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Webinar am 06.05.2020, 15h-17hDeutscher Volkshochschulverband -
Ehrenamtsportal.
"Mitwirkungspflichten, Sozialrecht,Ausbildung und Beschäftigung
vonGeflüchteten in Zeiten von Corona
–Alles, was man in der Flüchtlingsberatung
jetzt wissen muss!"
von Rechtsanwalt Jens Dieckmann, Bonn
Gesetzestexte: Ausländerrecht, Beck-Texte im dtv, 34. Aufl.
2020Sozialgesetzbuch SGB I bis XII, Beck-Texte im dtv, 48. Aufl.
2019
Kommentare: Renner/Bergmann/Dienelt: Ausländerrecht, Kommentar,
13. Aufl. 2020Marx: AsylG, Kommentar zum Asylverfahrensrecht, 10 .
Aufl. 2019
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------Jens
Dieckmann, Rechtsanwalt, Rathausgasse 11a, 53111 Bonn
Tel.: 0228/9637978; Fax: 0228/9637979; email:
[email protected]
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Gesetze und Verordnungen - Übersicht
AsylG Ablauf des Asylverfahrens u. Anerkennungskriterien
Dublin III-VO Zuständigkeit eines Vertragsstaates für
Asylverfahren
AufenthG Aufenthaltsrecht für Nicht-EU-Ausländer
AufenthV insbes. Ausnahme von Visumspflicht
FreizügG/EU Aufenthaltsrecht für EU-Ausländer u. deren
Familienangehörige
EG-Visa-VO Auflistung der visumspflichtigen Länder
BeschV Beschäftigungsverordnung
StAG Einbürgerung, Feststellung Staatsangehörigkeit
AVwV-AufenthG Allg. Verwaltungsvorschriften des BMI zum AufenthG
u.AVwV-FreizügG/EU FreizügG/EU vom 26.10.2009
EU-Richtlinien definieren einheitliche Standards für:AufnahmeRL
Unterbringung/Lebensbedingungen für FlüchtlingeVerfahrensRL
AsylverfahrenQualifikationsRL Anerkennung u. damit verbundene
Rechte
LeistungsgesetzeAsylbLGSozialleistungen für Asylbewerber,
Inhaber von Duldung o. humanitärer AESGB II Sozialleistungen für
arbeitsfähige Arbeitslose = Arbeitslosengeld II ("Hartz IV")SGB III
Arbeitslosengeld I (und Arbeitserlaubnisrecht für Kroaten)SGB V
Recht der gesetzlichen KrankenversicherungSGB XII Sozialleistungen
für Arbeitsunfähige, Grundsicherung im AlterBEEG
BundeselterngeldgesetzEStG Einkommenssteuergesetz (Kindergeld §§ 64
ff.)BAFöG BundesausbildungsförderungsgesetzWoGG Wohngeldgesetz
AbkürzungenABH = AusländerbehördeAE = Aufnahmeeinrichtung AE =
AufenthaltserlaubnisBAMF = Bundesamt fürMigration und
FlüchtlingeBÜMA = Bescheinigung über dieMeldung als
AsylsuchenderEAE = ErstaufnahmeeinrichtungNE =
NiederlassungserlaubnisRL = RichtlinieVO = Verordnung
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A. Einführung: Grundbegriffe und Grundstruktur desdeutschen
Aufenthaltsrechts
I. Für Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet brauchen
Ausländer*innen (Drittstaatler)grundsätzlich eine Erlaubnis
(Aufenthaltserlaubnis, Visum).
II. Für Staatsangehörige der Europäischen Union und ihre
Familienangehörigen (auch wenn dieseeine nichteuropäische
Staatsangehörigkeit haben) gelten Sondervorschriften nach
demFreizügigkeitsgesetz EU.
III. Die wichtigsten Aufenthaltstitel (= Oberbegriff, § 4 I
AufenthG) nach dem AufenthG:
1. Visum § 62. Aufenthaltserlaubnis § 73.
Niederlassungserlaubnis § 94. Ist über die die Verlängerung einer
AE noch nicht entschieden, wird für den Zeitraum bis zurBescheidung
eine sog. Fiktionsbescheinigung nach § 81 ausgestellt.
IV. Keine Aufenthaltstitel sind:
Duldung (= nur Aussetzung der Abschiebung) §
60aAufenthaltsgestattung (für Asylbewerber) § 55
AsylVfGGrenzübertrittsbescheinigung ("Ausreisekontrollpapier")
V. Im Asylverfahren werden die Voraussetzungen der folgenden
Schutztitel geprüft:
1. Asylberechtigung, Art. 16a I GG2. Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft, § 3 AsylG3. Zuerkennung subsidiärer Schutz,
§ 4 AsylG4. Feststellung nationaler Abschiebungsverbote, § 60 V,
VII S. 1 AufenthG
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B. Aktuelle ausländerrechtliche Regelungen im Lichte
derCorona-Krise – „Alles, was man jetzt wissen muss!“
I. BMI-Verfahrenshinweise an Ausländerbehörden vom 25.03.2020
wege derCorona-Virus-Sondersituation
Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat aufgrund der
Auswirkungen des CoronavirusEmpfehlungen zur Vereinfachung von
Verfahren bei den Ausländerbehörden erarbeitet, diemit einem
Rundschreiben an die für den Vollzug des Aufenthaltsgesetzes
zuständigenBundesländer übermittelt wurden.
In dem Rundschreiben des BMI vom 25. März 2020 wird auf die
Situation eingegangen, dass dieAusländerbehörden zur Zeit nur
eingeschränkt arbeitsfähig sind und dass nach Möglichkeit auchkeine
persönlichen Termine vergeben werden sollen.
Dies entspricht derzeit bundesweit auch der Praxis.
Vor diesem Hintergrund werden die Ausländerbehörden unter
anderem gebeten, die Verlängerungvon Aufenthaltstiteln und
Duldungen – für die sonst regelmäßig die Vorsprache bei der
Behördeerforderlich ist – schriftlich zu bestätigen oder sogenannte
Fiktionsbescheinigungen auszustellen.
Weitere Hinweise des BMI betreffen die folgenden Bereiche:
Halten sich Staatsangehörige von Ländern mit Visumspflicht
vorübergehend mit einemSchengen-Visum in Deutschland auf und können
jetzt nicht ausreisen, sollen sie dieMöglichkeit erhalten, per
E-Mail eine Verlängerung ihrer Ausreisefrist zu beantragen.
Die Ausländerbehörden werden gebeten, großzügig bemessene
Ausreisefristen zu gewähren(eine Verlängerung des Visums selbst ist
in der Regel nicht möglich, weil hierfür diepersönliche Vorsprache
erforderlich wäre).
Die Regierung hat dazu am 08.04.2020 eine Rechtsverordnung
veröffentlicht.
Personen aus Staaten, für die keine Visumspflicht gilt und die
sich deshalb bis zu 90 Tageohne Visum in Deutschland aufhalten
dürfen, sollen die Möglichkeit erhalten, notfalls perE-Mail eine
Legalisierung ihres Aufenthalts zu beantragen.
Bei längeren visumsfreien Aufenthalten von Staatsangehörigen
sogenannter "best friends"-Staaten soll auch die Fiktionswirkung
genutzt werden.
Sie sollen zudem bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen eine
Beschäftigungserlaubniserhalten können.
Der Bezug von Kurzarbeitergeld hat keine Auswirkungen auf
bestehende Aufenthaltstitel(diese dürfen also nicht entzogen
werden, weil kein ausreichendes Einkommen erzielt wird).
Bei tatsächlicher Unmöglichkeit der Ausreise ist
ausreisepflichtigen Personen eine Duldungzu erteilen.
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Droht das Erlöschen des Aufenthaltstitels einer Person, weil sie
wegen fehlenderFlugverbindungen nicht aus dem Ausland zurückkehren
kann und sich damit über dieerlaubte Frist hinaus außerhalb
Deutschlands aufhält, soll eine großzügigeFristverlängerung gewährt
werden (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG).
Die Einreise von Fachkräften aus dem Gesundheits- und
Pflegebereich, demTransportwesen sowie anderen notwendigen
Bereichen soll im Rahmen des sogenanntenbeschleunigten
Fachkräfteverfahrens prioritär ermöglicht werden.
Da das BMI keine Weisungskompetenz für die lokalen
Ausländerbehörden hat, sind dieHinweise des Ministeriums nicht
bindend und daher als Empfehlungen formuliert.
Auszüge aus diesen Verfahrenshinweisen des BMI vom
26.03.2020:
„[A]ufgrund der Ausbreitung der Erkrankung COVID-19 durch den
Erreger SARS-CoV-2("Corona-Virus") sind viele Ausländerbehörden nur
eingeschränkt arbeitsfähig. Zudem ist es ausepidemiologischen
Gründen geboten, direkten Kundenkontakt nach Möglichkeit zu
vermeiden.Gleichwohl bittet das Bundesministerium des Innern, für
Bau und Heimat, den Vollzug desAufenthaltsgesetzes durch die
Ausländerbehörden auch in den kommenden Monaten zugewährleisten.
Aufgrund der präzedenzlosen und volatilen Sondersituation im
Zusammenhang mitdem Corona-Virus sind zur Entlastung der
Ausländerbehörden jedoch eine Reihe vonVerfahrensvereinfachungen
angezeigt. [...]
1. Verlängerungsanträge bei Aufenthaltstiteln (mit Ausnahme von
Schengen-Visa)
Um den reduzierten Personalbestand der Ausländerbehörden
abzufedern, ist verstärkt dieFiktionswirkung des § 81 Absatz 4
AufenthG zu nutzen. [...] Die nach § 81 Absatz 5 AufenthG
zuerteilende Fiktionsbescheinigung dient lediglich zu
Nachweiszwecken. Dies gilt auch dann, wennder Antrag formlos (z. B.
telefonisch, online, per E-Mail oder per Post) gestellt wird.
Wenn ein Versand der sonst üblichen Fiktionsbescheinigung (vgl.
§ 58 Satz 1 Nummer 1 AufenthV)aufgrund der aktuellen Umstände nicht
möglich sein sollte, kann die Ausländerbehörde denEingang des
Verlängerungsantrages mittels einer formlosen Bescheinigung
bestätigen und diesemit Unterschrift und Stempel versehen per Post
an den Antragsteller zurücksenden. Im Notfall kanndies auch
elektronisch ohne Unterschrift und Stempel geschehen. Die örtlichen
Polizeidienststellen,Leistungsbehörden sowie ggf. weitere relevante
Behörden vor Ort sollten unverzüglich aufgeeignetem Weg über die
Verwendung dieser Bescheinigung unterrichtet werden. Sollte
eindringender Bedarf an einer formalen Fiktionsbescheinigung nach §
81 Absatz 5 AufenthG geltendgemacht werden, insbesondere zu
Ausreisezwecken, wird gebeten, die Ausstellung einer solchen
zumöglichen.
2. Verkürzung von Aufenthaltstiteln / Zweckfortfall
In Fällen, in denen absehbar ist, dass ein Aufenthaltstitel
nicht verlängert werden kann oder aufsonstige Weise ein
Zweckfortfall eintritt (z. B. bei gekündigten
Arbeitsverhältnissen), sollte das
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Aufenthaltsgesetz vollzogen werden. Ausreisepflichten sind,
soweit dies aufgrund der Umständemöglich ist, durchzusetzen. Ist
die Ausreise tatsächlich unmöglich, ist eine Duldung zu
erteilen.
3. Bezug von Kurzarbeitergeld
Der Bezug von Kurzarbeitergeld hat keine Auswirkungen auf den
Bestand eines Aufenthaltstitels.Der Arbeitsvertrag bleibt auch bei
Bezug von Kurzarbeitergeld bestehen. Die
Inanspruchnahmeöffentlicher Mittel steht zwar grundsätzlich der
Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen. Lediglichder Bezug von
in § 2 Absatz 3 Satz 2 AufenthG explizit benannten öffentlichen
Leistungen ist mitBlick auf das Erfordernis der
Lebensunterhaltssicherung unschädlich. Unschädlich sind danach
u.a.Leistungen, die auf Beitragsleistungen beruhen. Beim
Kurzarbeitergeld handelt es sich um eineLeistung der
Arbeitslosenversicherung an Arbeitnehmer, somit um eine auf
Beiträgen beruhendeLeistung.
Auch in Bezug auf die Blaue Karte EU nach § 18b Absatz 2
AufenthG und eineAufenthaltserlaubnis für IT-Fachkräfte nach § 19c
Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 6 BeschV soll sich derBezug von
Kurzarbeitergeld auch dann nicht negativ auf den Bestand des
Aufenthaltstitelsauswirken, wenn das Kurzarbeitergeld die
jeweiligen Gehaltsgrenzen unterschreitet und dieKurzarbeit eine
Maßnahme im Zusammenhang mit dem Corona-Virus darstellt.
4. Fälle des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG
Ausländern mit Aufenthaltstitel, die sich im Ausland befinden
und aufgrund gestrichenerFlugverbindungen etc. keine Möglichkeit
mehr haben, innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 51 Abs.1 Nr. 7
AufenthG nach Deutschland zurückzukehren, ist noch vor Ablauf
dieser Frist einegroßzügige Fristverlängerung zu gewähren. Eine
Fristverlängerung erfolgt im herkömmlichenVerwaltungsbetrieb nur
auf Antrag; aufgrund der aktuellen Sondersituation kann
sieausnahmsweise aber auch durch Allgemeinverfügung von Amts wegen
erfolgen.
5. Verlängerung von Schengen-Visa
Die Fiktionswirkung des § 81 Absatz 4 AufenthG gilt nicht für
die Verlängerung von Schengen-Visa.BMI beabsichtigt deshalb zeitnah
den Erlass einer Rechtsverordnung, mit der die Inhaber
vonablaufenden Schengen-Visa für einen begrenzten Zeitraum nach
Ablauf des Visums vomErfordernis eines Aufenthaltstitels befreit
werden.
Bis dahin gilt: Eine Verlängerung von Schengen-Visa setzt eine
persönliche Vorsprache derBetroffenen voraus. Zur
Verfahrensvereinfachung sollten Inhaber von Schengen-Visa bei
derAusländerbehörde per E-Mail unter Angabe ihrer Personalien eine
Verlängerung ihrerAusreisefrist beantragen. Die Ausländerbehörden
werden gebeten, eine großzügig bemesseneAusreisefrist zu gewähren
und dem Antragsteller dies formlos auf schriftlichem Wege oder per
E-Mail mitzuteilen. Es wird angeraten, auf der eigenen Website
einen entsprechenden Hinweis zuplatzieren.
Da für die Bundespolizei und andere kontrollierende Stellen der
Erlass von örtlich begrenztenAllgemeinverfügungen einzelner
Ausländerbehörden nur schwer nachvollziehbar ist und zeitnaheine
generelle Regelung durch Rechtsverordnung erfolgen soll, bitte ich,
von Allgemeinverfügungenabzusehen. [...]
6. Umgang mit visumfreien Aufenthalten (Ablauf der
90-Tage-Frist)
Die Fiktionswirkung gilt auch für Ausländer, die sich derzeit
visumbefreit in der Bundesrepublikaufhalten.
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a) Personen, die nach der VO (EU) 2018/1806 vom 14. November
2018 (Visa-Verordnung) für 90Tage visumfrei einreisen durften, sind
gehalten, nach Möglichkeit in ihren Herkunftsstaatzurückzukehren.
Soweit dies aufgrund der aktuellen Umstände unmöglich ist, sollten
sie sich vorAblauf der 90 Tage an die Ausländerbehörde ihres
Aufenthaltsorts wenden und unter Angabe ihrerPersonalien – notfalls
per E-Mail – darum bitten, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Dieser
Antragbewirkt schon für sich genommen, dass der Aufenthalt bis zur
Entscheidung der Ausländerbehördeweiterhin als erlaubt gilt
(Fiktionswirkung nach § 81 Absatz 3 AufenthG). Für alle
vorgenanntenFälle gilt weiterhin, dass die Ausländerbehörden auf
die Durchsetzung der Ausreisepflichthinzuwirken haben, soweit dies
möglich ist.
b) Auch für Drittstaatsangehörige der in § 41 Abs. 1 AufenthV
genannten Staaten, die nach dieserVorschrift visumfrei eingereist
sind, soll in der aktuellen Lage die mit der
Antragstellungverbundene Fiktionswirkung des erlaubten Aufenthalts
genutzt werden. Soweit der Ausländer imBesitz der Zustimmung der
Bundesagentur für Arbeit ist und den Aufenthaltstitel wie
obenbeschrieben beantragt hat, kann er die in der Zustimmung der
Bundesagentur für Arbeitbezeichnete Beschäftigung aufnehmen. Für
Drittstaatsangehörige der in § 41 Abs. 1 AufenthVgenannten Staaten,
die bereits visumfrei eingereist und noch nicht im Besitz einer
Zustimmung derBundesagentur für Arbeit sind, kann die o.g. Lösung
keine Anwendung finden. DieAusländerbehörden sollten trotz
eingeschränkter Vorsprachemöglichkeiten diesem Personenkreisdie
Möglichkeit der Antragstellung einräumen, damit eine Beschäftigung
aufgenommen werdenkann. [...]
7. Verlängerung von Duldungen
Auch im Bereich von Duldungen ist der Vollzug des
Aufenthaltsrechts zu gewährleisten. ZurVerfahrenserleichterung
kommt hier übergangsweise eine Einzelverlängerung von Duldungen
vonAmts wegen in Betracht, die auch per Post versandt werden
können. Allgemeinverfügungen solltenauch hier nur im Ausnahmefall
ergehen.
8. Fachkräfteeinwanderung
Die Ausländerbehörden werden gebeten, beschleunigte
Fachkräfteverfahren nach § 81a AufenthGfür Personal in Gesundheits-
und Pflegeberufen, der Gesundheitsforschung sowie
fürTransportpersonal im Warenverkehr und anderen notwendigen
Bereichen prioritär zu behandeln.Ausländische Fachkräfte dieser
Berufsgruppen sind nach der von den Staats- und
Regierungschefsindossierten "Mitteilung der Kommission an das
Europäische Parlament, den Europäischen Ratund den Rat – COVID- 19:
Vorübergehende Beschränkung von nicht unbedingt notwendigenReisen
in die EU [COM (2020) 115 final]" vom 16.3.2020 von den aktuellen
Reisebeschränkungenausgenommen. [...]“
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II. Weiteres Rundschreiben des BMI vom 09.04.2020 zur Ergänzung
derVerfahrenshinweise vom 25.03.2020
Das BMI hat mit einem Rundschreiben vom 9. April 2020 weitere
Empfehlungen zum Umgang mitAufenthaltstiteln während der
Corona-Virus-Sondersituation an die Bundesländer übermittelt.
DieseHinweise ergänzen seine Empfehlungen vom 25. März 2020.
Die erneuten BMI-Hinweise betreffen folgende Bereiche:
• Wenn eine rechtzeitige Wiedereinreise nach Deutschland nicht
möglich ist, kann der Antrag aufVerlängerung des bestehenden
Aufenthaltstitels auch aus dem Ausland formlos per E-Mail bei
derzuständigen Ausländerbehörde gestellt werden. Bei Antragstellung
vor Ablauf des Aufenthaltstitelstritt die Fiktionswirkung nach § 81
Abs. 4 S. 1 AufenthG ein.
• Zwar soll weiterhin an der Passpflicht als
Erteilungsvoraussetzung für Aufenthaltstitelfestgehalten werden (§
5 Abs.1 Nr. 4 AufenthG).
In Ausnahmefällen, wenn konsularische Tätigkeiten von der
Auslandsvertretung desHerkunftsstaats eingeschränkt wurden, können
auch Verlängerungsvermerke oder Stempel inabgelaufenen Pässen oder
pauschale Verlängerungserklärungen akzeptiert werden.
• Bei der Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu Studienzwecken
soll vorübergehend aufden Nachweis der Lebensunterhaltssicherung
verzichtet werden.
Da für ausländische Studierende aufgrund des eingeschränkten
Lehrbetriebs die Möglichkeitbesteht, weitere Jobs auszuüben, sollen
hierfür Beschäftigungserlaubnisse erteilt werden,auch wenn der
Zeitraum der Beschäftigung damit über die gesetzlich vorgesehene
Dauer von120 Tagen pro Jahr hinausgeht.
Studienverzögerungen, die sich aufgrund des eingeschränkten
Lehrbetriebs ergeben, sollenbei Titelverlängerung nicht zulasten
der Betroffenen gehen.
• Personen mit Aufenthaltstitel zum Zweck der Berufsausbildung
und des Schulbesuchs sollermöglicht werden, Prüfungen zu einem
späteren Zeitpunkt abzulegen, gegebenenfalls auch nochnach Ablauf
des Titels. Dies gilt auch bei der Ausbildungsduldung.
• Bei Wegfall des Aufenthaltszwecks (z.B. aufgrund eines
Verlusts des Arbeitsverhältnisses) undentsprechend vorzunehmender
nachträglicher Befristung des Titels haben die
Ausländerbehördeneinen weiten Ermessensspielraum, der sachgerecht
ausgeschöpft werden soll (z.B.Berücksichtigung von in Aussicht
stehender Arbeitsstelle, ALG I Bezug).
Der Bezug von Kurzarbeitergeld und ALG I soll keine negativen
Auswirkungen auf bestehendeAufenthaltstitel haben.
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• Nach einer am 9. April 2020 in Kraft getretenen
Rechtsverordnung des Bundes werden Personenmit abgelaufenen
Schengen-Visa bis zum 30. Juni 2020 vom Erfordernis eines
Aufenthaltstitelsbefreit.
Personen, die sich am 17. März 2020 bereits mit einem
Schengen-Visum in Deutschlandaufgehalten haben oder die danach mit
einem Schengen-Visum eingereist sind, halten sich demnachbis zum
30. Juni 2020 legal in Deutschland auf.
Ihnen ist laut Verordnung bis zum 30. Juni 2020 die Ausübung
einer Erwerbstätigkeit erlaubt.
• Auch diese Hinweise des BMI haben für die lokalen
Ausländerbehörden lediglichEmpfehlungscharakter. Wenn aber ein
Bundesland sie per Erlass für anwendbar erklärt, sind siedort
verbindlich (wie bis dato z.B. etwa Niedersachsen).
III. Besonderheiten bei der Zustellung von Bescheiden im
Asylverfahren(aktualisiert: 29.04.2020; Quelle: www.BAMF.de)
„Das Bundesamt ist sich bewusst, dass es auf Grund der
Corona-Pandemie und der zurVerhinderung einer weiteren Verbreitung
ergriffenen Maßnahmen schwierig sein kann, eineRechtsberatung oder
anwaltliche Vertretung in Anspruch zu nehmen. Daher hat das
Bundesamt inAbstimmung mit dem Bundesinnenministerium und den
Bundesländern entsprechend reagiert undstellt aktuell nur
vollumfänglich stattgebende Bescheide zu (d.h. Bescheide, in denen
Asyl nach Art.16a GG oder Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG erteilt
wird). Die Bearbeitung vonsicherheitsrelevanten Fällen ist
durchgängig sichergestellt.
Von dieser grundsätzlichen Regelung kann (ab dem 20. April) in
folgenden Fällen abgewichenwerden:
- Bei Asylverfahren , bei denen ein Anwalt mandatiert und damit
eine rechtliche Vertretungsichergestellt ist. Hier wird der
ablehnende Bescheid dem Anwalt zugestellt, der somitfristwahrend im
Auftrag seines Mandanten Klage erheben oder Anträge stellen kann.
Diesgilt auch für alle Bescheide, in denen die Zustellung bis zum
19. April 2020 unterblieben istoder wenn eine Mandatierung
nachträglich angezeigt wird.
- Bei Verfahrenseinstellungen durch Antragsrücknahme und
Verzicht (§ 32 AsylG) bzw. beiUntertauchen oder Ausreise (§ 33 Abs.
2 S. 1 Nr.2 AsylG) werden Bescheide ebenfallszugestellt.
Diese eingeschränkte Zustellung soll zunächst für drei Wochen
erfolgen. Je nach Entwicklung derCorona-Pandemie und der damit
einhergehenden allgemeingültigen Beschränkungen wird dasBundesamt
die Lage neu bewerten und entscheiden, ob die Einschränkungen über
den 11.Maihinaus bestehen bleiben müssen oder die uneingeschränkte
Wideraufnahme von Zustelllungenmöglich ist.“
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IV. „BMI stellt klar, dass Einreisebeschränkungen
Asylbewerber*innen nichtbetreffen“ (Quelle: 06.04.2020, Welt
(Achtung: Paywall):
Nach sich widersprechenden Medienberichten hat das BMI
klargestellt, dass aktuelleEinreisebeschränkungen Asylsuchende
nicht betreffen.
Durch die neuen Grenzschutzmaßnahmen soll sich demnach nichts an
bisherigenAsylverfahren verändert haben.
Unter Berufung auf die „Welt am Sonntag“ berichtet die
Oldenburger Onlinezeitung, dassdas BMI auch aufgrund stark
gesunkener Ankunftszahlen von Asylsuchenden, es nicht mehranstrebt,
den Erlass auf Asylbewerber*innen auszuweiten.
V. BAMF nimmt Asylanträge im Regelfall nur noch schriftlich
entgegen(Quelle: www.BAMF.de, aktualisiert: 29.04.2020)
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat zur gebotenen
Vermeidung vonKontakten die persönliche Antragstellung umgestellt
und nimmt Asylanträgegegenwärtig nur noch schriftlich entgegen.
Dabei handelt es sich nicht um einen"Schriftlichen Asylantrag" nach
§ 14 Abs. 2 AsylG, der beispielsweise für unbegleiteteMinderjährige
vorgesehen ist bzw. für Antragstellende, die sich in Haft oder in
einemKrankenhaus befinden, sondern weiterhin um eine persönliche
Antragstellung mitsogenannten "Formularanträgen", die ab sofort in
einem kontrollierten Verfahrenzulässig sind.
Voraussetzung für die Antragstellung mittels "Formularantrag"
ist die erfolgteRegistrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung der
Bundesländer, bei der auch einAnkunftsnachweis (AKN) ausgestellt
wird. Im Anschluss daran wird der"Formularantrag" ausgefüllt, vom
Antragstellenden persönlich unterschrieben undgemeinsammit einer
Kopie des AKN an das Bundesamt übermittelt. Nach Eingangstellt das
Bundesamt Aufenthaltsgestattungen aus und übermittelt diese
gemeinsammit der schriftlichen Belehrung zum Asylverfahren an die
Antragstellenden.
In besonderen Fällen insbesondere mit Sicherheitsbezug war die
Möglichkeit,Anhörungen durchzuführen, durchgängig gegeben. Diese
und - in begrenztem Umfangweitere Anhörungen - werden unter
Beachtung der infektionsschutzrechtlichenVorgaben in dafür
vorgesehenen, speziellen Räumlichkeiten durchgeführt, die in
allenAußenstellen zur Verfügung stehen; ihre Zahl wird
bedarfsgerecht angepasst.Vorrangig werden entscheidungsreife
Asylverfahren bearbeitet. DerGesundheitsschutz der Mitarbeitenden
und aller übrigen Beteiligten hat beiAnhörungen Priorität.
VI. Asylverfahrensberatung vorübergehend ausgesetzt (Quelle:
www.BAMF.de;aktualisiert: 20.03.2020)
Aufgrund der aktuellen Entwicklung zum Corona-Virus wird die
Asylverfahrensberatung desBundesamtes für Migration und Flüchtlinge
vorübergehend ausgesetzt.
VII. Befragungen im Widerrufsverfahren ausgesetzt (Quelle:
www.BAMF.de,aktualisiert: 08.04.2020)
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VIII. Aktuelle Rechtsprechung
1. Problemfeld: sog. „Dublin-Verfahren“
1. VG Ansbach, Beschluss v. 18.03.2020 – AN 17 S 20.50116
Einstweiliger Rechtsschutz abgelehnt in Dublin-Verfahren
(Spanien).
„… Die Antragsteller wenden sich gegen eine asylrechtliche
Abschiebungsanordnung nach Spanien
im Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. März 2020, die im Zuge
eines Dublin-Verfahrens
ergangen ist.
„… Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die
Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen
des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem
Aussetzungsinteresse der Antragsteller
ergibt. …
„… Spanien hat auf das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin nach
Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO
seine Zustimmung zur Übernahme der Antragsteller erklärt.
Spanien ist daher verpflichtet, die
Antragsteller gemäß Art. 18 Abs. 1 a) Dublin III-VO aufzunehmen.
Weder ist die Überstellungsfrist
nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abgelaufen, noch liegen
Umstände vor, die ausnahmsweise die
Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin
III-VO begründen oder zur Ausübung
des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO
führen würden.
Nach dem System der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.
14.5.1996, 2 BvR 1938/93, 2
BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen
Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 31.12.2011,
C-411/10 und C-433/10 - NVwZ 2012, 417) gilt die Vermutung, dass
die Behandlung von
Asylbewerbern in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU)
den Vorschriften der Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für
Menschenrechte (EMRK) und der
Charta der Grundrechte der EU (ChGR) entspricht. Diese Vermutung
ist jedoch dann widerlegt,
wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für
Asylbewerber in einem Mitgliedsland
systemische Mängel aufweisen, die zu der Gefahr für den
Asylbewerber führen, bei Rückführung in
den Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigende
Behandlung i.S.v. Art. 4 ChGR bzw.
Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
Derartige systemische Mängel, mit dem der Asylbewerber der
Überstellung alleine entgegen-treten
kann (EuGH Gr. Kammer, U.v. 10.12.2013, C-394/12 - juris), sind
für Spanien nicht erkennbar und
wurden von der Antragstellerin zu 1. auch nicht vorgetragen. Das
Gericht schließt sich nach
Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln, der -
soweit ersichtlich - einhelligen
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an, die derartige
systemische Mängel im spanischen
Asylsystem verneint (vgl. VG Würzburg, B.v. 5.4.2019, W 8 S
19.50286, VG München, B.v.
17.10.2018, M 22 S 18.52859, VG Berlin, B.v. 22.3.2019, 31 L
12.09 A, VG Lüneburg, B.v.
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21.2.2019, VG Ansbach, U.v. 15.1.2016, AN 14 K 15.50380 -
jeweils juris). An die Annahme des
Ausnahmefalls des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO sind dabei
strenge Anforderungen zu stellen.
Es müsste die ernsthafte Gefahr grundlegender Verfahrensmängel
oder erheblich defizitärer
Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem Mitgliedsland
erkennbar und für den
Rechtschutzsuchenden im zu entscheidenden Einzelfall zu
befürchten sein (vgl. BVerwG, B.v.
19.3.2014, 10 B 6/14 - juris), was weder allgemein für Spanien
ersichtlich ist, noch im Hinblick auf
eine besonders schutzwürdige Personengruppe, der die
Antragsteller im Hinblick auf das Alter der
Antragsteller zu 2. und 3. möglicherweise angehören - was hier
unentschieden bleiben kann -, für
Spanien erkannt werden kann. Eine Veranlassung bzw.
Verpflichtung zur Ausübung des
Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO besteht
ebenfalls aus keinem Grund.
Insbesondere hat die Antragsgegnerin zu Recht darauf abgestellt,
dass eine Ehe und Vaterschaft
der Antragsteller mit dem Asylbewerber im Bundesamtsverfahren
zum Az. … nicht ansatzweise
belegt ist. Ungeachtet dessen hat die Antragstellerin zu 1.
vorgetragen, die Einreise aus
Weißrussland sei gemeinsam erfolgt und ihr Mann habe sich um die
Reiseangelegenheiten
gekümmert, so dass es naheliegt, dass auch der Asylantragsteller
im Bundesamtsverfahren … mit
einem Schengen-Visum, welches das Königreich Spanien ausgestellt
hat, nach Deutschland
eingereist ist. Es besteht damit eine gewisse
Wahrscheinlichkeit, dass auch jenes Asylverfahren als
unzulässig zu verbescheiden und die Überstellung des dortigen
Asylantragstellers nach Spanien zu
veranlassen sein wird, so dass jedenfalls keine konkreten
Anhaltspunkte für eine Familientrennung
infolge des hier angegriffenen Bescheides vorliegen. Eine
entsprechende Annahme konnte der
Einzelrichter im vorliegenden Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes bei lediglich summarischer
Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des Vortrags der
Antragstellerin zu 1. auch seiner
Entscheidung zugrunde legen, ohne, dass ihm die Bundesamtsakte
zur Verfahrensnummer …
vorgelegen hat.
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Ebenso wenig ist ein zielstaatsbezogenes oder inlandsbezogene
Abschiebungshindernis nach § 60
Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG erkennbar, das einer
Abschiebung nach Spanien
entgegenstünde. Ein solches ergibt sich bei den Antragstellern
insbesondere nicht aus
gesundheitlichen Gründen, was das Bundesamt in den Gründen des
angefochtenen Bescheides
zutreffend und ausführlich ausgeführt hat. In Spanien sind
grundsätzlich auch alle Arten von
Erkrankungen behandelbar und Behandlungsmöglichkeiten stehen
Asylbewerbern bei Bedarf auch
zur Verfügung. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder
Leben gem. § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG ist für die Antragstellerin zu 1. keinesfalls
gegeben.
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Ergänzend wird insgesamt auch auf die ausführliche Begründung im
streitgegenständlichen
Bescheid des Bundesamtes vom 3. März 2020 Bezug genommen, § 77
Abs. 2 AsylG.
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Weiter ergänzend bemerkt der Einzelrichter, dass aus seiner
Sicht der Abschiebungsanordnung
auch keine tatsächlichen Vollzugshindernisse aufgrund der
aktuellen Coronavirus-Krise und damit
einhergehenden Grenzschließungen und Reisebeschränkungen einer
Überstellung der Antragsteller
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nach Spanien entgegenstehen. Denn das wäre nach Überzeugung des
Gerichts nur anzunehmen,
wenn aufgrund der bestehenden Beschränkungen im Schengenraum die
der Antragsgegnerin
verbleibende Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs.
2 Satz 1 Dublin III-VO)
tatsächlich nicht eingehalten werden könnte und es insoweit
absehbar zu einem
Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin kommen wird.
Dieser Sechs-Monats-Zeitraum ist
folglich der Prognostizierung, ob der Abschiebungsanordnung
tatsächliche Vollzugshindernisse
entgegenstehen, für die rechtliche Beurteilung zugrunde zu
legen. Der Gesetzesbegriff des
Feststehens im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG meint ein
relatives Feststehen in dem Sinne,
dass nach derzeitigem Verfahrensstand die Abschiebung mit großer
Wahrscheinlichkeit
durchgeführt werden kann (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl.
2020, AsylG § 29 Rn. 53).
Angesichts der zahlreich getroffenen Maßnahmen gegen die
Corona-Pandemie in Europa und auch
vor dem Hintergrund, dass jedenfalls bei entsprechenden hohen
Schutzvorkehrungen, wie sie
beispielsweise im Ausbruchsland der Corona-Pandemie in China,
aber auch im Königreich
Spanien angeordnet wurden, kann innerhalb eines Zeitfensters von
sechs Monaten mit einer
Eindämmung und entsprechender Herabstufung der
Sicherheitsmaßnahmen ernsthaft gerechnet
werden - wie das Beispiel China zeigt. Es ist daher zum
gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz
1 Halbs. 2 AsylG) nicht konkret absehbar, dass es zu einer
Überstellung der Antragsteller nach
Spanien binnen der nunmehr neu zu laufen beginnenden
regelmäßigen Überstellungsfrist
tatsächlich nicht kommen wird. …“
2. VG Berlin, Beschluss vom 17.04.2020 - 38 L 251.20
Corona-Pandemie gefährdet Existenzsicherung der georgischen
Bevölkerung nicht,Abschiebungsandrohung nach Georgien nicht
rechtswidrig
3. VG Osnabrück, Beschluss vom 20.03.2020 - 5 B 88/20
Leitsatz:Duldung wegen Dublin-Überstellungsaussetzung aufgrund
Corona-Pandemie:
Die Aussetzung der Dublin-Überstellungen aufgrund der
Corona-Pandemie begründet eininlandsbezogenes
Vollstreckungshindernis im Sinne einer objektiven Unmöglichkeit,
welche zurErteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG
führt.
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4. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden vorläufig alle
Dublin-Überstellungenausgesetzt. Pro Asyl und Equal Rights Beyond
Borders haben Hinweise dazuveröffentlicht, welche Auswirkungen dies
auf laufende Verfahren hat und wiedie Beratungspraxis damit umgehen
kann.
Am 18. März 2020 teilte das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) denVerwaltungsgerichten in Deutschland mit, dass
alle Dublin-Überstellungen vorläufig von Amtswegen ausgesetzt
seien, da sie angesichts der Corona-Pandemie bedingten
Grenzschließungen undReiseverbote nicht vertretbar seien.
Allerdings soll dies laut BAMF nicht dazu führen, dass die
Zuständigkeit für die Durchführung derbetreffenden Asylverfahren
durch Ablauf der Überstellungsfrist auf Deutschland
übergeht.Vielmehr werde die Überstellungsfrist während der
Aussetzung lediglich unterbrochen. Das BAMFbezieht sich dabei auf §
80 Abs. 4 VwGO, wonach eine Behörde die Vollziehung
einesVerwaltungsakts, der trotz Rechtsbehelf vollziehbar bleibt,
aussetzen kann. Dies ist bei "Dublin-Bescheiden" der Fall, weil
Klagen gegen diese Entscheidungen keine aufschiebende Wirkung
haben.Zudem beruft sich das BAMF auf Art. 27 Abs. 4 der
Dublin-III-Verordnung (Dublin-III-VO), deres den Mitgliedstaaten
ermöglicht, die Aussetzung der Überstellungsentscheidung bis
zumAbschluss des Rechtsbehelfs vorzusehen.
Pro Asyl kritisiert, dass diese Auffassung dem in der
Dublin-III-Verordnung verankertenBeschleunigungsgebot widerspricht,
wonach auch für die Betroffenen möglichst schnellRechtssicherheit
über die Zuständigkeit für ihr Asylverfahren geschaffen werden soll
(sieheproasyl.de News vom 8.4.2020). Diesem Grundsatz könne durch
Ausübung des in der Dublin-III-Verordnung vorgesehenen
Selbsteintritts oder schlicht durch den bei Fristablauf
erfolgendenZuständigkeitsübergang entsprochen werden. Stattdessen
verursache das BAMF aber durch seinVorgehen Unsicherheit bei
Betroffenen, erhöhten Beratungsbedarf und vermeidbare
weitereBelastungen der Verwaltungsgerichte. Es bestünden erhebliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit desVorgehens des BAMF.
Um die rechtlichen Auswirkungen der BAMF-Auffassung und
Konsequenzen für dieBeratungspraxis zu erläutern, haben Pro Asyl
und Equal Rights Beyond Borders eine juristischeAnalyse und
Beratungshinweise veröffentlicht. Darin wird auf die Wirkung
dieserRechtsauffassung in verschiedenen Fallkonstellationen
eingegangen und es werden entsprechendeHandlungsempfehlungen
gegeben. Die Hinweise sollen als Orientierung und
Argumentationshilfedienen, aber keine fachkundige anwaltliche
Beratung ersetzen.
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2. Problemfeld: Unterbringung von Geflüchtteten
inAufnahmeeinrichtungen
VG Leipzig, Beschluss vom 22.04.2020 - 3 L 204/20.A
Leitsatz:Vorläufige Aufhebung der Wohnpflicht in einer
Aufnahmeeinrichtung wegen Corona-Pandemie:
1. Die Verpflichtung des Antragstellers, in einer
Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ist zurSeuchenprävention und zum
Schutz des Antragstellers selbst nach § 49 Abs. 2 AsylG zu
beenden.Das der Behörde im Rahmen dieser Norm zustehende Ermessen
ist angesichts der aktuellenUmstände reduziert; die betroffene
Person hat einen Anspruch auf Aussetzung derWohnverpflichtung.
2. Die Abstandsregelungen der Sächsischen
Corona-Schutzverordnung sind auch inGemeinschaftsunterkünften für
Asylsuchende einzuhalten. Da es der betroffenen Person wegen
derUmstände in der Unterkunft nicht möglich ist, den gebotenen
Mindestabstand einzuhalten und sieaufgrund ihrer Fluchtbelastung
ind ihres Alters besonders durch das Coronavirus gefährdet ist,
istihr Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung vorläufig zu
beenden.
3. Problemfeld: Abschiebungshaft
AG Hannover, Beschluss vom 26.02.2020 - 40 XIV 21/20 B -
Leitsatz:Aufhebung der Abschiebungshaft wegen Aussetzung der
Dublin-Überstellungen von und nachItalien:
1. Auf Antrag der Ausländerbehörde wird die
Dublin-Überstellungshaft aufgehoben, da lautAuskunft des BAMF die
italienischen Behörden sämtliche Überstellungen von und nach
Italienwegen des Corona-Virus bis auf weiteres ausgesetzt
haben.
2. Da im gesamten Monat März keine Überstellungen stattfinden
können und die Überstellungsfristder betroffenen Person im März
endet, kann eine Überstellung nicht mehr erfolgen.
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C. Gesetzliche Neuerungen durch das ‚Migrationspaket2019‘ in den
Bereichen Mitwirkungspflichten, Ausbildung,Beschäftigung und
Sozialrecht - erste Praxis, ersteRechtsprechung und Auswirkungen
der Corona-Krise
1. Problemfeld: Mitwirkungspflichten bei Identitätsklärung
undPassbeschaffung
I. Im laufenden Asylverfahren
1. Umfang und Grenzen der bundesgesetzlichen
Mitwirkungspflichten
a) Wesentlich ist zunächst § 15 AsylG, der die allgemeinen
Mitwirkungspflichten regelt.
Danach ist man gem. § 15 (1) AsylG insbesondere
verpflichtet:
„ …
4. seinen Pass oder Passersatz den mit der Ausführung dieses
Gesetzes betrauten Behördenvorzulegen, auszuhändigen und zu
überlassen;
5. alle erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, die in
seinem Besitz sind, den mit derAusführung dieses Gesetzes betrauten
Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen;
6. im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder
Passersatzes an der Beschaffung einesIdentitätspapiers
mitzuwirken;
…“
Ist also ein Pass vorhanden, ist dieser auch abzugeben.
Ansonsten muss man all das an Urkundenund Unterlagen vorlegen, was
zur Identitätsklärung beitragen und helfen kann.
b) Um welche Urkunden handelt es sich bei § 15 AsylG?
„…
(3) Erforderliche Urkunden und sonstige Unterlagen nach Absatz 2
Nr. 5 sind insbesondere
1.alle Urkunden und Unterlagen, die neben dem Pass oder
Passersatz für die Feststellung derIdentität und
Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können,2.von anderen Staaten
erteilte Visa, Aufenthaltstitel und sonstige
Grenzübertrittspapiere,3.Flugscheine und sonstige Fahrausweise,4.
Unterlagen über den Reiseweg vom Herkunftsland in das Bundesgebiet,
die benutztenBeförderungsmittel und über den Aufenthalt in anderen
Staaten nach der Ausreise aus demHerkunftsland und vor der Einreise
in das Bundesgebiet sowie5. alle sonstigen Urkunden und Unterlagen,
auf die der Ausländer sich beruft oder die für die zutreffenden
asyl- und ausländerrechtlichen Entscheidungen und Maßnahmen
einschließlich der
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Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in
einen anderen Staat vonBedeutung sind.
(4) Die mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden
können den Ausländer und Sachen,die von ihm mitgeführt werden,
durchsuchen, wenn der Ausländer seinen Verpflichtungen nachAbsatz 2
Nr. 4 und 5 nicht nachkommt sowie nicht gemäß Absatz 2 Nummer 6 auf
Verlangen dieDatenträger vorlegt, aushändigt oder überlässt und
Anhaltspunkte bestehen, dass er im Besitzsolcher Unterlagen oder
Datenträger ist. Der Ausländer darf nur von einer Person
gleichenGeschlechts durchsucht werden.
(5) Durch die Rücknahme des Asylantrags werden die
Mitwirkungspflichten des Ausländers nichtbeendet. …“
c) Hierbei ist insb. auch auf die Vorschrift des § 15a AsylG zu
verweisen, der dem BAMF dieKompetenz zur Einziehung und Auswertung
digitaler Datenträger überträgt:
„ (1) Die Auswertung von Datenträgern ist nur zulässig, soweit
dies für die Feststellung derIdentität und Staatsangehörigkeit des
Ausländers nach § 15 Absatz 2 Nummer 6 erforderlich ist undder
Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann.
2§ 48 Absatz 3a Satz 2bis 8 und § 48a des Aufenthaltsgesetzes
gelten entsprechend.
(2) Für die in Absatz 1 genannten Maßnahmen ist das Bundesamt
zuständig.“
Hier geht es vorrangig und genau um die Identitätsklärung. Das
BAMF und die anderen Behördenhaben das Recht, zu erfahren, mit wem
sie es zu tun haben. Hintergrund ist dabei nicht etwa
dieRückführung oder Ausreise, sondern zunächst eben die
Feststellung der Person.
d) Die Grenzen der Mitwirkungspflichten ergeben sich insb. aus
der Vorschrift des § 72 AsylG.WÄHREND des Asylverfahrens ist zwar
jeder zur Identitätsklärung verpflichtet, aber nicht zueinem
Botschaftsbesuch in Deutschland. Dies ist allgemeine
Rechtsauffassung, auch beim BAMF.Hintergrund ist nicht nur eine
möglicherweise bestehende Verfolgung der eigenen Person,
sondernauch eine mögliche Verfolgung von Verwandten im
Herkunftsland.
Im Asylverfahren muss demnach in diesem Verfahrensstadium kein
Pass oder auch eine andereUrkunde über die Heimatbotschaft in
Deutschland beschafft werden.
Grundlage ist § 72 AsylG und die damit verbundene Gefahr, dass
als unmittelbare gesetzliche Folge(ohne Ermessen der Behörde) der
Asylstatus ansonsten erlischt. Erlöschen ist also
einAutomatismus:
„(1) Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschafterlöschen, wenn der Ausländer1. sich
freiwillig durch Annahme oder Erneuerung einesNationalpasses oder
durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates,
dessenStaatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt, …“
Diese Vorschrift findet auch entsprechende Anwendung in
anhängigen Asylverfahren, in denen dieAnerkennung als
Asylberechtigter oder wo die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
begehrtwird.
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2. Folgen bei fehlender Mitwirkung und Rechtsmittel
a) Der Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn Asylbewerber
Verfahren nicht betreibt (§ 33AsylG). Dies wird u.a. auch vermutet
(widerlegbar, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dassAsylbewerber
keinen Einfluss auf Versäumnis hatte), wenn er einer Aufforderung
zur Vorlagewichtiger Information gem. § 15 f. AsylG nicht
nachkommt, also bei Verstoß gegenMitwirkungspflichten. Diese
sind:
- Mitteilung erforderlicher Angaben, auch schriftlich auf
Aufforderung- Melden bei benannten Behörden/Einrichtungen-
Aushändigung Pass- Aushändigung erforderlicher Urkunden (=
Reiseunterlagen, Identitätspapiere, Nachweise derVerfolgung)-
Mitwirkung an Beschaffung von Identitätspapieren
Rettungsanker: Asylbewerber kann persönlich bei
BAMFWiederaufnahme des Verfahrensbeantragen (= neues Rechtsmittel).
Auch Asylfolgeantrag gilt als solch ein Antrag. BAMF nimmtVerfahren
dann wieder auf im Verfahrensstadium der Einstellung.
Aber: Keine Wiederaufnahme, wenn Einstellung 9 Monate
zurückliegt oder wenn Verfahrenbereits schon einmal
wiederaufgenommen war (§ 33 V AsylG).
Oder entweder alternativ oder parallel: Einlegung eines
Rechtsmittels gegen diesen Bescheid: Klageu. Antrag auf
Wiederherstellung aufschiebender Wirkung (§ 80 V VwGO) innerhalb 1
Woche.
Problem in der Praxis: Falsche Rechtsmittelbelehrungen in
Einstellungsbescheiden!Kein Hinweis auf die Möglichkeit der
Wiederaufnahme!
b) Weitere mögliche Sanktion bei Verletzung der
Mitwirkungspflichten: Leistungskürzungennach § 1a V AsylbLG:
„… (5) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 1a, oder
7 erhalten nurLeistungen entsprechend Absatz 2 Satz 2 bis 4, wenn
sie1. ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 4 des
Asylgesetzes nichtnachkommen,2. ihre Mitwirkungspflicht nach § 15
Absatz 2 Nummer 5 des Asylgesetzes verletzen, indemsie
erforderliche Unterlagen zu ihrer Identitätsklärung, die in ihrem
Besitz sind, nichtvorlegen, aushändigen oder überlassen,3. den
gewährten Termin zur förmlichen Antragstellung bei der zuständigen
Außenstelle desBundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder dem
Bundesamt für Migration undFlüchtlinge nicht wahrgenommen haben
oder4. den Tatbestand nach § 30 Absatz 3 Nummer 2 zweite
Alternative des Asylgesetzesverwirklichen, indem sie Angaben über
ihre Identität oder Staatsangehörigkeit verweigern,es sei denn, sie
haben die Verletzung der Mitwirkungspflichten oder die
Nichtwahrnehmungdes Termins nicht zu vertreten oder ihnen war die
Einhaltung der Mitwirkungspflichten oderdie Wahrnehmung des Termins
aus wichtigen Gründen nicht möglich. Die Anspruchsein-schränkung
nach Satz 1 endet, sobald sie die fehlende Mitwirkungshandlung
erbracht oderden Termin zur förmlichen Antragstellung wahrgenommen
haben.“
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Konkrete Folgen: § 1a (2) AsylbLG:
„… (2) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die
ein Ausreisetermin undeine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab
dem auf den Ausreisetermin folgenden Tagkeinen Anspruch auf
Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte
ausGründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt
werden. Ihnen werden bis zuihrer Ausreise oder der Durchführung
ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckungihres Bedarfs an
Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper-
undGesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere
Umstände vorliegen,können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von
§ 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. DieLeistungen sollen als
Sachleistungen erbracht werden.
Rechtsmittel bei rechtswidriger Leistungskürzung: Widerspruch
zzgl. Antrag auf einstweiligeAnordnung an das örtlich zuständige
Sozialgericht, bzw. Klage nach negativem Ausgang
desWiderspruchsverfahrens.
II. Bei Asylberechtigen und anerkannten GFK-Flüchtlingen
Erteilung von Passersatzpapieren
a) Anerkannte Asylberechtigte nach Art. 16 a I GG haben einen
Rechtsanspruch auf Erteilungeiner Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 I
AufenthG ebenso wie Geflüchtete, denen dieFlüchtlingseigenschaft
gem. § 3 AsylG zuerkannt wurde (§25 (2) S. 1, 1. Alt.
AufenthG).
b) Die Erteilung des Aufenthaltstitels darf nicht von Vorlage
eines Heimatpasses abhängiggemacht werden (s. §5 Abs. 3 S. 1
AufenthG).
c) Die Verlängerung des Aufenthaltstitels darf nicht von Vorlage
eines Heimatpassesabhängig gemacht werden (s. §8 Abs. 1
AufenthG).
d) Es besteht keine grundsätzliche Pflicht, an der Beschaffung
von Identitätspapieren aus demHerkunftsland mitzuwirken.
e) Die Ausstellung eines deutschen Passersatzpapiers ( und damit
einhergehende Erfüllung derPasspflicht nach §3, Abs. 1 AufenthG)
erfolgt immer in Form des sog. „blauenFlüchtlingspasses“
(Reiseausweis für Fluchtlinge, gem. Art. 28 Abs. 1 GFK).
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III. Bei subsidiär und national Schutzberechtigten
1. Umfang und Grenzen der Mitwirkungspflichten
a) Grundsätze
Die Erteilung des Aufenthaltstitels (§ 25 Abs. 2 S. 1 2. Alt.
AufenthG bzw. § 25 Abs. 3AufenthG) darf nicht von Vorlage eines
Heimatpasses abhängig gemacht werden (s. §5 Abs.3 S. 1
AufenthG).
Die Verlängerung des Aufenthaltstitels darf nicht von Vorlage
eines Heimatpasses abhängiggemacht werden (s. §8 Abs. 1
AufenthG).
Aber es besteht die grundsätzliche Pflicht, an der Beschaffung
von Identitätspapieren ausdem Herkunftsland mitzuwirken (gem. §48
Abs. 4, S. 2 bzw. Abs. 3 AufenthG).
b) Aber: NEU: § 60b Abs. AufenthG
…(2) Besitzt der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer keinen
gültigen Pass oderPassersatz, ist er unbeschadet des § 3
verpflichtet, alle ihm unter Berücksichtigung derUmstände des
Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes
oderPassersatzes selbst vorzunehmen. Dies gilt nicht für Ausländer
ab der Stellung einesAsylantrages (§ 13 des Asylgesetzes) oder
eines Asylgesuches (§ 18 des Asylgesetzes) bis zurrechtskräftigen
Ablehnung des Asylantrages sowie für Ausländer, wenn
einAbschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt, es sei
denn, dasAbschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 beruht allein auf
gesundheitlichen Gründen.
Dazu Gesetzesbegründung Bundestags Drucksache 19/10047, S.
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Zu Absatz 2 (§ 60b AufenthG)Durch Absatz 2 wird eine besondere
Passbeschaffungspflicht festgeschrieben, die aufvollziehbar
ausreisepflichtige Ausländer (§§ 58 Absatz 2, 50 Absatz 1
Aufenthaltsgesetz)Anwendung findet. § 3 Absatz 1 des
Aufenthaltsgesetzes regelt die Passpflicht vonAusländern für die
Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet. Dieser bleibt von
derNeuregelung unberührt. Ferner besteht die Mitwirkungspflicht des
§ 48 Absatz 3 desAufenthaltsgesetzes weiterhin unberührt neben der
besonderen Passbeschaffungspflicht.Durch die Fassung des Absatzes 2
wird im Aufenthaltsgesetz klargestellt, dass die Pflicht,einen Pass
oder Passersatz zu besitzen, umfasst, diesen selbst zu erlangen und
dazu selbstalle notwendigen zumutbaren Handlungen vorzunehmen. Für
Asylantragsteller sind gemäßder Klarstellung in § 60b Absatz 2 Satz
2 des Aufenthaltsgesetzes vom Moment derÄußerung des Asylantrages
oder des Asylgesuchs bis zur rechtskräftigen Ablehnung
desAsylantrags die Handlungen nicht zumutbar. Weil es als ebenso
unzumutbar zu bewertenist, mit Behörden eines Staates in Kontakt zu
treten, in dem die in § 60 Absatz 5 oder 7Aufenthaltsgesetz
bezeichneten Gefahren bestehen, sind die betroffenen Ausländer
nach§ 60b Absatz 2 Satz 3 ebenfalls von der besonderen
Passbeschaffungspflicht ausge-nommen, und zwar unabhängig davon, ob
die Duldung aus diesem Grunde erteilt wordenist oder nur die
Voraus-setzungen dafür bestehen, was durch den Wortlaut der
Vorschrift
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klargestellt wird. Der zweite Halbsatz sieht dabei eine
Rückausnahme für allein ausGesundheitsgründen erteilte
entsprechende Duldungen vor.
Die Ausstellung eines deutschen Passersatzpapiers ( und damit
einhergehende Erfüllung derPasspflicht nach §3, Abs. 1 AufenthG)
ggf., bei Vorliegen der Unzumutbarkeit derPassbeschaffung:
- in Form des „grauen Passes“ ( Reiseausweis für Ausländer, gem.
§ 5 Abs. 1AufentV) ,
und/oder
- eines Ausweisersatzes gem. §55 AufenthV
c) Umfang der Mitwirkungspflichten und die Darlegung ihrer
Erfüllung
1) Der Antragsteller hat die volle Darlegungslast, dass er den
gesetzlichenMitwirkungspflichten entsprochen hat.
2) Die Rechtsprechung verlangt ein pro aktives Vorgehen, also
nicht nur aufAufforderung der Behörden.
3) Die Kriterien, was zur konkreten Erfüllung der
Mitwirkungspflichten ergeben sichindirekt aus § 48 AufenthG und § 5
AufenthV, die festschreiben, wann jemand einendeutschen
Reiseausweis für Ausländer bekommen kann:
§ 48 Aufenthaltsgesetz – Ausweisrechtliche Pflichten
(1) Ein Ausländer ist verpflichtet,1. seinen Pass, seinen
Passersatz oder seinen Ausweisersatz und2. seinen Aufenthaltstitel
oder eine Bescheinigung über die Aussetzung derAbschiebung auf
Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrautenBehörden
vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit
dieszur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem
Gesetz erforderlichist.(2) Ein Ausländer, der einen Pass oder
Passersatz weder besitzt noch in zumutbarerWeise erlangen kann,
genügt der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über
einenAufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie
mit den Angaben zurPerson und einem Lichtbild versehen und als
Ausweisersatz bezeichnet ist.(3) Besitzt der Ausländer keinen
gültigen Pass oder Passersatz, ist er verpflichtet, ander
Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden,
sonstigenUnterlagen und Datenträger, die für die Feststellung
seiner Identität undStaatsangehörigkeit und für die Feststellung
und Geltendmachung einerRückführungsmöglichkeit in einen anderen
Staat von Bedeutung sein können und inderen Besitz er ist, den mit
der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden aufVerlangen
vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Kommt der
Ausländerseiner Verpflichtung nicht nach und bestehen tatsächliche
Anhaltspunkte, dass er imBesitz solcher Unterlagen oder Datenträger
ist, können er und die von ihmmitgeführten Sachen durchsucht
werden. Der Ausländer hat die Maßnahme zu
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dulden.(3a) Die Auswertung von Datenträgern ist nur zulässig,
soweit dies für dieFeststellung der Identität und
Staatsangehörigkeit des Ausländers und für dieFeststellung und
Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderenStaat
nach Maßgabe von Absatz 3 erforderlich ist und der Zweck der
Maßnahmenicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Liegen
tatsächliche Anhaltspunktefür die Annahme vor, dass durch die
Auswertung von Datenträgern alleinErkenntnisse aus dem Kernbereich
privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist dieMaßnahme
unzulässig. Der Ausländer hat die notwendigen Zugangsdaten für
einezulässige Auswertung von Datenträgern zur Verfügung zu stellen.
Die Datenträgerdürfen nur von einem Bediensteten ausgewertet
werden, der die Befähigung zumRichteramt hat. Erkenntnisse aus dem
Kernbereich privater Lebensgestaltung, diedurch die Auswertung von
Datenträgern erlangt werden, dürfen nicht verwertetwerden.
Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache
ihrerErlangung und Löschung ist aktenkundig zu machen. Sind die
durch die Auswertungder Datenträger erlangten personenbezogenen
Daten für die Zwecke nach Satz 1nicht mehr erforderlich, sind sie
unverzüglich zu löschen.(4) Wird nach § 5 Abs. 3 oder § 33 von der
Erfüllung der Passpflicht (§ 3 Abs. 1)abgesehen, wird ein
Ausweisersatz ausgestellt. Absatz 3 bleibt hiervon unberührt.
Aufenthaltsverordnung (AufenthV)§ 5 Allgemeine Voraussetzungen
der Ausstellung des Reiseausweises für Ausländer
(1) Einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder
Passersatz besitzt und ihnnicht auf zumutbare Weise erlangen kann,
kann nach Maßgabe der nachfolgendenBestimmungen ein Reiseausweis
für Ausländer ausgestellt werden.
(2) Als zumutbar im Sinne des Absatzes 1 gilt es
insbesondere,1.derart rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeit eines
Passes oder Passersatzes bei denzuständigen Behörden im In- und
Ausland die erforderlichen Anträge für dieNeuerteilung oder
Verlängerung zu stellen, dass mit der Neuerteilung oderVerlängerung
innerhalb der Gültigkeitsdauer des bisherigen Passes
oderPassersatzes gerechnet werden kann,2.in der den Bestimmungen
des deutschen Passrechts, insbesondere den §§ 6 und 15des
Passgesetzes in der jeweils geltenden Fassung, entsprechenden Weise
an derAusstellung oder Verlängerung mitzuwirken und die Behandlung
eines Antragesdurch die Behörden des Herkunftsstaates nach dem
Recht des Herkunftsstaates zudulden, sofern dies nicht zu einer
unzumutbaren Härte führt,3.die Wehrpflicht, sofern deren Erfüllung
nicht aus zwingenden Gründenunzumutbar ist, und andere zumutbare
staatsbürgerliche Pflichten zu erfüllen oder4.für die behördlichen
Maßnahmen die vom Herkunftsstaat allgemein festgelegtenGebühren zu
zahlen.
(3) Ein Reiseausweis für Ausländer wird in der Regel nicht
ausgestellt, wenn derHerkunftsstaat die Ausstellung eines Passes
oder Passersatzes aus Gründenverweigert, auf Grund derer auch nach
deutschem Passrecht, insbesondere nach § 7des Passgesetzes oder
wegen unterlassener Mitwirkung nach § 6 des Passgesetzes,der Pass
versagt oder sonst die Ausstellung verweigert werden kann.
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Paßgesetz (PaßG)§ 7 Paßversagung
1) Der Paß ist zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme
begründen, daßder Paßbewerber
1.die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche
Belange derBundesrepublik Deutschland gefährdet;
2.sich einer Strafverfolgung oder Strafvollstreckung oder der
Anordnung oderderVollstreckung einer mit Freiheitsentziehung
verbundenen Maßregel derBesserung und Sicherung, die im
Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen ihnschweben, entziehen
will;
3.einer Vorschrift des Betäubungsmittelgesetzes über die
Einfuhr, Ausfuhr,Durchfuhr oder das Inverkehrbringen von
Betäubungsmitteln zuwiderhandeln will;
4.sich seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen oder den
Vorschriften des Zoll-und Monopolrechts oder des
Außenwirtschaftsrechts zuwiderhandeln oderschwerwiegende Verstöße
gegen Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbote oder -beschränkungen
begehen will;
5.sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entziehen will;
6.sich unbefugt zum Wehrdienst außerhalb der Bundeswehr
verpflichten will;7.als Wehrpflichtiger eines Geburtsjahrganges,
dessen Erfassung begonnen hat,ohne die nach § 3 Abs. 2 des
Wehrpflichtgesetzes erforderliche Genehmigung
desKreiswehrersatzamtes die Bundesrepublik Deutschland für länger
als drei Monateverlassen will;
8.als Wehrpflichtiger ohne die nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe
b oder § 48 Abs. 2des Wehrpflichtgesetzes erforderliche Genehmigung
des Kreiswehrersatzamtes dieBundesrepublik Deutschland verlassen
will;
9. als anerkannter Kriegsdienstverweigerer ohne die nach § 23
Abs. 4 desZivildienstgesetzes erforderliche Genehmigung des
Bundesamtes für den Zivildienstdie Bundesrepublik Deutschland für
länger als drei Monate verlassen will;
10. eine in § 89a des Strafgesetzbuchs beschriebene Handlung
vornehmen wird;
11.eine in § 226a des Strafgesetzbuchs beschriebene Handlung
vornehmen oder dieVornahme dieser Handlung durch Dritte veranlassen
wird.
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4) Es ist gesetzlich nicht geregelt, was im Einzelnen zu tun
ist, um an der Beschaffungdes Identitätspapiers mitzuwirken.
5) Mögliche und von den Ausländerbehörden nach der
Rechtsprechung eingeforderteidR als zumutbar angesehene Handlungen
sind
- Ausfüllen und Unterzeichnen eines Formblattes, mit dem ein
Pass oderPassersatz beantragt wird;
- Abgabe von Lichtbildern oder von Fingerabdrücken
- Vorsprache bei der Botschaft des Herkunftsstaates
- Beauftragung von Personen im Herkunftsland (Familie,
Freunde,Rechtsanwälte/Vertrauensanwalt), um einen Pass, Passersatz
oder andererelevante Dokumente zur Identitätsklärung
(Geburtsurkunden,Heiratsurkunden, Familienbuch, Registerauszüge,
Führerscheine, Zeugnisseetc.) zu beschaffen.
6) Wie ist daher vorzugehen bei der Passbeschaffung?
1. Schritt:Der Mandant muss Klarheit haben über die nach dem
Recht seines Heimatlandesnotwenigen Dokumente, um einen Pass zu
beantragen.
2. Schritt:Bestandsaufnahme 1: welche Dokumente von den
Erforderlichen hat derMandant aktuell, evtl. abgelaufen, welche
Dokumente müssen grds. neu odersogar zum ersten mal beantragt
werden, und ggf. wo (bei Botschaft inDeutschland oder im
Heimatland)?
3.Schritt:Bestandsaufnahme 2: Welche persönlichen Ressourcen (=
Kontakte, Freunde,Verwandte, Menschen, denen er vertraut) hat der
Mandant, um die erforderlichenDokumente zu beantragen?
o An seinem Wohnort in Deutschlando In Deutschland, für ihn
erreichbaro In Europa, für ihn erreichbaro In der Herkunftsregion
außerhalb des Heimatlandeso Im Heimatland
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4.Schritt:Bestandsaufnahme 3: Welche institutionellen
Unterstützungen (NGOs, UN-Org.)stünden zur Verfügung?
o An seinem Wohnort in Deutschlando In Deutschland, für ihn
erreichbaro In Europa, für ihn erreichbaro In der Herkunftsregion
außerhalb des Heimatlandeso Im Heimatland (insb. Liste der
Vertrauensanwälte der Deutschen
Botschaft im Herkunftslan)
5.Schritt:Systematische Vorgehensweise:
Vollständige Dokumentation sämtlicher Kontakte, privater wie
auch institutionellerArt i.R.d. Mitwirkungspflichten (email, Brief
in Kopie, bei Briefen immer mitEinlieferungsbelegen, bei
Vorsprachen Tickets der Reise, bei Telefonaten immerNamen der
Kontakpersonen in den Botschaften mit Telefonnummer und Datumsowie
Uhrzeit notieren; bei Vorsprachen immer Vermerk anfertigen mit
Datum undUnterschrift über den Inhalt der Gespräche und evtl.
Begleiter als Zeugen notierenmit Namen und Adresse).
In der Praxis werden wiederholte Mitwirkungshandlungen alle 3
Monate über einenZeitraum von bis zu 2 Jahren durchaus als zumutbar
angesehen!
6. Schritt:Wenn kein Nationalpass erlangt werden kann: Vorlage
der Dokumenation derMitwirkungspflichten bei Ausländerbehörde und
Antrag auf Erteilung einesdeutschen Reiseausweises zzgl.
Ersatzausweis gem. § 48 AufenthG i.V.m. §§ 5, 55AufenthV. Ggf.
Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO, wenn keine Entscheidung in
3Monaten ab Antrag.
7) Grenzen der erforderlichen Mitwirkung
a) Zunächst muss die konkrete Mitwirkungshandlung dem
Betreffenden möglich sein.
Nicht erfüllbar ist im Einzelfall etwa:
- eine Botschaftsvorsprache, wenn die Fahrkarte zur Botschaft
nichtfinanzierbar ist, d.h. auch nicht durch Sozialbehörden.
- die Vorlage eines Passes oder Passersatzes selbst, weil die
Passbeschaffungnicht allein im Einflussbereich des Betreffenden
liegt.
Die konkrete angeforderte Mitwirkungshandlung muss geeignet,
erforderlich undverhältnismäßig im engeren Sinne sein.
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Pro Asyl hat aktuell recherchiert, welche Botschaften vor dem
Hintergrund der Corona-Krise -mit Stand 23. April 2020 - noch
geöffnet/für konsularische Dienstleistungen erreichbar sind,und mit
folgendem Hinweis versehen: "Dies könnte in manchen Fällen
bezüglich der Möglichkeitder Erfüllung von Mitwirkungspflichten
interessant sein, wobei die Botschaften hierfür natürlichnicht
alleine ausschlaggebend sind (z.B. mögliche Dokumentenbeschaffung
im Heimatland etc.)."
Schließung angekündigto Afghanische Botschaft Berlin: seit
16.03.2020 bis auf Weiteres geschlosseno Iranisches Konsulat in
Berlin: nur bei Notfällen, zuvor telefonisch meldeno Nigerianische
Botschaft Berlin: bis auf Weiteres keine konsularischen
Dienstleistungen
Kein Hinweis auf Schließungo Äthiopische Botschaft Berlino
Syrische Botschaft Berlino Irakische Botschaft Berlino Türkische
Botschaft Berlin
Keine Internetpräsenzo Eritreao Somalia
b) Eine Unzumutbarkeit liegt beispielsweise in folgenden Fällen
vor:
- Eine Mitwirkung ist unzumutbar, wenn glaubhaft gemacht wurde,
dassdies zu einer Gefährdung von Familienmitgliedern im
Herkunftslandführen würde.
- Die Erfüllung derWehrpflicht ist unzumutbar, wenn abzusehen
ist, dassder Militärdienst etwa Menschenrechtsverletzungen im Sinne
derEuropäischen Menschenrechtskonvention umfassen würde.
- Die Abgabe von Erklärungen, die mit deutschem Recht nicht im
Einklangstehen, ist unzumutbar, etwa das Ablegen politischer oder
religiöserBekenntnisse.
- Umstritten war/ist beispielsweise, ob folgende
Mitwirkungshandlungenzumutbar sind
o Die Abgabe einer sogenannten „Freiwilligkeitserklärung“ (etwa
dieiranische Botschaft verlangt die Abgabe einer Erklärung, dass
derPassbeantragende freiwillig in den Iran zurückgeht): BSG:
keineLeistungskürzung gem. § 1a Nr. 2 AsylbLG (Urteilvom 30.10.2013
- B 7 AY 7/12 R). Aber: BVerwG, Urteil vom10.11.2009 - BVerwG 1 C
19.08 -: kein AE gem. § 25 Abs. 5 AufenthGbei verweigerter
Freiwilligkeitserklärung (Iran); jetzt: § 60b Abs. 3 Nr. 3AufenthG:
„idR zumutbar“!
o Die Vorlage eines Passfotos, auf dem die Haare einer Frau
verhüllt sind –dies wird von der iranischen Botschaft verlangt. Für
eine Unzumutbarkeitspricht hier insbesondere, dass die Aufforderung
gegen dieReligionsfreiheit verstoßen könnte (Anders: Bay VGH,
Beschluss vom23.5.2000 – 24 CS 00.; vom VG Düsseldorf zumutbar auch
für zum
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Christentum konvertierte Frauen, Beschluss vom 11.11.2002 – 24
L2529/02).
Als zumutbar gelten u.a.
- die Duldung erkennungsdienstlicher Maßnehmen, wenn dies nicht
zu einerunzumutbaren Härte führt;
- die Erfüllung anderer zumutbarer staatsbürgerlicher
Pflichten,
- die Zahlung allgemein festgelegten Gebühren für die
Passausstellung.
Aktuelles Beispiel Gambia:
Landesbehörden, Weisung vom 06.04.2020 - 4-13++.GMB/2 –
Ministerium für Inneres,Digitalisierung und Migration
Baden-Württemberg: Erfüllung der Passpflicht durch
gambischeProxy-Pässe: Zur Erfüllung der Passpflicht können
gambische Staatsangehörige einen in ihrerAbwesenheit in Gambia
durch Dritte beantragten Proxy-Pass vorlegen, was
grundsätzlichzumutbar ist.
d) Passbeschaffungskosten
(1) Die Mitwirkungshandlungen verursachen zum Teil erhebliche
Kosten (Fahrkostenbei der Botschaftsvorsprache, Gebühren für die
Passausstellung oder einenRechtsanwalt etc.).
(2) Wird Arbeitslosengeld II gem. SGB II bezogen, können die
Kosten grds. als Darlehennach § 24 SGB II durch das JobCenter
übernommen werden (BSG Urteil 12.09.2018 – B 4AS 33/17). Außerdem
ist eine Kostenübernahme nach § 73 SGB XII als Zuschuss
oderDarlehen durch das Sozialamt möglich, wenn eine atypischer
Bedarfslage vorliegt, d.h.wenn durch die besondere Situation
deutlich höhere Kosten als bei dt. Staatsangehörigenentstehen (LSG
Niedersachsen –Bremen, Urteil vom 27.4.2017 - L 8 SO 234/16;
LSGNiedersachsen –Bremen, Beschluss vom 13.6.2017 - 7 AS
1794/15).
(3) Wird Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII
bezogen, könnendiese Kosten vom Sozialamt als ergänzendes Darlehen
nach § 37 SGB XIIoder analog § 73 SGB XII als Hilfe in sonstigen
Lebenslagen als Zuschussoder Darlehen übernommen werden.
(4) Nun haben aber zwei andere Senate des Bundessozialgerichts
(BSG) Ende Mai 2019höchstrichterlich entschieden, dass die
Übernahme nach § 73 SGB XII sowohl für SGB II-Beziehende als auch
für SGB XII / § 2-AsylbLG-Beziehende nicht möglich sei , wenn
dieKosten nicht „extrem hoch“ liegen würden. Denn die Kosten für
Passbeschaffung seiengrds. Teil der Regelbedarfe (was schwer
nachvollziehbar ist, denn im Regelsatz sind nurknapp 30 Cent
monatlich für das Ansparen der Gebühren des deutschen
Personalausweisesenthalten), und daher allenfalls über ein Darlehen
nach § 24 SGB bzw. § 37 SGB XII zuerbringen. In dieser ersten
Entscheidung unten sind auch die o.a. positiven Entscheidungendes
LSG Niedersachsen aufgehoben worden.
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Diese beiden Entscheidungen vom 29.05.2019 liegen bis dato nur
als sog. Terminsberichtedes BSG vor:
1. … Terminbericht 29.05.2019, B 8 SO 8/17 R
„Die Revision des Beklagten hat im Sinne der Aufhebung und
Zurückverweisung der Sachean das LSG Erfolg gehabt. Zwar kommt eine
Übernahme der Passbeschaffungskosten durchden Beklagten nach § 73
SGB XII mangels atypischer Bedarfslage wie im Fall 4)(Aktenzeichen
B 8 SO 14/17 R) nicht in Betracht. Der Senat kann aber
mangelsausreichender Feststellungen des LSG zur Unabweisbarkeit des
geltend gemachten Bedarfs,der nach wie vor besteht, nicht
abschließend darüber entscheiden, ob die Klägerin einenAnspruch auf
Übernahme der Passbeschaffungskosten als Darlehen gegen den
Beigeladenenhat. Die Kosten für die Beschaffung eines ausländischen
Passes wären nicht zur Sicherungexistenzieller Bedarfe
erforderlich, wenn aufenthaltsrechtlich andere
Möglichkeitenbestehen, die Passpflicht für den Aufenthalt im
Bundesgebiet zu erfüllen.“
2. Terminsbericht 29.05.2019, B 8 SO 14/17 R
„Der Arbeitslosengeld II beziehende erwerbsfähige Kläger ist
kongolesischerStaatsangehöriger. Er verfügt über eine
Niederlassungserlaubnis. Nachdem dieAusländerbehörde ihn zur
Vorlage eines gültigen Ausweisdokuments aufgefordert
hatte,beantragte er beim beklagten Sozialhilfeträger erfolglos die
zuschussweise Übernahme derPassbeschaffungskosten (202,02 Euro) als
Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGBXII. Das SG hat die
Klage ab- und das LSG die Berufung
zurückgewiesen.Passbeschaffungskosten seien dem Regelbedarf
zuzuordnen, eine atypische Bedarfslageliege nicht vor. Dagegen
wendet sich der Kläger mit seiner Revision und macht eineVerletzung
des § 73 SGB XII geltend.
Vorinstanz:Sozialgericht Dresden - S 42 SO 305/15,
05.02.2016Sächsisches Landessozialgericht - L 8 SO 15/16,
21.06.2017
Terminbericht
Der Senat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen und sich
der Rechtsprechung des 4.Senats (Urteil vom 12.09.2018 - B 4 AS
33/17 R) angeschlossen. Passbeschaffungskostensind nicht nach § 73
SGB XII zu übernehmen; es fehlt an der hierfür
erforderlichenatypischen Bedarfslage, weil diese Kosten grds. dem
Regelbedarf zuzuordnen sind.“
VG Aachen, Urteil vom 25.10.2016 - 8 K 745/14 –
Leitsatz:
1. Die Obliegenheit eines Ausländers nach § 25 Abs. 5 Satz 4
AufenthG, alle zumutbarenAnstrengungen hinsichtlich der
Passbeschaffung zu unternehmen, die nicht erkennbar
aussichtslossind, umfasst es auch, alle zumutbaren Anstrengungen
zur Erlangung einer Finanzierung dernotwendigen Maßnahmen für eine
Passbeschaffung zu unternehmen. Ein Ausländer, derSozialleistungen
bezieht muss sich ausreichend und nachhaltig um die Übernahme der
Kostendurch den Sozialleistungsträger bemüht haben, einschließlich
Ausschöpfung aller möglichenRechtsmittel.
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2. Ein Antrag gegenüber dem Sozialleistungsträger zur Übernahme
der Kosten für die Einschaltungeines Vertrauensanwaltes ist nicht
erkennbar aussichtslos. Die Übernahme der Kosten kommt nach§ 6 Abs.
1 Alt. 4 AsylbLG, § 37 Abs. 1 oder § 73 Satz 1 SGB XII in Betracht.
DieErfolgsaussichten eines solchen Antrags sind offen.
2. Folgen bei (fehlender) Mitwirkung und Rechtsmittel
a) Die Verletzung der Passpflicht gem. § 3 (1) AufenthG ist
strafbar gem. § 95 (1) Nr. 1AufenthG. Es kann daher eine
Ausweisungsverfügung von der Ausländerbehörde erlassenwerden gem. §
53 ff. AufenthG. Bevor eine Ausweisung erfolgen kann, werden
dieAusweisungsinteressen mit den Bleibeinteressen abgewogen. Das
Ausweisungsinteressewiegt gem. § 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG schwer,
wenn ein subsidiär oder nationalSchutzberechtigter trotz
bestehender Rechtspflicht nicht an der Beschaffung eines Passesoder
Passersatzesmitwirkt. Das gilt aber nur dann, wenn die
Ausländerbehörde vorher aufdiese Rechtsfolge hingewiesen hat.
b) Erlässt die Ausländerbehörde eine Passbeschaffungsanordnung
oder Mitwirkungsanordnungdurch Ordnungsverfügung, ist diese durch
Anfechtungsklage angreifbar vor demVerwaltungsgericht und hat idR
aufschiebende Wirkung. Diese Klage macht Sinn, wennkeine
Mitwirkungspflichten bestehen oder wenn man der Auffassung ist,
dass einePassbeschaffung objektiv unmöglich oder offensichtlich
unzumutbar ist.
c) Vielerorts gibt es immer noch Probleme bei der Erteilung oder
der Verlängerung vonAufenthaltstiteln nach § 25, Abs. 2, S. 1, 2.
Alt. AufenthG (subsidiärer Schutz) oder § 25,Abs. 3 AufenthG
(Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7
AufenthG).
Hintergrund ist, dass viele Ausländerbehörden die Erteilung oder
Verlängerung dieserAufenthaltstiteln von der Frage abhängig machen,
ob die Passpflicht nach § 3, Abs. 1AufenthG vor Erteilung oder zum
Verlängerungszeitpunkt erfüllt wird .§ 5, Abs. 3,1.Halbsatz
AufenthG sagt jedoch klar aus, dass bei Erteilung von der in §5,
Abs. 1, Nr. 4AufenthG normierten Voraussetzung der Erfüllung der
Passpflicht (s. dazu §3, Abs. 1AufenthG) abzusehen ist.
Aufgrund der Vielzahl von Beschwerden hat das
Bundesinnenministerium mittlerweile klar-gestellt, dass die
Erteilung sowie die Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach § 25,
Abs.2, S. 1, 2. Alt AufenthG (subsidiärer Schutz) oder §25, Abs. 3
AufenthG (Vorliegen einesAbschiebungsverbots) nicht von der Frage
abhängig gemacht werden darf, ob diePasspflicht nach § 3, Abs. 1
AufenthG erfüllt wird.
Das Bundesministerium des Inneren hat hinsichtlich der
Zumutbarkeit vonPassbeschaffungsbemühungen wegen der bundesweit
aufgetretenen Unklarheiten in einerveröffentlichen Email vom
06.07.2017 wie folgt ausgeführt:
„Nach dem geltenden Recht ist bezüglich der Frage, ob und wann
von Ausländern dieVorlage eines Passes verlangt werden kann, zu
differenzieren.
1) Zum einen spielt die Erfüllung der Passpflicht bei der
Erteilung des Aufenthaltstitelseine Rolle.
In der Regel müssen Ausländer einen Pass vorlegen, um einen
Aufenthaltstitel zubekommen (§ 5 Absatz 1 Nr. 4 AufenthG).
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Dies gilt allerdings nicht für anerkannte Flüchtlinge und
subsidiär Schutzberechtigteund Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Absatz 3 (§ 5 Absatz 3 Satz 1AufenthG). Diese sind kraft
Gesetzes von der Pflicht zur Erfüllung der Passpflichtfür die
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausgenommen („ist … abzusehen“).
DerAufenthaltstitel ist somit ungeachtet dieser
Erteilungsvoraussetzung zu erteilen (s.auch AVV Ziffer
5.3.1.1).
2) Zum anderen können Ausländer, die kein eigenes Reisedokument
besitzen, einendeutschen Reiseausweis beantragen, um damit Reisen
außerhalb Deutschlandsunternehmen zu können.
Anerkannte Flüchtlinge erhalten einen Reiseausweis für
Flüchtlinge gemäß demAbkommen vom 28. Juli 1951 (GFK). Ihnen ist
eine Vorsprache bei den nationalenBehörden des Herkunftsstaates zur
Erlangung eines Passes, also auch bei ihrenAuslandsvertretungen,
grundsätzlich unzumutbar.
Für andere Ausländer (z.B. auch subsidiär Schutzberechtigte)
gibt es dieMöglichkeit, einen Reiseausweis für Ausländer zu
beantragen. Der Reiseausweis fürAusländer wird nur erteilt, wenn
der Ausländer keinen Pass besitzt und ihnnachweislich auch nicht
auf zumutbare Weise erlangen kann (§ 5 AufenthV). Nachdem geltenden
Recht ist subsidiär Schutzberechtigten eine Vorsprache bei
dennationalen Behörden des Herkunftsstaates zwecks Erlangung eines
Nationalpassesnicht per se unzumutbar. Welche konkreten
Anforderungen an das Vorliegen einerUnzumutbarkeit zu stellen sind,
ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfallsdurch die
zuständige Ausländerbehörde zu beurteilen. Die eine
Unzumutbarkeitbegründenden Umstände müssen grundsätzlich durch den
Ausländer gegenüber derAusländerbehörde dargelegt und nachgewiesen
werden (vgl. OVG NW, Beschlussvom 17.05.2016 – 18 A 951/15).
Sollte die Ausländerbehörde also bei subsidiär
Schutzberechtigten oder Inhabern nationalerAbschiebungsverbote die
Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltstitel durch
Bescheidablehnen unter bloßem Hinweis auf die Nicht-Vorlage eines
Passes, so ist dies rechtswidrigund durch eine Verpflichtungsklage
angreifbar, die jedoch gem. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthGgrds. keine
aufschiebende Wirkung hat, so dass zusätzlich ein Antrag auf
einstweiligenRechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werden
muss.
IV. Nach Ablehnung bzw. in der Duldung
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1. Umfang und Grenzen der Mitwirkungspflichten
a) Ist das Asylverfahren an sich beendet und auch alle
juristischen Mittel ausgeschöpft,ist man ohne jegliche Anerkennung
vollziehbar ausreisepflichtig.
Ist diese Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
nicht möglich, hat mangrds. einen Rechtsanspruch auf Erteilung
einer sog. „Duldung“ gem. § 60a AufenthG.
Menschen mit Duldung oder auch solche mit einer sog.
Grenzübertrittsbescheinigung(GÜB) sind demnach zum Botschaftsbesuch
verpflichtet.
Anderenfalls drohen sogar Strafvorschriften nach § 95 Abs.1
AufenthG.
Bei Duldung greifen rechtlich letztlich keinerlei
Schutzvorschriften wie § 72 AsylGmehr, weil ja kein Schutzstatus
besteht und damit die Rückkehr ins Heimatland erwartetwird und
demnach auch ein Botschaftsbesuch nicht unzumutbar im Rechtssinne
seinkann.
2. Beschäftigungsverbot
Bei Menschen mit Duldung besteht ein Beschäftigungsverbot, wenn
sie bei der Beschaffung einesPasses oder Passersatzpapiers nicht
mitwirken und aus diesen selbst zu vertretenden Gründen
nichtabgeschoben werden können (§ 60a Abs. 6 AufenthG). Bei der
Ermessensentscheidung über dieErteilung der Beschäftigungserlaubnis
kann die Ausländerbehörde ggf. die nicht geklärte Identitätals
einen Gesichtspunkt bei der Abwägung berücksichtigen, wenn eine
Identitätsklärung möglichund zumutbar ist.
3. Kosten der Passbeschaffung
Die Frage, ob Kosten der Passbeschaffung bei Geduldeten
übernommen werden können, bemisstsich nach den folgenden
Vorschriften:
Bezieht eine Person mit einer Duldung Grundleistungen nach §
3AsylbLG, können diese Kosten nach § 6 Abs. 1 AsylbLG vomSozialamt
übernommen werden, weil sie zur Erfüllung
einerverwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich
sind.
Werden Analogleistungen nach § 2 AsylbLG oder Hilfe
zumLebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII bezogen, können
dieseKosten analog § 73 SGB XII vom Sozialamt als Hilfe in
sonstigenLebenslagen als Zuschuss oder Darlehen oder als
ergänzendesDarlehen nach § 37 SGB XII übernommen werden.
4. Folgen bei fehlender Mitwirkung Geduldeter
a) Beschäftigungsverbot (§ 60b AufenthG), s.o.
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b) Leistungskürzungen nach AsylbLG, s.o.
c) Räumliche Beschränkung (Residenzpflicht, § 60b AufenthG,
s.o.)
d) Strafbarkeit § 95 AufenthG
e) Ausweisungsverfügung §§ 53, 54 II AufenthG
§ 54 AufenthG - Ausweisungsinteresse
„…
2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt
schwer, wenn der Ausländer
8. in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines
Schengen-Staates durchgeführt wurde,im In- oder Ausland
a) falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines
deutschen Aufenthaltstitels,eines Schengen-Visums, eines
Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassungeiner
Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung
gemacht hat oder
b) trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für
die Durchführung diesesGesetzes oder des Schengener
Durchführungsübereinkommens zuständigen Behördenmitgewirkt hat,
soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher
Handlungenhingewiesen wurde oder
9. einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen
Rechtsvorschriften odergerichtliche oder behördliche Entscheidungen
oder Verfügungen begangen oder außerhalb desBundesgebiets eine
Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere
Straftatanzusehen ist.“
f) Vereinfachte Inhaftierung
2. Problemfeld: „Sonder-Duldung bei ungeklärter Identität“ - §
60b AufenthG
„§ 60bDuldung für Personen mit ungeklärter Identität
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(1) Einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer wird die
Duldung im Sinne des § 60a als„Duldung für Personen mit ungeklärter
Identität“ erteilt, wenn die Abschiebung aus von ihm selbstzu
vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil er das
Abschiebungshindernis durcheigene Täuschung über seine Identität
oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angabenselbst
herbeiführt oder er zumutbare Handlungen zur Erfüllung der
besonderenPassbeschaffungspflicht nach Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3
Satz 1 nicht vornimmt. Dem Ausländerist die Bescheinigung über die
Duldung nach § 60a Absatz 4 mit dem Zusatz für „Personen
mitungeklärter Identität“ auszustellen.
(2) Besitzt der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer keinen
gültigen Pass oder Passersatz, ist erunbeschadet des § 3
verpflichtet, alle ihm unter Berücksichtigung der Umstände des
Einzelfallszumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder
Passersatzes selbst vorzunehmen. Diesgilt nicht für Ausländer ab
der Stellung eines Asylantrages (§ 13 des Asylgesetzes) oder
einesAsylgesuches (§ 18 des Asylgesetzes) bis zur rechtskräftigen
Ablehnung des Asylantrages sowie fürAusländer, wenn ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt, es sei denn,
dasAbschiebungsverbot nach § 60 Absatz 7 beruht allein auf
gesundheitlichen Gründen.
(3) Im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 ist dem Ausländer regelmäßig
zumutbar,
1. in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts,
insbesondere den §§ 6 und 15 desPassgesetzes in der jeweils
geltenden Fassung, entsprechenden Weise an der Ausstellung
oderVerlängerung mitzuwirken und die Behandlung eines Antrages
durch die Behörden desHerkunftsstaates nach dem Recht des
Herkunftsstaates zu dulden, sofern dies nicht zu einerunzumutbaren
Härte führt,
2. bei Behörden des Herkunftsstaates persönlich vorzusprechen,
an Anhörungen teilzunehmen,Lichtbilder nach Anforderung
anzufertigen und Fingerabdrücke abzugeben, nach der Rechts-
undVerwaltungspraxis des Herkunftsstaates erforderliche Angaben
oder Erklärungen abzugeben odersonstige nach der dortigen Rechts-
und Verwaltungspraxis erforderliche Handlungen vorzunehmen,soweit
dies nicht unzumutbar ist,
3. eine Erklärung gegenüber den Behörden des Herkunftsstaates,
aus dem Bundesgebiet freiwilligim Rahmen seiner rechtlichen
Verpflichtung nach dem deutschen Recht auszureisen,
abzugeben,sofern hiervon die Ausstellung des Reisedokumentes
abhängig gemacht wird,
4. sofern hiervon die Ausstellung des Reisedokumentes abhängig
gemacht wird, zu erklären, dieWehrpflicht zu erfüllen, sofern die
Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus zwingenden Gründenunzumutbar
ist, und andere zumutbare staatsbürgerliche Pflichten zu
erfüllen,
5. die vom Herkunftsstaat für die behördlichen
Passbeschaffungsmaßnahmen allgemeinfestgelegten Gebühren zu zahlen,
sofern es nicht für ihn unzumutbar ist und
6. erneut um die Ausstellung des Passes oder Passersatzes im
Rahmen des Zumutbarennachzusuchen und die Handlungen nach den
Nummern 1 bis 5 vorzunehmen, sofern auf Grundeiner Änderung der
Sach- und Rechtslage mit der Ausstellung des Passes oder
Passersatzes durchdie Behörden des Herkunftsstaates mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kannund die
Ausländerbehörde ihn zur erneuten Vornahme der Handlungen
auffordert.
Der Ausländer ist auf diese Pflichten hinzuweisen. Sie gelten
als erfüllt, wenn der Ausländerglaubhaft macht, dass er die
Handlungen nach Satz 1 vorgenommen hat.
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Weist die Ausländerbehörde den Ausländer darauf hin, dass seine
bisherigen Darlegungen undNachweise zur Glaubhaftmachung der
Erfüllung einer bestimmten Handlung oder mehrererbestimmten
Handlungen nach Satz 1 nicht ausreichen, kann die Ausländer-behörde
ihn mitFristsetzung dazu auffordern, die Vornahme der Handlungen
nach Satz 1 durch Erklärung an EidesStatt glaubhaft zu machen. Die
Ausländerbehörde ist hierzu zuständige Behörde im Sinne des §
156des Strafgesetzbuches.
(4) Hat der Ausländer die zumutbaren Handlungen nach Absatz 2
Satz 1 und Absatz 3 Satz 1unterlassen, kann er diese jederzeit
nachholen. In diesem Fall ist die Verletzung derMitwirkungspflicht
geheilt und dem Ausländer die Bescheinigung über die Duldung nach §
60aAbsatz 4 ohne den Zusatz „für Personen mit ungeklärter
Identität“ auszustellen.
(5) Die Zeiten, in denen dem Ausländer die Duldung mit dem
Zusatz „für Personen mit ungeklärterIdentität“ ausgestellt worden
ist, werden nicht als Vorduldungszeiten angerechnet. Dem
Inhabereiner Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter
Identität“ darf die Ausübung einerErwerbstätigkeit nicht erlaubt
werden. Er unterliegt einer Wohnsitzauflage nach § 61 Absatz
1d.
(6) § 84 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung.“
§ 105 AufenthG - Übergangsregelung zur Duldung für Personen mit
ungeklärter Identität
(1) Die Ausländerbehörde entscheidet bei geduldeten Ausländern
über die Ausstellung einerBescheinigung über die Duldung nach § 60a
Absatz 4 mit dem Zusatz „für Personen mitungeklärter Identität“
frühestens aus Anlass der Prüfung einer Verlängerung der Duldung
oder derErteilung der Duldung aus einem anderen Grund.
(2) Auf geduldete Ausländer findet § 60b bis zum 1. Juli 2020
keine Anwendung, wenn sie sich ineinem Ausbildungs- oder
Beschäftigungsverhältnis befinden.
(3) Ist ein Ausländer Inhaber einer Ausbildungsduldung oder
einer Beschäftigungsduldungoder hat er diese beantragt und erfüllt
er die Voraussetzungen für ihre Erteilung, findet § 60b
keineAnwendung.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------1.
Bei selbst zu vertretenden Abschiebungshindernissen durch eigene
Täuschung über Identität
/Staatsangehörigkeit / falsche Angaben/Verletzung zumutbarer
Passbeschaffungspflichten
= Folgen:
-> Beschäftigungsverbot,
-> Wohnsitzauflage,
-> Leistungskürzungen
= Passbeschaffungspflichten gelten auch für Personen, bei denen
ein krankheitsbedingtes
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt (§ 60b
Abs. 2 S. 2 AufenthG)
= Zeiten mit einer Duldung nach § 60b AufenthG werden nicht als
„Vorduldungszeiten“
angerechnet z.B. bei §§ 25a und b sowie § 25 Abs. 5 AufenthG
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Wenn die betroffene Person die verlangte Handlung vornimmt und
so ihrer Passbeschaffungspflicht
nachgekommen ist, bekommt sie wieder eine reguläre Duldung nach
§ 60a AufenthG. Allerdings
wird die Zeit in der Duldung light nicht rückwirkend als normale
Duldung gezählt, dieser Zeitraum
wird folglich nicht als Vorduldungszeit anerkannt.
2. Seit dem 14.04.2020: „Anwendungshinweise des
Bundesministeriums des Innern, für Bau
und Heimat zu § 60b des Aufenthaltsgesetzes“, frei verfügbar
z.B. über die website der
GGUA in Münster:
http://ggua.de/fileadmin/downloads/erlasse/AH_BMI____60b_AufenthG_14.4.2020.pdf
Kurzübersicht Anwendungshinweise BMI zur Duldung "light"
Wenn die Unmöglichkeit der Abschiebung verschuldet ist, also
eine Täuschungshandlungoder eine Verletzung der
Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung vorliegt, muss
dieDuldung light ausgestellt werden. Den Behörden steht kein
Ermessen zu.
Ist die Täuschung/Nicht-Mitwirkung zumindest mitursächlich für
die Unmöglichkeit derAbschiebung, kommt es auch beim Vorliegen
weiterer Duldungsgründe zur Duldunglight. Diesen Punkt haben wir
bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisiert. Wirkt jemandnicht
mit, hat aber gleichzeitig Sorgerechtspflichten in Deutschland,
wiegt die Nicht-Mitwirkung dann schwerer, da sie (auch) ursächlich
ist für die Unmöglichkeit derAbschiebung? Laut Anwendungshinweise
soll die Duldung light ausgestellt werden, wenndafür ein
ausreichender Grund gegeben ist. Was ein ausreichender Grund ist,
wird nichtgeregelt.
Hinweis: Das ist umstritten! Es wurde im Gesetzgebungsverfahren
vertreten, dass keineDuldung "light" erteilt werden sollte, wenn es
neben dem Vorwurf von Täuschung/Nicht-Mitwirkung noch weitere
Gründe gibt, aus denen nicht abgeschoben werden kann = z.B.aktuell
eben Corona! Das BMI vertritt demgegenüber die Auffassung, dass die
Duldung"light" wegen Täuschung/Nicht-Mitwirkung auch erteilt werden
kann, wenn nochweitere Duldungsgründe vorliegen! Hier wird die
Rechtsprechung entscheiden müssen.
Außerdem wird in den Anwendungshinweisen erklärt, was genau eine
Täuschungshandlungist. So ist bspw. bloßes Schweigen nicht als
Täuschung zu werten, abgesehen von demVerschweigen einer
Staatsangehörigkeit. Verschiedene Schreibweisen desselbenNamens
sind unschädlich.
Falsche Angaben müssen dem Betroffenen zuzurechnen sein, um den
Tatbestand derTäuschungshandlung zu erfüllen. Nur eigens oder die
durch eine beauftragte Person (z.B.Rechtsanwalt) gemachte Angaben
sind dem Betroffenen selbst zurechenbar.Beispielsweise Angaben, die
die Eltern machen, können dem Betroffenen nicht zugerechnetwerden
(es sei denn, er bestätigt sie). Ebenfalls nicht dem Ausländer
zuzurechnen sindobjektiv falsche Daten, die in der Behörde
generiert worden sind, etwa auf Grundfehlerhafter Zuordnung von
Aliaspersonalien aus Datenbankabgleichen.
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Bloßes Schweigen ist keine Täuschung, auch nicht wenn die
Behörde den Betroffenen überfalsch registrierte Angaben
unterrichtet und er daraufhin schweigt. Das Verschweigen
einerStaatsangehörigkeit wird wiederum als Täuschung gewertet, wenn
die Frage nach allenStaatsangehörigkeiten gestellt wurde.
Die Täuschung muss gegenwärtig sein. Bereits wenn der Behörde
die richtigen Angabenbekannt sind, entfällt die Täuschung. Dann
entfällt auch die Ursächlichkeit.
Für die Annahme einer Täuschung ist es nicht erforderlich, dass
die Behörde dierichtigen Daten kennt. Es genügt, dass feststeht,
dass die vom Ausländer selbst gemachtenAngaben falsch sind.
Letzteres ist vor allem der Fall, wenn der Ausländer
einanderwidersprechende Angaben gemacht hat, z.B. gegenüber
verschiedenen Behördenverschiedene Identitätsangaben verwendet.
Die besondere Passbeschaffungspflicht besteht auch, wenn der
Betroffene noch nichtdazu aufgefordert wurde.
Für die Erfüllung der Passbeschaffungspflicht muss der Pass oder
Passersatz aus demHerkunftsland nicht dem No