Slciic JirdicrAituiifl WOCHENENDE Sonntag, 1. November 1970 Nr, 508 (F'crnausgnbe Nr. J00) 61 Die Monate Der November (p. Nebel holt Tage und Nächto gefangeni die Germanen nann- ten diesen Abschnitt des Jahres «Nebelung», Bei den Römern vor Julius Cäsar war der November der neunte Monat, Im letzten Monatsdrittel vorläßt die Sonne das Stemzelchen des Skorpions und tritt In Jenes des Schützen, Der November bringt einen starken Temperaturf all: der Winter ist nahe, und den alten Namen Winter« monat kann man noch immer in Kalendern lesen. Wenn diese Zelt an Niederschlägen reich Ist, freut sich der Landmann! denn: 7m November viel Naß Bringt aul die Wiese viel Gras. Der November beginnt mit dem Fest Allerheiligen, Es geht aul das Pantheon in Rom zurück: Papst Bonifazius IV, erhielt den Tempel aller Götter von Kaiser Phokas im Jahr 607 zum Geschenk. Er weihte ihn der Gottesmutter und allen heiligen Märtyrern. Das dazu gehörige Fest hat diesseits der Alpen der Frankenkaiser Ludwig der Fromme angeordnet, Dem Tag Allerheiligen folgt am Monatszwelten Allerseelen, Auf die Idee, der Seelen der Ver- storbenen an einem bestimmten Tag zu gedenken, ist vor mehr ah 900 Jahren Abt Odilo von Cluny gekommen, Im Volksglauben sind die beiden Tage mehr oder weniger zusammengeschmolzen. Das ganze Jahr über freuen sich nach der Legende die Seelen auf das Mittagläuten des 1. November) dann dürfen sie das Fegefeuer ver- lassen und in ihre ehemaligen Wohnungen zurückkehren und bis zum Morgenläuten des Allerseelentags bleiben. Man stellte ihnen früher Brot, Bohnen und Wein auf und zündete eine Flamme an, an der sie sich wärmen mochten. Der Besuch der armen Seelen bringt dem Haus Segen Unheil aber, wenn man ein Messer mit der Schneide nach oben auf dem Tisch liegen läßt und sich ein Be- sucher aus dem Jenseits darauf setzt. Der wichtigste Lostag des Monats ist Martini am 11 . November. Martin aus Ungarn war erst römischer Hauptmann in Oberltallen, dann Bischof von Tours. Berühmt gemacht hat ihn der Mo^iel, dfn er mit einem zerlumpten und frierenden Bettler geteilt hat, An den Tagen vor Martini fällt oft der erste Schnee, was zu dem Spruch führte: St. Martin kommt nach alter Sitten Aul einem Schimmel angeritten. ' Im allgemeinen erwartet man einen langen und strengen Win- ter, wenn es zu Martini kalt ist, einen milden Winter, wenn es trüb und naß ist, Im Sarganserland sagt man: Schneit' b z'Martlnl über ä Rhi, Isch acho d'Hüllll Winter hl. Bisweilen erhebt sich die Temperatur zu einem kleinen Nach- sommer, dem Martinssömmerchen. Dem heiligen Reitersmann und Bischof liegt viel an diesen Tagen: Er benutzt sie, um für sein Pferd das Heu einzuholen. Um diese Zeit freilich machen sich auch schon die Winterdärnonen bemerkbar. In Tirol fliegt der Martinsvogel, ein feuriger Drache, herum und versengt das Gras, das jedoch nach sieben Jahren um so fetter wächst. Vielerorten ißt man die Martinigans und setzt sich zu geselligen Mahlzeiten zusammen. Die Sitte hat ihren Ursprung wahrscheinlich in alten Opferbräuchen. Begegnung Ein Hippie als Gast sammelten Beeren vermochte or seinen jugendlichen Hunger nicht zu stillen. Nie hätte er gedacht, eigenhändig ein Tier töten und gebraten mit Genuß verzehren zu können. Als er Skandinavien verließ, beschloß er, so schnell wie möglich nach Indien zu ge- langen, und warf außer den Schuhen alles Lederne, selbst die Riemen seines Tragbündels weg, well in Indien Kühe doch heilin Helen. Kopf oder Zahl einer geworfenen Münze wiesen den Hippie in die Schweiz. Private Gastgeber gaben nicht nur seine vor- lauste Montur samt Schlafsack in die chemische Reinigung, sie ließen ihn auch gegen Cholera impfen, was ihn rührte, Als er als woltergebotener Gast in unserem Bergdorf eintraf, ging ein rechtes Gewitter mit scharfen Blitzen, Donner und Hagol nieder, «So noch nie erlebt», sagte der Hippie, sichtlich beeindruckt. Und eine Bäuerin, die uns im Sturm den Stellhang hinaufklettern sah , rlol Ihrem Mann zu: «Wenn du einen Teufol sehen willst, dann schau zum Fenster hinaus!» Meinte sie einen armen Teufel oder einen echten? Anderntags marschierte de r Junge Amerikaner auf den näch- sten Alpenpaß, bestaunte Riesen unseres Hochgoblrgea aus nächster Nähe. Abends im Schein dos Mondes sang er zur Gitarre amerikanische Heimwehlieder, wollte «'s isch üben e Mansch ul Aerdo . . .» lernen, Wir beschafften Ihm Noten, die er aber nicht lesen konnte, denn sein Liederrepertolre hatte or sich durchs Ohr erworben, und Gltarrespielen autodidaktisch gelernt. Was haben wir Alten, gut Fünfzigjährigen dem amerikanischen Hippie In den drei Tagen, da er unser Gast war, beigebracht, daß er sich bedankte, wie or es tat? Wahrscheinlich haben wir Ihm In seinen Lehr- und Wanderjahren einfach eine kurze Station der Geborgenheit geboten, um so eindrucksvoller im schweizerischen Hochgebirge, wo die Natur so hart wie schön ist und ohno Arbeit die nackte Existenz unmöglich wäre. Unser Hippie sah Bauern Rechen voll Gras zum Trocknen schöchcln und hätte gerne ge- holfen. Aber, wie dns Blumenkind aus Kalifornien auf der Suche nach einem sinnvollen Dasein sich In einfachen Worten aus- drückte: «Der Kopf will anders als das Herz, die rochte Hand Ist bereit zu arbeiten, die linke nicht,» Mode Bunter Ideenstrauß in Florenz AI. «Damenhaftigkeit» wird bei den neunzig Kollektionen der Maschenmode, Atta Moda pronto, Boutique, Pret-a-porter und der Ledermode, die im Palazzu Pitti in Florenz für die Sommermode 1971 gezeigt wurden, groß geschrieben. Die langgezogene Sil- J&OAOUO rb. «Danke, daß ich mit alten Leuten habe leben und reden dürfen. In Amerika finden wir Jungen keinen Kontakt zu anderen Generationen.» Die Abschiedsworte des Hippies mit wallenden Locken und sprossendem Bart, der drei Tage im Ferienhaus unser Gast gewesen war, stimmten uns nachdenklich. Da war ein noch nicht Zwanzigjähriger ganz allein in der Welt unterwegs auf de r Suche nach seiner Zukunft. Vor fünf Monaten war er in San Francisco aufgebrochen mit dem Ziel, nach Indien zu gelangen. Was er zum Existieren nötig fand, trug er in einem riesigen Sack auf dem Rücken, das wenige Bargeld in einem Leibgurt auf der bloßen Haut, die Gitarre in der Hand. Warum hatte er sich aufgemacht? Weil seine heimatliche Großstadt, so sehr sie nachts glitzere, hart und böse sei. Und den Genuß von Rauschmitteln hätten ihm Lehrer an der eigenen High School beigebracht, darum wolle er nach Indien, jedenfalls in den Osten. Auf seiner Wanderschaft per Autostopp und zu Fuß kreuz und quer durch Europa hatte der junge Hippie Böses erlebt wie in der Heimat, manchmal sein Bündel von einer Stunde zur andern ge- schnürt, weil er Gefahr witterte. Im ganzen aber war es ihm erstaunlich gut gegangen. Autofahrer nahmen ihn nicht nur ein Stück Weges mit, sondern luden ihn nach Hause ein, gaben ihm Adressen von Freunden in anderen Ländern mit. Die unsrige hatte er in Skandinavien erhalten. In Finnland, wo er eine Zeitlang allein in einem Blockhaus auf einer Schäreninsel gelebt hatte, gab et es auf, vegetarisch zu leben, und begann Fische zu angeln; denn nur mit Biot, Kartoffeln, ge- Zelchnung: Waller Nlggll Links: Ein Hosenensemble, bestehend aus eine m we/ß gestrickten Overall und einem Poncho, das direkt aus Südamerika zu kommen scheint. Die Bordüren an Hose und Poncho sind in den Farben Marine und Gelb ge- halten / Modell Albertina. Rechts: Gauchohose, Jacke und Kopiluch dieses Rogencnsembles sind aus dunkelblauem, imprägniertem Chintz, der blauweiß gestreute Pullover Ist aua Baumwolljeraey / Modell Darocco. houette, fließende Stoffe und helle Farben beherrschen das Bild. Türkis scheint Modefarbe zu werden, und wie immer im Frühling, das klassische Marineblau mit Weiß. Wie auch In Rom, reicht die Länge für den Tag vom bedecktet» Knie bis zur Wade, während für Freizeit und den Abend Maxi vorherrscht. Die Kleider geben sich tagsüber recht schmal, fast tubenförmig, und weisen eine leicht erhöhte Taille auf; auch Faltenjupes sind viele zu sehen. Für den Abend werden die Modelle, wie meistens in Italien, romantisch. Ein Couturier begründete diese Tendenz damit, daß die Frauen heute größtenteils tagsüber in «männlichen» Arbeiten stecken und sich deshalb wenigstens am Abend romantisch, weich und feminin zeigen möchten. Jersey steht im Vordergrund und ist in allen Qualitäten vertreten, aber auch grobkörnige, leinenartige Gewebe, viel Shantungseide, weichfließender Chiffon sind zu bewundern. Wildleder feiert ein triumphreiches Comeback Als Dessins be- haupten sich Streifen, Karos und Tupfen, wobai die Punkte von der Größe eines Stecknadelkopfes bis zum Tischtennisball vari- ieren. Man fragt sich, ob ein heißer Sommer 1971 die Maxilänge zum Verschwinden bringe, da auch in Italien ein heftiger Widerstand der «Frau auf der Straße» gegen die neuen Längen zu spüren ist. Besonders die Boutiquen stellen mit Betrüben fest, daß bei den Kleidern die Midilänge wenig verlangt wird, und wenn dann nur ganz billige Modelle, Hosen jedoch, besonders Gauchohosen, sind groß gefragt. Emllio Puccl, der große Meister, versucht, sich mit einer Reihe origineller Einfälle um eine klare Stellungnahme zu der entscheidenden Frage der Länge zu drücken. Er besetzt seine kniekurzen bis wadenlangen Röcke mit langen Seidenfransen, die das Bein beim Stehen wohl verhüllen, bei jeder Bewegung des Gehens jedoch enthüllen. Pucci meinte voll Stolz: «Die Frage nach der Länge stellt sich auf diese Art gar nicht.» Fransen geben den Frauen die Illusion von Länge, ohne ihre Beine wirklich zu verbergen. Pucci fand auch einen anderen Ausweg: Er kreierte Zipfelröcke, die das Knie zum Teil freilassen, zum Teil bedecken. Die Strickmodeschöpfer bekannten sich beinahe einheitlich zum bedeckten Bein, versuchten jedoch durch «Gucklöcher» in ihren Gewirken sommerliche Luftigkeit zu bringen. Auf bloßer Haut wurde großmaschig Gestricktes präsentiert. Beliebt waren Ein froher Gast ist niemands Last len, Sollten Sie jemals bei den Leuten, bei denen ich kürzlich geladen war, geladen sein, dann können Sie vermutlich noch dazulernen. Die machen nämlich vom Tischrückon bis zum Baha'i olles mit, was up to dato Ist, Vom Spinnrad neben der Bar bis zum Feuorwehr-Wasserelinor aus dem 17, Jahrhundert auf dem Schreibtisch ist alles da. Die Möbel sind tollwolno aufblasbar, teil- weise frisierter Brockenhaus-Barocki denn feine Leute kaufen jetzt Im Brockenhaus, dort ist's am teuorston. Ich bin nur froh, hat mich niemand nach dem Mobiliar bei mir zu Hause gefragt, denn ich sitze noch auf völlig unmöglichen Stühlen mit ganz gewöhnlichen Beinen, Beim Drink mit Grönlimdols (besonders bekömmlich und leicht verdaulich) hübe ich auch vernommen, daß Raclotto nicht mehr «In» Ist und auch Kufialkii.su bereits als überholt gilt, Hingegon geht der Trend heute zum Couscous und Bousbous. Die Hausfrau bäckt übrigens wieder selben denn unoblesso obligu, und so hat sie uns an diosem Abend einen Kuchen aus dem 16, Jahrhundert beschert («Zwölf Loth Mehl, ein Maltor Zucker . . .»), obwohl Kleiner so etwas feiner macht, Uobrlgens brachten fast alle Go- ladnnon als Präsent ein Bülachorglas Eingemachtos mit, was be- deutend mehr Furore machte als meine Behäbigen Astern. Den Höhepunkt de r kulinarischen Genüsse bildete das gemeinsame Acpfolbratcn am Spieß und am Chemlnoe. Mein Vorschlag, doch gelefl entlieh irgend etwas im Pfadikesseli am offenen Feuer zu kochen, wurde mit Begeisterung aufgenommen, so daß Ich mich doch noch einigermaßen Ins Licht rücken konnte, Daß Monteverdi außer Autos auch Musik gemacht haben soll, wollte mir aber niemand abnehmen, als wir Konversation machten. die sogenannten «Miclriffs», Kleider, die die Haut der Taille frei- lassen. Acrmollosc oder stark ausgeschnittene Kleider werden durch Jacken, viele Boleros oder enganliegende, hüftlange Pull- over ergänzt. Auch enganliegende Hemdkleider, stets in Midi- länge, behaupten sich in vielen Kollektionen. Cenlinario zeigt die engsten Hosen, die je vorgeführt wurden, aus Wildseide. Die passende kurze Jacke ist mit Stickereibändern verziert, die aus Hol/, und Bast bestehen die Stickerei ist Inspiriert von den Mustern, wie sie die amerikanischen Indianer an ihren Leder- kleidern tragen. Auch bei Albertina sind die Abendkleider von der Indianermode beeinflußt. Zweiteilige Ensembles aus weißem Trikot sind mit gelben und blauen Mustern umsäumt. Als Folge der neuen Linie, der veränderten Proportionen, prä- sentieren die Couturiers in Florenz weite Acrmel. -So sieht man Midimäntel seitlich geschlitzt, mit großen Acrmeln und lose, vertikalgestreifte Kleider mit angeschnittenen Fledermausärmel« bei Garbell von Bologna, Der Doppolärmel ein kurzer übet einem langen ist eine Variation des Themas, die verschiedene Häuser /eigen. So präsentieren sich kurzärmelige Jacken übet Kleidern mit langen, engen Aermeln. ri i i. Briefmarken Juristen, böse Christen nid. Die Juristen genießen im Volksmund nicht unbedingt den besten Rufj vielfach betrachtet man sie nicht als Rechtskundige und Vermittler der Gerechtigkeit, sondern eher als Rechtsbieger oder gar Rechtsverdreher, Diese Vorstellungen finden ihren Aus- druck in zahlreichen mittelalterlichen Rechtssprichwörtern, wie zum Beispiel «Juristen, böse Christen». Es ist daher auch ver- ständlich, daß Juristen selten große Popularität erlangt haben und kaum die Ehre hatten, auf Briefmarken verewigt zu werden. Große Ehre hingegen wurde dem Schweizer Juristen Professor Eugen Huber zuteil, Im Rahmen der Pro-Juventute-Serie von 1932 erschien eine Marke mit seinem Bildnis. Er stellte damit erst noch einen philatelistischen «Schweizer Rekord» auf, denn bereits neun Jahre nach seinem Tode setzte man ihm mit einer Marke ein Denkmal. Normalerweise wartet man in der Schweiz länger, bis eine verstorbene Persönlichkeit philatelistisch geehrt wird: nur General Guisan wurde ebenfalls neun Jahre nach seinem Tode auf diese Weise geehrt. Eugen Huber erforschte die Geschichte der kantonalen Privat- rechte und wirkte als Professor In Basel, Halle an der Saale und Bern. Vom Bundesrat erhielt er 1892 den Auftrag, ein schweizeri- M. E. Meilers (links) und Eugen Huber /rechts), zwei bekannte Juristen, die aul Brietmarken abgebildet wurden. sches Zivilgesetzbuch zu entwerfen. Sein Entwurf wurde in den eidgenössischen Räten einstimmig angenommen, und die erste schweizerische Privatrechtskodifikation trat 1912 in Kraft. Die große Popularität verdankte Eugen Huber seiner volkstümlichen, verständlichen Sprache. Das Schwelzerische Zivilgesetzbuch hat auch im Ausland große Beachtung gefunden! die Türkei über- nahm es fast ohne Aenderungen, und in einigen andern Staaten beeinflußte es die Rechtsetzung auf einzelnen Rechtsgebieten. Auch in Holland sind Briefmarken mit Porträts bekannter Juristen selten. Vor einigen Monaten ist nun eine Marke mit einem Juristen erschienen, der als geistiger Erbe von Eugen Huber bezeichnet werden kann. Es handelt sich um Professor Edvard Maurits Meijers, der ebenfalls als Rechtshistoriker, Dozent und Schöpfer des neuen holländischen bürgerlichen Gesetzbuches wirkte und sich zudem um das internationale Privatrecht ver- dient gemacht hat. Neue Zürcher Zeitung vom 01.11.1970