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1 Abgrenzung und Diskriminierung von Untouchablesin der indischen Gesellschaft (2014) 1. Einleitung S. 1 2. Stellung der Harijans im traditionellen Kastensystem Indiens 2.1.Religiöse Einschränkungen 2.1.1. Situation im Hinduismus S.2 2.1.2. Veränderungen durch die Konversion zum Christentum? S.3 2.2.Reglementierungen für Harijans in der Öffentlichkeit S.4 2.3.Allgemeine Regelungen und Verbote S.5 2.4.Ethnografische Beispiele 2.4.1. Hierarchie zu höheren Kasten in Tamil Nadu S.6 2.4.2. Hierarchie innerhalb der Gesellschaft der Harijans in Tamil Nadu S.10 3. Gibt es heute noch Diskriminierungen gegen Harijans in Indien? 3.1.Gewalt gegen Harijans S.11 3.2.Verbesserungen für Harijans in der modernen indischen Gesellschaft S.12 4. Fazit S.13 5. Literatur S.14 6. Internetquellen S.14 1. Einleitung Im Juni 2012 titelte die BBC: „India's Dalits still fighting untouchability“ 1 . Wie man an der Brisanz des Artikels erkennen kann, hat das Problem der Unberührbarkeit noch nicht an Aktualität verloren. Indien ist ein Bilderbuchbeispiel für soziale Hierarchien in allen Lebensbereichen. Diese drücken sich besonders durch Herabsetzungen aus, welche die niedrigsten Kasten an ihre Stelle verweisen sollen. Im Mittelpunkt der nachstehenden Arbeit soll besonders die Diskriminierung der Unberührbaren stehen, welche im Folgenden mit dem von Gandhi eingeführten Namen Harijans (Kinder Gottes) benannt werden. In dieser Arbeit wird erläutert, welche Stellung Harijans in der traditionellen indischen Gesellschaft innehatten. Um dies zu erläutern wird die Situation der Harijans im Hinduismus 1 o.A.(2012): India's Dalits still fighting untouchability. http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-india-18394914, zuletzt geprüft am 18.02.2014.
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Abgrenzung und Diskriminierung von „Untouchables“ in der indischen Gesellschaft

Jan 27, 2023

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Rainer Borriss
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Page 1: Abgrenzung und Diskriminierung von „Untouchables“ in der indischen Gesellschaft

1

Abgrenzung und Diskriminierung von „Untouchables“ in der

indischen Gesellschaft (2014)

1. Einleitung S. 1

2. Stellung der Harijans im traditionellen Kastensystem Indiens

2.1.Religiöse Einschränkungen

2.1.1. Situation im Hinduismus S.2

2.1.2. Veränderungen durch die Konversion zum Christentum? S.3

2.2.Reglementierungen für Harijans in der Öffentlichkeit S.4

2.3.Allgemeine Regelungen und Verbote S.5

2.4.Ethnografische Beispiele

2.4.1. Hierarchie zu höheren Kasten in Tamil Nadu S.6

2.4.2. Hierarchie innerhalb der Gesellschaft der Harijans in Tamil Nadu S.10

3. Gibt es heute noch Diskriminierungen gegen Harijans in Indien?

3.1.Gewalt gegen Harijans S.11

3.2.Verbesserungen für Harijans in der modernen indischen Gesellschaft S.12

4. Fazit S.13

5. Literatur S.14

6. Internetquellen S.14

1. Einleitung

Im Juni 2012 titelte die BBC: „India's Dalits still fighting untouchability“1. Wie man an der

Brisanz des Artikels erkennen kann, hat das Problem der Unberührbarkeit noch nicht an

Aktualität verloren.

Indien ist ein Bilderbuchbeispiel für soziale Hierarchien in allen Lebensbereichen. Diese

drücken sich besonders durch Herabsetzungen aus, welche die niedrigsten Kasten an ihre

Stelle verweisen sollen. Im Mittelpunkt der nachstehenden Arbeit soll besonders die

Diskriminierung der Unberührbaren stehen, welche im Folgenden mit dem von Gandhi

eingeführten Namen Harijans (Kinder Gottes) benannt werden.

In dieser Arbeit wird erläutert, welche Stellung Harijans in der traditionellen indischen

Gesellschaft innehatten. Um dies zu erläutern wird die Situation der Harijans im Hinduismus

1 o.A.(2012): India's Dalits still fighting untouchability.

http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-india-18394914, zuletzt geprüft am 18.02.2014.

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beleuchtet und ob es für sie einen Ausweg gab indem man zum Christentum konvertierte.

Anschließend betrachtet man die Reglementierungen der indischen Gesellschaft für Harijans

und allgemeine Regelungen und Verbote denen sie sich zu unterwerfen hatten. Nachfolgend

werden ethnografische Beispiele herangezogen, welche auf Forschungen Robert Delièges,

Michael Moffats und Avatthi Ramaiahs beruhen und die Hierarchien in Dörfern Tamil Nadus

beschreiben. Der nächste Punkt soll klären, ob es Diskriminierungen gegen Harijans heute

noch gibt, indem die Gewalt gegen Harijans zur heutigen Zeit analysiert wird und

Verbesserungen in der Lebenssituation von Harijans betrachtet werden.

Besonders in der englischsprachigen Lektüre ist das Thema der Unberührbarkeit breit

erforscht. Neben Ethnologen gibt es auch Forschungen von Soziologen, die sich mit diesem

Thema beschäftigt haben. Besonders hilfreich für diese Arbeit waren die Ergebnisse Robert

Delièges.

2. Stellung der Harijans im traditionellen Kastensystem Indiens

2.1. Religiöse Einschränkungen

2.1.1. Situation im Hinduismus

Der britische Zensus-Kommissar J.H. Hutton definierte Harijans in den 1930er Jahren durch

die Assoziationen von ritueller Verunreinigung und der Interaktion mit höherklassigen

Hindus. Zu seiner Zeit durften Harijans keine öffentliche Einrichtungen oder Tempel

besuchen. Auch der Zugang zu Barbieren, Hotels, Theater, oder Teeläden wurde ihnen

untersagt.2 Die Arbeiten von Parry (1970) und Mines (1984) machen die Religion als

fundamentalen Grund für die gesellschaftliche Ausgrenzung von Harijans aus.3 Sie waren der

Meinung, dass das Stigma der Unberührbarkeit und seine daraus folgenden Behinderungen

sich auf ihre Stellung in der hinduistischen Gesellschaft auswirkten.

Im Jahr 1924 wurde das erste Mal von Harijans Tempel betreten. Seitdem gab es immer

wieder kleine Errungenschaften, wie das Gesetz von 1930 nach dem es ihnen erlaubt war

Tempel zu besuchen.4 Dies veränderte ihre Lebenssituation aber nicht sofort auf eine radikale

Art und Weise. Harijans wurden von der traditionellen indischen Gesellschaft als Menschen

angesehen, die sich mit Müll und organischen Abfällen beschäftigen. Bei den meisten

Zeremonien wurden sie aus der Gemeinde ausgeschlossen. Besonders von Glück

verheißenden Ritualen wurden Harijans ferngehalten, da ihre Anwesenheit die Götter

erzürnen könnte. Zudem durften sie nicht den Sanskrit-Göttern huldigen. Dennoch hatten sie

2 Vgl. Michael, Sebastian M. (2007): Dalits in modern India. Vision and values. 2nd ed. Los Angeles: Sage

Publications, p.78. 3 Vgl. Deliège, Robert (2002): Is there still Untouchability in India? In: Working Paper No. 5, p. 10.

4 Vgl. Deliège, Robert (2001): The untouchables of India. Oxford: Berg, p.91.

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bei Ritualen, die den Tod beinhalten wichtige Aufgaben inne, wie die des

Beerdigungspriesters oder bei der Vorbereitung von Bestattungen. Tod ist im Hinduismus die

größte Form von Verschmutzung, weshalb Mitglieder höherer Kasten diese Arbeiten nicht

ausführen wollten.5 Harijans hatten bei diesen Zeremonien eine vermittelnde Rolle zwischen

der Welt und der Dämonen inne. Trotz des verabschiedenden Gesetzes gibt es immer noch

Regelungen, die innerhalb der Hindu-Gesellschaft als Selbstverständlich gesehen werden, wie

das Verbot für Harijans die Hauptstraßen der Tempel zu betreten oder den Hauptgöttern

Geschenke zu machen. Die religiösen Welten der Brahmins und der Harijans sind auch heute

noch klar voneinander getrennt. Oftmals haben Harijans kaum Kenntnisse über ihre eigene

Religion, da sie zum einen größten Teils nicht lesen können und zum anderen keine Sanskrit-

Texte lesen dürfen.6 Die Vorurteile die auf ritueller Verunreinigung begründen, sind auch

durch eingreifen der Regierung nur Schwer aus der indischen Gesellschaft zu beseitigen. Auf

diesem Stigma basieren die Isolierung von Harijans aus der Kasten-Gesellschaft und ihre

Lebensbedingungen.7

2.1.2. Verbesserungen durch die Konversion zum Christentum?

Da viele Harijans davon überzeugt waren, dass ihre gesellschaftliche Ausgrenzungen auf

hinduistischen Regelungen beruht, beschlossen einige im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts

zum katholischen Glauben zu konvertieren, um so dieser Unterdrückung zu entkommen. Vor

allem im Süden Indiens ließ sich eine Welle von Konversionen zum Christentum feststellen.8

Doch konvertierte Harijans mussten feststellen, dass sie auch in ihrem neuen Glauben

marginalisiert wurden. Sie mussten zum Beispiel die Zeremonien vor der Kirche, oder auf

dem Kirchenboden verfolgen. Außerdem wurden einige Harijans von ihren Klerikern

herablassend behandelt und spielten deshalb in Zeremonien nur eine geringe Rolle.9 Man

kann feststellen, das christliche Harijans nicht militant, oder aggressiv für ihre Rechte

einstehen.10

Sie sind isolierter in ihrem sozialen Umfeld als hinduistische Harijans. Zudem

haben sie nur einen kleinen Anteil an der Emanzipationsbewegung von Harijans. Nach der

Konversion blieben viele christliche Harijans in ihren Dörfern und heirateten weiter in den

eigenen Kasten, in die sie von den Hindus kategorisiert wurden. Auch der wirtschaftliche

Erfolg blieb in vielen Fällen aus.

5 Vgl. Ebd., p.91.

6 Vgl. Ebd., p.94.

7 Vgl. Béteille, André (1992): The backward classes in contemporary India. Delhi, Oxford: Oxford University

Press (Oxford India paperbacks), p.27. 8 Vgl. Deliège, Robert (2001), p.92.

9 Vgl. Deliège, Robert (2001), p.93.

10 Vgl. Deliège, Robert (1997): The world of the untouchables. Paraiyars of Tamil Nadu. Delhi, New York:

Oxford University Press, p.160.

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Aus diesen Gründen hat das Christentum an Reiz für Harijans abgenommen und einige

katholische Harijans konvertierten zum Protestantismus, welcher nicht, wie die römisch-

katholische und die syrisch-orthodoxe Kirche das Kastensystem übernommen hatte, sondern

es verurteilten.11

Zudem gab es viele Übertritte zum Islam, oder zu dem, durch Dr.

Ambedkhar propagierten, Buddhismus.

2.2. Reglementierungen für Harijans in der Öffentlichkeit

Es gibt eine Reihe von Regeln für Harijans, die von Region zu Region mehr oder weniger

strickt umgesetzt wurden. Diese werden in den folgenden zwei Abschnitten erläutert.

Die Grenze der Siedlungen von Kasten-Hindus (uur) und der Harijans (ceeri) ist auch heute

noch klar erkennbar und wird oft durch einen Fluss, einen Berg oder ein Feld klar markiert,

Harijans wurden außerhalb der „berührbaren“ Gesellschaft angesiedelt, um Unheil von diesen

abzuwenden. Angehörige höherer Kasten betraten das Viertel der Unberührbaren nur, wenn

sie dort eine bestimmte Arbeit verrichten mussten und wuschen sich später die Füße, um sich

von der Verunreinigung zu befreien. Ihre Unterkünfte der Harijans wurden oft als schmutzig

und stinkend beschrieben. Die Städte der Kasten-Hindus sollten also von dieser Primitivität

geschützt werden, indem sie separiert werden.12

Die Straßen des uur durften Harijans nur aus bestimmten Gründen betreten, zum Beispiel,

wenn sie dort eine Arbeit verrichten mussten. Früher durften sie kein Wasser aus dem

städtischen Brunnen holen und mussten warten, bis jemand aus einer höheren Kaste ihnen das

Wasser zum Dorfrand bringt. Dieses Verbot ist weiterhin weit verbreitet und streng

kontrolliert. Doch haben viele Unberührbare nun ihre eigenen Brunnen, wodurch diese Regel

umgangen werden kann. In vielen Regionen durften sie auch nur in einem bestimmten,

abgegrenzten Teil des Wasserreservoirs baden.13

Auf dem Markt hatten Harijans sich weit weg von ihren Waren aufzuhalten, damit die

Passanten nicht mit ihnen in Berührung kommen. Das Geld wurde zum Bezahlen auf einen

Stein gelegt oder vorher mit Wasser gereinigt, um Verschmutzung zu vermeiden.14

In Tee-Läden saßen sie, wenn es ihnen erlaubt war diese zu betreten, fernab von den übrigen

Kasten-Hindus. Zudem wird ihnen der Tee in eigenen Tassen serviert.15

Bildung wurde früher den unteren Kasten automatisch verwehrt. Dieses Verbot ist nun

aufgehoben. Heute dürfen Harijan-Kinder die Schulen besuchen. Es lässt sich aber dennoch

eine hohe Abwesenheitsrate feststellen, denn sie müssen für den Unterhalt der Familien

11

Vgl. Michael, Sebastian M. (2007), p. 83. 12

Vgl. Deliège, Robert (2001), p.98. 13

Vgl. Deliège, Robert (2001), p. 95. 14

Vgl. Ebd., p.96. 15

Vgl. Ebd., p.96.

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arbeiten gehen. Zudem werden einigen Harijan-Kinder schlecht von ihren Lehrern behandelt

und müssen dem Unterricht auf der Schulveranda folgen. In der indischen Gesellschaft ist die

Gleichberechtigung oftmals noch nicht angekommen und viele Kasten-Hindus sind der

Meinung Harijans gehören nicht zwischen die intellektuelle Schicht.16

2.3. Allgemeine Regelungen und Verbote

Mitglieder höherer Kasten, wie zum Beispiel die der Barbier, lehnten es ab für Unberührbare

zu arbeiten. Harijans entwickelten aus diesem Grund bestimmte Funktionen selbst aus, was zu

einer Ausbildung von Sub-Kasten führte.17

Kasten-Hindus vermeiden es zudem auch heute noch Essen, das von untergeordneten Kasten

zubereitet wurde, anzunehmen. Oft lassen sich widersprüchliche Essensregeln ausmachen,

doch die Tendenz geht in die Richtung, dass man Essen und Trinken eher von höheren Kasten

annimmt, und das der niedrigeren Kasten ablehnt. Ungekochtes Essen dagegen kann man von

jedermann annehmen, denn die unteren Kasten erarbeiten die Rohmaterialien des Essens auf

den Feldern. Das Essen von niedergestellten anzunehmen würde bedeuten, dass man diese als

gleichwertig betrachtet. Sogar in der Wertung der Nahrung gibt es Hierarchien: Brahmins

leben streng vegetarisch, denn dies ist einer der Wege seine hohe Kastenposition zu

demonstrieren.18

Dem Vegetarismus folgen die Einnahme von Ei, Fisch, Huhn, Hammel,

Schwein, Rindfleisch und Aas. Harijans essen normalerweise die letzten drei Fleischarten in

dieser Hierarchie. Rind zu essen gilt als schambehaftet. Sie würden gerne andere Nahrung zu

sich nehmen, haben aber nicht die Mittel dafür. Oftmals müssen sie die Abfälle der

Höherrangigen essen oder für ihre Nahrung betteln.19

Von den höheren Kasten vorgeschriebene Verhaltensweisen sollten Harijans immer an ihre

untergeordnete Position in der Gesellschaft erinnern. Selbst ein Harijan findet es heute noch

befremdlich, wenn er auf gleicher Höhe wie ein Kasten-Hindu sitzen darf. Wenn Harijans

früher auf ein Mitglied einer höheren Klasse stießen, mussten sie anhalten und durften erst

weiterlaufen, wenn es ihnen erlaubt ist. Wenn es ihnen überhaupt erlaubt war Rad zu fahren,

hatten sie von diesem abzusteigen, wenn ihnen eine höherrangige Person den Weg kreuzt. In

manchen Regionen mussten sie sich die Hand vor den Mund halten, wenn sie sprechen und

ihre Augen und Stimmen senken. Wenn Harijans heute nach etwas fragen hört es sich oft so

an, als würden sie um etwas betteln. Einen höhergestellten Mann müssen sie mit „Lord“ oder

„Master“ anreden, auch wenn dieser offensichtlich jünger ist als man selbst. Angehörige

16

Vgl. Ebd., p.97. 17

Vgl. Ebd., p.101. 18

Vgl. Ramaiah, Avatthi (1999): Untouchability Inter-caste Relations in Rural India The Case of Southern Tamil

Villages. Online verfügbar unter http://tamilnation.co/caste/ramaiah.pdf, zuletzt geprüft am 16.02.2014, p.2. 19

Vgl. Deliège, Robert (2001), p. 104.

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höherer Kasten nennen Harijans bei ihrem Kastennamen, damit diese sich beschämt fühlen.20

In Tamil Nadu kann man bemerken, dass einige Harijans beim Reden die Arme überkreuzen

und sich auf Distanz halten.21

Besonders in Süd- und Westindien herrschten früher restriktive

Vorschriften gegen Harijans zur Wahrung der Distanz. Ein Harijans musste sein Kommen mit

einer Glocke ankündigen. Zudem musste er in manchen Gegenden Spucknäpfe tragen, um zu

vermeiden, dass höhere Kasten angespuckt werden wenn dieser redet. In einigen Regionen

hatten die Wäscher der Harijans ihre Arbeit bei Nacht zu verrichten, damit sie den Tag nicht

mit ihrer Anwesenheit verschmutzten. Auch die Landarbeiter waren im Süden stärker

abhängig von ihren Herren, als im Norden. Denn in Nordindien lassen sich auch

Diskriminierungen ausmachen, besonders die Straßenkehrer und Latrinenreiniger waren

Marginalisierungen ausgesetzt. Dennoch blieben die meisten Mitglieder der Harijans von

Diskriminierungen verschont.22

Physisch sind Harijans nicht von anderen Kasten zu unterscheiden. Mittlerweile dürfen sich

Harijans kleiden wie Kasten-Hindus, was früher streng verboten war. Sie durften zum

Beispiel kein Turban tragen, oder sich die Brust bedecken. Es war ihnen nicht erlaubt einen

Sonnenschirm bei sich führen oder Sonnenbrillen oder Schuhe tragen, denn dies würde für

einen sozialen Status sprechen. Aus diesem Grund ist es dann wohl naheliegend, dass

Harijans verweigert wurde Gold oder Juwelen zu tragen. Zudem durften Männer keine Mäntel

tragen, die unterhalb des Knies endeten. Das Tragen von weißen Mänteln wurde ihnen auch

untersagt und sie durften sich die Haare nicht kurz schneiden. Frauen durften sich ihren

Oberkörper nicht bedecken, keinen Puder benutzen oder Blumen im Haar tragen. Ihr Sari

durfte zudem nicht bis zum Fußknöchel reichen. Modische, oder kostbare Kleidung wurde

beiden Geschlechtern verwehrt. Traditionell bekamen Harijans ihre Kleidung zu ihrem Jajman

und tragen diese bis sie ihnen vom Leib fällt. Neue Kleidung wurde nur zu bestimmten

Festivitäten gekauft, oder gewechselt. Dass ein Harijan seine Brust nicht bedecken durfte war

ein Zeichen der Unterdrückung. 23

2.4. Ethnografische Beispiele

2.4.1. Hierarchie zu höheren Kasten in Tamil Nadu

Michael Moffat fertigte im Jahr 1979 eine Studie zu der Situation der Harijans in Südindien

an. Das Dorf, welches im Mittelpunkt seiner Forschung stand, war Endavur, das im Norden

von Tamil liegt. Es hatte zu dieser Zeit 1500 Einwohner, welche in 19 Kasten aufgeteilt

20

Vgl. Ebd., p. 105. 21

Vgl. Deliège, Robert (1997), p.168. 22

Vgl. Mendelsohn, Oliver; Vicziany, Marika (1998): The Untouchables. Subordination, poverty and the state in

modern India. Cambridge [u.a.]: Cambridge Univ. Press (4), p.37. 23

Vgl. Deliège, Robert (2001), p.107.

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waren. Die meisten Harijans waren Paraiyans. Auch Endavur wurde in zwei Dörfer geteilt, in

das uur, welches von höheren Kasten bewohnt wurde und das ceeri, in dem die Harijans

lebten. Zwischen diesen zwei Teilen lagen ca. 200 Yard trockenes Land zur Abtrennung.24

Dominiert wurde Endavur von zwei Familien aus der Kaste der Reddiyars, welche die

Idaiyars in ihrer Position ablösten. Besonders durch die Briten begann ihr wirtschaftlicher und

politischer Aufstieg, da sie durch diese viel Land gewannen. Man hat sich mit anderen

Familien der Reddiyars verheiratet, weswegen ein Machtmonopol dieser Familien entstand.

Im 20. Jahrhundert mussten sie Landverluste hinnehmen, besaßen aber zu der Zeit von

Moffats Forschungen noch 65% des Landes von Endavur.25

Harijans besaßen früher nur

karges Land, was sich aber mit der Herrschaft der Briten besserte. Dennoch stellte Moffat

fest, dass viele Harijans auf die Arbeit bei den Reddiyars angewiesen seien. Diese halfen auch

bei wirtschaftlichen Missständen aus und regelten Streitigkeiten zwischen Harijans. In

Endavur herrschte ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Gesellschaftsgruppen, da

Harijans auf die Arbeit auf den Ackern der Reddiyars angewiesen waren, diese aber auch im

Umland nach geeigneten Arbeiter suchen können.26

Im Vergleich zu anderen Dörfern in der

Umgebung stellte aber Moffat fest, dass es den Harijans von Endavur wirtschaftlich besser

gehe als anderen Harijans. Sie durften die Hauptstraße betreten und ihre Kinder zur Schule

schicken. Auch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit war keinen strickten Regeln unterworfen.

Dennoch wurden sie von höheren Kasten dominiert, übten immer noch traditionelle Arbeit

aus und lebten separat von den höheren Kasten.27

Das Kastensystem war in Endavur in den

1970er Jahren also noch erkennbar, da die Reddiyars eine wirtschaftliche und politische

Dominanz ausübten. Die Harijans stellten die niedrigste der Kasten dar, welche territorial

ausgeschlossen wurden. Ihre Nahrung wurde von höheren Kasten nicht akzeptiert. Außerdem

weigerten sich Barbiere und Wäscher, welche selber die niedrigsten der „berührbaren“ Kasten

darstellen, Harijans zu bedienen.28

Der Ethnologe Robert Deliège veröffentlichte im Jahre 1997 seine Forschungen zu der

Lebenssituation der Harijans in Tamil Nadu. Im Zentrum seiner Recherchen stand Kanda

Devi und die Dominanz der Kaste der Kallars. Diese hatten ihren Ursprung in einer Kaste der

Diebe, welche vor allem von Viehdiebstahl und Einbrüchen lebten. Die Briten listeten Kallars

unter kriminellen Kasten auf. Mit der Zeit wurden die Kallars friedlicher und bildeten sich zu

24

Vgl. Moffatt, Michael (1979): An Untouchable community in South India, structure and consensus. Princeton,

N.J: Princeton University Press, p.64. 25

Vgl. Ebd., pp.66-68. 26

Vgl. Ebd., pp.79. 27 Vgl. Moffatt, Michael (1979), p. 84. 28

Vgl. Ebd., pp. 94.

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einer Bauern-Kaste aus. Dennoch gerieten noch in den 1990er Jahren Kallars schnell in

Auseinandersetzungen und waren von den übrigen Dorfbewohnern gefürchtet. In Kanda Devi

kontrollierten Kallars die Ressourcen und betrachteten sich als die Eigentümer des Landes,

was aber nicht rechtlich festgeschrieben wurde. Die Harijans dieser Gegend standen in einem

Abhängigkeitsverhältnis zu den Kallars, denn diese bestimmten über das landwirtschaftliche

Land, Wege und Weideland. Zudem hatten sie wichtige Positionen in Gremien, Räten und der

Polizei inne und sprachen Recht in der Dorfgemeinschaft, was vom Großteil der Anwohner

akzeptiert wurde. Unter den Paraiyans galt es als hohes Prestige, wenn man ein eigenes Land

besaß. Deshalb kauften sie von den Kallars (meist unwirtliches) Land zu horrenden Preisen.29

Ein von Deliège aufgegriffenes Beispiel beschreibt die Abhängigkeit der Harijans von den

Kallars in dieser Gegend: Suakins kleiner Sohn war krank, weshalb dieser sich Geld bei den

örtlichen Kallars leihen musste um Arztkosten und Medikamente bezahlen zu können. Im

Gegenzug erwartete der Geldgeber eine Rückzahlung mit hohen Zinsen und mehrtätige

Feldarbeit, die mit wenig und gegen Ende mit gar keinem Geld entlohnt wurde.30

Die Tendenz zur Zeit der Forschungen Delièges lief eher dazu, dass sich junge Harijans gegen

diese Dominanz wehrten. Dennoch hatten die meisten Harijans Angst von den Kallars

vertrieben zu werden, wenn sie sich gegen diese auflehnen würden.31

Es gab verschiedene Formen der Diskriminierung, welche Harijans in dieser Gegend erfahren

mussten. Diese erforschte Deliège in dem Verhältnis der ansässigen „unberührbaren“

Paraiyans zu den Kallars. Zum einen betraten Kallars nicht die Häuser von Paraiyans. Sie

nahmen auch keine Nahrung von ihnen an. Paraiyans lebten in ihrem eigenen ceeri und

durften das uur nicht betreten, es sei denn es war aus einem speziellen Grund. Sie mussten

sich einem Kallar gegenüber demütig verhalten und bei einer Bitte um Vergebung bitten.

Wenn ein Kallar einen Paraiyan schubste, reagierte dieser nicht darauf, geschweige denn, dass

er sich wehrte. Kallars wollten Paraiyans ungebildet halten, was aber in der modernen Zeit

durch die Gesetzgebung verhindert werden konnte. Dennoch konnte man erkennen, dass ein

Lehrer ein Kallar-Kind nicht zurechtweisen würde, wenn dieser ein Paraiyan-Kind ärgern

würde. Deliège bemerkte, dass ein Ablösungsprozess der Paraiyans von den Kallars begonnen

hatte. Diese haben dennoch einige (mehr oder weniger legitime) Druckmittel, mit denen sie

Harijans an sich binden können, da sie die Benutzung von Wegen verbieten, oder Land

29

Vgl. Deliège, Robert (1997), pp. 150-152. 30

Vgl. Ebd., p. 153. 31

Vgl. Ebd., p. 157.

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verweigern oder zurückfordern können. Zudem sehen sie sich in der Position administrativ

Druck auszuüben oder sich zu verweigern Geld zu leihen.32

Würden sich die Harijans zusammentun um gegen diese Unterdrückung anzugehen könnten

sie vielleicht eine Front bilden. Doch die Harijans dieser Gegend sind keine homogene Partei,

sondern ein Gebilde von Gruppen die sich wiederum gegenseitig in einer speziellen

Hierarchie unterdrücken. Zudem haben sie Angst, dass die Kallars ihre Häuser abbrennen

würden, wenn sie sich wehren würden. Ein Beispiel von 1979 zeigt die offensive Gewalt, mit

welcher Kallars ihre Dominanz aufrecht erhalten. In diesem Jahr herrschte ein Konflikt

zwischen Kallars und Pallars. Ein Mob von Kallars überfiel daraufhin das Viertel der Pallars.

Als Folge wurden fünf Pallars umgebracht, 30 wurden verletzt. Dazu wurden 15 Häuser

niedergebrannt, Wertsachen und Vieh gestohlen und das angebaute Getreide vernichtet.33

Avatthi Ramaiah, ein indischer Soziologe, publizierte im Jahr 1999 seine

Forschungsergebnisse, in denen er zwei Dörfer exemplarisch für die Situation von Harijans in

Tamil Nadu heranzog. Seine Erhebungen entstanden im Zeitraum zwischen 1989 und 1998.

Das eine Dorf hieß Akramesi, welches vor allem von mittleren Schichten und SCs bewohnt

wurde. Umgeben war Akramesi von Dörfern, die von Kasten-Hindus dominiert wurden. Das

zweite Dorf war Keelaparthibanur, welches besonders von Pallars bewohnt wurde und in dem

weniger Kasten-Hindus festzustellen waren.34

In Akramesi wurden nach Aussagen Ramaiahs von 629 Haushalten 25 von Scheduled Castes

bewohnt. Die wirtschaftliche und politische Kraft lag in den Händen der höheren Kasten. Die

Scheduled Castes besaßen kein eigenes Land und waren abhängig von den mittleren Kasten.

Da sie keine Dorftempel betreten durften besaßen Pallars eigene Tempel. Die Harijans von

Akramesi durften nicht aus dem gleichen Brunnen trinken wie die Kasten-Hindus, oder in

denselben Teichen baden. In Teeläden mussten sie auf dem Boden sitzen und bekamen ihre

Getränke in eigenen Tassen serviert. Zudem war es SCs verboten Rad zu fahren.35

In Keelaparthibanur war der Großteil der Bevölkerung Pallars, also Harijans. Es waren also

kaum Diskriminierungen ausgehend von Kasten-Hindus festzustellen. Ramaiah bemerkte

aber, dass die Pallars im südlichen Teil des Dorfes lebten, die Kasten-Hindus dagegen im

nördlichen Teil. Die Lebenssituation der Pallars von Keelaparthibanur war dennoch viel

selbstständiger als die der Harijans in Akramesi, denn sie besaßen Land, welches sie

32 Vgl. Deliège, Robert (1997), p.159. 33

Vgl. Ebd., p.158. 34

Vgl. Ramaiah, Avatthi (1999), pp. 1-2. 35

Vgl. Ramaiah, Avatthi (1999), pp. 5-7.

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bewirtschaften konnten. In diesem Dorf waren die Pallars stark genug, um für ihre Rechte zu

kämpfen.36

2.4.2. Hierarchie innerhalb der Gesellschaft der Harijans in Tamil Nadu

Oft werden Klassenunterschiede von Unberührbaren selber gemacht. Während

Latrinensäuberer von anderen Harijans von Tempeln zurückgehalten werden, dürfen

höherrangige Harijans diese betreten.37

An dieser Tatsache ist festzustellen, dass

Unberührbare keine homogene Masse darstellen. Die drei Hauptkasten der Harijans in Tamil

Nadu sind die Paraiyans (Lederarbeiter, Trommler), die Pallars (Landarbeiter), und die

Chakkiliyans (Lederarbeiter). Diese leben nebeneinander in einer einfachen lokalen

Hierarchie, die meistens wie folgt aussieht: Pallars, Paraiyans, Chakkiliyans.38

In dem im Jahr 1997 von Deliège erforschten Gebiet stehen Pallars und Paraiyans in

täglichem Kontakt zueinander. Sie sind Nachbarn und beide als unberührbar eingestuft. Die

Pallars dieser Gegend sind der Überzeugung höher als die Paraiyans gestellt zu sein. Diese

wiederum akzeptieren diese Dominanz nicht und sehen in den Pallars Betrüger. Beide Kasten

nehmen keine Nahrung voneinander an. Dennoch werden beiden Kasten dieselbe Tasse in den

örtlichen Teeläden gereicht. Normalerweise weigerten sich die Pallars Wasser aus derselben

Pumpe wie die Paraiyans zu trinken, doch seit die Reserven limitiert sind, mussten sie diese

Regelung aufgeben. Die beiden Kasten unterhalten ein distanziertes Verhältnis zueinander

und lassen ihre Kinder nicht miteinander spielen. Eine Freundschaft ist eher selten

festzustellen. Querelen zwischen Pallars und Paraiyans, die im kollektiven Gedächtnis

verankert blieben, stärken dieses kühle Zusammenleben.39

Auch Avatthi Ramaiah stellte eine Unberührbarkeit innerhalb der Gesellschaft der Harijans

fest, die auch heute noch oft in Studien erwähnt wird. Während die Pallars in dieser

Hierarchie die höchste Position einnehmen, folgen ihnen die Paraiyans, welche Ursprünglich

als Leberarbeiter und Trommler ihren Lebensunterhalt erstritten. Im 18. Jahrhundert gelang

ihnen unter der Kolonialherrschaft einen aufstieg als Bauarbeiter, Dienstboten oder Soldaten.

Da sie Rindfleisch essen meiden die Pallars sie. Den Paraiyans folgen die Kuracan, welche

Vögel und Katzen jagen und Haushaltsgegenstände aus Bambus oder Palmenholz herstellen.

Die nächst niedrige Stufe nehmen die Chakkiliyars ein, welche Kadaver beseitigen und unter

anderem auch die Straßen der Pallars kehren. Sie häuten die toten Tiere und ernähren sich von

36

Vgl. Ebd. pp. 7-9. 37

Vgl. Deliège, Robert (2001), p.92. 38

Vgl. Moffatt, Michael (1979), p. 59. 39

Vgl. Deliège, Robert (1997), pp. 161-164.

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ihnen. Die unterste Schicht, so Ramaiah, seien die Puthiravanna, welche die Wäsche für die

Pallars waschen und die Kleidung von in die Pubertät gekommenen Pallar-Mädchen

auftragen.40

Die Pallars stehen an der Spitze dieser Hierarchie, da sie getrennt von den Paraiyans und den

anderen leben. Sie sind oftmals politisch organisiert und bezeichnen sich stolz mit ihrem

Kastennamen. Sie sind Landarbeiter, machen also keine allzu unreinen Tätigkeiten. Sie essen

aus zwei Gründen kein Rind: Zum einen gilt es als rituell verunreinigend Rinder zu essen,

zum anderen sind sie durch ihre Arbeit auf ihr Vieh angewiesen. In manchen Gebieten essen

Pallars auch kein Schwein um ihre gehobene Position zu beweisen. Sie sind in den meisten

Gegenden wirtschaftlich besser gestellt als die restlichen Harijans, weshalb diese bei den

Pallars Essen erbetteln.41

3. Gibt es heute noch Diskriminierungen gegen Harijans in Indien?

3.1. Gewalt gegen Harijans

Der indische Soziologe Avatthi Ramaiah listete in seinem Aufsatz „Combating Crimes

against Dalits in India“ die Zahl der gewalttätigen Verbrechen gegen Dalits auf. Zwar hat sich

rechtlich gesehen die Situation der Dalits verbessert, doch zeigt eine aktuelle, von Ramaiah

aufgegriffene Studie von 2006, dass Unberührbarkeit in 80% der indischen Dörfer in privaten,

politischen, öffentlichen und religiösen Sphären existiert. In einem von 10 Dörfern, so die

Studie, dürfen Dalits keine neuen Kleider, Schirme, Sonnenbrillen oder Fußbekleidung

tragen, oder Fahrräder benutzen.42

Die Ergebnisse des „Crimes in India Reports (1981-2009)“

des NCRB (National Records Crime Bureau) zeigen dass auch die Zahl der Verbrechen gegen

Dalits und SCs von 14318 im Jahr 1981 auf 33594 im Jahr 2009 stieg. Die Zahl der

angezeigten Vergewaltigungen von Nicht-SC-Männern gegen SC-Frauen stieg von 604 im

Jahr 1981 auf 1457 im Jahr 2008.43

Dabei fällt auf dass die meisten Vergewaltigungen

zwischen 2003 und 2009 in Madhya Pradesh angezeigt wurden, gefolgt von Uttar Pradesh

und Rajasthan.44

Ramaiah stellte fest, dass sogar in Kerala, dem Staat mit der höchsten

Bildungsrate und einer hohen Verbreitungsrate von marxistischen und christlichen Ideologien

eine bemerkenswerte Anzahl von Vergewaltigungen an SC-Frauen festzustellen sei. Auch die

Zahl an ermordeten SCs ist hoch, besonders auffällig ist dabei Uttar Pradesh. Hier ist auch die

Verurteilungsrate von Vergewaltigern und Mördern sehr hoch, was von einer

40

Vgl. Ramaiah, Avatthi (1999), p. 10. 41

Vgl. Ebd., p.12. 42

Vgl. Ramaiah, Avatthi (2012): Combating crimes against Dalits: Uttar Pradesh shows the way. Social Science

Research Network. Online verfügbar unter http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1996892, zuletzt

geprüft am 16.02.2014, p. 2. 43

Vgl. Ebd., pp. 2-3. 44

Vgl. Ramaiah, Avatthi (2012), p. 4.

Page 12: Abgrenzung und Diskriminierung von „Untouchables“ in der indischen Gesellschaft

12

Weiterentwicklung der Rechtsstaatlichkeit zeugen und auch die hohe Rate an Anzeigen

erklären kann. Ramaiah sieht in der Gewalt gegen Harijans eine Reaktion auf die

Emanzipation von Harijans, um diese an ihren traditionellen Platz in der Gesellschaft zu

erinnern.45

3.2. Verbesserungen für Harijans in der modernen indischen Gesellschaft

Durch neue wirtschaftliche Möglichkeiten begann ein Aufbruch der Kastensysteme. Die

Distanz zwischen Arm und Reich löst die Trennung durch rituelle Unreinheit ab.46

Doch kann

man eine soziale Mobilität von Harijans ausmachen, die schon seit der Kolonialzeit aus ihren

traditionellen Berufen ausbrechen konnten und sich als Dienstboten, Soldaten oder Polizisten

verdingen konnten.47

Die Diskriminierung von Harijans wurde in der Moderne verstärkt diskutiert und seit Jahren

setzen sich auch Eliten, wie Juristen und Ärzte für eine bessere Lebenssituation für Harijans

ein. Harijans von heute müssen nicht mehr unter denselben Bedingungen leben wie ihre

Vorfahren. Marginalisierung von Harijans ist heute noch auf Dörfern auszumachen, doch

auch dort gibt es kleine Verbesserungen. Es lässt sich eine Sanskritisierung von Harijans

feststellen, sowie religiöse Konversionen, politische Organisationen, und ein

Selbstbewusstsein, das durch christliche, nationalistische und demokratische Ideen gefördert

wurde. 48

Da Unberührbarkeit rechtlich verboten wurde, dürfen Harijan-Kinder Schulen und

Universitäten besuchen und werden oftmals in ihrer Ausbildung von der Regierung gefördert.

Deliège stellte fest, dass durch die positive Diskriminierung und die Förderung von Harijans

durch die Regierung Kasten, die zwar arm sind, aber nicht als rituell verunreinigt gelten, nicht

als SC gelistet und so in der Verteilung von Privilegien benachteiligt werden.49

Diese seien es

die sich von dem Aufstieg der Unberührbaren bedroht fühlen und mit Gewalt auf die

Emanzipation der Harijans antworten. Im selben Aufsatz erklärt er Unberührbarkeit als

abgeschafft, da Hairjans nun in die Schule gehen und in den Tempel gehen dürften. Zudem sei

es ihnen erlaubt den Bus zu nehmen, moderne Kleidung zu tragen, und Restaurants ihrer

Wahl zu besuchen.50

Er ist der Meinung das Unberührbarkeit im wörtlichen Sinne nicht mehr

gebe51

und die Bewegung des Dalitismus nur noch wenig mit ritueller Verunreinigung zu tun

habe. Diejenigen die sich als „die Unterdrückten“ (dalit) bezeichnen seien selbst von

45

Vgl. Ebd., p.13. 46

Vgl. Béteille, André (1992), p.27. 47

Vgl. Deliège, Robert (2002), p. 13. 48

Vgl. Deliège, Robert (2001), p. 112. 49

Vgl. Deliège, Robert (2002), p. 4. 50

Vgl. Deliège, Robert (2002), p. 8. 51

Vgl. Ebd., p 11.

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13

gehobenen Schichten der SCs, die den Abstand zwischen Unberührbaren und den Rest der

Bevölkerung aufrechterhalten wollen um Privilegien fordern zu können.52

Obwohl sie nicht mehr so streng geregelt sind, wie früher, existieren noch heute Verbote

gegen Harijans. Essenregeln werden beispielsweise vielerorts noch immer eingehalten.

Zudem ist es heute noch undenkbar in niedrige Kasten einzuheiraten und Harijans sind

oftmals noch von höheren Kasten wirtschaftlich abhängig, Die Diskriminierung von Harijans

läuft heute zwar nicht mehr so öffentlich ab wie früher, sie ist aber definitiv noch vorhanden.

Das Ideal der Gleichheit hat in der indischen Gesellschaft noch keinen Fuß fassen können.53

Am Beispiel der Kallars in Tamil Nadu kann man sehen, dass im dörflichen Leben noch

immer eine stickte Hierarchie herrscht, die von der Minderheit der Harijans nicht

durchbrochen werden kann. Auch Mendelsohn stellte in seinem Werk fest, dass Ende der

1990er Jahre zwar eine Verbesserung der Lebensqualität von Harijans festzustellen war, auf

Dörfern dennoch eine Diskriminierung festzustellen sei. Hier trennen eine von zehn Schulen

die Kinder nach Kasten und 90% der Harijans dürften keine Häuser von Kasten-Hindus

betreten. Auch die Wasserfrage sei noch immer aktuell, denn nur 26% der Dörfler erlaubten

Harijans aus demselben Brunnen zu trinken.54

Auch die Zahl der Vergewaltigungen von SC-

Frauen um die Machtposition zu demonstrieren zeigt ganz klar, dass Unberührbarkeit in

Indien nicht ausgerottet wurde.

4. Fazit

Die Situation gegen Dalits hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, Unberührbarkeit und

die daraus resultierenden Diskriminierungen sind aber noch lange nicht aus der Welt

geschafft. Statistiken, die eine steigende Zahl an Gewaltausschreitungen gegen Harijans

belegen, sagen uns, dass Unberührbarkeit auch heute noch ein Problem ist, das bekämpft

werden muss.

Die Diskriminierung der Harijans beruhte in der traditionellen indischen Gesellschaft auf ihrer

rituellen Unreinheit. Sie durften keine Tempel betreten und mussten bei Ritualen aushelfen,

die Unglück verhießen. Eine Konversion zum Christentum hat die Situation der Harijans nicht

verbessert, da die katholische Kirche die traditionelle hinduistische Hierarchie übernommen

hatte.

Es gab eine Vielzahl von Reglementierungen, die von Region zu Region mehr oder weniger

strickt umgesetzt wurden. Während sie schon rein territorial separiert wurden, durften sie

früher keine öffentlichen Straßen benutzen oder vom Hauptbrunnen trinken. Die

52

Vgl. Ebd., p. 13. 53

Vgl. Béteille, André (1992), p.42. 54

Vgl. Mendelsohn, Oliver; Vicziany, Marika (1998), p. 41.

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Wasservorschriften waren mancherorts so strickt, dass sie darauf warten mussten bis ihnen ein

Mitglied einer höheren Kaste Wasser bringt. Es gibt auch allgemeine Regelungen, die das

Auftreten eines Harijans bestimmten wie zum Beispiel Kleidervorschriften.

Wie die Ethnografischen Beispiele zeigen ist in den erforschten Dörfern auch zur heutigen

Zeit Hierarchien auszumachen. Diese herrschen zu höheren Kasten, aber auch innerhalb der

Harijan-Gemeinde.

Obwohl viele Harijans aus den traditionellen Hierarchien ausbrechen konnten stellt man in

einigen Indischen Dörfern noch immer fest, dass sie Angst haben sich gegen die örtlichen

Oberen aufzulehnen, da sie die daraus folgenden Repressionen fürchten. Noch heute leben sie

in vielen Dörfern in ihrem separierten ceeri und üben ihre traditionell angedachten Arbeiten

aus.

Für weiterführende Forschungen kann man auswerten, wie erfolgreich die positive

Diskriminierung durch die Regierung die Situation der Harijans verbessern konnte. Zudem

wäre es sicher interessant zu erfahren, wie Harijans der dörflichen Hierarchie entkommen

können, indem sie in die Städte ziehen. Wie erleben Harijans Diskriminierung in modernen

Betrieben?

5. Literatur

Béteille, André (1992): The backward classes in contemporary India. Delhi, Oxford: Oxford

University Press (Oxford India paperbacks).

Deliège, Robert (1997): The world of the untouchables. Paraiyars of Tamil Nadu. Delhi, New

York: Oxford University Press.

Deliège, Robert (2001): The untouchables of India. Oxford: Berg.

Deliège, Robert (2002): Is there still Untouchability in India? In: Working Paper No. 5.

Mendelsohn, Oliver; Vicziany, Marika (1998): The Untouchables. Subordination, poverty

and the state in modern India. Cambridge [u.a.]: Cambridge Univ. Press (4).

Michael, Sebastian M. (2007): Dalits in modern India. Vision and values. 2nd ed. Los

Angeles: Sage Publications.

Moffatt, Michael (1979): An Untouchable community in South India, structure and

consensus. Princeton, N.J: Princeton University Press.

Ramaiah, Avatthi (1999): Untouchability Inter-caste Relations in Rural India The Case of

Southern Tamil Villages. Online verfügbar unter http://tamilnation.co/caste/ramaiah.pdf,

zuletzt geprüft am 16.02.2014.

Ramaiah, Avatthi (2012): Combating crimes against Dalits: Uttar Pradesh shows the way.

Social Science Research Network. Online verfügbar unter

http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1996892, zuletzt geprüft am 16.02.2014.

Page 15: Abgrenzung und Diskriminierung von „Untouchables“ in der indischen Gesellschaft

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6. Internetartikel

o.A.(2012): India's Dalits still fighting untouchability.

http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-india-18394914, zuletzt geprüft am 18.02.2014.