Professur für Rehabilitationswissenschaften Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Kognitive Defizite bei kardiologischen Rehabilitanden: Prävalenz und Auswirkungen auf den Rehabilitationserfolg und die berufliche Wiedereingliederung (CoCaRehab)“ Gefördert durch die Deutsche Rentenversicherung Bund Förderkennzeichen: 0421/40-64-50-39 Laufzeit des Projektes: 01.01.2014 – 31.12.2016 Korrespondenz: Dr. rer. medic. Annett Salzwedel Professur für Rehabilitationswissenschaften Universität Potsdam Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam Telefon: 0331/977-4061 E-Mail: [email protected]
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Professur für Rehabilitationswissenschaften
Abschlussbericht zum Forschungsprojekt
„Kognitive Defizite bei kardiologischen Rehabilitanden:
Prävalenz und Auswirkungen auf den Rehabilitationserfolg
und die berufliche Wiedereingliederung (CoCaRehab)“
Gefördert durch die Deutsche Rentenversicherung Bund
Ergebnisdarstellung als Mittelwert ± Standardabweichung oder Anzahl an Fällen (Prozent)
a kognitive Beeinträchtigung: MoCA < 26 Punkte; fehlendes kognitives Screening bei Aufnahme bei einem Pati-enten, b im Belastungs-EKG CABG: koronare-Bypassoperation; COPD: chronisch obstruktive Lungenerkrankung; HADS: Hospital Anxiety and Depression Scale LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion; PCI: perkutane Koronarintervention; MoCA: Montreal Cognitive Assessment
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4.2 Fehlende Werte, Nachbefragung und Non-Responder-Analyse
Die Baseline-Variablen waren fast vollständig. Lediglich bei Depressivität und Ängstlichkeit gab
es eine relevante Anzahl fehlender Werte (13,5% bei Entlassung). Nach eingehender Diskus-
sion im Team überwogen die Zweifel an der Missing-at-Random-Annahme. Deshalb wurde auf
eine Imputation verzichtet. Die Variable erwies sich im Folgenden partiell als inhaltlich be-
deutsam. Die entsprechenden Teilanalysen wurden deshalb mit etwas vermindertem
Stichprobenumfang auf der Basis von available cases durchgeführt.
Das Follow-up zur Ermittlung des Status der beruflichen Wiedereingliederung und des mo-
mentanen krankheitsbezogenen Wissensstandes erfolgte im Mittel 211 ± 51 Tage nach der
Entlassung aus der AR. Von den 401 Respondern (80,7 %) waren 258 (64,7 %) zum Zeitpunkt
der Nachbefragung erwerbstätig. 51 Patienten (12,8 %) gaben an, berentet worden zu sein
oder eine Rente beantragt zu haben, während 44 (11,0 %) arbeitslos waren. 73 Patienten
(18,3 %) waren weiterhin arbeitsunfähig. Eine Umschulung war nur in einem Fall (0,3 %), eine
Ergebnisdarstellung als Mittelwert ± Standardabweichung oder Anzahl an Fällen (Prozent); a im Belastungs-EKG BMI: Body Mass Index; HADS: Hospital Anxiety and Depression Scale; MoCA: Montreal Cognitive Assessment
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4.3 Entwicklung des gesundheitsbezogenen Wissens
Während der Rehabilitation konnte das krankheitsbezogene Wissen der Gesamtpopulation in
den beiden Skalen Medizinisches Wissen und Lebensstilwissen signifikant vermehrt werden
(Abb. 2), wobei die Gruppe der zu Rehabilitationsbeginn kognitiv beeinträchtigten Patienten
weniger Wissen aufbaute als Patienten mit normaler kognitiver Funktion (Tab. 4). Sechs Mo-
nate nach Entlassung war das Medizinische Wissen wiederum, insbesondere bei Patienten mit
kognitiver Beeinträchtigung zum Entlassungszeitpunkt, deutlich reduziert. Dabei muss konsta-
tiert werden, dass die Patienten dieser Gruppe weniger Schulungstermine wahrgenommen
hatten als Patienten mit normaler kognitiver Leistungsfähigkeit, obgleich alle Patienten im
Rahmen der Studie explizit auf die Notwendigkeit zur Teilnahme an den Patientenschulungen
hingewiesen worden waren (Tab. 4).
Abb. 2: Ausprägung des krankheitsbezogenen Wissens (Wissensquiz) während und nach der kardiologischen Rehabilitation (n = 393) Maximal zu erreichende Punktzahlen im Wissensquiz: Gesamt – 34 Punkte; Medizinisches Wissen – 22 Punkte, Lebensstilwissen – 12 Punkte
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Das Wissen zum Lebensstil blieb während des Follow-up-Zeitraums unabhängig von der Grup-
penzugehörigkeit auf einem stabilen Niveau erhalten. Darüber hinaus deutete das
patientenseitig in der Follow-up-Befragung berichtete Ernährungs- und Aktivitätsverhalten
darauf hin, dass diesbezügliche Empfehlungen aus der Rehabilitation zumindest teilweise um-
gesetzt werden konnten. So war der Anteil der Patienten, die angaben, mindestens einmal pro
Woche Obst bzw. Fisch zu konsumieren, signifikant höher als zu Beginn der Rehabilitation
(Abb. 3). Außerdem gaben die Patienten an, an deutlich mehr Tagen in der Woche sportlich
aktiv zu sein als vor dem Koronarereignis. Der Anteil der Raucher unter den Nachbefragten
erschien von 21,9 % (n = 87) auf 18,6 % (n = 74) reduziert, wobei dieser Unterschied keine
statistische Signifikanz aufwies (p = 0,072).
Tab. 4: Änderung des krankheitsbezogenen Wissens (Wissensquiz) und Anteil besuchter Schulungstermine in Abhängigkeit kognitiver Beeinträchtigung
Modellkennzahlen (einbezogene Fälle n und erklärte Varianz nach korrigiertem R²): 1 474, 47 %; 2 475, 45%; 3 486, 49 %; 4 47, 35 %, 5 347, 35 %; 6 368, 32 % MoCA: Montreal Cognitive Assessment; T1: Aufnahme in die kardiologische Rehabilitation; T2: Entlassung aus der Rehabilitation; T3: Follow up ca. 6 Monate nach Entlassung
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Der Erhalt des Wissens nach der Rehabilitation hingegen hing wesentlich von den Ergebnissen
im MoCA-Test bei Entlassung ab. So fiel die Differenz im Wissensquiz zwischen Entlassung aus
der AR und sechs Monaten danach (im Mittel -0,4 ± 5,9 Punkte, vgl. Tab. 4) pro zusätzlichem
Punkt im MoCA bei Entlassung um 0,36 Punkte höher aus (p < 0,001). Dieser Zusammenhang
war auch für die einzelnen Skalen des Wissensquiz Medizinisches Wissen und Lebensstilwissen
separat nachweisbar: pro MoCA-Punkt bei Entlassung resultierte eine um 0,28 bzw. 0,09
Punkte höhere Differenz der Skalen im Follow-up-Zeitraum (p < 0,001 bzw. p = 0,006; Tab. 5).
Eine gute oder sehr gute kognitive Leistungsfähigkeit zum Ende der Rehabilitation trug also
wesentlich zur Verankerung bzw. zur weiteren Vermehrung des krankheitsbezogenen Wissens
im mittelfristigen Verlauf bei. Zusätzlich wurde die Nachhaltigkeit der Schulung durch das Vor-
wissen der Patienten, die Fitness und den Depressivitätswert im HADS bei Entlassung aus der
AR bedingt.
Der Status der beruflichen Wiedereingliederung ein halbes Jahr nach der Rehabilitation war
hingegen nicht durch die kognitive Leistungsfähigkeit zu erklären. Vielmehr stellte die Er-
werbstätigkeit vor der Rehabilitation mit einer beinahe zehnfachen Wahrscheinlichkeit der
beruflichen Wiedereingliederung sechs Monate nach der AR einen unabhängigen Prädiktor
derselben dar. Des Weiteren bedingten höhere Depressionswerte bei Aufnahme und größere
Zunahme im HADS unter der Rehabilitation die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Wieder-
eingliederung ungünstig (pro +3,9 Punkte Depressivitätswert bei Aufnahme (SD) bzw. +2,7
Punkte Differenz zwischen Rehaentlassung und -aufnahme resultierte eine Reduktion der
Wahrscheinlichkeit der beruflichen Wiedereingliederung um 48 bzw. 45 %). Die körperliche
Belastbarkeit und Arbeitsfähigkeit bei Entlassung sowie die Selbsteinschätzung der berufli-
chen Perspektive durch die Patienten stellten ebenfalls unabhängige Prädiktoren der
beruflichen Wiedereingliederung dar, wobei insbesondere eine vom Patienten prognostizierte
Arbeitsunfähigkeit sechs Monate nach AR mit einer um über 80 % geringeren Wahrscheinlich-
keit der tatsächlichen beruflichen Wiedereingliederung einherging (p = 0,004; Abb. 4). Eine
vom Patienten erwartete bzw. angenommene Arbeitslosigkeit oder Berentung ein halbes Jahr
nach Reha-Entlassung sagte zudem mit über 90 %iger Trefferquote eine nicht realisierte Rück-
kehr in die Erwerbstätigkeit voraus.
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5 Diskussion
5.1 Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen in der kardiologischen
Anschlussrehabilitation
Die Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen bei Aufnahme in die kardiologische Rehabilita-
tion nach akutem koronaren Ereignis war in vorliegender Untersuchung mit mehr als 35 %
bemerkenswert hoch. Die Ausprägung der Beeinträchtigungen kann dabei der sogenannten
Leichten Kognitiven Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) zugeordnet werden,
da in der untersuchten Population lediglich für neun Patienten mäßig bis starke Beeinträchti-
gungen festgestellt wurden.
Abb. 4: Prädiktoren der beruflichen Wiedereingliederung
n= 331, erklärte Varianz nach Nagelkerke 47,3 %; bei den kontinuierlichen Skalen wurde als Einheit die jewei-lige Standardabweichung gewählt, um Effektvergleiche zu ermöglichen. T1: Aufnahme in die kardiologische Rehabilitation; T2: Entlassung aus der Rehabilitation; MoCA: Montreal Cog-nitive Assessment
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Wie schon im Abschnitt 2.2 beschrieben, ist die Beurteilung von Studienergebnissen zur kog-
nitiven Leistungsfähigkeit populationsabhängig. So zeigten andere Studien vergleichbare oder
höhere Prävalenzen des MCI bei kardiologischen Patienten [7,8,10], wobei die in diese Studien
eingeschlossenen Patienten in der Regel älter waren als die aktuell untersuchte Gruppe unter
65-jähriger KHK-Patienten. In der allgemeinen kaukasischen Bevölkerung in der Altersgruppe
von 60–65 Jahren wird die Prävalenz des MCI auf 11–17 % geschätzt [20]. Des Weiteren wer-
den ermittelte Prävalenzen wesentlich durch die verwendeten Assessmentverfahren
bestimmt [21], wobei standardisierte neuropsychologische Testbatterien wahrscheinlich zu
höheren Prävalenzraten und präziseren Ergebnissen führen würden als das hier verwendete
Screeninginstrument [22]. Aufgrund der reduzierten Vergleichbarkeit sollten die vorliegenden
Studienergebnisse zur Prävalenz kognitiver Defizite in der kardiologischen AR daher umsichtig
interpretiert werden.
Zum Ende der Rehabilitation zeigte sich die Punktprävalenz des MCI signifikant auf knapp 33 %
verringert. Dieser Befund kann zum einen auf die Wirkung der Rehabilitationsmaßnahme
selbst und hier vor allem auf den Einfluss von körperlicher Aktivität und der medikamentösen
Therapie der KHK zurückgeführt werden [23–26]. Zum anderen sind kognitive Beeinträchti-
gungen nach einem akuten Ereignis und insbesondere nach erfolgter koronarer
Bypassoperation häufig transient und innerhalb von 3–12 Wochen reversibel [27].
5.2 Assoziationen zwischen kognitiver Beeinträchtigung und Patientencharakteristika
In der vorliegenden Untersuchung wurden neben dem Alter und dem Bildungsniveau eine
mehr als einen Monat andauernde Arbeitsunfähigkeit vor dem Koronarereignis sowie eine
hohe körperliche Arbeitsschwere als unabhängige Prädiktoren der kognitiven Beeinträchti-
gung bei Aufnahme in die AR identifiziert. Ein Zusammenhang zwischen kognitiver
Beeinträchtigung und der linksventrikulären Ejektionsfraktion, wie mehrfach in der Literatur
beschrieben, konnten hingegen nicht bestätigt werden [19,28,29,30–32]. In der aktuell unter-
suchten Stichprobe wiesen allerdings – im Gegensatz zu den zitierten Studien – lediglich 38
Patienten (7,6 %) eine reduzierte LVEF von weniger als 40 % auf. Zudem scheint die Nachweis-
barkeit der Assoziation zwischen der LVEF oder anderen klinischen Faktoren und einer
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kognitiven Beeinträchtigung nicht nur von der untersuchten Population, sondern auch von
den verwendeten Test- oder Sreeningverfahren abhängig zu sein [19,33].
Dabei bleibt zu beachten, dass anhand des eingesetzten Screeningverfahrens zwar mit hoher
Sensitivität kognitive Beeinträchtigungen detektiert werden können. Eine (Differential-) Diag-
nostik und Typisierung der kognitiven Beeinträchtigung ist hierdurch jedoch nicht zu ersetzen.
Folglich kann in der Studienpopulation weder zwischen vorbestehenden und entwickelten
oder postoperativen kognitiven Beeinträchtigungen unterschieden, noch zwischen der am-
nestischen1 und der nicht-amnestischen Form des MCI differenziert werden.
Die Ätiologie der verschiedenen kognitiven Beeinträchtigungen divergiert dabei vermutlich
erheblich und ist bislang nicht hinreichend geklärt. Grundsätzlich ist die Entwicklung kognitiver
Beeinträchtigungen altersassoziiert und kann durch eine ungesunde Lebensweise (bspw. Rau-
chen, Alkoholmissbrauch, Bewegungsmangel oder ungesunde Ernährung) begünstigt werden
[34,35]. Darüber hinaus sind die arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie
als Risikofaktoren eines MCI wie auch einer koronaren Herzerkrankung nachgewiesen [9], was
die simultane Entwicklung beider Entitäten vermuten lässt [36]. Gleichzeitig scheinen vorbe-
stehende kognitive Defizite die Entwicklung einer KHK zu bedingen [37]. Demgegenüber
konnten Studien durch bildgebende Verfahren eindrucksvoll regionale zerebrale Veränderun-
gen nach akuten kardialen Ereignissen nachweisen [38,39], die wiederum kognitive
Beeinträchtigungen zur Folge haben.
Spezifische und belastbare Prädiktoren der kognitiven Beeinträchtigung bei Aufnahme in die
kardiologische Rehabilitation waren daher in der berichteten Studie nicht zu ermitteln. Nichts-
destotrotz können die identifizierten Assoziationen als Indizien für das Vorliegen einer
kognitiven Beeinträchtigung in der Reha verstanden werden.
5.3 Effekte kognitiver Beeinträchtigungen auf den Schulungserfolg und die berufliche Wie-
dereingliederung
Krankheitsbezogene Patientenschulungen stellen neben der medizinischen Versorgung,
Sport- und Physiotherapie sowie psychologischer und sozialer Beratung eine Kernkomponente
1 Die amnestische LKB, bei der vorrangig die Gedächtnisfunktion beeinträchtigt ist, gilt als Vorstadium eines De-menz-Syndroms vom Alzheimer-Typ.
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der kardiologischen Rehabilitation dar [3]. Im Rahmen der AR nach akutem koronaren Ereignis
dienen sie in erster Linie der konsequenten Sekundärprävention rezidivierender Ereignisse.
Der Erfolg dieser Schulungen, gemessen am Wissenszuwachs während und nach der Rehabi-
litation, wird jedoch essentiell von der kognitiven Leistungsfähigkeit der Patienten beeinflusst.
Werden aufgrund kognitiver Beeinträchtigungen die Schulungsinhalte nicht verinnerlicht bzw.
die Bedeutung des vermittelten Wissens nicht erkannt, könnten eine verminderte Adhärenz
insbesondere in Bezug auf die medikamentöse Therapie, eine Fehlinterpretation ereignisspe-
zifischer Symptomatiken, Schwierigkeiten beim Lernen und Ausführen von
Überwachungsfunktionen wie z. B. selbständigen Blutdruckmessungen oder bei der Umset-
zung von gesundheitsfördernden Lebensstilmodifikationen resultieren.
In der aktuell untersuchten Population konnten im Mittel deutliche Verbesserungen hinsicht-
lich der sportlichen Aktivität und gesunder Ernährung zwischen Reha-Beginn und sechs
Monaten nach Entlassung verzeichnet werden. Korrespondierend blieb das Wissen zum Le-
bensstil auf einem stabilen Niveau erhalten, während das medizinische Wissen ein halbes Jahr
nach der AR signifikant vermindert war. Dieses Ergebnis mag u. a. auf der hohen Frequenz von
Wiederholungen der Lehrinhalte beruhen, die sich aus der Kombination von Schulungen durch
Sporttherapeuten und Ernährungsberatern wie auch der haptischen Erlebbarkeit der Schu-
lungsinhalte durch Lehrküche oder Trainingstherapie ergeben.
Medizinisches Wissen zu den Grundlagen und Auswirkungen einer KHK bzw. den Symptomen
eines akuten Koronarsyndroms wird hingegen hauptsächlich durch ärztliche Vorträge einmalig
vermittelt. Die sehr hohe Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen und deren deutlich limitie-
render Effekt auf den Schulungserfolg von kardiologischen Patienten unter 65 Jahren
sprechen jedoch dafür, die wesentlichen medizinisches Schulungsinhalte innerhalb der Reha-
bilitation in didaktisch angemessener Form zu vermitteln. Hierbei sollten insbesondere
spezifische gerontagogische Maßnahmen wie eine Reduktion des Komplexitätsgrades oder
ein vermehrtes Repetieren Beachtung finden.
Darüber hinaus spiegelt der Umstand, dass medizinisches Wissen von den Patienten weniger
gut verinnerlicht wird, möglicher Weise eine mangelnde Relevanz einzelner Schulungsinhalte
wider. Sie sollten daher kritisch hinterfragt und nach konkret handlungsweisenden Informati-
onen für den Patienten priorisiert werden.
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Auf den Status der beruflichen Wiedereingliederung ein halbes Jahr nach der kardiologischen
Rehabilitation hatte die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten hingegen keinen Einfluss.
Der Status der Erwerbstätigkeit vor der Rehabilitation, die körperliche Belastbarkeit und Ar-
beitsfähigkeit bei Entlassung, höhere Depressivitätswerte im HADS sowie die
Selbsteinschätzung der beruflichen Perspektive konnten jedoch als unabhängige Prädiktoren
der beruflichen Wiedereingliederung bestätigt werden.
Der negative Einfluss einer Depression auf verschiedene psychosoziale wie auch klinische Pa-
rameter wurde in den letzten Jahren gut untersucht: Depressive Patienten lassen sich
schwerer zu lebensstilverändernden Maßnahmen motivieren, zudem behindern Antriebsmin-
derung und negative Weltsicht die Medikamentenadhärenz, positive Selbsteinschätzungen
(bspw. hinsichtlich der beruflichen Perspektive) und körperliche Aktivität [40,41]. Im berich-
teten Projekt führte eine depressive Symptomatik zudem zu einer Reduktion des
medizinischen Wissens in den Folgemonaten der Rehabilitation.
5.4 Limitationen
Die Ergebnisse vorliegender Untersuchung sind methodisch limitiert und folglich umsichtig zu
interpretieren. Zur Detektion einer kognitiven Beeinträchtigung wurde der MoCA als Scree-
ninginstrument verwendet. Differenzierte Ergebnisse insbesondere zur Art der kognitiven
Beeinträchtigung wie z. B. bei Anwendung einer neuropsychologischen Test-Batterie waren
daher nicht zu erwarten. Des Weiteren sah das Studiendesign keine Kontrollgruppe ohne kar-
diologische Erkrankung vor, weshalb die Beurteilung der ermittelten Prävalenzraten anhand
von aktueller Vergleichsliteratur vorgenommen wurde [13,20,42–44]. Vorbestehende kogni-
tive Beeinträchtigungen konnten darüber hinaus aufgrund des Studiendesigns keine
Berücksichtigung finden, wobei entsprechende Defizite mit postoperativen kognitiven Beein-
trächtigungen korrelieren [45].
In Bezug auf die Nachbeobachtung sechs Monate nach Entlassung aus der AR stellten die Res-
ponder bezüglich Lebensstil und Wissen eine Positivauslese dar. Dadurch wurden in der
Stichprobe im Vergleich zum Gesamtkollektiv vermutlich zu „gute“ und zu homogene Werte
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gemessen. Im Ergebnis werden die Prognosen zu optimistisch ausgefallen sein und die Ein-
flussgrößen möglicherweise zu skeptisch bewertet. Eine formale Korrektur ist nicht möglich,
bei entsprechend vorsichtiger Interpretation aber wohl auch nicht erforderlich.
5.5 Fazit für die Versorgungspraxis
Die Patientenschulung in der kardiologischen Rehabilitation führt zu einer Erhöhung des
krankheitsbezogenen Wissens der Patienten, wobei medizinische weniger gut als praxis- und
lebensnahe Inhalte verinnerlicht werden. Der individuelle Schulungserfolg, insbesondere hin-
sichtlich des Wissenserhalts nach der Rehabilitation, hängt jedoch wesentlich von der
kognitiven Leistungsfähigkeit des Patienten ab, wobei ca. ein Drittel der Rehabilitanden mit
KHK von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen ist.
Vor diesem Hintergrund sollten Patientenschulungen grundsätzlich überdacht werden. Es gilt,
die zu vermittelnden (medizinischen) Inhalte zu priorisieren und anhand geeigneter didakti-
scher Methoden möglichst praxisnah zu transferieren. Dabei sollte ein Gesamtkonzept
Anwendung finden, dass auch die häufige Wiederholung der Inhalte in unterschiedlichem
Kontext (z. B. während der Trainingstherapie) einbezieht. Die Konzeptualisierung krank-
heitsspezifischer Patientenschulungen sollte dabei zentral von einem Schulungsleiter
gesteuert werden, der im Idealfall über Kenntnisse in der Erwachsenenpädagogik verfügt und
dem darüber hinaus spezifische Fortbildungsangebote, wie sie z. B. das Zentrum Patienten-
schulung e. V., Würzburg, anbietet, von der jeweiligen Klinikleitung offeriert werden.
Um den heterogenen Voraussetzungen der zu betreuenden Patienten in der kardiologischen
Rehabilitation Rechnung zu tragen, ist zudem ein modularer Aufbau von Patientenschulungen
in Betracht zu ziehen. Dadurch könnten die Vermittlung von zwingend notwendigem Basiswis-
sen und vertiefenden medizinischen Hintergrundinformationen strukturell voneinander
abgegrenzt werden. In der vorliegenden Studie war für Patienten mit kognitiver Beeinträchti-
gung eine reduzierte Rate besuchter Schulungstermine zu verzeichnen, obgleich die
Studienteilnehmer hinsichtlich der entsprechenden Notwendigkeit instruiert waren. Diese In-
konsequenz kann als Indiz der Überforderung und Überfrachtung im Rahmen der
kardiologischen AR gewertet werden, die es in Zukunft zu vermeiden gilt.
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Separate Schulungen für kognitiv Beeinträchtigte sind indes in keiner Weise zu empfehlen.
Hierfür wäre ein allumfassendes Screening aller anreisenden Patienten notwendig, das bei
positivem Befund eine hinreichende neuropsychologische Diagnostik und Differentialdiagnos-
tik erfordern würde. Bei mangelhafter Evidenzlage scheint vor dem Hintergrund der unklaren
Ätiologie kognitiver Beeinträchtigungen bei kardiologischen Patienten eine Intervenierbar-
keit, die über die ohnehin in der kardiologischen Rehabilitation beinhaltete
Lebensstilmodifikation hinausgeht, nicht gegeben.
Zum anderen könnte ein solches Konzept eine Stigmatisierung und damit eine zusätzliche psy-
chische Belastung betroffener Patienten zur Folge haben, die ethisch nicht vertretbar und für
das Erreichen der Rehabilitationsziele als kontraproduktiv zu bewerten wären. Unabhängig
davon war der Schulungserfolg in vorliegender Untersuchung von weiteren Faktoren wie
bspw. der Schulbildung abhängig, die in adäquaten Schulungsprogrammen ebenfalls Berück-
sichtigung finden sollten.
6 Literatur
1. Singh-Manoux A, Kivimaki M, Glymour MM, et al. Timing of onset of cognitive decline:
results from Whitehall II prospective cohort study. BMJ. 2012;344(5570):d7622.