Winfried G. Rossmanith Frauenklinik Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe Gibt es eine fetale Programmierung für Adipositas und Stoffwechselstörungen? ? ?!?
Winfried G. RossmanithFrauenklinik Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe
Gibt es eine fetale Programmierung
für Adipositas und Stoffwechselstörungen?
? ?!?
Was sind die Fakten?
Übergewichtige Mütter haben wahrscheinlich übergewichtige Neugeborene
Kinder von Müttern mit Gestationsdiabetes haben mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst Typ I und II Diabetes
Über- und untergewichtige Neugeborene haben ein hohes Risikofür die Entwicklung von Adipositas im Kinder- und Jugendalter
Prof. Dr. Hans HaunerInstitut für Diabetes- und Adipositasforschung München
Was sind die Zusammenhänge?
331 Kinder von Müttern mit Gestationsdiabetes und/oder Adipositas
nach 2 Jahren
Einflußfaktoren
nach fünf Jahren
nach 11 Jahre
Kindliche Adipositas
LGA, mütterliche Adipositas
LGA, mütterliche Adipositas,
Gestationsdiabetes
LGA, mütterliche Adipositas
Jugendliche Adipositas ---- ---- Mütterliche
AdipositasJugendlicher Hypdertonus und
Typ 2 Diabetes
---- ---- Mütterliche AdipositasGestationsdiabetesHauner et al. Propraxis 5 (2008) 6-8
Zusammenhänge zwischenGeburtsgewicht und Adipositas
Positive (lineare oder U-förmige) Korrelation zwischen:
Mütterlichem Gewicht in der Gravidität Gestationsdiabetes Hungerbedingungen in der Schwangerschaft Rauchen
und der späteren Entwicklung einer kindlichen oder jugendlichen Adipositas und übernormalen Fettmasse
Rogers J et al. Int. J. Obes. Relat. Metab. Disord 27 (2003) 755-555
Was sind die Zusammenhänge?
Hyperglykämie (auch ohne Diabetes) und Schwangerschaftskomplikationen:
Assoziation zwischen Nüchtern-, 1- und 2-Std. Glukosewertenmit allen Ergebnisvariablen
Metzger BE et al. N Engl J Med 358 (2008) 1991-2002
Was bedeutet intrauterine Programmierung?
Dauerhafte Festlegung der Funktionsweise von Organen durch Einwirkung von Faktoren wie Ernährung oder Hormone während kritischer vulnerabler Phasen in der fetalen oder neonatalen Entwicklung
Intrauterine Programmierung entspricht der Summe aller pränatalen endokrinen Einflüsse auf die Hirnorganisation
G. Dörner, 1974
Wie funktioniert intrauterine
Natürliche und soziale
Umwelt
Epi-genetischeDisposition
Erworben v.a. pränatal
Natürliche und soziale
Umwelt
GenetischeDisposition
Ererbt
ÄtiologiePathogenese
Plagemann 2005
Programmierung?
Wie funktioniert pränatale Programmierung?
Konzept der „funktionellen Teratologie“:
Neben der pränatal induzierten Dysgenese von organischen Strukturen unterliegt die lebenslange Funktionsweise von Organen und Organsystemen der prä- und perinatalen Exposition.
Es ist ein kybernetischer Prozeß im Sinne des entwicklungsbiologischen Prinzips der Selbstorganisation des Organismus.G. Dörner 1976
Wie funktioniert pränatale Programmierung?
Konzept der Prägung:
In der Verhaltensbiologie führt frühe Konditionierung während kritischer Lebensphasen zu Programmierung oder Fehlprogrammierung:
„Erlernte“ Funktionsweisen auf kognitiver wie insbesondere neurovegetativer EbeneK. Lorenz 1935
Beispiele für pränatale Programmierung
Reduktionistische Anwendung des Konzeptes der intrauterinen Programmierung auf das „small baby syndrome“:
Gehäuftes Auftreten von Komponenten des metabolischen Syndroms nach niedrigem Geburtsgewicht Hales und Barker,Diabetologia 1992
Inverse Relation zwischen Geburtsgewicht und späterer arterieller Hypertension Huxley und Collins, Lancet 2002
Mechanismen perinataler Programmierung
PlazentaFetales Pankreas
GehirnHypothalamus
GlukoseAminosäuren Fetales
Insulin
Vegetatives NervensystemGlandotrope Neurohormone
Plagemann 2005
Primäres Steuerungssystem
Mechanismen perinataler Programmierung
Pankreas
GehirnHypothalamus
Vegetatives NervensystemGlandotrope Neurohormone
Plagemann 2005
Sekundäres Steuerungssystem
InsulinInsulin
Mechanismenperinataler Programmierung
Umwelteinflüsse auf und Determinierung von:
Variation der Organstruktur Innvervation, Vaskularisierung)
Zellzahl (Zellanlage, Zellmigration, Zelluntergang)
Klonale Selektion Formierung von Neuriten und Synapsen Formierung von Rezeptoren Genexpression und Genexpressivität (Epigenomik)
Plagemann 2005
Perinatale Fehlprogrammierung
Schlussfolgerungen: Kinder, die in utero während kritischer Entwicklungsphasen einem diabetischen Milieu exponiert waren, tragen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer diabetogenen Stoffwechselstörung
Der fetale Hyperinsulinismus resultiert aus einer inadäquat oder gar nicht gehandelten Glukosetoleranz der Mutter und spielt eine entscheidende pathogenetische Rolle
Diese fetale Fehlprogrammierung ist verhinderbar, wenn die mütterliche Glukosetoleranzstörung erkannt und entsprechend behandelt wird (primäre Prävention)
Perinatale Programmierung
Plagemann 2005
Pankreas
ß-Zellen
Hypothalamus
NVM ALH
HungerSättigung
- +
Insulin
Perinatale Programmierung:Hunger und Sättigung
Plagemann 2005
Hypothalamus
NPY
Hunger
Leptin -
+PankreasFettgewebe
Insulin -
Insulin +
Induktion einer Resistenz gegenüber Sättigungssignalen
Plagemann 2005
Hypothalamus
NPY
Hunger
Leptin -
+PankreasFettgewebe
Insulin +
Insulin ++
STOPSTOP
HyperphagieÜbergewicht
Perinataler Hyperinsulinismus
Neuronale Dysplasie und Fehlfunktion
Plagemann 2005
Pankreas
ß-Zellen
Hypothalamus
NVM ALH
HungerSättigung
- +
Insulin
Perinataler Hyperinsulinismus
HyperphagieÜbergewicht
++-
+
+
Fetale Fehlprogrammierung Bestätigung der fetalen Fehlprogrammierung zentralnervöser Regelsysteme von Nahrungsaufnahme und Gewichtsregulation durch perinatalen Hyperinsulinismus
Im Tiermodell: Direkte Insulininjektion in den Hypothalamus neonataler Ratten führt zu hohen Konzentrationen an Insulin während kritischer Entwicklungsphasen des Hypothalamus und zur lebenslangen diabetogenen Disposition Dörner und Plagemann, Horm Metab Res 1994 Plagemann J Perinatal Med 2004 Plagemann Physiol Behav 2005
Fetale Fehlprogrammierung Bestätigung der fetalen Fehlprogrammierung zentralnervöser Regelsysteme von Nahrungsaufnahme und Gewichtsregulation durch perinatalen Hyperinsulinismus
Im Tierversuch: Perinataler Hyperinsulinismus führt zur Hypoplasie, Hypotrophie und elektrophysiologisch nachweisbaren Einschränkungendes Nukleus ventromedialis (Sättigungszentrum) Plagemann et al, Neuro Report 1999 Plagemann J Perinatal Med 2004 Plagemann Physiol Behav 2005
Effekte des perinatalen Hyperinsulinismus
Perinataler Hyperinsulinismus
Fetale und/oder frühkindliche Überernährung
Mütterliche gestörte Glukosetoleranz in der Gravidität
Intrauterine Wachstumsretardierung
Permanente Fehlregulationneurendokriner Regelzentren
ÜbergewichtAdipositas
Permanente ÜberstimulationKonsekutive Hyperaktivität
der pankreatischen ß-Zellen
Typ 1 Diabetes
Erhöhte Autoimmunität gegen überstimulierte ß-Zellen
Permanente Hyperinsulinämie
InsulinresistenzGestörte Glukosetoleranz
Typ 2 Diabetes
Fetale ProgrammierungHäufigkeit von gestörter Glukosetoleranz bei 10-16 jährigen Kindern
von Müttern mit Diabetes mellitus in der Gravidität
0
10
20
30
40
50
Kontrollen Kinder diab.Mütter (KDM)
KDM mitnormalem FW-
Insulin
KDM miterhöhtem FW-
Insulin Silverman et al.,Diab. Care 1996
%
Adipositas und metabolisches Syndrom
Risikofaktoren für metabolischesSyndrom und PCO-Syndrom:
- Genetische Disposition- Defekte in der Insulin-Sensitivität- (Androide) Adipositas!
25 % der PCO-Frauen sind übergewichtig 42 % der PCO-Frauen sind adipös
Norman et al. Lancet 2007
Risikofaktoren für die Entwicklung eines PCO-Syndrom
Antenatal Kindheit Adoleszenz Erwachsen
Hohes GeburtsgewichtNiedriges Geburtsgewicht Übergewichtige MutterKonnat. Androgenisierung
Prämature PubarchePrämature AdrenarcheÜbergewicht
ÜbergewichtAcanthosis nigricansMetabolisches Syndrom Übergewicht
Metabolisches SyndromHirsutismusAnovulation
Anovulation
nach Rosenfield, JCEM 2007
Serum-Insulin
mU/L
*
Insulin0
5
10
15
PCO n= 11Kontrolle n= 17
Ätiologie des PCO-SyndromLH-Anstieg
Androgen-erhöhung
Bindungs-protein-abfall
Östrogen-Anstieg
Hirsutismus
Hyperinsulinämie
Endometrium-CA
Follikelatresie
Nach Yen, 1999
PCO-Syndrom: Eine metabole Erkrankung?
PCO-Syndrom:
Chronische Anovulation
Hyperandrogenämie
Infertilität
Hirsutismus
MetabolischesSyndrom:
Androide Adipositas
Insulinresistenz
Diabetes mellitus
Hypertension
Einsichten Für die fetalen Fehlprogrammierung für Stoffwechsel und Körpergewicht spielt die permanente Fehlorganisation neuroendokriner Regelsysteme eine zentrale Rolle
Entscheidend dafür erscheint der fetale wie neonatale Hyperinsulinismus (Hyperleptinismus, Hypercortisolismus)
Perinatal erworbene und nicht genetische Veranlagung führt zur lebenslangen Disposition für Adipositas und Stoffwechselstörungen
Einsichten Weibliche Nachkommen können bei eigener Schwangerschaft einen Gestationsdiabetes manifestieren - intergenerative Transmission erworbener Merkmale
Dieser „Lawineneffekt“ könnte eine ätiopathogenetische Bedeutung für den dramatischen weltweiten Anstieg von Adipositas und Diabetes mellitus haben
Die Häufungen dieser Stoffwechselerkrankungen erklären sich weder allein über genetische Ursachen noch allein über Veränderungen im Lebensstil - perinatale Epigenetik?
Was sind die klinischen Konsequenzen?
Gewichtskontrolle! Ernährungsberatung Körperliche Aktivität Blutzucker-Selbstkontrolle Insulintherapie
Prävention und ihre Ansätze
Primärprävention des perinatalen Hyperinsulinismus
Fetale und/oder frühkindliche Überernährung
Mütterliche gestörte Glukosetoleranz in der Gravidität
Intrauterine Wachstumsretardierung
Permanente Fehlregulationneuroendokriner Regelzentren
(Nahrungsaufnahme, Sättigung, Körpergewicht, Stoffwechsel)
Perinatal erworbene Dispositionfür Adipositas, Diabetes, metabolisches Syndrom
STOP
STOP STOP
Perinataler Hyperinsulinismus
STOP
Präventionsansätze: Mütterlicher Gestationsdiabetes
Gewichts-anstieg
AbnehmendeInsulin-
clearance
Insulin-rezeptor-
defektAnstieg desSerum-Insulins
SHBG-Abfall
IGFBP-1 Abfall
Anstieg derfetalen Insulins
Gewichtskontrolle
Antidiabetika/Insulin
Insulin
Präventions-ansätze
Behandlungsalgorithmusder Hyperglykämie in derGravidität
050
100150200250300350
SK ap sp
Gewichtsreduktion
*
0
50
100
150
200
250
300
350Insulin(pmol/L)
SchlankeFrauen
AdipösePCO-Frauen
SchlankePCO-Frauen
Worm, Gynäkol. Endokrinol. 2007
Prävention einer fetalen Fehlprogrammierung?
stellt eine kausale Prävention der fetalen Fehlprogrammierung dar
durchbricht den pathogenetischen Kreis der fetalen Fehlprogrammierung
Die Behandlung von mütterlicher Adipositasund vor allem Gestationsdiabetes
Fazit: Das Management der mütterlichen Adipositas und Gestationsdiabetes erfordert intensive Diagnostik und Behandlung
Sowohl aus maternaler wie auch fetaler Sicht handelt es sich um eine Risikogravidität mit Erhöhung der maternalen wie neonatalen Morbidität
Die Durchführung eines Glukosebelastungstest - auch bei asymptomatischen Schwangeren ist zu erwägen!
Es muß entschieden und schon früh in der Graviditä interveniert werden!
Fazit:
Die intrauterine Exposition auf diabetische Stoffwechsellage prädisponiert für Adipositas und Stoffwechselstörungen im Kinder-, Jugend- und Erwachsenenalter
Mütter wie (makrosome) Kinder haben ein hohes Risiko für die Entwicklung eines Typ 2 Diabetes und Adipositas
Postpartal müssen sich deshalb Mütter wie Kinder weiteren Stoffwechselkontrollen unterziehen
Prävention fetaler Fehlprogrammierung
Die bange Frage bleibt:
Lassen sich durch diese Präventivmaßnahmen tatsächlich eine fetale Fehlprogrammierungsowie Langzeitkonsequenzen wie Adipositas und Stoffwechsel-störungen effektiv verhindern??
Advocatus diaboli!
Prävention des PCO-Syndroms
Die bange Antwort lautet:
Entscheidend innerhalb des pathophysiologischen Konzeptes der Fehlprogrammierung ist derprimärpräventive Ansatz der Verhinderungeiner Fehlprogrammierung!!
Cunctator sempiterna!
Prävention fetaler Fehlprogrammierung
Eine sichere Antwort ist:Wichtigster Ansatz ist und bleibt dasErkennen und Behandeln von
• Übergewicht vor der Gravidität• Übergewicht in der Gravidität• Gestationsdiabetes• Schwangerschaftsassoziierter Erkrankungen
.... durch Veränderung des Bewußtseins und des Lebensstils!
Huber-Buchholz et al. JCEM 1999
Ulula veritatis!