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Verantwortlicher Redakteur: Gerd H. Hövelmann, M.A. (Marburg) Allgemeine Redaktionsanschriſt: Zeitschriſt für Anomalistik, Redaktion Carl-Strehl-Str. 16, 35039 Marburg E-Mail: [email protected] Redaktion: Dr. Gerhard Mayer (Freiburg), Ursula Olfenbüttel (Münster), Dr. Andreas Sommer (London), Dr. Ulrike Voltmer (Saarbrücken), Dr. Edgar Wunder (Heidelberg) Wissenschaſtlicher Beirat: ISSN 1617-4720 www.anomalistik.de Impressum Dipl.-Psych. Eberhard Bauer (Psychologie, Freiburg) Prof. Dr. Peter Bräunlein (Ethnologie, Göttingen) Prof. Dr. Etzel Cardeña (Psychologie, Lund/Schweden) Prof. Dr. Günter Ewald (Mathematik, Bochum) Prof. Dr. Erlendur Haraldsson (Psychologie, Reykjavik) Prof. Dr. Dr. Andreas Hergovich (Psychologie, Wien) Prof. Dr. Dieter B. Herrmann (Astronomie, Berlin) Herstellung: COD, Saarbrücken Prof. Dr. Klaus E. Müller (Ethnologie, Frankfurt/Main) Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Geschichte, Freiburg) Dr. Rüdiger Plantiko (Mathematik, Zürich) PD Dr. Michael Schetsche (Soziologie, Freiburg) Prof. Dr. Kocku von Stuckrad (Religionswissenschaſt, Groningen) Prof. Dr. Christian iel (Philosophie, Erlangen) Prof. Dr. Dr. Harald Walach (Psychologie, Frankfurt/Oder) Erscheinungsort: Edingen-Neckarhausen Herausgeber: Gesellschaſt für Anomalistik e.V., Felix-Wankel-Str. 7, D-68535 Edingen-Neckarhausen E-Mail: [email protected], www.anomalistik.de Zeitschrift für Anomalistik
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ZfA 2014_1 ges

Oct 03, 2015

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  • Verantwortlicher Redakteur: Gerd H. Hvelmann, M.A. (Marburg)

    Allgemeine Redaktionsanschrift: Zeitschrift fr Anomalistik, RedaktionCarl-Strehl-Str. 16, 35039 MarburgE-Mail: [email protected]

    Redaktion:Dr. Gerhard Mayer (Freiburg), Ursula Olfenbttel (Mnster), Dr. Andreas Sommer (London), Dr. Ulrike Voltmer (Saarbrcken), Dr. Edgar Wunder (Heidelberg)

    Wissenschaftlicher Beirat:

    ISSN 1617-4720

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    Impressum

    Dipl.-Psych. Eberhard Bauer (Psychologie, Freiburg)Prof. Dr. Peter Brunlein (Ethnologie, Gttingen)Prof. Dr. Etzel Cardea (Psychologie, Lund/Schweden)Prof. Dr. Gnter Ewald (Mathematik, Bochum)Prof. Dr. Erlendur Haraldsson (Psychologie, Reykjavik)Prof. Dr. Dr. Andreas Hergovich (Psychologie, Wien)Prof. Dr. Dieter B. Herrmann (Astronomie, Berlin)

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    Prof. Dr. Klaus E. Mller (Ethnologie, Frankfurt/Main)Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Geschichte, Freiburg)Dr. Rdiger Plantiko (Mathematik, Zrich)PD Dr. Michael Schetsche (Soziologie, Freiburg)Prof. Dr. Kocku von Stuckrad (Religionswissenschaft, Groningen)Prof. Dr. Christian Thiel (Philosophie, Erlangen)Prof. Dr. Dr. Harald Walach (Psychologie, Frankfurt/Oder)

    Erscheinungsort: Edingen-Neckarhausen

    Herausgeber: Gesellschaft fr Anomalistik e.V., Felix-Wankel-Str. 7, D-68535 Edingen-NeckarhausenE-Mail: [email protected], www.anomalistik.de

    Zeitschrift fr Anomalistik

  • Erscheinungsweise und Bezugsmglichkeiten: Die Zeitschrift fr Anomalistik erscheint mit 3 Nummern pro Jahr, wobei manche Hefte zu Doppelnummern oder Jahresbnden zusammengefasst werden. Einzelhefte haben mindestens 80 Seiten, Doppelnummern mindestens 160 Seiten. Ein Jahresabonnement kostet 32,-. Einzelhefte werden bei normalem Umfang gegen 12,- abgegeben, Doppelnummern gegen 22,-. Mitglieder der Gesellschaft fr Anomalistik e.V. erhalten die Zeitschrift fr Anomalistik kostenlos im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Bestellbar ist die Zeitschrift fr Anomalistik bei der Gesellschaft fr Anomalistik mittels des Bestellformulars auf der letzten Seite dieser Ausgabe. Ein Abonnement gilt, falls nicht befristet bestellt, zur Fortsetzung bis auf Widerruf. Kndigungsfrist: 6 Wochen vor Ablauf des laufenden Kalenderjahres.Bankverbindung:Gesellschaft fr Anomalistik e.V., Konto 507 377 02, Postbank Stuttgart (BLZ 600 100 70). 2014 Gesellschaft fr Anomalistik e.V.Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beitrge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung auerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulssig und strafbar. Namentlich gekennzeichnete Beitrge decken sich nicht notwendigerweise mit der Meinung von Herausgeber und/oder Redaktion. Die Autoren sind verantwortlich fr die Richtigkeit der in ihren Beitrgen mitgeteilten Tatbestnde.

    Profil der Zeitschrift

    Die Zeitschrift fr Anomalistik versteht sich als ein wissenschaftliches Forum zur Frderung eines kontroversen Diskurses ber wissenschaftliche Anomalien, auergewhnliche menschliche Er-fahrungen und sog. Parawissenschaften. Sie unterliegt einem doppelt verblindeten Peer Review-Verfahren. Verffentlicht werden empirische Forschungsberichte, allgemeine Abhandlungen zu methodischen, konzeptuellen, philosophischen oder wissenschaftshistorischen Aspekten, Review-Artikel, Kommentare und Diskussionsbeitrge, sowie Buch rezensionen. Leitende For-schungsfragen zu wissenschaftlichen Anomalien, auergewhnlichen menschlichen Erfahrun-gen sowie Parawissenschaften sind die nach Wahrheitsgehalt und Erklrungsmodellen, nach den psychosozialen Hintergrnden der damit verbundenen berzeugungssysteme, sowie nach den sozialen Rahmenbedingungen von durch Anomalien provozierten Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaft. Methodenpluralismus, konkurrierende wissenschaftstheoretische Anstze, sowie interdisziplinre Zugnge sind erwnscht.Unter Anomalien werden unter wissenschaftlich kontrollierten Bedingungen erzielte Beobachtungsergebnisse verstanden, die bisherigen theoretischen Vorstellungen und Annahmen ber die Welt zu widersprechen scheinen, fr die es also bisher noch keine Erklrung im Rahmen konventioneller Theorien zu geben scheint. Mit dem berbegriff auergewhnliche menschli-che Erfahrungen werden subjektive Erlebnisse und Erfahrungen auerhalb von wissenschaftlich kontrollierten Bedingungen bezeichnet, die als querstehend zur normalen Alltagserfahrung empfunden und deshalb oft als paranormal, transpersonal, ber natrlich, unerklrlich mysteris usw. eingestuft werden. Parawissenschaften sind heterodoxe Systeme des Wissens, deren Akzeptanz, Legitimitt und Geltung in einer Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, wobei die Semantik der Wissenschaft als Mittel der Auseinandersetzung dient.

  • Band 14 (2014), Nr. 1Zeitschrift fr Anomalistik

    Inhaltsverzeichnis

    Impressum ........................................................................................................................................... 1

    Profil der Zeitschrift ........................................................................................................................... 2

    Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................................... 3

    Hauptbeitrge

    Gerhard Mayer, Jrgen KornmeierRtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera oder: die Tcken der Wahrnehmung ................................................................................................................................... 7

    Dieter HasslerEin neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp ............................................................... 25

    Etzel CardeaFr eine ergebnisoffene und vorurteilslose Untersuchung des gesamten Spektrums des Bewusstseins. Ein Aufruf ......................................................................................................... 45

    Fortgesetzte Diskussionen zu frheren Beitrgen

    Zum Aufsatz von Kevin A. Whitesides und John W. Hoopes Seventies Dreams and 21st Century RealitiesZeitschrift fr Anomalistik 12 (2012), 50-74

    John Major Jenkins: The Coining of the Realm (of the 2012 Phenomenon): A Critique of the Whitesides and Hoopes Essay ............................................................ 53

    The authors respond:Kevin A. Whitesides, John W. Hoopes: Mythology and Misrepresentation:A Response to Jenkins .......................................................................................................... 62

  • Zur Rezension des Buches Die Merseburger Zaubersprche durch Gerd H. HvelmannZeitschrift fr Anomalistik 13 (2013), 413-418

    Gerd H. Hvelmann: Wortzauber und Zauberwort. Nachgedanken zu den Merseburger Zaubersprchen ...................................................................................... 69

    Zur Rezension des Zeitschriftenbandes Astrology Under Scrutiny durch Suitbert ErtelZeitschrift fr Anomalistik 13 (2013), 431-437

    Wout Heukelom, Geoffrey Dean, Arthur Mather, David Nias, Rudolf Smit: Erwiderung auf Professor Ertels Besprechung von Astrology Under Scrutiny ....... 73

    Der Autor antwortet:Suitbert Ertel: Astrologie: Was unmglich scheint, verdient erhhte Beachtung ......... 75

    Essay ReviewAlan SchinkKritische Konspirologie. Eine DoppelrezensionLance DeHaven Smith (2013)Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter, eds. (2014) .......................................... 77

    Rezensionen

    Andr Kramer, Klaus Felsmann, Natale Guido Cincinnati (Eds.) (2013). UFOs Phnomen oder Fantomphnomen? Eine Analyse des UFO-Phnomens anhand der ungeklrten Sichtungsflle der GEP Rezensent: Bernhard Prschold ........................................................................................... 91

    William S. Sax, Johannes Quack, Jan Weinhold (Eds.) (2010). The Problem of Ritual Efficacy Rezensent: Gerhard Mayer ................................................................................................... 94

    Sebastian Bartoschek, Alexa Waschkau, Alexander Waschkau (2013). Muss man wissen! Ein Interview mit Dr. Axel Stoll Rezensent: Andr Kramer ..................................................................................................... 99

    Ulrich Magin (2011). Investigating the Anomalies: Sea-Serpents in the Air, Volcanoes that Arent, and Other Out-of-Place Mysteries Rezensent: Andreas Trottmann ......................................................................................... 104

    Mark Benecke (2013). Seziert. Das Leben von Otto Prokop Rezensent: Andreas Anton ................................................................................................ 107

  • Abstractdienst/Literaturspiegel

    Andreas Sommer, Gerd H. Hvelmann .......................................................................................... 118

    Hinweise fr Autoren und Kommentatoren ............................................................................... 121

    Inhalte frherer Ausgaben der Zeitschrift fr Anomalistik ....................................................... 123

    Schriftenreihe der Gesellschaft fr Anomalistik ........................................................................ 129

    Bestellformular ................................................................................................................................ 135

  • Zeitschrift fr Anomalistik Band 14 (2014), S. 7-24

    Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera oder: die Tcken der Wahrnehmung

    Gerhard Mayer1 und Jrgen Kornmeier2

    Zusammenfassung Einige Bilder, die mit einer Wildkamera aufgenommen wurden und zwei vermeintlich paranormale Objekte zeigen, wurden untersucht. Es konnten plausible konventionelle Erklrungen gefunden werden. Anhand dieses Fallbeispiels werden einige grundlegende berle-gungen zur Analyse paranormaler Fotografien sowie zu den konstruktiven Aspekten menschlicher Wahrnehmung gemacht. In der Fallrekonstruktion werden kontextabhngige Faktoren und mediale Einflsse, die sehr wahrscheinlich zu einer paranormalen Deutung fhrten, diskutiert.

    Schlsselbegriffe: Paranormale Fotografie Bildanalyse Pareidolie Spuk Wahrnehmungs-psychologie Atacama-Mumie Mentale Reprsentationen

    Mysterious Objects in the Photographs of a Wild-Life Camera Or: The Pitfalls of Perception

    Abstract Some photographs are analyzed that were taken by a wild-life camera and depict two supposedly paranormal objects. Plausible conventional explanations were found. This case study serves as an example for some basic reflections on the analysis of paranormal photographs and on constructive aspects of human perception. In our analysis of this case, we discuss context-dependent factors and media influences that most probably induced the paranormal interpretation.

    Keywords: paranormal photography image analysis pareidolia haunting perceptual psychol-paranormal photography image analysis pareidolia haunting perceptual psychol-ogy Atacama mummy mental representations

    1 Dr. Gerhard Mayer ist Psychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts fr Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. in Freiburg i.Br. Redaktionsmitglied der Zeitschrift fr Ano-malistik. Seit 2012 Geschftsfhrer der Gesellschaft fr Anomalistik. e.V.

    2 Der Neurowissenschaftler Dr. Jrgen Kornmeier ist ebenfalls Mitarbeiter des Instituts fr Grenzgebie-te der Psychologie und Psychohygiene und Privatdozent an der Universitt Freiburg.

  • 8 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    In einem schwarzen Fotoalbum mit nem silbernen KnopfBewahr ich alle diese Bilder im Kopf

    (Sido: Bilder im Kopf)

    Bilder im Kopf und die konstruktiven Aspekte menschlicher WahrnehmungMit dem ffnen des Fensters zur Welt, also dem Beginn differenzierter Wahrnehmung, gene-rieren Menschen bedeutungsvolle Muster aus den Strukturen der einstrmenden Sinnesdaten, um die Welt da drauen verstehen und in ihr berleben zu knnen. Unsere Alltagserfahrung suggeriert, dass die Welt genau so ist wie wir sie sehen. Zahlreiche optische Tuschungen zeigen uns jedoch, dass wir nur einen eingeschrnkten Zugang zu der uns umgebenden Information haben. Zum Beispiel wird beim ersten Schritt visueller Verarbeitung die Information einer dreidimensionalen Welt auf zweidimensionale Netzhute abgebildet. Wir verlieren also den direkten Zugang zu einer kompletten Dimension und mssen diese Information aus Sekun-drinformationen (Verdeckung, Schattenwurf, Bewegungsparallaxe etc., siehe Rock, 1998) rekonstruieren. Ein weiteres Beispiel findet sich in der Farbwahrnehmung: Was wir als Farbe wahrnehmen ist ein winziges Fenster von Wellenlngen eines im Vergleich dazu riesigen Spektrums elektromagnetischer Wellen, die tglich, von der Sonne ausgesendet, auf die Erde fallen. Wellenlngen innerhalb dieses Fensters knnen unsere verschiedenen Lichtrezeptoren in der Netzhaut aktivieren. Wir sehen die Welt farbig. Fr Wellenlngen auerhalb dieses win-zigen Fensters sind wir blind.

    Ein weiteres Wahrnehmungsproblem resultiert aus der Anatomie unseres Wahrnehmungs-apparates: Whrend unsere Netzhute ber etwa 125 Millionen lichtempfindliche Zellen (Rezeptoren) verfgen, muss die enorme Menge an sensorischer Information ber nur eine

    Abb. 1: (a) Bei lngerer Betrachtung wechselt unsere Wahrnehmung des Necker-Wrfels (Necker, 1832) spontan und wiederholt zwischen zwei verschiedenen rumlichen Interpretationen hin und her. (b) Disambiguierte Wrfelvarianten, die den beiden Interpretationen des Necker-Wrfels entsprechen

  • 9Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Million ableitender Nervenzellen (Ganglionzellen) vom Auge zum Gehirn transferiert werden (Schacter, 2011). Die vorhandene Datenmenge muss also auf intelligente Weise reduziert wer-den. Die Notwendigkeit zur Datenreduktion beginnt damit schon im Auge und setzt sich als roter Faden bis zu einer Verarbeitungsebene fort, auf der bewusste Wahrnehmung mglich wird (vgl. Gregory, 2009).3

    Um stabile und verlssliche Ergebnisse zu produzieren, gewichtet unser Wahrnehmungs-apparat die eingehende sensorische Information mit bisherigen, in unserem Gedchtnis abgespeicherten Seherfahrungen. Unsere Wahrnehmung ist damit das Ergebnis eines hoch-effizienten und uns in seiner Entstehung weitgehend unbewussten Konstruktionsprozesses, der von unserer Vorerfahrung stark beeinflusst werden kann. In unserem Gehirn entsteht also ein Weltmodell (Metzinger, 1999), das aus mentalen Reprsentationen bestehend quasi als ein Bild der Welt da drauen handlungsleitend wird. Zunehmende Lebenserfahrung vergrert den Bestand der mentalen Reprsentationen, der neben Konzeptionen realer Objekte auch solche von imaginierten Objekten oder Geschehnissen (Zwerge, Aliens, Turmbau zu Babel) einschliet.

    Wenn von Bildern im Kopf die Rede ist, so ist das selbstverstndlich metaphorisch gemeint. Es wre falsch, sich vorzustellen, man htte im visuellen Kortex eine Art Bilderbuch, in dem wir mit einem inneren Auge die Bilder betrachten. Die optischen Bilder, die sich auf der Netzhaut des Auges abbilden, werden zu Nervenimpulsen verarbeitet und in die entsprechenden Gehirn-zentren weitergeleitet. Die folgenden Zeilen des berhmten Wahrnehmungsforschers Richard Gregory beschreiben diesen Zusammenhang besonders treffend:

    The brain creates descriptions from simple features received from the senses and repre-sented by the activity of specialized neurons of the brain. Representations may be stored in memory, and indeed perceptions and memory are closely related (Gregory, 2009: 7).

    Die Folgen der eingeschrnkten Verfgbarkeit sensorischer Information und der Notwendigkeit zur Datenreduktion knnen vielfltig sein. Es kann zu Wahrnehmungs-instabilitten kommen, wenn aufgrund der verfgbaren Information zwei oder mehrere Interpretationen ungefhr gleich wahrscheinlich sind und unsere Wahrnehmung spontan und nur eingeschrnkt kontrollierbar zwischen diesen hin- und herspringt (Long & Toppino, 2004, Kornmeier, 2012). Ein berhmtes Beispiel ist der Necker-Wrfel in Abbildung 1, fr den es zwei ungefhr gleichwertige rumliche Interpretationsmglichkeiten gibt. Ein weiteres Beispiel (Abbildung 11) kann entweder als Totenkopf gesehen werden wenn der Abstand des

    3 Gregory (2009) hat mit seinem Buch Seeing Through Illusions eine lohnenswerte Einfhrung zu die-sem Thema verfasst. Grundlegendes zur menschlichen Wahrnehmung findet sich auch in Goldstein et al. (2008), eine populrwissenschaftliche Einfhrung bietet Gegenfurtner (2011).

  • 10 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Beobachters gro genug ist, dass kleine Bilddetails nicht mehr erkennbar sind oder als Dame vor einem Spiegel bei detaillierter Betrachtung aus der Nhe.

    Es kann aber auch zu Fehlinterpretationen kommen, wenn die perzeptuelle Interpretation nicht mit dem wahrgenommenen Objekt bereinstimmt. Hier ist das psychologische Phnomen der Pareidolie zu nennen, der Neigung, in Zufallsmustern bekannte und sinnhafte Strukturen wahrzunehmen, etwa Gesichter, Gestalten, bekannte Objekte oder auch Stimmen. Ein prominentes Beispiel fr dieses Phnomen ist das sogenannte Marsgesicht, eine in einer bestimmten rumlichen Auflsung an ein Gesicht erinnernde Landschaftsformation auf dem Mars. Ein hher aufgelstes Bild, das einige Jahre spter aufgenommen wurde konnte die Gesichts-Interpretation schlielich ausschlieen (Abbildung 4).

    Abb. 2 und 3: Marsgesicht[Quelle Abb. 2 u. 3: http://photojournal.jpl.nasa.gov/catalog/IA01141 (Zugriff: 01.07.2014)]

    Abb. 4 zeigt dieselbe Landschaftsformation in anderer Beleuchtung und aus einem anderen Blickwinkel[Quelle: http://www.nasa.gov/multimedia/imagegallery/image_feature_60.html (Zugriff: 01.07.2014)]

  • 11Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Solche Fehlfunktionen unserer Wahrnehmung treten in der Regel dann auf, wenn die Qualitt der verfgbaren sensorischen Information nicht ausreichend ist und somit die enorme interpretative Leistungsfhigkeit unseres Wahrnehmungssystems an seine Grenzen kommt. Sie erffnen uns Einblicke hinter die Kulissen und zeigen uns, welcher Mittel sich unser Wahrneh-mungssystem bedient, um das Wahrnehmungsproblem zu lsen.

    Beispiele wie die Pareidolie zeigen andererseits aber auch eine evolutionsbiologisch wich-tige Funktion unseres Wahrnehmungssystems, unabhngig von der Qualitt der verfgbaren sensorischen Information mglichst schnell zu einer perzeptuellen Interpretation zu gelangen. Das schnelle Erkennen von Objekten und Erfassen von Situationen war im Laufe der Evolution sicherlich von vitaler Bedeutung.

    Fr die Anomalistik haben sie allerdings ebenfalls eine groe Bedeutung. Wird nmlich eine (vermeintliche) Anomalie beobachtet oder dokumentiert, so muss diese Eigenschaft beim Abwgen der Zuverlssigkeit der Beobachtung bzw. der Interpretation der dokumentierten Anomalie als ein elementarer Faktor in Betracht gezogen werden.4 Das ist wohlbekannt und wird bei der Untersuchung von Spontanfllen und vor allem von paranormalen Fotos, also Fotografien, auf denen angeblich etwas Unerklrliches oder unerklrlich zustande Gekomme-nes abgebildet ist, bercksichtigt (siehe Mayer, 2014 fr einen berblick). Im Folgenden wollen wir eine krzlich durchgefhrte Untersuchung von Fotografien vorstellen, die mit einer Wild-kamera aufgenommen worden sind und etwas Merkwrdiges zeigen.5

    Bilder unserer Wildkamera Aufnahmesituation und KontextinformationenAm 15. Juni 2014 kam ber die Webseite der Gesellschaft fr Anomalistik e.V. (GfA, [email protected]) eine Anfrage zu Bildern, die mit einer Wildkamera aufgenommen worden waren und auf denen Merkwrdiges zu sehen ist. Bei der Kontaktperson, Frau M., handelt es sich um eine passionierte Jgerin. Die Aufnahmen entstanden schon am 2. bzw. 4. Juli 2013 und wurden daraufhin im Bekanntenkreis von Frau M. auch diskutiert, ohne dass es zu einer hinreichend zufriedenstellenden Erklrung der merkwrdigen Objekte gekommen wre. Der Wunsch nach Aufklrung fhrte zu Recherchen im Internet und schlielich zu einer entspre-chenden Anfrage bei der GfA. Frau M. stellte daraufhin zwei Serien von jeweils drei Bildern, auf denen die Extras so der Fachbegriff fr Objekte oder Elemente in Fotografien, die als Abbildungen von Anomalien diskutiert werden erkennbar sind, fr eine Untersuchung zur Verfgung.

    4 Vgl. Wackermann (2014) allgemein zum Thema Wahrnehmungsanomalien.5 Diese Untersuchung wurde vom Erstautor G.M. vorgenommen.

  • 12 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Die Aufnahmen wurden auf einer Kirrung6 mit einer Wildkamera (Primos Truth Cam 35) gemacht. Diese Kamera reagiert auf Bewegung (Infrarotsensor) und war so eingestellt, dass sie jeweils drei Bilder in Folge im Sekundenabstand schiet. Dabei wurde ein Infrarotblitz ausgelst.7 Die Kamera war an dieser Stelle vor allem fr die Dokumentation einer Rotte Wild-schweine installiert worden, die im letzten Jahr [] diese Kirrung recht regelmig besucht hatte (E-Mail vom 16.06.2014).

    6 Als Kirrung wird ein Platz bezeichnet, an dem Jger Getreide und anderes nicht fleischliches Futter zum Anlocken von Wild ausbringen.

    7 Weitere technische Merkmale der Kamera: Die Auflsung betrgt bei Tageslicht 3 MP, bei Dunkelheit schaltet die Kamera automatisch auf S/W-Modus mit einer Auflsung von 1,3 MP um. Der Erfas-sungsbereich des Sensors ist auf die Hlfte des Abbildungsbereichs der Kamera begrenzt. Siehe http://assets.academy.com/mgen/98/10104798.pdf [Zugriff: 4.7.2014].

    Abb. 5: Zweites Bild der Serie 1 vom 2. Juli 2013 (f/2,8; 1/125sec; ISO 100; Bild aufgehellt, Belichtung korrigiert, Extra markiert)

  • 13Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Die drei Aufnahmen mit dem ersten Extra entstanden am 2. Juli 2013 um 7.51 Uhr. Sie zeigen die Kirrung. Im Zentrum der Bilder befindet sich ein Holzpfosten, auf dem ein weier Behlter platziert ist. Auf der Verbindungslinie zwischen dem unteren Ende des Holzpfostens und der rechten unteren Bildecke befindet sich ein Objekt, das sich in dem durch die drei Auf-nahmen erfassten Zeitraum von zwei Sekunden deutlich bewegt. Es wird durch Tannenzweige im Vordergrund und durch ein Farnblatt verdeckt (siehe Abbildung 5). Die Gre des Objekts und dessen Entfernung zur Kamera ist aus den Bildern allein nicht leicht zu ermitteln. Aller-dings kann man aus Angaben von Frau M. sowie weiteren Aufnahmen, die an dem Ort gemacht wurden, abschtzen, dass das Objekt etwa eine Hhe von 10 cm aufwies (Frau M. schrieb, etwas unsicher: nicht ganz 10cm?).

    Abb. 6: Erstes Bild der Serie 2 vom 4. Juli 2013 (f/2,8; 1/30sec; ISO 100; Extra markiert)

  • 14 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Die Aufnahme, die das zweite Extra zeigt (Abbildung 6), entstand als erstes Bild einer weiteren Serie von drei Fotografien, die am 4. Juli 2013 um 11.04 Uhr entstanden und leicht berbelichtet sind. Auf diesem Foto befindet sich links unterhalb des weien Behlters auf dem Holzpfosten eine verschwommene durchsichtig-weiliche Form in der Luft. Sie ist etwas gr-er abgebildet als der weie Behlter. Auf den beiden darauffolgenden Aufnahme (jeweils eine Sekunde spter entstanden) ist kein Extra zu sehen. Frau M. kommentierte die Aufnahmen in einer E-Mail vom 16. Juni 2014 folgendermaen:

    Wir sind beide passionierte Jger und haben natrlich an unseren Kirrungen Wildkameras stehen. Im letzten Jahr hatten mehrere[,] aber insbesondere eine Rotte Sauen diese Kirrung recht regelmssig besucht[,] so dass wir unsere Kamera dort hingehangen haben[,] um die Regelmssigkeit und die Uhrzeiten zu kontrollieren. Hierbei fiel uns dann im letzten Jahr auf, dass auf den Bildern nicht die erwartete Rotte war[,] sondern sich unten rechts im Bild etwas merkwrdiges befindet, die Kamera ist auf 3 Sekunden (also bei Bewegung schiesst sie 3 Bilder in 3 aufeinanderfolgenden Sekunden) eingestellt, so dass Bewegungen gut mitgeschnitten werden und wenn man die Bilder schnell hintereinander laufen lsst oder schnell klickt kann man die Bewegung sehr schn erkennen (Datum und Uhrzeit sind unten am Bild ersichtlich /amerikanische Daten). Das wre dann Bild 7-9. (am besten in einen gesonderten Ordner extrahieren und dann schnell hintereinander klicken, unten rechts hinter dem Farn sieht man die Gestalt sich bewegen).

    2 Tage spter kam dann noch einmal eine merkwrdige Aufnahme hinzu, nmlich wiede-rum im 3-Sekunden-Takt erhebt sich etwas in die Luft, ist nur auf einer Aufnahme drauf, das heisst es war schneller als die eine Sekunde, da weder der Anflug, das erheben [sic!], oder die Richtung[,] wohin es verschwunden ist[,] zu sehen ist. Vorher und nachher gibt es kein einziges Bild[,] wo dieses Ding drauf ist.

    Anbei mchte ich dann noch persnlich anmerken, wir hier sind uns alle sicher dass dies kein Tier ist, und komischerweise nach den Tagen im letzten Juli kam kein einziges Tier mehr an unsere Kirrung, erst dieses Jahr im Februar kommen vereinzelt wieder Tiere vorbei, mal ein Reh, mal ein Fuchs, aber die Sauen sind weg und kommen auch hier nicht mehr (SAUEN sind sehr empfindsam, haben einen sehr guten Geruchs- und Wahrneh-mungssinn).

    Das Extra in der ersten Serie wurde als eine sich bewegende Gestalt identifiziert. Aufgrund der Anmutung eines kleinen humanoiden Schdels hatte sich eine anomalistische Deutung festgesetzt (wir hier sind uns alle sicher[,] dass dies kein Tier ist). Das mutmalich sonderbare Verhalten der Tiere in einem lngeren darauffolgenden Zeitraum sowie die zwei Tage spter aufgenommene Dreierserie (4. Juli 2013, 11.04 Uhr), die ebenfalls ein merkwrdiges Extra auf einem der Bilder aufweist, verstrkten eine anomalistische Interpretation, weswegen dann auch bei den Klrungsversuchen per Internetrecherche der Kontakt zur GfA entstand.

  • 15Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Analyse der FotosWhrend die Fotos der ersten Serie fr uns zunchst irritierend blieben, konnte fr das Extra auf dem ersten Bild der zweiten Serie schnell eine hinreichend plausible Deutung gefunden werden: Es drfte sich um ein ganz nahe vor der Kamera vorbeifliegendes Objekt (z.B. Insekt) handeln, welches der Bewegungsmelder erfasste. Durch die groe Nhe zur Kamera war es bei der zweiten Aufnahme schon auerhalb des von der Kamera erfassten Bereichs. Zur Unschrfe, die durch eine Position auerhalb des Bereichs der Tiefenschrfe der Kamera (Blende = 2,8 [!]) entsteht, kommt noch eine Bewegungsunschrfe hinzu, die durch eine Belichtungszeit von 1/30 Sekunde bedingt ist. Diese fr das helle Tageslicht (11.04 Uhr) unnatrlich lange Belich-tungszeit bei einer Blende von 2,8 (exif-Metadaten), die zu einer berbelichtung des Bildes fhrte, drfte durch eine teilweise Verdeckung des Belichtungssensors durch das vorbeiflie-gende Objekt zustande gekommen sein.8 Auch wenn diese Interpretation mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist, lsst sich das Zustandekommen eines solche Extras auf plausible Art konventionell erklren.9

    Bei der Analyse der Bilder der ersten Serie war zunchst die Grenschtzung des Ext-ras ein Problem. Da das Objekt grtenteils durch Pflanzenbewuchs (Tannenzweige im Vor-dergrund, Farne) verdeckt ist, fehlten auf den Fotos hinreichend gute Referenzgren. Aus diesem Grund, aber auch um einen besseren Eindruck vom Funktionieren der Wildkamera zu bekommen, erbaten wir von Frau M. weitere Fotoserien, die an den beiden Tagen aufgenom-men worden waren. So erhielten wir drei weitere Dreierserien: Die erste war am 1. Juli 2013 um 22.59 Uhr aufgenommen worden, die zweite am 2. Juli 2013 um 4.46 Uhr, die dritte schlielich am 2. Juli um 19.45 Uhr alle drei im S/W-Modus. Auf der letzten Serie ist ein Vogel (vermutlich ein Eichelhher) zu sehen, anhand dessen man eine Grenschtzung des Objekts vornehmen konnte (siehe Abbildung 7).

    8 In der Bedienungsanleitung der Kamera ist unter den Hinweisen zum Betrieb zu lesen: Empty Pho-tos/False Triggers [] If there are limited, random photos with no game present, the following scenarios are most likely 1) an animal ran through the picture extremely fast or 2) a smaller animal/bird is around the camera/sensor but is not in the camera field of view [] (http://assets.academy.com/mgen/98/10104798.pdf Zugriff: 4.7.2014).

    9 Das Foto wurde auch Hans-Werner Peiniger zur Begutachtung vorgelegt, der sich der Argumentation und der Deutung des Objekts als eines fliegenden Insekts anschloss (E-Mail vom 3. Juli 2014). Peini-ger ist 1. Vorsitzender der Gesellschaft zur Erforschung des UFO-Phnomens e.V. und hat langjhrige Erfahrung mit der Interpretation von eigentmlichen Objekten auf Fotografien. Wir danken ihm fr seine rasche und unkomplizierte Kooperation.

  • 16 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Unsere Schtzung entsprach in etwa den Angaben von Frau M., die sich die Stelle, an dem das Objekt auf den Fotos zu sehen ist, noch einmal genauer vor Ort angeschaut und das verde-ckende Farnblatt entfernt hatte. Zunchst wurden die Belichtung und der Kontrast der etwas unterbelichteten Bilder fr die Erkennbarkeit des Objekts optimiert. Auerdem wurde zu die-sem Zweck die Farbgebung manipuliert (z.B. Herausfiltern der starken Grnanteile), so dass verschiedene Varianten der Bilderserie entstanden. Die Betrachtung der drei Bilder in schnel-ler Abfolge lie die sich innerhalb des Zeitraums von zwei Sekunden sichtbaren Bewegungen zutage treten.10 Sie begrenzen sich, neben der Bewegung einiger Baumzweige am Bildrand, auf die direkte Umgebung des Objekts.

    Ausgehend von einer Schdelform, die spontan ins Auge springt, lie sich ein kleines humanoides Wesen erkennen, welches einen Gegenstand in den Hnden hlt.11

    10 Auf den Webseiten der GfA knnen die drei Bilder in animierten Abfolgen betrachtet werden: siehe http://www.anomalistik.de/zeitschrift/artikel/zfa2014114abb.html .

    11 Frau M. beschrieb es in einer Nachbefragung folgendermaen: tatschlich sieht es ja so aus wie ein kleiner Mann mit vielen Muskeln, der beim Klicken der Kamera etwas mit der rechen Hand vom

    Abb. 7: Bilderserie vom 2.7.2013 um 19.45 Uhr mit Vogel (Ausschnitte)

    Abb. 8: Bilderserie vom 2.7.2013 Ausschnitte mit dem Extra

  • 17Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Das wiederholte Durchklicken der verschiedenen farblichen Varianten der Bildserie in schneller Folge erffnete eine plausible Alternativdeutung: Einen Eichelhher. Die Deutung des Objekts kippte vergleichbar etwa mit den Wahrnehmungsvorgngen bei der Betrach-tung von gemeinhin bekannten Kippbildern oder -figuren (Gregory, 2009: 121-138; siehe auch Abbildung 11).

    Der Vorgang der Neuinterpretation wurde sicherlich gefrdert durch die Betrachtung der anderen Bilderserien, da ja auf einer von ihnen ein Vogel zu erkennen ist. Mit dem Kippen der Deutung wurde aus dem vermeintlich stockhnlichen Gegenstand in den Hnden eines humanoiden Wesens der Schwanz eines Eichelhhers. Fr die meisten Betrachter gewann diese Deutung einen hohen Grad an Nachvollziehbarkeit und Plausibilitt. Vor allem die

    Boden aufhebt und in Richtung Kamera hlt (E-Mail vom 1. Juli 2014).

    Abb. 9 und 10: Ausschnitte der Bilder 2 und 3 (aufgehellt und konstrastverstrkt) mit eingezeichnetem humanoidem Wesen

  • 18 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Bewegung lsst sich gut identifizieren: Im ersten Bild steht der Vogel seitlich. Der Schwanz zeigt nach links und ist leicht nach oben gerichtet. Rechts ist sogar die Form des Schnabels zu erkennen (wenngleich nur schwer identifizierbar). Auf dem zweiten Bild hat sich der Vogel aufgerichtet und den Kopf zur die Kamera gewendet. Beim Auf-richten hat sich der Schwanz gesenkt und ist als schwarzer Schatten ber dem hellen Ast sichtbar. Im dritten Bild hat sich der Schwanz durch die Aufrichtung des Vogels noch weiter gesenkt.

    Die Interpretation eines totenkopfhnli-chen Schdels mit schwarzen Augenhhlen entsteht durch die Reflektion des seitlich einfallenden Sonnenlichts auf dem Gefieder des Vogelkopfes, wobei die Binnenzeichnung und die Details auf dem Bild berstrahlt werden, mit Ausnahme der zwei typischen schwarzen Halsflecken im Gefieder des Eichelhhers.

    Die Bilderserie wurde mehreren Personen zur Beurteilung vorgelegt, zunchst nur mit der Zusatzinformation, dass es sich um Auf-nahmen handle, die mit einer Wildkamera gemacht worden seien. Eine Person erkannte auf Anhieb einen Vogel; andere konventionelle Deutungen gingen dahin, dass es sich um ein Erdmnnchen oder um einen Marder handle. Nach entsprechenden Hinweisen wurde die Interpretation des Objekts als Eichelhher von fast allen Personen als sehr plausibel erachtet. Ein wichtiger Faktor fr die Identifizierung lag in diesem Fall in der schnellen Abfolge von Bildprsentationen, die das Objekt bewegt erscheinen lie. Auf diese Weise konnten die Umrisse eines Vogels erahnt werden.

    Abb. 11: All is vanity. Kippbild von Charles Allen Gilbert (1873-1929)[ h t t p : / / c o m m o n s . w i k i m e d i a . o r g / w i k i /C ategor y :Re vers ible_f igure?us e lang=de# mediaviewer/File:Allisvanity.jpg Zugriff: 04.07.2014]

  • 19Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Abb. 12 - 14: Ausschnitte der Bilder 1, 2 und 3 (aufhellt und kontrastverstrkt) mit eingezeichnetem Eichelhher

    Abb. 15: Eichelhher in frontaler Kopfansicht mit den typischen schwarzen Flecken am Hals

  • 20 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Der Fluch der Atacama-MumieIn der Wahrnehmungspsychologie wohl bekannt, aber immer wieder beeindruckend ist der massive Einfluss, den unsere perzeptuelle Vorerfahrung auf das aktuelle Wahrnehmungser-gebnis haben kann. Dabei knnen verschiedene Zeitskalen, von lngst Vergangenem bis zu unmittelbar Zurckliegendem in unterschiedlicher Intensitt eine Rolle spielen.

    In vorliegendem Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass solche Einflsse die Betrachter der Wildkamera-Bilder in einen anomalistischen Kontext stellten lieen. Ein zentraler Punkt hier-bei war die berzeugung von Frau M. und ihren Jagdkollegen ihres Zeichens erfahrene Jger, die sicherlich auch eine gewisse Erfahrung mit Bildern ihrer Wildkamera haben , dass das rtselhafte Objekt kein Tier sein knne. Ein weiterer Punkt ist die Aussage von Frau M., dass seit dem Tag der Fotoaufnahmen Tiere (vor allem die frher regelmig erscheinenden Wild-schweine) den Ort gemieden htten.

    Auch wenn der Anspruch besteht, ein solches Phnomen ergebnisoffen zu untersuchen und dabei nichtkonventionelle Erklrungsmglichkeiten nicht a priori kategorisch auszuschlieen, sollten vorab alle mglichen konventionellen Erklrungsmglichkeiten sorgfltig geprft werden. Eine eingehende Untersuchung des zeitlichen Kontexts dieses Ereignisses ist hierbei unbedingt notwendig. Im vorliegenden Falle waren neben der merkwrdigen und nicht zu erwartenden humanoiden Schdel- oder Gesichtsform (kein Tier), das in dem lngeren Zitat aus Frau M.s E-Mail beschriebene unscharfe Extra auf einem Bild der zwei Tage spter aufge-nommenen Serie, sowie das vermeintlich sonderbare Tierverhalten im Folgezeitraum wichtige Anhaltspunkte. Fr sich alleine genommen htte jenes zweite Extra mglicherweise nicht zu einer solchen Irritation gefhrt, aber in einem Zusammenhang mit dem Objekt der ersten Serie gesehen bekam es einen verstrkenden Charakter; und ein Ausbleiben von Tieren an sich also ohne eine anomalistische Hypothese im Hintergrund wrde vermutlich auf wenig aufsehen-erregende Weise konventionell erklrt werden knnen. In beiden Punkten ist zu beachten, dass sie retrospektiv eine schon vorher bestehende anomalistische Deutung verstrken, aber nicht urschlich fr sie sind.

    Die Assoziationen, die die humanoide Form in einem der Autoren selbst ausgelst hatten, betrafen Bilder von der etwa 13 Zentimeter groen Mumie, die im Jahr 2003 in der mexikani-schen Atacama-Wste gefunden, von manchen als Alien-Mumie interpretiert und ausfhrli-chen Gen-Tests unterzogen worden war.12

    12 Eine wissenschaftliche Publikation der Ergebnisse ist derzeit in Vorbereitung. Siehe http://grenz-wissenschaft-aktuell.blogspot.de/2014/06/neue-informationen-von-dr-garry-nolan.html [Zugriff: 7.7.2014].

  • 21Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Um etwas ber die Genese der anomalistischen Deutung zu erfahren, wurde Frau M. danach befragt, in welche Richtung die Vorstellungen zur Natur des Objekts gegangen sind, die in ihrem Umfeld diskutiert worden waren. In diesem Zusammenhang wurde sie auch auf einen ppig bebilderten Artikel ber die Ata- bzw. Atacama-Mumie hingewiesen, der am 10. Mai 2013 bei Spiegel online erschienen war.13 Die Antwort von Frau M. in einer E-Mail vom 1. Juli 2014 lautete:

    [J]a, ich kannte die Bilder von der Mumie und habe sogar, als wir die Bilder zunchst angesehen haben, nach vergleichbarem gesucht. Die Bilder der Mumie sind mir irgend-wann einmal schon einige Zeit vor Aufnahme unserer Bilder in irgendeinem Artikel im Internet (vermutlich Bild-Zeitung ber den Weg gelaufen) und nach den Bildern auf unserer Wildkamera hatte ich genau nach dieser Mumie gesucht, um Vergleiche anzustel-len und das vermeintlich gesehene einzuordnen. Als ob Sie das geahnt htten :).14

    13 http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/kein-ausserirdischer-forscher-entraetseln-mumie-ata-a-899087.html [Zugriff: 7.7.2014].

    14 Der entsprechende Artikel der Bild online stammt vom 25. April 2013 und ist hier zu finden: http://www.bild.de/news/mystery-themen/alien-mensch-mutation/forscher-untersuchen-mysterioeses-skelett-dieser-mini-alien-soll-ein-mensch-sein-30145034.bild.html [Zugriff: 7.7.2014]. Dort findet sich ein Hinweis auf einen weiteren merkwrdigen Fund eines Lebewesens in Mexiko, eines Alien-Baby in der Tierfalle (Artikel vom 24.8.2009: http://www.bild.de/news/mystery-themen/mexiko/ausserirdischer-in-mexico-gefangen-9493992.bild.html Zugriff: 7.7.2014), dessen Schdelform auf manchen Abbildungen noch strker an die humanoide Form auf den Fotos der Wildkamera erinnert. Vgl. http://www.nachrichten.net/details/3588/Mexiko_Zweites_Alien_gesichtet.html [Zugriff: 9.7.2014].

    Abb. 16 und 17: Atacama-Mumie (Copyright: A. Kramer)

  • 22 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Frau M. schilderte weiter, wie in ihrem Umkreis um Deutungen gerungen wurde, die, nach-dem man sich darber einig geworden war, dass es sich jedenfalls (um) kein Tier handle, ein Wesen aus dem All oder ein Waldgeist als Alternativen einschlossen.

    Nachdem Frau M. die alternative Deutung Eichelhher angeboten wurde, dauerte es noch eine Weile, bis sie von ihrer Fixierung, wie sie sich ausdrckte, wegkam und den Vogel identi-fizieren konnte:

    Ich bedanke mich recht herzlich fr Ihre Mhen, aufzuklren was da zu sehen ist und hoffe[,] dass es nur ein Vogel war, alles andere als ein Tier wrde mir da jetzt doch Sorgen bereiten :) (E-Mail vom 16. Juni 2014).

    Wir sandten ihr daraufhin noch einige Hinweise zu wahrnehmungspsychologischen Ph-nomenen. In einer E-Mail vom 18. Juni 2014 schrieb sie schlielich:

    Am meisten freue ich mich darber, dass ich endlich auch einen Vogel sehe, seit ges-tern Abend. Erst habe ich mir eingeredet[,] es ist ein Vogel, dann habe ich ihn in den verschiedenen Auflsungen gesucht, und [kam] vor allem endlich von der Idee ab, das vordere ist ein Arm, es ist nmlich ein Stck der Tanne die sich ber den Farn biegt. Das alles weggedacht und die Bewegung genauestens angeschaut, mit dem Wissen links ist der Schwanz, dann ist es ganz einfach, seh ich jetzt einen Vogel.

    Es ist dennoch Wahnsinn, was mein bzw. unser aller Gehirn uns da fr Streiche spielt, erstaunlich.

    Abschlieende BemerkungSehen Menschen etwas, das nicht in das allgemein akzeptierte Weltmodell passt, dann bieten ihnen Mythen, Geschichten und Mediendarstellungen Bilder und Konzepte, nach denen man das Wahrgenommene zu deuten und einzuordnen versucht. Wie die Ata-Mumie, aber auch viele andere Phnomene (z.B. Forteana) zeigen, bietet die Welt gengend Merkwrdiges, Bizar-res und teilweise Ungeklrtes, um das sich wilde Spekulationen ranken und das zur Erklrung herangezogen werden kann. Starke Zweifel und Skepsis mgen solche Erklrungsversuche begleiten, doch gehen sie selbst einher mit Skepsis gegenber den umfassenden Erklrungs-ansprchen der konventionellen Wissenschaft. Bilder von Aliens, Yetis und Seeschlangen sind den Kindern schon durch die Lektre von Comics bekannt und bilden ein Reservoir an Vorstel-lungen und Konzeptionen von Anomalien, auf die in mehrdeutigen Wahrnehmungssituationen zurckgegriffen werden kann. Dieses Reservoir von Bildern im Kopf erweitert sich im Laufe des Lebens. Die physikalische Realitt der Ata-Mumie beweist, dass Sonderbares und nach wie vor Unverstandenes existiert eine Tatsache, der auch eine ggf. erfolgende konventionelle

  • 23Rtselhafte Objekte auf den Bildern einer Wildkamera

    Erklrung und Einordnung der Mumie in bekannte wissenschaftliche Modelle und Kategorien keinen Abbruch tun wrde. Im vorliegenden Fallbeispiel tritt dieser Zusammenhang in aller Deutlichkeit zutage, denn es konnte nicht nur eine zeitliche Korrespondenz von Presseberich-ten ber diese Mumie und der Humanoid-Deutung des Objekts auf den Bildern der Wildka-mera festgestellt werden, sondern der Einfluss der Bilder auf die Deutung wurde durch Frau M. direkt verifiziert. Dies zeigt wieder einmal, wie sinnvoll und fruchtbar die Einnahme einer multidisziplinren Perspektive bei der Untersuchung von Spontanfllen ist, die gleichermaen die Phnomene selbst und die durch die Erfahrung ausgelsten sozialen Prozesse, Dynamiken und Verarbeitungsstrategien in den Blick nimmt.15

    DanksagungUnser herzlicher Dank gilt Frau M., die uns viel Vertrauen entgegenbrachte, indem sie uns die Bilderserien zukommen lie und die Untersuchung durch ihre kooperative Mitarbeit in vorbildlicher Weise untersttzte. Ebenfalls danken mchten wir Hans-Werner Peiniger und Michael Schetsche fr ihren fachlichen Rat. Andr Kramer hat uns freundlicherweise Fotos der Ata-Mumie zur Verfgung gestellt.

    Literatur

    Gegenfurtner, K.R. (2011). Gehirn und Wahrnehmung. Eine Einfhrung. Aktual. Neuausg. Frankfurt/M.: Fischer.

    Gregory, R. (2009). Seeing Through Ilusions. Oxford: Oxford University Press.

    Goldstein, E.B., Irtel, H., & Plata, G. (72008). Wahrnehmungspsychologie. Der Grundkurs. 7. Aufl. Berlin [u.a.]: Spektrum Akademischer Verlag.

    Kornmeier, J., & Bach, M. (2012). Ambiguous figures what happens in the brain when perception changes but not the stimulus. Frontiers in Human Neuroscience, 6, 1-23.

    Long, G.M., & Toppino, T.C. (2004) Enduring interest in perceptual ambiguity: Alternating views of reversible figures. Psychological Bulletin, 130, 748-768.

    Mayer, G. (2014). Fotografien in der Anomalistik. In Mayer, G., Schetsche, M., Schmied-Knittel, I., & Vaitl, D. (Eds.). An den Grenzen der Erkenntnis. Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik. Stutt-gart: Schattauer [im Druck].

    Mayer, G. (2014): A remarkable photographic anomaly and the social dynamics of its interpretation.

    15 Dieser Aspekt kommt auch in einer weiteren Untersuchung eines Fotos mit einem paranormalen Extra markant zum Vorschein, bei der allerdings keine plausible konventionelle Erklrung/Aufkl-rung gewonnen werden konnte (Mayer, 2014 und Mayer & Schetsche, 2011: 114-155).

  • 24 Gerhard Mayer & Jrgen Kornmeier

    Journal of the Society for Psychical Research, 78, 25-38.

    Mayer, G., & Schetsche, M. (2011). N gleich 1. Methodologie und Methodik anomalistischer Einzelfall-studien. Edingen-Neckarhausen: Gesellschaft fr Anomalistik (Schriftenreihe der Gesellschaft fr Anomalistik Band 4).

    Metzinger, T. (21999): Subjekt und Selbstmodell. Die Perspektivitt phnomenalen Bewusstseins vor dem Hintergrund einer naturalistischen Theorie mentaler Reprsentation. 2., durchges. Aufl. Paderborn: Mentis.

    Necker, L.A. (1832) Observations on some remarkable optical phaenomena seen in Switzerland; and on an Optical Phaenomenon which occurs on viewing a figure of a crystal or geometrical solid. Philo-sophical Magazine and Journal of Science, 1, 329337.

    Rock, I. (1998) Wahrnehmung: Vom visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen. Berlin & Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

    Schacter, D.L. (2011). Psychology. Second Edition. 41 Madison Avenue, New York, NY 10010: Worth Pub-lishers. pp. 136137.

    Wackermann, J. (2014). Wahrnehmungsanomalien. In Mayer, G., Schetsche, M., Schmied-Knittel, I.,.& Vaitl, D. (Eds.) (2014). An den Grenzen der Erkenntnis. Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik. Stuttgart: Schattauer [im Druck].

  • Zeitschrift fr Anomalistik Band 14 (2014), S. 25-44

    Ein neuer europischer Fallvom Reinkarnationstyp1

    Dieter Hassler2

    Zusammenfassung ber Kinder aus dem europischen Raum, die sich spontan an ein frheres Leben erinnern, findet man bisher wenig dokumentiert. Dies gilt vor allem dann, wenn man sich auf sog. gelste Flle und solche beschrnkt, die nicht in derselben Familie bleiben. Der hier beschrie-bene Fall gehrt formal zu dieser seltenen Kategorie und verdient es daher, festgehalten zu werden. Er weist folgende besondere Merkmale auf: eine Vorahnung der Mutter des Kindes; drei erstaunlich zutreffende Ankndigungstrume; Aussagen des Kindes ber die Art seines Todes im frheren Le-ben; spezifisches Verhalten, speziell in Bezug auf das andere Geschlecht; passende krperliche Beschwerden und besondere Fhigkeiten des Kindes; psychokinetische oder Spukvorkommnisse, die sich nach dem Tod der frheren Person bei deren Mutter ereigneten. Was diesen Fall zustzlich auszeichnet, ist die Tatsache, dass die frhere Person in den Armen der zuknftigen Mutter starb. Das mag im Sinne der Reinkarnationshypothese den Ausschlag dafr gegeben haben, dass die fr-here Person gerade bei dieser Mutter reinkarnierte. Das zufllige und flchtige Zusammentreffen der Mutter mit der frheren Person entwertet den Fall allerdings ein wenig hinsichtlich der spteren Aus-sagen des Kindes, weil theoretisch die Mglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Kind von der Art des Todes der frheren Person auf normalem Weg erfahren haben knnte. Der Fall bleibt dennoch berichtenswert, weil er nicht allein oder hauptschlich auf den Aussagen des Kindes beruht.

    Schlsselbegriffe: Reinkarnation frhere Leben Ankndigungstraum Psychokinese Spuk

    A New European Case of the Reincarnation Type

    Abstract When selection is restricted to so-called solved cases not taking place in the same family, there remain only a very small number of cases of the reincarnation type (CORT) that have been reported for Europe. The case described in this paper belongs formally to this rare category and

    1 Eine englische Fassung des hier verffentlichten Beitrags ist zuvor unter dem Titel A new European case of the reincarnation type im Journal of the Society for Psychical Research, 77, 2013, S. 19-31, erschienen. Wir danken dem Autor (der die deutsche Version selbst besorgt hat), der Society for Psy-chical Research (London) und dem Herausgeber, Prof. Dr. Chris A. Roe, fr die freundliche Abdruck-erlaubnis. (Red.)

    2 Dieter Hassler ist Diplom-Ingenieur fr Nachrichtentechnik (Technische Universitt Darmstadt, 1966) und war u.a. von 1970 bis 1995 in der Ingenieurforschung fr Medizintechnik in Erlangen ttig. Seit 1996 befasst er sich ausgiebig mit der Reinkarnations- und berlebensforschung (vgl. Hassler, 2011, 2012).

  • 26 Dieter Hassler

    consequently deserves recording. A number of features of the case are described: a premonition experienced by the subjects mother; three announcing dreams and their accuracy; the subjects spe-cific behavior, especially that relating to the opposite sex; a specific ailment affecting the subject; the subjects special skills; and two incidents of a psychokinetic or poltergeist nature experienced by the previous personalitys mother after his death. Additionally, the case is rendered particularly unusual because it involves a chance encounter between the subjects mother and the previous personality at the moment of the latters death, suggesting that the case could have evolved because this encounter offered an incentive for the previous personality to reincarnate with this particular mother. Because of the possibility of information leakage associated with this chance encounter, however fleeting that may have been, this to some extent devalues the case with respect to the childs statements about his previous existence: at least in theory they can be explained by normal means. This case nevertheless remains worth publishing, because it is not exclusively or predominantly founded on statements made by the child.

    Keywords: Reincarnation previous lives announcing dream psychokinesis poltergeist

    EinleitungIan Stevenson, der Vater der wissenschaftlichen Reinkarnationsforschung, bezeichnete Flle von kleinen Kindern, die spontan ein frheres Leben zu erinnern scheinen, als Flle vom Reinkarnationstyp (engl. cases of the reincarnation type, blicherweise abgekrzt zu CORT). Die reichhaltigsten und daher berzeugendsten von ihnen stammen aus Sdostasien (z.B. Mills, 1989; Mills & Dhiman, 2011; Stevenson, 1975, 1977, 1983a). Flle dieser Art wurden in allen Lndern oder Kulturen gefunden, in denen man nach ihnen gesucht hat (z.B. Rivas, 2005; Stevenson, 1983b). Die absolute Zahl erforschter europischer CORT ist hingegen ziemlich gering (Stevenson, 2005). Sie sind hierzulande schwerer zu finden als in anderen Teilen der Welt. Das knnte dazu gefhrt haben, dass nur wenige Forscher berhaupt nach ihnen gesucht haben.

    Die Mehrzahl europischer CORT bleibt entweder ungelst, d.h. es wurde keine frhere Person identifiziert, die den Aussagen, Verhaltensweisen etc. des heutigen Kindes entspricht, oder es han-delt sich um gelste Familienflle, in denen die heutige und die frhere Person zur selben Familie gehren. Solche Familienflle sind naturgegeben mit der Schwche behaftet, dass ein normaler Informationsaustausch zwischen dem Kind und den Familienmitgliedern ber die Umstnde der frheren Person nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Dementsprechend reichen bei dieser Kategorie selbst umfangreiche Aussagen des Kindes ber die frhere Person allein und fr sich genommen nicht aus, um den betreffenden Fall stark oder berzeugend zu machen.

    Familienflle oder allgemeiner gesagt Flle, bei denen Informationen ber die frhere Person mglicherweise zu dem betreffenden Kind durchgesickert sind (information leakage),

  • 27Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    knnen als Erklrung dennoch Reinkarnation nahelegen, wenn sie zustzlich zu den Aussa-rung dennoch Reinkarnation nahelegen, wenn sie zustzlich zu den Aussa-rung dennoch Reinkarnation nahelegen, wenn sie zustzlich zu den Aussa-gen des Kindes weitere Indizien aufweisen, wie z.B. ein entsprechendes spezifisches Verhalten, spezielle Kenntnisse oder Fhigkeiten, aber auch Leiden oder Geburtsmale des Kindes, die Wunden der frheren Person entsprechen.

    Die berzeugendsten CORT sind jene, in denen die angeblichen Erinnerungen des Kindes nicht einfach als normal erworben eingestuft und damit als irrelevant verworfen werden kn-nen. Das trifft in Fllen zu, die gelst werden konnten und in denen die heutige und die frhere Person unterschiedlichen Familien angehren, die vor der Untersuchung des Falls keine Kon-takte miteinander hatten (Fremdflle oder nicht-familire Flle). Diese sind in Europa uerst selten. Ian Stevenson war weltweit der bedeutendste Forscher fr CORT, aber auch in seinen Verffentlichungen finden sich lediglich vier gelste Fremdflle aus Europa (Stevenson, 2005: 87, 159, 167, 324). Wie alle CORT leiden auch diese unter Schwchen, die ihren Wert fr eine Sttzung der Reinkarnationshypothese mindern. In einem Fall zum Beispiel (Wolfgang Neu-rath; ebd.: 159) waren die beiden betroffenen Familien als Nachbarn eng miteinander bekannt, und in einem anderen (Helmut Kraus; ebd.: 167) fand sich in jeder der beiden Familien nur ein einziger Zeuge, sodass wie leider auch im vorliegenden Fall keine unabhngige Verifizie-rung mglich war.

    Von anderen Forschern existiert eine kleine Zahl weiterer solcher Flle. Sie weisen aber hnliche Schwchen auf wie der vorliegende. Peter und Mary Harrison (Harrison & Harrison, 1991: 11) haben den Fall Nicola beigesteuert, der aber, genau betrachtet, ungelst geblieben ist, weil Dokumente lediglich ber den Vater der frheren Person gefunden werden konnten, nicht aber ber die (vermutlich mnnliche) frhere Person selbst. Ein anderer eindrucksvoller Fall ist der von Jenny Cockell (Cockell 1994, 2008), der sehr erfolgreich nachgeprft werden konnte, aber nur durch die betroffene Person selbst, nicht durch unabhngige Wissenschaftler. Will man grozgig sein, knnte man auch den Fall Christina zu dieser Klasse zhlen. Er wurde von Rawat und Rivas in Holland untersucht und verffentlicht (Rawat & Rivas, 2007: 95). Die Existenz der frheren Person konnte zwar nicht nachgewiesen, eine sehr wahrscheinlich richtige Spur aber gefunden werden. In diesem berschaubaren Umfeld scheint es berechtigt, den hier vorgestellten Fall trotz seiner Schwchen als ein Beispiel fr einen gelsten europi-schen nicht-familiren Fall darzustellen.

    HintergrundSeit der Jahrhundertwende versuche ich, in den deutschsprachigen Lndern CORT zu finden. Die Mehrzahl aller Kontakte, die ich mit Eltern knpfte, deren Kinder behauptet hatten, sich an ein frheres Leben zu erinnern, kam ber das Internet zustande (Hassler, 2012). Allerdings

  • 28 Dieter Hassler

    habe ich ber die Zeitspanne von 10 Jahren auf diesem Weg nur zwei Flle gefunden, die eine Nachprfung lohnend erscheinen lieen und die ich nach der Prfung wert fand, in einem Buch ber CORT zu verffentlichen (Hassler, 2011).

    Dann rief mich im November 2011 berraschend der Pfarrer der Christengemeinschaft Erlangen an (Christengemeinschaft Erlangen, 2012), um mir mitzuteilen, dass in unserer Region eine Mutter lebe, deren Sohn behaupte, sich an ein frheres Leben zu erinnern. Zu die-sem Anruf konnte es kommen, weil im Gegensatz zu den groen christlichen Kirchen die Christengemeinschaft den Gedanken der Reinkarnation nicht ablehnt und weil der Pfarrer seit vielen Jahren von meinem Interesse an solchen anscheinenden Wiedergeburtsfllen (CORT) wusste. Ich erhielt den Namen und die Adresse der betreffenden Mutter. Sie selbst und ihre Familienmitglieder waren mir unbekannt.

    Am 8. November 2011 sprach ich erstmals mit dieser Frau, die ich hier mit dem Pseudonym Frau Wolf bezeichnen werde. Sie war zur Krankenschwester ausgebildet worden und hatte anschlieend Psychologie an der Universitt in Paris studiert. Die Psychologin arbeitet heute als Psychotherapeutin in privater Praxis. Die 45-Jhrige ist alleinstehend und lebt mit dreien ihrer fnf Kinder zusammen. In diesem Bericht geht es um ihr drittes Kind, einen 14-jhrigen Jungen, den ich Rolf nennen werde. Er hat zwei ltere und zwei jngere Schwestern.

    Frau Wolf ist seit ihrer Jugend offen fr den Gedanken der Wiedergeburt. Sie berichtete mir ohne die sonst oft blichen Vorbehalte oder ngste ber ihre Erfahrungen, wollte aber, um nicht eines Tages verlacht zu werden, in einer Verffentlichung nicht mit ihrem wahren Namen genannt werden. Ihre Schilderung war sachlich und kam ohne Rckgriff auf esoterische Vor-stellungen aus. Ich schtze ihren Bericht daher als objektiv und glaubwrdig ein, wobei jedoch zu beachten ist, dass die geschilderten Ereignisse 10 bis 16 Jahre zurckliegen. Wie sich spter herausstellte, irrte sich Frau Wolf bei manchen Zeitangaben um ein bis zwei Jahre.

    Das Geschehen nach Frau Wolfs Schilderung

    Vorahnungen

    Frau Wolfs Geschichte begann mit dem Besuch einer Disco in Erlangen im Jahr 1994 oder 1995, wie sie sagte. Spter stellte sich Mrz 1996 als korrekter Zeitpunkt heraus. Je mehr sich die Veranstaltung ihrem Ende zuneigte, desto mehr Angst versprte die Frau vor der Heimfahrt nach Bamberg, wo sie damals lebte. Sie wusste nicht, warum sie dieses Gefhl bedrckte. Zum Ende hin wurde es so panikartig, dass sie sich sogar traute, einen ihr vllig fremden Mann anzusprechen und ihn darum zu bitten, bei ihm bernachten zu drfen. Frau Wolf beteuerte

  • 29Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    im Interview, dass sie damals keine andere Absicht hatte, als die Heimfahrt mit dem Auto zu vermeiden. Als ihr diese Bitte abgeschlagen wurde, blieb sie so lange wie mglich in der Disco. Um 2 Uhr morgens war es dann so weit, dass sie nicht lnger bleiben konnte und fahren musste. Sie beschloss, die Autobahn zu nehmen und fuhr dort, ganz gegen ihre Gewohnheit, sehr lang-sam, nur 80 km/Std.

    Ein anderes Auto berholte sie mit ca. 100 Stundenkilometern und scherte vor ihr auf die rechte Fahrspur ein. In diesem Moment sah sie im Schummerlicht der Nacht, dass eine Person von dem vorausfahrenden Fahrzeug erfasst und zur Seite geschleudert wurde. Frau Wolf kam mit ihrem Auto neben dem Verunglckten zum Stehen, stieg aus und zog ihn auf den Standstreifen der Autobahn. Sie erkannte einen etwa 18-jhrigen jungen Mann, der sie kurz anschaute, bevor er ohnmchtig wurde. Er begann ein wenig aus Nase und Mund zu bluten. Der Unterschenkel des rechten Beins stand in einem unnatrlichen Winkel ab. Frau Wolf nahm den Verunglckten in ihren Arm und fhlte seinen Puls, der zunehmend schwcher wurde. Als ehemalige Kranken-schwester ahnte sie, dass der junge Mann sterben wrde und sprach ihn an: Hab keine Angst. Geh ins Licht und nimm die Dinge, wie sie sind! Kurz darauf starb er in ihren Armen.

    Inzwischen war der Rettungswagen zur Stelle, und es wurden zwei Stunden lang Wiederbe-lebungsversuche unternommen, die aber erfolglos blieben.3

    Frau Wolf vermutete zu diesem Zeitpunkt, dass der junge Mann habe Selbstmord begehen wollen. Und zugleich brachte sie ihre seltsame Panik in der Disco mit diesem Unfall, der ja nicht ihr eigener war, in Verbindung.

    Ankndigungstrume

    Frau Wolf bat eine Freundin, fr den Rest der schrecklichen Nacht zu ihr nach Hause zu kom-men. Erst gegen Morgen gelang es ihr einzuschlafen. Sie trumte von dem Verunglckten. Sie sah und erkannte ihn klar wieder. Im Traum schmiegte er sich an sie und lie sie wissen, dass er zu ihr kommen wolle, um ihr nahe sein zu knnen. Sie verstand dies sofort als seinen Wunsch, bei ihr zu reinkarnieren. Doch noch im Traum widersprach sie dem ganz entschieden. Sie hatte ja nicht an einen Unfall geglaubt und wollte sich nicht mit einem Selbstmrder belasten. Sie sagte ihm, er gehre nicht in ihre Familie und solle doch zu seiner eigenen gehen. Das aber wollte der Verstorbene nicht, weigerte sich, zu seiner Familie zurckzugehen und bestand dar-auf, als ihr Kind wiederzukommen. Die beiden konnten sich nicht einigen.

    3 Dieser mgliche Zusammenhang zwischen einer scheinbaren Wiedergeburt und einem tdlichen Au-tounfall knnte die Vermutung von Ellis (2003) ber eine solche Verbindung etwas weniger phantas-tisch erscheinen lassen. Sie bezieht sich aber auf einen ganz anderen Fall.

  • 30 Dieter Hassler

    In der darauffolgenden Nacht erschien er ihr wieder im Traum und bat sie erneut, seine zuknftige Mutter zu werden. Doch sie stand dem auch jetzt noch ablehnend gegenber. In der dritten Nacht nach dem Unfall trumte sie wiederum von ihm. Diesmal stand er an einem malerischen See. Auf einem Hgel ganz in der Nhe lag ein Friedhof. Dort fand eine Beerdi-inem Hgel ganz in der Nhe lag ein Friedhof. Dort fand eine Beerdi-gung statt. Sie beide, Frau Wolf und der junge Mann, standen etwas abseits der Trauernden. Der junge Mann erklrte, dies sei seine Beerdigung.4 Frau Wolf wunderte sich darber und fragte ihn im Traum, wieso er in der Nhe dieses Sees beerdigt werde. (In Erlangen gibt es keinen Friedhof auf einem Hgel in der Nhe eines Sees.) Er antwortete, dies sei sein Heimatsee, der Lago Maggiore in Italien. (Die sptere Untersuchung ergab, dass der besagte See neben dem Friedhof, auf dem der Verstorbene beerdigt wurde, nicht der Lago Maggiore, sondern der Lago di Pieve di Cadore war.) Fr Frau Wolf machte dieses Szenario keinen Sinn, denn der blonde Mann mit seinen blauen Augen sah nicht wie ein typischer Italiener aus.

    Aber Frau Wolf schpfte nach diesen Traumbildern die Hoffnung, dass die Seele des jungen Mannes nun in die nicht-physische Welt des Jenseits gehen und nicht mehr begehren werde, in ihrer Familie wiederzukommen. Sie hatte sich indes getuscht. Er erklrte mit Bestimmtheit, bei ihr sein zu wollen, so, wie er es schon zweimal vorher getan hatte. Diesmal gab sie ein klein wenig nach. Sie sagte nun, sie werde sein Wiederkommen unter folgenden Bedingungen akzeptieren: Er drfe kein Selbstmrder gewesen sein, er msse die Angelegenheit mit seiner eigenen Familie geklrt haben und er solle innerhalb von 18 Monaten reinkarnieren. Bei all dem hatte sie den Hintergedanken, dass sie zu jener Zeit keinen Ehemann oder Freund hatte und auch keinen haben werde, da sie vollauf damit beschftigt war, sich um ihre ltere, leuk-miekranke Tochter zu kmmern. Auerdem war ihr klar, dass sie in jedem Fall verhten wrde, sollte sie doch eine ungeplante Affre erleben. Der junge Mann zeigte sich mit diesem Angebot zufrieden, umarmte sie und verschwand in Richtung Trauerprozession. Damit endete der dritte Traum.

    Kontakt mit der Mutter des Verunglckten

    Anhand der Angaben aus der Traueranzeige in der Tageszeitung konnte Frau Wolf die Mutter des Unfallopfers ausfindig machen und einige Tage nach dem Unglck besuchen. Im Gesprch mit ihr erfuhr sie, dass es sich bei dem Verunglckten um den 18-jhrigen, blonden und blauugigen Mario (Name gendert) handelte, der von deutsch-italienischer Abstammung war. Seine Eltern verbrachten nach Frau Wolfs Aussage einen Teil des Jahres in Italien, nahe

    4 In Wirklichkeit fand die Beerdigung erst drei oder vier Tage nach dem Traum statt. Die Entscheidung jedoch, das Opfer in Pieve di Cadore in Italien zu bestatten, hatte die Mutter des Verstorbenen unmit-telbar nach dessen Tod getroffen.

  • 31Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    dem Lago Maggiore, wo der Sohn begraben liegt. (Spter wurde klar, dass es sich um einen anderen italienischen See gehandelt hatte.) Den greren Teil des Jahres lebten sie in Deutschland, weil sie in Erlangen ein Geschft fhrten.

    Marios Mutter erzhlte Frau Wolf, ihr Sohn habe sich am Tag des Unfalls ihr Auto fr eine Spritztour ausgeliehen. Auf der Landstrae habe er in einer Kurve nahe der Autobahn die Kontrolle ber das Fahrzeug verloren und sich damit auf dem benachbarten Feld berschlagen. Offenbar konnte er fast unverletzt aus dem ramponierten Auto klettern und rannte dann, vermutlich unter Schock, auf die in der Nhe verlau-fende Autobahn, wo er, wie oben bereits beschrieben, von einem Pkw erfasst wurde. Ob Selbstmordabsichten dabei eine Rolle spielten oder er lediglich Hilfe herbei-holen wollte, ist unbekannt.

    In diesem Gesprch erzhlte Frau Wolf Marios Mutter nichts von ihren Trumen. Sie frchtete, sich andernfalls lcherlich zu machen oder Probleme her-aufzubeschwren, sollten ihre Trume wider Erwarten wahr werden.

    Nachfolgende EreignisseEineinhalb Jahre nach dem Unfall, so erinnerte sich Frau Wolf, habe sie dann doch eine Affre mit einem Mann gehabt. (Spter konnte man nachrechnen, dass es sich um nicht mehr als 9 Monate gehandelt haben kann.) Da das Kondom gerissen war, nahm sie die Pille danach, aber sie wurde trotzdem schwanger. Die Ankndigungstrume hatte sie lngst vergessen, sodass sie die Schwangerschaft nicht mit dem verstorbenen Mario in Verbindung brachte. Am 9. Septem-ber 1997 brachte sie in Erlangen einen blonden Jungen mit blauen Augen zur Welt, den wir hier Rolf nennen.

    Abb. 1: Die rtliche Tageszeitung Erlanger Nachrichten berichtete am 11.

    Mrz 1996 ber den Unfall.

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    Rolfs Aussagen ber seinen Tod im frheren Leben

    Als Rolf drei oder vier Jahre alt war, erzhlte er seiner Mutter ganz unvermittelt: Ich habe schon einmal gelebt. Ich starb bei einem Verkehrsunfall, aber es war nicht schlimm. Ich habe ein bisschen am Kopf geblutet, und mein Bein tat weh.

    Diese Bemerkungen lsten bei Frau Wolf nicht nur groe Verwunderung aus. Pltzlich erinnerte sie sich nach Jahren auch wieder an den Unfall und an die anschlieenden Trume mit der Ankndigung einer Wiedergeburt. Rolfs Beschreibung der Unfallfolgen entsprach genau ihrer Erinnerung: Blutung am Kopf und ein verletztes Bein. Rolf machte diese erstaunli-che Aussage leider nur einmal, als er mit seiner Mutter allein zusammen war. Es gibt also keine weiteren Zeugen fr diesen Vorfall.

    Rolfs Verhaltensmerkmale

    Frau Wolf charakterisierte mir gegenber ihren Sohn Rolf folgendermaen:1. Modische Kleidung ist ihm wichtig. Was das betrifft, ist er ein Trendsetter in seiner

    Umgebung.2. Er liebt besonders amerikanische Bekleidung.3. Er braucht Stunden, um sich sein Haar herzurichten.4. Er verwendet Parfm am Krper, nicht nur Body Lotion.5. Er ist charmant und versteht es, andere um den Finger zu wickeln.6. Seine Art zu gehen und seine Krperhaltung sind Mittel, um Aufmerksamkeit auf sich

    zu lenken.7. Die Mdchen seines Alters himmeln ihn an.8. Wenn er es drfte, wrde er sich das Haar frben.9. Er ist anderen gegenber hilfsbereit.10. Er hat praktisches Geschick (bei der Gartenarbeit, mit elektronischen Gerten).11. Einmal zeigte er eine erstaunliche Gabe, ein Portrt schnell zu malen, nutzt diese Fhig-

    keit bisher aber nicht.12. Psychischem Druck hlt er nur schlecht stand.13. Er zeigt ein gewisses Interesse an Religion. Er wird auf eigenen Wunsch konfirmiert.14. Er isst gerne teure Speisen.15. Er besitzt kein sprachliches Talent.

  • 33Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    16. Einige Begebenheiten lassen vermuten, dass er eine gewisse Fhigkeit zur Telepathie besitzt.

    17. Die angefhrten Verhaltensmerkmale 1, 3, 4, 5, 6 und 8 kann man als speziell weibliche Eigenschaften ansehen. Bisher ist allerdings nicht klar, ob Rolf homosexuell veranlagt ist.

    Rolfs krperliche Merkmale

    Wie Stevenson (1997) gezeigt hat, sollten bei CORT nicht nur Verhaltensmerkmale der heuti-gen mit denen der frheren Person verglichen werden, sondern auch deren krperliche Beson-derheiten.

    Rolf hat eine Schwachstelle in den Knien. Seit seinem dritten Lebensjahr spielt er gern Fu-ball und trainiert viel. Mit 12 begann er, sich ber anhaltende Schmerzen im rechten Knie zu beschweren. Sechs Monate spter schmerzte auch das linke. Er bat sogar seine Mutter, mit ihm deswegen zum Arzt zu gehen. Dieser diagnostizierte die Osgood-Schlatter-Krankheit5 und sagte, das werde sich hchstwahrscheinlich geben, bevor er 18 sei. Rolf ist stark allergisch gegen viele Pollenarten. Seine blauen Augen und das blonde Haar lassen sich genetisch erklren.

    Untersuchung des FallesFrau Wolf hat keine schriftlichen Notizen zu diesem Geschehen angefertigt. Sie berichtete mir darber lediglich nach dem Gedchtnis. Was eventuelle Zeugen anbelangt, so wre vielleicht ein Interview mit jener Freundin von Wert, die ihr in der Unfallnacht zur Seite gestanden hat. Aber ungefhr 6 Monate nach dem Unglck auf der Autobahn brach der Kontakt zwischen bei-den ab, und Frau Wolf sieht derzeit keine Mglichkeit mehr, ihn wieder herzustellen. Leider war auch keine weitere Person zugegen, als der kleine Rolf gegenber seiner Mutter die mysteris anmutende Aussage ber seinen Unfall machte. Also gibt es auch hierfr keinen unabhngi-gen Zeugen. Die einzigen, die fr Besttigungen noch in Frage kmen, sind die Schwiegermut-ter von Frau Wolf und Marios Eltern. Frau Wolfs Kontakt zu Marios Mutter beschrnkt sich auf den schon erwhnten Besuch bei ihr kurz nach dem Unfall. Seither besteht keinerlei Beziehung mehr zwischen den beiden. Die Liste der zu befragenden Zeugen ist also leider nur recht kurz.

    5 Morbus Osgood-Schlatter ist eine bei sporttreibenden jungen Mnnern recht hufige schmerzhafte Reizung des Ansatzes der Patellasehne am vorderen Schienbein, bei der sich auch Knochenstcke aus dem Schienbein lsen und nekrotisieren knnen.

  • 34 Dieter Hassler

    Ergebnis der Zeugenbefragung und aufgefundene Dokumente

    Ich sprach mit Rolf am 12. Juni 2012, als er 14 Jahre alt war. Es war damals noch gar nicht lange her, dass ihm seine Mutter von den Ereignissen auf der Autobahn, von ihren Trumen und von ihrer Vermutung erzhlt hatte, dass er die Wiedergeburt von Mario sein knnte. Er aber sagte im Interview mit mir klipp und klar, er habe weder eine direkte Erinnerung an ein frheres Leben noch etwa daran, als kleines Kind seiner Mutter vom Tod bei einem Autounfall erzhlt zu haben. Ich zeigte ihm 10 Gegenstnde aus Marios persnlichem Besitz, vermischt mit 10 Gegenstnden aus meinem eigenen Haushalt, um zu sehen, ob er (vermuteten) frheren Besitz richtig wiedererkennt. Aber er konnte mit keinem der Objekte etwas anfangen. Rolf wurde auch vor das Geschft von Marios Eltern gefhrt, reagierte aber auch hier nicht im Geringsten so, als ob es ihm bekannt vorkomme. Diese negativen Ergebnisse stehen allerdings vllig im Einklang mit dem, was man von vergleichbaren CORT-Fllen her kennt. In aller Regel verlieren die Kinder ihre angeblichen Erinnerungen an frhere Leben im Alter von 7 bis 8 Jahren.

    Frau Wolfs Schwiegermutter befragte ich ebenfalls, doch sie gab an, von all dem keine Kenntnis zu haben.

    Meine Briefe an Marios Eltern wurden nicht beantwortet. Ich versuchte daher, ber itali-enische Vereine in Erlangen und ber Geschftsinhaber italienischer Abstammung mit ihnen in Kontakt zu kommen. Auch dies blieb ohne Erfolg. Lediglich die Stadtverwaltung konnte ein wenig weiterhelfen, indem sie mir die Geburts- und Sterbedaten von Mario berlie. Damit war ich in der Lage, die Traueranzeige und einen kurzen Artikel ber den Unfall in der Tages-zeitung Erlanger Nachrichten zu finden (vgl. Abb. 1). Der Artikel besttigt die von Frau Wolf oben bereits genannten Fakten ber das Unglck. Mario wurde am 16. Mai 1977 in Ludwigsha-fen geboren, und er starb am 9. Mrz 1996 in der Nhe von Baiersdorf bei Erlangen.

    Erst jetzt stellte sich heraus, dass Rolfs Geburtstag (9. September 1997) auf den Tag genau 18 Monate nach Marios Tod liegt und damit der Vereinbarung entspricht, die in Frau Wolfs Traum getroffen wurde. Der Friedhof von Pieve di Cadore, wo Mario beerdigt wurde, liegt wie man im Internet finden kann in hgeligem Gelnde nahe einem See, und dies entspricht auch dem Bild in Frau Wolfs drittem Traum.

    Als Marios Vater wieder von Italien nach Erlangen zurckkehrte, hatte ich Gelegenheit, auch ihn zu interviewen. Er hatte nicht viel zu dem Fall beizutragen. Er bezeichnete Mario als einen charmanten jungen Mann, der sehr auf sein ueres Erscheinungsbild achtete. Die Adresse von Marios Mutter und Schwester konnte er mir nicht geben, weil er lngst geschieden und neu verheiratet ist und den Kontakt zu seiner frheren Frau und auch zu seiner Tochter verloren hat.

  • 35Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    Aussagen von Marios MutterAus der Traueranzeige kannte ich aber den vollen Namen von Marios Mutter, sodass ich dank Internet doch noch ihre aktuelle Wohnadresse ausfindig machen konnte. Ich traf die Frau zu einem lngeren Gesprch am 16. April 2012. Entgegen meiner anfnglichen Befrchtung stellte es sich nicht als allzu problematisch heraus, mit ihr ber den Tod ihres Sohnes und die darauf-folgenden Ereignisse zu sprechen, denn sie glaubt an Reinkarnation und hat eine entsprechende Einstellung zum Tod. Auerdem hat auch sie bereits paranormale Erfahrungen gemacht, die ihre spirituelle Denkweise sttzen. Ich musste nicht viele Fragen stellen, weil sie frei ber das traurige Ereignis sprach. Im Interview vermied ich tunlichst, Suggestivfragen zu stellen, und gab nichts von dem preis, was mir bereits durch Frau Wolf ber den Fall bekannt geworden war. (Eine wrtliche Wiedergabe des Gesprchs verbietet sich aber hier aus Platzgrnden.)

    Verhaltensmerkmale

    Zu Lebzeiten, so sagte Marios Mutter, hatten sie und ihr Sohn ein enges Vertrauensverhltnis zueinander. Sie charakterisierte ihren verstorbenen Sohn durch die in Tabelle 1 aufgefhrten Merkmale.

    Tab. 1: Aussagen ber Marios Verhalten und Charakter im Vergleich mit denen Rolfs

    Aussagen von Frau Wolf ber ihren Sohn Rolf

    Aussagen von Marios Mutter ber Mario

    1. Modische Kleidung ist ihm wichtig. Was das betrifft, ist er ein Trendsetter in seiner Umgebung.

    Modische Kleidung und ein perfektes Outfit waren ihm wichtig. In der Schule war Mario der Trendsetter, was die Kleidung betrifft.

    2. Er liebt besonders amerikanische Bekleidung.

    Kleidung im amerikanischen Stil liebte er besonders.

    3. Er braucht Stunden, um sein Haar her-zurichten.

    Mario pflegte sein Haar peinlich genau.

    4. Er verwendet Parfm am Krper, nicht nur Body Lotion.

    Er parfmierte seinen Krper.

    -/- Er rasierte sogar seine Krperbehaa-rung.

  • 36 Dieter Hassler

    5. Er ist charmant und versteht es, andere um den Finger zu wickeln.

    Er war sehr beliebt.

    6. Seine Art zu gehen und seine Krper-haltung sind Mittel, um Aufmerksam-keit auf sich zu lenken.

    Sein Gang war aufrecht und weiblich.

    7. Die Mdchen seines Alters himmeln ihn an.

    Die Mdchen seines Alters himmelten ihn an, aber er lehnte deren Annhe-rungsversuche ab.

    8. Wenn er es drfte, wrde er sich das Haar frben.

    Er liebte schwarze Haare. Mit 13 war er sich bewusst, schwul zu sein und verliebte sich in einen schwarzhaarigen (weihutigen) Jungen. Er frbte seine Haare nicht.

    -/- Mario dunkelte aber seine Haut mit Creme und im Solarium.

    9. Er ist anderen gegenber hilfsbereit. Er war anderen gegenber hilfsbereit.

    10. Er hat praktisches Geschick (bei der Gartenarbeit, mit elektronischen Ger-ten).

    Seine praktischen Fhigkeiten zeigten sich darin, wie schnell er lernte, Spei-seeis herzustellen oder Auto zu fahren. Er brach die Schulausbildung vorzeitig ab, weil er seine Zukunft darin sah, Eis herzustellen und zu verkaufen.

    11. Einmal zeigte er eine erstaunliche Gabe, ein Portrt schnell zu malen, nutzt diese Fhigkeit bisher aber nicht.

    Mario konnte gut zeichnen und malen. Einmal fertigte er ein lgemlde in einer Nacht an und ein anderes Mal eine Zeichnung, die sich ber eine ganze Wand seines Zimmers erstreckte.

    12. Psychischem Druck hlt er nur schlecht stand.

    Mario hielt dem andauernden psychi-schen Druck seitens seines Vaters und seiner Schwester stand, uerte aber auch seinen Willen zu sterben. Ob sein Tod als Flucht vor diesem Druck ver-standen werden muss, bleibt unklar.

  • 37Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    13. Er zeigt ein gewisses Interesse an Reli-gion. Er wird auf eigenen Wunsch kon-firmiert.

    Mario zeigte Interesse an Religion (Sci-entology).

    14. Er isst gerne teure Speisen. Einmal bestand sein grter Wunsch darin, mit seiner Mutter exklusiv zum Essen auszugehen.

    -/- Er hatte die Marotte, gebrochen Deutsch zu sprechen.

    15. Er besitzt kein sprachliches Talent. Er hatte sprachliches Talent. Er sprach flieend Italienisch, Deutsch und ame-rikanisches Englisch. Er tat sich leicht, Franzsisch zu lernen.

    16. Einige Begebenheiten lassen vermuten, dass er eine gewisse Fhigkeit zur Tele-pathie besitzt.

    Seine Mutter gestand ihm telepathische Fhigkeit zu.

    -/- Er hatte gute Tischmanieren.

    Die Punkte 5, 8 und 15 rechne ich zu schwachen oder nicht vorhandenen bereinstimmun-gen, so dass 13 gleichartige Verhaltensmerkmale verbleiben.

    Krpermerkmale

    Mario besa ein Geburtsmal auf der rechten Seite seines Krpers und eine lange, nur schwach sichtbare Narbe ber seinen Augenbrauen. Nichts dergleichen zeigt sich bei Rolf. Mario und Rolf weisen nach meinem Dafrhalten aber hnliche Gesichtszge auf. Weil ich Anonymitt zugesagt habe, kann ich dies nicht mit Photos belegen. Aber Personen aus meinem Bekannten-kreis, denen ich die Portrts gezeigt habe, teilten den Eindruck, dass es sich um Brder handeln knnte. Mario war gegen Pollen allergisch, wie Rolf heute. Marios Mutter besttigte die unfall-bedingte Verletzung seines rechten Knies. Es war eingegipst, als sie ihn im Krankenhaus liegen sah. Dies mag Rolfs Kniebeschwerden entsprechen.

  • 38 Dieter Hassler

    Marios Tod und Beerdigung

    Mit 13 war sich Mario klar darber, dass er homosexuell war. Kurze Zeit vor seinem Tod erfuhr er, dass der Junge, in den er sich verliebt hatte, bereits anderweitig gebunden war und nur eine platonische Beziehung wollte. Darber wollte er dringend mit seiner Mutter reden. Aber die hatte kurzfristig keine Zeit fr ein solches Gesprch. Stattdessen musste er sich von ihr anh-ren, dass sie sich scheiden lassen wolle. Das htte zur Konsequenz gehabt, dass er knftig mehr mit seinem Vater und seiner Schwester zu tun gehabt htte. Zu beiden hatte er aber ein sehr angespanntes Verhltnis. Er hasste sie geradezu, weil er als Junge von ihnen krperlich schwer verletzt und seelisch tyrannisiert worden war. Dieser enorme psychische Druck lste bei ihm eine Depression aus und knnte wie auch seine Freunde spter sagten durchaus zu einem Todeswunsch gefhrt haben.

    Marios Mutter blieb in der Frage einer Selbstmordmotivation unentschlossen. Immerhin war er im Auto angeschnallt, als dieses von der Fahrbahn abkam und sich berschlug. Man schnallt sich doch nicht an, wenn man Selbstmord begehen will, argumentierte sie. Er knnte eher beabsichtigt haben, Hilfe herbeizuholen, als er auf die Autobahn lief, und so, noch dazu in einem Schockzu-stand, unabsichtlich in den Weg des herankommenden Autos geraten sein. Es knnte aber auch sein, dass alles fr ihn einfach zu viel der Last geworden war: der Schaden am Auto seiner Mutter zusammen mit seinen Beziehungsproblemen in Familie und Partnerschaft. Im Selbstmord knnte er also durchaus die einzig verbleibende Lsung fr all seine Probleme gesehen haben.

    Marios Mutter besttigte, dass der Friedhof von Pieve di Cadore, auf dem Mario beerdigt wurde, in hgeligem Gelnde liegt und der nahe liegende See von dort aus gut zu sehen ist gerade so, wie es Frau Wolf in ihrem dritten Traum erlebt hatte.

    Das oben angesprochene z.T. angespannte Verhltnis von Mario gegenber seiner Familie passt gut zu seiner Haltung in Frau Wolfs Traum. Er bestand darauf, nur zu ihr kommen zu dr-fen. Zu seiner Mutter, mit der er zwar eine gute Beziehung hatte, konnte er nicht wieder gehen, denn in ihrem jetzigen Leben stand keine weitere Geburt mehr an. Zu Vater und Schwester zog es ihn nicht, weil er sie hasste.

    Psychokinetische Effekte oder Spuk nach Marios TodAuch Marios Mutter berichtete von Ereignissen nach Marios Tod, die sie als Versuch ihres ver-storbenen Sohnes ansieht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie hat, wie sie sagte, die Angewohn-heit, beim Autofahren CDs mit leichter Unterhaltungsmusik zu hren. Wenn frher Mario mit-fuhr, hatte der regelmig dagegen protestiert und einen Sender eingeschaltet, der Popmusik bringt. Als sie drei Wochen nach Marios Tod eine Strecke befuhr, auf der sie oft mit ihrem Sohn

  • 39Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    gefahren war, musste sie unwillkrlich an ihn denken. Just in diesem Moment schaltete das Autoradio ohne dass Marios Mutter etwas dazu getan htte vom CD-Spieler auf Rundfunk um und spielte Popmusik. Sie deutete dies spontan als Eingreifen seitens ihres verstorbenen Sohnes. Weil sie sich dessen aber nicht ganz sicher war, fragte sie lieber in einer Autowerkstatt nach. Dort erhielt sie die Auskunft, das Radio knne sich nicht selbstttig umschalten.

    Etwa sieben Wochen nach Marios Tod ereignete sich etwas hnliches. In ihrem Geschft in Erlangen gingen unvermittelt alle Lichter aus. Auch die nhere Umgebung lag im Dun-keln. Marios Mutter rief die Stadtwerke an, aber sie erfuhr dort nur, dass nichts von einem Stromausfall bekannt sei, man aber einen Techniker schicken wolle. Nach der Erfahrung mit dem Autoradio schpfte Marios Mutter den Verdacht, ihr verstorbener Sohn knne hinter all dem stecken. Deshalb sagte sie laut: Mario, hr auf mit dem Unsinn! Du kannst doch nicht alle Lichter ausmachen, solange noch Kunden im Laden sind. Sofort gingen die Lichter wieder an. Sie rief daraufhin die Stadtwerke erneut an; erhielt aber keine Erklrung fr diesen Vorfall.

    Herkmmliche ErklrungenDie grte Schwche dieses Falles ist in der Tatsache zu sehen, dass es keine unabhngigen Zeu-gen gibt, weder fr die Aussagen von Frau Wolf noch fr die von Marios Mutter. Erschwerend kommt hinzu, dass beide Hauptzeugen an die Reinkarnation glauben und so die Gefahr ten-denziser Berichterstattung besteht. Theoretisch knnte Frau Wolf den Fall sogar frei erfunden und die dafr ntigen Informationen der Zeitung entnommen haben. Ich sehe allerdings kein Motiv dafr, denn sie htte dabei nichts gewonnen. Auch zeigte sie keinerlei Absicht, einen Vorteil fr sich herauszuschlagen. Andernfalls htte sie nicht darauf bestanden, anonym zu bleiben. Ihr wurde im Verlaufe der Nachforschungen auch keine Vergtung bezahlt. Mein persnlicher Eindruck war, dass ich es bei beiden Hauptzeugen mit ehrlichen, sich rational verhaltenden Menschen zu tun hatte, die keinen Anlass boten, ihre jeweiligen Berichte als unglaubwrdig einzuschtzen.

    Wenn man den Fall in seine einzelnen Elemente zerlegt und die Teile getrennt voneinan-der beurteilt, erscheint es durchaus mglich, jedes dieser Teile entweder herkmmlich oder auch als parapsychologisches Phnomen zu deuten, wobei paranormale Ereignisse heute in der Regel als Wirkung einer lebenden Person interpretiert werden.

    Wenn der Fall, wie oben gesagt, vermutlich nicht rundherum erfunden ist, so knnte Rolf immerhin vieles von seiner Mutter auf normalem Wege erfahren haben, ohne dass sich Frau Wolf heute dessen noch bewusst ist (information leakage). Immerhin besteht sie darauf, ihrem Sohn nichts ber den Unfall und ihre eigenen Aktivitten danach erzhlt zu haben.

  • 40 Dieter Hassler

    Sie versichert ferner nachdrcklich, sie haben die ganze Vorgeschichte bis zu Rolfs berra-schender uerung vergessen gehabt. ber diese Ereignisse habe sie ausschlielich mit der oben erwhnten Freundin und mit jenem Pfarrer gesprochen, der mich spter ber den Fall informierte. Ihre Zurckhaltung, ber die Dinge zu reden, grndete in der Angst, verlacht zu werden. Mehr noch frchtete sie, dass Marios Mutter versuchen knnte, mit Rolf Kontakt auf-zunehmen, und das wrde, so glaubte sie, umso eher gelingen, je mehr sie darber rede. Aus ihren Trumen hatte Frau Wolf den Eindruck gewonnen, dass Marios Seele lieber zu ihr als zu seiner frheren Familie kommen wollte. Es mag ja irrational sein, sagte sie, aber irgendwie habe ich das Gefhl, Rolf vor seiner frheren Mutter beschtzen zu mssen. Dies sieht sie als psychologisch wirksame Grnde dafr, dass sie niemals, auch nicht in der Familie, ber Marios Unfall gesprochen hat und Rolf dementsprechend auf normalem Wege nichts hat mitbekommen knnen. Auch will Frau Wolf sich nie vor ihrem Sohn ber ihre Auffassungen zur Reinkarnation verbreitet haben.

    Ich habe keinen Grund, ihr all das nicht zu glauben. Dennoch knnte sie sich irren und doch etwas gesagt haben, das Rolf gehrt hat, ohne dass es ihr bewusst war oder sie sich an ihre uerungen erinnert. Dann allerdings htte man angesichts der Reaktionen Rolfs zu unterstellen, dass ein drei- oder vierjhriger Junge das Konzept der Wiedergeburt versteht, alle Wissenselemente geschickt zusammenfgen und auf sich selbst bezogen dramatisierend darstellen kann. Und das alles vielleicht nur, um seiner Mutter zu gefallen!? Wenn dies nun unglaubwrdig klingt, dann knnte man noch vermuten, Rolf habe paranormale Fhigkeiten, die es ihm erlauben, die Fakten ber den Unfall in Erfahrung zu bringen, um sie personalisiert in eine Reinkarnationsgeschichte zu kleiden.

    Frau Wolfs Vorahnung des Unfalls knnte als Prkognition verstanden werden, ein bekann-tes parapsychologisches Phnomen, das keinen Bezug zu einem Jenseits braucht. Ich sehe darin allerdings nicht mehr als eine Umbenennung. Niemand versteht diesen Prozess wirklich so, dass er den Wirkmechanismus aufdecken knnte. Alles, was wir haben, sind viele gleichgela-nnte. Alles, was wir haben, sind viele gleichgela-nnte. Alles, was wir haben, sind viele gleichgela-gerte Beispiele. Alternativ mag man an zuflliges Zusammentreffen (ohne inneren Zusammen-hang oder gar Kausalitt) glauben.

    Frau Wolfs Ankndigungstrume knnte man als Kombination eines uneingestandenen Kinderwunsches mit Telepathie oder Hellsichtigkeit interpretieren, die zu zutreffendem Wissen ber jenen italienischen Friedhof und seine Umgebung gefhrt haben mag. Der im Traum verhandelte und taggenau nach 18 Monaten eingehaltene Geburtstag kann wieder als Prkognition oder aber als reiner Zufall gesehen werden. Allerdings darf bezweifelt werden, dass es den uneingestandenen Kinderwunsch wirklich gab. Schlielich widersetzte sich Frau Wolf im Traum nachhaltig dem Wunsch, das Unfallopfer als zuknftigen Sohn bei sich zu haben.

  • 41Ein neuer europischer Fall vom Reinkarnationstyp

    Die hnlichkeit von 13 Verhaltensmerkmalen im Vergleich zwischen Mario und Rolf kann ebenfalls als Zufall interpretiert werden. Allerdings ist die Menge der bereinstimmungen (ohne Unvereinbarkeiten) bemerkenswert.

    Rolfs Kniebeschwerden bedrfen keiner Erklrung, weil es keinen Grund gibt, in ihnen einen Zusammenhang mit Marios Schicksal zu sehen. Es drfte sich um ein zuflliges Zusam-mentreffen handeln, ebenso wie bei Marios und Rolfs Allergien. Solche sind heute so weit ver-breitet, dass es nicht unwahrscheinlich ist, sie bei zwei Personen zu finden.

    Psychokinetische Ereignisse mssen nicht mit einer verstorbenen Person in Verbindung gebracht werden, auch wenn dies vom Erfahrungstrger so interpretiert wird. In beiden Fllen war eine Fokusperson zur Stelle (Marios Mutter), deren Trauer die psychische Energie geliefert haben mag, die gengte, um die genannten Phnomene hervorzubringen, Phnomene, welche die Betroffene aber auch trsten konnten, indem sie einen sichtbaren Beweis lieferten, dass die Seele des Verstorbenen den Tod berlebt habe. Wer diese Erklrung bevorzugt, sollte sich aller-dings bewusst sein, dass es bislang keinerlei Beweise dafr gibt, dass ein Lebender die unmittel-bare Ursache fr physikalische Wunder sein kann gleichgltig, wie intensiv seine psychische Not auch sein mag. Ein Wirkmechanismus (modus operandi) dafr ist fr Lebende ebenso unbekannt wie fr Tote. Von Psi-Feldern lediglich zu sprechen, erklrt auch nicht wirklich, wie Psi funktioniert (Roll & Persinger, 2001). Man wei nur, dass sich solche Dinge auf der ganzen Welt und ber viele Jahrhunderte immer wieder ereignet haben und dies noch immer tun, ohne dass man sie immer durch Tuschung oder Betrug erklren knnte (Gauld & Cornell, 1979).

    Paranormale Elemente des FallesEin Einzelfall wie der vorliegende reicht nicht aus, um die alte Streitfrage zu klren, ob es statt-haft ist, einen Fall in seine Einzelteile zu zerlegen und unabhngig von denkbaren inneren Zusammenhngen jedes Element isoliert zu beurteilen, wie das im vorherigen Abschnitt geschehen ist. Wenn man alle Elemente als miteinander verbunden, also als Einheit versteht, erweist es sich als wenig glaubhaft, dass so viele Unwahrscheinlichkeiten und ungeklrte para-normale Phnomene grundlos zusammengekommen sein sollten, um einen Fall zu bilden, der nach Reinkarnation aussieht.

    Da ist zum einen Rolfs unerwartete Kenntnis von Fakten, zu der er sehr wahrscheinlich nicht auf normalem Wege gekommen sein kann, und zum anderen sein Bedrfnis, dieses Wis-sen als kleines Kind in eine persnliche Reinkarnationsgeschichte zu verpacken. Hinzu kommt Frau Wolfs emotionale Vorahnung, zusammen mit ihrem Ankndigungstraum, in dem sie Rolfs Geburt taggenau vorausahnte und korrekt die Friedhofsumgebung und den Friedhof sah, auf dem Mario beerdigt worden war. Weiterhin zhlen die 13 Verhaltensmerkmale dazu, die bei

  • 42 Dieter Hassler

    Mario und Rolf erstaunlich gut zusammenpassen. Rolf hat eine Krperschwche und Schmerzen ausgerechnet im Knie, jener Stelle, an der Marios Bein verletzt worden war. Schlielich scheint sich Mario aus dem Jenseits zu melden. All diese Ereignisse werden von einer Reinkarnations-hypothese oder von einem spiritistischen Modell abgedeckt, welches Reinkarnation einschliet.

    SchlussbetrachtungObwohl der vorliegende Fall formal zu den leider immer noch seltenen gelsten europ-ischen nicht-familiren Fllen zhlt, fllt er auf das Evidenzniveau eines gelsten Familien-falles zurck. Denn durch die Ankndigungstrume und das zufllige Zusammentreffen von Mario mit Frau Wolf wurde eine Verbindung zwischen den frheren und heutigen Familien hergestellt, die theoretisch ein Durchsickern von Information ermglicht haben kann. Man mag sich aber fragen, ob es diesen Fall berhaupt gbe, wenn es diese Verbindungen nicht gegeben htte. Die bereinstimmung der Verhaltensmerkmale von Mario und Rolf ist nicht so berzeugend wie in Stevensons starken Fllen (Hassler, 2011: 43, 57, 87, 193, 246). Fr wichtige Fakten hat es hier keine unabhngigen Zeugen gegeben. Denno