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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universitt Freiburg
ROLF HERZOG Zum Stand der Moriori-Forschung Originalbeitrag
erschienen in: Brigitta Hauser-Schublin (Hrsg.): Geschichte und
mndliche berlieferung in Ozeanien. Basel: Wepf, 1994, S. 355 -
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Basler Beitrge zur EthnologieBand 37
Brigitta Hauser-Schublin (Hrsg.)
Geschichte und mndliche berlieferungin Ozeanien
unter der Mitarbeit von
Wolfgang Marschall (Bern)Regina Pinks (Gttingen)
Ethnologisches Seminar der Universittund Museum fr
Vlkerkunde
In Kommission bei Wepf & Co. AG VerlagBasel 1994
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Zum Stand der Moriori-Forschung
Rolf Herzog
Rund 800 Kilometer stlich von den beiden Hauptinseln Neuseelands
liegen die seit150 Jahren staatlich dazugehrenden Chatham Islands
im Sdpazifik. Von deninsgesamt mehr als zehn Inseln mit einer
Gesamtflche von 964 Quadratkilometernsind nur zwei stndig bewohnt:
die Chatham- und die dicht sdlich davon liegendePitt-Insel. Auf
ihnen leben rund 700 Menschen; die Zahl schwankt je nach
derErhebungsmethode, ob die tatschlich dort Anwesenden oder auch
die ausserhalbarbeitenden Insulaner gezhlt werden. Sie gehren
ethnisch teilweise zu den Maori,also zu den Polynesiern, oder zu
den Nachkommen weisser Kolonisten (Pakehagenannt), die sich in
nicht wenigen Fllen mit Maori vermischt haben. Daneben gibtes noch
Bewohner, die sich als Moriori/Maori Halbblut verstehen und damit
ihreAbstammung wenigstens teilweise von den Ureinwohnern der
Inseln, eben denMoriori, ableiten.
Rekohu nannten diese isolierten Polynesier ihre Insel, bevor ein
britischer Seeof-fizier ihr 1791 bei einem zuflligen Entdecken den
Namen seines Schiffes gab. Seit1836 setzen die Maori ihr
"Wharekauri" an die Stelle der an die Kolonialzeit erin-nernde
Bezeichnung, die dennoch auf Karten und offiziellen Dokumenten
weiter alsChathams erscheinen und ausserhalb Neuseelands wenig
bekannt und selten besuchtbleiben. Wie die geographische so ist
auch die ethnische Bezeichnung von Aussen-stehenden gegeben worden.
Die Ureinwohner nannten sich selbst nicht Moriori,sondern nur mit
ihren Familien- bzw. Sippennamen.
Nach dem Mittelwert recht unterschiedlicher Schtzungen mag die
Zahl der In-sulaner, fr die hier aus praktischen Grnden die
Sammelbezeichnung Moriori bei-behalten wird, zur Zeit der ersten
Fremdkontakte zwischen 1'500 und 2'000 Seelengelegen haben. Es wird
von niemandem bezweifelt, dass sie Polynesier waren, dafrreichen
die linguistischen Belege. Unterschiedliche Hypothesen gibt es
dagegen berden Weg, den sie zu den Chathams nahmen, und ber den
Zeitpunkt ihrer Zuwan-derung. Bellwood (1989:44) kommt, gesttzt auf
neueste Forschungen z.B. von Sut-ton, Leach und anderen, zu der
Hypothese, sie seien vor 1400 von Neuseeland aufdie Insel gelangt,
ob durch gezielte Auswanderung oder ungeplante Verschlagung,muss
offen bleiben. Im 16. Jahrhundert drfte nach Ansicht der Experten
die Mo-riori-Kultur die Ausprgung erlangt haben, welche die ersten
Weissen beobachtenkonnten.
Da ber die Zeit vor dem 19. Jahrhundert neben Bodenfunden bei
archologi-schen Grabungen nur mndliche berlieferungen, welche
Alexander Shand (1840-1910) aufgenommen hat, aber nur vage datieren
konnte, Auskunft geben, schriftlicheAufzeichnungen jedoch ganz
fehlen, kommt den Niederschriften oder Memoiren derwenigen Weissen,
die in der ersten Hlfte des vorigen Jahrhunderts die Insel
auf-suchten oder gar lnger dort lebten, grosse Bedeutung zu. Bald
nach 1800 gingen die
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Robbenbestnde an den Ksten Australiens und bald auch Neuseelands
infolge dessinnlosen berjagens stark zurck; man suchte Fanggrnde,
in die man ausweichenkonnte. Die Chathams waren ein solches Gebiet.
Hier spielte zwar schon die Rob-benjagd fr die Moriori eine
wichtige Rolle (Sutton and Marshall 1980:41ff; Smith1977), doch
wurde sie so vernnftig betrieben, dass der Bestand biologisch nie
ge-fhrdet wurde. Die Moriori kannten weder Anbau noch Metalle; ihre
Nahrung ge-wannen sie aus dem Meer, von Wildpflanzen (z.B. Farnen)
und von Vgeln. Sieunternahmen sogar gefhrliche Fahrten zu
vorgelagerten kleinen Inseln oder Riffs,um die Eier z.B. von
Albatrossen zu suchen. Dabei benutzten sie sehr leichte Booteaus
Zweigen, die Engst (1901:19) ausfhrlich beschreibt. Landsugetiere
fehlten.Das berjagen der Robbenbestnde durch Fremde traf diese
Wildbeutergesellschaftempfindlich, die schliesslich den vlligen
Ausfall der Robben als Existenzquelle nurdadurch berlebte, dass ihr
die Robbenschlger, welche meist einige Zeit am Strandblieben und
sich selbst ernhren mussten, eine ihr bis dahin unbekannte
Nutzpflanzebrachten: die europische Kartoffel, die auf den Chathams
gut gedieh, whrend dieKumara (Ipomoea batatas; Ssskartoffel), die
noch fr die Nordinsel Neuseelandswie fr viele Inseln Polynesiens
sehr wichtig ist, das rauhe Klima nicht vertrug.
Etwa dreissig Jahre nach den Robbenschlgern, die auch hier den
Bestand balddezimierten, begannen andere Weisse im Verlauf ihrer
kommerziellen Aktivitten dieInseln gelegentlich aufzusuchen: die
Walfnger. Meist wollten sie sich nur verprovi-antieren, blieben
fast nie lnger in den Buchten und hatten wie zuvor die
Robben-schlger keinerlei zivilisatorische Absichten. Einigen
wenigen Seeleuten, denen dasharte Leben an Bord der Fangschiffe
oder die rauhe Behandlung durch die Kapitneunertrglich wurde,
gelang die Flucht. Sie verbargen sich in den damals noch
dichtenWldern, bis ihr Schiff abgesegelt war, und lebten danach
unter den Moriori bzw.den Maori, oft mit Frauen aus diesen Ethnien.
Ihre technischen Fhigkeiten und ihrGebrauch von Metallwerkzeugen,
welche die Einheimischen schon von den Robben-schlgern kannten,
vernderten bereits den althergebrachten Lebenszuschnitt.
Ta-bakrauchen und alkoholische Getrnke traten hinzu. Die
Vorsatzkarte der Verffent-lichung von Morton (1982) stellt die
ergiebigsten Fanggrnde um Neuseeland dar:sie reichen bis an die
Chathams. Nach dem Hhepunkt um 1839-41 flaute der Wal-fang in
diesem Teil des Pazifiks ab (Richards 1982); seine Schwerpunkte
verlager-ten sich.
Eine Expedition mit dem Ziel der Erkundung und des Erwerbs von
Siedlungs-raum fr Auswanderer aus Europa traf 1840 als Unternehmen
einer englischen Ge-sellschaft auf den Chathams ein. Zu ihr gehrten
neben dem Leiter Hanson derZeichner Charles Heaphy, dem wir die
frhesten Bilder verdanken, und der DeutscheDr. med. Ernst
Dieffenbach (1811-1855) als Naturforscher. Von ihm stammen
dieersten verlsslichen Informationen ber die geographischen,
botanischen, ornitholo-gischen und auch ethnologischen
Gegebenheiten auf den Chathams. 1 Kommerziell
1 Dieffenbach, der in Giessen geboren war, dort auch sein
Medizin-Studium begann,musste wegen seines Eintretens fr eine
demokratische, durch eine Verfassung ge-schtzte Ordnung aus Hessen
fliehen. Er schloss sein Studium in der Schweiz ab und
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brachte diese Unternehmung der New Zealand Company nichts ein,
denn der schonausgehandelte Verkauf der Insel an ein Konsortium von
Hamburger Grosskaufleutenoder Reedern, die Auswanderer hierher
bringen wollten, wurde in letzter Minute vonder britischen
Regierung, welche die Chathams als Teil Neuseelands reklamierte,
ge-stoppt.2
Von den ersten Weissen, die sich fr einige Zeit auf der Insel
niederliessen, habennur wenige etwas zu Papier gebracht,3 manche
waren vermutlich Analphabeten. Un-ter den einigermassen gebildeten
wre der Englnder Frederick Hunt hervorzuheben,dessen Erfahrungen
aus 25 Jahren ab 1842 auf den Chathams, die lngste Zeit da-von
allerdings auf Pitt, von Amery 1866 als 2. Auflage herausgegeben
wurde; dieangeblich vorangegangene erste hat noch nie jemand
gefunden, auch Skinner(1923:136) vor siebzig Jahren nicht.
Nur drei Jahre nach Dieffenbach, der auf englisch einen Artikel
ber die Chat-hams in einer geographischen Zeitschrift beigesteuert
hat, trafen fnf junge deutscheMnner mit Missionsabsichten auf den
Chathams ein. ber sie wird im folgendeneingehender zu berichten
sein.
Das Department of Anthropology der Otago University in Dunedin
(auf der Sd-insel Neuseelands, der ltesten des Landes) hat ab
Anfang der 70er Jahre unseresJahrhunderts ein Forschungsprogramm
auf den Chathams durchgefhrt, dessen z.T.hervorragenden Ergebnisse
schnell als "Working Papers in Chatham IslandsArchaeology" in
einfacher Vervielfltigung herauskamen. Der Leiter und wohl auchdie
treibende Kraft dieses Vorhabens, Douglas Sutton, begann das
Vorwort als Her-ausgeber des 14. Heftes, in dem K. J. Dennison
"Early German Missionaries in theChatham Islands" (1977) behandelt,
mit den Worten, diese htten "never receivedthe amount of academic
attention they merit Their early date of arrival puts themamongst
the few literate Europeans to witness the collapse of Moriori
culture". Wasist mit dem Zusammenbruch der Kultur der Urbevlkerung
gemeint? Was tragen dieAufzeichnungen der Deutschen tatschlich bei?
Wie ist ihre Zuverlssigkeit einzu-schtzen?
Die hier zu behandelnden fnf jungen Mnner, geboren zwischen 1814
und 1821,verliessen Deutschland, genauer gesagt Preussen, zwar mit
dem Verlangen, das
ging danach nach England. Er publizierte seine Erfahrungen in
Neuseeland, besondersauch seine Beobachtungen ber die Maori. Spter
gehrte er zu den Mitbegrndern derVlkerkunde in London; siehe Herzog
1990.
2 Initiator dieser letztlich auf wirtschaftlichen Gewinn
ausgelegten Unternehmung warKarl Sieveking, ein Hamburger Syndikus,
der schon beim Abschluss eines Vertrages mitBrasilien mitgewirkt
hatte, hier aber den Ausknften der New Zealand Company berdie
Besitzverhltnisse unkritisch vertraute, bis der Hoheitsanspruch
Englands diesemreichlich abenteuerlichen Plan ein jhes Ende
bereitete. Siehe auch Washausen 1986:12-15.
3 Bekannt sind die Namen von einigen Mnnern, die ab 1827,
nachdem sie Schiffbrucherlitten hatten oder ihren Kapitnen
entlaufen waren, auf der Insel blieben und Moriorizu Frauen nahmen;
siehe King 1989:51-52.
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Christentum zu verbreiten, ihr Ziel waren indessen nicht die
Chathams, sonderneigentlich Neuseeland, wo sie unter den Maori
missionieren sollten. Ausgesandt wa-ren sie von der
Gossner-Mission, die von dem ursprnglich katholischen, 1826
zurevangelisch-lutherischen Konfession bergetretenen Prediger der
Bethlehem-Kirchein Berlin 1836 gegrndeten worden war. Keiner von
ihnen konnte eine abgeschlos-sene theologische Ausbildung
vorweisen; sie hatten entweder ein Handwerk erlerntoder in einem
Falle als Hauslehrer und Berufsmusiker gearbeitet.
JohannesEvangelista Gossner (1773-1858) drfte sie wohl nur in
Abendkursen in seinemPfarrhaus vorbereitet haben. Gerade in der
Frage, ob ein Theologie-Studium frjeden Missionar unerlsslich sei,
berwarf er sich mit der Berliner Mission, in der ervordem
mitgewirkt hatte; folgerichtig grndete er seine eigene
Gesellschaft, die nochbesteht. Ihm war eine zupackende praktische
Arbeit im Missionsfelde als einprg-sames Beispiel wichtiger als
theoretische Anstze und liturgische Perfektion. Esbleibt offen, ob
man die von ihm ausgesandten Missionare, auch nach Indien
undAustralien, ordiniert nennen darf. In manchen Verffentlichungen,
sogar von einemNachkommen4 werden die Gossner-Sendlinge `Moravian
missionaries' genannt. Dasist eine nicht ganz korrekte Bezeichnung,
denn unter Mhrischen oder BhmischenBrdern verstand man Exulanten,
die ursprnglich den Ideen des Reformators Hussanhngend ihre Heimat
unter dem Druck der katholischen Kirche verlassen hatten,um
anderswo Glaubensfreiheit zu suchen. Die fanden sie schliesslich
ausser inHerrnhut, von wo her Engst in frher Jugend beeinflusst
worden war, ohne selbst zu.einer Exulantenfamilie oder zur
Brdergemeinde zu gehren, zum Teil auch in Ber-lin. In der oft als
bhmisch-lutherisch bezeichneten Bethlehem-Kirche schufen siesich
ein geistiges Zentrum. Weder Engst noch einer der Weggefhrten
stammten ausFamilien mit dieser Tradition.
Gossners Bekanntschaft mit dem Bremer Reeder Fritze ermglichte
die Aussen-dung auf einem Walfangschiff, auf dem die fnf jungen
Mnner tatkrftig mitarbei-ten, sich gleichsam die Passage verdienen
mussten. Der Segler "Juliane", einer dererfolgreichen in der kurzen
Spanne der deutschen Beteiligung am Sdseewalfang1836 bis ca. 1869,
5 war 28 Wochen unterwegs, bis er im Januar 1843 in der Otago-
4 William (Wilhelm) Baucke bezeichnete seinen Vater Heinrich
Baucke als "a member ofthe Moravian Mission party" (Skinner and
Baucke 1928:356). Es nimmt deshalb nichtwunder, dass auch King
(1989:89) "five German Moravian missionaries" 1843 auf denChathams
ankommen lsst. Heinrich Baucke selbst nannte sich auf dem
Titelblatt seinerAltersschrift (siehe Anm. 6) in anderer Weise
irrefhrend "of the Evangelical LutheranMission Society of Berlin";
was eindeutig falsch war, denn Gossner hatte sich mit
dieserMissionsgesellschaft nach kurzer Mitarbeit schon 1836
berworfen.
5 Die Ausdehnung des Walfangs unter den Flaggen deutscher
Hafenstdte, der sich langeauf den Nordatlantik beschrnkt hatte, auf
den Pazifik begann 1836. Die relativ kleinenSegler gelangten um das
Kap der Guten Hoffnung bei den gnstigen Strmungs-
undWindverhltnissen in den `Roaring Forties' sdlich an Australien
vorbei nach Neusee-land. Die "Juliane", auf der die Missionare
reisten, hatte z.B. nur 230 BRT. Jedoch ver-lagerte sich das
ohnehin nie grosse Interesse der deutschen Reeder bald in den
Nordpa-zifik, wo sich Hawaii als gnstiger Sttzpunkt anbot. Im
Kapitel "Sdseewalfang" habe
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Bucht der Sdinsel Neuseelands Anker warf Zur Besatzung gehrten
zwei Maori,die in ihre Heimat zurckkehren wollten. Sie gaben den
Missionaren Sprachunter-richt. Da die wenigen dort lebenden Maori
schon getauft waren und von einem eng-lischen Missionar betreut
wurden, segelten die Gossner-Leute weiter, fanden indes-sen auf der
Sdinsel kein geeignetes Missionsfeld. Als sie schliesslich an der
Cook-Strasse von einem anderen Segler, denn der Bremer Walfnger war
inzwischen zuden Fanggrnden unterwegs, an Land gingen, waren ihre
arg knappen Geldmittelnahezu verbraucht und noch kein geignetes
Missionsfeld, in dem nicht schon dieKonkurrenz Fuss gefasst hatte,
in Sicht. In ihrer Niedergeschlagenheit fanden sie beidem Missionar
Samuel Ironside, einem Wesleyaner (Methodisten), der seit fnf
Jah-ren hier wirkte, Trost und praktische Hilfe, insbesondere auch
den Rat, nach denChathams auszuweichen. Logistisch war das ganze
Unternehmen in Berlin miserabelvorbereitet worden. Keiner hatte
ausreichend Englisch gelernt, wozu gewiss Gele-genheit gewesen wre.
In Bezug auf Landeskunde vllige Fehlanzeige; keine derdamals schon
erreichbaren Publikationen war zur Kenntnis genommen worden. Dermit
Neuseeland vertraute Geograph Carl Ritter hatte sogar in Berlin
einen Vortragdarber gehalten, den jedoch die Gossner-Leute offenbar
nicht besucht hatten. Auchdie mitgegebenen Finanzmittel reichten
nicht entfernt aus. Man konnte sich lediglichauf die Einlsung von
Schuldscheinen durch den schottischen, mit Gossner persn-lich
bekannten Missionar Dr. John Dunmore Lang in Sydney verlassen.
Zudem hatteGossner nicht geklrt, ob einer von ihnen die Leitung
bernehmen sollte. Deshalbverstndigten sie sich auf ein kollektives
Handeln ohne interne Befehlsstruktur, wasoffenbar nicht lange
reibungslos lief.
Als sie am 20. Februar 1843 auf der Chatham-Insel an Land
gingen, war dies al-les andere als ein erfolgversprechendes
Missionsfeld, denn auch hier kamen sie ei-gentlich zu spt. Die
Konkurrenz hatte schon Fuss gefasst; ein Missionar Aldred vonder
London Missionary Society war acht Monate zuvor mit drei
Maori-Katechetenund Bibelbersetzungen angekommen. Die
Bevlkerungssituation war seit siebenJahren einschneidend verndert
und keineswegs stabil; aus dem nach der mndlichenberlieferung bis
dahin friedlichen Zusammenleben der Moriori untereinander undmit
den wenigen Fremden war durch die Okkupation der Insel durch zwei
rivalisie-rende Maori-Gruppen eine gewaltbetonte gesellschaftliche
Schichtung, in der dieMoriori nur noch als Sklaven Platz fanden,
geworden.
Auf der Nordinsel Neuseelands hatten sich die Stmme oft
bekriegt. Ein hervor-ragender Kenner der Ethnologie und Geschichte
dieses Landes, David Sinunons, be-schreibt im Vorwort zu einem auch
in deutscher bersetzung erschienenen Buch vonLewis and Forman
(1988:8) die damalige Situation: "Die Kriegfhrung war
einwesentlicher Teil des Stammeslebens ... Als die Feuerwaffen
zahlreicher wurden,kam es bei den Kriegszgen hufig zu Gemetzeln ...
die persnliche Ehre, die einKrieger in einem guten Kampf gewinnen
konnte, spielte keine grosse Rolle mehr.
ich in einer anderen Publikation (Tiki 1990:51ff.) die kurze
Phase der EinbeziehungNeuseelands skizziert, dabei auch auf die
wenigen Quellen wie Oesau (1939) u.a. hin-gewiesen.
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Innerhalb von 20 Jahren fanden 30 grssere Raubzge statt. Die
Angst vor solchenberfllen begleitete das tgliche Leben. Ganze
Gebiete wurden von ihren Bewoh-nern verlassen". Zu den Stmmen, die
zum Teil schon erheblich geschwcht, vonstrkeren und besser
bewaffneten Feinden vor sich her getrieben oder fortlaufendbedroht
wurden, gehrten auch die ursprnglich in Taranaki lebenden Ngati
Mutu-nga und die Ngati Tama, zuweilen unter der Bezeichnung Ati Awa
zusammenge-fasst, in der Region von Port Nicholson (dem heutigen
Wellington). Um einemwahrscheinlich schlimmen Schicksal zu
entgehen, entschlossen sich ihre HuptlingeEnde 1835, den Kapitn
eines englischen Segelschiffes zu zwingen, gegen eine
Natu-ralentlohnung zweimal ihre Stammesangehrigen nach den Chathams
zu transpor-tieren, ber deren Existenz sie von Maori-Matrosen auf
Walfangschiffen wussten.Ausser einer besorgniserregend hohen Zahl
von Passagieren nahm man vorsorglichauch erhebliche Mengen an
Saatkartoffeln von der uns bekannten Art mit. Insgesamtmgen es wohl
um die tausend Maori gewesen sein, die berraschend in kurzemAbstand
auf den Chathams ankamen und sich sofort als Eroberer auffhrten,
d.h.das Land in Besitz nahmen und die Ureinwohner versklavten oder
erschlugen, ob-wohl jene keinen Widerstand geleistet hatten. Sie
bertrugen die Umgangsformen derneuseelndischen Hauptinseln auf
diesen abgelegenen Aussenposten mit der gleichenBrutalitt, welche
sie in ihrem bisherigen Lebensbereich in der Folge einer
Kapitula-tion zu erwarten gehabt htte.
Im ganzen 19. Jahrhundert hat es noch wenn auch an Zahl deutlich
abnehmend unter den Maori Flle von Kannibalismus gegeben. Das wird
kaum von ernst-haften Autoren bestritten. Auf den Chathams haben
die Eroberer diese Praktik fort-gesetzt, nach manchen Berichten
sogar exzessiv. Die Moriori waren 1843, wie vor-her beim Besuch
Dieffenbachs 1840, in einer verzweifelten Lage: ihres Landes
be-raubt, versklavt und weitgehend dezimiert. Den frhesten Versuch
einer statistischenErhebung machte der anglikanische Bischof
Selwyn, eine in der Kirchengeschichtedes Pazifiks bedeutende
Persnlichkeit, whrend seines ersten Aufenthaltes auf derInsel. Er
kam aufgrund von Befragung und gelegentlichem Augenschein zu
einemdeprimierenden Ergebnis: nur noch 268 Moriori waren demnach
1848, also zwlfJahre nach der Maori-Eroberung, am Leben. Der Anteil
an Kindern war besondersgering. Nach Aussage frher Zeugen, u.a.
Beyer, wie spter zitiert werden wird, hat-ten die Sieger den
Sklaven verboten zu heiraten, wohl in der festen Absicht,
siegnzlich zu eliminieren.
Den Deutschen blieb angesichts der Machtverhltnisse gar keine
Wahl; sie muss-ten sich mit den Maori arrangieren und konnten
keinesfalls die Unterdrckten vertei-digen. Auf die fhrenden Maori
haben sie, die ziemlich mittellos und unbewaffnetankamen, gewiss
keinen imponierenden Eindruck gemacht. Man nutzte sie weitge-hend
als geschickte Handwerker aus, entlohnte sie nach Gutdnken in
Naturalienoder auch nicht und sah im brigen in ihnen wohl keine
ebenbrtigen Mitbewohnerder Insel.
Die fnf Missionare, Franz Schirmeister, Heinrich Baucke,
Gottfried Engst, Os-kar Beyer und David Mller, haben mit Ausnahme
des frh verstorbenen letzten,
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schriftliche Nachrichten von recht unterschiedlichem Wert
hinterlassen. Manchesdavon ist im Druck erschienen, anderes nur
handschriftlich in Archiven erhalten.Soweit das in deutscher
Sprache und in der alten Schrift aufgezeichnet worden ist,bietet es
fr heutige Neuseelnder fast unberwindliche Schwierigkeiten. Selbst
dassauber gefhrte Kirchenbuch der Mission wird wohl nicht richtig
verstanden, sonstbliebe es kaum zu erklren, dass von den drei oder
vier Vornamen jedes der Missio-nare oft nur der erste, nicht aber
der Rufname, mit dem sie auch unterschrieben undsich als Paten
eintrugen, in der Literatur verwendet wird.
Der lteste, Heinrich Baucke (1814-1908), hat nur weniges
hinterlassen, berdie Chathams eigentlich nur dicke Folianten mit
Prozessakten, die einen von ihmjahrzehntelang verbissen gefhrten
Rechtsstreit gegen den ersten Resident Magi-strate Archibald Shand,
sogar nach dessen Tode noch gegen den Staat, dokumen-tieren. In
hohem Alter verfasste er eine gegen den Papst gerichte theologische
Streit-schrift, die auch in Neuseeland ohne Beachtung blieb. 6
Wichtig wurde hingegen seinltester Sohn William, 1848 auf der Insel
geboren. Obwohl nicht mehr zur Missiongehrend, hat er am meisten
verffentlicht, teils in Tageszeitungen oder Bchern undauch in einer
renommierten ethnologischen Reihe. Auf ihn wird noch
einzugehensein.
Im Alter folgte unter den Gossner-Missionaren Franz Schirmeister
(1814-1887),der von ihnen zweifellos die umfassendste Bildung
erhalten hatte; allerdings stimmtes nicht, dass er an der
Universitt Halle Theologie studiert htte, wie in Nachrufenin
lutherischen Kirchenzeitungen Australiens7 zu lesen ist und von
Dennison
6 ber Heinrich Baucke, eine zweifellos kantige Persnlichkeit,
findet man eine Flle vonbiographischen Details und leidlich sicher
berlieferten Begebenheiten bei Natusch. Wieseine Missionsbrder
lehnte er den Katholizismus ab; was sich bei ihm verstrkt
mitzunehmendem Alter zu purem Hass steigerte. Dabei berschtzte er
seinen Einfluss.Um 1885 zeigte der britische Gouverneur im Umgang
mit den Reprsentanten Romsgrsseres Entgegenkommen als seine
Vorgnger. Dies reizte Heinrich Baucke, der umdieser Entwicklung
entgegenzuwirken eine Streitschrift mit dem umstndlichen, 41Wrter
langen Titel verfasste. Ein Exemplar dedizierte er dem Gouverneur
Jervois, dener bis dahin mit Petitionen heimgesucht hatte, mit
einem reichlich konfusen (sogargedruckten) Anschreiben vom
19.3.1886, aus dem zitiert sei: "... it is only too evidentthat the
Church of Rome will leave no effort untried to gain despotic power
whereeverpossible, and that nothing encourages her more than to
witness the servility of so-calledProtestants ...".
7 ber Franz Schirmeister findet man einige Nachrufe im
Lutherischen Archiv in Ade-laide. Ein Weggefhrte, C. E. Treuz,
verfasste fr die 'Jubilumsschrift zum Andenkenan das 25jhrige
Bestehen der ev.-lutherischen Synode von Queensland'
(Brisbane1909:16), einen Lebenslauf Schirmeisters, der neben
anderen Unrichtigkeiten auch dasangebliche Theologie-Studium in
Halle fortschreibt. Jahrzehnte spter schmckte L. B.Grope in seinem
biographischen Beitrag 'Pioneer Pastor' im Organ der
LutherischenKirche Australiens "The Lutheran" (Vol. 9, No. 2, 1975)
diese Legende noch weiter aus:"He studied theology at the
University of Halle. After his graduation, he was ordained inthe
Prussian State Church". Beides ist Erfindung!
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(1977:6) wiederholt wurde. In den Matrikeln dieser Universitt
ist er nicht zu finden.Auch sein bei Gossner eingereichter
Lebenslauf sttzt diese Annahme nicht. SeineBerichte von den
Chathams zum Abdruck in der Hauszeitschrift "Die Biene auf
demMissionsfelde" (ab April 1844) sind aufschlussreich in Bezug auf
die Schwie-rigkeiten, welche die Missionare im Umgang mit den
Maori, die ihnen keineswegs inScharen zuliefen, zu berwinden
hatten; ber die Moriori sagen sie nahezu nichtsaus. Die von
Schirmeister unerbittlich gestellte Forderung nach einer intensiven
Un-terweisung im Gebrauch der Bibel, einer christlichen
Lebensfhrung mit einem Min-destmass an Moral schon vor der Taufe
mag der Grund dafr gewesen sein, dassnicht ein einziger Maori oder
Moriori von ihm diese Qualifikation zugesprochen be-kam und im
Taufregister des Gossnerischen Kirchenbuches eingetragen wurde.
Dieanderen Missionare, ob Anglikaner oder Methodisten, waren darin
viel grosszgiger;sie tauften ohne viele Bedenken, wohl in der
Meinung, dass man die Religionser-ziehung nachholen knne, gleichsam
in einer Art Konfirmandenunterricht. Schirmei-ster wurde schon als
Jngling vom Leiter seines Lehrerseminars in Pommern wegenseiner
jedem Frohsinn abgeneigten, fast sektiererischen, dsteren
Lebenseinstellungals 'Duckmuser' getadelt. Obwohl ein voll
ausgebildeter Geiger, der sogar im k-niglichen Orchester mitgewirkt
hatte, spielte er spter nur kirchliche Weisen, nieweltliche Musik,
die er nach eigenen Worten verabscheute. Diese
pessimistischeGrundstimmung wie seine Neigung zu extremer Frmmelei
schimmern auch in sei-nen Berichten durch. Im Zusammenleben mit den
anderen gab es offensichtlichallerhand Reibung, besonders wohl
wegen seiner geringen Neigung zu anstrengenderkrperlicher Arbeit,
die er meist den krftigeren Handwerkern berliess. Er scherteAnfang
der 1850er Jahre aus der Wohngemeinschaft aus und nahm eine
Stellung alsHauslehrer fr die Kinder des Englnders Frederick Hunt
auf Pitt-Island an. Krank-heitshalber verliess er 1857 mit Frau und
zwei Tchtern auch diesen Teil der Chat-hams, um nach Queensland
(Australien) zu bersiedeln, wo er sich zunchst in der-Mission unter
den Ureinwohnern versuchte. Auch hier blieb ihm missionarischer
Er-folg ebenso versagt wie vordem unter den Maori. Als Pfarrer
einer lutherischen Ko-lonistengemeinde wirkte er schliesslich in
Brisbane, bis er 1887 starb. Er hatte dieBeziehungen zu seinen
Missionsbrdern wohl schon whrend der Zeit auf Pitt-Islandstark
reduziert; zu dem ihm freundschaftlich verbundenen Frederick Hunt
schlief dieKorrespondenz auch bald ein (Amery 1866).
Der dritte nach dem Geburtsjahrgang war Gottfried Engst, 1819 in
Oberludwigs-dorf an der Neisse geboren, als Tischler ausgebildet,
von allen am lngsten auf derInsel, nmlich 67 Jahre. Sein Grabstein
auf dem Friedhof von Te One ist reichlichungenau: Geburtsdatum und
-ort sind falsch. Engst und Beyer waren die beiden, diekeine der
von Gossner nachgesandten jungen Frauen heiraten konnten oder
mochten.Gossner, Mitbegrnder und Seelsorger des
Elisabeth-Krankenhauses in Berlin, hattedrei Krankenpflegerinnen
berreden knnen, dass es ein gottgeflliges Anliegen sei,monatelang
auf dem Meer, das sie nie gesehen hatten, ans andere Ende der Welt
zusegeln, um dort junge Missionare zu heiraten, die sie nicht
kannten. Ein Beweis vonerstaunlicher berzeugungskraft seinerseits
und Opferbereitschaft der jungen
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Frauen andererseits ist das gewiss, nicht indessen von
Lebensklugheit und Realitts-sinn, fr fnf junge Mnner um die
Dreissig nur drei Frauen zu entsenden. Ein imZlibat erzogener
ehemals katholischer Geistlicher wie Gossner mag darin offenbarkein
wirkliches Hindernis erblickt haben.
Quantitativ am wenigsten ist uns von Beyer, einem 1821 geborenen
gelerntenSchmied aus Schlesien, schriftlich hinterlassen. Er fgte
in Wellington (Port Nichol-son) einem ersten, von Schirmeister im
Namen aller verfassten Bericht ber den Ver-lauf der Seereise und
die ersten Wochen auf den Chathams einen Zusatz an. Alleswurde
wrtlich in der "Biene" (11. Jhrg., Nr. 4, April 1844:26-32)
abgedruckt, von.Natusch (1977:54) nur in den die Reise betreffenden
Passagen verwendet. Die ur-sprngliche Fassung, vermutlich einige
Wochen nach der Ankunft begonnen, wurdevon Schirmeister um eine
Nachschrift ergnzt, die mitteilt, die Missionare httensich auf drei
verschiedene Pltze verteilt. Er und Mller blieben an einer Bucht,
dieheute Port Hutt heisst, "weil hier die Eingeborenen am meisten
den verderblichenEinflssen der Europer ausgesetzt sind, sowohl der
daselbst wohnenden Kolonisten,wie der hieher kommenden
Wallfischfnger, die sie zu der schndlichsten Unzuchtverfhren".
Gemeint ist u.a. Tabak und Rum; auch andere sittliche Normen sah er
inseiner strengen Auffassung verletzt: "Knaben und Mdchen von 8-12
Jahren siehtman ganz nackt mit einander laufen und bei einander
sitzen. 0, es ist jmmerlich!Gott erbarme sich!" Auf das lngst
gescheiterte Hamburger Kolonisationsprojekt,das schon im
Zusammenhang mit Dieffenbach erwhnt wurde, nahm Schirmeister
zweifellos in Unkenntnis der Entscheidung der britischen Regierung
mit einem.hoffnungsvollen Satz Bezug: "Der Baron von Alsdorf, ein
Deutscher auf Port Ni-chelson, der uns sehr gut ist, soll Protector
der Insel werden und eine deutsche Kolo-nie grnden; wenn dieses
wahr ist, so wird es vortheilhaft fr uns und eine besondereFgung
des Herrn seyn." Schirmeisters Ausfhrungen erhellen eher das
Verhaltender Maori den Missionaren gegenber als das Verhltnis
dieser zu den Moriori undderen Lebensumstnden. Lautes Jammern
Schirmeisters muss man wohl so deuten,dass die Deutschen sich in
erster Linie diverser Schikanen oder offener Erpressungs-versuche
der Maori erwehren mussten. Sie waren keinesfalls noch imstande
oderwillens, durch Parteinahme fr die Moriori l ins Feuer zu
giessen. Abgesehen vonder Umgebung von Port Hutt wiesen die Maori
"einen papiernen Taufschein und einNeues Testament" vor, eben jene
schnell erlangten Belege fr ihr Christentum, dieSchirmeister nicht
anerkennen wollte und die ihn nahezu in Rage brachten.
Es scheint schwierig gewesen zu sein, den Bericht von den
Chathams nach Berlinauf den Weg zu bringen. Beyer wurde deshalb
damit nur knapp sieben Monate nachder Ankunft nach Port Nicholson
zurckgeschickt, wo ihn besagter Baron Alsdorf inseinem Hotel
freundlich aufnahm. ber diesen Mann habe ich noch nichts in
Erfah-rung bringen knnen; im Gotha Adelsverzeichnis ist er nicht
aufgefhrt. Auf den 13.September 1843 ist Beyers Postscriptum aus
dem heutigen Wellington datiert, dasdie frheste Erwhnung der
Moriori in den Gossner-Publikationen enthlt, allerdingsnicht unter
diesem Ethnonym, sondern mit der Bezeichnung `Blechfeller',
einemHrfehler Beyers, welcher der Erluterung bedarf. Die
Robbenschlger und Wal-
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-
fnger hatten wie schon Dieffenbach (1841:208) vernommen hatte
das ihnen ge-lufige abschtzige `black fellow', womit eigentlich die
australischen Ureinwohnergemeint waren, auf die Moriori bertragen,
was dann nach der Okkupation dieMaori sehr frei in ihre Sprache als
paraiwhara aufnahmen. Da Beyers Bericht an ei-ner nur schwer
erreichbaren Stelle erschien und meines Wissens nur von
Weiss(1901:24) verkrzt erwhnt wird, sei er hier vollstndig
wiedergegeben: "Die Mauriswaren auf Port Nicholson, wurden von dem
wthenden Huptling Raporua bekriegtund fast gnzlich aufgerieben. In
der Verzweiflung zwangen sie einenSchiffs=capitain mit Gewalt, sie
nach Chatham zu bringen, wo die Blechfeller einruhiges Volk von
3000 Seelen wie das Vieh in Wldern, ohne Huser, unter Bu-men oder
Baumzweigen, wenn es regnete, wohnten. Muscheln und Fische war
ihreNahrung. Die Mauris kamen, erschlugen und verzehrten sie bis
auf 150, die sie zuSklaven machten und die noch heute ihnen dienen
und fr sie arbeiten ja sogar dieTabackspfeife fllen und anrauchen
mssen. Sie berfielen die Blechfeller bei derNacht, da sie
schliefen, schlugen sie mit der Axt oder Beil todt, und wenn sie
einenlebendig bekamen, so musste er selbst eine Grube machen,
Steine und Holz herzu-tragen und ein grosses Feuer anznden; dann
wurde ihm der Kopf abgeschlagen undder Rumpf gebraten und gegessen.
Den Kopf und das Herz eines jeden ass der,welcher ihn gefangen
hatte, roh auf. Die sie leben liessen, durften nicht heiraten,weder
Mnner noch Frauen. Die gebratenen Glieder gaben sie den Weibern
derErschlagenen zu essen, die aber nicht anbeissen wollten. Die
Insel liegt voll Todten-kpfen und Gerippen; im Busche kann man sie
haufenweise liegen sehen. Nachdemdie Mauris die Blechfeller
berwunden hatten, fingen sie an, sich selbst unter einan-der zu
bekriegen und aufzufressen ...".
Es lohnt der Vergleich dieser Darstellung mit derjenigen von
Engst, wenn auchJahrzehnte spter niedergeschrieben, weil sie in
Details nicht bereinstimmen: da-nach wurde der abgeschlagene Kopf
den Hunden vorgeworfen. Die mnnlichen Ge-schlechtsteile blieben den
Frauen als Delikatesse vorbehalten. Weiss (1901:23) ber-trug die
einschlgige Stelle ins Lateinische, was man damals fr Anstssiges
bevor-zugte, um nur Gebildeten den vollen, schockierenden Zugang zu
reservieren.
Engst wurde als alter Mann 1897 vom damaligen Direktor des
bersee-Muse-ums in Bremen (welches zu der Zeit noch anders hiess),
dem Zoologen Hugo H.Schauinsland (1857-1937) und dessen Frau in
seinem heute noch stehenden Hausam Mount Maunganui aufgesucht. Dies
war das erste feste Gebude aus Stein aufden Chathams, von Baucke
und Engst 1866 erbaut. Ich fand es 1989 in guterhal-tenem Zustand
vor; genutzt wird es allerdings nur noch saisonal von
Schafscherern.Prof. Schauinsland war von dem geistig noch sehr
wachen Mann so beeindruckt,dass er mit ihm nicht nur Zusendungen an
das Bremer Museum, sondern auch
einebiographisch-landesgeschichtliche Darstellung vereinbarte, fr
die Engst in Briefendas Material zu schicken versprach. Im Archiv
des bersee-Museums ist noch einkleiner Teil der Korrespondenz
erhalten. Engst schickte auf Wunsch vorwiegend
na-turwissenschaftliche Objekte, wenige Ethnographika, aber
ausserdem im Sinne derdamals besser als heute angesehenen
physischen Anthropologie Schdel. Eine An-
364
-
zahl wissenschaftlicher Beitrge sind danach in deutschsprachigen
Zeitschriften er-schienen.8 Dr. Bruno Weiss (geb. 1852), ein an der
Universitt Breslau in Philo-sophie promovierter, in Bremen lebender
Schriftsteller, der selbst nicht an der Reiseteilgenommen hatte,
wurde mit der Herausgabe beauftragt. Er krzte oder ergnztean
etlichen Stellen den Text von Engst mit Bemerkungen aus relevanten
Publikatio-nen.
In neueren Verffentlichungen, so z.B. in dem lesenswerten, sehr
lebendig ge-schriebenen Sachbuch von Sheila Natusch "Hell and high
water; a Germanoccupation of the Chatham Islands 1843-1910", einem
grndlich recherchiertenBuch, an dem mich eigentlich nur das Wort
Okkupation im Untertitel strt, weil eszu hoch greift, wenn nur ein
einziger Deutscher die ganze Zeitspanne ber auf derInsel in recht
bescheidenen Verhltnissen, ohne nennenswerten politischen
Einflussund konomischer Strke gelebt hat, wird Engst beschrieben,
allerdings z.T. gesttztauf eine anfechtbare Quelle, 9 nicht
durchweg positiv. Ebenso findet man in dem 12
8 Schauinsland hatte selbst Ethnographika und Moriori-Schdel als
anthropologischesUntersuchungsmaterial von den Chathams
mitgebracht. Das Manuskript eines Rund-funkinterviews, das er mit
Harms Meyer, einem bewhrten Mzen, 1930 gefhrt hatte,ist erhalten
gelieben und spter von Herbert Abel (Vom Rarittenkabinett zum
Bremerberseemuseum. Monographien der Wittheit Bd. 10. Bremen 1970)
verffentlichtworden. Zur Zeit seines Aufenthaltes (1897) sollen nur
noch 16 Moriori gelebt haben,eine Auskunft, die sich mit einer
wenig lteren vergleichen lsst: Tregear (1890:78, 79)stellte 1889
noch 27 reinbltige Moriori und fnf Mischlinge fest.Heinrich
Schurtz, der in Bremen angestellt war, hat aus den ethnographischen
Erwer-bungen einiges verffentlicht: "Stein- und Knochengerte der
Chatham-Insulaner" (ZfE34, 1902). Im selben Band der 7fF, erschien
eine weitere Darstellung der Materialienvon Schauinsland, nmlich
"Die petrographische Beschreibung einiger Steinartefactevon den
Chatham-Inseln" von Arthur Dieseldorff. "ber Schdel und Skelette
der Be-wohner der Chatham Inseln" informierte 1903 Heinrich Pott
die Leser der Zeitschrift frMorphologie und Anthropologie.Es sei
hier noch erwhnt, dass auch das Berliner Vlkerkunde-Museum
Ethnographikavon den Chathams gekauft hat, nicht von Engst, sondern
von Travers, der mehrfachber die Insel publizierte, 1880/81 von
Schilling und 1909 von Lippen.
9 Als viertes Kind von Heinrich und Maria Baucke kam 1851 der
Sohn August Friedrichauf den Chathams zur Welt. Vier Jahre vor
seinem Tode (1940) machte er Notizen zuseinem Lebenslauf, die in
Bezug zu seinen Jugendjahren eher zu Unklarheiten beitra-gen,
indessen doch auch erkennen lassen, wie deutlich die nachwachsende
Generationschon die Spannungen innerhalb der Gossner-Mission sprte,
die folgt man seinerErinnerung zum guten Teil auf Schirmeisters
Anspruch auf eine Fhrungsrolle zu-rckgingen, welche die anderen
nicht akzeptierten. Ein Neffe, der spter die Notizen
inMaschinenschrift bertrug (ich sttze mich auf eine Kopie davon),
schrnkte realistischein: "Uncle Fred was about 85 when he wrote it,
and got carried away at times". VieleNamensangaben sind entstellt,
und auch er wiederholt die Behauptung, Bishop Selwynhtte den
Gossner-Gesandten zum Ausweichen auf die Chathams geraten, was
falschbleibt. Es war Samuel Ironside von der methodistischen
Konkurrenz, die diese Lsungan der Cook-Strasse den mittellosen
jungen Deutschen als Ausweg empfahl. In der Er-
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-
Jahre spter erschienen Buch von Michael King im
Quellenverzeichnis ein umfang-reiches Manuskript von Engst und
Anmerkungen zur Person. Die Manuskripte sindTeil der Florance
Papers in der Bibliothek des Canterbury-Museums in Christ-church,
von wo ich auch einen vollstndigen Satz in Fotokopie mitgebracht
habe. R.S. Florance war der siebende und letzte Resident Magistrate
mit einer vergleichs-weise langen Dienstzeit, 1898 bis 1904, auf
der Insel. Diese Position ist in etwa mitder eines District
Commissioners in anderen Kolonien vergleichbar; zu den Aufga-ben
gehrten zustzlich die Zolleinnahme und die Post. Der Titel der
Schrift vonEngst in englischer Sprache lautet "Early History of
Chatham. Islands and itsInhabitants"; sie ist nicht von Engst
selbst niedergeschrieben, wie ein Schriftver-gleich zweifelsfrei
ergibt. Mglicherweise wurde der Text von ihm diktiert, woraufdie
Schlusszeile hinweist: "Thus terminates Mr. Engst's narrative". In
einer 'Note onthe foregoing' mitten in den Ausfhrungen schob Engst
dazwischen, er sei 60 Jahreauf der Insel. Demnach ist der Text 1902
oder spter entstanden; ein Datum fehlt imSchriftsatz. Der
Untertitel verspricht "Mode of Life of the Moriori before they
knewany other Nation and the Discovery of the Chatham Islands which
was called beforethis event `Kosekolia". Diese sonst nicht belegte
Benennung der Insel mag viel-leicht ein Schreib- oder Hrfehler
sein. Schon die einleitende ausfhrliche Darstel-lung der Entdeckung
durch Broughton macht ebenso wie die ber den Konflikt(183 8) um das
franzsische Schiff "Jean Bart" deutlich, dass Engst auch aus
derLiteratur schpfte und gewiss vieles mit diktierte, was er selbst
nicht erlebt habenkonnte. Er gibt in einem Falle auch seine Quelle
an: den spter durch die Grndungder Polynesian Society
hervorgetretenen Stephenson Percy Smith. Unzhlige Rand-notizen mit
Bleistift auf dem Originalmanuskript lassen erkennen, dass
sptereBenutzer (mindestens zwei nach der Schrift) sich selbst
Gliederungshilfen schufenund auch reichlich Bezge zu den
Publikationen von Alexander Shand herstellten.
In der Florance Collection sind weiter eine von Engst
aufgestellte "List of vesselswrecked on & about Chatham
Islands" enthalten, die wie mir scheint ebenfallsvielfach
ausgewertet bzw. zur Ergnzung oder Korrektur anderer bersichten
berdie an der Kste der Insel gestrandeten Schiffe herangezogen
wurde, und schliesslicheine "Skeleton Chronology of Chathams prior
to 1862", vermutlich eine Vorstudie.
Schon erwhnt wurde der 1848 auf den Chathams geborene
MissionarssohnWilliam Baucke. Getauft wurde er als Johann Friedrich
Wilhelm, eine Namenswahlfr den ersten Sohn, in die damals sicher
eine gewisse Verehrung des Preussenknigsvon Seiten der Eltern
einfloss. Er wuchs in der Gemeinschaft der Gossner-Missionauf,
wobei er wohl nur noch Engst und Beyer richtig kennengelernt haben
drfte.Um 1924/25 gab er in einem Brief an Sir Peter Buck (Te Rangi
Hiroa in der von
innerung von Fred Baucke hielt sich ein verzerrendes, einseitig
negatives Bild vonEngst als einem schnell prgelnden, nur auf
Disziplin pochenden Mann, der den Vaterwhrend dessen hufiger
Abwesenheit autoritr vertrat. Mag sein, dass ihm
handfesteErziehungsversuche im Stile der Pdagogik dieser Zeit in so
schmerzhafter Erinnerunggeblieben waren, dass sie Engsts Verdienste
um den Lebensunterhalt der Bauckes, die ernebenbei als Erben
einsetzte, verschleierte.
366
-
ihm zeitweise bevorzugten Maori-Namensfiihrtmg), dem damaligen
Direktor desBernice-Bishop-Museums in Honolulu (Skinner 1928:16),
einige biographische Hin-weise, die zugleich seine Tendenz
andeuteten: "Previous to ... 1835, a white man byname Shera ...
settled among the Moriori, and taking a wife of that race ... After
theintrusion of the Maori, either his childless Moriori wife died,
or he deserted her;however, the invaders gave him a minor chief s
daughter by whom he had severalchildren. They also apportioned to
him the small colony of Morioris to which hisformer wife belonged.
It is a grave mistake of Moriori historians to state that theMaori
slaughtered the invaded race to sate his taste for human flesh; he
only slewsufficent, according to the Maori custom, to establish a
conqueror's title to the land,and enslaved as many as he wanted,
pennitted the remainder as feudal vassals forservice when required
to occupy their former homes. Shera's Maori wife had such aremnant
of survivors apportioned to her as her share".
Diese Stze stehen im Widerspruch zur Auskunft, die Beyer rund 80
Jahre vor-her, somit den Ereignissen betrchtlich nher, nach Berlin
beifgte, nicht weniger zuden Schilderungen, welche Engst etwa 25
Jahre vorher nach Bremen brieflich ber-mittelte. Baucke jun.
bestreitet die Brutalitt nicht, mit der die Maori die Urbevlke-rung
in diesem wie in anderen Eroberungsgebieten heimsuchten, er
rechtfertigt siemit ihren Bruchen und Herrschaftsansprchen; er
wendet sich in der Hauptsachewohl gegen den Vorwurf des
Kannibalismus, den nicht nur diese beiden Deutschen,sondern noch
viele andere englische Autoren 1 vorgebracht haben. Er blieb
damitseiner Zuneigung zum Maoritum treu, die bis zu einer manchmal
schwer ertrgli-chen Schnfrberei in seinen Schriften geht. William
Baucke verfasste ein Buch"Where the white man treats", dessen erste
Auflage nur unter dem Krzel W. B.1904 in Auckland erschien; die
1928 folgende zweite Auflage legt wenigstens imVorwort den vollen
Namen offen. Die Aufmerksamkeit von neuseelndischen.Ethnologen
erregte er wohl erst durch eine Folge von Beitrgen zu einer
Tageszei-tung: im New Zealand Herald (Auckland) erschien im
August/September 1922 "Anextinct race". Dadurch wurde z.B. der
Direktor des Otago Museums in Dunedin undab 1919 erste Dozent fr
Vlkerkunde an der dortigen Universitt, H. D. Skinner,auf ihn
aufmerksam. Auch der schon erwhnte Peter Buck, ein Halb-Maori wie
vieleandere Intellektuelle zu Anfang unseres Jahrhundert, kannte W.
Baucke persnlich.Das wird u.a. durch ein Foto belegt, welches die
beiden zusammen mit Bishop Ben-nett und D. Mitchell wohl Anfang der
zwanziger Jahre zeigt. 11 Das Museum in Ho-
10 Zum Kannibalismus der Maori gibt es ausreichend Literatur,
wofr hier nur zweiWerke angefhrt seien, die jeweils ein Kapitel
"Cannibalism" mit vielen Belegstellenenthalten: Vayda, L. P. Maori
Warfare (Wellington 1960) und Hanson, F. A. and L.Hanson
Counterpoints in Maori Culture (London 1983).
11 Eine kleine Sammlung alter Fotos findet man im Museum in
Waltang, dem Hauptortder Chathams. Den grssten Bestand hat das
Bildarchiv der Turnbull Library in Wel-lington, u.a. sind dort die
Fotos erhalten, welche 1874 der der "American Scientific
Ex-pedition to observe the Transit of the Venus" beigegebene
Fotograf Rau whrend derWartezeit auf den Chathams gemacht hat.
Weitere Abzge dieser frhen Bilder gibt es
367
-
nolulu bewilligte einen Honorarvorschuss fr Baucke, um seine
Erinnerungen vonden Chathams zu Papier zu bringen. Als Skinner 1924
eine Expedition zu den Chat-hams mit vorwiegender Beteiligung von
Naturwissenschaftlern organisierte, lud erauch W. Baucke zur
Teilnahme ein. Dieser sagte zu, traf aber zu spt in Christ-church,
von wo das Schiff auslief, ein. Das von Skinner (1928:15)
ausgedrckteBedauern sagt auch wichtiges ber Baucke aus: "... owing
to a sudden change insailing dates he arrived late, and to our
regret was thus unable to make the trip. Ithad been hoped that the
revisiting of the islands from which he had been absent forfifty
years would revive memories that had become dim or even forgotten".
Derspter noch oft zitierte Beitrag Bauckes als Zusatz zu Skinners
Bericht in denMemoirs of the Bernice P. Bishop Museum vol. 9, 1928,
ist also nur aus der Erin-nerung und unter Zuhilfenahme einiger
Notizen geschrieben. Baucke hatte schonvorher sein
Erinnerungsvermgen nicht allzu hoch eingeschtzt; in "Where the
whiteman treads" klagte er (S. 258): "But I am worsted. Memory
fails to recall likeweather or season since the day of my youth!"
Ich habe einen anderen Grund, anseiner Genauigkeit zu zweifeln. In
der Korrespondenz mit Buck behauptete er, auseiner Familie zu
stammen, in der Neunzigjhrige die Regel seien. Fr seinen
Gross-vater, der in der Altmark 1841 starb, trifft das nicht zu;
auch die Lebensdauer seinesVaters gibt er berhht an, obwohl dieser
erst 15 Jahre zuvor gestorben war. Vonder Familie seiner Mutter
weiss man nichts. Er selbst ist 1931 auf der Nordinsel, woer ein
geschtzter bersetzer von Urkunden aus dem oder ins Maori war,
gestorben.Wie lange hat er tatschlich auf den Chathams gelebt? Zur
Zeit des Todes seinerMutter, die nach neun Geburten 1866 nur 47
Jahre alt starb, war er auf derInsel; er unterschrieb zusammen mit
Engst eine Eingabe an den Resident Magistrate,in dem 20 Weisse ihre
Furcht vor einem bevorstehenden Aufstand der hierverbannten
Maori-Anhnger Te Kootis vortragen. Er hat wohl einige Zeit danach
dieInsel verlassen, denn 1870 heiratete er in Wellington eine aus
London stammendegleichaltrige Frau. Der erste Sohn soll 1871 auf
den Chathams geboren sein; im Kir-chenbuch der Deutschen ist er
nicht eingetragen, vermutlich weil die Mission nachAuffassung auch
des Baucke-Nachwuchses schon nicht mehr existierte. Waren dennin
den frhen Lebensjahren W. Bauckes noch genug Moriori-Kinder am
Leben, umeine Schar von Spielgefhrten zusammenzubringen, in der fr
ihn ein beilufigerSpracherwerb mglich war? Der schon erwhnte
Statistik-Versuch von Selwyn imGeburtsjahr Bauckes, noch mehr aber
genaue Namenslisten der berlebenden Mori-ori von Seed (1862:32),
wonach 1861 unter den nur noch 160 Morioris gerade nochsieben
Knaben und fnf Mdchen ber die ganze Insel verstreut ermittelt
wurden,lassen mich zweifeln. Dieffenbach (1841:208) hatte schon
1840 bei den Moriori be-merkt: "They now seldom use their own
dialect, not even among themselves".Skinner hatte vorsorglich in
der Gemeinschaftspublikation gewarnt, dass manche
auch in der Fotosammlung des Auckland Institute, dort aber mit
falscher Jahreszahl.1879 fotografierte der in Australien lebende
deutschstmmige Carl Gerstenkorn auf derInsel. Seine Aufnahmen sind
in der Lovell-Smith-Collection in der Turnbull Library zufinden.
Viele alte Fotos sind von King verffentlicht.
368
-
vertrauensvolle Verhltnis zu Gossner war schon bald merklich
abgekhlt, wofr esneben einer gewissen Strukturschwche der
Missions$esellschaft auch Grnde, dieweitab in der deutschen
Innenpolitik zu suchen sind, 13 gegeben haben mag. Nach
13 ber den bewegten Lebenslauf von Johannes Evangelista Gossner
gibt es ausreichendLiteratur, die z.T. wegen der unkritischen
Verehrung heute nur bedingt brauchbarscheint, wofr die Bcher von H.
Dalton (Berlin 1874) und das von Gossners Nachfol-ger Prochnow
(1874) als Beispiele gengen mgen. Ergiebiger werden die
Biographien.von Walter Holstein (Gttingen 1949) und Hans Lockies
(Berlin 1958); das populr ab-gefasste "Lebensbild" unter dem Titel
"Fremdling und Brger" von Charlotte Sauer(Berlin 1967 u. sptere
Lizenzausgabe) sei erwhnt. Seit seiner Ausweisung aus Russ-land
hatte Gossner in erster Linie von preussischen Adligen Untersttzung
erfahren;selbst seine Zulassung zu einer evangelischen Pfarrstelle
war erst durch das direkteEingreifen eines Hohenzollern
durchzusetzen gewesen. Der Kirchenhistoriker Martin.Schmidt
(1968:458f.) ordnet Gossner in die Erweckungsbewegung ein und
charakteri-siert ihn: "gefhlsbetont trat auch der eigenartige ...
Gossner auf ... Seine einfachen Bi-belauslegungen, die eine
ursprngliche Frische an sich trugen, zogen viele Menschenan ... Er
grndete eine Reihe von Vereinigungen und rief als sein grsstes Werk
dieGossnermission in Indien ins Leben ... Er konnte, wenn seine
Grundstze verletzt wur-den, bis zum Jhzorn unwillig werden und
genoss doch die Verehrung eines Vaters beiden Unzhligen, die ihn
nahe kannten".Die Verbindung zu den eigenen Leuten am anderen Ende
der Welt litt unter dem sehrlangen Postlauf, der wohl nie unter
einem halben Jahr blieb, vorausgesetzt, dass wirk-lich Schiffe die
Chathams anliefen, d.h. zwischen dem Absenden eines Schreibens
vonGossner und dem Eingang der Antwort bei ihm lag in der Regel
mehr als ein Jahr.Gossner scheint die kommerziellen Aktivitten der
Missionare, insbesondere ihre Be-teiligung am Handel mit Tieren und
Kartoffeln, nicht gutgeheissen zu haben. Vielleichtgab es noch
einen weiteren Grund zur Entfremdung, den man in den
Aufzeichnungenvon Bishop Selwyn (1851:106f.) erahnen kann. Er
erwhnt darin Gesprche, die er1848 mit Schirmeister gefhrt hat, den
er zu sich nach Auckland einlud "to conversewith Mister Kipling, a
German clergyman in English Orders, with a view to hisreceiving
Episcopal ordination, to remove all doubts which might affect his
authorityand Position, if he acted only under the commision given
to him by the Presbytery atBerlin ... he believed his Society would
cordially approve of his being fully and formallyreceived into the
ministry of our Church". Daraus ist nichts geworden; Selwyn liess
denPlan fallen. Gossners Meinung hierzu ist nicht klar erkennbar.
Schirmeister selbst hatoffenbar die Sache anders in Erinnerung
behalten. In der Biographie von Grope heisstes: "... rejcted the
proposal". Immerhin hat Gossner nach der Erinnerung von Engst
inErwgung gezogen, einige seiner Leute von den Chathams nach Indien
zu versetzen.Die revolutionren Ereignisse in Europa von 1848,
besonders der blutig niedergeschla-gene Aufstand in Preussen, haben
Gossners Abscheu erregt; er stand ganz auf der Seiteder
Restauration, die jeden Ansatz von egalitrem Denken zu unterdrcken
versuchte.Er schrieb seinen Abgesandten: "Wir knnen uns nicht genug
wundern, dass der demo-kratische, aufrhrerische Geist bis zu Euch
an den Sdpol gedrungen ist ... Die Demo-kraten lehren nmlich: das
Volk ist frei, hat die Herrschaft, alle Menschen sind gleich...
Euer Geist ist der rgste demokratische und republikanische ..."
(Weiss 1901:92f.).Inwieweit die so zusammengestauchten Zglinge die
reaktionre Haltung ihres bis da-
370
-
Schirmeister bersiedlung nach Australien blieben auch die
Berichte fr die "Biene"aus, sodass sogar die Spender der Mission
nichts mehr ber die eigenen Ab-gesandten bei den Antipoden
erfuhren.
Gossner nahm unter anderem Anstoss daran, das seine Leute nicht
nur in bu-erlichen oder handwerklichen Aktivitten, sondern auch im
Handel erfolgreich.waren. Sie importierten Schafe, Rinder und
Pferde und exportierten besonders Kar-toffeln, vorbergehend die
Feldfrucht mit der grssten Anbauflche, in ganzenSchiffsladungen
z.B. in die Goldfelder von Sdostaustralien und sogar nach
Kalifor-nien. Engst und Baucke haben gemeinsam die erste Windmhle
und Engst zudemnoch eine Anzahl von Booten gebaut, damit die
Wirtschaft wesentlich gefrdert unddas Ansehen der Missionare als
Praktiker gehoben.
Auf den Chatham steht vom ersten Missionshaus in Te Whakaru nur
noch derSchornstein; das schon erwhnte Steinhaus am Mount Maunganui
ist vollstndig er-halten. Auf dem Friedhof von Te One steht Engst's
Grab mit der abschliessendenpiettvollen Phrase "Gone but not
forgotten". Stimmt das? Von den zahlreichenBaucke-Nachkmmlingen
haben einige auf den Chathams geheiratet und sind hiernun schon
seit Generationen ansssig; man findet sie in den Familien Seymour
oderPrendeville.
Engst wird in manchen neuen Publikationen wenig vorteilhaft
gezeichnet. King(1989:90) setzt unter eines der schlechtesten Fotos
von Engst die Bemerkung, "...described as a bigotted and narrow and
perhaps merciless in upholding his opinionsof right ...". Das ist
genaugenommen ein unvollstndiges Zitat, denn der britischeMajor
Gascoyne, 1891-98 Resident Magistrate, nennt in seinen
Memoiren(1916:144) Engst "... an interesting person..had many
extraordinary experiences torelate of the early hardships and
dangers endured, and he often reminded me of whatI had real of
Cromwell's Ironsides and the dour old Scotch Covenanters:
bigotted(weiter siehe oben) ... but with the Courage and
determination of a bull-dog". Derschon 1866 auf die Insel gekommene
Englnder E. R. Chudleigh hat jahrzehntelangTagebuch gefhrt, das
Richards (1950:451) herausgab, aus dem zitiert sei: "... thedeath
of my old friend and excellent neighbour ... Engst ... has lived a
clean stronglife, his mental and physical powers were quite beyond
the average. He never rested... A Christian of the Order of
Cromwell's Ironsides ... was one of the kindest andbest men I have
ever known". Mir scheint es angebracht, das Charakterbild
diesesMannes, der von den Gossner-Missionaren am meisten
niedergeschrieben hat und alseinziger bis zu seinem Ende auf den
Chathams geblieben ist, wirklich unvoreinge-nommen zu zeichnen.
hin verehrten Chefs angesichts ihres gewiss unzureichenden
Informationsstandes tat-schlich verstanden haben, bleibe
dahingestellt. Es spricht viels dafr, dass beim TodeGossners 1858
keine echte Beziehung mehr zu den Chathams bestand, die
vielleichtnoch von Schirmeister bis zum Verlassen von Pitt-Island
1857 aufrecht erhalten wor-den sein mag. Insofern stimmt wohl
Gunderts Vermutung, dass um diese Zeit Schlusswar.
371
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Der letzte reinbltige Moriori starb 1933 auf den Chathams; sein
Grabmonumentauf Manukau, das ich knstlerisch fr wenig gelungen
halte, ist eine Erinnerung anjenen verstorbenen Tame Horomana Rehe,
besser bekannt als Tommy Solomon. DieNachfahren, ob Halb-, Viertel-
oder nur noch Achtel-Moriori, haben sich inter-essanterweise
angeregt durch eine Fernsehsendung 1983 locker zu einer
Interes-sengemeinschaft zusammengefunden, die beklagt "that
insufficent attention had beenpaid to the Moriori and to their
place in the history of New Zealand" (King 1989:9).Um Abhilfe zu
schaffen, beauftragten sie einen bekannten Sachbuchautor und
Hi-storiker, ein Buch zu verfassen, an dessen Zustandekommen alle
durch ihre Erinne-rungen beizutragen versprachen. So konnte Michael
King "Moriori. A peoplerediscovered" schreiben, dessen Darstellung
der Entwicklung in diesem Jahrhundertmanches wirklich Neue und eine
Flle von alten Fotos bringt, bei den frheren Zei-ten natrlich auf
die bekannten Quellen angewiesen blieb.Zieht man die Schriften der
deutschen Missionare in Betracht, so komme ich zu demSchluss, dass
die darin enthaltenen ethnologisch oder historisch
verwertbarenMitteilungen ber die Moriori zum grssten Teil schon
gedruckt oder als Manus-kripte bereits mehrfach in Abhandlungen
einbezogen oder ausgewertet sind. Wennberhaupt noch etwas
Aufschlussreiches zu erwarten ist, dann in den
umfangreichen.Notizbchern (note-books) von Engst, deren Originale
in der Bibliothek des Auck-land Institute and Museum verwahrt
werden. Da es sich um ein Depositum von Mr.Cox handelt, bedarf es
dessen Zustimmung, sie vollstndig zu kopieren. Mir stehenin Xerox
nur einige wenige Bltter zur Verfgung, die zum Teil religise
Fragenbehandeln oder Briefentwrfe sind; leicht zu lesen ist es
nicht. Ich vermute, dassEngst alles, was ihm wichtig erschien,
seinerzeit brieflich nach Bremen an Dr. Weissgeschickt hat.
Literatur
Amery, John. (ed.). 2 1866. Twenty-Five Years' Experience in New
Zealand and theChatham Islands; an Autobiography by Frederick Hunt.
Wellington: William. Lyon
Barteczko-Schwedler, Brbel. 1986. Gossner Missionare auf den
Chatham-Inseln.Gossner Mission 1:6-9
Baucke, Henry. 1886. The last Days or the Doom of Christendom.
Wellington: WilliamLyon
Baucke, William. 1928. "The life and customs of the Moriori". In
The Morioris. Edited byHenry D. Skinner and William Baucke. Memoirs
of the Bernice P. BishopMuseum, Vol IX, No. 5:357-383. Honolulu:
Bishop Museum Press
Bellwood, P. S. 1989. "The colonization of the Pacific; some
current hypotheses". In TheColonization of the Pacific. Edited by
Adrian V. S. Hill and S. Serjeantson.Oxford: Clarendon Press
Campbell, John. 1977. Historic Shipwrecks at the Chatham
Islands. Working Papers inChatham Islands Archaeology 13.
Dunedin
Dennison, K. J. 1975. More than Fifty Years an Chatham Island
Working Papers inChatham Islands Archaeology 2. (bersetzung von
Weiss 1901). Dunedin
372
-
Dennison, K. J. 1977. Early German Missionaries in the Chatham
Islands. WorkingPapers in Chatham Islands Archaeology 14.
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