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Verantwortlicher Redakteur: Gerd H. Hvelmann, M.A. (Marburg)
Allgemeine Redaktionsanschrift: Zeitschrift fr Anomalistik,
RedaktionCarl-Strehl-Str. 16, 35039 MarburgE-Mail:
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Redaktion:Dr. Gerhard Mayer (Freiburg), Ursula Olfenbttel
(Mnster), Dr. Andreas Sommer (London), Dr. Ulrike Voltmer
(Saarbrcken), Dr. Edgar Wunder (Heidelberg)
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ISSN 1617-4720
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Impressum
Dipl.-Psych. Eberhard Bauer (Psychologie, Freiburg)Prof. Dr.
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Bochum)Prof. Dr. Erlendur Haraldsson (Psychologie, Reykjavik)Prof.
Dr. Dr. Andreas Hergovich (Psychologie, Wien)Prof. Dr. Dieter B.
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Freiburg)Prof. Dr. Kocku von Stuckrad (Religionswissenschaft,
Groningen)Prof. Dr. Christian Thiel (Philosophie, Erlangen)Prof.
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Erscheinungsort: Edingen-Neckarhausen
Herausgeber: Gesellschaft fr Anomalistik e.V., Felix-Wankel-Str.
7, D-68535 Edingen-NeckarhausenE-Mail: [email protected],
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Zeitschrift fr Anomalistik
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Erscheinungsweise und Bezugsmglichkeiten: Die Zeitschrift fr
Anomalistik erscheint mit 3 Nummern pro Jahr, wobei manche Hefte zu
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haben mindestens 80 Seiten, Doppelnummern mindestens 160 Seiten.
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Umfang gegen 12,- abgegeben, Doppelnummern gegen 22,-. Mitglieder
der Gesellschaft fr Anomalistik e.V. erhalten die Zeitschrift fr
Anomalistik kostenlos im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Bestellbar
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Anomalistik mittels des Bestellformulars auf der letzten Seite
dieser Ausgabe. Ein Abonnement gilt, falls nicht befristet
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Gesellschaft fr Anomalistik e.V.Die Zeitschrift und alle in ihr
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Profil der Zeitschrift
Die Zeitschrift fr Anomalistik versteht sich als ein
wissenschaftliches Forum zur Frderung eines kontroversen Diskurses
ber wissenschaftliche Anomalien, auergewhnliche menschliche
Er-fahrungen und sog. Parawissenschaften. Sie unterliegt einem
doppelt verblindeten Peer Review-Verfahren. Verffentlicht werden
empirische Forschungsberichte, allgemeine Abhandlungen zu
methodischen, konzeptuellen, philosophischen oder
wissenschaftshistorischen Aspekten, Review-Artikel, Kommentare und
Diskussionsbeitrge, sowie Buch rezensionen. Leitende
For-schungsfragen zu wissenschaftlichen Anomalien, auergewhnlichen
menschlichen Erfahrun-gen sowie Parawissenschaften sind die nach
Wahrheitsgehalt und Erklrungsmodellen, nach den psychosozialen
Hintergrnden der damit verbundenen berzeugungssysteme, sowie nach
den sozialen Rahmenbedingungen von durch Anomalien provozierten
Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaft. Methodenpluralismus,
konkurrierende wissenschaftstheoretische Anstze, sowie
interdisziplinre Zugnge sind erwnscht.Unter Anomalien werden unter
wissenschaftlich kontrollierten Bedingungen erzielte
Beobachtungsergebnisse verstanden, die bisherigen theoretischen
Vorstellungen und Annahmen ber die Welt zu widersprechen scheinen,
fr die es also bisher noch keine Erklrung im Rahmen konventioneller
Theorien zu geben scheint. Mit dem berbegriff auergewhnliche
menschli-che Erfahrungen werden subjektive Erlebnisse und
Erfahrungen auerhalb von wissenschaftlich kontrollierten
Bedingungen bezeichnet, die als querstehend zur normalen
Alltagserfahrung empfunden und deshalb oft als paranormal,
transpersonal, ber natrlich, unerklrlich mysteris usw. eingestuft
werden. Parawissenschaften sind heterodoxe Systeme des Wissens,
deren Akzeptanz, Legitimitt und Geltung in einer Gesellschaft
kontrovers diskutiert werden, wobei die Semantik der Wissenschaft
als Mittel der Auseinandersetzung dient.
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Band 14 (2014), Nr. 1Zeitschrift fr Anomalistik
Inhaltsverzeichnis
Impressum
...........................................................................................................................................
1
Profil der Zeitschrift
...........................................................................................................................
2
Inhaltsverzeichnis
...............................................................................................................................
3
Hauptbeitrge
Gerhard Mayer, Jrgen KornmeierRtselhafte Objekte auf den Bildern
einer Wildkamera oder: die Tcken der Wahrnehmung
...................................................................................................................................
7
Dieter HasslerEin neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
...............................................................
25
Etzel CardeaFr eine ergebnisoffene und vorurteilslose
Untersuchung des gesamten Spektrums des Bewusstseins. Ein Aufruf
.........................................................................................................
45
Fortgesetzte Diskussionen zu frheren Beitrgen
Zum Aufsatz von Kevin A. Whitesides und John W. Hoopes Seventies
Dreams and 21st Century RealitiesZeitschrift fr Anomalistik 12
(2012), 50-74
John Major Jenkins: The Coining of the Realm (of the 2012
Phenomenon): A Critique of the Whitesides and Hoopes Essay
............................................................ 53
The authors respond:Kevin A. Whitesides, John W. Hoopes:
Mythology and Misrepresentation:A Response to Jenkins
..........................................................................................................
62
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Zur Rezension des Buches Die Merseburger Zaubersprche durch Gerd
H. HvelmannZeitschrift fr Anomalistik 13 (2013), 413-418
Gerd H. Hvelmann: Wortzauber und Zauberwort. Nachgedanken zu den
Merseburger Zaubersprchen
......................................................................................
69
Zur Rezension des Zeitschriftenbandes Astrology Under Scrutiny
durch Suitbert ErtelZeitschrift fr Anomalistik 13 (2013),
431-437
Wout Heukelom, Geoffrey Dean, Arthur Mather, David Nias, Rudolf
Smit: Erwiderung auf Professor Ertels Besprechung von Astrology
Under Scrutiny ....... 73
Der Autor antwortet:Suitbert Ertel: Astrologie: Was unmglich
scheint, verdient erhhte Beachtung ......... 75
Essay ReviewAlan SchinkKritische Konspirologie. Eine
DoppelrezensionLance DeHaven Smith (2013)Andreas Anton, Michael
Schetsche, Michael K. Walter, eds. (2014)
.......................................... 77
Rezensionen
Andr Kramer, Klaus Felsmann, Natale Guido Cincinnati (Eds.)
(2013). UFOs Phnomen oder Fantomphnomen? Eine Analyse des
UFO-Phnomens anhand der ungeklrten Sichtungsflle der GEP Rezensent:
Bernhard Prschold
...........................................................................................
91
William S. Sax, Johannes Quack, Jan Weinhold (Eds.) (2010). The
Problem of Ritual Efficacy Rezensent: Gerhard Mayer
...................................................................................................
94
Sebastian Bartoschek, Alexa Waschkau, Alexander Waschkau (2013).
Muss man wissen! Ein Interview mit Dr. Axel Stoll Rezensent: Andr
Kramer
.....................................................................................................
99
Ulrich Magin (2011). Investigating the Anomalies: Sea-Serpents
in the Air, Volcanoes that Arent, and Other Out-of-Place Mysteries
Rezensent: Andreas Trottmann
.........................................................................................
104
Mark Benecke (2013). Seziert. Das Leben von Otto Prokop
Rezensent: Andreas Anton
................................................................................................
107
-
Abstractdienst/Literaturspiegel
Andreas Sommer, Gerd H. Hvelmann
..........................................................................................
118
Hinweise fr Autoren und Kommentatoren
...............................................................................
121
Inhalte frherer Ausgaben der Zeitschrift fr Anomalistik
....................................................... 123
Schriftenreihe der Gesellschaft fr Anomalistik
........................................................................
129
Bestellformular
................................................................................................................................
135
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Zeitschrift fr Anomalistik Band 14 (2014), S. 7-24
Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera oder: die
Tcken der Wahrnehmung
Gerhard Mayer1 und Jrgen Kornmeier2
Zusammenfassung Einige Bilder, die mit einer Wildkamera
aufgenommen wurden und zwei vermeintlich paranormale Objekte
zeigen, wurden untersucht. Es konnten plausible konventionelle
Erklrungen gefunden werden. Anhand dieses Fallbeispiels werden
einige grundlegende berle-gungen zur Analyse paranormaler
Fotografien sowie zu den konstruktiven Aspekten menschlicher
Wahrnehmung gemacht. In der Fallrekonstruktion werden
kontextabhngige Faktoren und mediale Einflsse, die sehr
wahrscheinlich zu einer paranormalen Deutung fhrten,
diskutiert.
Schlsselbegriffe: Paranormale Fotografie Bildanalyse Pareidolie
Spuk Wahrnehmungs-psychologie Atacama-Mumie Mentale
Reprsentationen
Mysterious Objects in the Photographs of a Wild-Life Camera Or:
The Pitfalls of Perception
Abstract Some photographs are analyzed that were taken by a
wild-life camera and depict two supposedly paranormal objects.
Plausible conventional explanations were found. This case study
serves as an example for some basic reflections on the analysis of
paranormal photographs and on constructive aspects of human
perception. In our analysis of this case, we discuss
context-dependent factors and media influences that most probably
induced the paranormal interpretation.
Keywords: paranormal photography image analysis pareidolia
haunting perceptual psychol-paranormal photography image analysis
pareidolia haunting perceptual psychol-ogy Atacama mummy mental
representations
1 Dr. Gerhard Mayer ist Psychologe und wissenschaftlicher
Mitarbeiter des Instituts fr Grenzgebiete der Psychologie und
Psychohygiene e.V. in Freiburg i.Br. Redaktionsmitglied der
Zeitschrift fr Ano-malistik. Seit 2012 Geschftsfhrer der
Gesellschaft fr Anomalistik. e.V.
2 Der Neurowissenschaftler Dr. Jrgen Kornmeier ist ebenfalls
Mitarbeiter des Instituts fr Grenzgebie-te der Psychologie und
Psychohygiene und Privatdozent an der Universitt Freiburg.
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8 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
In einem schwarzen Fotoalbum mit nem silbernen KnopfBewahr ich
alle diese Bilder im Kopf
(Sido: Bilder im Kopf)
Bilder im Kopf und die konstruktiven Aspekte menschlicher
WahrnehmungMit dem ffnen des Fensters zur Welt, also dem Beginn
differenzierter Wahrnehmung, gene-rieren Menschen bedeutungsvolle
Muster aus den Strukturen der einstrmenden Sinnesdaten, um die Welt
da drauen verstehen und in ihr berleben zu knnen. Unsere
Alltagserfahrung suggeriert, dass die Welt genau so ist wie wir sie
sehen. Zahlreiche optische Tuschungen zeigen uns jedoch, dass wir
nur einen eingeschrnkten Zugang zu der uns umgebenden Information
haben. Zum Beispiel wird beim ersten Schritt visueller Verarbeitung
die Information einer dreidimensionalen Welt auf zweidimensionale
Netzhute abgebildet. Wir verlieren also den direkten Zugang zu
einer kompletten Dimension und mssen diese Information aus
Sekun-drinformationen (Verdeckung, Schattenwurf, Bewegungsparallaxe
etc., siehe Rock, 1998) rekonstruieren. Ein weiteres Beispiel
findet sich in der Farbwahrnehmung: Was wir als Farbe wahrnehmen
ist ein winziges Fenster von Wellenlngen eines im Vergleich dazu
riesigen Spektrums elektromagnetischer Wellen, die tglich, von der
Sonne ausgesendet, auf die Erde fallen. Wellenlngen innerhalb
dieses Fensters knnen unsere verschiedenen Lichtrezeptoren in der
Netzhaut aktivieren. Wir sehen die Welt farbig. Fr Wellenlngen
auerhalb dieses win-zigen Fensters sind wir blind.
Ein weiteres Wahrnehmungsproblem resultiert aus der Anatomie
unseres Wahrnehmungs-apparates: Whrend unsere Netzhute ber etwa 125
Millionen lichtempfindliche Zellen (Rezeptoren) verfgen, muss die
enorme Menge an sensorischer Information ber nur eine
Abb. 1: (a) Bei lngerer Betrachtung wechselt unsere Wahrnehmung
des Necker-Wrfels (Necker, 1832) spontan und wiederholt zwischen
zwei verschiedenen rumlichen Interpretationen hin und her. (b)
Disambiguierte Wrfelvarianten, die den beiden Interpretationen des
Necker-Wrfels entsprechen
-
9Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Million ableitender Nervenzellen (Ganglionzellen) vom Auge zum
Gehirn transferiert werden (Schacter, 2011). Die vorhandene
Datenmenge muss also auf intelligente Weise reduziert wer-den. Die
Notwendigkeit zur Datenreduktion beginnt damit schon im Auge und
setzt sich als roter Faden bis zu einer Verarbeitungsebene fort,
auf der bewusste Wahrnehmung mglich wird (vgl. Gregory, 2009).3
Um stabile und verlssliche Ergebnisse zu produzieren, gewichtet
unser Wahrnehmungs-apparat die eingehende sensorische Information
mit bisherigen, in unserem Gedchtnis abgespeicherten
Seherfahrungen. Unsere Wahrnehmung ist damit das Ergebnis eines
hoch-effizienten und uns in seiner Entstehung weitgehend
unbewussten Konstruktionsprozesses, der von unserer Vorerfahrung
stark beeinflusst werden kann. In unserem Gehirn entsteht also ein
Weltmodell (Metzinger, 1999), das aus mentalen Reprsentationen
bestehend quasi als ein Bild der Welt da drauen handlungsleitend
wird. Zunehmende Lebenserfahrung vergrert den Bestand der mentalen
Reprsentationen, der neben Konzeptionen realer Objekte auch solche
von imaginierten Objekten oder Geschehnissen (Zwerge, Aliens,
Turmbau zu Babel) einschliet.
Wenn von Bildern im Kopf die Rede ist, so ist das
selbstverstndlich metaphorisch gemeint. Es wre falsch, sich
vorzustellen, man htte im visuellen Kortex eine Art Bilderbuch, in
dem wir mit einem inneren Auge die Bilder betrachten. Die optischen
Bilder, die sich auf der Netzhaut des Auges abbilden, werden zu
Nervenimpulsen verarbeitet und in die entsprechenden Gehirn-zentren
weitergeleitet. Die folgenden Zeilen des berhmten
Wahrnehmungsforschers Richard Gregory beschreiben diesen
Zusammenhang besonders treffend:
The brain creates descriptions from simple features received
from the senses and repre-sented by the activity of specialized
neurons of the brain. Representations may be stored in memory, and
indeed perceptions and memory are closely related (Gregory, 2009:
7).
Die Folgen der eingeschrnkten Verfgbarkeit sensorischer
Information und der Notwendigkeit zur Datenreduktion knnen
vielfltig sein. Es kann zu Wahrnehmungs-instabilitten kommen, wenn
aufgrund der verfgbaren Information zwei oder mehrere
Interpretationen ungefhr gleich wahrscheinlich sind und unsere
Wahrnehmung spontan und nur eingeschrnkt kontrollierbar zwischen
diesen hin- und herspringt (Long & Toppino, 2004, Kornmeier,
2012). Ein berhmtes Beispiel ist der Necker-Wrfel in Abbildung 1,
fr den es zwei ungefhr gleichwertige rumliche
Interpretationsmglichkeiten gibt. Ein weiteres Beispiel (Abbildung
11) kann entweder als Totenkopf gesehen werden wenn der Abstand
des
3 Gregory (2009) hat mit seinem Buch Seeing Through Illusions
eine lohnenswerte Einfhrung zu die-sem Thema verfasst.
Grundlegendes zur menschlichen Wahrnehmung findet sich auch in
Goldstein et al. (2008), eine populrwissenschaftliche Einfhrung
bietet Gegenfurtner (2011).
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10 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Beobachters gro genug ist, dass kleine Bilddetails nicht mehr
erkennbar sind oder als Dame vor einem Spiegel bei detaillierter
Betrachtung aus der Nhe.
Es kann aber auch zu Fehlinterpretationen kommen, wenn die
perzeptuelle Interpretation nicht mit dem wahrgenommenen Objekt
bereinstimmt. Hier ist das psychologische Phnomen der Pareidolie zu
nennen, der Neigung, in Zufallsmustern bekannte und sinnhafte
Strukturen wahrzunehmen, etwa Gesichter, Gestalten, bekannte
Objekte oder auch Stimmen. Ein prominentes Beispiel fr dieses
Phnomen ist das sogenannte Marsgesicht, eine in einer bestimmten
rumlichen Auflsung an ein Gesicht erinnernde Landschaftsformation
auf dem Mars. Ein hher aufgelstes Bild, das einige Jahre spter
aufgenommen wurde konnte die Gesichts-Interpretation schlielich
ausschlieen (Abbildung 4).
Abb. 2 und 3: Marsgesicht[Quelle Abb. 2 u. 3:
http://photojournal.jpl.nasa.gov/catalog/IA01141 (Zugriff:
01.07.2014)]
Abb. 4 zeigt dieselbe Landschaftsformation in anderer
Beleuchtung und aus einem anderen Blickwinkel[Quelle:
http://www.nasa.gov/multimedia/imagegallery/image_feature_60.html
(Zugriff: 01.07.2014)]
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11Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Solche Fehlfunktionen unserer Wahrnehmung treten in der Regel
dann auf, wenn die Qualitt der verfgbaren sensorischen Information
nicht ausreichend ist und somit die enorme interpretative
Leistungsfhigkeit unseres Wahrnehmungssystems an seine Grenzen
kommt. Sie erffnen uns Einblicke hinter die Kulissen und zeigen
uns, welcher Mittel sich unser Wahrneh-mungssystem bedient, um das
Wahrnehmungsproblem zu lsen.
Beispiele wie die Pareidolie zeigen andererseits aber auch eine
evolutionsbiologisch wich-tige Funktion unseres
Wahrnehmungssystems, unabhngig von der Qualitt der verfgbaren
sensorischen Information mglichst schnell zu einer perzeptuellen
Interpretation zu gelangen. Das schnelle Erkennen von Objekten und
Erfassen von Situationen war im Laufe der Evolution sicherlich von
vitaler Bedeutung.
Fr die Anomalistik haben sie allerdings ebenfalls eine groe
Bedeutung. Wird nmlich eine (vermeintliche) Anomalie beobachtet
oder dokumentiert, so muss diese Eigenschaft beim Abwgen der
Zuverlssigkeit der Beobachtung bzw. der Interpretation der
dokumentierten Anomalie als ein elementarer Faktor in Betracht
gezogen werden.4 Das ist wohlbekannt und wird bei der Untersuchung
von Spontanfllen und vor allem von paranormalen Fotos, also
Fotografien, auf denen angeblich etwas Unerklrliches oder
unerklrlich zustande Gekomme-nes abgebildet ist, bercksichtigt
(siehe Mayer, 2014 fr einen berblick). Im Folgenden wollen wir eine
krzlich durchgefhrte Untersuchung von Fotografien vorstellen, die
mit einer Wild-kamera aufgenommen worden sind und etwas Merkwrdiges
zeigen.5
Bilder unserer Wildkamera Aufnahmesituation und
KontextinformationenAm 15. Juni 2014 kam ber die Webseite der
Gesellschaft fr Anomalistik e.V. (GfA, [email protected]) eine
Anfrage zu Bildern, die mit einer Wildkamera aufgenommen worden
waren und auf denen Merkwrdiges zu sehen ist. Bei der
Kontaktperson, Frau M., handelt es sich um eine passionierte
Jgerin. Die Aufnahmen entstanden schon am 2. bzw. 4. Juli 2013 und
wurden daraufhin im Bekanntenkreis von Frau M. auch diskutiert,
ohne dass es zu einer hinreichend zufriedenstellenden Erklrung der
merkwrdigen Objekte gekommen wre. Der Wunsch nach Aufklrung fhrte
zu Recherchen im Internet und schlielich zu einer entspre-chenden
Anfrage bei der GfA. Frau M. stellte daraufhin zwei Serien von
jeweils drei Bildern, auf denen die Extras so der Fachbegriff fr
Objekte oder Elemente in Fotografien, die als Abbildungen von
Anomalien diskutiert werden erkennbar sind, fr eine Untersuchung
zur Verfgung.
4 Vgl. Wackermann (2014) allgemein zum Thema
Wahrnehmungsanomalien.5 Diese Untersuchung wurde vom Erstautor G.M.
vorgenommen.
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12 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Die Aufnahmen wurden auf einer Kirrung6 mit einer Wildkamera
(Primos Truth Cam 35) gemacht. Diese Kamera reagiert auf Bewegung
(Infrarotsensor) und war so eingestellt, dass sie jeweils drei
Bilder in Folge im Sekundenabstand schiet. Dabei wurde ein
Infrarotblitz ausgelst.7 Die Kamera war an dieser Stelle vor allem
fr die Dokumentation einer Rotte Wild-schweine installiert worden,
die im letzten Jahr [] diese Kirrung recht regelmig besucht hatte
(E-Mail vom 16.06.2014).
6 Als Kirrung wird ein Platz bezeichnet, an dem Jger Getreide
und anderes nicht fleischliches Futter zum Anlocken von Wild
ausbringen.
7 Weitere technische Merkmale der Kamera: Die Auflsung betrgt
bei Tageslicht 3 MP, bei Dunkelheit schaltet die Kamera automatisch
auf S/W-Modus mit einer Auflsung von 1,3 MP um. Der
Erfas-sungsbereich des Sensors ist auf die Hlfte des
Abbildungsbereichs der Kamera begrenzt. Siehe
http://assets.academy.com/mgen/98/10104798.pdf [Zugriff:
4.7.2014].
Abb. 5: Zweites Bild der Serie 1 vom 2. Juli 2013 (f/2,8;
1/125sec; ISO 100; Bild aufgehellt, Belichtung korrigiert, Extra
markiert)
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13Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Die drei Aufnahmen mit dem ersten Extra entstanden am 2. Juli
2013 um 7.51 Uhr. Sie zeigen die Kirrung. Im Zentrum der Bilder
befindet sich ein Holzpfosten, auf dem ein weier Behlter platziert
ist. Auf der Verbindungslinie zwischen dem unteren Ende des
Holzpfostens und der rechten unteren Bildecke befindet sich ein
Objekt, das sich in dem durch die drei Auf-nahmen erfassten
Zeitraum von zwei Sekunden deutlich bewegt. Es wird durch
Tannenzweige im Vordergrund und durch ein Farnblatt verdeckt (siehe
Abbildung 5). Die Gre des Objekts und dessen Entfernung zur Kamera
ist aus den Bildern allein nicht leicht zu ermitteln. Aller-dings
kann man aus Angaben von Frau M. sowie weiteren Aufnahmen, die an
dem Ort gemacht wurden, abschtzen, dass das Objekt etwa eine Hhe
von 10 cm aufwies (Frau M. schrieb, etwas unsicher: nicht ganz
10cm?).
Abb. 6: Erstes Bild der Serie 2 vom 4. Juli 2013 (f/2,8;
1/30sec; ISO 100; Extra markiert)
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14 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Die Aufnahme, die das zweite Extra zeigt (Abbildung 6), entstand
als erstes Bild einer weiteren Serie von drei Fotografien, die am
4. Juli 2013 um 11.04 Uhr entstanden und leicht berbelichtet sind.
Auf diesem Foto befindet sich links unterhalb des weien Behlters
auf dem Holzpfosten eine verschwommene durchsichtig-weiliche Form
in der Luft. Sie ist etwas gr-er abgebildet als der weie Behlter.
Auf den beiden darauffolgenden Aufnahme (jeweils eine Sekunde spter
entstanden) ist kein Extra zu sehen. Frau M. kommentierte die
Aufnahmen in einer E-Mail vom 16. Juni 2014 folgendermaen:
Wir sind beide passionierte Jger und haben natrlich an unseren
Kirrungen Wildkameras stehen. Im letzten Jahr hatten mehrere[,]
aber insbesondere eine Rotte Sauen diese Kirrung recht regelmssig
besucht[,] so dass wir unsere Kamera dort hingehangen haben[,] um
die Regelmssigkeit und die Uhrzeiten zu kontrollieren. Hierbei fiel
uns dann im letzten Jahr auf, dass auf den Bildern nicht die
erwartete Rotte war[,] sondern sich unten rechts im Bild etwas
merkwrdiges befindet, die Kamera ist auf 3 Sekunden (also bei
Bewegung schiesst sie 3 Bilder in 3 aufeinanderfolgenden Sekunden)
eingestellt, so dass Bewegungen gut mitgeschnitten werden und wenn
man die Bilder schnell hintereinander laufen lsst oder schnell
klickt kann man die Bewegung sehr schn erkennen (Datum und Uhrzeit
sind unten am Bild ersichtlich /amerikanische Daten). Das wre dann
Bild 7-9. (am besten in einen gesonderten Ordner extrahieren und
dann schnell hintereinander klicken, unten rechts hinter dem Farn
sieht man die Gestalt sich bewegen).
2 Tage spter kam dann noch einmal eine merkwrdige Aufnahme
hinzu, nmlich wiede-rum im 3-Sekunden-Takt erhebt sich etwas in die
Luft, ist nur auf einer Aufnahme drauf, das heisst es war schneller
als die eine Sekunde, da weder der Anflug, das erheben [sic!], oder
die Richtung[,] wohin es verschwunden ist[,] zu sehen ist. Vorher
und nachher gibt es kein einziges Bild[,] wo dieses Ding drauf
ist.
Anbei mchte ich dann noch persnlich anmerken, wir hier sind uns
alle sicher dass dies kein Tier ist, und komischerweise nach den
Tagen im letzten Juli kam kein einziges Tier mehr an unsere
Kirrung, erst dieses Jahr im Februar kommen vereinzelt wieder Tiere
vorbei, mal ein Reh, mal ein Fuchs, aber die Sauen sind weg und
kommen auch hier nicht mehr (SAUEN sind sehr empfindsam, haben
einen sehr guten Geruchs- und Wahrneh-mungssinn).
Das Extra in der ersten Serie wurde als eine sich bewegende
Gestalt identifiziert. Aufgrund der Anmutung eines kleinen
humanoiden Schdels hatte sich eine anomalistische Deutung
festgesetzt (wir hier sind uns alle sicher[,] dass dies kein Tier
ist). Das mutmalich sonderbare Verhalten der Tiere in einem lngeren
darauffolgenden Zeitraum sowie die zwei Tage spter aufgenommene
Dreierserie (4. Juli 2013, 11.04 Uhr), die ebenfalls ein
merkwrdiges Extra auf einem der Bilder aufweist, verstrkten eine
anomalistische Interpretation, weswegen dann auch bei den
Klrungsversuchen per Internetrecherche der Kontakt zur GfA
entstand.
-
15Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Analyse der FotosWhrend die Fotos der ersten Serie fr uns
zunchst irritierend blieben, konnte fr das Extra auf dem ersten
Bild der zweiten Serie schnell eine hinreichend plausible Deutung
gefunden werden: Es drfte sich um ein ganz nahe vor der Kamera
vorbeifliegendes Objekt (z.B. Insekt) handeln, welches der
Bewegungsmelder erfasste. Durch die groe Nhe zur Kamera war es bei
der zweiten Aufnahme schon auerhalb des von der Kamera erfassten
Bereichs. Zur Unschrfe, die durch eine Position auerhalb des
Bereichs der Tiefenschrfe der Kamera (Blende = 2,8 [!]) entsteht,
kommt noch eine Bewegungsunschrfe hinzu, die durch eine
Belichtungszeit von 1/30 Sekunde bedingt ist. Diese fr das helle
Tageslicht (11.04 Uhr) unnatrlich lange Belich-tungszeit bei einer
Blende von 2,8 (exif-Metadaten), die zu einer berbelichtung des
Bildes fhrte, drfte durch eine teilweise Verdeckung des
Belichtungssensors durch das vorbeiflie-gende Objekt zustande
gekommen sein.8 Auch wenn diese Interpretation mit einer gewissen
Unsicherheit behaftet ist, lsst sich das Zustandekommen eines
solche Extras auf plausible Art konventionell erklren.9
Bei der Analyse der Bilder der ersten Serie war zunchst die
Grenschtzung des Ext-ras ein Problem. Da das Objekt grtenteils
durch Pflanzenbewuchs (Tannenzweige im Vor-dergrund, Farne)
verdeckt ist, fehlten auf den Fotos hinreichend gute Referenzgren.
Aus diesem Grund, aber auch um einen besseren Eindruck vom
Funktionieren der Wildkamera zu bekommen, erbaten wir von Frau M.
weitere Fotoserien, die an den beiden Tagen aufgenom-men worden
waren. So erhielten wir drei weitere Dreierserien: Die erste war am
1. Juli 2013 um 22.59 Uhr aufgenommen worden, die zweite am 2. Juli
2013 um 4.46 Uhr, die dritte schlielich am 2. Juli um 19.45 Uhr
alle drei im S/W-Modus. Auf der letzten Serie ist ein Vogel
(vermutlich ein Eichelhher) zu sehen, anhand dessen man eine
Grenschtzung des Objekts vornehmen konnte (siehe Abbildung 7).
8 In der Bedienungsanleitung der Kamera ist unter den Hinweisen
zum Betrieb zu lesen: Empty Pho-tos/False Triggers [] If there are
limited, random photos with no game present, the following
scenarios are most likely 1) an animal ran through the picture
extremely fast or 2) a smaller animal/bird is around the
camera/sensor but is not in the camera field of view []
(http://assets.academy.com/mgen/98/10104798.pdf Zugriff:
4.7.2014).
9 Das Foto wurde auch Hans-Werner Peiniger zur Begutachtung
vorgelegt, der sich der Argumentation und der Deutung des Objekts
als eines fliegenden Insekts anschloss (E-Mail vom 3. Juli 2014).
Peini-ger ist 1. Vorsitzender der Gesellschaft zur Erforschung des
UFO-Phnomens e.V. und hat langjhrige Erfahrung mit der
Interpretation von eigentmlichen Objekten auf Fotografien. Wir
danken ihm fr seine rasche und unkomplizierte Kooperation.
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16 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Unsere Schtzung entsprach in etwa den Angaben von Frau M., die
sich die Stelle, an dem das Objekt auf den Fotos zu sehen ist, noch
einmal genauer vor Ort angeschaut und das verde-ckende Farnblatt
entfernt hatte. Zunchst wurden die Belichtung und der Kontrast der
etwas unterbelichteten Bilder fr die Erkennbarkeit des Objekts
optimiert. Auerdem wurde zu die-sem Zweck die Farbgebung
manipuliert (z.B. Herausfiltern der starken Grnanteile), so dass
verschiedene Varianten der Bilderserie entstanden. Die Betrachtung
der drei Bilder in schnel-ler Abfolge lie die sich innerhalb des
Zeitraums von zwei Sekunden sichtbaren Bewegungen zutage treten.10
Sie begrenzen sich, neben der Bewegung einiger Baumzweige am
Bildrand, auf die direkte Umgebung des Objekts.
Ausgehend von einer Schdelform, die spontan ins Auge springt,
lie sich ein kleines humanoides Wesen erkennen, welches einen
Gegenstand in den Hnden hlt.11
10 Auf den Webseiten der GfA knnen die drei Bilder in animierten
Abfolgen betrachtet werden: siehe
http://www.anomalistik.de/zeitschrift/artikel/zfa2014114abb.html
.
11 Frau M. beschrieb es in einer Nachbefragung folgendermaen:
tatschlich sieht es ja so aus wie ein kleiner Mann mit vielen
Muskeln, der beim Klicken der Kamera etwas mit der rechen Hand
vom
Abb. 7: Bilderserie vom 2.7.2013 um 19.45 Uhr mit Vogel
(Ausschnitte)
Abb. 8: Bilderserie vom 2.7.2013 Ausschnitte mit dem Extra
-
17Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Das wiederholte Durchklicken der verschiedenen farblichen
Varianten der Bildserie in schneller Folge erffnete eine plausible
Alternativdeutung: Einen Eichelhher. Die Deutung des Objekts kippte
vergleichbar etwa mit den Wahrnehmungsvorgngen bei der Betrach-tung
von gemeinhin bekannten Kippbildern oder -figuren (Gregory, 2009:
121-138; siehe auch Abbildung 11).
Der Vorgang der Neuinterpretation wurde sicherlich gefrdert
durch die Betrachtung der anderen Bilderserien, da ja auf einer von
ihnen ein Vogel zu erkennen ist. Mit dem Kippen der Deutung wurde
aus dem vermeintlich stockhnlichen Gegenstand in den Hnden eines
humanoiden Wesens der Schwanz eines Eichelhhers. Fr die meisten
Betrachter gewann diese Deutung einen hohen Grad an
Nachvollziehbarkeit und Plausibilitt. Vor allem die
Boden aufhebt und in Richtung Kamera hlt (E-Mail vom 1. Juli
2014).
Abb. 9 und 10: Ausschnitte der Bilder 2 und 3 (aufgehellt und
konstrastverstrkt) mit eingezeichnetem humanoidem Wesen
-
18 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Bewegung lsst sich gut identifizieren: Im ersten Bild steht der
Vogel seitlich. Der Schwanz zeigt nach links und ist leicht nach
oben gerichtet. Rechts ist sogar die Form des Schnabels zu erkennen
(wenngleich nur schwer identifizierbar). Auf dem zweiten Bild hat
sich der Vogel aufgerichtet und den Kopf zur die Kamera gewendet.
Beim Auf-richten hat sich der Schwanz gesenkt und ist als schwarzer
Schatten ber dem hellen Ast sichtbar. Im dritten Bild hat sich der
Schwanz durch die Aufrichtung des Vogels noch weiter gesenkt.
Die Interpretation eines totenkopfhnli-chen Schdels mit
schwarzen Augenhhlen entsteht durch die Reflektion des seitlich
einfallenden Sonnenlichts auf dem Gefieder des Vogelkopfes, wobei
die Binnenzeichnung und die Details auf dem Bild berstrahlt werden,
mit Ausnahme der zwei typischen schwarzen Halsflecken im Gefieder
des Eichelhhers.
Die Bilderserie wurde mehreren Personen zur Beurteilung
vorgelegt, zunchst nur mit der Zusatzinformation, dass es sich um
Auf-nahmen handle, die mit einer Wildkamera gemacht worden seien.
Eine Person erkannte auf Anhieb einen Vogel; andere konventionelle
Deutungen gingen dahin, dass es sich um ein Erdmnnchen oder um
einen Marder handle. Nach entsprechenden Hinweisen wurde die
Interpretation des Objekts als Eichelhher von fast allen Personen
als sehr plausibel erachtet. Ein wichtiger Faktor fr die
Identifizierung lag in diesem Fall in der schnellen Abfolge von
Bildprsentationen, die das Objekt bewegt erscheinen lie. Auf diese
Weise konnten die Umrisse eines Vogels erahnt werden.
Abb. 11: All is vanity. Kippbild von Charles Allen Gilbert
(1873-1929)[ h t t p : / / c o m m o n s . w i k i m e d i a . o r
g / w i k i /C ategor y :Re vers ible_f igure?us e lang=de#
mediaviewer/File:Allisvanity.jpg Zugriff: 04.07.2014]
-
19Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Abb. 12 - 14: Ausschnitte der Bilder 1, 2 und 3 (aufhellt und
kontrastverstrkt) mit eingezeichnetem Eichelhher
Abb. 15: Eichelhher in frontaler Kopfansicht mit den typischen
schwarzen Flecken am Hals
-
20 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Der Fluch der Atacama-MumieIn der Wahrnehmungspsychologie wohl
bekannt, aber immer wieder beeindruckend ist der massive Einfluss,
den unsere perzeptuelle Vorerfahrung auf das aktuelle
Wahrnehmungser-gebnis haben kann. Dabei knnen verschiedene
Zeitskalen, von lngst Vergangenem bis zu unmittelbar Zurckliegendem
in unterschiedlicher Intensitt eine Rolle spielen.
In vorliegendem Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass solche
Einflsse die Betrachter der Wildkamera-Bilder in einen
anomalistischen Kontext stellten lieen. Ein zentraler Punkt
hier-bei war die berzeugung von Frau M. und ihren Jagdkollegen
ihres Zeichens erfahrene Jger, die sicherlich auch eine gewisse
Erfahrung mit Bildern ihrer Wildkamera haben , dass das rtselhafte
Objekt kein Tier sein knne. Ein weiterer Punkt ist die Aussage von
Frau M., dass seit dem Tag der Fotoaufnahmen Tiere (vor allem die
frher regelmig erscheinenden Wild-schweine) den Ort gemieden
htten.
Auch wenn der Anspruch besteht, ein solches Phnomen
ergebnisoffen zu untersuchen und dabei nichtkonventionelle
Erklrungsmglichkeiten nicht a priori kategorisch auszuschlieen,
sollten vorab alle mglichen konventionellen Erklrungsmglichkeiten
sorgfltig geprft werden. Eine eingehende Untersuchung des
zeitlichen Kontexts dieses Ereignisses ist hierbei unbedingt
notwendig. Im vorliegenden Falle waren neben der merkwrdigen und
nicht zu erwartenden humanoiden Schdel- oder Gesichtsform (kein
Tier), das in dem lngeren Zitat aus Frau M.s E-Mail beschriebene
unscharfe Extra auf einem Bild der zwei Tage spter aufge-nommenen
Serie, sowie das vermeintlich sonderbare Tierverhalten im
Folgezeitraum wichtige Anhaltspunkte. Fr sich alleine genommen htte
jenes zweite Extra mglicherweise nicht zu einer solchen Irritation
gefhrt, aber in einem Zusammenhang mit dem Objekt der ersten Serie
gesehen bekam es einen verstrkenden Charakter; und ein Ausbleiben
von Tieren an sich also ohne eine anomalistische Hypothese im
Hintergrund wrde vermutlich auf wenig aufsehen-erregende Weise
konventionell erklrt werden knnen. In beiden Punkten ist zu
beachten, dass sie retrospektiv eine schon vorher bestehende
anomalistische Deutung verstrken, aber nicht urschlich fr sie
sind.
Die Assoziationen, die die humanoide Form in einem der Autoren
selbst ausgelst hatten, betrafen Bilder von der etwa 13 Zentimeter
groen Mumie, die im Jahr 2003 in der mexikani-schen Atacama-Wste
gefunden, von manchen als Alien-Mumie interpretiert und
ausfhrli-chen Gen-Tests unterzogen worden war.12
12 Eine wissenschaftliche Publikation der Ergebnisse ist derzeit
in Vorbereitung. Siehe
http://grenz-wissenschaft-aktuell.blogspot.de/2014/06/neue-informationen-von-dr-garry-nolan.html
[Zugriff: 7.7.2014].
-
21Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Um etwas ber die Genese der anomalistischen Deutung zu erfahren,
wurde Frau M. danach befragt, in welche Richtung die Vorstellungen
zur Natur des Objekts gegangen sind, die in ihrem Umfeld diskutiert
worden waren. In diesem Zusammenhang wurde sie auch auf einen ppig
bebilderten Artikel ber die Ata- bzw. Atacama-Mumie hingewiesen,
der am 10. Mai 2013 bei Spiegel online erschienen war.13 Die
Antwort von Frau M. in einer E-Mail vom 1. Juli 2014 lautete:
[J]a, ich kannte die Bilder von der Mumie und habe sogar, als
wir die Bilder zunchst angesehen haben, nach vergleichbarem
gesucht. Die Bilder der Mumie sind mir irgend-wann einmal schon
einige Zeit vor Aufnahme unserer Bilder in irgendeinem Artikel im
Internet (vermutlich Bild-Zeitung ber den Weg gelaufen) und nach
den Bildern auf unserer Wildkamera hatte ich genau nach dieser
Mumie gesucht, um Vergleiche anzustel-len und das vermeintlich
gesehene einzuordnen. Als ob Sie das geahnt htten :).14
13
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/kein-ausserirdischer-forscher-entraetseln-mumie-ata-a-899087.html
[Zugriff: 7.7.2014].
14 Der entsprechende Artikel der Bild online stammt vom 25.
April 2013 und ist hier zu finden:
http://www.bild.de/news/mystery-themen/alien-mensch-mutation/forscher-untersuchen-mysterioeses-skelett-dieser-mini-alien-soll-ein-mensch-sein-30145034.bild.html
[Zugriff: 7.7.2014]. Dort findet sich ein Hinweis auf einen
weiteren merkwrdigen Fund eines Lebewesens in Mexiko, eines
Alien-Baby in der Tierfalle (Artikel vom 24.8.2009:
http://www.bild.de/news/mystery-themen/mexiko/ausserirdischer-in-mexico-gefangen-9493992.bild.html
Zugriff: 7.7.2014), dessen Schdelform auf manchen Abbildungen noch
strker an die humanoide Form auf den Fotos der Wildkamera erinnert.
Vgl.
http://www.nachrichten.net/details/3588/Mexiko_Zweites_Alien_gesichtet.html
[Zugriff: 9.7.2014].
Abb. 16 und 17: Atacama-Mumie (Copyright: A. Kramer)
-
22 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Frau M. schilderte weiter, wie in ihrem Umkreis um Deutungen
gerungen wurde, die, nach-dem man sich darber einig geworden war,
dass es sich jedenfalls (um) kein Tier handle, ein Wesen aus dem
All oder ein Waldgeist als Alternativen einschlossen.
Nachdem Frau M. die alternative Deutung Eichelhher angeboten
wurde, dauerte es noch eine Weile, bis sie von ihrer Fixierung, wie
sie sich ausdrckte, wegkam und den Vogel identi-fizieren
konnte:
Ich bedanke mich recht herzlich fr Ihre Mhen, aufzuklren was da
zu sehen ist und hoffe[,] dass es nur ein Vogel war, alles andere
als ein Tier wrde mir da jetzt doch Sorgen bereiten :) (E-Mail vom
16. Juni 2014).
Wir sandten ihr daraufhin noch einige Hinweise zu
wahrnehmungspsychologischen Ph-nomenen. In einer E-Mail vom 18.
Juni 2014 schrieb sie schlielich:
Am meisten freue ich mich darber, dass ich endlich auch einen
Vogel sehe, seit ges-tern Abend. Erst habe ich mir eingeredet[,] es
ist ein Vogel, dann habe ich ihn in den verschiedenen Auflsungen
gesucht, und [kam] vor allem endlich von der Idee ab, das vordere
ist ein Arm, es ist nmlich ein Stck der Tanne die sich ber den Farn
biegt. Das alles weggedacht und die Bewegung genauestens
angeschaut, mit dem Wissen links ist der Schwanz, dann ist es ganz
einfach, seh ich jetzt einen Vogel.
Es ist dennoch Wahnsinn, was mein bzw. unser aller Gehirn uns da
fr Streiche spielt, erstaunlich.
Abschlieende BemerkungSehen Menschen etwas, das nicht in das
allgemein akzeptierte Weltmodell passt, dann bieten ihnen Mythen,
Geschichten und Mediendarstellungen Bilder und Konzepte, nach denen
man das Wahrgenommene zu deuten und einzuordnen versucht. Wie die
Ata-Mumie, aber auch viele andere Phnomene (z.B. Forteana) zeigen,
bietet die Welt gengend Merkwrdiges, Bizar-res und teilweise
Ungeklrtes, um das sich wilde Spekulationen ranken und das zur
Erklrung herangezogen werden kann. Starke Zweifel und Skepsis mgen
solche Erklrungsversuche begleiten, doch gehen sie selbst einher
mit Skepsis gegenber den umfassenden Erklrungs-ansprchen der
konventionellen Wissenschaft. Bilder von Aliens, Yetis und
Seeschlangen sind den Kindern schon durch die Lektre von Comics
bekannt und bilden ein Reservoir an Vorstel-lungen und Konzeptionen
von Anomalien, auf die in mehrdeutigen Wahrnehmungssituationen
zurckgegriffen werden kann. Dieses Reservoir von Bildern im Kopf
erweitert sich im Laufe des Lebens. Die physikalische Realitt der
Ata-Mumie beweist, dass Sonderbares und nach wie vor Unverstandenes
existiert eine Tatsache, der auch eine ggf. erfolgende
konventionelle
-
23Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera
Erklrung und Einordnung der Mumie in bekannte wissenschaftliche
Modelle und Kategorien keinen Abbruch tun wrde. Im vorliegenden
Fallbeispiel tritt dieser Zusammenhang in aller Deutlichkeit
zutage, denn es konnte nicht nur eine zeitliche Korrespondenz von
Presseberich-ten ber diese Mumie und der Humanoid-Deutung des
Objekts auf den Bildern der Wildka-mera festgestellt werden,
sondern der Einfluss der Bilder auf die Deutung wurde durch Frau M.
direkt verifiziert. Dies zeigt wieder einmal, wie sinnvoll und
fruchtbar die Einnahme einer multidisziplinren Perspektive bei der
Untersuchung von Spontanfllen ist, die gleichermaen die Phnomene
selbst und die durch die Erfahrung ausgelsten sozialen Prozesse,
Dynamiken und Verarbeitungsstrategien in den Blick nimmt.15
DanksagungUnser herzlicher Dank gilt Frau M., die uns viel
Vertrauen entgegenbrachte, indem sie uns die Bilderserien zukommen
lie und die Untersuchung durch ihre kooperative Mitarbeit in
vorbildlicher Weise untersttzte. Ebenfalls danken mchten wir
Hans-Werner Peiniger und Michael Schetsche fr ihren fachlichen Rat.
Andr Kramer hat uns freundlicherweise Fotos der Ata-Mumie zur
Verfgung gestellt.
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Anomalistik. Stutt-gart: Schattauer [im Druck].
Mayer, G. (2014): A remarkable photographic anomaly and the
social dynamics of its interpretation.
15 Dieser Aspekt kommt auch in einer weiteren Untersuchung eines
Fotos mit einem paranormalen Extra markant zum Vorschein, bei der
allerdings keine plausible konventionelle Erklrung/Aufkl-rung
gewonnen werden konnte (Mayer, 2014 und Mayer & Schetsche,
2011: 114-155).
-
24 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier
Journal of the Society for Psychical Research, 78, 25-38.
Mayer, G., & Schetsche, M. (2011). N gleich 1. Methodologie
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-
Zeitschrift fr Anomalistik Band 14 (2014), S. 25-44
Ein neuer europischer Fallvom Reinkarnationstyp1
Dieter Hassler2
Zusammenfassung ber Kinder aus dem europischen Raum, die sich
spontan an ein frheres Leben erinnern, findet man bisher wenig
dokumentiert. Dies gilt vor allem dann, wenn man sich auf sog.
gelste Flle und solche beschrnkt, die nicht in derselben Familie
bleiben. Der hier beschrie-bene Fall gehrt formal zu dieser
seltenen Kategorie und verdient es daher, festgehalten zu werden.
Er weist folgende besondere Merkmale auf: eine Vorahnung der Mutter
des Kindes; drei erstaunlich zutreffende Ankndigungstrume; Aussagen
des Kindes ber die Art seines Todes im frheren Le-ben; spezifisches
Verhalten, speziell in Bezug auf das andere Geschlecht; passende
krperliche Beschwerden und besondere Fhigkeiten des Kindes;
psychokinetische oder Spukvorkommnisse, die sich nach dem Tod der
frheren Person bei deren Mutter ereigneten. Was diesen Fall
zustzlich auszeichnet, ist die Tatsache, dass die frhere Person in
den Armen der zuknftigen Mutter starb. Das mag im Sinne der
Reinkarnationshypothese den Ausschlag dafr gegeben haben, dass die
fr-here Person gerade bei dieser Mutter reinkarnierte. Das zufllige
und flchtige Zusammentreffen der Mutter mit der frheren Person
entwertet den Fall allerdings ein wenig hinsichtlich der spteren
Aus-sagen des Kindes, weil theoretisch die Mglichkeit nicht
ausgeschlossen werden kann, dass das Kind von der Art des Todes der
frheren Person auf normalem Weg erfahren haben knnte. Der Fall
bleibt dennoch berichtenswert, weil er nicht allein oder
hauptschlich auf den Aussagen des Kindes beruht.
Schlsselbegriffe: Reinkarnation frhere Leben Ankndigungstraum
Psychokinese Spuk
A New European Case of the Reincarnation Type
Abstract When selection is restricted to so-called solved cases
not taking place in the same family, there remain only a very small
number of cases of the reincarnation type (CORT) that have been
reported for Europe. The case described in this paper belongs
formally to this rare category and
1 Eine englische Fassung des hier verffentlichten Beitrags ist
zuvor unter dem Titel A new European case of the reincarnation type
im Journal of the Society for Psychical Research, 77, 2013, S.
19-31, erschienen. Wir danken dem Autor (der die deutsche Version
selbst besorgt hat), der Society for Psy-chical Research (London)
und dem Herausgeber, Prof. Dr. Chris A. Roe, fr die freundliche
Abdruck-erlaubnis. (Red.)
2 Dieter Hassler ist Diplom-Ingenieur fr Nachrichtentechnik
(Technische Universitt Darmstadt, 1966) und war u.a. von 1970 bis
1995 in der Ingenieurforschung fr Medizintechnik in Erlangen ttig.
Seit 1996 befasst er sich ausgiebig mit der Reinkarnations- und
berlebensforschung (vgl. Hassler, 2011, 2012).
-
26 Dieter Hassler
consequently deserves recording. A number of features of the
case are described: a premonition experienced by the subjects
mother; three announcing dreams and their accuracy; the subjects
spe-cific behavior, especially that relating to the opposite sex; a
specific ailment affecting the subject; the subjects special
skills; and two incidents of a psychokinetic or poltergeist nature
experienced by the previous personalitys mother after his death.
Additionally, the case is rendered particularly unusual because it
involves a chance encounter between the subjects mother and the
previous personality at the moment of the latters death, suggesting
that the case could have evolved because this encounter offered an
incentive for the previous personality to reincarnate with this
particular mother. Because of the possibility of information
leakage associated with this chance encounter, however fleeting
that may have been, this to some extent devalues the case with
respect to the childs statements about his previous existence: at
least in theory they can be explained by normal means. This case
nevertheless remains worth publishing, because it is not
exclusively or predominantly founded on statements made by the
child.
Keywords: Reincarnation previous lives announcing dream
psychokinesis poltergeist
EinleitungIan Stevenson, der Vater der wissenschaftlichen
Reinkarnationsforschung, bezeichnete Flle von kleinen Kindern, die
spontan ein frheres Leben zu erinnern scheinen, als Flle vom
Reinkarnationstyp (engl. cases of the reincarnation type,
blicherweise abgekrzt zu CORT). Die reichhaltigsten und daher
berzeugendsten von ihnen stammen aus Sdostasien (z.B. Mills, 1989;
Mills & Dhiman, 2011; Stevenson, 1975, 1977, 1983a). Flle
dieser Art wurden in allen Lndern oder Kulturen gefunden, in denen
man nach ihnen gesucht hat (z.B. Rivas, 2005; Stevenson, 1983b).
Die absolute Zahl erforschter europischer CORT ist hingegen
ziemlich gering (Stevenson, 2005). Sie sind hierzulande schwerer zu
finden als in anderen Teilen der Welt. Das knnte dazu gefhrt haben,
dass nur wenige Forscher berhaupt nach ihnen gesucht haben.
Die Mehrzahl europischer CORT bleibt entweder ungelst, d.h. es
wurde keine frhere Person identifiziert, die den Aussagen,
Verhaltensweisen etc. des heutigen Kindes entspricht, oder es
han-delt sich um gelste Familienflle, in denen die heutige und die
frhere Person zur selben Familie gehren. Solche Familienflle sind
naturgegeben mit der Schwche behaftet, dass ein normaler
Informationsaustausch zwischen dem Kind und den Familienmitgliedern
ber die Umstnde der frheren Person nicht sicher ausgeschlossen
werden kann. Dementsprechend reichen bei dieser Kategorie selbst
umfangreiche Aussagen des Kindes ber die frhere Person allein und
fr sich genommen nicht aus, um den betreffenden Fall stark oder
berzeugend zu machen.
Familienflle oder allgemeiner gesagt Flle, bei denen
Informationen ber die frhere Person mglicherweise zu dem
betreffenden Kind durchgesickert sind (information leakage),
-
27Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
knnen als Erklrung dennoch Reinkarnation nahelegen, wenn sie
zustzlich zu den Aussa-rung dennoch Reinkarnation nahelegen, wenn
sie zustzlich zu den Aussa-rung dennoch Reinkarnation nahelegen,
wenn sie zustzlich zu den Aussa-gen des Kindes weitere Indizien
aufweisen, wie z.B. ein entsprechendes spezifisches Verhalten,
spezielle Kenntnisse oder Fhigkeiten, aber auch Leiden oder
Geburtsmale des Kindes, die Wunden der frheren Person
entsprechen.
Die berzeugendsten CORT sind jene, in denen die angeblichen
Erinnerungen des Kindes nicht einfach als normal erworben
eingestuft und damit als irrelevant verworfen werden kn-nen. Das
trifft in Fllen zu, die gelst werden konnten und in denen die
heutige und die frhere Person unterschiedlichen Familien angehren,
die vor der Untersuchung des Falls keine Kon-takte miteinander
hatten (Fremdflle oder nicht-familire Flle). Diese sind in Europa
uerst selten. Ian Stevenson war weltweit der bedeutendste Forscher
fr CORT, aber auch in seinen Verffentlichungen finden sich
lediglich vier gelste Fremdflle aus Europa (Stevenson, 2005: 87,
159, 167, 324). Wie alle CORT leiden auch diese unter Schwchen, die
ihren Wert fr eine Sttzung der Reinkarnationshypothese mindern. In
einem Fall zum Beispiel (Wolfgang Neu-rath; ebd.: 159) waren die
beiden betroffenen Familien als Nachbarn eng miteinander bekannt,
und in einem anderen (Helmut Kraus; ebd.: 167) fand sich in jeder
der beiden Familien nur ein einziger Zeuge, sodass wie leider auch
im vorliegenden Fall keine unabhngige Verifizie-rung mglich
war.
Von anderen Forschern existiert eine kleine Zahl weiterer
solcher Flle. Sie weisen aber hnliche Schwchen auf wie der
vorliegende. Peter und Mary Harrison (Harrison & Harrison,
1991: 11) haben den Fall Nicola beigesteuert, der aber, genau
betrachtet, ungelst geblieben ist, weil Dokumente lediglich ber den
Vater der frheren Person gefunden werden konnten, nicht aber ber
die (vermutlich mnnliche) frhere Person selbst. Ein anderer
eindrucksvoller Fall ist der von Jenny Cockell (Cockell 1994,
2008), der sehr erfolgreich nachgeprft werden konnte, aber nur
durch die betroffene Person selbst, nicht durch unabhngige
Wissenschaftler. Will man grozgig sein, knnte man auch den Fall
Christina zu dieser Klasse zhlen. Er wurde von Rawat und Rivas in
Holland untersucht und verffentlicht (Rawat & Rivas, 2007: 95).
Die Existenz der frheren Person konnte zwar nicht nachgewiesen,
eine sehr wahrscheinlich richtige Spur aber gefunden werden. In
diesem berschaubaren Umfeld scheint es berechtigt, den hier
vorgestellten Fall trotz seiner Schwchen als ein Beispiel fr einen
gelsten europi-schen nicht-familiren Fall darzustellen.
HintergrundSeit der Jahrhundertwende versuche ich, in den
deutschsprachigen Lndern CORT zu finden. Die Mehrzahl aller
Kontakte, die ich mit Eltern knpfte, deren Kinder behauptet hatten,
sich an ein frheres Leben zu erinnern, kam ber das Internet
zustande (Hassler, 2012). Allerdings
-
28 Dieter Hassler
habe ich ber die Zeitspanne von 10 Jahren auf diesem Weg nur
zwei Flle gefunden, die eine Nachprfung lohnend erscheinen lieen
und die ich nach der Prfung wert fand, in einem Buch ber CORT zu
verffentlichen (Hassler, 2011).
Dann rief mich im November 2011 berraschend der Pfarrer der
Christengemeinschaft Erlangen an (Christengemeinschaft Erlangen,
2012), um mir mitzuteilen, dass in unserer Region eine Mutter lebe,
deren Sohn behaupte, sich an ein frheres Leben zu erinnern. Zu
die-sem Anruf konnte es kommen, weil im Gegensatz zu den groen
christlichen Kirchen die Christengemeinschaft den Gedanken der
Reinkarnation nicht ablehnt und weil der Pfarrer seit vielen Jahren
von meinem Interesse an solchen anscheinenden Wiedergeburtsfllen
(CORT) wusste. Ich erhielt den Namen und die Adresse der
betreffenden Mutter. Sie selbst und ihre Familienmitglieder waren
mir unbekannt.
Am 8. November 2011 sprach ich erstmals mit dieser Frau, die ich
hier mit dem Pseudonym Frau Wolf bezeichnen werde. Sie war zur
Krankenschwester ausgebildet worden und hatte anschlieend
Psychologie an der Universitt in Paris studiert. Die Psychologin
arbeitet heute als Psychotherapeutin in privater Praxis. Die
45-Jhrige ist alleinstehend und lebt mit dreien ihrer fnf Kinder
zusammen. In diesem Bericht geht es um ihr drittes Kind, einen
14-jhrigen Jungen, den ich Rolf nennen werde. Er hat zwei ltere und
zwei jngere Schwestern.
Frau Wolf ist seit ihrer Jugend offen fr den Gedanken der
Wiedergeburt. Sie berichtete mir ohne die sonst oft blichen
Vorbehalte oder ngste ber ihre Erfahrungen, wollte aber, um nicht
eines Tages verlacht zu werden, in einer Verffentlichung nicht mit
ihrem wahren Namen genannt werden. Ihre Schilderung war sachlich
und kam ohne Rckgriff auf esoterische Vor-stellungen aus. Ich
schtze ihren Bericht daher als objektiv und glaubwrdig ein, wobei
jedoch zu beachten ist, dass die geschilderten Ereignisse 10 bis 16
Jahre zurckliegen. Wie sich spter herausstellte, irrte sich Frau
Wolf bei manchen Zeitangaben um ein bis zwei Jahre.
Das Geschehen nach Frau Wolfs Schilderung
Vorahnungen
Frau Wolfs Geschichte begann mit dem Besuch einer Disco in
Erlangen im Jahr 1994 oder 1995, wie sie sagte. Spter stellte sich
Mrz 1996 als korrekter Zeitpunkt heraus. Je mehr sich die
Veranstaltung ihrem Ende zuneigte, desto mehr Angst versprte die
Frau vor der Heimfahrt nach Bamberg, wo sie damals lebte. Sie
wusste nicht, warum sie dieses Gefhl bedrckte. Zum Ende hin wurde
es so panikartig, dass sie sich sogar traute, einen ihr vllig
fremden Mann anzusprechen und ihn darum zu bitten, bei ihm
bernachten zu drfen. Frau Wolf beteuerte
-
29Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
im Interview, dass sie damals keine andere Absicht hatte, als
die Heimfahrt mit dem Auto zu vermeiden. Als ihr diese Bitte
abgeschlagen wurde, blieb sie so lange wie mglich in der Disco. Um
2 Uhr morgens war es dann so weit, dass sie nicht lnger bleiben
konnte und fahren musste. Sie beschloss, die Autobahn zu nehmen und
fuhr dort, ganz gegen ihre Gewohnheit, sehr lang-sam, nur 80
km/Std.
Ein anderes Auto berholte sie mit ca. 100 Stundenkilometern und
scherte vor ihr auf die rechte Fahrspur ein. In diesem Moment sah
sie im Schummerlicht der Nacht, dass eine Person von dem
vorausfahrenden Fahrzeug erfasst und zur Seite geschleudert wurde.
Frau Wolf kam mit ihrem Auto neben dem Verunglckten zum Stehen,
stieg aus und zog ihn auf den Standstreifen der Autobahn. Sie
erkannte einen etwa 18-jhrigen jungen Mann, der sie kurz anschaute,
bevor er ohnmchtig wurde. Er begann ein wenig aus Nase und Mund zu
bluten. Der Unterschenkel des rechten Beins stand in einem
unnatrlichen Winkel ab. Frau Wolf nahm den Verunglckten in ihren
Arm und fhlte seinen Puls, der zunehmend schwcher wurde. Als
ehemalige Kranken-schwester ahnte sie, dass der junge Mann sterben
wrde und sprach ihn an: Hab keine Angst. Geh ins Licht und nimm die
Dinge, wie sie sind! Kurz darauf starb er in ihren Armen.
Inzwischen war der Rettungswagen zur Stelle, und es wurden zwei
Stunden lang Wiederbe-lebungsversuche unternommen, die aber
erfolglos blieben.3
Frau Wolf vermutete zu diesem Zeitpunkt, dass der junge Mann
habe Selbstmord begehen wollen. Und zugleich brachte sie ihre
seltsame Panik in der Disco mit diesem Unfall, der ja nicht ihr
eigener war, in Verbindung.
Ankndigungstrume
Frau Wolf bat eine Freundin, fr den Rest der schrecklichen Nacht
zu ihr nach Hause zu kom-men. Erst gegen Morgen gelang es ihr
einzuschlafen. Sie trumte von dem Verunglckten. Sie sah und
erkannte ihn klar wieder. Im Traum schmiegte er sich an sie und lie
sie wissen, dass er zu ihr kommen wolle, um ihr nahe sein zu knnen.
Sie verstand dies sofort als seinen Wunsch, bei ihr zu
reinkarnieren. Doch noch im Traum widersprach sie dem ganz
entschieden. Sie hatte ja nicht an einen Unfall geglaubt und wollte
sich nicht mit einem Selbstmrder belasten. Sie sagte ihm, er gehre
nicht in ihre Familie und solle doch zu seiner eigenen gehen. Das
aber wollte der Verstorbene nicht, weigerte sich, zu seiner Familie
zurckzugehen und bestand dar-auf, als ihr Kind wiederzukommen. Die
beiden konnten sich nicht einigen.
3 Dieser mgliche Zusammenhang zwischen einer scheinbaren
Wiedergeburt und einem tdlichen Au-tounfall knnte die Vermutung von
Ellis (2003) ber eine solche Verbindung etwas weniger phantas-tisch
erscheinen lassen. Sie bezieht sich aber auf einen ganz anderen
Fall.
-
30 Dieter Hassler
In der darauffolgenden Nacht erschien er ihr wieder im Traum und
bat sie erneut, seine zuknftige Mutter zu werden. Doch sie stand
dem auch jetzt noch ablehnend gegenber. In der dritten Nacht nach
dem Unfall trumte sie wiederum von ihm. Diesmal stand er an einem
malerischen See. Auf einem Hgel ganz in der Nhe lag ein Friedhof.
Dort fand eine Beerdi-inem Hgel ganz in der Nhe lag ein Friedhof.
Dort fand eine Beerdi-gung statt. Sie beide, Frau Wolf und der
junge Mann, standen etwas abseits der Trauernden. Der junge Mann
erklrte, dies sei seine Beerdigung.4 Frau Wolf wunderte sich darber
und fragte ihn im Traum, wieso er in der Nhe dieses Sees beerdigt
werde. (In Erlangen gibt es keinen Friedhof auf einem Hgel in der
Nhe eines Sees.) Er antwortete, dies sei sein Heimatsee, der Lago
Maggiore in Italien. (Die sptere Untersuchung ergab, dass der
besagte See neben dem Friedhof, auf dem der Verstorbene beerdigt
wurde, nicht der Lago Maggiore, sondern der Lago di Pieve di Cadore
war.) Fr Frau Wolf machte dieses Szenario keinen Sinn, denn der
blonde Mann mit seinen blauen Augen sah nicht wie ein typischer
Italiener aus.
Aber Frau Wolf schpfte nach diesen Traumbildern die Hoffnung,
dass die Seele des jungen Mannes nun in die nicht-physische Welt
des Jenseits gehen und nicht mehr begehren werde, in ihrer Familie
wiederzukommen. Sie hatte sich indes getuscht. Er erklrte mit
Bestimmtheit, bei ihr sein zu wollen, so, wie er es schon zweimal
vorher getan hatte. Diesmal gab sie ein klein wenig nach. Sie sagte
nun, sie werde sein Wiederkommen unter folgenden Bedingungen
akzeptieren: Er drfe kein Selbstmrder gewesen sein, er msse die
Angelegenheit mit seiner eigenen Familie geklrt haben und er solle
innerhalb von 18 Monaten reinkarnieren. Bei all dem hatte sie den
Hintergedanken, dass sie zu jener Zeit keinen Ehemann oder Freund
hatte und auch keinen haben werde, da sie vollauf damit beschftigt
war, sich um ihre ltere, leuk-miekranke Tochter zu kmmern. Auerdem
war ihr klar, dass sie in jedem Fall verhten wrde, sollte sie doch
eine ungeplante Affre erleben. Der junge Mann zeigte sich mit
diesem Angebot zufrieden, umarmte sie und verschwand in Richtung
Trauerprozession. Damit endete der dritte Traum.
Kontakt mit der Mutter des Verunglckten
Anhand der Angaben aus der Traueranzeige in der Tageszeitung
konnte Frau Wolf die Mutter des Unfallopfers ausfindig machen und
einige Tage nach dem Unglck besuchen. Im Gesprch mit ihr erfuhr
sie, dass es sich bei dem Verunglckten um den 18-jhrigen, blonden
und blauugigen Mario (Name gendert) handelte, der von
deutsch-italienischer Abstammung war. Seine Eltern verbrachten nach
Frau Wolfs Aussage einen Teil des Jahres in Italien, nahe
4 In Wirklichkeit fand die Beerdigung erst drei oder vier Tage
nach dem Traum statt. Die Entscheidung jedoch, das Opfer in Pieve
di Cadore in Italien zu bestatten, hatte die Mutter des
Verstorbenen unmit-telbar nach dessen Tod getroffen.
-
31Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
dem Lago Maggiore, wo der Sohn begraben liegt. (Spter wurde
klar, dass es sich um einen anderen italienischen See gehandelt
hatte.) Den greren Teil des Jahres lebten sie in Deutschland, weil
sie in Erlangen ein Geschft fhrten.
Marios Mutter erzhlte Frau Wolf, ihr Sohn habe sich am Tag des
Unfalls ihr Auto fr eine Spritztour ausgeliehen. Auf der Landstrae
habe er in einer Kurve nahe der Autobahn die Kontrolle ber das
Fahrzeug verloren und sich damit auf dem benachbarten Feld
berschlagen. Offenbar konnte er fast unverletzt aus dem
ramponierten Auto klettern und rannte dann, vermutlich unter
Schock, auf die in der Nhe verlau-fende Autobahn, wo er, wie oben
bereits beschrieben, von einem Pkw erfasst wurde. Ob
Selbstmordabsichten dabei eine Rolle spielten oder er lediglich
Hilfe herbei-holen wollte, ist unbekannt.
In diesem Gesprch erzhlte Frau Wolf Marios Mutter nichts von
ihren Trumen. Sie frchtete, sich andernfalls lcherlich zu machen
oder Probleme her-aufzubeschwren, sollten ihre Trume wider Erwarten
wahr werden.
Nachfolgende EreignisseEineinhalb Jahre nach dem Unfall, so
erinnerte sich Frau Wolf, habe sie dann doch eine Affre mit einem
Mann gehabt. (Spter konnte man nachrechnen, dass es sich um nicht
mehr als 9 Monate gehandelt haben kann.) Da das Kondom gerissen
war, nahm sie die Pille danach, aber sie wurde trotzdem schwanger.
Die Ankndigungstrume hatte sie lngst vergessen, sodass sie die
Schwangerschaft nicht mit dem verstorbenen Mario in Verbindung
brachte. Am 9. Septem-ber 1997 brachte sie in Erlangen einen
blonden Jungen mit blauen Augen zur Welt, den wir hier Rolf
nennen.
Abb. 1: Die rtliche Tageszeitung Erlanger Nachrichten berichtete
am 11.
Mrz 1996 ber den Unfall.
-
32 Dieter Hassler
Rolfs Aussagen ber seinen Tod im frheren Leben
Als Rolf drei oder vier Jahre alt war, erzhlte er seiner Mutter
ganz unvermittelt: Ich habe schon einmal gelebt. Ich starb bei
einem Verkehrsunfall, aber es war nicht schlimm. Ich habe ein
bisschen am Kopf geblutet, und mein Bein tat weh.
Diese Bemerkungen lsten bei Frau Wolf nicht nur groe
Verwunderung aus. Pltzlich erinnerte sie sich nach Jahren auch
wieder an den Unfall und an die anschlieenden Trume mit der
Ankndigung einer Wiedergeburt. Rolfs Beschreibung der Unfallfolgen
entsprach genau ihrer Erinnerung: Blutung am Kopf und ein
verletztes Bein. Rolf machte diese erstaunli-che Aussage leider nur
einmal, als er mit seiner Mutter allein zusammen war. Es gibt also
keine weiteren Zeugen fr diesen Vorfall.
Rolfs Verhaltensmerkmale
Frau Wolf charakterisierte mir gegenber ihren Sohn Rolf
folgendermaen:1. Modische Kleidung ist ihm wichtig. Was das
betrifft, ist er ein Trendsetter in seiner
Umgebung.2. Er liebt besonders amerikanische Bekleidung.3. Er
braucht Stunden, um sich sein Haar herzurichten.4. Er verwendet
Parfm am Krper, nicht nur Body Lotion.5. Er ist charmant und
versteht es, andere um den Finger zu wickeln.6. Seine Art zu gehen
und seine Krperhaltung sind Mittel, um Aufmerksamkeit auf sich
zu lenken.7. Die Mdchen seines Alters himmeln ihn an.8. Wenn er
es drfte, wrde er sich das Haar frben.9. Er ist anderen gegenber
hilfsbereit.10. Er hat praktisches Geschick (bei der Gartenarbeit,
mit elektronischen Gerten).11. Einmal zeigte er eine erstaunliche
Gabe, ein Portrt schnell zu malen, nutzt diese Fhig-
keit bisher aber nicht.12. Psychischem Druck hlt er nur schlecht
stand.13. Er zeigt ein gewisses Interesse an Religion. Er wird auf
eigenen Wunsch konfirmiert.14. Er isst gerne teure Speisen.15. Er
besitzt kein sprachliches Talent.
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33Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
16. Einige Begebenheiten lassen vermuten, dass er eine gewisse
Fhigkeit zur Telepathie besitzt.
17. Die angefhrten Verhaltensmerkmale 1, 3, 4, 5, 6 und 8 kann
man als speziell weibliche Eigenschaften ansehen. Bisher ist
allerdings nicht klar, ob Rolf homosexuell veranlagt ist.
Rolfs krperliche Merkmale
Wie Stevenson (1997) gezeigt hat, sollten bei CORT nicht nur
Verhaltensmerkmale der heuti-gen mit denen der frheren Person
verglichen werden, sondern auch deren krperliche
Beson-derheiten.
Rolf hat eine Schwachstelle in den Knien. Seit seinem dritten
Lebensjahr spielt er gern Fu-ball und trainiert viel. Mit 12 begann
er, sich ber anhaltende Schmerzen im rechten Knie zu beschweren.
Sechs Monate spter schmerzte auch das linke. Er bat sogar seine
Mutter, mit ihm deswegen zum Arzt zu gehen. Dieser diagnostizierte
die Osgood-Schlatter-Krankheit5 und sagte, das werde sich
hchstwahrscheinlich geben, bevor er 18 sei. Rolf ist stark
allergisch gegen viele Pollenarten. Seine blauen Augen und das
blonde Haar lassen sich genetisch erklren.
Untersuchung des FallesFrau Wolf hat keine schriftlichen Notizen
zu diesem Geschehen angefertigt. Sie berichtete mir darber
lediglich nach dem Gedchtnis. Was eventuelle Zeugen anbelangt, so
wre vielleicht ein Interview mit jener Freundin von Wert, die ihr
in der Unfallnacht zur Seite gestanden hat. Aber ungefhr 6 Monate
nach dem Unglck auf der Autobahn brach der Kontakt zwischen bei-den
ab, und Frau Wolf sieht derzeit keine Mglichkeit mehr, ihn wieder
herzustellen. Leider war auch keine weitere Person zugegen, als der
kleine Rolf gegenber seiner Mutter die mysteris anmutende Aussage
ber seinen Unfall machte. Also gibt es auch hierfr keinen
unabhngi-gen Zeugen. Die einzigen, die fr Besttigungen noch in
Frage kmen, sind die Schwiegermut-ter von Frau Wolf und Marios
Eltern. Frau Wolfs Kontakt zu Marios Mutter beschrnkt sich auf den
schon erwhnten Besuch bei ihr kurz nach dem Unfall. Seither besteht
keinerlei Beziehung mehr zwischen den beiden. Die Liste der zu
befragenden Zeugen ist also leider nur recht kurz.
5 Morbus Osgood-Schlatter ist eine bei sporttreibenden jungen
Mnnern recht hufige schmerzhafte Reizung des Ansatzes der
Patellasehne am vorderen Schienbein, bei der sich auch Knochenstcke
aus dem Schienbein lsen und nekrotisieren knnen.
-
34 Dieter Hassler
Ergebnis der Zeugenbefragung und aufgefundene Dokumente
Ich sprach mit Rolf am 12. Juni 2012, als er 14 Jahre alt war.
Es war damals noch gar nicht lange her, dass ihm seine Mutter von
den Ereignissen auf der Autobahn, von ihren Trumen und von ihrer
Vermutung erzhlt hatte, dass er die Wiedergeburt von Mario sein
knnte. Er aber sagte im Interview mit mir klipp und klar, er habe
weder eine direkte Erinnerung an ein frheres Leben noch etwa daran,
als kleines Kind seiner Mutter vom Tod bei einem Autounfall erzhlt
zu haben. Ich zeigte ihm 10 Gegenstnde aus Marios persnlichem
Besitz, vermischt mit 10 Gegenstnden aus meinem eigenen Haushalt,
um zu sehen, ob er (vermuteten) frheren Besitz richtig
wiedererkennt. Aber er konnte mit keinem der Objekte etwas
anfangen. Rolf wurde auch vor das Geschft von Marios Eltern gefhrt,
reagierte aber auch hier nicht im Geringsten so, als ob es ihm
bekannt vorkomme. Diese negativen Ergebnisse stehen allerdings
vllig im Einklang mit dem, was man von vergleichbaren CORT-Fllen
her kennt. In aller Regel verlieren die Kinder ihre angeblichen
Erinnerungen an frhere Leben im Alter von 7 bis 8 Jahren.
Frau Wolfs Schwiegermutter befragte ich ebenfalls, doch sie gab
an, von all dem keine Kenntnis zu haben.
Meine Briefe an Marios Eltern wurden nicht beantwortet. Ich
versuchte daher, ber itali-enische Vereine in Erlangen und ber
Geschftsinhaber italienischer Abstammung mit ihnen in Kontakt zu
kommen. Auch dies blieb ohne Erfolg. Lediglich die Stadtverwaltung
konnte ein wenig weiterhelfen, indem sie mir die Geburts- und
Sterbedaten von Mario berlie. Damit war ich in der Lage, die
Traueranzeige und einen kurzen Artikel ber den Unfall in der
Tages-zeitung Erlanger Nachrichten zu finden (vgl. Abb. 1). Der
Artikel besttigt die von Frau Wolf oben bereits genannten Fakten
ber das Unglck. Mario wurde am 16. Mai 1977 in Ludwigsha-fen
geboren, und er starb am 9. Mrz 1996 in der Nhe von Baiersdorf bei
Erlangen.
Erst jetzt stellte sich heraus, dass Rolfs Geburtstag (9.
September 1997) auf den Tag genau 18 Monate nach Marios Tod liegt
und damit der Vereinbarung entspricht, die in Frau Wolfs Traum
getroffen wurde. Der Friedhof von Pieve di Cadore, wo Mario
beerdigt wurde, liegt wie man im Internet finden kann in hgeligem
Gelnde nahe einem See, und dies entspricht auch dem Bild in Frau
Wolfs drittem Traum.
Als Marios Vater wieder von Italien nach Erlangen zurckkehrte,
hatte ich Gelegenheit, auch ihn zu interviewen. Er hatte nicht viel
zu dem Fall beizutragen. Er bezeichnete Mario als einen charmanten
jungen Mann, der sehr auf sein ueres Erscheinungsbild achtete. Die
Adresse von Marios Mutter und Schwester konnte er mir nicht geben,
weil er lngst geschieden und neu verheiratet ist und den Kontakt zu
seiner frheren Frau und auch zu seiner Tochter verloren hat.
-
35Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
Aussagen von Marios MutterAus der Traueranzeige kannte ich aber
den vollen Namen von Marios Mutter, sodass ich dank Internet doch
noch ihre aktuelle Wohnadresse ausfindig machen konnte. Ich traf
die Frau zu einem lngeren Gesprch am 16. April 2012. Entgegen
meiner anfnglichen Befrchtung stellte es sich nicht als allzu
problematisch heraus, mit ihr ber den Tod ihres Sohnes und die
darauf-folgenden Ereignisse zu sprechen, denn sie glaubt an
Reinkarnation und hat eine entsprechende Einstellung zum Tod.
Auerdem hat auch sie bereits paranormale Erfahrungen gemacht, die
ihre spirituelle Denkweise sttzen. Ich musste nicht viele Fragen
stellen, weil sie frei ber das traurige Ereignis sprach. Im
Interview vermied ich tunlichst, Suggestivfragen zu stellen, und
gab nichts von dem preis, was mir bereits durch Frau Wolf ber den
Fall bekannt geworden war. (Eine wrtliche Wiedergabe des Gesprchs
verbietet sich aber hier aus Platzgrnden.)
Verhaltensmerkmale
Zu Lebzeiten, so sagte Marios Mutter, hatten sie und ihr Sohn
ein enges Vertrauensverhltnis zueinander. Sie charakterisierte
ihren verstorbenen Sohn durch die in Tabelle 1 aufgefhrten
Merkmale.
Tab. 1: Aussagen ber Marios Verhalten und Charakter im Vergleich
mit denen Rolfs
Aussagen von Frau Wolf ber ihren Sohn Rolf
Aussagen von Marios Mutter ber Mario
1. Modische Kleidung ist ihm wichtig. Was das betrifft, ist er
ein Trendsetter in seiner Umgebung.
Modische Kleidung und ein perfektes Outfit waren ihm wichtig. In
der Schule war Mario der Trendsetter, was die Kleidung
betrifft.
2. Er liebt besonders amerikanische Bekleidung.
Kleidung im amerikanischen Stil liebte er besonders.
3. Er braucht Stunden, um sein Haar her-zurichten.
Mario pflegte sein Haar peinlich genau.
4. Er verwendet Parfm am Krper, nicht nur Body Lotion.
Er parfmierte seinen Krper.
-/- Er rasierte sogar seine Krperbehaa-rung.
-
36 Dieter Hassler
5. Er ist charmant und versteht es, andere um den Finger zu
wickeln.
Er war sehr beliebt.
6. Seine Art zu gehen und seine Krper-haltung sind Mittel, um
Aufmerksam-keit auf sich zu lenken.
Sein Gang war aufrecht und weiblich.
7. Die Mdchen seines Alters himmeln ihn an.
Die Mdchen seines Alters himmelten ihn an, aber er lehnte deren
Annhe-rungsversuche ab.
8. Wenn er es drfte, wrde er sich das Haar frben.
Er liebte schwarze Haare. Mit 13 war er sich bewusst, schwul zu
sein und verliebte sich in einen schwarzhaarigen (weihutigen)
Jungen. Er frbte seine Haare nicht.
-/- Mario dunkelte aber seine Haut mit Creme und im
Solarium.
9. Er ist anderen gegenber hilfsbereit. Er war anderen gegenber
hilfsbereit.
10. Er hat praktisches Geschick (bei der Gartenarbeit, mit
elektronischen Ger-ten).
Seine praktischen Fhigkeiten zeigten sich darin, wie schnell er
lernte, Spei-seeis herzustellen oder Auto zu fahren. Er brach die
Schulausbildung vorzeitig ab, weil er seine Zukunft darin sah, Eis
herzustellen und zu verkaufen.
11. Einmal zeigte er eine erstaunliche Gabe, ein Portrt schnell
zu malen, nutzt diese Fhigkeit bisher aber nicht.
Mario konnte gut zeichnen und malen. Einmal fertigte er ein
lgemlde in einer Nacht an und ein anderes Mal eine Zeichnung, die
sich ber eine ganze Wand seines Zimmers erstreckte.
12. Psychischem Druck hlt er nur schlecht stand.
Mario hielt dem andauernden psychi-schen Druck seitens seines
Vaters und seiner Schwester stand, uerte aber auch seinen Willen zu
sterben. Ob sein Tod als Flucht vor diesem Druck ver-standen werden
muss, bleibt unklar.
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37Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
13. Er zeigt ein gewisses Interesse an Reli-gion. Er wird auf
eigenen Wunsch kon-firmiert.
Mario zeigte Interesse an Religion (Sci-entology).
14. Er isst gerne teure Speisen. Einmal bestand sein grter
Wunsch darin, mit seiner Mutter exklusiv zum Essen auszugehen.
-/- Er hatte die Marotte, gebrochen Deutsch zu sprechen.
15. Er besitzt kein sprachliches Talent. Er hatte sprachliches
Talent. Er sprach flieend Italienisch, Deutsch und ame-rikanisches
Englisch. Er tat sich leicht, Franzsisch zu lernen.
16. Einige Begebenheiten lassen vermuten, dass er eine gewisse
Fhigkeit zur Tele-pathie besitzt.
Seine Mutter gestand ihm telepathische Fhigkeit zu.
-/- Er hatte gute Tischmanieren.
Die Punkte 5, 8 und 15 rechne ich zu schwachen oder nicht
vorhandenen bereinstimmun-gen, so dass 13 gleichartige
Verhaltensmerkmale verbleiben.
Krpermerkmale
Mario besa ein Geburtsmal auf der rechten Seite seines Krpers
und eine lange, nur schwach sichtbare Narbe ber seinen Augenbrauen.
Nichts dergleichen zeigt sich bei Rolf. Mario und Rolf weisen nach
meinem Dafrhalten aber hnliche Gesichtszge auf. Weil ich Anonymitt
zugesagt habe, kann ich dies nicht mit Photos belegen. Aber
Personen aus meinem Bekannten-kreis, denen ich die Portrts gezeigt
habe, teilten den Eindruck, dass es sich um Brder handeln knnte.
Mario war gegen Pollen allergisch, wie Rolf heute. Marios Mutter
besttigte die unfall-bedingte Verletzung seines rechten Knies. Es
war eingegipst, als sie ihn im Krankenhaus liegen sah. Dies mag
Rolfs Kniebeschwerden entsprechen.
-
38 Dieter Hassler
Marios Tod und Beerdigung
Mit 13 war sich Mario klar darber, dass er homosexuell war.
Kurze Zeit vor seinem Tod erfuhr er, dass der Junge, in den er sich
verliebt hatte, bereits anderweitig gebunden war und nur eine
platonische Beziehung wollte. Darber wollte er dringend mit seiner
Mutter reden. Aber die hatte kurzfristig keine Zeit fr ein solches
Gesprch. Stattdessen musste er sich von ihr anh-ren, dass sie sich
scheiden lassen wolle. Das htte zur Konsequenz gehabt, dass er
knftig mehr mit seinem Vater und seiner Schwester zu tun gehabt
htte. Zu beiden hatte er aber ein sehr angespanntes Verhltnis. Er
hasste sie geradezu, weil er als Junge von ihnen krperlich schwer
verletzt und seelisch tyrannisiert worden war. Dieser enorme
psychische Druck lste bei ihm eine Depression aus und knnte wie
auch seine Freunde spter sagten durchaus zu einem Todeswunsch
gefhrt haben.
Marios Mutter blieb in der Frage einer Selbstmordmotivation
unentschlossen. Immerhin war er im Auto angeschnallt, als dieses
von der Fahrbahn abkam und sich berschlug. Man schnallt sich doch
nicht an, wenn man Selbstmord begehen will, argumentierte sie. Er
knnte eher beabsichtigt haben, Hilfe herbeizuholen, als er auf die
Autobahn lief, und so, noch dazu in einem Schockzu-stand,
unabsichtlich in den Weg des herankommenden Autos geraten sein. Es
knnte aber auch sein, dass alles fr ihn einfach zu viel der Last
geworden war: der Schaden am Auto seiner Mutter zusammen mit seinen
Beziehungsproblemen in Familie und Partnerschaft. Im Selbstmord
knnte er also durchaus die einzig verbleibende Lsung fr all seine
Probleme gesehen haben.
Marios Mutter besttigte, dass der Friedhof von Pieve di Cadore,
auf dem Mario beerdigt wurde, in hgeligem Gelnde liegt und der nahe
liegende See von dort aus gut zu sehen ist gerade so, wie es Frau
Wolf in ihrem dritten Traum erlebt hatte.
Das oben angesprochene z.T. angespannte Verhltnis von Mario
gegenber seiner Familie passt gut zu seiner Haltung in Frau Wolfs
Traum. Er bestand darauf, nur zu ihr kommen zu dr-fen. Zu seiner
Mutter, mit der er zwar eine gute Beziehung hatte, konnte er nicht
wieder gehen, denn in ihrem jetzigen Leben stand keine weitere
Geburt mehr an. Zu Vater und Schwester zog es ihn nicht, weil er
sie hasste.
Psychokinetische Effekte oder Spuk nach Marios TodAuch Marios
Mutter berichtete von Ereignissen nach Marios Tod, die sie als
Versuch ihres ver-storbenen Sohnes ansieht, mit ihr Kontakt
aufzunehmen. Sie hat, wie sie sagte, die Angewohn-heit, beim
Autofahren CDs mit leichter Unterhaltungsmusik zu hren. Wenn frher
Mario mit-fuhr, hatte der regelmig dagegen protestiert und einen
Sender eingeschaltet, der Popmusik bringt. Als sie drei Wochen nach
Marios Tod eine Strecke befuhr, auf der sie oft mit ihrem Sohn
-
39Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
gefahren war, musste sie unwillkrlich an ihn denken. Just in
diesem Moment schaltete das Autoradio ohne dass Marios Mutter etwas
dazu getan htte vom CD-Spieler auf Rundfunk um und spielte
Popmusik. Sie deutete dies spontan als Eingreifen seitens ihres
verstorbenen Sohnes. Weil sie sich dessen aber nicht ganz sicher
war, fragte sie lieber in einer Autowerkstatt nach. Dort erhielt
sie die Auskunft, das Radio knne sich nicht selbstttig
umschalten.
Etwa sieben Wochen nach Marios Tod ereignete sich etwas
hnliches. In ihrem Geschft in Erlangen gingen unvermittelt alle
Lichter aus. Auch die nhere Umgebung lag im Dun-keln. Marios Mutter
rief die Stadtwerke an, aber sie erfuhr dort nur, dass nichts von
einem Stromausfall bekannt sei, man aber einen Techniker schicken
wolle. Nach der Erfahrung mit dem Autoradio schpfte Marios Mutter
den Verdacht, ihr verstorbener Sohn knne hinter all dem stecken.
Deshalb sagte sie laut: Mario, hr auf mit dem Unsinn! Du kannst
doch nicht alle Lichter ausmachen, solange noch Kunden im Laden
sind. Sofort gingen die Lichter wieder an. Sie rief daraufhin die
Stadtwerke erneut an; erhielt aber keine Erklrung fr diesen
Vorfall.
Herkmmliche ErklrungenDie grte Schwche dieses Falles ist in der
Tatsache zu sehen, dass es keine unabhngigen Zeu-gen gibt, weder fr
die Aussagen von Frau Wolf noch fr die von Marios Mutter.
Erschwerend kommt hinzu, dass beide Hauptzeugen an die
Reinkarnation glauben und so die Gefahr ten-denziser
Berichterstattung besteht. Theoretisch knnte Frau Wolf den Fall
sogar frei erfunden und die dafr ntigen Informationen der Zeitung
entnommen haben. Ich sehe allerdings kein Motiv dafr, denn sie htte
dabei nichts gewonnen. Auch zeigte sie keinerlei Absicht, einen
Vorteil fr sich herauszuschlagen. Andernfalls htte sie nicht darauf
bestanden, anonym zu bleiben. Ihr wurde im Verlaufe der
Nachforschungen auch keine Vergtung bezahlt. Mein persnlicher
Eindruck war, dass ich es bei beiden Hauptzeugen mit ehrlichen,
sich rational verhaltenden Menschen zu tun hatte, die keinen Anlass
boten, ihre jeweiligen Berichte als unglaubwrdig einzuschtzen.
Wenn man den Fall in seine einzelnen Elemente zerlegt und die
Teile getrennt voneinan-der beurteilt, erscheint es durchaus
mglich, jedes dieser Teile entweder herkmmlich oder auch als
parapsychologisches Phnomen zu deuten, wobei paranormale Ereignisse
heute in der Regel als Wirkung einer lebenden Person interpretiert
werden.
Wenn der Fall, wie oben gesagt, vermutlich nicht rundherum
erfunden ist, so knnte Rolf immerhin vieles von seiner Mutter auf
normalem Wege erfahren haben, ohne dass sich Frau Wolf heute dessen
noch bewusst ist (information leakage). Immerhin besteht sie
darauf, ihrem Sohn nichts ber den Unfall und ihre eigenen
Aktivitten danach erzhlt zu haben.
-
40 Dieter Hassler
Sie versichert ferner nachdrcklich, sie haben die ganze
Vorgeschichte bis zu Rolfs berra-schender uerung vergessen gehabt.
ber diese Ereignisse habe sie ausschlielich mit der oben erwhnten
Freundin und mit jenem Pfarrer gesprochen, der mich spter ber den
Fall informierte. Ihre Zurckhaltung, ber die Dinge zu reden,
grndete in der Angst, verlacht zu werden. Mehr noch frchtete sie,
dass Marios Mutter versuchen knnte, mit Rolf Kontakt auf-zunehmen,
und das wrde, so glaubte sie, umso eher gelingen, je mehr sie
darber rede. Aus ihren Trumen hatte Frau Wolf den Eindruck
gewonnen, dass Marios Seele lieber zu ihr als zu seiner frheren
Familie kommen wollte. Es mag ja irrational sein, sagte sie, aber
irgendwie habe ich das Gefhl, Rolf vor seiner frheren Mutter
beschtzen zu mssen. Dies sieht sie als psychologisch wirksame Grnde
dafr, dass sie niemals, auch nicht in der Familie, ber Marios
Unfall gesprochen hat und Rolf dementsprechend auf normalem Wege
nichts hat mitbekommen knnen. Auch will Frau Wolf sich nie vor
ihrem Sohn ber ihre Auffassungen zur Reinkarnation verbreitet
haben.
Ich habe keinen Grund, ihr all das nicht zu glauben. Dennoch
knnte sie sich irren und doch etwas gesagt haben, das Rolf gehrt
hat, ohne dass es ihr bewusst war oder sie sich an ihre uerungen
erinnert. Dann allerdings htte man angesichts der Reaktionen Rolfs
zu unterstellen, dass ein drei- oder vierjhriger Junge das Konzept
der Wiedergeburt versteht, alle Wissenselemente geschickt
zusammenfgen und auf sich selbst bezogen dramatisierend darstellen
kann. Und das alles vielleicht nur, um seiner Mutter zu gefallen!?
Wenn dies nun unglaubwrdig klingt, dann knnte man noch vermuten,
Rolf habe paranormale Fhigkeiten, die es ihm erlauben, die Fakten
ber den Unfall in Erfahrung zu bringen, um sie personalisiert in
eine Reinkarnationsgeschichte zu kleiden.
Frau Wolfs Vorahnung des Unfalls knnte als Prkognition
verstanden werden, ein bekann-tes parapsychologisches Phnomen, das
keinen Bezug zu einem Jenseits braucht. Ich sehe darin allerdings
nicht mehr als eine Umbenennung. Niemand versteht diesen Prozess
wirklich so, dass er den Wirkmechanismus aufdecken knnte. Alles,
was wir haben, sind viele gleichgela-nnte. Alles, was wir haben,
sind viele gleichgela-nnte. Alles, was wir haben, sind viele
gleichgela-gerte Beispiele. Alternativ mag man an zuflliges
Zusammentreffen (ohne inneren Zusammen-hang oder gar Kausalitt)
glauben.
Frau Wolfs Ankndigungstrume knnte man als Kombination eines
uneingestandenen Kinderwunsches mit Telepathie oder Hellsichtigkeit
interpretieren, die zu zutreffendem Wissen ber jenen italienischen
Friedhof und seine Umgebung gefhrt haben mag. Der im Traum
verhandelte und taggenau nach 18 Monaten eingehaltene Geburtstag
kann wieder als Prkognition oder aber als reiner Zufall gesehen
werden. Allerdings darf bezweifelt werden, dass es den
uneingestandenen Kinderwunsch wirklich gab. Schlielich widersetzte
sich Frau Wolf im Traum nachhaltig dem Wunsch, das Unfallopfer als
zuknftigen Sohn bei sich zu haben.
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41Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp
Die hnlichkeit von 13 Verhaltensmerkmalen im Vergleich zwischen
Mario und Rolf kann ebenfalls als Zufall interpretiert werden.
Allerdings ist die Menge der bereinstimmungen (ohne
Unvereinbarkeiten) bemerkenswert.
Rolfs Kniebeschwerden bedrfen keiner Erklrung, weil es keinen
Grund gibt, in ihnen einen Zusammenhang mit Marios Schicksal zu
sehen. Es drfte sich um ein zuflliges Zusam-mentreffen handeln,
ebenso wie bei Marios und Rolfs Allergien. Solche sind heute so
weit ver-breitet, dass es nicht unwahrscheinlich ist, sie bei zwei
Personen zu finden.
Psychokinetische Ereignisse mssen nicht mit einer verstorbenen
Person in Verbindung gebracht werden, auch wenn dies vom
Erfahrungstrger so interpretiert wird. In beiden Fllen war eine
Fokusperson zur Stelle (Marios Mutter), deren Trauer die psychische
Energie geliefert haben mag, die gengte, um die genannten Phnomene
hervorzubringen, Phnomene, welche die Betroffene aber auch trsten
konnten, indem sie einen sichtbaren Beweis lieferten, dass die
Seele des Verstorbenen den Tod berlebt habe. Wer diese Erklrung
bevorzugt, sollte sich aller-dings bewusst sein, dass es bislang
keinerlei Beweise dafr gibt, dass ein Lebender die unmittel-bare
Ursache fr physikalische Wunder sein kann gleichgltig, wie intensiv
seine psychische Not auch sein mag. Ein Wirkmechanismus (modus
operandi) dafr ist fr Lebende ebenso unbekannt wie fr Tote. Von
Psi-Feldern lediglich zu sprechen, erklrt auch nicht wirklich, wie
Psi funktioniert (Roll & Persinger, 2001). Man wei nur, dass
sich solche Dinge auf der ganzen Welt und ber viele Jahrhunderte
immer wieder ereignet haben und dies noch immer tun, ohne dass man
sie immer durch Tuschung oder Betrug erklren knnte (Gauld &
Cornell, 1979).
Paranormale Elemente des FallesEin Einzelfall wie der
vorliegende reicht nicht aus, um die alte Streitfrage zu klren, ob
es statt-haft ist, einen Fall in seine Einzelteile zu zerlegen und
unabhngig von denkbaren inneren Zusammenhngen jedes Element
isoliert zu beurteilen, wie das im vorherigen Abschnitt geschehen
ist. Wenn man alle Elemente als miteinander verbunden, also als
Einheit versteht, erweist es sich als wenig glaubhaft, dass so
viele Unwahrscheinlichkeiten und ungeklrte para-normale Phnomene
grundlos zusammengekommen sein sollten, um einen Fall zu bilden,
der nach Reinkarnation aussieht.
Da ist zum einen Rolfs unerwartete Kenntnis von Fakten, zu der
er sehr wahrscheinlich nicht auf normalem Wege gekommen sein kann,
und zum anderen sein Bedrfnis, dieses Wis-sen als kleines Kind in
eine persnliche Reinkarnationsgeschichte zu verpacken. Hinzu kommt
Frau Wolfs emotionale Vorahnung, zusammen mit ihrem
Ankndigungstraum, in dem sie Rolfs Geburt taggenau vorausahnte und
korrekt die Friedhofsumgebung und den Friedhof sah, auf dem Mario
beerdigt worden war. Weiterhin zhlen die 13 Verhaltensmerkmale
dazu, die bei
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42 Dieter Hassler
Mario und Rolf erstaunlich gut zusammenpassen. Rolf hat eine
Krperschwche und Schmerzen ausgerechnet im Knie, jener Stelle, an
der Marios Bein verletzt worden war. Schlielich scheint sich Mario
aus dem Jenseits zu melden. All diese Ereignisse werden von einer
Reinkarnations-hypothese oder von einem spiritistischen Modell
abgedeckt, welches Reinkarnation einschliet.
SchlussbetrachtungObwohl der vorliegende Fall formal zu den
leider immer noch seltenen gelsten europ-ischen nicht-familiren
Fllen zhlt, fllt er auf das Evidenzniveau eines gelsten
Familien-falles zurck. Denn durch die Ankndigungstrume und das
zufllige Zusammentreffen von Mario mit Frau Wolf wurde eine
Verbindung zwischen den frheren und heutigen Familien hergestellt,
die theoretisch ein Durchsickern von Information ermglicht haben
kann. Man mag sich aber fragen, ob es diesen Fall berhaupt gbe,
wenn es diese Verbindungen nicht gegeben htte. Die bereinstimmung
der Verhaltensmerkmale von Mario und Rolf ist nicht so berzeugend
wie in Stevensons starken Fllen (Hassler, 2011: 43, 57, 87, 193,
246). Fr wichtige Fakten hat es hier keine unabhngigen Zeugen
gegeben. Denno