Wirkungen von Mindestlöhnen: Kann man aus den bisherigen Evaluationsstudien etwas für die Logistikbranche lernen? Kassel, 25. Juni 2014 Dr. Alfred Garloff IAB Hessen
Wirkungen von Mindestlöhnen: Kann man aus den bisherigen Evaluationsstudien etwas
für die Logistikbranche lernen?
Kassel, 25. Juni 2014
Dr. Alfred Garloff
IAB Hessen
Das Wichtigste in Kürze
Der Mindestlohn iHv 8,50 € kommt! Entscheidend: Wie hoch sind die mit ihm verbundenen Jobverluste…?
Jobverluste hängen von der Mindestlohnhöhe und –Differenzierungen ab
In der Wissenschaft ist das heiß umstritten
‐ Bisherige deutsche Erfahrungen: Kaum Jobverluste
‐ Internationale Erfahrungen: Gemischt
‐ Mehrheit der Wissenschaftler für D besorgt über 8,5 Euro
2
3
1. Warum Mindestlöhne? 2 Entwicklungen
Dramatischer Rückgang der Tarifbindung Anteil der Beschäftigten 1996 bis 2013, in Prozent
4
70 6863 63 61
57 56 55 56 56 54 53 5256
5247
44 42 41 41 40 38 37 37 36 35
66 6560 59 57
53 52 50 51 50 48 48 474843
3935 34 33 33 33 32
29 30 29 28
0
10
20
30
40
50
60
70
80
1996 1998 2000 2002 2004 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
Gesamtwirtschaft West Gesamtwirtschaft Ost
Privatwirtschaft* West Privatwirtschaft* Ost
*ohne Landwirtschaft und Organisationen ohne Erwerbszweck.
Anmerkung: Seit 2010 verändertes Datenprüfverfahren, siehe Ellguth/Kohaut (2011, S.243)
Quelle: wsi mitteilungen 4/2014
Deutlicher Anstieg der Lohnungleichheit st. Anfang der 90er
5
Reallöhne (Bruttotagesentgelt) von Vollzeit –Männern (40 Jahre) in West-
Deutschland nach Qualifikation (Index 1984=100, SIAB)
90
95
100
105
110
115
120
125
130
low
intermediate
high
Quelle: Möller 2012
6
2. Was wissen wir über die Wirkung von Mindestlöhnen?
Branchenspezifischer Mindestlöhne: Kaum Beschäftigungswirkungen nachgewiesen
7
Ex-post Evaluation bestehender Branchenmindestlöhne im
Auftrag des BMAS
Acht Studien durch unterschiedliche Forschungskonsortien
kommen zu ähnlichen Resultaten:
‐ Lohnwachstum für die betroffenen Arbeitnehmer
‐ Wenig nachgewiesene Beschäftigungseffekte (Ausnahme
Dachdecker, Bau in OstD)
‐ Bei Dachdecker/Bau(Ost): Kompression der Lohnverteilung von
unten und oben
Internationale Evidenz: Inkonklusiv
8
Beispiel UK:
‐ Vorsichtiger Einstieg 1999, differenziert nach Alter,
Expertenkommission mit Evidenz-basierten Vorschlägen
‐ „It is now universally agreed that the NMW has modest benefit
without significant harm…“ (Manning, 2013)
Beispiel Frankreich:
‐ Hoher Mindestlohn (9,43 Euro) mit automatischen Anpassungen
reduziert Ungleichheit
‐ Negative Beschäftigungseffekte besonders bei jungen
Arbeitsnehmern und hohe Subventionskosten
Boockmann (2010): Interaktion von Institutionen und Mindestlohn entscheidend
9
3. Was bewirken 8,50 Euro in der Logistikbranche in Hessen?
Sind 8,50 viel oder wenig?
10
§ Ugf. 1450 €/Monat (Vollzeitjob, 170 h/Monat)
§ Unter 10% der (Vollzeit-)Beschäftigten in He direkt betroffen
§ Aber: In OstD fast ¼ betroffen
§ Verkehrsberufe schlecht entlohnt: über 10% direkt vom Mindestlohn 8,50 betroffen;
§ Branche „Verkehr und Lagerei“ entlohnt etwas besser: unter 10% betroffen
Deutschland im Mittelfeld: Mindestlöhne in Europa relativ zu Vollzeitmedianlohn 2012 (Kaitz-Index)
11
Median-
lohn in
Hessen
3.200 €;
Kaitz-
Index
ugf. 45%
Quelle: IZA Standpunkte Nr. 65; OECD
Niedrige Löhne am unteren Ende der Verkehrsberufe:
12
Entwicklung der Grenze zwischen dem 1. und 2. Dezil in
Hessen, 2000 bis 2010/2012, jeweils 31.12.
*von 2000 bis 2006 WZ Verkehr und Nachrichtenübermittlung (WZ93 und WZ03), ab 2007 WZ Verkehr und
Lagerei (WZ08)
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
1.416
1.675
1.520 1.673
1.430
1.333
1.000
1.100
1.200
1.300
1.400
1.500
1.600
1.700
1.800
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2012
Insgesamt Verkehrsbranche* Verkehrsberufe
Spekulationen über die Wirkung des Mindestlohnes
13
§ Bisherige Forschungen: Branchenmindestlöhne zwischen 7,5 und 10,5 € haben (bisher zumeist) keinen (messbaren) Beschäftigungseffekt gehabt und Kaitz-Index: ~53% (Branche) ist ein eher niedriger Wert (61%, Beruf), verglichen mit Branchenmindestlöhnen (Möller, 2012)
§ Interregional: Hessen als Hochlohnregion könnte profitieren, da nötige Lohnanhebungen geringer ausfallen als andernorts
§ International: Wird mit dem Ausland konkurriert, könnte der Mindestlohn zu Jobverlusten führen
§ Erwartung 1: Löhne der Beschäftigten mit geringen Löhnen werden angehoben, Veränderungen im gesamten Lohngefüge möglich
§ Erwartung 2: Geringe Beschäftigungseffekte in Hessen
14
4. Fazit
Der Mindestlohn kostet Jobs, aber in Hessen eher wenige?!
15
Entscheidende Frage in Bezug auf die Wirkung von
Mindestlöhnen:
Was passiert mit der Beschäftigung?
Vorhersagen sind immer schwierig, aber:
‐ Bisherige Forschung spricht nicht dafür, dass in der Logistikbranche
in Hessen viele Jobs verloren gehen.
Das institutionelle Setup in Deutschland ist nicht optimal
gewählt: Wer vertritt die Interessen der Arbeitslosen? Wie wird
angepasst?
Probleme durch Ausweichreaktion (Selbstständigkeit,
Werkverträge,…) und mit Durchsetzbarkeit?
16
Appendix
Betriebe nach Tarifvertragsbindung, Westdeutschland, 2000 und 2007, in Prozent
17
54%65%
42%33%
2%3%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
2000 2007
westdeutsche Betriebe, die einen Firmentarifvertrag anwenden
westdeutsche Betriebe, die einen Branchentarifvertrag anwenden
westdeutsche Betriebe, die keinen Tarifvertrag anwenden
Quelle: IAB Kurzbericht 16/2008, eigene Darstellung
Entwicklung des Niedriglohnsektors (SOEP)
18Quelle: Kalina LowPay2013; Source: GSOEP v28
Reaktion der Politik
19
Arbeitnehmerentsendegesetz: branchenspezifische
Mindestlöhne st. Ende 90er
Allgemeinverbindlicher Mindestlohn iHv 8,50 Euro ab 2015
(2017)
Anpassung durch Tarifkommission ohne Stimmrecht für
Experten
à Geteilte Resonanz bei Experten:
‐ OECD bejaht allgemeinverbindlichen Mindestlohn
‐ SVR, Frühjahrsgutachten, Wiss. Beiräte reagieren eher ablehnend
Ungleichheit
20
Lohn- und Einkommensungleichheit wird reduziert, falls der
Lohn aller Betroffenen angehoben wird
‐ Effekt auf Einkommensungleichheit unklar, falls Jobs
verloren gehen
Effekt auf Lohnungleichheit unklar, falls das ganze Lohngefüge
reagiert
Ggf. doppelter Reduktionseffekt, falls Lohnerhöhungen durch
Lohnsenkungen finanziert werden
à Im Allg.: Moderierender Effekt auf die
Lohnungleichheit!
Wirkung auf Arbeitslosigkeit und Beschäftigung
21
Arbeitslosigkeit könnte steigen (Beschäftigung sinken), falls der
Mindestlohn die Produktivität einzelner übersteigt
Arbeitslosigkeit (Beschäftigung) könnte unberührt sein, falls
Mindestlöhne zu Lasten der Gewinne oder der Löhne anderer
gehen
Beschäftigung könnte steigen, falls höhere Löhne zu einem
höheren Arbeitsangebot führen
à Ist der Mindestlohn zu hoch, erwarten viele Experten Jobverluste!
Fiskalische Wirkungen
22
Im Falle konstanter Beschäftigung
Höhere Einnahmen (Steuern, Abgaben)
Geringere Ausgaben (Niedrigere Aufstockerleistungen)
Bei sinkender Beschäftigung
Effekt auf Einnahmen unklar (zusätzl. weniger
Betragszahler)
Effekt auf Ausgaben unklar (zusätzl. Ausgaben für
Arbeitslose)
Entlohnung in der Logistikbranche
23
Verkehrsberufe gehören (auch in Hessen) zu den
unterdurchschnittlich entlohnten Berufen (Median 2010 bei
2.400 Euro; Hessen 3.000): über 10% direkt vom Mindestlohn
8,50 betroffen;
‐ 2015 Median schätzungsweise bei 2.600; knapp 10% Vollzeit direkt
betroffen
Branche „Verkehr und Lagerei“ entlohnt etwas besser (Median
2010 bei 2.700 €): unter 10% direkt vom Mindestlohn betroffen
‐ 2015 Median schätzungsweise bei 2.900; deutlich unter 10% Vollzeit
betroffen
Entwicklung des Median insgesamt, in der Verkehrs-branche* und in den Verkehrsberufen in Hessen
24
2000 bis 2010/2012, jeweils 31.12.
2.610
3.178
2.528
2.749
2.3052.363
2.000
2.200
2.400
2.600
2.800
3.000
3.200
3.400
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2012
Insgesamt Verkehrsbranche* Verkehrsberufe
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
*von 2000 bis 2006 WZ Verkehr und Nachrichtenübermittlung (WZ93 und WZ03), ab 2007 WZ Verkehr und
Lagerei (WZ08)
www.iab.de
Alfred Garloff
IAB Hessen
www.iab.de
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!