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Zur Würdigung Karl Mengers Von Otto Weinberger
Dozent an der Universität Wien
I
Durch den in London erschienenen vierten und abschliessenden
Band der gesammelten Schriften Karl Mengers 1 ist die merkwürdige
Gestalt des be-rühmten Professors, der zugleich mit seinem Bruder
Anton, dem bekannten Vor-kämpfer des Staatssozialismus, und seinem
Bruder Max, dem erfolgreichen Par-lamentarier, zu den
hervorragendsten Erscheinungen altösterreichischen Ge-lehrtentums
gehörte, wieder in den Kreis des Interesses gerückt worden. Wenn
man auch bedauern muss, dass die Schriften eines der
einflussreichsten Ver-treters seiner Wissenschaft nicht in
Österreich oder Deutschland, sondern fern von seiner Heimat in
London erschienen sind, während man sonst grosse Männer durch die
«nationale» Ausgabe ihre Schriften zu ehren und ihnen damit das
würdigste Denkmal zu setzen bestrebt ist, so werden wir uns doch
freuen, diese längst vergriffenen Schriften wieder in würdiger Form
vor uns zu sehen, um daraus auch heute, in einer gänzlich
veränderten Zeit, reiche Belehrung und An-regung über Wesen und
Wandel der Wirtschaft zu schöpfen.
Nichtsdestoweniger wäre es, meines Erachtens, verfehlt, bei
Beurteilung der Leistungen Mengers das richtige Mass zu verlieren
und die Sache so dar-zustellen, als ob es vor Karl Menger keine
grundlegenden wirtschaftswissen-schaftlichen Werke gegeben hätte
und insbesondere auch die Grenznutzenlehre nicht schon bei früheren
Nationalökonomen, vornehmlich schon bei Dupuit und if. v. Mangoldt
nachgewiesen werden könnte. So hat zum. Beispiel Josef Schum-peter
nach dem Tode Karl Mengers im Jahre 1921 in der Wiener
«Zeitschrift
1 Vgl. The Collected Workes of Carl Menger: I. Grundsätze der
Volkswirtschaftslehre. 1934, XLVIII, 286 S.
II. Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und
der politischen Ökonomie insbesondere. 1933, XXXII , 292 S.
III. Kleinere Schriften zur Methode und Geschichte der
Volkswirtschaftslehre. 1935, 307 S. IV. Schriften über Geldtheorie
und Bevölkerungspolitik. 1936, 332 S. Alle erschienen in
den Series of Reprints of Scarce Tracts in Economic and
Political Science, Nrn. 17—20. Herausgeber: The London School of
Economics and Political Science.
In Wien war im Jahre 1923 eine vom Sohn des Verfassers, dem
Mathematikprofessor Karl Menger besorgte zweite Auflage gedruckt
(Wien, Leipzig, XXVI + 335 S.) und der Ver-such unternommen worden,
das Werk unter Verwendung hinterlassener Aufzeichnungen zum Teil zu
«erweitern», zum Teil «in manchen Punkten» die frühere Darstellung
nicht beizu-behalten. Warum Menger sich nicht entschliessen konnte,
schon bei seinen Lebzeiten eine neue Auflage seiner «Grundsätze»
und seiner «Untersuchungen» zu veröffentlichen, ist mir nicht
bekannt. Ob das, was Othmar Spann, Die Haupttheorien der
Volkswirtschaftslehre, 20. Auflage, Leipzig 1930, S. 172—173,
darüber berichtet, den Tatsachen entspricht, kann dahingestellt
bleiben.
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Zur Würdigung Karl Mengers 165
fur Volkswirtschaft und Sozialpolitik» 1 einen Artikel
veröffentlicht, in dem er Menger mit Kopernikus, Napoleon und
Alexander dem Grossen vergleicht *, Ver-gleiche, die letzten Endes
einer ernstlichen Kritik nicht standhalten und daher mehr Schaden
als Nutzen stiften. Ja nicht einmal darin möchte ich Schumpeter
folgen, wenn er Menger als einen «Überwinder» der Lehre Ricardos
bezeichnet — gemeint ist offenbar dessen Wertlehre —, da die
richtig verstandenen Theorien der klassischen Schule, wie ich mich
bereits an einem anderen Orte zu zeigen bemüht habe, mit jenen der
Grenznutzenschule im allgemeinen und den Lehren der Österreicher im
besonderen nicht im Widerspruche stehen 3. Ich kann mich in diesem
Belange auf Vilfredo Pareto berufen, der, obgleich der
Grenznutzen-schule nahestehend, in einer seiner glänzendsten,
hierzulande leider nicht be-kannten Abhandlung auf die grossen
Verdienste von Gelehrten, wie Smith, J. St. Mill, G. B. Say,
Ricardo, Ferrara und vieler anderer, hingewiesen hat, denen wir,
wie er ausdrücklich sagt, «alle Wahrheiten der politischen
Ökonomie, die uns bekannt sind, verdanken» 4.
Es soll deshalb in den folgenden Zeilen versucht werden, auf
einige Schwä-chen des Mengerschen Werkes hinzuweisen, zumal wir
heute, nachdem mehr als fünfzig Jahre seit dem Erscheinen seiner
wichtigsten Schriften verflossen sind, auch eine bessere Distanz zu
seinem Werke gewonnen haben.
II
Schumpeter hat in dem bereits zitierten Artikel 5 als den
Grundgedanken der Mengerschen Theorie bezeichnet, dass «die
Menschen die Güter schätzen, weil sie sie brauchen». Die Klassiker
hätten nach Schumpeter mit dieser Er-kenntnis zwar anzufangen
versucht, sie aber wieder beiseite geworfen in der Meinung, dass
«die subjektive Wertschätzung im Getriebe der kapitalistischen
Wirtschaft ihre Bedeutung als Motor des Räderwerks verliere. Die
Behauptung Schumpeter s ist unzutreffend. Denn ganz abgesehen
davon, dass bereits Aristo-
1 Vgl. Josef Schumpeter, Karl Menger. Zeitschrift fur
Volkswirtschaft und Sozialpolitik, N. F. , I . Bd., Wien (1921), S.
197—206. Vgl. im übrigen über Karl Menger noch Friedrich Wieser,
Neue österreichische Biographie, 1. Abteilung, Wien 1923, S. 84—92;
L. Elster, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., VI .
Bd., S. 542—544; B, Pfister im «Staatslexikon» Frei-burg 1929, III.
Bd., Spalte 1242—1245; Otto Weinberger, Die Grenznutzenschule.
Halberstadt 1926, S. 96—101. Theo SurânyUUnger, Philosophie in der
Volkswirtschaftslehre, II. Bd., Jena 1926, S. 293—374. Über die
Stellung Mengers zur mathematischen Methode Otto Weinberger, La
Scuola Austriaca e la Scuola Matematica, Rivista Internazionale di
Scienze Sociali X L I (1933), S.430-—438.
* A. a. O., S. 201. 3 Vgl. Grenznutzenschule, S. 94—95. 4 Vgl.
sum Texte V, Pareto, Considerazioni sui principi fondamentali dell'
economia poli-
tica pura, Giornale degli Economisti, 2. Serie, 3. Jahrgang, 3.
Bd. (Mai 1892), S. 396. Dass Pareto die Grenznutzenlehre in ihrer
schärfsten mathematischen Formulierung vertr i t t , darüber z. B.
Manuale di economia politica (Mailand 1919), S. 153, wo er
schreibt, dass der Gebrauchs-wert eines Gutes eine mathematische
Funktion der verbrauchten Menge sei, und dass, wenn man genau vom
Gebrauchswert eines Gutes, z. B . des Wassers, sprechen wollte, nur
von dem Werte einer bestimmten, der verbrauchten Wassermenge
hinzugefugten Menge sprechen dürfte.
6 A. a. O., S. 200.
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166 Otto Weinberger
teles die grundlegende Bedeutung des Gebrauchswertes erkannt
hat, habe ich in meiner Schrift über «Die Grenznutzenschule» zu
zeigen versucht, dass in Italien bereits Geminiani Montanari
(1633—1687) in seiner Schrift Detta Moneta gelehrt hatte, dass «i
desiderj o bisogni siano misure del valore delle monete non meno
che di quello delle cose» 1; dass schon Galiani und Beccaria den
Güterwert aus den Bestimmungsgründen der utilità und der rarità zu
erklären versucht hatten2; dass bereits Turgot von einem auf
subjektive Schätzungen des wirtschaftenden Menschen zurückgehenden
valeur estimative 3 gesprochen und schliesslich Condillac ein
geschlossenes System einer subjektiv aufgebauten, den Güterwert und
die Preise aus Abschätzungen der Wirtschaftssubjekte ab-leitenden
Lehre entwickelt hatte, worin es unter anderem heisst: «la valeur
des choses est donc fondée sur Futilité, ou ce qui revient au même,
sur le besoin, que nous en avons, ou ce qui revient encore au même,
sur Vusage que nous en pouvons faire»4.
Aber das sind schliesslich bekannte Dinge. Und dennoch müssen
sie an dieser Stelle erwähnt werden, weil Menger alle diese
Schriftsteller bei Verfassung seiner «Grundsätze der
Volkswirtschaftslehre» sicherlich gekannt, es aber unterlassen hat,
sich mit diesen früheren Lehrmeinungen auseinanderzusetzen, und
sich begnügt hat, «von älteren Versuchen, den allgemeinen Begriff
des Wertes fest-zustellen», zu sprechen 6. Nichtsdestoweniger
erübrigt es sich, auf den bereits von M. Pantaleoni (1889) in
seinen Principii d'Economia pura erhobenen Vor-wurf des «kühnsten
Plagiats an den Schriften eines Cournot, Jennings, Gossen und
Jevons» an dieser Stelle noch einmal einzugehen, weil ihn
Böhm-Bawerk bereits eingehend zu widerlegen versucht6 und
Pantaleoni ihn später nicht mehr aufrechterhalten hat7 .
Nichtsdestoweniger bleibt es m. E. für Menger sehr gravierend, dass
er H. v. Mangoldts Verdienste um die Feststellung der
Grenznutzenlehre nicht einmal erwähnt hat, obgleich er dessen «
Grundriss der Volkswirtschaftslehre» (Stuttgart 1863) bestimmt
gekannt und auch an ver-
1 Grenznutzenschule, S. 32. Im übrigen erklärt schon der Hl.
Antonin von Florenz (gest. 1495) in seiner Summa theologica, dass
der valor rerum... «.in respectu ad usum nostrum et probabile
iudicium humanae aestimationis» geschätzt werde. Zitiert nach
August Af. Knott, Der Zins in der Scholastik. Wien 1933, S. 50,
Anm. 14.
2 Grenznutzenschule, S. 33—38. 3 Grenznutzenschule, S. 39. 4
Grenznutzenschule, S. 45. Vgl. dazu August Oncken, Geschichte der
Nationalökonomie,
Leipzig 1902, S. 431. Vgl. über die im Texte erwähnte
Unterscheidung des Gebrauchswertes vom Tauschwerte bei Aristoteles
z. B. Paul Mombert, Geschichte der Nationalökonomie, Jena 1927, S.
29—30.
5 Vgl. Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 80, Anm. Auch
die Bemerkung S. 108 wird der Bedeutung Galianis, Turgots und
Condülacs für die Geschichte der subjektiven Wert-lehre nicht
gerecht und begnügt sich, von Anschauungen zu sprechen, die
«vielfach» in den Schriften englischer und französischer
Nationalökonomen wiederkehren.
6 Vgl. Böhm-Bawerk in Conrads Jahrbüchern fur Nationalökonomie
und Statistik, 3. Folge, I. Bd. (1891), S. 884—889. ' 7 Vgl. zum
Texte Virgüii e Garibaldi, Introduzione alla Economia Matematica,
Mailand 1899, S. 20, Anm. 3. In der mir vorliegenden englischer
Ausgabe : M. Pantaleoni, Pure Economics, London 1898, ist diese
Beschuldigung nicht mehr enthalten.
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Zur Würdigung Karl Mengers 167
schiedenen Stellen seines Hauptwerks zitiert hat 1 . Bemerken
möchte ich im übrigen, dass Pantaleoni der Verdienste Dupuits für
die Erforschung des Grenz-und des sogenannten Residualnutzens
(consumer's rent) "wiederholt gedenkt und hervorhebt, dass Dupuit
auch das sogenannte, dem Preussen Gossen zu-geschriebene
Sättigungsgesetz in allen Belangen erkannt und die Mengerschen
Gedanken über die Bedeutung der verschiedenen Teilmengen eines
Gutes für die Befriedigung der wichtigsten und der weniger
wichtigen Bedürfnisse vorweg-genommen hatte 2.
Pantaleoni hat im übrigen, und zwar meines Erachtens in
zutreffender Weise nachgewiesen, dass schon Gossen die bekannte
Lehre von den zur unmittel-baren Bedürfnisbefriedigung gehörenden
Verbrauchsgütern, den zur Güter-erzeugung bestimmten Gütern höherer
Ordnung und den komplementären, das Zusammenwirken im
Produktionsprozesse sicherstellenden Gütern in aller Schärfe
aufgestellt hat. Er behauptet, dass Menger keine wesentlich neuen
Ge-sichtspunkte hinzugefügt hat 3.
Aber ich möchte den Versuch, die Mengerschen Gedanken bei
früheren Schriftstellern zu verfolgen, an dieser Stelle nicht
fortsetzen, weil es schliesslich nicht bloss darauf ankommt, einen
Gedanken zu formulieren, um ihn damit für die Geschichte der
Wissenschaft aufgestellt zu haben. Es müssen vielmehr die äusseren
Umstände für die Verbreitung und die fruchtbare Verwertung eines
Gedankens günstig sein, wenn er nicht der Vergessenheit
anheimzufallen be-stimmt ist. Viel wichtiger erscheint es mir, an
dieser Stelle zu betoner., dass gerade die Grundgedanken, auf denen
Menger seine « Grundsätze » aufgebaut hatte, sich letzten Endes
methodisch nicht bewährt haben. Denn in der Vorrede dazu schreibt
er, dass er sich die Aufgabe gestellt hätte, darzutun, dass sich
die Erscheinungen des Wirtschaftslebens nach den gleichen strengen
Gesetzen regeln, wie solche auf dem Gebiete der Naturerscheinungen
bereits früher festgestellt wurden. Da Menger gefühlt hat, dass
diese Lehre von der strengen Gesetz-mässigkeit wder
wirtschaftlichen Erscheinungen zugleich als Leugnung der Frei-heit
der wirtschaftlichen Handlungen gedeutet werden könnte und damit
letzten Endes zu einer Bestreitung der menschlichen Willensfreiheit
selbst führe, hat er diesen Einwand, auf eine meines Erachtens
wenig glückliche Weise, dadurch zu entkräften versucht, dass er
behauptete, dass sich die theoretische Volks-wirtschaftslehre mit
der «Gesetzmässigkeit der von dem menschlichen Willen ganz
unabhängigen Erscheinungen» befasse. Unter diese, dem
menschlichen
1 Vgl. Otto Weinberger, Economia Matematica, Memoria presentata
alla Società Reale di Napoli, Bd. LIX (1938), woselbst es auf S. 46
heisst : « Qui (nämlich bei Mangoldt) troviamo già esposta la
teoria deW utilità marginale in tutti i suoi punti essenziali, e
ciò otto anni prima della pubblicazione dei famosi Principii di
Economia Politica di Carlo Menger.»
2 Vgl. zum Texte Otto Weinberger, Mathematische
Volkswirtschaftslehre. Leipzig 1930, S. 56, S. 62—63; ferner
Menger, Grundsätze, S. 100—108; Pantaleoni, Pure Economics, S. 28,
Anm. 1, S. 136, Anm. 1.
3 Vgl. zum Texte Pantaleoni, Pure Economies, S. 85, Anm. 1, der
den Unterschied zwischen Verbrauchs- und Produktivgütern schon auf
Ortes zurückfuhrt. Dazu Menger, Grundsätze, S. 7—21, und H. H.
Gossen, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs.
Neudruck. Berlin 1927, S. 24—28.
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168 Otto Weinberger
Willen entrückten Umstände, sollen nach Menger die Nützlichkeit
der Güter, ihr wirtschaftlicher Wert für das Wirtschaftssubjekt und
das Mass dieses Wertes sowie die Bedingungen ihres Austausches und
ihrer Preisbildung fallen. — Die Schwäche dieser Beweisführung
liegt auf der Hand. Denn es drängt sich gleich die unwillkürliche
Frage auf, ob diese vom menschlichen Willen ganz unabhängigen
Erscheinungen auf den wirtschaftlich handelnden Menschen einen
bestimmenden, die Freiheit seiner EntSchliessungen ausschliessenden
Ein-fluss ausüben oder nicht, das heisst, ob auch der
wirtschaftlich handelnde Mensch mit Rücksicht auf die seinen Willen
bestimmenden Verhältnisse nicht anders wirtschaften konnte, als er
wirklich gewirtschaftet hat. Es heisst m. E. der
Volks-wirtschaftslehre einen merkwürdigen Grenzstein setzen, wenn
man ihr lediglich die Beschreibung jener äusseren Bedingungen zur
Aufgabe macht und dann vor der entscheidenden Frage, wie sich diese
äusseren Bedingungen zu den mensch-lichen Handlungen stellen,
haltmacht x.
Dagegen erscheint mir ein in jüngster Zeit gegen die Mengersche
Grenz-nutzenformel und das Grenznutzenprinzip überhaupt erhobener
Einwand nicht begründet. Menger behauptet bekanntlich, dass sich
der Wert eines Gutes bei gegebener Menge und gegebenem Bedarfe nach
dem Werte jener Teilmenge bestimmt, die zur Bedeckung der am
wenigsten wichtigen Bedürfnisbefriedigung herangezogen wird 2. Es
wird nun eingewendet, dass diese Formel zur Erklärung des
Güterwerts nichts beitrage, weil sie eine bestimmte Rangordnung der
Be-dürfnisse bereits voraussetze und die Formel nur definiere, was
unter dem am wenigsten wichtigen Bedürfnisse zu verstehen sei,
nämlich jenes, zu dessen Be-friedigung die letzte Teilmenge des zur
Verfügung stehenden Guts herangezogen wird. Es wird auch
eingewendet, dass, wenn die Formel besagen sollte, dass die
Wirtschaftssubjekte tatsächlich die ihnen zur Verfügung stehenden
Güter nach dem Grenznutzenprinzip verwenden, eine Aussage gemacht
werde, die durch die Erfahrung widerlegt, das heisst, wie man jetzt
zu sagen pflegt, falsifiziert werden kann. Das Grenznutzenprinzip
vermöge daher nur wirtschaftliches Handeln im Wege einer
Nachkonstruktion zweckrational zu erklären3. Ich glaube aber, dass
diese Einwendungen den Kern der Mengerschen Beweis-
1 Menger scheint zuzugeben, dass Gesetzmässigkeit der
wirtschaftlichen Handlungen und Freiheit des menschlichen Willens
miteinander im Widerspruche stehen; denn auf S. IX, 2. Abs.,
schreibt er, dass der Hinweis auf die Freiheit des menschlichen
Willens als ein Einwand gegen die volle Gesetzmässigkeit der
wirtschaftlichen Handlungen gelten kann. Aber lesen wir denn nicht
die Gesetzmässigkeit der wirtschaftlichen Erscheinungen aus den
menschlichen Hand-lungen ab ? Wenn die Preise nach einem bestimmten
Gesetze fallen, heisst das nicht, dass die Menschen für bebtimmte
Waren weniger zu zahlen bereit sind ? Wenn Menger also schreibt,
dass ein wirtschaftliches Gesetz «von meinem Willen ebenso
unabhängig ist wie ein Gesetz der Chemie vom Willen des praktischen
Chemikers», so ist das bestimmt falsch; denn Wasserstoff und
Sauer-stoff verbinden sich unabhängig vom Willen des Chemikers zu
Wasser, während der Umstand, dass ich für ein bestimmtes Buch einen
bestimmten Preis zahle, von meinem Willen abhängt.
2 Vgl. die echt lehrhaft schwerfällige Begriffsbestimmung in den
«c Grundsätzen», S. 98—99. 3 Dies ist vermutlich der Sinn der
schwer verständlichen Ausfuhrungen Felix Kaufmanns,
Methodenlehre der Sozialwissenschaften, Wien 1936, S. 255—267.
Vgl. über dieses im übrigen sehr verdienstvolle Werk meinen
Artikel: Probleme der Gesellschaftswissenschaft, in der «Wiener
Zeitung», Nr. 268, vom 29. September 1936.
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Zur Würdigung Karl Mengers 169
fuhrung nicht treffen. Die Grenznutzentheoretiker wollen den
Güterwert kausal aus den menschlichen Bedürfhissen erklären, sie
leugnen nicht, dass es sich um Wertschätzungen handelt, die durch
die Rangordnung der verschiedenen Be-dürfhisse abgestuft und
zugleich wandelbar sind, sie heben ausdrücklich hervor, dass der
Güterwert keine den Gütern selbst anhaftende Eigenschaft sei. Wer
aber eine bestimmte Bedeutung im Sinne Mengers, das heisst eine
Wertschätzung auf bestimmte Bedürfhisregungen zurückfuhrt, der
versucht diese Bedeutungen, diese Wertschätzungen aus ihren
Ursachen psychologisch zu erklären1.
I I I
Carl Mengers aus der Geschichte des Methodenstreits rühmlichst
bekannte «Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften
und der poli-tischen Ökonomie insbesondere» waren im Buchhandel
längst vergriffen und, soviel mir bekannt ist, ein selbst auf den
öffentlichen Bibliotheken gesuchtes und schwer erreichbares Buch.
Der in London veranstaltete Nachdruck wird es einem weiteren
Leserkreise wieder zugänglich machen und zu einer neuerlichen
Kritik der darin vertretenen Gedanken anregen. Mit einer zuweilen
nicht sym-pathisch berührenden Prätention ist dieses Werk
geschrieben worden, und den in Deutschland damals herrschenden
Ansichten ist «eine geradezu sinnlose Phraseologie über die
Grundprobleme der Methodik» (Vorrede S. XX), «ver-derbliche
Einseitigkeit» und«Verirrung der Gelehrtenwelt eines Volks» (S.XXI)
vorgeworfen worden. Jetzt aber, nach den in der Zwischenzeit
erfolgten Fort-schritten in der Methodenlehre und in den
physikalischen Wissenschaften, treten die Schwächen des Buches nur
um so klarer zutage.
Menger, der die Wissenschaften in historische und theoretische
unterscheidet, rechnet merkwürdigerweise die Statistik zu den
geschichtlichen Wissenschaften 2. Nun schöpft zwar meines Erachtens
die Statistik, wie im übrigen auch alle an-deren auf der
Beobachtung aufgebauten Wissenschaften, ihre Grundlagen aus
geschichtlichen Ereignungen, zum Beispiel Bevölkerungsbewegungen;
die ihr eigentümliche, die Sichtung, Gruppierung und Zergliederung
dieses Materials be-treffende Tätigkeit darf aber sicherlich nicht
eine geschichtliche genannt werden. Nach Menger soll dann die
Aufgabe dieser Statistik als geschichtlicher Wissen-schaft darin
bestehen, «die Darstellung aller auch der in einem bestimmten
Momente latenten Faktoren des GesellschaftsleLens zu bieten, aus
welchen die Bewegung der Gesellschaft resultiert» 3. Wie die
Statistik auch diese latenten Momente erfassen soll, wird nicht
gesagt. Es nimmt nicht Wunder, dass bei dieser eigentümlichen
Auffassung der Aufgaben der Statistik die sogenannte theoretische
Statistik nur als eine Methodenlehre der Statistik bezeichnet
wird.
1 Mit den in dem Werke Bertrand Nogaros, La valeur logique des
théories économiques, Paris 1947, S. 68—85, enthaltenen
Einwendungen gegen die Wertlehre Mengers kann ich mich an dieser
Stelle nicht beschäftigen, da mir das Buch erst nach Fertigstellung
dieses Aufsatzes zugegangen ist.
2 Vgl. Untersuchungen, 1. Kap., S. 8—9. Vgl. auch S. 253. 3 Vgl.
S. 9, Anm. 7.
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170 Otto Weinberger
Dieser Methodenlehre wird nun wiederum merkwürdigerweise die
Aufgabe zu-gewiesen, aus dem zur Verfügung stehenden statistischen
Material «die Gesetze der Koexistenz und der Aufeinanderfolge der
sozialen Phänomene» zu erfor-schen 1. Aber die Methodenlehre weist
meines Erachtens nur den Weg, auf wel-chem die Gesetze gefunden
werden, die Feststellung dieser Gesetze selbst ge-hört offenbar
nicht mehr zur Methodenlehre. Im übrigen ist die Formel:
Er-forschung der Gesetze der Koexistenz und der Aufeinanderfolge
der sozialen Phä-nomene so weit, dass man füglich darunter auch die
theoretische Volkswirtschafts-lehre, ja die ganze
Gesellschaftslehre überhaupt begreifen könnte.
Auch mit seiner im vierten Kapitel vertretenen Auffassung über
die rea-listisch-empirische und die exakte Richtung der
theoretischen Forschung hat Menger m. E. nichts wesentlich Neues
gesagt. Während nach seiner Ansicht die realistisch-empirische
Richtung nur sogenannte Realtypen, Grundformen der realen
Erscheinungen und empirische Gesetze, das heisst, faktische
Regelmässig-keiten aufzeigt, soll die exakte Richtung dagegen die
Feststellung von strengen Gesetzen der Erscheinungen zum Gegenstand
haben, die «sich uns nicht nur als ausnahmslos darstellen, sondern
mit Rücksicht auf die Erkenntniswege, auf welchen wir zu denselben
gelangen, geradezu die Bürgschaft der Ausnahms-losigkeit tragen».
Menger scheint sich bei diesem Vortrage gar nicht bewusst gewesen
zu sein, dass er damit nur wiederholt hat, was J. J5. Say, den man
fälschlich bloss als einen Epigonen und Eklektiker zu bezeichnen
pflegt, in seinem «Discours préliminaire» zu seinem «Traité
d'économie politique» ausgeführt hat, woselbst er der theoretischen
Volkswirtschaftslehre als experimenteller Wissenschaft die
Statistik als lediglich beschreibende Wissenschaft
gegenüber-stellt. Während die Statistik nach der Auffassung Says
uns nur zufällige Tat-sachen beschreibt (La statistique ne nous
fait connaître que les faits arrivés; elle expose l'état des
productions et des consommations d'un lieu particulier, à une
époque désignée, de même que l'état de sa population, de ses
forces, de ses richesses, des actes ordinaires qui s'y passent et
qui sont susceptibles d'énu-mération), steht diesen statistischen,
auf den unsicheren und notwendigerweise unvollständigen Tatsachen
fassenden Schlüssen die theoretische National-ökonomie gegenüber,
deren Gesetze auf unerschütterlichen Grundlagen beruhen (l'économie
politique, au contraire, est établie sur des fondements
inébranlables), da die ihr dienenden grundlegenden Prinzipien
strenge Schlussfolgerungen aus allgemeinen unbestreitbaren
Tatsachen darstellen (du moment que les principes qui lui servent
de base, sont des déductions rigoureuses de faits généraux
in-contestables).
Nach Menger würden diese strengen Gesetze gemeiniglich als
Naturgesetze bezeichnet 2. Es ist auch meines Erachtens tatsächlich
ein Unterschied, zu be-haupten, ob sich der Wert nach dem
Grenznutzen richtet oder ob soundsoviele Prozente eines
Arbeiterbudgets nach statistischen Erhebungen fur den
Woh-nungsbedarf verwendet werden. Obwohl ich daher, was ich
ausdrücklich be-
1 S. 9, Anm. 7. 2 Vgl. «Untersuchungen», S. 31—48. Insb. S.
38.
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Zur Würdigung Karl Mengers 171
tonen möchte, und insbesondere auch an dem Kausalgesetze
festhalte, auf dem Boden dieser von Say und Menger betonten
Unterscheidung 6tehe, so muss man doch erwähnen, dass der Glaube an
das Bestehen solcher exakter Naturgesetze heutzutage auch in jenen
Wissenschaften, die zuerst vor allen anderen solche Gesetze
aufzustellen pflegten, vornehmlich in der Physik, in bedenkliches
Wanken geraten ist. Ja, Nernst hat sich zur Behauptung ver-stiegen,
dass es der menschlichen Forschung bisher jedenfalls nicht gelungen
sei, auch nur ein einziges Naturgesetz ausfindig zu machen, und
dass wir daher zweifellos den Boden der Erfahrung verlassen, wenn
wir die Existenz vollkommen strenger Naturgesetze ohne weiters als
gegeben voraussetzen1. Die Gesetze, mit denen es die Wissenschaft
zu tun hat, sollen nach der Meinung hervor-ragender
Naturwissenschaftler in Wirklichkeit nur sogenannte statistische,
aus der Beobachtung geschöpfte und durch die Beobachtung jederzeit
widerlegbare Regelmässigkeiten sein. Schon Laplace hat darauf
hingewiesen, dass «fast alle» unsere Erkenntnisse nur
wahrscheinlich sind und dass selbst in jenen Wissen-schaften, die
mit dem Begriff der Bestimmtheit (certitude) arbeiten, wie zum
Beispiel die Mathematik, die Wege, um zur Wahrheit zu gelangen,
nämlich die Induktion und die Analogie, sich auf Wahrscheinlichkeit
gründen 2. Die meta-physische, auf dem Begriff einer
Denknotwendigkeit aufgebaute Kausalität wird jetzt von einer Reihe
von Schriftstellern fallen gelassen und durch den
Wahr-scheinlichkeitsbegriff ersetzt 3. Von der Physik selbst wird
die Frage aufgeworfen, ob es in der Natur überhaupt eine andere
Gesetzlichkeit gäbe als die rein sta-tistische, die wegen «ihrer
Allgemeinheit von der Physik mit anderen Wissen-schaften, wie etwa
der Nationalökonomie, zu teilen wäre » 4. Wenn in der Physik, so
heisst es, von sogenannten universellen, exakten Gesetzen
gesprochen werde, werde die zeitliche und räumliche Beschränktheit
des Beobachtungsfeldes über-sehen und nicht beachtet, dass diese
Durchschnittsgesetze in kleinen Zeiten und kleinen Räumen ihre
Gültigkeit verlieren ö. Da sich aber nach Menger die sogenannten
exakten Gesetze auf dem Gebiete der «Menschheitserscheinungen» von
jenen auf dem Gebiete der «Naturerscheinungen» nicht
unterscheiden6, so würde das Fallen der exakten Naturgesetze das
Fallen der exakten Wirtschafts-gesetze zwangsläufig mit sich
ziehen.
Im übrigen bestehen gerade, was die sogenannten Naturgesetze
anbelangt, zwischen den «Grundsätzen» Mengers und seinen
«Untersuchungen» Wider-sprüche. Während er nämlich in der Vorrede
zu seinen «Grundsätzen» erklärt hatte, er wolle von den
Lehrmeinungen an die Erfahrung, von Menschen-
1 Zit. nach Alois Gatterer, Das Problem des statistischen
Naturgesetzes. Innsbruck 1924, S. 54.
2 P. 5. Laplace, Essai Philosophique sur les Probabilités,
Neudruck. Paris 1920,1. Bd., S. 1. 3 Vgl. z . B . R. v. Mises,
Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit. Berlin 1928,
S. 177—179. 4 Vgl. Arthur Haas, Das Naturbild der neuen Physik.
3. Aufl. 1932, S. 107. 5 Vgl. die interessanten Ausführungen von
Franz Exner, Vorlesungen über die physika-
lischen Grundlagen der Naturwissenschaften. 2. Aufl., S. 659 ff.
6 Vgl. «Untersuchungen», S. 259—261.
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172 Otto Weinberger
gedanken an die Natur der Dinge appellieren, erklärte er in den
« Untersuchungen», dass die «realistische Richtung der
theoretischen Forschung die Möglichkeit, zu strengen (exakten)
theoretischen Erkenntnissen zu gelangen, auf allen Gebieten der
Erscheinungswelt in prinzipieller Weise ausschliesst»1. Es ist
meines Er-achtens ein Widerspruch, einerseits zu erklären, dass
man, um zum Ziele zu gelangen, von der Erfahrung auszugehen hätte,
und anderseits gleichzeitig das durch die Erfahrung gewonnene
Material als zur Aufstellung von Gesetzen, das heisst für das
angestrebte Ziel, fur untauglich zu erklären.
Es war meines Erachtens ein Fehler, im dritten Band der «
Gesammelten Werke» Mengers bekannte Abhandlung über «Die Irrtümer
des Historismus in der deutschen Nationalökonomie» wiederum
abzudrucken. Denn nur mit einem gewissen Missbehagen kann man nach
der Lektüre diese Schrift aus der Hand legen. Sie ist eine
Streitschrift, die, wie man weiss, gegen Professor Schmoller
gerichtet war, dessen wissenschaftliche Erudition, so heisst es im
ersten Briefe höhnisch, «in ernsten Gelehrtenkreisen bereits seit
langem nach Gebühr ge-würdigt werde»; und weiter heisst es unter
anderem: Schmoller habe sich seine Schreibweise «nicht ohne Nutzen
in Handwerkervereinen erworben», seine Be-merkungen streiften «an
Roheit», er habe «einen halb widerwärtigen, halb lächerlichen
Terrorismus» organisiert, alle seine Unterstellungen seien
wahr-heitswidrig, «er schreitet löwenhaft im Spreesande einher, er
schüttelt die Mähne, hebt die Pranke, gähnt erkenntnistheoretisch
und nur Kinder und Toren nehmen seine methodologischen Gebärden
ernst» 2. Dabei kommt die Sache nur kurz zum Worte, weil der ganze
Text mit derartigen persönlichen Auslassungen überhäuft ist.
IV
Mengers Untersuchungen zur Geldlehre, die im vierten und letzten
Band der vorliegenden Ausgabe abgedruckt sind, gehören zweifellos
zu dem Wert-vollsten, was er uns hinterlassen hat. Es war aber
gleichfalls eine Übertreibung, zu behaupten, dass nichts, was er
darüber geschrieben habe, als veraltet zu be-zeichnen sei 8. Aber
Mengers Verdienste in diesem Belange sind nicht hoch genug
anzuschlagen, wenn man bedenkt, welche verschrobene Geldlehren uns
in den letzten Jahrzehnten vorgelegt worden sind, und wenn man
diese mit den stets bedächtigen, vernünftigen und genau
formulierten Urteilen Mengers vergleicht. Die Geldlehre, die er
vornehmlich in dem 1892 im «Handwörterbuche der
Staatswissenschaften» erschienenen Artikel «Geld» zusammengefasst
hat, ent-hält im wesentlichen folgendes: Das Geld ist nicht durch
Gesetz entstanden, es ist seinem Ursprünge nach keine staatliche,
sondern eine gesellschaftliche Er-scheinung. Die Verwendung
bestimmter Güter als Tauschmittel geht auf Ge-wohnheit zurück, das
heisst auf ein gleichartiges Handeln gesellschaftlich
zu-sammenlebender Individuen. Diese Tauschvermittlungsfunktion
unterscheidet
1 S.37. 8 Vgl. 3. Bd., S. 2, 7, 9, 81, 87. 8 So L.von Mises,
«Neues Wiener Tagblatt», Nr. 329, vom 29. November 1936, S. 19.
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Zur Würdigung Karl Mengers 173
das Geld von den übrigen Gegenständen des Güterverkehrs. Die
Wahl der Edelmetalle als Tauschmittel beruht gleichfalls nicht auf
staatlichem Zwang oder freiwilliger Übereinkunft, sondern auf der
«richtigen Erkenntnis der indi-viduellen Interessen». Das Geld ist
zugleich ein Mittel für freiwillige oder un-freiwillige einseitige
Leistungen, zum Beispiel Abgaben, Vermögensbussen, und für
sogenannte subsidiäre Leistungen, die an Stelle der ursprünglichen
Leistung treten, zum Beispiel Schadenersatzleistungen. Dagegen
wehrt sich Menger gegen die Auffassung, das Geld schon seinem
Begriffe nach als gesetzliches Zahlungs-mittel zu bezeichnen. Was
Menger aber dagegen einwendet (vgl. Kap. VII) läuft, wenn das im
Kapitel VI über das Geld als Leistungsmittel Gesagte
berück-sichtigt wird, meines Erachtens zum Grossteil auf einen
Wortstreit hinaus und wird der rechtlichen Natur des Geldes nicht
gerecht.
Vom sprachlichen Gesichtspunkt halte ich auch Mengers
Unterscheidung zwischen dem äusseren und inneren Tauschwert des
Geldes nicht für glücklich. Der äussere Tauschwert ist nach ihm
nichts anderes, als was man herkömm-licherweise die Kaufkraft des
Geldes zu bezeichnen pflegt (vgl. S. 78), während der innere
Tauschwert durch « die auf Seite des Geldes liegenden
Bestimmungs-gründe der Preisbildung» (vgl. S. 81) sein Mass erhält.
Während es nach Menger vergebliches Bemühen ist, einen absolut
stabilen Maßstab des äusseren Tausch-werts der Güter zu suchen,
hält er die Möglichkeit für gegeben, den inneren Tauschwert des als
Geld verwendeten Guts durch eine entsprechende Regelung seiner
«Zirkulationsmenge (durch Einschränkung der Ausprägungen, bzw.
durch Ausdehnung oder Einschränkung der Wirksamkeit der
geldersetzenden Institu-tionen)» durch den Staat (vgl. S. 86)
unverändert zu erhalten. Der Zwangskurs gehört nach ihm nicht unter
die Begriffsmerkmale des Geldes. Er ist vielmehr in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle nur eine Massregel, durch
Missbrauch der Münzhoheit entstandene pathologische Formen von
Umlaufmitteln unter Miss-brauch der Justizhoheit dem Verkehr
aufzudrängen oder darin zu erhalten. Was den Geldbedarf der
Volkswirtschaft anbelangt, so sind nach Menger die meisten darüber
aufgestellten Theorien verfehlt. Die richtige Ansicht muss nach ihm
vom Barmittelbedarf der Einzelnen und der Gemeinwirtschaften
ausgehen und gleichzeitig die das Münzgeld ersetzenden und die
Barmittel ersparenden In-stitutionen der Volkswirtschaft in
Berücksichtigung ziehen.
Mit besonderem Interesse wird man noch heute Mengers
Ausführungen über die Kaufkraft des alten österreichischen Guldens
* lesen, die seit dem Jahre 1879 beträchtlich höher war als jene
des im Gulden österreichischer Währung enthaltenen Feinsilbers.
Durch die Einstellung der Ausprägung der Silber-münzen war ein
Unterschied zwischen dem Verkehrswerte und dem Silberwerte des
Guldens entstanden, der auf die Seltenheit dieses Umlaufmittels im
Ver-hältnisse zum Bedarfe zurückzuführen war. Ob aber die
Behauptung Mengers, dass dieser Zustand des Geldwesens ernste
Gefahren mit sich brachte, zutraf, möchte ich bezweifeln, zumal
Menger selbst zugeben musste, dass sich österreich-
1 Vgl. 4. Bd., S. 116—124, S. 135—144.
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174 Otto Weinberger
Ungarn trotz dieses Umstandes eines relativ beständigen
Wertmasses im In-landsverkehr erfreute. Die Vorschläge, das
Wertverhältnis zwischen Gold und Silber im Wege zwischenstaatlicher
Vereinbarungen zu stabilisieren, hielt Menger fur «nicht
erstrebenswert». Ich möchte sagen: wohl sehr schwer durch-führbar.
Ob die jetzt wiederum auftauchenden Versuche einer
zwischenstaat-lichen Geldwertstabilisierung zum Ziele führen
werden, lässt sich nicht ent-scheiden. Anlässlich der
Währungsreform des Jahres 1892 trat Menger für die Goldwährung ein
und beantragte auf überzeugende Weise, dass bei der Fest-setzung
der Relation der Besitzer eines alten Guldens dafür einen
Goldgulden bekommen sollte, in welchem «so viel Gold enthalten war,
als er sich für den Papiergulden zur Zeit der Reform kaufen konnte
». Zutreffend hob er schliesslich hervor, dass es ein Irrtum sei,
einen möglichst «kleinen» Gulden zu schaffen, um die Armen auf
diese Weise ihrer Schulden gegenüber den Reichen zu entlasten. Die
kleinen Leute, so meinte Menger, legten heutzutage ihre Kapitale
bei den Wohlhabenden an, und die Festsetzung eines kleinen Guldens
— das heisst eine Abwertung von oben, um bei dem heute
herr-schenden Sprachgebrauch zu bleiben, — würde daher die
Ausbeutung des kleinen Mannes bedeuten. Gorecht sei jener Gulden,
durch den keine Ver-mögensverschiebung stattfinde. Dem wird man
auch heute noch vollinhaltlich zustimmen müssen.
Und dennoch : Wie sehr wir auch die Verdienste Mengers um die
Erforschung der Goldlehre schätzen mögen, die Waage wird sich
meines Erachtens nicht zu seinen Gunsten neigen, wenn man seine
Leistungen mit jenen seines Zeitgenossen Léon Walras vergleicht.
Der Abstand zwischen der «Exaktheit» Mengers und jener des
Lausanner Meisters springt in die Augen. Während Menger — bei aller
Hochachtung vor seiner Darstellung, die damit nicht herabgesetzt
werden soll — doch nur tastet, versucht Walras, gleichgültig, ob es
sich um Probleme des Geldbedarfes, der Quantitätstheorie, des
Bimetallismus oder der Index-zahlen handelt, die Probleme
mathematisch zu erfassen, und erweist in seiner «Theorie de la
Monnaie»* die Überlegenheit seiner Methode über die rein
«literarische» Mengers. Auch hat sich Walras im Gegensatz zu Menger
bereits mit geldlichen Problemen befasst, die in jüngster Zeit als
angeblich völlig neue in der Wissenschaft vorgeführt wurden,
obgleich die richtigen Ansätze zu ihrer Lösung schon durch Walras
vorgezeichnet wurden. Während sich Menger in die Frage des
geldlichen Grenznutzens nicht vertieft hat, hat Walras bereits den
Begriff der rareté moyenne, des mittleren Grenznutzens geprägt, der
durch das arithmetische Mittel der Seltenheiten verschiedener Güter
festgestellt wird, und die mittlere Seltenheit der einzelnen Güter
in eine feste Beziehung zur mitt-leren Seltenheit eines bestimmten
Vergleichsgutes, nämlich des Geldes, gebracht. Ich selbst habe mich
bemüht, die Bemerkungen, die sich an den verschiedenen Stellen der
Walrasschen Schriften darüber finden, zusammenzufassen und sie der
Walrasschen Darstellung entsprechend in mathematische Form zu
kleiden. Die Formulierung beweist, dass der mittlere geldliche
Grenznutzen als eine dem
Abgedruckt in seinen Etudes
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Zur Würdigung Karl Mengers 175
Nominaleinkommen direkte und dem allgemeinen Preisniveau
indirekt propor-tionierte Grösse aufgefasst werden muss *.
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Es ist schon erwähnt worden, zu welch scharfen Angriffen sich
Menger gegen das geschichtliche Verfahren in der
Volkswirtschaftslehre hinreissen Hess, ohne dass man seine
Einwendungen gegen Gustav Schmoller in allen Belangen als begründet
bezeichnen könnte. Denn niemand wird vernünftigerweise be-streiten,
dass man versuchen kann, wirtschaftliche Vorgänge aus ihren
geschicht-lichen Ursachen zu erklären. Ich möchte aber zum
Abschlüsse dieser kritischen Bemerkungen darauf hinweisen, dass er
auch die Arbeiten eines anderen Schrift-stellers nicht entsprechend
gewürdigt hat, obgleich sie sich letzten Endes gleich-falls die
exakte Formulierung wirtschaftlicher Gesetze zur Aufgabe gemacht
hatten. Ich verweise in diesem Zusammenhange auf die Beurteilung,
die er in der «Wiener-Zeitung» vom 8. März 1889 über das bekannte
Werk von Auspitz und Lieben, «Untersuchungen über die Theorie des
Preises» 2, geschrieben und wie er dieses hervorragende, seinen
«Grundsätzen» gewiss ebenbürtige Buch mit einigen wenigen
herablassenden Bemerkungen zu besprechen versucht hat. Seine
Einwendungen gehen dahin, dass Auspitz und Lieben in Wirklichkeit
«1. nicht der analytischen, sondern der Suppositionsmethode folgen,
das heisst nicht die komplizierten Erscheinungen auf die
einfachsten Elemente zurück-fuhren und auf dem Weg der isolierenden
Synthese wieder zu den komplizierten Erscheinungen und zur
Erkenntnis der Gesetze der Synthese ihrer Elemente zu gelangen
suchen, sondern die komplizierten Erscheinungen unter gewissen,
bisweilen geradezu unstatthaften, weil in sich widerspruchsvollen
Suppositionen zu untersuchen unternehmen; 2. seinem Dafürhalten
nach häufig die graphische Methode nicht nur als Mittel der
Darstellung, sondern als solche der Forschung benützen, endlich 3.
unhaltbare Lehren zwar in richtiger Weise graphisch dar-stellen und
mathematisch formulieren, hiedurch indes selbstverständlich den
ursprünglichen Mangel der Ergebnisse ihrer Untersuchung nicht zu
beseitigen vermögen».
Alle diese Einwendungen sind nicht haltbar. Obwohl Menger es
unterlassen hat, diese angeblich unhaltbaren Annahmen
(Suppositionen) zu bezeichnen und ihre Unrichtigkeit zu beweisen,
so sind doch offenbar jene gemeint, die Auspitz und Lieben unter
dem Titel «Allgemeine Voraussetzungen» ihren Kurven zu-grunde
gelegt haben. Sie betreffen das stabile Gleichgewicht des
betrachteten
1 Vgl. Otto Weinberger, Über den Begriff der mittleren
Seltenheit (rareté moyenne), in den Eléments d'Economie Politique
von Léon Walras, Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung
und Volkswirtschaft, Bd. 56 (1932), S. 679—686, und Otto
Weinberger, Über Ver-fahrensweisen zur Bestimmung des geldlichen
Grenznutzens. Zeitschrift für die gesamte Staats-wissenschaft, Bd.
93 (1932), S. 3 8 5 ^ 1 1 .
2 Leipzig 1889. Vgl. Otto Weinberger, Rudolf Auspitz und Richard
Lieben. Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 91
(1931), S. 457—492, und Otto Weinberger, Rudolf Auspitz, Neue
österreichische Biographie, 1. Abteilung, VIII. Bd., Wien 1935, S.
37—44. — Die im Texte erwähnte Formulierung Mengers: «isolierende
Synthese», ist m. E. unverständlich.
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176 Otto Weinberger
Markts, das zweckmässigste wirtschaftliche Handeln der
Wirtschaftssubjekte und die Unveränderlichkeit ihrer individuellen
Eigenschaften, die Unverändert lichkeit der Preise während der
betrachteten Wirtschaftszeit, den freien Wett-bewerb und die
Einflusslosigkeit der einzelnen Wirtschaftshandlungen auf die
Festigkeit der Preise.
Da möchte ich nun zunächst bemerken, dass solche Annahmen, wie
sie Menger den Schriftstellern Auspitz und Lieben ausstellt, von
ihm selbst bei Aufstellung seines Grenznutzenbegriffes gemacht
werden. So erklärt er, dass das Bestreben wirtschaftlich tätiger
Menschen dahin gehe, ihre Bedürfnisse voll-ständig oder so
vollständig wie möglich zu befriedigen, und dass sie, wenn sie nur
über eine begrenzte Menge von Gütern verfügen, zunächst jene
befriedigen, deren Befriedigung für sie die höchste Bedeutung hat,
den vorhandenen Über-schuss aber zur Befriedigung jenes
Bedürfnisses verwenden, welches dem Grad seiner Bedeutung nach
zunächst steht usf. 1. Es ist Menger, der bei Begründung seiner
Lehre vom Werte die Annahme von dem isolierten Wirtschaftssubjekt
macht, das «eine Meeresinsel bewohnt, auf welcher sich eine einzige
Quelle befindet» 2, um dann das, was er in isolierender Betrachtung
festgestellt hat, «auf die komplizierten Verhältnisse eines Volks
und der menschlichen Gesell-schaft überhaupt» ausdehnt 3. Eine
ganze Reihe von Annahmen macht Menger, wenn er den Versuch
unternimmt, die Problematik des Tausches zu erklären, woselbst er
die Annahme macht, dass die Wirtschaftssubjekte «nach der
mög-lichst vollständigen Befriedigung ihrer Bedürfnisse» streben
und die verschie-denen Wertrelationen der auszutauschenden Güter
kennen 4. In der Lehre von den Monopolen macht er die Annahme, dass
der Monopolist den Preis des Monopolguts so berechne, dass er bei
dem diesem Preise entsprechenden, voraus-sichtlichen Absätze den
grössten Erlös (gemeint ist in Geld) erziele, das heisst : nicht
mehr Gütermengen zu einem niedrigeren Preise oder weniger
Gütermengen zu einem höheren Preise absetze, ohne den gleichen
Erlös wie früher zu er-zielen 6.
Nun wird sich Menger mit dieser Einwendung, dass er selbst
Annahmen mache, nicht zufrieden erklären und behaupten, dass seine
Annahmen und nicht jene von Auspitz und Lieben den wirklichen
Tatsachen entsprechen. Dem wird man ganz ruhig entgegenhalten
dürfen, dass die Annahme, dass der Preis irgendeiner Ware, zum
Beispiel infolge eines Einfuhrverbots, im Inland gefallen sei und
die sonstigen Preise unberührt bleiben, zum Zweck der
wissenschaft-lichen Betrachtung nicht mehr und nicht weniger mit
der Wirklichkeit über-einstimmt als etwa die Annahme, dass die
Wirtschaftssubjekte danach streben, ihre Bedürfnisse möglichst
vollständig zu befriedigen, oder dass freier Wett-bewerb besteht,
oder dass sie in erschöpfender Kenntnis der Marktlage handeln. Die
Obersätze der von Menger gerühmten analytischen und der von ihm
mit
1 Karl Menger, Grundsätze, S. 97—98. 3 Grundsätze, S. 100. 3
Grundsätze, S. 106. 4 Grundsätze, S. 159. 6 Grundsätze, S.
198—199.
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Zur Würdigung Karl Mengers 177
Beziehung auf Auspitz und Lieben verworfenen
«Suppositionsmethode» sind daher voneinander nicht verschieden, so
dass man gar nicht weiss, worin sich beide Methoden, wenn sie
überhaupt von zutreffenden Annahmen ausgegangen sind, voneinander
unterscheiden.
Im übrigen zeigt Mengers anscheinend übereilt verfasste und
wenig durch-schlagende Kritik, dass sie den Gegenstand selbst nicht
trifft, da Auspitz und Lieben mit ihrer Darstellung keineswegs den
Zweck verfolgten, wirkliche Vor-gänge mathematisch zu beschreiben,
sondern dem tatsächlichen Ablaufe der Erscheinungen mit Hilfe ihrer
Methode in den Grenzen des Möglichen nahe-zukommen. Das hat schon
Lieben in der ihm eigentümlichen, vornehm ruhigen und sachlichen
Art und Weise ausgeführt1, wenn er erklärt, dass er und Auspitz in
ihrem Buche Annahmen gemacht hätten, die sich von den wirklichen
Tat-sachen entfernten und dass sie dies in der Absicht getan
hätten, die behandelten Probleme zu vereinfachen. Denn es wäre
unmöglich gewesen, die Wirkungen der Veränderungen eines bestimmten
Elements zu studieren, wenn gleichzeitig angenommen worden wäre,
dass sich die übrigen Elemente gleichfalls verän-derten. Das
Weitere kann bei Lieben selbst darüber nachgelesen werden. Im
übrigen ist es ganz unzutreffend, zu behaupten, dass, wer sich bei
Aufstellung seiner Schlüsse der mathematischen Analyse bediene,
tatsächlich — trotz des irreführenden Namens «Analyse» — nicht
synthetisch vorgehe und dass man mit Hilfe der mathematischen
Methode, zum Beispiel durch Vergleichung des Verlaufs zweier
empirisch ermittelter Kurven im Wege der Prüfung ihrer
mathe-matischen Verschiedenheiten, nicht auch neue Ergebnisse
erhalten, das heisst, dass die Mathematik nicht bloss als Mittel
der Darstellung, sondern auch als Mittel der Forschung benutzt
werden könnte. Sind doch gewisse Forschungs-ergebnisse, wie zum
Beispiel die Unterscheidung der nach Gauss herkömmlich benannten
Fehlerkurve und der Einkommensverteilungskurve Paretos nur mit
Hilfe der mathematischen Methode festzustellen.
Nichts liegt mir mit diesen Zeilen ferner, als die überragende
wissenschaft-liche Bedeutung Karl Mengers irgendwie herabsetzen zu
wollen. Es ist gar nicht erforderlich, die grossen Vorzüge seiner
Hauptschriften, die das Ergebnis einer tiefen, ausgefeilten
Gedankenarbeit darstellen und einer ganzen Schule den Weg gewiesen
haben, noch einmal zu betonen. Es ist aber auch bekannt, wie gross
das wissenschaftliche Ansehen Mengers in Wirtschaftsfragen im
Österreich der Achtzigerjahre gewesen ist. Man wird daher bedauern,
dass er von dieser wissenschaftlichen Machtstellung nicht immer den
richtigen Gebrauch zu machen verstanden und durch seine
Stellungnahme im Methodenstreite und bei Beurteilung von Schriften
eines Fachkollegen nicht mit der entsprechenden Besonnenheit und
Masshaltung vorgegangen ist. Denn bei der Beschränktheit alles
menschlichen Wissens ist doch die Bescheidenheit die schönste
Zierde des Gelehrten.
1 Vgl. R. Lieben, On consumer's rent. The Economic Journal, vol.
4 (1894), S. 716—719.
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