Top Banner
Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege in Kroatien k 3/2014- 1 Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien Die Denkmalpflege in Kroatien ist von drei Merkmalen wesentlich geprägt: einer beträchtlichen Kontinuität, einem regen Austausch zwischen theoretischen Ansät- zen und praktischen Realisierungen und – einer beinahe regelmäßigen Abhängigkeit von den politischen Verwal- tungsstrukturen. Viele werden darin keinen erheblichen Unterschied zu anderen mittel- und osteuropäischen Ländern sehen, mit denen Kroatien die Geschichte der Ideen zur Konservierung und Restaurierung teilt. Im vor- liegenden Beitrag möchte ich Überlegungen zu neueren Tendenzen vorstellen, darunter verstehe ich die Zeit nach dem Kriegsgeschehen in den 1990er Jahren. Die oben genannte beachtliche Kontinuität in der Denkmalpflege hat nach Ansicht der kroatischen Kon- servierungshistoriker ihre Wurzeln in der Gründung der Wiener Zentralkommission, einige sind sogar der Mei- nung, dass sie noch früher aus den archäologisch-kon- servatorischen Projekten des österreichischen Vormärz stammt. Kontinuität bedeutet aber nicht unbedingt die stete harmonische Übereinkunft von Ideen und den mit Denkmalschutz betrauten Institutionen: Die kroatische Geschichte der Denkmalpflege zeigt in diesem Bereich ein außergewöhnlich dynamisches Geschehen, geprägt von vielen Kontinuitäten, aber auch zahlreichen Brü- chen. Kroatien hat seine Selbständigkeit nach dem Fall der Berliner Mauer erlangt. Von der Mitte des 19. Jahrhun- derts bis zum Zusammenbruch der kommunistischen Abb.1: Die Altstadt von Dubrovnik, Perle der Adria, seit 1979 auf der Welterbeliste verzeichnet und 1994 als Welterbestätte erweitert, wurde während der militärischen Auseinandersetzungen zu Beginn der 1990er Jahre erheblich zerstört und stand zwischen 1991 und 1998 auf der Liste des gefährdeten Welterbes. Die Stadt steht nun im Mittelpunkt eines von der UNESCO koordinierten Wiederaufbau- und Restaurierungspro- gramms. Diesen Anstrengungen entgegen läuft das gigantische Vorhaben eines Erholungs-Parks, das irreversible Folgen für das Weltkulturerbe hätte. Die Altstadt wird darüber hinaus von der zunehmenden Kreuz-Schiff-Fahrt massiv bedroht. Vgl. dazu den Bericht des Welterbekomitees vom Juni 2014: «The State Party reported that the proposed recreational centre would cover an area of protected forest for some 359 ha on the plateau of Mount Srd and Bosanka, situated directly above the City of Dubrovnik. The proposal includes the construction of two golf courses, a sports center, two hotels, 240 villas, 408 apartments, an amphitheater, equestrian club, parks, promenades, and other facilities. Some of the villas would be constructed at the edge of the escarpment giving them views over the old city.» http://whc.unesco.org/archive/2014/whc14-38com-7B- Add-en.pdf. Foto: Paolo Mofardin, 2014, Zagreb, Institut für Kunstgeschichte.
6

Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien (State, Tendencies and Perspectives of Conservation in Today's Croatia)

Feb 26, 2023

Download

Documents

Lara Orlic
Welcome message from author
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Page 1: Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien (State, Tendencies and Perspectives of Conservation in Today's Croatia)

Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege in Kroatien k 3/2014- 1

Marko Špikić

Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien

Die Denkmalpflege in Kroatien ist von drei Merkmalenwesentlich geprägt: einer beträchtlichen Kontinuität,einem regen Austausch zwischen theoretischen Ansät-zen und praktischen Realisierungen und – einer beinaheregelmäßigen Abhängigkeit von den politischen Verwal-tungsstrukturen. Viele werden darin keinen erheblichenUnterschied zu anderen mittel- und osteuropäischenLändern sehen, mit denen Kroatien die Geschichte derIdeen zur Konservierung und Restaurierung teilt. Im vor-liegenden Beitrag möchte ich Überlegungen zu neuerenTendenzen vorstellen, darunter verstehe ich die Zeitnach dem Kriegsgeschehen in den 1990er Jahren.

Die oben genannte beachtliche Kontinuität in derDenkmalpflege hat nach Ansicht der kroatischen Kon-

servierungshistoriker ihre Wurzeln in der Gründung derWiener Zentralkommission, einige sind sogar der Mei-nung, dass sie noch früher aus den archäologisch-kon-servatorischen Projekten des österreichischen Vormärzstammt. Kontinuität bedeutet aber nicht unbedingt diestete harmonische Übereinkunft von Ideen und den mitDenkmalschutz betrauten Institutionen: Die kroatischeGeschichte der Denkmalpflege zeigt in diesem Bereichein außergewöhnlich dynamisches Geschehen, geprägtvon vielen Kontinuitäten, aber auch zahlreichen Brü-chen.

Kroatien hat seine Selbständigkeit nach dem Fall derBerliner Mauer erlangt. Von der Mitte des 19. Jahrhun-derts bis zum Zusammenbruch der kommunistischen

Abb.1: Die Altstadt von Dubrovnik, Perle der Adria, seit 1979 auf der Welterbeliste verzeichnet und 1994 als Welterbestätte erweitert, wurdewährend der militärischen Auseinandersetzungen zu Beginn der 1990er Jahre erheblich zerstört und stand zwischen 1991 und 1998 auf der Listedes gefährdeten Welterbes. Die Stadt steht nun im Mittelpunkt eines von der UNESCO koordinierten Wiederaufbau- und Restaurierungspro-gramms. Diesen Anstrengungen entgegen läuft das gigantische Vorhaben eines Erholungs-Parks, das irreversible Folgen für das Weltkulturerbehätte. Die Altstadt wird darüber hinaus von der zunehmenden Kreuz-Schiff-Fahrt massiv bedroht. Vgl. dazu den Bericht des Welterbekomiteesvom Juni 2014: «The State Party reported that the proposed recreational centre would cover an area of protected forest for some 359 ha on theplateau of Mount Srd and Bosanka, situated directly above the City of Dubrovnik. The proposal includes the construction of two golf courses, asports center, two hotels, 240 villas, 408 apartments, an amphitheater, equestrian club, parks, promenades, and other facilities. Some of the villaswould be constructed at the edge of the escarpment giving them views over the old city.» http://whc.unesco.org/archive/2014/whc14-38com-7B-Add-en.pdf. Foto: Paolo Mofardin, 2014, Zagreb, Institut für Kunstgeschichte.

Page 2: Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien (State, Tendencies and Perspectives of Conservation in Today's Croatia)

Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege in Kroatien k 3/2014 - 2

Vormachtstellung in Osteuropa kann die Politik- undKulturgeschichte dieses relativ kleinen Landes am süd-östlichen Teil des Kontinents vor dem Hintergrund derEvolution der westlichen Werte betrachtet werden. Die-ser Prozess setzte in der Zeit ein, als Kroatien nur einkoloniales Mitglied in der untergehenden multinationa-len Habsburger Monarchie war. In der Zeit des erstenund des zweiten Jugoslawiens wurde dieser Prozesszeitweilig unterbrochen, dann aber wieder belebt, be-sonders intensiv aber nach der traumatischen Teilungder Nation im Zweiten Weltkrieg. Obwohl Kroatien au-ßerhalb seiner Grenzen selten von politischer Relevanzwar, gab es in diesem Lande – egal ob kaiserliche Pro-vinz, Banschaft oder Königreich, Satellit der Achsen-mächte oder scheinbar freie Republik in der sozialisti-schen Föderation – stets Männer und Frauen, die mitunzerstörbarem Enthusiasmus am europäischen Pro-jekt der Erfassung und Erhaltung des Kulturerbes mit-wirkten.

Einen Teil dieser Geschichte macht zu allen Zeitendie beeindruckende Treue zu innovativen Konservie-rungsprinzipien aus. Wissenschaftler wie Rudolf von Ei-telberger, Alois Hauser, Thomas Graham Jackson, AloisRiegl, Cornelius Gurlitt, George Niemann, Joseph W.Kubitschek, Max Dvořák und Gustavo Giovannoni ha-

ben durch ihr Wirken und ihre Beiträge zur theoreti-schen Fundierung der Konservierung und Restaurie-rung entscheidend beigetragen. Die Ausbreitung derKonservierungsbewegung in Mitteleuropa und Italienwurde auch in Kroatien spürbar. Das Land machte in-nerhalb von kaum mehr als anderthalb Jahrhunderteneine spürbare Veränderung der Identität durch: von derDekolonisation bis zur vollständigen Emanzipation, wo-bei die Konservierungstheorien des fin-de-siècle als einTeil im Programm der kollektiven Erinnerung wahrge-nommen wurden. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegskonnten die Postulate der oben genannten Vorreiter derKonservierungsbewegung die führenden Fachkräfte inKroatien überzeugen, die gleichermaßen die Demokra-tisierung der Denkmalwahrnehmung als auch das kultu-relle Nationalverständnis, das aus der deutschen Hei-matschutzbewegung entsprungen war, förderten. DerKreis der an der Denkmalpflege Beteiligten wurde dabeistetig erweitert; nach und nach wurden neue, verschie-dene geschichtliche Phasen und Landschaften ins Pro-gramm einbezogen. Ähnlich wie in Polen, Italien undDeutschland verteidigten die kroatischen Konservato-ren bis zum Kriegsanfang fast dogmatisch das geflügel-te Wort «Konservieren, nicht restaurieren». Die Genera-tion der Forscher und Konservatoren, die bis 1945 als

Abb.2: Dubrovnik, gesehen von Südwest mit dem Blick auf den Berg Srdj (grün) und das geplante Projekt (rot) oberhalb der Welterbestadt Dubrovnik (historisches Zentrum und Puffer-Zone (dunkelblau). Darstellung: Dubrovnik County Office for planning, 2012.

Page 3: Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien (State, Tendencies and Perspectives of Conservation in Today's Croatia)

Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege in Kroatien k 3/2014- 3

Dvořáks Studenten und Anhänger an der Erhaltung desgebauten Erbes und an der Ausarbeitung der Kunstto-pografie arbeiteten, hielten diesem Grundsatz in beson-derer Weise die Treue.

Für das Verständnis der jüngsten Entwicklungen inder kroatischen Konservierungsszene muss die Entste-hungsgeschichte der ersten Diskontinuität erörtert wer-den. Dafür muss man die theoretischen und prakti-schen Einflüsse neueren Datums aus Mitteleuropa undItalien kennen. Zum ersten Bruch kam es nach 1945.Bis ungefähr 1955 zeichnete sich die Resonanz dergrundlegenden Postulate des neuen italienischen Para-digmas restauro critico ab, was davon zeugt, dass diekroatischen Konservatoren mitten in den politischenAuseinandersetzungen zwischen Italien und Titos Jugo-slawien die berufliche Freiheit erkämpft hatten. Einezweite entscheidende Veränderung kam zustande,nachdem die ersten Kontakte mit polnischen Kollegenhergestellt worden waren. Der polnische interventioni-stische Ansatz eröffnete ein neues Kapitel in der kroati-schen Denkmalpflege. Dieser Ansatz macht sich heutenoch in der Arbeit eines Teils der kroatischen Konserva-toren bemerkbar, insbesondere derer, die Mitte der 60erJahre mit der Gründung des Kroatischen Instituts fürRestaurierung die Szene betraten.

So wurde in den 1950ern und 1960ern ein methodo-logischer Synchronismus entwickelt, der in der Fachge-meinschaft die Vertreter des Konservierungs- und desRekonstruierungsprinzips vereinigte. Diese zwei Prinzi-pien konnten grundsätzlich nebeneinander existieren,insbesondere als in den 1970ern der so genannte aktiveAnsatz zur Denkmalpflege gefördert wurde, der im Ein-klang mit den damaligen gesellschaftlichen Trends dieTeilnahme von Nicht-Fachleuten bzw. von breiten ge-sellschaftlichen Gemeinschaften an der Denkmalpflegevoraussetzte. Im sozialistischen Kroatien erlebte dasSystem der Denkmalpflege einen bis dahin nicht gese-henen Aufschwung: Es wurden sorgfältig ausgearbeite-te Gesetze verabschiedet, Bestände wurden nicht nurerfasst, sondern es wurden umfangreiche Rekonstruk-tionen vorgenommen, aber auch das Verhältnis zwi-schen dem traditionellen Ambiente und neuen Bedürf-nissen der so genannten Selbstverwaltungsgesellschaftwurden durchdacht.

Ähnlich wie die politische und administrative Ord-nung des Staates richtete Kroatien autonom ein Systemvon regionalen und lokalen Instituten ein, die große For-schungs- und Konservierungsprojekte, größtenteils ander Adria, leiteten. Das sozialistische System brachtenoch eine Bereicherung: Ende der 1950er Jahre wurde

Abb.3: Auf Anweisung des Bischofs von Šibenik, Ante Ivas, und in Ab-stimmung mit der lokalen Denkmalschutzbehörde wurde kürzlich ent-schieden, die Skulpturen des Hauptportals der UNESCO-geschützten Katedrala svetog Jakova ...

Abb.4: ... (Kathedrale des Hl. Jakob) durch schlecht augeführte Kopien zu ersetzen, mit der Absicht, das Bischöfliche Museum mit Originalen auszustatten. Foto: Predrag Marković, 2014.

Page 4: Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien (State, Tendencies and Perspectives of Conservation in Today's Croatia)

Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege in Kroatien k 3/2014 - 4

die Gesellschaft der kroatischen Konservatoren be-gründet. Über die Ergebnisse ihrer Arbeit und ihre Pro-bleme konnte man in regelmäßig erscheinenden Fach-zeitschriften lesen. Dieses System ermöglichte es,Tausende von beweglichen und unbeweglichen Denk-malen zu erfassen. Obwohl die öffentliche Wahrneh-mung des Erbes und der konservatorischen Arbeit gele-gentlich recht problematisch war – was nach 1975 unddem Europäischen Denkmalschutzjahr durch die Aktionunter dem Namen «SOS für das Erbe» zum Ausdruckgebracht wurde – erlebten die kroatischen Konservato-ren 1979 ihr annus mirabilis, als die Stadt Dubrovnik,der historische Kern der Stadt Split und die PlitvicerSeen in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufge-nommen wurden.

Nach der demokratischen Wende und den erstenfreien Wahlen 1990 schien es, dass Kroatien einen ähn-lichen Weg wie die neuen Republiken im Osten Europasbeschreiten würde, mit der vollen Überzeugung, dasszwei Begriffe, nämlich Freiheit und Erinnerung, helfenwürden, den mit der Bewegung der nationalen Wieder-geburt im 19. Jahrhundert begonnenen Aufbau der bür-gerlichen Gesellschaft erfolgreich zum Schluss zu brin-gen. Wie die Leser bereits wissen, begannen vor 23Jahren auf den Trümmern der jugoslawischen Föderati-on blutige Auseinandersetzungen. Weitere Ausführun-gen über diese auch für Europa wichtigen Ereignisse

würden den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen. Wennman aber versucht zu verstehen, warum das Systemder Denkmalpflege in Kroatien heute in Schwierigkeitensteckt, muss man die Tradition der kroatischen Denk-malpflege verstehen. Dabei spielt der Respekt gegen-über den traditionellen Mustern eine genauso wichtigeRolle wie ihre Ablehnung.

Entgegen den Erwartungen der Demokratie-Enthu-siasten herrscht in Kroatien seit den 1990er Jahren eineArt der politischen Bevormundung, die nicht nur dasProdukt einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppeist, sondern dem nationalen Selbstverständnis ent-springt bzw. eine breite gesellschaftliche Zustimmungfür den aktuellen Zustand findet. Diese Einstellungmacht sich auch in der Denkmalpflege bemerkbar. Seitder Unabhängigkeitserklärung stellt die pragmatische(und dilettantische, geradezu romantische) politischeEinmischung in die Denkmalpflege gekoppelt mit unter-schiedlichen Varianten von Verwaltungsakten und derTrägheit beider politischen Optionen ein ernstzuneh-mendes Problem für die kroatische Denkmalpflege dar.Während man in Studien von A. von Wussow, GeraldBaldwin Brown, Paul Léon und Michael S. Falser überpolitische und administrative Systeme von Begeiste-rung, Visionen, Vorlieben, nationalen Interessen ver-schmolzen mit dem Leben der Völker lesen kann, kön-nen die jüngsten Verhältnisse zwischen politischen

Abb.5: Die originale spätgotische Skulptur des Apostels ... Abb.6: ... und die Kopie. Foto: Predrag Marković, 2014.

Page 5: Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien (State, Tendencies and Perspectives of Conservation in Today's Croatia)

Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege in Kroatien k 3/2014 - 5

Entscheidungsträgern und Konservatoren in Kroatienbeim Beobachter nur Kopfschütteln hervorrufen.

Erstaunlicherweise waren die Folgen der Kriegszer-störungen im unabhängigen Kroatien – von dem vieleGenerationen träumten, so hieß es in politischen Pro-klamationen der 1990er Jahre – ein wesentliches, abernicht das einzige Problem. Am Ende des ersten Jahr-zehnts der kroatischen Demokratie wurde eine gewisseWende im System der Denkmalpflege vollzogen: Mittenim Krieg wurde aus unerklärten Gründen die Arbeit derGesellschaft der kroatischen Konservatoren eingestellt,was den politischen Entscheidungsträgern ermöglichte,die Kontrolle zu übernehmen. 1999 wurde das Gesetzüber den Schutz der Kulturgüter verabschiedet. DiesesGesetz wurde ohne Mitwirkung der Fachleute verfasstund ist heute noch in Kraft. Es kann aber als stille Wen-de mindestens auf der begrifflichen Ebene betrachtetwerden, denn statt der eingebürgerten Schlüsselbe-zeichnung «Denkmal» wird in diesem Gesetz die Kate-gorie «Kulturgut» eingeführt. Einige haben dies alsÜbergang von der Förderung des geistigen Erbes ge-genüber der Betonung rein materieller Werte gedeutet.Andererseits kann heute noch der Transformationspro-zess beobachtet werden, bei dem die früher unabhän-gigen Fachinstitutionen zu einfachen Dienstleisternwerden. Dieser Prozess hat sich vollzogen, indem dieunabhängige Behörde für die Denkmalpflege formaldem Kulturministerium angeschlossen und direkt demMinister unterstellt wurde.

Aus der Vergangenheit sind Beispiele bekannt, dass«Berufsenthusiasten» mit staatlichen Instanzen gut zu-sammengearbeitet haben, wie etwa Schinkel mit Hum-boldt oder Viollet-le-Duc mit Guizot. In Kroatien aberhaben die gerade beschriebenen Praktiken dazu ge-führt, dass ähnliche Bündnisse unmöglich gemachtwurden, was wiederum dazu geführt hat, dass es un-möglich wird, eine kollektive Erinnerung überhaupt zuschaffen und zu erhalten.

Um die Bevormundung der Fachleute zu vertuschen,wurden durch bürokratische Maßnahmen – nach demMotto divide et impera – insgesamt 23 Konservierungs-abteilungen in ganz Kroatien gegründet als traurigesEcho eines intransparenten, unreformierten, selbst-zweckmäßigen und teuren Staates. Außerdem wurdedas Erscheinen von Fachzeitschriften eingestellt, sodass die mit der Denkmalpflege Betrauten die Kulturdes Dialogs verlernt haben, während sie die mit öffent-lichen Mitteln finanzierten Restaurierungs- und Konser-vierungsprojekte oft als ihre Privatangelegenheit be-trachteten. Seltene und lobenswerte Erfolge wurdennach der Aufnahme in die UNESCO-Liste im Zeitraumvon 1997 bis 2008 erzielt, während viele kleinere lokale

Projekte der breiten Öffentlichkeit ungenügend bekanntsind.

Experten werden also ignoriert. Diese haben in den1990er Jahren während der barbarischen Zerstörungenund ethnischen Säuberungen beobachtet, wie sie dieKontrolle über das System ethischer und beruflicherGrundsätze verlieren und wie diese durch politischenEigenwillen, Heuchelei, Gehorsam, schale Worte und inder Regel durch völligen Ausfall von Kommunikation mitder Öffentlichkeit ersetzt wurden. Wenn in einem Seg-ment der kroatischen Gesellschaft über die Krise derjungen Republik die Rede sein kann, dann ist das imSystem der Denkmalpflege. Deshalb ist es schwer, Ver-gangenheit und Gegenwart der Denkmalpflege in Kroa-tien zu vergleichen, denn ich kann mich dem Eindrucknicht entziehen, dass es sich dabei um eine Reihe vonParadoxa neuester Provenienz handelt. Paradox ist,dass es sich hier um einen jungen Staat handelt, der un-ter anderem auf dem Mythos des tausendjährigenTraums von Selbstständigkeit aufgebaut wurde und diepolitisch Verantwortlichen dennoch nicht wissen, wiesie sich Formen, Dimensionen und Bedeutungen derVergangenheit zunutze machen oder sich Rat bei denExperten holen könnten. Die in der Denkmalpflege

Abb.7: Šibenik, Hauptportal der Katedrala svetog Jakova. Foto: Predrag Marković, 2014.

Page 6: Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien (State, Tendencies and Perspectives of Conservation in Today's Croatia)

Marko Špikić Zustand, Tendenzen und Perspektiven der Denkmalpflege in Kroatien k 3/2014 - 6

Schaffenden unterziehen sich freiwillig der Selbstzensurund sind in eine Apathie versunken, wie man sie seitdem Kroatischen Frühling (der politischen Reformbe-wegung in den späten 1960ern und den frühen1970ern) nicht mehr gekannt hat. Erst vor drei Jahrenwurde nach einer zwanzigjährigen Pause und trotz hef-tigen Widerstandes aus den eigenen Reihen erneut dieFachvereinigung der Konservatoren auf nationaler Ebe-ne gegründet.

Was hat die eben beschriebene Situation, die auchals geheimes politisches Verschwörungsprojekt er-scheinen mag, verursacht? Einen Zustand, in dem kroa-tische Denkmale und gebaute Umwelt, die von auslän-dischen Fachleuten, vielleicht sogar mehr als von denKroaten selbst, respektiert und geachtet wurden, in Ver-gessenheit geraten? Es ist bemerkenswert, wenn Rieglsoder Giovannonis Berichte über den Diokletianpalast inSplit aus den Jahren 1903 und 1942 verschwiegen wer-den oder wenn Kulturwerte, die diese Autoren in das zudiesen Zeiten kolonisierte Kroatien lockten, stillschwei-gend vernachlässigt oder sogar zerstört werden. Handin Hand mit solchen Praktiken, die dem zugrundelie-genden Problem entspringen, nämlich der politisch mo-tivierten Bevormundung der Fachleute, gehen auch diefinanziellen Probleme und die schlechte wirtschaftlicheLage des Landes. In diesem Zusammenhang werdenoft auch von höchsten politischen Positionen heilver-sprechende Bauinvestitionen befürwortet, die aber dieDenkmalpflege nicht nur missachten, sondern dieDenkmalsubstanz weitgehend gefährden. Jüngst konn-te in der Öffentlichkeit die Diskussion mit allen Merkma-len eines internationalen Skandals verfolgt werden, alsbekannt wurde, dass das geschichtliche Gefüge derStadt Dubrovnik, das zum UNESCO-Welterbe gehört,durch den Bau eines gigantischen Golf-Resorts gefähr-

det wird. Ein anderer Fall ist die Kathedrale in Šibenik,ebenfalls ein Denkmal auf der UNESCO-Liste, an derder Bischof und der zuständige Konservator unsachge-mäße Änderungen vornehmen und Kopien von Statuenaufstellen ließen.

Die Diskussion über den Fall Dubrovnik auf der 38.Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Doha, Katar(15. bis 25. Juni 2014) zeigt, dass der uneinsichtigen mi-nisteriellen Politik ein Ende gesetzt werden kann, wennsich eine zunehmend wacher werdende Öffentlichkeitund unzufriedene Fachleute zusammentun. Ich hoffe,dass sich Kroatien an einem Wendepunkt befindet undnicht im Zustand eines langwierigen Übergangs. DasBedürfnis nach Veränderungen in der Denkmalpflege istinteressanterweise ein Teil des Bedürfnisses nach Ver-änderungen an der Basis des Gesellschaftsvertrages.Zu hoffen ist, dass die Konstituierung und Stärkung der

kulturellen Erinnerung als öffentliche Angelegenheit inunserem jungen, erst vor kurzem demokratisierten Landein Ende des Isolationismus des staatlichen Selbst-zwecks sowie den Beginn der Stärkung der europäi-schen Perspektive bedeutet. Richtung Europa blicktenseit langer Zeit nicht nur die Schöpfer der kroatischenpolitischen Zukunft, sondern auch die Hüter der kroati-schen vielschichtigen Vergangenheit.

Autor

Marko Špikić PhD, studierte Kunstgeschichte und

vergleichende Literaturwissenschaft in Zagreb,

seit 1999 unterrichtet er in der Abteilung Kunst-

geschichte der Universität Zagreb. Seine Disser-

tation schloss er 2007 ab, Thema:

Der Konservator Francesco Carrara im Dalmatien

des 19. Jahrhunderts. Schrieb bisher acht Bücher

zur Geschichte und Theorie der Konservierung

von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert.

Wissenschaftliche Interessen: antiquarische Wis-

senschaften, Geschichte der Architekturkon-

servierung und Architekturrekonstruktion. Seit

2011 Präsident von ICOMOS Kroatien.

Titel

Marko Špikić, Zustand, Tendenzen und Perspek-

tiven der Denkmalpflege im heutigen Kroatien, in:

kunsttexte, Nr. 3, 2014 (6 Seiten).

www.kunsttexte.de.