die

1 Vgl. ANTENHOFER/MÜLLER, Einführung, S. 9–11.2 Vgl. NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 147.3 Ebd., S. 149f.

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Schreibstube und zeigen sie in den genannten Fällen nicht im freien Gelände mit der expliziten Thematisierung des Kriegsgeschehens, wie dies beispielsweise Albin Egger-Lienz (1868–1926) bevorzugt tat.4

Lassen wir die bildlichen Quellen mit ihrer Umsetzung einer vermuteten histori-schen Wirklichkeit aus dem Blickwinkel des romantisierenden Künstlers im ausgehen-den 19. und beginnenden 20. Jahrhundert beiseite und wenden uns den schriftlichen Quellen zu – entsprechend dem Untertitel des Aufsatzes „Alte Hüte oder neue Chan-cen?“ oder besser: „Alte Hüte und neue Chancen“. Im Folgenden geht es um die Frage, wie (schriftliche) Kommunikation im Rahmen des Aufstandes von 1809 funktioniert hat. Auf der Basis der Edition der Briefe und Schreiben Andreas Hofers bzw. aus der „Kanzlei“ der Tiroler „Landesverteidigung“ von 18095 wird skizziert, wer in den Kom-munikationsprozess eingebunden war, aus welchen Gründen geschrieben wurde und wie sich Sprachen und Wege der Kommunikation darstellten.

2. Zur Bedeutung der Quellen

Die bäuerlich-ländliche Bevölkerung des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahr-hunderts hat in die Schriftlichkeit wenig Eingang gefunden. Das Schreiben von Tagebü-chern, Briefen und Memoiren, Gedichten und Liedern beschränkte sich weitestgehend auf bürgerliche, adelige und geistliche Schichten. Dies hängt mit mangelnder Schulbil-dung zusammen, diese wiederum mit der fehlenden Notwendigkeit der Alphabetisie-rung. Trotz der wenig überraschenden Überlieferungssituation über den Bauern, Wirt und Händler Andreas Hofer stellt dieser aber doch – in zweierlei Hinsicht – einen Son-derfall dar: Einerseits hat die Mehrgleisigkeit seiner gewerblichen Tätigkeit einen gewis-sen Zwang zur Schriftlichkeit mit sich gebracht. Die Schriftlichkeit Hofers diente vor „Anno neun“ allerdings mehr oder weniger nur einer sehr rudimentären internen Buch-haltung über die Gastwirtschaft, den Wein-, Pferde- und Viehhandel. Im Zuge des Tiro-ler Aufstandes gegen die bayerische Regierung im Jahr 1809 geriet Andreas Hofer ande-rerseits in eine Position, die ihn zu einer noch viel stärker ausgeprägten Schriftlichkeit zwang: Durch die besonderen Umstände, die ihn zunächst zum Schützenhauptmann, dann zum Oberkommandanten im südlichen Tirol und schließlich des ganzen Landes haben werden lassen, war der Sandwirt gezwungen, an einer bald unüberschaubaren Verwaltungstätigkeit teilzuhaben, die er einerseits auf Schreibkräfte, andererseits auf die am 23. August 1809 eingesetzte zentralisierte Oberbehörde, die „Provisorische General-Landes-Administration“, abwälzte. In Zeiten aber, wo Hofer allein war, war er es, der „Kanzlei“-Angelegenheiten besorgte bzw. besorgen musste. Aufgrund eines besonderen „Lebensereignisses“6 also ist die Schriftlichkeit eines aus heutiger Warte gering, vom damaligen Standpunkt aus aber überdurchschnittlich gebildeten Mannes aus dem länd-lich-bäuerlichen Umfeld des Passeiertales im heutigen Südtirol geradezu explodiert: Von einem Corpus an Briefen, Schreiben, Laufzetteln und Notizen, welche die Unterschrift des Sandwirts tragen, stammen mehr als 90 Prozent aus dem Jahr 1809.

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4 Vgl. AMMANN/FORCHER, 1809.5 OBERHOFER, Weltbild.6 Vgl. HOERNIG, Lebensereignisse, S. 233, 237.

ANDREAS OBERHOFER

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Andreas Hofer stellt somit für die Analyse der Schriftlichkeit der bäuerlich-länd-lichen Bevölkerung Tirols an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert einen Glücksfall dar. Er zählte zwar zur großen Gruppe von Menschen des Ancien Régime, die „sehr selten freiwillig über sich Auskunft gaben“7, weshalb es auch in seinem Fall notwen-dig ist, die nicht vorhandenen „klassischen“ Selbstzeugnisse (Tagebücher, Memoiren, Autobiographien) durch andere „Ego-Dokumente“ zu ersetzen8, was aber aufgrund der beeindruckenden zufälligen Überlieferung von Geschäfts- und Verwaltungsschriftgut aus der Zeit vor 1809 und aus dem Jahr des Tiroler Aufstandes selbst sehr gut möglich ist.

Die Briefe und Schreiben des Sandwirts aus dem Jahr 1809 bieten eine wertvolle Quellenbasis für Fragestellungen, deren Dimension über die bloße Ereignisgeschichte weit hinausgeht. Sie erlauben einen Einblick in die Beweggründe der Tiroler/innen, Haus und Hof im Stich zu lassen und die Waffen zu ergreifen. Sie öffnen ein Fenster in die Vergangenheit und beleuchten Mentalität, Denkweise, wirtschaftliche, religiöse, sittliche und moralische „Weltbilder“ – im konkreten Fall eines Bauern und Wirts, der für wenige Monate in das Licht der „großen“ Geschichte eintauchen konnte.

3. Träger der Schriftlichkeit

Die von Andreas Hofer selbst und von seiner „Kanzlei“, d. h. von den verschiedenen Schreibkräften – wie auch immer sie zu bezeichnen sind9 – verfassten Sendschreiben stellen gerade für das „politische“ Handeln des Sandwirts eine wichtige Quelle dar. Hofer kann als besonders gut greifbarer Exponent jener Gruppe betrachtet werden, die im Wesentlichen den Aufstand von 1809 anführte, d. h. eines Kollektivs bestehend vor allem aus Wirten, Händlern, Geistlichen, Beamten, Bergknappen und Studenten, die aus der „breiten Masse“ der vor allem agrarisch und gewerblich orientierten Gesellschaft Tirols im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert herausragten. Gerade diese „Elite“ stellte sich wie Hofer an die Spitze der Schützen, des Landsturms und einer mehr schlecht als recht funktionierenden „Landesregierung“. Gerade in der Rolle Hofers als „Prototyp“ des „Landesverteidigers“ ist ein wertvoller Aspekt in Hinblick auf die Briefe und Schreiben zu sehen: Sie erlauben aufgrund der Tatsache, dass die Abfassung zahl-reicher Texte, die des Sandwirts Unterschrift tragen, vermutlich von unterschiedlichen Interessengruppen in Hofers Umfeld beeinflusst wurde, verschiedene Standpunkte sichtbar zu machen. Eine Personengruppe tritt in Erscheinung, die zwar prinzipiell die Meinung des „Oberkommandanten“ zu Papier zu bringen hatte, sich aber selbständig in verschiedenen Facetten der übermittelten Botschaften einbringen konnte.

Die Dokumente aus Andreas Hofers „Kanzlei“ stammen überwiegend von einer engen Gruppe, die sich ziemlich genau eingrenzen lässt. Sie rekrutierte sich aus dem akademischen Milieu (Kajetan Sweth, Matthias von Lama/Delama), dem niederen Beamtentum (Matthias Purtscher) sowie der ländlich-bäuerlichen (Andreas Hofer

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7 SCHULZE, Schlußbemerkungen, S. 345.8 Ebd.9 Zu den Begriffsdefinitionen vgl. OBERHOFER, Ennemoser, S. 84–86.

Andreas Hofers Briefe und Schreiben

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selbst, Johann Holzknecht, Josef Glatzl etc.) und bürgerlichen Schicht (Martin Rochus Teimer). Die Beteiligung von Geistlichen an der Ausfertigung von Schreiben konnte bis dato durch Handschriftenvergleich nicht eindeutig nachgewiesen werden, sie liegt aber – wie noch zu zeigen sein wird – nahe.

Die „klassischen“ Schreibkräfte, die Beamten, vor allem die Vertreter der Land- und Stadtgerichte, spielten während des Aufstandes zum Teil weiterhin eine tragende Rolle in der Administration und Schriftlichkeit. Aus dem dezentralen Aktenverkehr (d. h. jenem außerhalb der „Kanzlei“ der „Landesverteidiger“) resultierende Dokumente wur-den von professionellen Schreibern, sprich von Repräsentanten einer ländlichen und städtischen Bildungsschicht, verfasst. Lokale Richter und Gerichtsanwälte waren neben den Schützenkommandanten, welche wiederum nicht selten auch Wirte und Postmeis-ter waren, die wichtigsten Kommunikationspartner und zugleich die Führungsschicht des Aufstandes. Vor allem mit dem Richter Andreas Auer und dem Gerichtsanwalt Josef Gufler im Passeiertal, aber auch etwa mit den Obrigkeiten der verschiedener Städte pflegte Andreas Hofer einen regen Briefverkehr.

Auch wenn wir somit von einem Personenkollektiv ausgehen, welches die Insurrek-tion (unter anderem) über das Mittel der schriftlichen Kommunikation aus dem meist mobilen, im Spätsommer und Herbst 1809 aber bleibenden „Hauptquartier“10 diri-gierte, so ist doch zu bedenken, dass diese Personengruppe keineswegs als pars pro toto für die Tiroler Bevölkerung gelten kann. Es gibt, sowohl die Schriftlichkeit als auch die Mentalität betreffend, wesentliche Unterschiede zwischen verschiedenen Ständen und sozialen Schichten, Stadt- und Landbevölkerung, Sprachgruppen und Geschlechtern.

4. Medien der Kommunikation

Die schriftliche Hinterlassenschaft Andreas Hofers aus dem Jahr 1809 umfasst nicht nur Briefe im engeren Sinn des Wortes, sondern eben auch „Schreiben“, ein Oberbegriff, der für die oben genannte, 2008 erschienene Volledition der schriftlichen gewählt wurde, um die verschiedenen Quellengattungen, die genauso wenig unter dem Begriff des Autographs zusammengefasst werden können, angemessen zu umschreiben.

Die Briefe und Schreiben des Sandwirts galten in der Tiroler landeskundlichen For-schung stets als wertvolle Quelle, die etwa herangezogen wurde, um taktische Über-legungen des „Oberkommandanten“, seine Motive, vielleicht gar seinen Charakter, oder prinzipiell den Verlauf des Aufstandes herauszuarbeiten. Allerdings beschränkten sich derartige Versuche zumeist auf eine schmale Basis von bekannten Stücken. Die der Publikation als „würdig“ erachteten Schreiben von Hofer selbst oder aus seiner „Kanz-lei“ waren zudem stets besonders ausdrucksstarke Texte, die wie Rosinen aus einem großen Kuchen herausgepickt wurden. Als Beispiel sei nur der letzte Brief aus Mantua genannt, der „Abschiedsbrief“ Hofers, dat. 1810 Februar 20, mit dem berühmten und plakativen Schlusssatz: Ade mein schnede welt, so leicht khombt mir das sterben vor, das

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10 Hofer betont in einem Schreiben an die Oberinntaler, dat. 1809 August 14: „[…] denket nicht, daß ich nicht in Euer Mitte bin, ich muß mich immer in der Mitte halten, um allenthalben im kürzigsten Weege dem Report zu erhalten.“ Vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 221 (S. 276f.).

ANDREAS OBERHOFER

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mir nit die augen nasß werden […].11 Zwar gibt es immer wieder Vermutungen über die Beweggründe für diese und ähnliche Aussagen, sie haben aber bis dato kaum zu einer befriedigenden Deutung geführt. In der strukturellen Analyse einer derartigen „spannenden“ Passage, in die vielleicht zuweilen auch zuviel hineininterpretiert wird, zeigt sich, dass die überlieferten Texte wertvolle, über die bloße Sachinformation hinaus-gehende, Hinweise auf sprachliche Ausdrucksformen bieten können, welche typisch für die schriftliche Kommunikation der Zeit um 1800 sind. Allerdings ist hierbei Vorsicht geboten, da der Brief – für einen Teil der untersuchten Schriftstücke ist die Bezeichnung „Brief“ sicher zutreffend – nicht vorbehaltlos als Beschreibung von Tatsachen aufge-fasst werden darf: Er neigt dazu, gegebene Situationen, aber auch und gerade mentale Befindlichkeiten, Gedankengänge oder Gesinnungen der Schreibenden nicht authen-tisch abzubilden.12 Er stellt niemals den unmittelbaren Ausdruck einer Person dar, son-dern ist prinzipiell eine konstruierte Textsorte.13 Der Brief ist deshalb zwar bedingt als „Ego-Dokument“, nicht aber ohne größere methodische Probleme als „Selbstzeugnis“ zu bezeichnen: Briefe können, müssen aber keine Selbstzeugnisse sein.14

Als Briefe im engeren Sinn werden nur Schriftstücke bezeichnet, „die eine persön-liche, private Mitteilung des Absenders an den entsprechend als Privatperson angespro-chenen Empfänger zum Inhalt haben.“15 Als Beispiel hierfür kann der bereits erwähnte „Abschiedsbrief“ Hofers angeführt werden. Laut Definition, wonach das entscheidende Kennzeichen des Briefes „der persönliche, von amtlichen oder geschäftlichen Befugnissen unabhängige Charakter der Beziehungen zwischen Absender und Empfänger“16 sei, fällt somit nur ein Bruchteil der in die Edition aufgenommenen Schreiben – sofern es sich dabei nicht überhaupt um „interne“, d. h. zur eigenen Erinnerung dienende Aufzeich-nungen handelt – in diese Kategorie. Vor allem die amtlichen Aussendungen aus Hofers Tätigkeit als Oberkommandant und „Landesregent“ sind vielmehr dem aus dem Akten-wesen hervorgehenden Geschäftsschriftgut zuzuordnen. Der Bestand der Edition besteht somit aus Briefen im engeren Sinn (Privatbriefe über Angelegenheiten der persönlichen, intimen Sphäre) einerseits sowie Urkunden (in Briefform) und Akten („Geschäftsbriefe“) andererseits. Die gedruckten Proklamationen stellen eine Sonderform dar, die am ehesten dem „offenen Brief“ nahesteht bzw. aus diesem hervorgegangen ist.

Ein Großteil der Schreiben von 1809 wurde gemäß den Kanzleigepflogenheiten als Akten behandelt, d. h. sie tragen die typischen Aktenvermerke (praesentatum, expedi-tum, copia, in fidem copiae, etc.) und flossen demgemäß – im Gegensatz zu „Briefsamm-lungen“ in Bibliotheken – in Archivbestände ein.

Die Vorgaben für das Verfassen sowohl eines eigentlichen Briefes als auch eines Handschreibens sahen im Allgemeinen die Gliederung in die „partes“ Gruß (Anrede), Exordium (Begründung), evtl. Captatio Benevolentiae (Bitte um Gunst), Narratio, Peti-tio und Conclusio vor. In Hofers und dessen Schreiber schriftlicher Rhetorik aber spie-gelt sich die ganze Palette vom nach formalen Kriterien einwandfreien Schreiben an den

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11 Vgl. Edition ebd., Nr. 674 (S. 612f.).12 ANTENHOFER/MÜLLER, Einführung, S. 21.13 ANTENHOFER, Brief als Medium.14 ANTENHOFER/MÜLLER, Einführung, S. 21.15 SCHMID, Briefe, S. 111.16 Ebd.

Andreas Hofers Briefe und Schreiben

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Kaiser bis zum in Aufwand, Form und Aussage auf das Wesentliche reduzierten Billet, etwa mit dem allein aus Anweisung (Petitio) und Unterschrift bestehenden Text:

die Jber Plibenen Paderonen sein den Herrn Joseph gogl ab zu göbenAndere Hofer100 Päckhtlen khenet es khalten.17

Derartige Vereinfachungen können sich eventuell aus Zeitmangel ergeben haben, ande-rerseits entsprechen sie aber der Kürze und Prägnanz, die auch für Hofers mündliche Instruktionen charakteristisch waren und die besondere Effektivität der sogenannten „Laufzettel“ bei den „Landesverteidigern“ garantierte.

Als weitere Kriterien zur Beschreibung der Quellen seien noch zwei Begriffe einge-führt: jener des Autographen und jener der Fälschung. Wir haben es bei Hofers Schrei-ben nur zum Teil mit Autographen im engeren Sinne zu tun, d. h. mit Texten, die vom Sandwirt nicht nur unterzeichnet, sondern auch konzipiert bzw. erdacht wurden. Da das Autograph als „eigenhändige oder doch autorisierte, nämlich unter Aufsicht oder auf Veranlassung des Autors zustande gekommene“18 Niederschrift definiert ist, ist es im Gegensatz zu Hofers Schriftlichkeit vor 1809 in Bezug auf den Großteil der überlieferten Schreiben von 1809 eher angebracht, von „Autogrammen“ als eigenhän-dig unterschriebenen (vollzogenen) Schriftstücken zu sprechen19, da vor allem Matthias Purtscher (1777–1846) großteils selbständig geschrieben und die Texte Hofer nur zur Unterschrift vorgelegt hat.

Andererseits verleihen die Postskripte, die zur eindringlichen Betonung des Inhalts eines Schreibens dienen bzw. gegenüber dem Rezipienten die Nähe des Absenders zum Ausdruck bringen, als eigenhändige Wörter bzw. Zeichen den entsprechenden Schrei-ben den Charakter von Autographen. Dem gegenüber kann ein Text als Autograph betrachtet werden, der zwar keine Unterschrift aufweist und anonym ist, aus dem sich aber das Konzept bzw. Diktat des Ausstellers herauslesen lässt.

Eine gattungstypische Zuordnung ist – zumindest was den Brief an sich betrifft – also nicht sinnvoll. Die Frage nach dem Quellenwert der Briefe und Schreiben Hofers als „Ego-Dokumente“ und „Selbstzeugnisse“ ist ebenfalls weit komplizierter als dies auf den ersten Blick scheinen mag. Aufgrund des teilweise selbständigen Wirkens der Schreiber und Adjutanten, namentlich Matthias Purtschers, des wichtigsten Schreibers Andreas Hofers im Spätsommer und Herbst 1809, könnte sowohl den gedruckten Pro-klamationen aus Hofers „Kanzlei“ als auch nicht wenigen handschriftlichen Anordnun-gen, Befehlen und Sendschreiben die Kategorisierung als „Ego-Dokumente“ und/oder „Selbstzeugnisse“ abgesprochen werden. Purtscher hat nach eigener Aussage zahlreiche Texte völlig selbstständig verfasst und sie Hofer nur zur Unterschrift vorgelegt; die Ver-mutung dass einige dieser Schreiben durch den eigenen Antrieb des Schreibers aufgrund der von ihm erkannten Notwendigkeit verfasst wurden, andere hingegen im Auftrag des „Oberkommandanten“, macht die Angelegenheit noch diffiziler.

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17 Autograph o. O., o. D. Vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 678 (S. 617).18 MEISNER, Archivalienkunde, S. 29.19 Ebd.

ANDREAS OBERHOFER

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Eindeutig ist die Situation bei den am ehesten als tatsächliche Autographen zu bezeichnenden, d. h. den von Hofer konzipierten und durchgängig eigenhändigen Schreiben. Es handelt sich dabei im konkreten Fall um in der Regel aus dem Akten-kontext gerissene Einzelschriftstücke.20 Umfängliche Autographen geben „individuelle“ Verhaltensstrukturen und Denkprozesse des politischen Akteurs wieder und sind somit als besonders authentische Quelle zu werten.21 Sie zeichnen sich durch eine formale Reduzierung auf die wesentlichsten Aussagen aus sowie durch die sprachliche Abbil-dung der Mundart. Diese „Laufzettel“, d. h. die Handschreiben und Billets Hofers, die im Ich-Stil und in persönlichem Ton geschrieben sind, weisen weiters einen bestimm-ten emotionalen Grundton auf, und ihr Hauptzweck war die Durchsetzung auf Dis-tanz oder überhaupt die Durchsetzung […] durch Eigenhändigkeit.“22 Insofern zeigen sie Parallen zu Handschreiben von Herrschern des Ancien Régime. Im Fall des letzten Briefs Andreas Hofers aus Mantua, zwar kein Laufzettel, aber eigenhändig geschrieben und ein tatsächliches Autograph, stellt sich aber auch die Frage nach dem selbstaufer-legten Zwang, dieses Schreiben als Testament eigenhändig zu verfassen, d. h. nach dem Bewusstsein der „Durchsetzung durch Eigenhändigkeit“. Der Text ist ein beeindrucken-der Ausdruck des seelischen Befindens, andererseits aber trifft Hofer auch wirtschaft-liche Verfügungen, welche für ihn von größter Wichtigkeit waren. Vermutlich wäre ihm in der Zitadelle auf Verlangen ein Schreiber zur Seite gestellt worden. Zu überlegen wäre in diesem Kontext auch, ob die Drucklegung von Kundmachungen aus Hofers „Kanz-lei“ (die Proklamationen wurden in der Auflage von etwa tausend Stück gedruckt23) allein der Verbreitung in größerem Rahmen dienlich war, oder ob auch der Aspekt einer größeren Bedeutung, einer verstärkten Autorität eine Rolle spielen könnte, die diesen Proklamationen beigemessen wurde.

Der „offene Brief“ stellt im konkreten Fall – unter den handschriftlichen und nicht gedruckten Aussendungen aus Hofers „Kanzlei“ – einen Spezialfall dar. Derartige Schreiben sind normalerweise betitelt mit dem festen Begriff „Offene Order/Ordre“, wenngleich der Begriff der „Offenen Order“ doch relativ beliebig verwendet worden zu sein scheint. „Offene Ordern“ wenden sich direkt oder indirekt an nicht definierte Personengruppen, eventuell auch durch Angabe eines bestimmten Adressaten, der als Mittelsmann fungiert. D. h. der eigentliche Adressat, der beispielsweise einen Auftrag oder besondere Vorrechte erhält, kann durchaus nicht persönlich, sondern in der drit-ten Person angesprochen sein.24 Es wird durch das Schreiben somit ein Sachbestand bezüglich dieser Person kundgemacht, womit das Dokument die Funktion der Urkunde erfüllt. Die Begriffe „Brief“ und „Urkunde“ wurden in der Frühen Neuzeit ohnehin synonym verwendet, was sich etwa darin zeigt, dass noch in einem Inventar des Sand-hofs von 1754 an erster Stelle das „Hausarchiv“ als die „brieflichen Gerechtigkeiten“ genannt ist.25 Im Corpus der Briefe und Schreiben Andreas Hofers aber haben wir meh-

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20 Vgl. NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 145.21 Vgl. ebd. S. 144.22 Ebd. S. 143.23 OBERHOFER, Weltbild, S. 105.24 Vgl. z. B. Schreiben Andreas Hofers an Josef Grubhofer, dat. Innsbruck 1809 August 21: Ebd., Nr. 257

(S. 307).25 SLA, Sammlung Steiner, Nr. 417.

Andreas Hofers Briefe und Schreiben

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rere Schreiben, die tatsächlich – nach den gängigen Definitionen – Urkunden sind. Die Urkunde wendet sich nicht an konkrete Einzelpersonen, sondern in der Regel an ein allgemeineres Publikum. Sie bildet im Gegensatz zum Brief keine konkrete Kommuni-kationssituation ab, wobei es aber auch hier Ausnahmen gibt.26 Ein Beispiel für eine von Hofer und Anderen ausgefertigte Urkunde als Rechtsgeschäft aus dem Jahr 1809 ist der Vertrag mit dem „salzburgischen Gebirgsland“, d. h. den Talschaften Pinzgau, Abtenau, Lungau, Zillertal, Brixental und Windisch-Matrei, die als Teile Tirols anerkannt werden (Pinzgau 1809 September 25). Das Dokument selbst wird im Text explizit als Urkunde klassifiziert. Der Urkundencharakter wird zudem durch die altertümlich anmutende Ausschreibung der Datierung hervorgehoben: Die Unterfertigung dieser Urkunde ist geschehen zu Innsbruck den fünf und zwanzigsten September Eintausend achthundert und neun.27 Der Text an sich entspricht in wenigen Punkten dem Formular mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Urkunden. Es zeigt sich, dass die Schreiber der verschiedenen Ausfertigungen, die es vermutlich gab, zwar mit derartigen rechtssetzenden Dokumen-ten, nicht aber mit den abstrahierten Regeln für das Verfassen vertraut waren. Den-noch findet sich neben einer Narratio eine eindeutige Dispositio (so verspricht daher der Unterzeichnete, das Zillerthal solle, nach seinem Begehren, dem Tyrol auf immer einverleibt bleiben, und wir selbe als unsere Brüder anerkennen werden), sowie eine Sanctio (Widri-genfalls, wenn sich das Zillerthal hierin eine Schuld beigehen lassen sollte, dieses Versprechen aufhören, und selbes vielmehr als feindlich angesehen würde), etc. Bemerkenswert ist jeden-falls, dass sich Andreas Hofer als Stellvertreter des Kaisers in der Position sieht, ganze Talschaften „seinem“ Land Tirol einzuverleiben. Die Urkunde wurde von Hofer und zwei Gerichtsvertretern unterzeichnet und gesiegelt.

Das Corpus der „Briefe und Schreiben“ Andreas Hofers stellt sich zusammenfassend gesehen also sehr heterogen dar und ist nur mit größeren methodischen Schwierigkeiten terminologisch einzugrenzen.

a. Eigenhändigkeit

Eng verbunden mit der Frage nach der Qualität der Schreiben als „Ego-Dokumente“ und „Selbstzeugnisse“ ist jene nach der „Eigenhändigkeit“. Im Fall Andreas Hofers zeigt sich verstärkte Eigenhändigkeit in der Zeit vor der Kanzleibildung, vor allem im April 1809, sowie nach der Phase der Regierung in Innsbruck, ab Mitte Oktober 1809 bis zur Flucht, Verhaftung und Gefangenschaft, als ihm die Schreiber nicht mehr zur Ver-fügung standen.

Während in zahlreichen Fällen von nicht eigenhändigen Texten die problemlose Zuschreibung an einen Schreiber möglich ist, gab und gibt es auch falsche Deutun-gen und Interpretationen. Als Beispiel für die umstrittene Eigenhändigkeit handschrift- licher Schreiben sei ein vermeintlich eigenhändiger28 Brief Andreas Hofers an den zum Feldpater ernannten Geistlichen Jakob Hofer in Stuls (dat. 1809 April 9)29 genannt, der

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26 ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 220f.27 Vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 422 (S. 433f.).28 Vgl. NATION, S. 270.29 Vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 52 (S. 154).

ANDREAS OBERHOFER

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nur von Hofer unterzeichnet, aber nicht verfasst wurde. Das Dokument ist von beson-derem ereignisgeschichtlichen Interesse, kann derzeit aber noch nicht einem Schreiber zugeordnet werden, da der Schreiber nur dieses eine Mal in Erscheinung tritt und nicht identifizierbar ist.

Als Beispiel für eine gedruckte Proklamation (die gedruckten Proklamationen stellen innerhalb des Corpus ähnlich wie die „Offenen Ordern/Ordren“ ein eigenes „Genre“ mit besonderen Charakteristika dar) sei das sogenannte „Sittenmandat“ erwähnt, eine Verordnung vom 25. August 1809.30 Andreas Hofer weist als vermeintlicher Unterzeich-ner darauf hin, dass die Frauen ihre Brust und Armfleisch zu wenig oder mit durchsichtigen Hudern bedeckten, was sie einzustellen hätten, da sie ansonsten mit einer nicht näher definierten Substanz bedeckt würden. Die Verlesung des Mandats wurde sogar durch Josef Strickner im Jahr 1817 bildlich dargestellt. Martin Paul Schennach hat jüngst fest-gestellt, dass gerade dieses Mandat Hofers „vom Inhalt wie auch von der Formulierung her aus der Masse der übrigen Gesetze“ des Jahres 1809 hervorsteche.31 Der „Predigtstil“ und die Verwendung der ersten Person Plural seien besonders auffallende Elemente, der Regelfall wäre die Verwendung der zweiten oder dritten Person Plural gewesen. Schen-nach schließt hieraus auf eine fehlende Vertrautheit des Verfassers mit legistischen Tech-niken, was sich allein darin zeige, dass die Strafandrohung mit der Würde des Gesetzes in Widerspruch stehe.32 Die Autorenschaft Andreas Hofers an diesem Dokument ist meiner Meinung nach dennoch stark in Zweifel zu ziehen. Es handelt sich bei dieser wie auch bei anderen Proklamationen wohl um eigenmächtige Produkte von „Beratern“ aus Hofers Umfeld. Die These, in diesen Texten würde sich ein übertriebenes Maß an sittlicher Strenge oder ein überzogener Moralbegriff des Sandwirts zeigen, eine mit der zweifelsohne starken Religiosität und der den Tirolern von den Bayern teils zum Vorwurf gemachten Bigotterie verknüpften Prüderie, ist nicht haltbar. Die Frauen, die zurechtgewiesen wurden, da sie zu sündhaften Reizungen Anlaß geben, dürften aber den in die Städte einfallenden Landesverteidigern, die beispielsweise auch an den nackenden Skulpturen am Innsbrucker Leopoldsbrunnen wenig Gefallen fanden33, ein besonderer Dorn im Auge gewesen sein. Allerdings waren in Hofers Umfeld gerade im August, September und Oktober 1809 engagierte Geistliche tätig, die an der Ausarbeitung der-artiger Proklamationen vermutlich maßgeblich beteiligt waren. Josef Hirn weist die Urheberschaft für ein Schreiben an die Provisorische General-Landesadministration vom 11. Oktober 1809 dem Geistlichen Franz Xaver Nikolaus Köck zu: Hofer wollte demnach vermerkt haben, dass in Betreff der Schul- und Vorlesbücher […] alle nicht nach dem Sinne der römischkatholischen Kirche verfaßte, alle für Religion und Sittlichkeit gefähr-liche Bücher entfernet zu bleiben haben.34

Es stellt sich somit die Frage, inwiefern vermeintliche „Ego-Dokumente“, die doch zumindest das moralische und moralisierende Weltbild des Sandwirts darstellen soll-ten, von diesem diktiert oder gar schriftlich entworfen, gelesen und unterzeichnet, oder überhaupt nicht beachtet wurden. Ein Verfasser von Memoiren zu 1809 nämlich, Jakob

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30 Vgl. ebd., Nr. XII (S. 324f.).31 SCHENNACH, Gesetzgebung, S. 99.32 Ebd., S. 100.33 Vgl. OBERHOFER, Hofer, S. 326f.34 HIRN, Erhebung, S. 659 Anm. 1.

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Sieberer (1766–1814), Wirt in Langkampfen, notierte in seiner „Beschreibung der tiro-lischen Landesvertheidigung“, ein eingegangener Bericht sei vielleicht nicht geleßen wor-den, jedenfalls hätte in Hofers „Kanzlei“ davon niemand Notiz genommen.35 Mag sein, dass durch die anfallende Verwaltung nicht nur der Sandwirt selbst überfordert war, sondern dass auch unter dem Druck der Ereignisse das eine oder andere Papier in einer Ablage verschwand und vergessen wurde. An anderer Stelle schreibt Sieberer etwas über-spitzt: Man kann sich leicht vorstellen, daß bei einem Zusammenfluß so vieler Geschäfte das meiste unerledigt blieb und die wichtigsten Depeschen von denen Bauern zu s. v. [„sit venia“ = „mit Erlaubnis“, Anm.] gebraucht wurden.36

Für die gedruckten Proklamationen jedenfalls existieren keine Entwürfe oder hand-schriftliche Vorformulierungen, die auf Autographen schließen lassen würden. Dasselbe gilt aber auch für die anderen Schreiben aus Hofers „Kanzlei“. Konzepte sind nicht erhalten, vielmehr scheinen die Schreiben spontan verfasst und – wenn nötig – in der Schönschrift bestmöglich korrigiert worden zu sein. In mehreren Fällen können keiner-lei gesicherte Aussagen über die eigenhändige Beteiligung Hofers an der Abfassung von Briefen, Schreiben oder Proklamationen getroffen werden, vor allem jenen, die entwe-der nur in gedruckter Form oder als zeitgenössische oder spätere Abschriften überliefert sind. Das Problem der Nachahmung, d. h. der bewussten Fälschung von Unterschriften oder ganzen Schreiben, die vermeintlich aus Hofers Hand stammen37, ist vergleichsweise gering: Die Handschrift des Sandwirts ist doch so weit charakteristisch und individuell, dass sie relativ leicht von Nachahmungen, späteren Nachzeichnungen und Fälschungen – auch diese kamen durchaus vor – unterschieden werden kann (als Fälschungen sind Schriften zu bezeichnen, die eine in redlicher Absicht nachgeahmte Unterschrift auf-weisen, andererseits aber Texte, die vermutlich ohne Wissen des Sandwirts mit seiner vermeintlichen Signatur versehen wurden). Die Schreiber Hofers, namentlich Matthias Purtscher, waren außerdem genügend aufrichtig, die Unterschrift des „Oberkomman-danten“ nicht zu imitieren, sondern zu unterschreiben mit „in Abwesenheit des Herrn Oberkommandanten Andre Hofer“, „im Auftrag des Herrn Oberkommandanten“ oder „auf Befehl“38 desselben.

Im Fall der Briefe und Schreiben Andreas Hofers spielt Eigenhändigkeit als Aus-druck eines innigen Verhältnisses, von Demut und Vertrautheit oder von einem nied-rigeren Rang des Ausstellers39 keine Rolle; sie ist vielmehr dann nachzuweisen, wenn Hofer aufgrund mangelnder professioneller Schreiber bzw. einer „Kanzlei“ zum Schrei-ben gezwungen war. Josef Daney etwa schildert folgende Begebenheit: Ein gewisser Herr Beamter, damals zu Reutte, kam dadurch in die Verlegenheit, um abreisen zu können, sich zum Hofer selbst begeben und ihn ersuchen zu müssen, er möchte ihm doch schriftlich die Bewilligung, daß man ihm zwei Pferde dürfte ausfolgen lassen, erteilen. Weil nun Hofer

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35 TLA, Jakob Sieberer, Beschreibung der tirolischen Landesvertheidigung vom Monathe Aprill bis 6ten December 1809, bezeichnet „Tagebuch des Jak. Sieberer. Aus Materialien zu Rapp 1809 No 6, Bd 13“. Materialiensammlung Rapp, Schuber 13, Nr. 6, S. 35.

36 Ebd., S. 32–33.37 Vgl. z. B. Offene Order Andreas Hofers, dat. Matrei 1809 Oktober 30. Eine Abschrift des Textes wurde

bewusst verfälscht. Vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 600 (S. 556f ).38 Vgl. z. B. Ausfertigungen in: TLA, Tiroler Landesverteidiger, Sep.-Fasz. III, Pos. 1.39 Vgl. ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 223.

ANDREAS OBERHOFER

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äußerst hart und ungern schrieb, so sagte er dem bemeldten Herrn Beamten, er solle sich selbst einen Zettel schreiben. Wie dieser fertig war, unterschrieb Hofer […].40

Diese Verschiedenheit von Schreiber und Vollzieher konnte im Extremfall zur para-doxen Situation führen, dass der Inhalt des zur Unterzeichnung vorgelegten Textes nicht mit der Intention des vermeintlichen Auftraggebers übereinstimmte. Ein Beispiel hier-für ist ein Schreiben, in welchem Hofer dem Verfasser eines Aufrufs für seinem patrioti-schen Eifer unsere Zufriedenheit und Hochschäzung zu erkennen gibt. Der Sandwirt bezog sich hier auf ein Schreiben von unbekannter Hand, das im Original seine Unterschrift trägt, aber offensichtlich nicht von ihm konzipiert wurde.41

Während es also für Fürsten im Ancien Régime üblich war, durch Eigenhändigkeit Nachdruck bzw. Druck auszuüben42, und verstärkte Eigenhändigkeit aktuelle Brisanz widerspiegelte und Ausdruck einer Krise und Herrschaftsschwäche sein konnte43, kann dies in Hofers Fall für die Ereignisse des Tiroler Aufstandes nicht postuliert werden. Wie aber im Jahr 1809 wurde auf seine eigenhändige Unterschrift bereits in den Jahren 1796/97 am Schießstand von Passeier Wert gelegt: Drei Standeslisten für die Passeirer Schützen von 1797 weisen anschließend an die Unterschrift des Sandwirts „manu-propria“-Ver-weise auf, die nachträglich von anderer Hand hinzugefügt worden zu sein scheinen. Eine besondere Notwendigkeit dieser Maßnahme war wohl nicht gegeben, wenngleich die Listen aufgrund der drängenden Kriegsereignisse in „Welschtirol“ eindeutig amtlichen und rechtssetzenden Charakter hatten. Hofers Bildungsniveau aber erlaubte es ihm selbst wohl nicht, sich derartiger Feinheiten überhaupt bewusst zu sein. Die Gewohnheit der Unterschrift mit „manu-propria“-Verweis hat sich 1809, als der Sandwirt vermehrt mit Kanzleischriftgut und dessen Gewohnheiten in Berührung kam, dementsprechend auch nicht durchgesetzt. Es ist denkbar, dass der Besitzer der Standeslisten nach 1809 die rezeptionshistorische Bedeutung, die Hofer erlangen würde, erkannte und den Unter-schriften noch einen besonderen Anschein von Authentizität verleihen wollte.

Eine vermutlich zu Hofers Gunsten manipulierte Unterschrift liegt auch in einem Text vor, welcher unterzeichnet ist mit Womit der Unterzeichnete in aller Ehrfurcht erstirbt. Ew. Excellenz allerunterthänigst treugehorsamster Andere Hofer, Oberkommedant in Diroll gewöster.44 Sofern es sich bei dem nur kopial überlieferten Schreiben nicht um eine Fälschung handelt, ist davon auszugehen, dass Hofer die Formulierung der Unter-schrift suggeriert wurde, um die „Durchsetzungskraft“ des Schreibens zu verstärken.

In der Korrespondenz der Fürsten führten politische Instabilität, hoch vertrauliche oder intime Belange zur Umgehung der Kanzlei. Dies gilt auch für Postskripte, d. h. den Schreiben wurden in diesen Fällen außerhalb des normalen Geschäftsganges eigenhän-dige Texte angehängt.45 Derartige Postskripte sind gerade in Hofers Korrespondenz häu-

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40 BLAAS, Aufstand, S. 185.41 OBERHOFER, Weltbild, Nr. 531 (S. 513): Hofer an Rupert Anton von Markenstein, Innsbruck 1809

Oktober 16; Nr. 339 (S. 374): Hofer an die „Bewohner im salzburgischen Gebirgsland“, Innsbruck 1809 September 9.

42 NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 152–153.43 Ebd., S. 154.44 Hofer an den französischen Divisionsgeneral Jean Baptist Drouet, Steinach 1809 November 4: OBER-

HOFER, Weltbild, Nr. 622 (S. 570f.).45 NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 159.

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fig anzutreffen, wenngleich sie nicht als Umgehung, sondern als Ergänzung der Kanzlei gedacht waren. In diesen Fällen ist davon auszugehen, daß der Sandwirt den vom Sekre-tär, Adjutanten oder Schreiber verfassten Text las, signierte und anschließend durch Informationen ergänzte, die ihm unter den Nägeln brannten. Der eigenhändige Beisatz erfüllte dabei mitunter auch die Funktion eines placet oder non placet.46 Dass hier die beabsichtigte Verstärkung des eigenhändigen Charakters durch die „Erweiterung“ der Unterschrift – d. h. durch die Annäherung an ein tatsächliches Autograph – ebenfalls eine Rolle spielte, ist durchaus möglich.

5. Sprachen der Kommunikation

Dass die schriftliche Form politischer Kommunikation, namentlich das Medium Brief, am Schnittpunkt von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und zwischen Verwaltungs-schriftgut und „privatem“ Medium steht, und somit Informationen auf mehreren Ebene transportiert – die Palette reicht von der Wahl der Sprache als Ausdruck der Kommu-nikationsabsicht bis zur Verwendung sublimer Anspielungen und persuasiver Strategien –, ist heute genügend nachgewiesen.47 Briefe enthalten „diplomatische“ Diskurse48 und sind weit mehr als der reine Ersatz eines Gesprächs.49 Wenngleich die Briefe und Schrei-ben Andreas Hofers vom Konzept einer keineswegs spontanen, sondern ausgefeilten und strengen Richtlinien folgenden Korrespondenz, wie sie etwa zwischen fürstlichen Höfen üblich war, weit entfernt sind, so näherten sie sich aber doch einem derartigen Ideal an, ohne es freilich zu erreichen.

Alle Briefe und Schreiben Hofers sind mit wenigen Ausnahmen in deutscher Spra-che verfasst. Sofern sie auch für die Bevölkerung des italienischsprachigen Teiles Tirols von Interesse waren, wurden sie – nachträglich – übersetzt. Dies gilt vor allem für die gedruckten Kundmachungen, welche den Einwohner/inne/n Gesamttirols zur Kennt-nis gebracht werden sollten. Die Schreiben sind zum Teil in einer gehobenen Kanzlei-sprache abgefasst. Gerade die eigenhändig von Hofer geschriebenen Stücke sind aber wie auch jene von Ausstellern mit ähnlichem Bildungshintergrund umgangssprachlich und dialektal gefärbt. Sie geben Aufschluss über die gesprochene, d. h. die tägliche und regionale Sprache50 und können damit der Rekonstruktion von Mündlichkeit dienen.

Die eher einfach gehaltene Sprache zeigt sich nicht nur in der Formulierung, sondern auch auf der dahinterliegenden Ebene der Intention, des „indirekten Sprechens“:51 War der Brief des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im großen und ganzen ein Medium,

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46 Vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 663 (S. 603): Schreiben an den französischen Kommandierenden in St. Leonhard in Passeier, o. O., o. D., mit dem eigenhändigen Verweis neben dem Text: „disses ist ge schberei let, das du ich nicht Andere Hofer“. Es kam folglich auch nicht zur Unterzeichnung des Schriftstückes.

47 Einen ausführlichen Überblick über den aktuellen Stand der Briefforschung bietet der Sammelband: ANTENHOFER/MÜLLER, Briefe in politischer Kommunikation.

48 ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 10.49 Ebd., S. 214.50 NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 163.51 Vgl. ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 291.

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in welchem bewusst mit Ironie, Sarkasmus, sogar Lüge und Täuschung gearbeitet wurde, so gilt dies für die Schreiben von 1809 nur bedingt. „Indirektes“ Sprechen reduziert sich bei Hofer und seiner „Kanzlei“ auf nicht schwer durchschaubare ironische Wendungen, wenn etwa der ehemalige Schullehrer in Schlanders im Vinschgau Matthias Purtscher für Hofer schreibt: Diese und noch unzählige andere sind die schönen Thaten, die die Bajern in unserm Vaterlande ausübten.52 Ein Beispiel für die Verwendung des Stilmit-tels der Ironie durch Hofer selbst lautet: ßich Prueder, wasß mir fire Paderiotten haben abgeschickht.53 Hier findet sich zwar keine explizite sprachlich umgesetzte Wertung, das Wort „Patriot“ selbst aber ist in Hofers Denken positiv konnotiert und an dieser Stelle als ironisches Stilmittel eingesetzt: Hofer bezieht sich auf ehemalige Gleichgesinnte, die nun offensichtlich gegen das – vom Sandwirt als solches verstandene – Wohl der „gemeinsamen Sache“ arbeiten.

Sowohl Hofer als auch seine Schreiber waren wenig darauf bedacht, mit stilistischen Mitteln die augenscheinliche Intention ihrer Schreiben zu verschleiern. Die Kommuni-kation musste aufgrund aktueller Notwendigkeit vielmehr klar und eindeutig sein. Die Rezeption hat deshalb immer wieder die vermeintliche Schlichtheit oder gar Einfältigkeit des Sandwirts betont, die sich in seinen Schreiben niedergeschlagen hätte. Im kollekti-ven Bewusstsein wird der Sandwirt bis heute als vertrauenswürdig und geradlinig einge-stuft, als Mensch mit „Handschlagqualität“54 (ohne Notwendigkeit schriftlicher Absiche-rung!), welchem Ansehen und Respekt entgegengebracht wurde und wird. Wenngleich wir mit gebotener Vorsicht davon ausgehen, dass in seinen Briefen und Schreiben diese „Schlichtheit“ und „Einfältigkeit“ zum Ausdruck kommt, so ist aber doch wahrschein-lich, dass durchaus Strategien angewendet wurden, die darauf abzielten, einem Schreiben zur beabsichtigten Wirkung zu verhelfen. Der Sandwirt hat sich – um ein Beispiel zu nennen – nie zugetraut, eigenhändig an den Kaiser (wohl aber an Erzherzog Johann55) zu schreiben, er war sich der Unzulänglichkeit seines sprachlichen Ausdrucks (wie auch der „Unleserlichkeit“ seiner Handschrift56) bewusst. Betrachten wir aber das letzte Schreiben an Erzherzog Johann vom 26. Jänner 1810 von der Pfandleralm, das von Kajetan Sweth verfasst wurde, so stellt sich die Frage, inwiefern hier auch der Aspekt der Inszenierung des Korrespondenten mithilfe der Vertretung durch einen Schreiber eine Rolle gespielt hat, d. h. das Sich-Verbergen hinter einem sprachlich und grafisch ansprechenden Text nach allen Regeln der Kunst (im Gegensatz zum eigentlichen Autographen). Auch der Inhalt konnte durch die Verwendung rhetorischer Mittel und teilweise ausufernder Höf-lichkeitsfloskeln und Argumentationsstrategien gefälliger präsentiert werden. Die Wahl des Adressaten schließlich wurde vermutlich ebenso wenig dem Zufall überlassen: Die Tiroler wussten spätestens seit den Vorbesprechungen für den Aufstand in Wien, dass der populäre Erzherzog ihrem Anliegen mehr Beachtung schenken würde als Kaiser Franz I.

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52 Schreiben Hofers an das bayerische Landgericht Miesbach, Innsbruck 1809 August 30. Edition in: OBERHOFER, Weltbild, Nr. 299 (S. 342f.).

53 Schreiben Hofers an Johann Holzknecht, o. O., o. D. Edition in: Ebd., Nr. 650 (S. 593).54 Vgl. z. B. ANDREAS HOFER AUSTELLUNG in der gemeinsamen Vertretung Tirol-Südtirol-

Trentino, Presseaussendung des Büros Europaregion Tirol-Südtirol/Alto Adige-Trentino vom 21.4.2009 (http://www.europaregion.info/de/484.asp).

55 Schreiben dat. 1809 September 2; vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 317 (S. 359).56 Vgl. ebd, S. 70.

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6. Zielgruppen: Nähe und Distanz

Die Kommunikation Hofers im Jahr 1809 stellt insofern einen Sonderfall gegenüber beispielsweise Korrespondenzen zwischen Fürst/inn/en und/oder Beamten dar, als die Empfängerschicht sehr heterogen war. Wir haben Adressierungen an Einzelempfänger/innen, an Personengruppen und Aussendungen ohne spezifizierte Empfänger/innen. Schreiben an den Kaiser, Erzherzog Johann, den bayerischen König oder den italienischen Vizekönig, d. h. an vorgesetzte Instanzen, sind als Mischform zwischen Berichten und Suppliken zu bezeichnen, welche die untergeordnete Stellung des Verfassers ausdrücken. Schreiben etwa an die „Provisorische General-Landesadministration“ können aufgrund der Gleichrangigkeit zwischen Aussteller („Oberkommandantschaft“) und Empfänger den (Mitteilungs-)Schreiben zugerechnet werden. Zwischen dem „Oberkommandan-ten“ und „seinen Landesverteidigern“, d. h. den Schützen und dem Landsturm, aber bestand ein zwiespältiges Verhältnis: Hofer bekleidete keinen offiziellen militärischen Rang und war somit „nur“ Hauptmann einer Schützenkompanie. Demgemäß bestand zu anderen Hauptleuten ein Verhältnis der Gleichwertigkeit, während der Gruppe der Hauptleute alle anderen „Landesverteidiger“ untergeordnet waren.

In den Briefen und Schreiben Andreas Hofers bilden sich also nicht nur real existie-rende Verwandtschafts-, Bekanntschafts- und Freundschaftsnetzwerke ab, sondern auch Hierarchien, die durch den gängigen – von romantischen Strömungen beeinflussten – Umgangston gefärbt sind: Hofer selbst wurde gemäß einem patriarchalischen Kon-zept als „Vater“ angesprochen. In seiner Rolle als Statthalter im Namen des Kaisers, des „Vaters“ der Monarchie, floss dieser Titel im Umgang mit seiner Person in die politische Kommunikation ein. Er sah sich als Garant für „väterlichen“ Schutz, obwohl er von seinen Mitstreitern nicht „kindlichen“ Gehorsam verlangte57, sondern diese als „Brüder“ titulierte. Hierin zeigt sich, dass sich der Sandwirt in seiner Position als „Landesvater“ doch – paradoxerweise – in der Hierarchie nicht über seinen Landsleuten stehend sah, sondern vielmehr auf gleicher Ebene, „in Euer Mitte“58, wie er es ausdrückte.

Gewissermaßen wurde hier Verwandtschaft simuliert (die Begriffe und Konzepte „Freundschaft“ und „Verwandtschaft“ sind in der Früheren Neuzeit in etwa deckungs-gleich), die Anreden zeugen von einer sprachlichen Überhöhung der tatsächlichen Ver-bindungen zwischen den Korrespondenten: Der bereits öfters erwähnte Abschiedsbrief Hofers, adressiert an Vinzenz von Pühler in Neumarkt, trägt die Anrede „liebster Herr Prueder“, ein Schreiben an Johann Holzknecht die abschließende Bemerkung „Dein mit Liebe stets ausharrender Freund“59, in anderen Texten finden sich die Formulierun-gen „Liebster Freund“, „Liebster Bruder“, etc. Letztere Form leuchtet bei Schreiben an den Passeirer Gerichtsanwalt Josef Gufler, einen Schwager Hofers, ein, allerdings bezieht sie sich ebenso auf andere – vermutlich tatsächlich freundschaftlich verbundene – Emp-fänger aus Hofers Entourage. Ähnliche Formulierungen richten sich auch an Personen-

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57 Vgl. hierzu: STROHMEYER, Kommunikation, §§ 18–31.58 Vgl. Offene Order dat. Matrei 1809 Oktober 30: Brüder! Bauern! Ich bin in Euer Mitte an Euer Spitze,

um für das Wohl Euers und meines Standes, von dem ich mich unter Gottes Schutz zu seyen rühme. Edition in: OBERHOFER, Weltbild, Nr. 600 (S. 556f.).

59 Ebd., Nr. 655 (S. 596f.). „Auf der Seite“ 1809 November 19.

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kollektive: „Meine lieben Brüder“, „meine lieben theueren braven Landsleute und Waf-fenbrüder“, etc. In jedem Fall aber kommt durch die Verwendung derartiger Anreden das Konzept des Gemeinwesens als Familie und damit einer von Gott gewollten Ord-nung zum Ausdruck, welches im Normalfall die Habsburger für sich beanspruchten.60

Abgesehen von den vorgeblichen Verwandtschaftsbekundungen finden sich ver-schiedenste Abwandlungen des Attributes „lieb“ in Anreden und Fließtexten – die Skala reicht hier vom Positiv („meine lieben Kinder“, „Vielgeliebter Anwalt“, „meine lieben Passeyrer“) bis zum Superlativ („Liebstes Weib“, „liebste mein“, „inen frau liebste“, „an der Frau liebsten“, „liebste Landsleute“). Es wird mitunter auch ausgedrückt, dass die Adressat/inn/en nicht nur dem Empfänger besonders am Herzen liegen, sondern ihre Stellung ohnehin mit sich bringt, dass sie besonders und allgemein „geliebt“ werden: „geliebtesten Erzherzzoges [sic]“, „geliebtesten Kaiserin“, etc. Die Grenze zwischen gän-gigen Anredeformen und Anbiederung muss als fließend angenommen werden. Ob eine Anrede wie „Herzliebsten welschen Tyroler“ aus einem tatsächlich innigen Verhältnis Hofers zum italienischsprachigen Landesteil zu erklären ist, kann zwar zum Teil aus dem Text des Schreibens selbst geschlossen werden, ist aber an sich nicht mehr zu klären.

Anredeformen stehen zum Teil Abschiedsformeln gegenüber, beispielsweise „Ich bin Euer Freund“ oder „Ich bin Dein Freund“, aber auch „ich bin sicher Eir aufrichtiger Andre Hofer“ und „bleibe immer Dein Andreas Hofer“. Diese Formulierungen bekräf-tigen das Subjekt des Briefes, den Aussteller, durch die Voranstellung der ersten Person Singular und suggerieren Nähe und Intimität zwischen Aussteller und Empfänger/in. Aus diesen Befunden auf besonders innige Beziehungen zu schließen, ist sicher nicht richtig, vielmehr wäre die Briefsprache im Kontext der allgemeinen Korrespondenz-gepflogenheiten in der Zeit um 1800 zu analysieren. Es ist durchaus davon auszugehen, dass sich in einem besonders herzlichen Umgangston – sofern er nicht Frau, Kindern, nahen Verwandten und Freunden gilt – eine besondere Erwartungshaltung des Ausstel-lers manifestiert. Es macht also hier Sinn, nicht von einer Absenderperspektive auszuge-hen, sondern von einer Empfangsorientierung: Es ist zielführend, zu untersuchen, was die Schreiben auslösen und bewirken sollten.61

In der Möglichkeit der Inszenierung, des Verstellens, des Übertreibens oder gar der Lüge verbarg sich nämlich ein nicht unwichtiger Vorteil des schriftlichen Kommunizie-rens gegenüber dem mündlichen Austausch. Allerdings wissen wir gerade in Bezug auf Andreas Hofer, dass er einerseits ungern geschrieben hat und andererseits die unmittel-bare mündliche Kommunikation mit sozial weit höher gestellten Personen wie beispiels-weise Erzherzog Johann nicht gescheut hat, wobei natürlich „Prinz Hans“ als beson-ders volksnah galt. Dass die Tiroler Deputierten, die im Jänner 1809 nach Wien gereist waren, um mit Johann und Josef von Hormayr die Vorbereitungen für den Aufstand zu planen, sich mit dem Kaiser selbst unterhalten hätten, ist hingegen nicht belegbar). Andreas Hofer soll bereits 1805 mit dem Erzherzog zusammengetroffen sein und ihm in Bruneck als Deputierter des Gerichts Passeier mit Handschlag gelobt haben, „für Haus Oesterreich wieder Alles zu wagen, wenn sich ein neuer Hoffnungsstern zeigen würde“.62

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60 STROHMEYER, Kommunikation, § 20.61 Vgl. ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 242f.62 SCHÖNHUTH, Hofer, S. 6.

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Aus einem Schreiben geht hervor, dass sich Hofer wohl tatsächlich mit dem Erzherzog unterhalten hat: Erstens es mechte uns ergehen, als wie ich zu Ihro k. k. Hochheit (etc.) (etc.) zu Prauneggen gesagt habe.63

Gerade dieser Text ist auch von ereignisgeschichtlicher Relevanz als Beleg für die Korrespondenz zwischen dem Wiener Hof und Vertretern der Tiroler bereits im Jahr 1806, also unmittelbar nach der Machtübernahme der Bayern. Von einem ominösen Briefverkehr zwischen Erzherzog Johann und Andreas Hofer ist in der Rezeptions-geschichte immer wieder die Rede, ohne dass es bisher gelungen wäre, Beweise zu lie-fern. Dieses Schreiben aber, ausgestellt in Oberndorf am 8. August 1806 und adressiert an Erzherzog Johann, stellt nun den bis dato einzigen Beleg für eine frühe Kontakt-aufnahme abseits der politischen Landesvertretung dar. Der Sandwirt präsentiert sich dabei nicht als prominenter und herausragender Akteur, der die maßgebliche Initiative für ein Aufbegehren ergriff. Er war Einer – und zwar der Letzte – von vier Unterzeich-nern: Zwei Wirten, einem Bergwerksverweser und einem Bürger (?) von Sterzing. Auch hier aber ist von voreiligen Schlüssen abzusehen: Das Beschwerdeschreiben wird eines von vielen gewesen und aufgrund des prominenten Absenders in Privatbesitz, quasi als Reliquie und Sammlerstück (ein wesentlicher Aspekt des Autographen64), überliefert worden sein. Es ist insofern bemerkenswert, als die vier Aussteller ihre wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten beklagen und die Sorge um ihr Seelenheil darlegen – es handelt sich gewissermaßen um ein „kollektives Ego-Dokument“. Befürchtungen wer-den ausgebreitet, mentale Befindlichkeiten werden sichtbar, die Bevölkerung klagt – in überraschend nüchternem und sachlichem Ton – ihr unter der bayerischen Regierung erfahrenes Leid.

a. Monologische Korrespondenz

Die schriftlichen Zeugnisse Andreas Hofers von 1809 waren zwar großteils an Einzel-personen adressiert, es lag aber nicht in der Absicht des Verfassers bzw. Ausstellers, Ant-wortschreiben zu erhalten, sofern diese nicht explizit eingefordert wurden. Es handelt sich – abgesehen von den Proklamationen, die ohnehin öffentlich angeschlagen und/oder verlesen wurden – meist um Anordnungen und Befehle, die stellvertretend für eine größere Menschengruppe an Einzelne – sprich beispielsweise den Kommandanten einer Schützenkompanie oder einen Gerichtsvorsteher – adressiert wurden. Damit wurden großteils monologische Netzwerke etabliert. Hierin verbirgt sich wieder die Problematik der Bezeichnung der Schreiben als „Briefe“ im eigentlichen Sinn, zielte die Briefkorres-pondenz vor allem im Lauf des 19. Jahrhunderts doch vermehrt darauf ab, einen Dialog auf Distanz zu starten oder aufrecht zu erhalten.65 Derartige Dialoge waren von Hofer und seiner Entourage nicht beabsichtigt. Als Beispiel möge die Erwähnung der an Anna Ladurner adressierten Schreiben genügen; Anna, Andreas Hofers Frau, konnte weder

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63 Schreiben an Erzherzog Johann, dat. Oberndorf 1806 August 8. Edition in: OBERHOFER, Weltbild, Nr. 43 (S. 143f.).

64 NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 142.65 ANTENHOFER/MÜLLER, Einführung, S. 15.

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Lesen noch Schreiben, die Schriftstücke wurden nach ihrer Kenntnisnahme normaler-weise an militärische Befehlshaber weitergegeben und enthielten zumeist – nach sehr kurzen „persönlichen“ Statements des Verfassers – Anweisungen für das weitere Ver-halten im Gefecht, über erneute Angriffe, Rückzüge, Pulverlieferungen und Ähnliches. In der Sprache der Kommunikation zeigen sich also kaum Unterschiede zwischen „pri-vaten“ und militärischen Schreiben. Briefe als Kommunikationsmedium innerhalb der Familie gewannen in Hinblick auf die Sandhofleute erst nach 1809 an Bedeutung, als der gesamte Nachlass geregelt werden musste, eine wirtschaftliche Neuorientierung zu finden war und sich zudem der Sohn Johann in Österreich aufhielt. Erst diese Zeugnisse werfen ein Licht auf die Lage der verwaisten Familie, während die Familiensituation vor und während 1809 völlig im Dunkeln liegt.

Es ist prinzipiell nicht möglich, in den Briefen und Schreiben von 1809 zwischen „privaten“ und „amtlichen“66 oder „öffentlichen“ Aspekten zu unterscheiden, was aber ganz den Gegebenheiten der Zeit entspricht. Einerseits sind die Begriffe „privat“ und „öffentlich“ nach unserem heutigen Verständnis für das beginnende 19. Jahrhundert nicht anwendbar, andererseits entspringt die Trennung von Briefen nach „privaten“ und „öffentlichen“ Belangen einer obsoleten archivalischen Unterscheidung.67 Dieses Problem, das vor allem für die Herrscherkorrespondenzen von Bedeutung ist, hat sich bei den Briefen und Schreiben Andreas Hofers aber nie gestellt: Es finden sich in den Hoferiana-Sammlungen neben aus geschlossenen Aktenbeständen gezogenen Autogra-phen, die am ehesten dem Geschäftsschriftgut zuzuordnen sind, persönlich gehaltene Einzeldokumente, wie beispielsweise das „Testament“ aus Mantua. Die Sammlungen bieten sich zumeist als bunte Mischung von sehr unterschiedlichen Textsorten an: Sehr kurz gehaltene Handschreiben ohne jede Normierung und ohne jedes Formular lie-gen unmittelbar neben „offizieller“ Korrespondenz, die den Usancen der Zeit und dem Kanzleibetrieb entspricht.

Am treffendsten kann der Charakter der Dokumente als „offiziell“ bezeichnet wer-den, was sich in den meisten Fällen allein an den Empfängerangaben zeigt. Die Schrei-ben sind oft an ein Personenkollektiv gerichtet, welches sich nicht selten als abstrakte Größe bzw. „konstruierte“ Identität68 darstellt: „An die Bewohner des Etschlandes“, „an die Vinschgauer Geistlichkeit“, etc.

Sinnvoller als eine Unterscheidung zwischen „privat“ und öffentlich“ ist somit jene zwischen eher vertraulichen und eher offiziellen Briefen, was von Schreiben zu Schrei-ben gesondert analysiert werden muss und die Rekonstruktion der jeweiligen Kommu-nikationssituation voraussetzt.69

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66 NOFLATSCHER, Eigenhändigkeit, S. 144.67 ANTENHOFER, Brief als Medium.68 ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 215.69 Ebd., S. 216.

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7. Wege der Kommunikation

Von der Analyse der Texte selbst kehren wir zurück zu einem mehr technischen Aspekt, und zwar zur Frage, wie Informationsfluss und Kommunikation der Tiroler „Landesver-teidiger“ im Jahr 1809 auf der „dinglichen“ Ebene funktionierten, d. h. wie Briefe und Schreiben überbracht, aber auch wie Informationen „von außen“ eingeholt wurden.

In den Quellen finden sich Hinweise auf mehrere Arten der Übermittlung. Die gän-gigste war jene der Verwendung von „Ordinanzen“ oder „Ordonanzen“, das sind (Brief-)Boten und Eilkuriere, welche beauftragt wurden, Schreiben von A nach B zu bringen. Die Boten und Kuriere sind zum Teil namentlich bekannt. Am 16. Juli 1809 etwa ernannte Andreas Hofer Josef Haller als „Ordinanz Corporal“, der dafür Sorge zu tragen hatte, dass die Beförderung der Post in Riffian während Hofers Abwesenheit funktionierte und nicht (nur) Kinder und alte Männer als Ordinanzen eingesetzt wurden, dann man muß wiesßen, daß oft auf einer Ordinanz vieles gelegen ist.70 Im Oktober 1809 bestätigte das Landgericht Landeck dem Bauern Christian Penz, dieser habe in den Monaten April und Mai die reitende Ordinanz mit seinen Pferden auf eigene Kosten aufrecht gehalten. Hofer ordnete daraufhin an, Penz solle dies auch weiter tun; für die Ordonanzen aber sei prinzipiell das Gericht zuständig, das die Höhe des entsprechenden Ritt- und Wartgeldes festzusetzen habe.71 Es kam auch vor, dass schriftliche Berichte, Befehle oder Anfragen an einen Empfänger gingen, danach aber mündlich oder schriftlich bekanntgemacht bzw. weitergetragen werden sollten; der Adressat wurde damit zum Boten.72

Für die Korrespondenz Andreas Hofers vor 1809 lässt sich beobachten, dass es üblich war, Angehörige des Gesindes73, aber auch im Handel tätige Personen, die ohnehin „unterwegs“ waren, für Botendienste (auch als „Geldkuriere“) zu verwenden und sie ent-sprechend zu entlohnen. Andreas Hofer ließ im Zuge einer Gerichtsverhandlung74 pro-tokollieren, er hätte Johann Schwaikhofer, Krämer in St. Leonhard, einen Brief mit Geld übergeben, den jener dem Mondscheinwirt in Bozen überbringen sollte, wo er von einem Fleimstaler Bauern abgeholt werden würde. Schwaikhofer hätte bereits ausgesagt, den Brief der dortigen Kellnerin übergeben zu haben; Brief und Geld seien aber nie beim Emp-fänger angekommen. Der Fleimser Bauer forderte nun von Andreas Hofer nicht nur die 57 Gulden, sondern auch für die Reise vom Fleims- ins Passeiertal entlohnt zu werden.

Auf der (Kriegs-)Post von 1809 hingegen finden sich die Vermerke „per Ordinanz“75, meistens noch mit einem ein- bis dreifachen „eiligst“ versehen, oder „durch Stafette“,

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70 OBERHOFER, Weltbild, Nr. 151 (S. 224f.).71 Ebd., Nr. 476 (S. 474f.).72 Vgl. z. B. Schreiben Andreas Hofers dat. Innsbruck 1809 Oktober 11 und adressiert an den Passeirer

Gerichtsanwalt Josef Gufler: „[…] sag zum Anderls-Weib, er kommt noch nicht nach Haus.“ Ebd., Nr. 501 (S. 493f.); Schreiben Hofers dat. Vintl 1809 Mai 20 an Josef Gufler: „[…] Habe auch die Güte und berichte gleich dennen Lanener Kompagnie, Maißer Kompagnie, Meran, Algund, Tyroll, Schena, alle diese sollen sich auf 6 Täg mit Proviant versehen und sollen gleich nach Passeyer über den Jauven nach Sterzing marschieren, dorten werde ich schon das Weitere besorgen; […].“ Ebd., Nr. 94 (S. 183).

73 Vgl. ebd., Nr. 33 (S. 48, 50).74 TLA, Tirolische Landesvertheidiger 1809, Sep.-Fasz. I. Pos. 1: Akten über Zivilprozesse Andreas Hofers.

Akten des Landgerichtes Passeier.75 „Die Ordinánz, plur. die -en, aus dem mittlern Lat. Ordinantia. 1) Der Befehl; eine im Hochdeutschen

veraltete Bedeutung. Man gebraucht es 2) nur noch bey den Soldaten, wo die Ordinanz derjenige Sol-

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d. h. letztere Schreiben wurden durch Zusammenarbeit und Abwechslung von Boten übermittelt. Am 1. Juni 1809 verordnete Hofer, dass gehende und reitende Ordinanzen sich in Bereitschaft zu halten hätten, um das Nachrichtenwesen zu optimieren (haben alle Gemeinden nach allen Richtungen hin in nicht zu langen Zwischenräumen gehende und reitende Ordonanzen mit aller Pün[c]ktlichkeit Tag und aufgestellter und in Bereit-schaft zu halten, damit ein augenblicklicher Aufruf an die Nacht nächsten und entfernten Gegenden nach Bedarf möglich ist, und die Briefschaften schnell laufen können).76

Die Kuriere Andreas Hofers waren somit von der offiziellen Post unabhängige „Briefträger“, die teils sehr fantasievolle Wege fanden, die ihnen anvertraute Post zu transportieren: Ein Hirte soll einem Schaf einen Kurierbrief um den Bauch gebunden haben, Frauen hätten die zu befördernden Botschaften in ihre Gewänder eingenäht. Im Bereich Sterzing – Mittewald – Niedervintl soll ein zehnjähriger Bub namens Hans Bacher Botschaften überbracht haben.77 Für besonders wichtige Aufgaben aber wurden „Deputierte“ oder „Parlamentair[e]“78 abgeschickt, die nicht nur Schreiben überbringen konnten, sondern in die Materie genügend eingeweiht waren, um zusätzlich bei Bedarf mündlich Bericht zu erstatten. Am 2. November 1809 beispielsweise entschloss sich Hofer zur Unterwerfung und schickte zwei „Deputierte“, Josef Daney und Jakob Siebe-rer, zu Eugène Beauharnais, dem Vizekönig von Italien, nach Villach, um Verzeihung zu erbitten79; ein weiterer „Deputierter“ wurde nach Wien entsandt.80

Neben den „Ordinanzen“ und „Deputationen“ wurden „Kundschafter“ eingesetzt, welche alle Gränz-Gemeinden an ihren Gränzen und über dieselben hinaus ununterbro-chen Tag und Nacht observieren sollten. Sie sollten geschikte und treügesinnte Beobachter sein, welche allerschnellste Nachrichten über die allfällige Ankunft des Feindes zurükzu-bringen haben.81 Am 16. September 1809 beauftragte der Sandwirt Anton Wallner, gute und verläßliche Kundschafter nach Murau zu Türk(en) zu schicken, damit wir über alles sichere und zeitige Nachricht erhalten. Wallner solle sich mit Türk „in Korrespondenz“ setzen, damit Du von ihme und er von Dir in Rücksicht des Angrifes, kurz von allem sichere Nachricht erhaltest, welche Du mir allemal eiligst anher zu schicken hast. Gegenwärtigen Brief schicke durch einen sichern eigenen Menschen dahin ab, welcher sodann wieder eine Antwort zurück zu bringen hat. Hofer gab in diesem Fall genaue Anweisungen über den Transport des Schreibens: Ist durch einen eigenen Menschen nach Drau zu schicken. Das

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dat ist, welcher beständig bey und um einen Befehl habenden Officier seyn muß, um dessen Befehle in nöthigen Fällen an andere zu überbringen, in manchen Ländern Ordonnanz, unmittelbar aus dem Franz. Ordonnance; wo es denn auch von diesem Verhältnisse, von dieser Verrichtung eines solchen Soldaten gebraucht wird. Auf Ordinanz seyn, einen Befehl habenden Officier begleiten, um auf dessen Befehle zu warten. In manchen Gegenden hat man auch dergleichen Civil-Bediente, welche, wenn sie beritten sind, und zu Pferde verschickt werden, Ordinanz-Reiter heißen.“ Zit. nach: ADELUNG, Wörterbuch.

76 OBERHOFER, Weltbild, Nr. 129 (S. 205f.).77 NEUNER, Postgeschichte, S. 26.78 Vgl. Schreiben an die Kommandantschaft Meran, dat. Steinach 1809 November 2, in: OBERHOFER,

Weltbild, Nr. 615 (S. 566).79 Vgl. OBERHOFER, Unentschlossenheit, S. 207.80 Vgl. Schreiben an die Landesverteidiger von Zirl, Seefeld, Leutasch und Ehrwald. OBERHOFER,

Weltbild, Nr. 618 (S. 567f.).81 Ebd., Weltbild, Nr. 129 (S. 205f.).

Andreas Hofers Briefe und Schreiben

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Dokument war eben von gewisser Wichtigkeit, was auch aus dem Text explizit hervor-geht: Ich bitte Dich, besorge dieses Geschäft so gut als es nur immer möglich – denn Du siehst selbst, das unser ganzes künftiges Schicksal davon abhängt.82

Wir haben keine Briefe, die nach dem Lesen vernichtet werden sollten, eine Anwei-sung, die Christina Antenhofer in einem von ihr untersuchten Briefcorpus nachgewie-sen hat.83 Der chiffrierte Briefverkehr hingegen wurde durchaus gepflegt, wenn auch in wenig ausgeklügelter Form.84 Besonders wurde darauf geachtet, dass Briefe unterwegs nicht von Dritten gelesen werden konnten. Wurde ein Schreiben mit aufgebrochenem Siegel übermittelt, galt dies als Alarmsignal: Ich mache Ihnen zu wissen, das ich die Tepe-sche um 12 Uhr mittags richtig erhalten, aber offner, nemblich den 21(ten) May, und habe auch erfahren, das derley Öffnungen schon zum öftern geschöchen sindt.85 Am 28. August 1809 verordnete Hofer angesichts mehrerer Berichte über von den Boten oder „von andern“ geöffnete Briefschaften: Keine Ordonanz solle sich für die Zukunft unterfangen, ein vom k. k. Oberkommando oder von einem oder dem andern k. k. Unterkommandanten übernohmenes Schreiben entweder selbst zu eröffnen oder durch andere eröffnen zu lassen. […] Wenn ein Ordonanz der andern ein eröffnetes Schreiben übergeben will, so darf es diese letzter[e] nicht annehmen […].86 Das unerlaubte Öffnen von Depeschen sollte – ging es nach dem Willen des „Oberkommandanten“ – mit „angemessenen Arrest“ bestraft werden, was auf die Brisanz derartigen Handelns hinweist.

Wichtige Briefe und Schreiben sind nicht selten in mehreren Exemplaren in der Form zeitgenössischer Abschriften überliefert und konnten durch das Abschreiben von Abschriften in relativ kurzer Zeit wie die gedruckten Proklamationen ein breites Publi-kum erreichen – denken wir nur an die rasante Divulgation der Inhalte der sogenannten „Laufzettel“. In einigen Schreiben ist explizit vermerkt, dass sie – als Original – nach der Kenntnisnahme sofort weitergereicht werden mussten. So schreibt Hofer in einem Brief (Innsbruck 1809 Oktober 18) an das Landgericht Sterzing, das Schreiben solle „eiligist“ an Josef Gufler im Passeiertal geschickt werden.87 Ein Ofner Befehl an alle Gemeinden Tirols sollte von Rattenberg abwärts durch eigene schnelle Ordonanzen an alle Gemeinden des ganzen Tirols von Gemeinde zu Gemeinde gesendet werden, und aller Orten wäre schnelle Abschrift sogleich davon zu nemmen. Das Original aber wäre zur Bestätigung durch alle Gemeindevertreter zu unterschreiben und zuletzt dem „Oberkommando“ zurück-zuschicken.88 Tatsächlich weist das Schreiben, heute im Kriegsarchiv in München, neun eigenhändige Unterschriften von Vertretern Unterinntaler (Gerichts-)Gemeinden auf. Es bietet als besonders anschauliches Beispiel auch Einblick in den zeitlichen Rahmen, in welchem sich der Verkehr der Schreiben abspielte, und zugleich in den Quellenwert der bis dato von der Forschung unbeachteten Dorsal-, sprich Ein- und Ausgangsvermerke auf den Papieren: Ausgestellt in Rattenberg am 1. Juni gelangte es über die Wildschönau am 2. Juni um etwa 14.00 Uhr in einen nicht angegebenen Ort und wurde nach Kirch-

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82 Ebd., Nr. 376 (S. 399f.).83 Vgl. ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 216.84 Vgl. OBERHOFER, Hofer, S. 294.85 Vgl. OBERHOFER, Weltbild, Nr. 95 (S. 183f.).86 „Currenda“. Ebd., Nr. 285 (S. 332).87 Ebd., Nr. 541 (S. 519).88 Ebd, Nr. 129 (S. 205f.).

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bichl, Häring, Schwoich und Angath weitergegeben, wo es um 12.00 Uhr einging und sofort – um 13.00 Uhr – abgeschickt wurde. Um 14.00 Uhr des 3. Juni lag es dem Ausschuss der Schranne Langkampfen vor, der es um 14.30 Uhr an das Viertel Thiersee weiterschickte. Ein anderes Schreiben, ausgestellt (in Sterzing?) am 13. April 1809 um 2.00 Uhr nachts und abgeschickt um 6.00 Uhr morgens, passierte um 7.00 Uhr St. Leon- hard in Passeier, um 7.15 Uhr den Sandhof, um 7.30 Uhr St. Martin in Passeier, um 9.15 Uhr Saltaus am Eingang des Passeiertals.89 Ein Schreiben, ausgestellt in Innsbruck am 10. Oktober 1809, lag am folgenden Tag in Meran vor.90 Innerhalb Tirols wurden die Postsendungen in der Regel mit einem Abstand von mehreren Stunden bis maximal zwei Tagen überbracht, diese Effizienz der „Ordinanzen“ ist durchaus beeindruckend und durch die moderne (nicht-elektronische) Post kaum übertroffen.

Ungeachtet der Überbringung von Nachrichten von Hand zu Hand oder Mund zu Mund spielte gerade 1809 auch die mündliche Verbreitung von Nachrichten an ein größeres Kollektiv eine wichtige Rolle. Gerade gedruckte Proklamationen wurden normalerweise in den Stuben der Wirtshäuser angeschlagen und dort laut vorgetragen sowie von den Kirchenkanzeln verlesen. Andreas Hofer schrieb am 10. September aus-drücklich: Welches sodann von gesammten Oberkeiten öffentlich bekannt zu machen, und an den gewöhnlichen Orten anzuheften ist.91 Ein Aufruf vom 1. September 1809 enthält die ausdrückliche Anweisung: Gegenwärtiger Befehl soll übrigens auf allen Kirchenkan-zeln verkündet, und in jeder Gemeinde angeschlagen werden.92 Dies gilt nicht nur für die gedruckten Proklamationen; in einer handschriftlichen Aussendung findet sich der Satz: Diese Verordnung ist überall von den Kanzeln zu verlautbaren.93

a. Information von „außen“

In der 1809-Forschung stand die Frage, in welchem Maß die Tiroler über die Gescheh-nisse außerhalb ihres Landes informiert waren, lange Zeit unbeantwortet im Raum. Hier können die Briefe und Schreiben Hofers überraschend präzise Auskunft geben. So ist beispielsweise nachweisbar, dass die „Landesverteidiger“ über den Frieden zwischen Österreich und Frankreich, der am 14. Oktober 1809 in Schönbrunn geschlossen und am 20. Oktober ratifiziert wurde, etwa zehn Tage lang nicht informiert waren. Erst am 24. Oktober 1809 konnte Hofer seinen Leuten mitteilen, ein durch „Sauve Garde-Befehl“ übermitteltes Schreiben aus dem Hauptquartier des französischen Generals Jean Baptiste Drouet, Comte d’Erlon, hätte Sicherheit gebracht.94 Im selben Schrei-ben Hofers (das vermutlich eine Fälschung aus Haspingers Hand ist, was dem Informa-tionswert aber keinen Abbruch tut) findet sich ein weiterer wichtiger Hinweis auf die Informationssituation und -wege: […] indem wir hierinn die officielle Bestättigung des-jenigen aufgefunden haben, was uns die Extra-Beylagen der Münchner Zeitung schon ein

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89 Hofer an Johann Valentin Tschöll, o. O., 13. April 1809; ebd., Nr. 57 (S. 158f.).90 Hofer an die Kommandantschaft Meran, Innsbruck 1809 Oktober 10; ebd., Nr. 494 (S. 486f.).91 Vgl. ebd., Nr. XIX (S. 377).92 Ebd., Nr. XIV (S. 353–355). Vgl. PFAUNDLER, Freiheitskampf, S. 274.93 OBERHOFER, Weltbild, Nr. 285 (S. 332).94 Ebd., Nr. 577 (S. 541f.).

Andreas Hofers Briefe und Schreiben

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paar Tage früher verkündeten. Hofer und seine Entourage waren also über die globale Entwicklung des Kriegsgeschehens auf den „großen“ Schauplätzen aus der – wenn auch propagandistisch gefärbten – bayerischen Presse informiert. In einem anderen Schrei-ben, ausgefertigt am 22. Oktober 1809, ist zu lesen: Man hört nichts als von Frieden – alle ausländische Blätter zeigen bestimmt den Frieden – an.95 Das „Bauernregiment“ war somit nicht allein auf eingehende Schreiben angewiesen, um an aktuelle Informa-tionen zu gelangen. Dennoch zeigt das den Zeitungen entgegengebrachte Misstrauen, dass die Bedeutung des unterbrochenen Postlaufs zwischen Wien und Tirol für den Aufstand nicht grundlegend revidiert werden muss. Hofer bezog sein Wissen zudem aus einer weiteren Quelle: Er konnte festhalten, die Tiroler hätten aus „aufgefange-nen Briefe[n] und ausländische[n] Blätter[n]“ Verdacht auf den geschlossenen Frieden von Schönbrunn geschöpft. Glücksfälle wie das Abfangen von Schreiben waren wohl vergleichsweise selten. Am 20. November 1809 schrieb Hofer über einen Brief „von einer bayerischen Frau“, der „erwischt“ worden sei.96 Der Inhalt dieses Schreibens war allerdings eher von „privatem“ als von militärischem Interesse für die Tiroler „Landes-verteidiger“. Die Quellen völlig abstruser Informationen, die von den Tirolern zwar mit Begeisterung, aber doch auch skeptisch aufgenommen wurden, bleiben weitgehend im Dunkeln. Am 7. November beispielsweise vermeldete Hofer, die Franzosen seien auf dem Rückzug, aus der Schweiz seien 60.000 Mann zur Hilfe fir Tiroll in Anmarsch. Sein vermeintliches Wissen begründet der Sandwirt mit den Angaben: Es heißt überall und: [a]uch kom von mehreren die mündliche Nachricht hier her, allerdings bemängelt er: man kann sich wircklich nicht verstehn.97

Dass die Tiroler vor allem durch habsburgische Propaganda über den Aufstand in Spanien informiert waren, der von Josef von Hormayr und Erzherzog Johann als Vor-bild für die Tiroler Erhebung betrachtet wurde, gilt heute als erwiesen. Andreas Hofers Schreiben untermauern diesen Befund. Der Sandwirt berichtete am 21. Juni 1809 an seinen Freund Josef Valentin von Morandell in Kaltern über politische Nachrichten vom spanischen und englischen Kriegsschauplatz.98 Am 18./19. Oktober 1809 konnte er dem Passeirer Gerichtsanwalt Josef Gufler mitteilen, in Spanien, wo der Friede noch nicht absehbar sei, da der Kaiser das Spanien nicht […] auser Acht lassen wolle, seien die Franzosen in großen Schwierigkeiten. Die Kommunikation funktionierte in diesem Fall über einen (zufälligen) Botenbericht: Zwei Stabsoffiziere hätten berichtet, die Franzosen würden in Spanien traurig stehen.99

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95 Ebd., Nr. 566 (S. 534).96 Ebd., Nr. 657 (S. 598).97 Ebd., Nr. 632 (S. 580f.) Hofer an Josef Ignaz Straub.98 Vgl. ebd., Nr. 140 (S. 216).99 Vgl. ebd., Nr. 545 (S. 521f.).

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Fazit

Der Austausch von Briefen, Billets und anderen schriftlichen Mitteilungen und die Kommunikation über größere Distanzen hinweg wurde lange Zeit auf den Aspekt der Information über Sachinhalte reduziert, der Brief an sich ist nach wie vor eine rela-tiv vernachlässigte Quellengattung.100 Wenngleich die Schreiben Andreas Hofers bzw. jene aus der „Kanzlei“ der Tiroler Landesverteidigung von 1809 verschiedenen Quellen-gattungen angehören und relativ heterogen sind, lässt sich doch derselbe Befund stel-len. In Hinblick auf den Forschungsstand zum sogenannten Tiroler Freiheitskampf und Andreas Hofer lassen sich zwei Thesen formulieren, und zwar

– dass der Mangel an Quellen bzw. die Unfähigkeit des Nachweises wichtiger Schrift-stücke zu verstärkter Legendenbildung geführt hat101 und

– dass eine geschichtswissenschaftliche Miss- und Fehlinterpretation von Quellen ebenfalls die Mythenbildung gefördert hat, etwa durch die falsche Zuschreibung von vermeintlichen Autographen oder die Auswertung zu kleiner Samples.

Die vollständige Sammlung und Edition aller greifbaren Schreiben des historischen Akteurs Andreas Hofer kann nun wertvolle Aufschlüsse in mehrfacher Hinsicht bieten, beispielsweise in Hinblick auf die politische Kommunikation bezogen auf die schrift-liche Korrespondenz, d. h. das „Wie“ der Informationsvermittlung, das Funktionieren und Nichtfunktionieren der Kommunikation, welches in den vorangehenden Ausfüh-rungen kursorisch durchleuchtet wurde. Abgesehen von wichtigen Hinweisen auf die Ereignisgeschichte bietet sie zudem einen Fundus, durch welchen sich ganze Korrespon-denznetzwerke nachvollziehen und analysieren lassen – trotz der in diesem Fall als sinn-voll erachteten Reduktion auf die Erfassung der Dokumente eines einzelnen Ausstellers. Wesentlich ist dabei, dass nicht nur dieser „Schreiber“ – in unserem Fall Andreas Hofer – greifbar wird, sondern ein Personenkollektiv, das er exemplarisch und prototypisch ver-tritt. Wir können aus den Texten Rückschlüsse auf persönliche Befindlichkeiten und Mentalitäten ziehen, auf gesellschaftliche, das sind familiäre, freundschaftliche oder Patronanznetzwerke, auf Beweggründe für individuelles – vielleicht politisches – Han-deln und Denken vor dem Hintergrund der sozialen Einbettung eines Individuums. Neben den seriellen Quellen sowie den eigentlichen „Ego-Dokumenten“ und „Selbst-zeugnissen“ dürfen Briefe und Schreiben – sei es Andreas Hofers, sei es jedes anderen Akteurs – nicht mehr nur als Quellen über die Makrogeschichte, militärische Ereignisse, Siege und Verluste gelesen werden. Sie sind mehr als „Steinbrüche“102, aus denen Fakten und Daten extrahiert werden können, sondern Zeugnisse, die über religions-, mentali-täts- oder geschlechtergeschichtliche Aspekte Auskunft geben – nicht zuletzt aber auch über die Geschichte der politischen Kommunikation.

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100 ANTENHOFER, Briefe zwischen Süd und Nord, S. 13.101 Vgl. z. B. über den Mangel an zuverlässigen Quellen zu Hofers Hinrichtung: MAZOHL, Jahr 1809,

S. 75–80.102 Vgl. ANTENHOFER/MÜLLER, Einführung, S. 13.

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