Mit fr eundlicher Unterstützung von LMU excel l ent PerforminglnterMediality HENSCHEL Mediale Wechselwirkungen im experimentellen Theater der Gegenwart Herausgegeben von Jürgen Schläder und Franziska Weber
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LMU excel lent
PerforminglnterMediality
HENSCHEL
Mediale Wechselwirkungen im experimentellen Theater der Gegenwart
Herausgegeben von Jürgen Schläder und Franziska Weber
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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ISBN: 978-3-89487-680-7
© 2010 by Herausgeber, den Autoren und dem Henschel Verlag in der Seemann
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setzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.
Lektorat: Anja Herrling, Kristina Worthmann
Umschlaggestaltung: Grafik Scheffler, Berlin
Umschlagfotos: Alle Aufnahmen stammen aus Homo Ludens von Richard Siegal.
Fotos oben und Mitte© Hillary Goidell, unten© ONUK/ZKM
Satz und Gestaltung: Gisela Kirschberg, Berlin
Druck: Druckhaus Köthen
Bindung: Leipziger Kunst- und Verlagsbuchbinderei
Printed in Germany
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff
VORWORT 7
Barbara Mailos Tibaldi
VOM SPIELEN Zur Dynamisierung medialer Konstellationen in Richard Siegals Homo Ludens
10
Tobias Staab
MEDIALE INSZENIERUNGEN - INSZENIERUNGEN DES MEDIUMS Eine Untersuchung intermedialer Effekte entlang Jossi Wielers Inszenierung Rechnitz {Der Würgeengel} an den Münchner Kammerspielen
40
Jürgen Schläder
INTERMEDIALE WIRKLICHKEIT Komplexe Verschränkung von Fiktion und Virtualität in Katie Mitchells Al gran sole carico d'amore
84
Franziska Weber
REAL LIVE? Die multimediale theatrale Performance im Spannungsfeld von Unmittelbarkeitserfahrung und Gegenwartssimulation
130
Michael Wetzei
DIE GESTÖRTE WUNSCHMASCHINE Chris Cunninghams Videoclips als inframediale Schnittstelle zwischen Sound,
Image, Narration und Imagination
150
Barbara Zuber
PRIMA LA MUSICA, E PO! L'IMMAGINI? lntermedialitäten und Mediendifferenzen in Chaya Czernowins Kammeroper
Pnima ... ins Innere
174
Jens Schröter
ZUR ANALYSE MULTIMEDIALER SYSTEME
202
Jörg von Brincken
CHOOSE YOUR FETISH! Pornografie oder wollüstiger Austausch im Zeitalter seiner medialen
Reproduzierbarkeit
220
Katja Schneider
»THINK OF THEM AS WORDS« Bewegung und Text in Homo Ludens von Richard Siegal
256
DIE AUTORINNEN UND AUTOREN
280
ABBILDUNGSNACHWEIS
286
lntermedialität ist seit etwa 15 Jahren zum allgegenwärtigen und, wie es scheint,
allumfassenden Schlagwort geworden, das uns angeblich die postmoderne Ent
grenzung der Künste ebenso zu strukturieren und zu verstehen hilft wie die Irri
tationen und Rätsel unserer alltäglichen Realitätswahrnehmung. Die Literatur
zum Stichwort lntermedialität ist inzwischen unüberschaubar, die Ausdehnung
einschlägiger Forschung ist im Sinne des Wortes interdisziplinär und der Begriff
selber hat eine lnflationierung erfahren, die seine Prägnanz und Brauchbarkeit
inzwischen fraglich erscheinen lässt. Weshalb also noch eine Veröffentlichung
zur lntermedialität?
Zum einen, weil sich die Halbwertzeit der Forschungsergebnisse rasant ver
kürzt . Was vor fünf Jahren noch als Desiderate von Fachwissenschaften formu
liert wurde, ist heute oftmals schon Selbstverständlichkeit, insbesondere in der
theaterwissenschaftlichen Forschung . Die virulenten Fragen der Theaterwissen
schaft an innovative Bühnenproduktionen werden seit langem eng verknüpft
mit den bereits geführten Mediendiskursen. Aber die nun im Theater, dem kom
plexesten Hypermedium der gegenwärtigen Kunst, als Integrale fungierenden
Neuen Medien erfordern eine gewandelte theoretische Fundierung der Analyse
und der Beschreibung von ästhetischen Erfahrungen.
Zum andern erfordert die rasante Entwicklung digitaler Medien und ihres Ein
satzes im Theater eine auf Detailstrukturen zielende Analyse der ästhetischen
Objekte, die sich mit tradierten Kategorien von Beschreibung und Interpretation
nicht mehr leisten lässt. Die Formulierung neuer Denkfiguren tut Not.
Zum dritten weist eine hoch komplexe Theateraufführung, die verschiedene
elektronisch analoge und digitale Medien integriert, eine unübersehbare Analo
gie zu einem Netzwerk scheinbar disparater Bilder und Ereignisse aus verschie
densten Realitäts- und Kunstbereichen auf, die in einer Aufführung dennoch
stru kturell miteinander verknüpft sind. Angesichts der somit prinzipiell schran-
-
Jens Schröter
c ZUR ANALYSE MULTIMEDIALER SYSTEME
....................... , ~~:::I~ Merkel: "Hilfe filr Grle'.
Kolumbien:Ne..,nTotebdBo;
Top-Ncws:Das Wochtiostcdc;
KICKER TV H
kic:ku.tv:NeucroGcr"dter ·Ka.hnlordcrtncuen 8<lyern·Keepcr
········· · ······ ··· ······ ··· ·· ········· ·
There might be badly designed computers, or interfaces
that are not ergonomic. But the idea of an abstract computer that,
so to say, falls in a humane dimension that will be
threatened by this eruption is absurd.
Bruno Latour1
s geht um die Frage, wie man komplexe intermediale Strukturen
analysieren kann. Da es jedoch nicht um einen weiteren Beitrag zur
Theorie der lntermedialität gehen soll, verweise ich auf die entspre
chende Literatur.2 Die Fragestellung sei hier auf multimediale Sys
teme eingeengt, also solche Strukturen, in denen verschiedene semiotische
Basismedien wie Schrift, gesprochene Sprache, Musik, Bild und Bewegtbild, Bewe
gung im Raum, Gestik, Kleidung (in einer mindestens implizit regelhaften Form)
etc. zusammentreten . Die Frage, um die es hier geht, ist also genauer diejenige,
wie man dieses >Zusammentreten< eigentlich beschreiben kann. Dabei stellt sich
das Problem, dass man kaum umhin kommt, die multimediale Struktur erst in
ihre verschiedenen medialen Einzelteile zu zerlegen, diese dann zu beschreiben
und dann alles wieder zusammenzusetzen. Doch wie schon zur >multimedialen
Kommunikation< bemerkt wurde: Die »Gesamtinformation in der Wirkung [ist]
nicht identisch mit der Summe der kanalspezifischen lnformationen«.3 Außer
dem muss man jede multimediale Darbietung, um sie in Ruhe analysieren zu
können, irgendwie speichern oder notieren, und d. h. zwangsläufig medial um ko
dieren.• Aus beiden Einwänden kann man den Schluss ziehen, dass eine Analyse
multimedialer Systeme per se unmöglich ist. Man kann aber auch zu einem
anderen Ergebnis kommen: Wenn solche Zerlegungen (eben: Analysen) und
Umkodierungen unvermeidlich sind, kann man immer noch versuchen, sie
methodisch kontrolliert durchzuführen. Im Folgenden sollen einige Vorschläge
gemacht werden, wie eine solche Analyse angegangen werden könnte.
- Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
Diese Analyse scheint angesichts der zahllosen multimedialen Oberflächen,
die uns umgeben, dringlich. Dennoch ist sie, zumindest im deutschen Sprach
raum (abgesehen von eher vergessenen Versuchen in der Semiotik). wenig ent
wickelt . Das mag einen Grund darin haben, dass in bestimmten Teilen der deut
schen medienwissenschaftlichen Diskussion die Oberflächen digitaler Medien
keinen guten Stand hatten. Die »Illusion der Oberfläche« schien lediglich dem
Zweck zu dienen, »dem User trotz vollkommener Unkenntnis der Maschinen
vorgänge die Möglichkeit einer Steuerung« zu »suggerieren« .5 Gegen diesen
>Computeranalphabetismus<• schien es allein zu helfen, den Usern das durch
die Oberflächen versperrte Wissen über die eigentlichen Prozesse in Computern
wiederzugeben . So schien »keine Alternative dazu« zu existieren, »grafische
Oberflächen aus dem Horizont der Icons wieder und wieder in den Bereich der
Schrift zurückzuholen. Das hieße, User zu Programmierern zu machen«.7 Es sei
betont, dass diese Krit ik an der schönen bunten Benutzeroberflächenwelt wich
tig war und ist. Daraus folgt aber erstens nicht, dass man die Analyse der Ober
flächen und ihrer Logiken vernachlässigen sollte. Selbst wenn die Oberflächen
nur täuschendes Blendwerk sein sollten, könnte man sie trotzdem danach
befragen, wie sie User täuschen und lenken, welche - in der Sprache Foucaults
ausgedrückt - Subjektpositionen oder - in der Sprache Althussers u. a. ausge
drückt - ideologischen Effekte sie genau produzieren. Immerhin hat Harris
schon 1996 vorgeschlagen den Ideologien der Bildschirmschoner nachzuge
hen.• Außerdem ist zweitens zu befürchten, dass - trotz aller Bemühungen um
End-User-Development• - aus den Usern wohl keine Programmierer (zumindest
im emphatischen Sinn Kittlers, Heidenreichs u. a.) mehr werden . Die meisten
User verbleiben bei ihren Oberflächen; also kann es nicht die Aufgabe sein, die
sen Zustand ständig zu beklagen, sondern zu untersuchen, was die Oberflächen
mit den Usern und vielleicht auch umgekehrt: die User mit den Oberflächen
machen. Oder wie es Gilles Deleuze einmal in anderem Zusammenhang formu
liert hat: »[H]inter dem Vorhang gibt es nichts zu sehen, aber darum ist es um
so wichtiger, jeweils den Vorhang zu beschreiben«.10 Die Erforschung der Ober
flächen und ihrer Logiken ist u. a. schon von Helmut Schanze und Manfred Kam
mer11 sowie Lev Manovich12 begonnen worden . Der vorliegende Beitrag versteht
sich als kleine Ergänzung dazu.
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
DIE MULTIMEDIALE OBERFLÄCHE:
VON DER DESKRIPTION ZUR DE-SKRIPTION
Friedrich Kittler wies schon 1986 darauf hin, dass es im Feld der Computer »Ton
und Bild, Stimme und Text« nur noch, aber immerhin auch noch als »Oberflä
,cheneffekt« gibt-" In der alltäglichen Praxis mit Computern ist zunächst die
Ebene der Software dominant, näherhin die Ebene der Displays und anderer
Interfaces, durch die wir und mit denen wir die verschiedenen, wie ich sagen
möchte, medialen Elemente verwalten und arrangieren. Mit Sampling, Simula
tion und manueller Erstellung - wie bei Text- oder Paintprogrammen - eignen
sich die universellen Rechenmaschinen annähernd die Formen bisheriger Medien
an. Die Rede vom >U niversalmedium Computer<, wie die von der >Konvergenz der
Medien im Digitalen<, bleiben aber zu ungenau. So wurde bislang kaum unter
sucht, wie die verfügbaren medialen Elemente in einem spezifischen Zusam
menhang kombiniert sind und welche Effekte das erzeugt.14 Beginnen wir mit
der Beschreibung eines ganz alltäglichen Beispiels (Abb. 1: Website Spiegel
Online) :
So sieht man bei Spiegel Online Headlines, die auf einen Artikel verweisen .
Rechts findet sich eine Spalte, in der auf andere Texte und Bilder hingewiesen
wird. Ein Klick dort, und man verlässt die gewählte Seite auf dem Weg zu einer
neuen, vergleichbar angeordneten Seite - im Rahmen der Domain spiegel.de.
Noch weiter rechts ist eine weitere Spalte, in der kurze Animationen mit oft auf
fällig schönen Menschen und gelegentlich penetranten Begleitgeräuschen ver
suchen, die Aufmerksamkeit der Nutzer/Nutzerinnen auf diverse Waren und
Dienstleistungen außerhalb von spiegel.de zu lenken. Es finden sich Hinweise
darauf, wo verschiedene mediale Elemente abgerufen werden können (z. B.
kleine Videos, Fotostrecken, manchmal auch Audiofiles). Die schriftlich gegebene
Information kann also auf Wunsch durch audiovisuelles Material veranschau
licht und ergänzt werden. Die zusätzlichen Elemente werden zumeist in kleinen
gesonderten Fenstern präsentiert. Die Logik des Fensters, des Windows ist eine
spezifische Eigenart digitaler multimedialer Systeme, insofern Fenster verschie
dene mediale Elemente neben- oder übereinander zu präsentieren erlauben und
zugleich klar definierte Rahmungen ziehen. Bei geöffneten Browsern findet sich
in der Regel oben eine Leiste mit den Metafunktionen des Browsers, durch die
wir z.B. wiederum zu ganz anderen Seiten wechseln können . Die Metafunktio-
- Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
VIDEO u
Mordp~IQS: Kelts "ngel vorGc<icht
AngelaMerkcl:'Hlffefür Gtlechcnlandnurim Notfall"
Kolumbien: NeunTot<!bcl l B<>mbenan~hl1g
Top·N„ws : Da~WichtiQ$ledcsTa9tis
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kickcr.tv: NcucrodcrAdlcr • Kn~n fordert neuen Saycrn-Kccpcr
klcker.tv:Ncvr.;25 .0J.2010
kiäff.tv: FCA.ob~nMünchen
•lleVidcos H
nen erlauben uns aber auch bestimmte, aber eben nur bestimmte Eingriffsmög
lichkeiten in die Darstellung. Im Ganzen haben wir hier also ein, wie man
zunächst sagen könnte, strukturiertes Feld diverser medialer Elemente vorlie
gen. Ted Nelsons Begriff >Hypermedia< von 1965 ist heute immer noch hilfreich,
insofern er die nicht-sequenzielle Anordnung der verschiedenen Elemente und
ihre wechselseitige Vernetzung unterstreicht.
Doch eine Website ist nicht einfach eine statische Struktur. Die Nutzer/Nutzer
.innen sind aufgefordert eine selbst notwendig lineare Selektionsbewegung (die
vielbeschworene Interaktivität) durchzuführen. Bis zum Abbruch des Web
besuchs gilt es Elemente auszuwählen, sie zu rezipieren , durch Anklicken neue
Fenster zu öffnen oder in neue multimediale Umgebungen, neue Websites vor
zudringen. Entlang dieser, manchmal >navigierend< genannten, Bewegung ver
kettet der Nutzer/die Nutzerin also bereitgestellte Elemente zu einer, wie ich
vorschlage, multimedialen Performanzkette, entlang derer verschieden kodierte
und verschiedene Sinne ansprechende Informationen präsentiert werd en.15
Diese Beschreibungen gelten im Prinzip nicht nur für On-Line-Multimedia, son
dern auch für Off-Line-Multimedia.
Die Untersuchung spezifisch strukturierter Felder multimedialer Elemente ist
deswegen so interessant, weil sich an ihnen der Begriff des multimedialen Sys
tems wohl am besten bestimmen lässt. Eine Multimedia-CD oder DVD oder eine
spezifische Website versuchen die medialen Elemente eben zu einer, wie es in
einer populären Definition von System heißt, »aufgaben-, sinn- oder zweckge
bundenen Einheit« zu verbinden, die gegenüber anderen Websites, anderen Prä
sentationen, sozusagen gegenüber ihrer »Umwelt« mehr oder weniger abge
grenzt ist.1• Durch die Einbindung der Nutzer/Nutzerinnen wird das System
dynamisiert. Die Struktur der Links im WWW zeigt einerseits, dass ein al lzu
geschlossener Systembegriff zur Beschreibung für Online-Multimedia wohl
nicht tauglich ist; andererseits kann man z.B. die Hinweise von Seitenbetreibern,
dass sie sich von den Inhalten der verlinkten Seiten ggf. distanzieren, aber auch
das umgreifende Rahmendesign einer Domain wie spiegel.de durchaus als Mar
kierung einer Systemgrenze auffassen.
A. Die Forschungsaufgabe besteht also zum einen in der sorgfältigen formalen
und vergleichenden Deskription (im Sinne von Beschreibung) gegebener multi
medialer Systeme. Die Beschreibung gilt dem, wie die Informatiker Bormann und
Bormann schon 1991 in einem Sonderheft des Informatik-Spektrums zu multi
medialen Systemen schrieben, »zeitlichen Layout«." Fragen könnten sein: Wel-
- Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
ehe medialen Elemente lassen welche informationellen oder aisthetischen
Lücken, die andere Elemente füllen? Oder treten z.B. Videoelemente in einem
Fenster in eine Spannung etwa zu Soundelementen eines anderen Fensters?
Oder haben manche Soundelemente vor allem die Funktion Aufmerksamkeit auf
Werbung oder Metafunktionen des entsprechenden Systems zu lenken? Was
sind die Zeichen, die welche Entscheidungen der Nutzer/Nutzerinnen fordern?
Hier stellt sich die Frage, wie eine solche Analyse genau durchzuführen wäre.
Zur Deskription müsste man das »ze itliche Layout« in sequenzielle Querschnitte
zerlegen . (Abb. 2)
channel 1
channel 2
channel 3
---------
------- ------ -----
Abb. 2, Mögliches Muster für eine Tabelle zur Notation multimedialer Strukturen1•
Zu jedem Zeitpunkt n, n+l, n+2 etc. wären die konkreten Konstellationen der
medialen Elemente, die möglichen und die realen Performanzketten zu beschrei
ben. Das ist nicht nur sehr aufwändig , sondern setzt vor allem eine Notations
technik voraus, die die Abläufe nachvollziehbar macht. Im vorliegenden Text
wurde schlicht ein Screenshot der Beispiel-Website ein montiert- das ist für eine
detaillierte Analyse kaum genügend. Gerade für die Analyse multimedialer
Oberflächen digitaler Medien könnte man sich selbst computergestützte Ver
fahren vorstellen . In der Graduate School Locating Media/Situierte Medien in Sie
gen gibt es ein Dissertationsprojekt von Pablo Abend , der medienethnographisch
ku lturelle Praktiken mit Google Earth untersucht. Dabei wird eine Software, Vide
ana, eingesetzt, mit der er die genauen lnteraktionsmuster der Nutzer erstens
aufzeichnen und zweitens auswerten kann. 19 Eine ähnliche Software-Unterstüt
zung wäre auch für eine Analyse anderer multimedialer Systeme vorstellbar.
B. Zum anderen muss die Deskription zur De-Skription fortentwickelt werden.
De-Skription ist ein Begriff, den die französische Techniksoziologin Madeleine
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme -
Akrich vorgeschlagen hat. Sie und Bruno Latour definieren: »Die De-Skription,
gewöhnlich durch einen Analytiker, ist die der ln-Skription durch den Ingenieur,
Erfinder, Hersteller oder Designer entgegengesetzte Bewegung« .2° Soll heißen:
Die Analytiker entschlüsseln das gegebene Artefakt, um das in ihm verborgene
Handlungs- und Wahrnehmungsprogramm wieder ans Licht zu bringen. Akrich
s.chreibt andernorts, dass »technische Objekte wie ein Filmskript den Rahmen
einer Handlung (definieren] zusammen mit den Akteuren und dem Raum, in
dem sie agieren sollen«-"
DAS SKRIPT UND DIE
IMPLIZITEN NUTZER/NUTZERINNEN
Um das zu verdeutlichen möchte ich einen Blick auf ein exemplarisches Pro
gramm werfen, mit dem die von Akrich und Latour genannten »Ingen ieure, Erfin
der, Hersteller oder Designer« (vor allem letztere) eben multimediale Systeme
herstellen. Es geht um ein Beispiel aus dem Bereich der >multimedialen Autoren
systeme<. Zunächst ist an den Autorensystemen interessant, dass schon in ihrem
Namen eine Entität auftaucht, die in den medieneuphorischen Diskursen der vor
allem frühen 1990er Jahre totgesagt wurde, nämlich der >Autor<. Norbert Bolz
schrieb 1994 im Vorwort der legendären Anthologie Computer als Medium:
»Hypermedia brauchen keinen Autor, und Datenprocessing macht Genie schlicht
überflüssig«.22 Ich will hier keinem emphatischen Begriff des Autors - schon gar
nicht im Sinne einer einzelnen Person - das Wort reden. Aber Computer und ihre
Software wachsen trotz des schönen Firmennamens Apple nicht an Bäumen, sie
sind von kollektiven Enunziatoren (einer Firma, einem Entwicklerteam, Marktfor
schungsabteilungen etc.) in oft konfliktiver und heterogener Weise erzeugt und
inskribiert worden.23
Akrichs Rekurs auf das Filmskript als Metapher für die, das technologische
Produkt strukturierenden, Prozesse und ihre Implikationen wird besonders an
einem, jedenfalls bis vor kurzen in der multimedialen Praxis viel benutzten, Auto
rensystem nachvollziehbar: Macromedia Director (inzwischen zu Adobe gehörig
und daher Adobe Director genannt - ich beziehe mich hier auf eine ältere Version
und spreche im Folgenden nur kurz von Director).24 Der Regisseur, der Director,
war anders als die Figur des Schriftstellers, des Malers oder des Fotografen im-
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
~--·-·--ii • , •JI UIJW }i.e „ • • :JF.l~ O u, ."'A t. · ·~!:.- . ,_ . - -""" -'"'" IT--. ~
() _„ A / 0 0 ~
e o
mer schon ein Typ von Au
tor, der in Zusammenarbeit
mit vielen anderen eine
Vielfalt multimedialer Ele
mente arrangiert. Und die
se Analogie zum Theater
oder Kino setzt sich konse
quent fort (es gibt aber
auch andere Autorensyste
me, die mit anderen Leitme
taphern arbeiten). (Abb. 3)
e o D, -t:::IT' -'O=J
Die Hauptfenster in Di
rector heißen Bühne, Dar
steller bzw. Besetzung und
- Madeleine Akrich lässt
grüßen - Drehbuch. Die
Grenze der Bühne ist die
Grenze eines jeweils spezifi
schen multimedialen Sys
t ems. Darin beerbt sie auch
formal die, wie es Andre Ba
zin einmal bestimmt hatte,
zentrifugalen Potenziale der
Grenze des Filmbildes oder
"'"' .J..J
-'/J - - !II"- "<-r-r--.ro;-„~
Abb. 3, Oberfläche von Director
des Theaterraums.25 Denn diese multimediale Bühne kennt ein Off, aus dem ir
gendwelche Dinge erscheinen oder in das sie verschwinden können . Auf dieser
Bühne ordnet der Benutzer/die Benutzerin, der Regisseur/die Regisseurin, als
Sprites die diversen medialen Elemente an, die Darsteller heißen. Darsteller kön
nen Bilder, Töne, Filme, aber auch ausführbarer Code se in. Im Drehbuch wird an
gegeben, wann und wo welcher Darsteller welche Aktion durchführt. Die Grenze
der Bühne und der Ablaufplan des Drehbuchs ordnen die medialen Elemente zu
einer »aufgaben-, sinn- oder zweckgebundenen Einheit«, mithin einem multi
medialen System.
Verschiedene mediale Elemente bringen nun - abhängig von historisch
gewachsenen Konventionen -, wie man sagen könnte, mediale Konnotationen
mit sich. So kann z.B. ein gesampeltes Foto oder Video gerade dadurch, dass auch
die Verrauschungen, Körnungen, die Verwacklungen und Störungen mit über-
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme -
nommen werden, einen zusätzlichen Authentizitätseffekt erzeugen.'6 Simulierte
Animationen oder Bilder können Wahrheitseffekte evozieren - gegen alle Rheto
riken des Referenzverlusts digitaler Bilder vom Beginn der 1990er Jahre-" Gesam
pelte Videobilder können sagen >So war es<, simulierte Grafiken können sagen
>So muss es gewesen sein<. Kompliziert wird die Lage dadurch, dass diese ver
schiedenen Konnotationen im Zusammenhang eines multimedialen Systems
miteinander bzw. mit Texten, Tönen etc. interferieren und auf diese Weise ver-
. schoben werden. Z.B. können in anderen Zusammenhängen Computeranimati
onen durch einen spezifischen Futurismus-Look >tech nischen Fortschritt< konno
tieren.
Die Metaphorik von Bühne, Skript und Darstellern führt uns logisch zur mul
timedialen Performanzkette zurück. Die späteren realen Nutzer/Nutzerinnen
bekommen vom Skript selbst einen Platz zugewiesen, nämlich immer dann,
wenn >interaktiv< Entscheidungen getroffen werden müssen. In der zu Director
gehörenden Skriptsprache Lingo gibt es etwa Events wie mouseDown oder
mouseUp, die Reaktionen auf die Benutzung der Maus durch die Nutzer/Nutze
rinnen festlegen. Diese werden selbst zu Darstellern/Darstellerinnen unter
anderen.
Ein multimediales System erzeugt in diesem Sinne implizite Nutzer/Nutzerin
nen - das ist ein weiterer Begriff, den ich, auch in Anlehnung an Jeanette Hof
mann,'• vorschlagen möchte. Nochmal Akrich : »Designer definieren[ ... ] Akteure
mit besonderem Geschmack, besonderen Kompetenzen, Motiven, Zielen, politi
schen Vorurteilen und vielem anderen«.'9 In diesem Sinne gibt es eine Politi k der
Artefakte. 30 Eine solche Analyse sollte sich aber nicht bloß auf die vorfindlichen
Oberflächen beschränken, es wäre vielmehr angezeigt, sie in einen weiteren
Kreis von Materialien einzubetten. So könnte man erstens die reichhaltige Litera
tur zum Interface Design bzw. zur Software-Ergonomie heranziehen, um etwa
über ein spezifisches Produkt hinaus genaueren Aufschluss über die zu einer
gegebenen Zeit und/oder in einem gegebenen Kontext implizierten Nutzerbil
der zu bekommen. Zweitens dürften auch Paratexte wie Gebrauchsanweisun
gen oder Werbematerial zu je spezifischen multimedialen Systemen darüber
Aufschluss geben. Die spezifisch strukturierten Oberflächen mit Optionen für
User-Interaktionen räumen in Zusammenhang mit paratextuellem Wissen
potenziellen realen Nutzern/Nutzerinnen spezifische Funktionen ein.
Um dies nur kurz an einem Beispiel - das nicht mit Director erstellt sein
muss - zu erläutern: Nehmen wir das ganz normale Windows-Desktop - ein
Schreibtisch mit Aktenordnern, Papierkörben und verschiedenen Arten von
- Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
Dokumenten (die medialen Elemente sind ja auch auf der Ebene der Dateifor
mate ausdifferenziert). Ein Büro-Setting. Um 1967 führte Douglas Engelbart
quasi arbeitswissenschaftliche Studien durch, um ein besonders >effektives< Ein
gabegerät für multimediale Oberflächen zu finden, heute bekannt als >Maus<."
So kann man zugespitzt sagen, dass eine heutige Windows-Oberfläche auf einem
Rechner mit Maus versucht, Nutzer/Nutzerinnen als effektive Büroarbeiter/
Büroarbeiterinnen zu positionieren.
Drittens schließlich wären neuere Ansätze im Bereich der Medien- oder Netz
kunst, deren Spezifik Tillmann Baumgärtel u. a. gerade in ihrer Multimedialität
sieht, evtl. ein interessantes ergänzendes Material, insofern dort ein verfremden
der und reflexiver Umgang mit den Konventionen der Oberflächengestaltung
vorherrscht.
Indes drängt sich, da sich Nutzer/Nutzerinnen keineswegs an das Skript hal
ten müssen, sofort die Frage auf: Gibt es eine Differenz zwischen impliziten Nut
zern/Nutzerinnen und realen multimedialen Performanzketten? Der Büro
schreibtisch als Metapher der Computeroberfläche mag in anderen kulturellen
Kontexten völlig unverständlich sein. Akrich schreibt: Wir »müssen [„.] kontinu
ierlich zwischen dem Designer und dem Benutzer, zwischen dem vom Designer
projizierten Benutzer und dem wirklichen Benutzer, zwischen der im Objekt
inskribierten Welt und der durch deren Verschiebung beschriebenen Welt hin- und
zurückgehen«. 32 Die Erforschung der, wie Latour und Akrich auch formulieren,
»Anti-Programme« 33 realer Nutzer/Nutzerinnen wirft Fragen nach empirischen
und ethnographischen Forschungsstrategien auf. Institutionen, die Interfaces
entwicke ln, arbeiten oft ethnographisch, um zu beobachten, ob die entwickelten
Oberflächen von den Nutzern/Nutzerinnen auch verstanden werden _,.
Jedoch darf man die Freiheit der realen Nutzer/Nutzerinnen, gegen die Skripte
zu handeln, nicht überschätzen. Denn erstens lassen die vom jeweiligen System
bereitgestellten Plätze der Interaktion wenig Spielraum zum Andershandeln. Es
ist nicht so einfach, von der impliziten Nutzerrolle abzuweichen, hat man sich
einmal auf sie eingelassen. Sicher, man könnte versuchen eine Website zu
hacken. Gegen das Skript eines digitalen, multimedialen Systems zu handeln,
hieße es zu ändern - d. h. doch wieder zum Programmierer zu werden. Doch
selbst wenn das technisch gelänge, bleibt es zweitens eine Straftat. Eine Offline
Multimedia-DVD gegen den Kopierschutz mit einem buchstäblichen Anti-Pro
gramm wie DVD Shrink zu kopieren ist eine Straftat. Auch ein Kopierschutz ist ein
Skript, welches uns als Konsumenten warenförmiger Originalsoftware definiert
- und die so gerne als Spezifikum digitaler Medien herausgestellte >verlustfreie
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme -
Kopie< zum Verbrechen macht.35 (Abb. 4: Raubkopierer sind Verbrecher) In zahl
losen Clips in Fernsehen und Kino oder in Print-Anzeigen wird uns das jeden Tag
von neuem erzählt - genau das sind Beispiele für Paratexte zu multimedialen
Systemen. Eine veritable diskursive Polizei im Sinne Michel Foucaults36 sorgt,
wenn es denn sein muss, mit drastischen Geld- und Haftstrafen dafür, dass die
realen Nutzer/Nutzerinnen sich den impliziten anschmiegen.
DAS GE-SCHICHTE:
SEDIMENTATION UND DISPERSION
Nun geht es um die Geschichtlichkeit multimedialer Systeme. Nur durch die
Frage, warum diese Systeme so sind wie sie sind, kann Distanz geschaffen wer
den. Das Wort Geschichte kann man - ganz analog zur De-Skription - auch als
das Ge-Schichte lesen, als Ablagerung von Schichten. Wir sinken jetzt gewisser
maßen durch die multimediale Oberfläche in die dunkle Tiefe der Hardware.
Historisch nahm mit der Entwicklung entsprechender Peripherien die Nut
zung der Rechenmaschine zum Sampeln und/oder zum Simulieren anderer
Medien zu. Im Prozess der Entstörung existierender Medien begannen die - an
sich selbst ja weitgehend unspezifischen, da programmierbaren 37 - Computer
mediale Elemente zu verarbeiten. Dieser Prozess wurde im Kalten Krieg oft
getrieben von militärischen Interessen oder Prestigeprojekten wie der Raum
fahrt. Ziel war z.B. 1964 die Qualität digitalisierter Bilddaten der Ranger 7-Son
den in Vorbereitung der Mondlandung zu verbessern. 38 1968 bezeichnen J. C. R.
Licklider und Robert Taylor den digitalen Computer dann explizit als »plastic or
moldable medium that can be modeled«.39 In der Morgendämmerung der Logik
der Windows 1977 beschreibt Alan Kay in einem Paper mit Adele Goldberg einen
Computer, der genug »power« besitzt »to outrace your senses of sight and hea
ring, enough capacity to store for later retrieval thousands of page-equivalents
of reference materials, poems, letters, recipes, records, drawings, animations,
musical scores, waveforms, dynamic simulations and anything eise you would
like to remember and change«. Zu Beginn ihres Papiers nennen sie den Compu
ter nicht mehr »medium«, sondern »metamedium«.40
Was ich hier unterstreichen will: Dieses historische Meta-Medium-Werden
bleibt der universellen Rechenmaschine keineswegs äußerlich: Jede Software
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme -
- als logische Struktur - kann als Verschaltung logischer Gatter zu Hardware
werden, wie Claude Shannon im Prinzip schon 1938 gezeigt hat.41 Ein Beispiel ist
die heute vor allem von der Computerspielindustrie geförderte Entwicklung von
Grafikchips, in denen Algorithmen für die Generierung von Bildern in Hardware
inskribiert (im Sinne Akrichs und Latours) und so beschleunigt werden. Die
Geschichte der Oberflächen kann sich in der Struktur des Technischen als das
Ge-Schichte selber ablagern. Dabei überlagern sich verschiedene Inskriptionen
it;i keineswegs konfliktfreier Weise und mit durchaus unerwarteten und von nie
mandem geplanten Ergebnissen. Diese Prozesse seien multimediale Sedimenta
tion genannt.
Da bestimmte mediale Verfahren selbst zu Hardware, zu special purpose chips
werden können, kann man sich auch vorstellen, dass eine Reihe spezieller Klein
computer mit spezifischen mono- oder multi-medialen Funktionen erzeugt wer
den. Beispiele sind Legion: iPods, digitale Handys, aber streng genommen sind
schon CD- oder DVD-Player solche Geräte. Die programmierbare digitale Techno
logie kann sich - oft marktgetrieben - in verschiedene digitale >Neue Medien<
mit verschiedenen Standards ausdifferenzieren. Aus der Sedimentation kann
historisch eine multimediale Dispersion hervorgehen.
Die de-skriptive Analyse sollte mithin nicht bei den multimedialen Oberflä
chen der heute handelsüblichen PCs oder MACs stehenbleiben. Sie müsste auch
versuchen die Black Box spezialisierter Hardware auf die in ihnen verborgenen
Skripts und impliziten Nutzer/Nutzerinnen abzuklopfen. Trotz des schönen Com
puterfirmennamens Sun gilt, was Bruno Latour zur Computertechnologie sagt:
»lt does not come from another planet; it is highly socialized and connected with
a lang history«.42
FAZIT
Digitale multimediale Systeme, die, wenn man so will, Computerwirklichkeit
heute, mit den Begriffen der Debatte der 1990er Jahre zu beschreiben - also z.B.
Universalmedium, Autorlosigkeit, >digitale Revolution<, verlustfreie Kopie etc. -,
macht meines Erachtens wenig Sinn. Es seien stattdessen - in partieller Anleh
nung an Madeleine Akrich - die Begriffe mediale Elemente, mediale Konnotatio
nen, multimediale Performanzkette, implizite vs. reale Nutzer/ Nutzerinnen,
Anti-Programm, Sedimentation und Dispersion vorgeschlagen. Mit diesen Begrif-
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
fen und dem Dreischritt Deskription - De-Skription - De-Sedimentierung wird
meines Erachtens die, auch kritische, Analyse real existierender multimedialer
Systeme und der mit ihnen verbundenen Praktiken möglich.43 Wie die wenigen
Beispiele des arbeitswissenschaftlichen Wissens in der Maus, der Bürologik in
Windows oder des Verbots der verlustfreien Kopie durch die Diskurspolizei zei
gen: Die kontingente, historisch sedimentierte Gestalt heutiger Multimedia
Technologien und ihre Implikationen wieder aus der Black Box ans Licht zu holen,
ist angesichts der Bedeutung, die sie jeden Tag für die meisten von uns haben,
eine zentrale Aufgabe. So lernen wir, dass die alltägliche multimediale Praxis
auch anders sein könnte.
Am Ende ist der Aufsatz dabei doch wieder zur Hardware zurückgekehrt und
zu der These, dass man ihre >Implikationen wieder aus der Black Box ans Licht<
holen müsse. Das scheint nicht viel anders zu klingen als die anfänglich re lati
vierte Perspektive, man müsse die User wieder zu Programmierern machen -
anders aber ist, dass sich die Blickrichtung umgekehrt hat. Man beginnt nicht
mit der Hardware, um dann womöglich zu konstatieren, dass es keine Software
gibt,•• sondern man verfolgt, welche »Rhetorik der Digitalmedien« 45 über die
Oberflächen eventuell in die Tiefe der Hardware sinkt.
ANMERKUNGEN
1 Bruno Latour, There is no Information, OnlyTransformation, in: Geert Lovink, Uncanny Net
works. Dialogues with Virtual lntelligentsia, Cambridge/MA 2004, S. 154-160, hier 5. 155.
2 Vgl. Jens Schröter, lntermedialität. Facetten und Probleme eines aktuel len medienwissen
schaftlichen Begriffs, in: montage/av, Jg. 7, Nr. 2, 1998, 5. 129-154, und lrina Rajewsky,
lntermedia lität, Tübingen 2002.
Ernest W. B. Hess-Lüttich/Dagmar Schmauks, Multimediale Kommunikation, in: Roland
Posner/Klaus Robering/Thomas A. Sebeok (Hg.), A Handbook on the Sign-Theoretic Found
ations of Nature and Culture /Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von
Natur und Kultur, Berlin und New York 2004, 5. 3487 -3503, hier 5. 3490.
4 Vg l. Ernest W. B./Hess-Lüttich (Hg.), Multimedial Communication, Vol. 1: Semiotic Problems
of its Notation, Tübingen 1982.
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme _,
S Stefan Heiden reich, Icons. Bilder für User und Idioten, in: Birgit Richard/Robert Klanten/
Stefan Heidenreich (Hg.), Icons, Berlin 1998, S. 82-86, hier S. 84 f.
6 Vg l. Friedrich Kittler, Computeranalphabetismus, in: ders./Dirk Matejovski (Hg.), Literatur
im Informationszeita lter, Frankfurt am Main und New York 1996, S. 237-2Sl.
7 Heidenreich, Icons (siehe Anm. S), S. 86.
8 Vgl. Daniel Harris, Computer-Ästhetik, in: Texte zur Kunst, 6. Jg, Nr. 21, 1996, S. 113-120.
9 Vgl. Hen ry Lieberman et al. (Hg.), End-User Development, Dordrecht 2006.
10 Gilles Deleuze, Foucault, Frankfurt am Main 1992, S. 78.
11 Vgl. Helmut Schanze/Manfred Kammer (Hg.), Interaktive Medien und ihre Nutzer, Band 2:
Zugangsoberflächen: Türen zum Netz, Baden-Baden 1998.
12 Vgl. Lev Manovich, The Language of New Media, Cambridge/MA und London 2001, S. 62-115.
13 Friedrich Kittler, Grammophon Film Typewriter, Berlin 1986, S. 7.
14 Timo Schemer-Reinhardt arbeitet derzeit in Siegen an einer Dissertation, in der die ein
heitsstiftende Funktion der Interfaces gegenüber den medialen Elementen detailliert untersucht wird.
15 Natürlich könnten bei dieser Verkettung auch nur Elemente einer medialen Herku nft, z.B.
Texte verbunden werden. Ein so lcher Fall entspräche der Nutzung eines Hypertexts, ein
Feld zu dem es bereits eine umfangreiche Forschung gibt. Das Konzept einer Kette oder
eines Pfades, der aus der sequenziellen Verknüpfung von Elementen durch die Nutzer/
Nutzerinnen entsteht, lässt sich mindestens bis zu Vannevar Bush, As We May Think, in :
Atlantic Monthly, Nr. 176, 1945, S. 101-108 zurückverfolgen. Bush spricht von >trail s<.
16 http://de.wikipedia.org/wiki/System (letzter Zugriff am 25. 03. 2010).
17 Vgl. Ute Bormann/Carsten Bormann, Offene Bearbeitung multimedialer Dokumente -
Normungsprojekt und -ergebnisse, in: Informatik Spektrum, Jg. 14, Nr. 5, 1991, S. 270-280.
18 Aus: Hess-Lüttich (Hg.), Multimedial Communication, Vol. II: Theatre Semiotics, Tübingen 1982, S. 19.
19 Vgl. http://www.uni-siegen.de/ locatingmed ia/personen/a bend _pablo.htm l?lang=de (letz
ter Zugriff am 25. 03. 2010).
20 Madeleine Akrich/Bruno Latour, Zusa mmenfassung einer zweckmäßigen Terminologie für
die Semiotik menschlicher und nicht-menschlicher Konstellationen, in: Andrea Krieger/
David J. Belliger (Hg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theo
rie, Bielefeld 2006, S. 399-406, hier S. 400.
21 Akrich, Die De-Skription techni scher Objekte, ebda„ S. 407-428, hier S. 411.
22 Norbert Bolz, Computer als Medium - Einleitung, in: ders./Friedrich Kittler/Georg Chris
toph Tholen (Hg.), Computer als Medium, München 1994, S. 9-16, hier S. 9.
23 Vgl. Saskia Reither/Jens Schröter, >Literarische Anonymität ist uns unerträglich „.< Zur Modi
fikation des Autors in neuen Medien, in: Michae l Geyer/Claudia Jünke (Hg.), Von Rousseau
zum Hypertext, Würzburg 2001, S. 77-90.
24 Vg l. http://de.wikipedia.org/wiki/Adobe_Director (letzter Zugriff am 22. 03. 2010): »Direc
tor gilt als der Quasi-Standard für komplexe Multimedia-Produktionen.«
25 Daher drängt sich ja auch der Vergleich der digitalen Oberflächen mit dem Theater auf,
vg l. Brenda Laurel, Computers as Theatre, Reading/MA u. a. 1991.
Jens Schröter Zur Analyse multimedialer Systeme
26 Vg l. Barbara Flückiger, Zur Konjunktur der analogen Störung im digitalen Bild, in: Jens
Schröter/Alexa nder Böhnke (Hg.), Analog/digital - Opposition oder Kontinuum. Zur Theo
rie und Geschichte einer Unterscheidung, Bielefeld 2004, S. 407-428.
27 Vgl. Ralf Adelmann, Digitale Animationen in dokumentarischen Fernsehformaten, in:
Schröter/Böhnke (Hg.), Analog/d ig ita l (siehe Anm. 26), S. 387-406.
28 Vgl. Jeanette Hofmann, über Nutzerbilder in Textverarbeitungsprogrammen - Drei Fallbei
spie le, in: Meinolf Dierkes (Hg.), Technikgenese. Befunde aus einem Forschungsprogramm,
Berlin 1997, S. 71-98.
29 Akrich, De-Skription (siehe Anm. 21), S. 411. 30 Vgl. Langdon Winner, Do Artefacts Have Politics?, in: ders„ The Whale and the Reactor:
a Search for Limits in an Age of High Technology, Chicago 1986, S. 19-39.
31 Vgl. William K. English/Douglas C. Engelbart/Melvyn L. Berman, Display-Se lection Tech
niques forText Manipulation, in: IEEE Transactions on Human Factors in Electronics, HFE-8,
No. 1, 1967, S. 5-15.
32 Akrich, De-Skription (siehe Anm. 21), S. 412.
33 Vgl. Akrich/Latour, Zusammenfassung (siehe Anm. 20), S. 401.
34 Vgl. für einen generellen überbl ick über aktuel le Designstrategien am Beispiel von Inter
faces für Mobilgeräte Hokyoung Ryu, Mobile User Interface Analysis and Design: A
Practitioner's Guide to Designing User Interfaces for Mobile Devices, Hokyoung Ryu, New
York 2009.
35 Vgl. Jens Schröter et al. (Hg.), Kulturen des Kopierschutzes 1 +II, Siegen 2010.
36 Vg l. Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main 1991, S. 2S.
37 Vgl. Jens Schröter, Das Netz und die virtue lle Realität. Zur Selbstprogrammierung der
Gesellschaft durch die universelle Maschine, Bielefeld 2004.
38 Vg l. Jens Schröter, Eine kurze Geschichte der digitalen Fotografie, in: Wolfgang Hesse und
Wolfgang Jaworek (Hg.), Verwand lungen durch Licht. Fotografieren in Museen & Archiven
& Bibliotheken, Esslingen 2001, S. 249-257.
39 J.C.R. Licklider/ Robert Tay lor, The Computer as a Communication Device, in: Science and
Technology, April 1968, S. 21- 31, hier S. 22.
40 Alan Kay/Adele Goldberg, Personal Dynamic Media, in: Noah Wardrip-Fruin/Nick Montfort
(Hg.), The New Media Reader, Cambridge/MA 2003, S. 393-404, hier S. 394.
41 Vgl. Claude Elwood Shannon,A Symbolic Analysis of Relay and Switching Circuits, in: Trans
actions America n Institute of Electri ca 1 Engineers, No. 57, 1938, S. 713 - 723.
42 Latour, There is no Information (siehe Anm. 1), S. 1S6.
43 Es bleibt die Frage offen, ob dieser Vorschlag (in modifizierter Form) auch für andere mul
timediale Systeme, wie z.B. Theateraufführungen, fruchtbar gemacht werden kann. So
abwegig scheint das nicht, w urden die Oberflächen von Computern doch schon relativ
früh mit Theatermetaphern beschrieben, vg l. Brenda Laurel, Computers as Theatre (siehe
Anm. 2S). 44 Friedrich Kittler, Es gibt keine Software, in: ders„ Draculas Vermächtnis. Technische Schrif
ten, Le ipzig 1993, S. 22S - 242.
4S Schanze/Kammer, Zugangsoberflächen (siehe Anm. 11), S. 13.
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