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1 [Wilhelm von Wolzogen: Pariser Tagebuch 1788/1789 – diplomatische Fassung. Transkription Eva Berié und Christoph Frhr. v. Wolzogen] 1 |[1] d. 13 t Sept. Studtgard Es war den 13 tn Samstags nachmittags 4 Uhr als ich Studtgard verlies - einige wenige Freunde, die ich da ha<tt:>be, zogen noch einmal meinen Blik zurük, als ich vor de<r:>n <Stadt> Thor war; im ganzen aber entfernte ich mich gerne, und mit einer Art von Drang von einer Stadt, wo alles eben doch das Gepräge des Despotismus trägt, wo Sklavische Unterthänigkeit gegen den Fürsten und übermüthiger Bettlers Stolz gegen untergebene ieden gesellschaftl. Cirkel äuserst steif und uninterressant macht. Das Gefühl das edle Gefühl von der Gröse und Würde des Menschen, die Idee von der Gleichheit unter den Menschen, ist hier durch morgenländische Regierung ganz unter drükt worden, auch die besten Menschen sind angestekt, ob sie es gleich fühlen, sich daher zurükziehen, und in Ihrer Familie das suchen, was sie auser ihren Haus vermißen - Freiheit in Reden und handeln. Daher das wenige Gesellschaftliche in Studtgard, deswegens kann ein Fremder lange <in Studtgart> hier seyn, one bekannt zu werden, und Vergnügen zu finden in einer Stadt, die doch nicht von den Kleinsten in Deutschland ist, und wo ehedem der brillanteste Hof ware - Freilich kommt dazu noch der wenige Reichthum, der unter der Noblesse herrscht <-:>; die schlechten Gagen - die ehemaligen kostbaren Ausgaben bey Hofe etc sind die Ursachen davon. Der Herzog war eben rechter Hand von der Chausee in Berg um ein Manoeuvre einzurichten -ich sahe einige Reuter über das Feld kommen, retirirte mich also aus meinen Wagen, weil ich befürchtete, es seye der Herzog - Soweit ist es endlich gediehen, daß man sich fürchtet, auch nur ihn zu begegnen - denn Sicher sucht er sodann <gen> das aus, was entweder in Kleidung oder Ort des Auffenthalts nicht ganz ordonnanzmäsig ist, und eben so sicher rügt er es auf die empfindlichste Art. Ich lies des wegens meinen Wagen fortfahren, und nahme linker Hand einen Umweg - es war iedoch vergebliche Mühe denn es war nur einer seiner adjutanten, indeßen ware mein Kutscher immer zugefahren, und in der grösten Hitze, mit einen sehr starken Catharr war ich genötigt gegen 1½ Stunde zu Fuß nachzugehen, um ihn wieder einzuholen. Dies geschahe denn fast bey den Neuen Wirtshaus - der Pursch selbst hatte durch einige Vorfälle einen solchen Panischen Schreken vor den Herzog bekommen, daß er nur in einer weiten Entfernung sich u. mich sicher glaubte. |[2] Es war ein schöner heller Abend - der heitere Himmel, die schon etwas kühle Luft erfrischten nach der Schwülen Hitze des Tages. Fast gegen 10 Uhr kamen wir in Vaihingen an - es ist dieses ein kleines Landstädtchen an der Ens - ich beziehe mich, wie überhaupt wegen der ganzen Reise bis Carlsruhe auf meine Aufsätze von vorigen Iahr <d:>- immer ist es mir interreßant hierdurch zu passiren, weil ich mir dann <B:>bewußt bin, hier etwas gutes gestiftet zu haben, als das Städtchen fast abbrannte, die Leute kennen mich meistens noch und sind dankbar - In der Krone logiret man 1 Korrigierte Fassung (auf der Basis der Briefwechsels mit Michel Tremousa 1990-92); Christoph v. Wolzogen, Frankfurt, den 24. Oktober 2007. Da diese diplomatische (vollständige) Fassung nur die Basis der gekürzten (gedruckten) Fassung darstellte, wurden die laufenden Korrekturen nur noch in der gekürzten Fassung vorgenommen. In Zweifelsfällen ist daher die gedruckte (gekürzte) Fassung (Wilhelm v. Wolzogen: „Dieses ist der Mittelpunkt der Welt“. Pariser Tagebuch 1788/1789, hg. von Eva Berié und Christoph von Wolzogen, S. Fischer: Frankfurt 1989) stets zu vergleichen (obwohl hier einige Lesefehler stehenblieben, die jetzt hier in der „Urfassung“ korrigiert wurden).
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Wilhelm von Wolzogen: Pariser Tagebuch 1788/1789

Jan 12, 2023

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Kolja Möller
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[Wilhelm von Wolzogen: Pariser Tagebuch 1788/1789 – diplomatische Fassung. Transkription Eva Berié und Christoph Frhr. v. Wolz ogen]1 |[1] d. 13t Sept. Studtgard Es war den 13tn Samstags nachmittags 4 Uhr als ich Studtgard verlies - einige wenige Freunde, die ich da ha<tt:>be, zogen noch einmal meinen Blik zurük, als ich vor de<r:>n <Stadt> Thor war; im ganzen aber entfernte ich mich gerne, und mit einer Art von Drang von einer Stadt, wo alles eben doch das Gepräge des Despotismus trägt, wo Sklavische Unterthänigkeit gegen den Fürsten und übermüthiger Bettlers Stolz gegen untergebene ieden gesellschaftl. Cirkel äuserst steif und uninterressant macht. Das Gefühl das edle Gefühl von der Gröse und Würde des Menschen, die Idee von der Gleichheit unter den Menschen, ist hier durch morgenländische Regierung ganz unter drükt worden, auch die besten Menschen sind angestekt, ob sie es gleich fühlen, sich daher zurükziehen, und in Ihrer Familie das suchen, was sie auser ihren Haus vermißen - Freiheit in Reden und handeln. Daher das wenige Gesellschaftliche in Studtgard, deswegens kann ein Fremder lange <in Studtgart> hier seyn, one bekannt zu werden, und Vergnügen zu finden in einer Stadt, die doch nicht von den Kleinsten in Deutschland ist, und wo ehedem der brillanteste Hof ware - Freilich kommt dazu noch der wenige Reichthum, der unter der Noblesse herrscht <-:>; die schlechten Gagen - die ehemaligen kostbaren Ausgaben bey Hofe etc sind die Ursachen davon. Der Herzog war eben rechter Hand von der Chausee in Berg um ein Manoeuvre einzurichten -ich sahe einige Reuter über das Feld kommen, retirirte mich also aus meinen Wagen, weil ich befürchtete, es seye der Herzog - Soweit ist es endlich gediehen, daß man sich fürchtet, auch nur ihn zu begegnen - denn Sicher sucht er sodann <gen> das aus, was entweder in Kleidung oder Ort des Auffenthalts nicht ganz ordonnanzmäsig ist, und eben so sicher rügt er es auf die empfindlichste Art. Ich lies des wegens meinen Wagen fortfahren, und nahme linker Hand einen Umweg - es war iedoch vergebliche Mühe denn es war nur einer seiner adjutanten, indeßen ware mein Kutscher immer zugefahren, und in der grösten Hitze, mit einen sehr starken Catharr war ich genötigt gegen 1½ Stunde zu Fuß nachzugehen, um ihn wieder einzuholen. Dies geschahe denn fast bey den Neuen Wirtshaus - der Pursch selbst hatte durch einige Vorfälle einen solchen Panischen Schreken vor den Herzog bekommen, daß er nur in einer weiten Entfernung sich u. mich sicher glaubte. |[2] Es war ein schöner heller Abend - der heitere Himmel, die schon etwas kühle Luft erfrischten nach der Schwülen Hitze des Tages. Fast gegen 10 Uhr kamen wir in Vaihingen an - es ist dieses ein kleines Landstädtchen an der Ens - ich beziehe mich, wie überhaupt wegen der ganzen Reise bis Carlsruhe auf meine Aufsätze von vorigen Iahr <d:>- immer ist es mir interreßant hierdurch zu passiren, weil ich mir dann <B:>bewußt bin, hier etwas gutes gestiftet zu haben, als das Städtchen fast abbrannte, die Leute kennen mich meistens noch und sind dankbar - In der Krone logiret man

1 Korrigierte Fassung (auf der Basis der Briefwechsels mit Michel Tremousa 1990-92); Christoph v. Wolzogen, Frankfurt, den 24. Oktober 2007. Da diese diplomatische (vollständige) Fassung nur die Basis der gekürzten (gedruckten) Fassung darstellte, wurden die laufenden Korrekturen nur noch in der gekürzten Fassung vorgenommen. In Zweifelsfällen ist daher die gedruckte (gekürzte) Fassung (Wilhelm v. Wolzogen: „Dieses ist der Mittelpunkt der Welt“. Pariser Tagebuch 1788/1789, hg. von Eva Berié und Christoph von Wolzogen, S. Fischer: Frankfurt 1989) stets zu vergleichen (obwohl hier einige Lesefehler stehenblieben, die jetzt hier in der „Urfassung“ korrigiert wurden).

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gut, reinlich und nicht theuer - ich muste für 2 Pferde - NachtEßen, Thee - Frühstük und Verköstigung meines Pursches nur 2 Fl. 50 bezalen, und alles war gut gekocht und dienstfertig - d. 14t Sept. Pforzheim Die angerechneten 6 Stunden von hier nach Pforzheim sind sehr klein - man fährt sie bequem in 3 oder 2½ Stund[en]. Auch in Pforzheim hat man gute Wirtshäuser - in Adler ist ein ganz ehrbarer u. stattlicher Wirth - es speisten noch einige Kaufleute und der Wirth an den Tisch und wir hatten doch 6 Schüßeln, und durften nicht viel dafür bezalen. In der Post soll man noch beßer seyn, indeßen ist der HE. Postmeist[er] keine Ausname von seinen HE. Collegen und zimlich grob und ungebildet, auch zalt man dort sehr theuer. Eines meiner Pferde hatte ein Eisen verlohren, man konnte nicht dazu kommen, es zu beschlagen, weil es nichts an sich machen lies. Es wurde zu der Schmiede geführt, wo man es bremmßete, d.h. man name eine Zange mit <deren> Anfaßen daran klemmte man die Oberlippe des Pferds zusammen, und bande unten die Zunge zusammen, durch den Schmerz, der iedoch nicht so groß ist, daß er schädlich werden könnte, wird das Pferd verhindert auszuschlagen, und es steht gedultig. Von hier aus nach Rukmarbach - oder Ottenhausen sind die Wege sehr schlecht - es war eben die gröste Hitze - die Müken tobten entsezlich, so daß wir fast hätten unglüklich werden können durch das Pferd, daß äuserst ungedultig über die Müken, sich in einen engen Weg herum drehte, daß fast Chaise u. Leute zu Grunde gegangen wären, auch schlug er so stark auf die Steine mit den Fuß, daß das Eisen mit einen Stük Horn herunter flog. Das übelste ist, daß hier die Wege eng Geleiß haben, wo man immer bey Wegen |[3] mit weiten befürchten muß, etwas zu brechen. Gegen 4 Uhr langten wir doch glükl. in Rukmarbach an. Ich trafe meine Freunde in der Verlegenheit und traurigen Lage an, ein kleines Mädchen von 9 Wochen zu verlieren - es war sehr schlecht und starb denn auch den andren Morgen. d. 15t Sept. Neuenburg Louise war untröstl. ich beredete sie denn doch mit nach Neuenburg zu ihren Eltern zu fahren; wo man eher im Stande ist, sie von dem Gedanken, der sie traurig macht, abzubringen. d. 16t - 17t brachte ich daselbst zu - man könnte vergnügt da seyn in der Gesellschaft der muntern und schönen Fräuleins, wenn nicht der Vatter griesgrämlich und voller Laune wäre - ich befürchte vor meinen Catharr, der sich nicht geben will; die Lage des Schloßes ist sonderbar auf einen Berg - (vid: meine ehemalige Bemerkung) Das innere von Familien der Forstmeister ist sich meist gleich - Ein alter Jäger, ganz eingenommen von seinen Metier, lebt einen Tag wie den andern mit seiner Mamma und seinen Kindern dahin - hält viel auf ein gut Glas Wein, und liebt, wenn man sich diesen schmeken läst - Tisch und Keller und Speisekammer sind wohl versehen durch den Weg der accidentien und erlaubten Bestechung. Meistens halten sie 4 Pferde, das denn ganz gesunde [Knipps?] sind, aber nicht schön - Auser ihrer Kunst ist sich nicht wohl mit Ihnen einzulaßen. Rangsucht, Eitelkeit, Adelstolz, Bürger Hochmuth herrscht in solchen kleinen Städtchen am meisten - Der Oberforstmeister u. der Oberamtmann, ieder liegt besonders auf der Wagschalen, u. ieder sucht den Ausschlag zu geben und den Ton zu bestimmen. Selten ist der Stadtschreiber oder Special oder Doktor concurrent, ist er es aber, so gewinnt er meistens, denn dann ist er gewiß der gescheideste. ich besuchte die Oberamtmännin - ein eiteles Coquettes Weib -

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|[4] den 18t Sept. Um nicht denen Frauen des Oberforstmeisters, der neben seines unhöflichen Humors auch krank war, länger ausgesezt zu seyn, ging ich heute morgens hinweg - meine Pferde waren in Ochsen gestanden, man ist ganz ordentlich und nicht unbillig daselbst - ich zalte 5 Fl. 42 gr. Es sind dies die lezten Freuden, die ich mir in Deutschland versprach - sie waren nicht so wie ich mir vorstellte - und nun noch in Carlsruhe einige Bekannte und dann <gut u.[?]> Adieu Freunde in Deutschland - über die Grenze - Der Weg von Neuenburg nach Weiler ist, wenigstens nicht gut, auch bey troknen Wetter, sodann aber geht es mehre steile Anhöhen abgerechnet gut über LangenSteinbach - Durlach - Vor den Thor wird man gleich erfreut durch die schöne Pappelallee die auf beiden Seiten der ganz geraden und ebenen Chausee bis ans Carlsruher Thor hinläuft - eine Streke von einer Stunde - ein schöneres, längeres Perspectiv sahe ich noch nicht. Die Bäume sind alle sogleich gesezt und unterhalten daß der Blik ganz in die zwey Reihen eingeschloßen ist, und man daher viel weiter sieht als sonst gewönlich. Man fährt herein durch das Carlsruher Thor - das sehr niedlich und leicht ist - sich daher eher für ein Portal zu einen Garten als für ein Stadtthor schikt - Man wendete mir auf diesen Einwurf ein, daß Carlsruhe nur als ein Lustplatz anzusehen seye; die grose ¼ Stunde lange u. breite Strasse beantwortet iedoch diesen Einwurf - Es sollte dieser entsprechender seyn - Ich name mein Logis in den König von Preusen in den äusersten Zirkel. es war ungefehr 3 Uhr als wir ankamen - ich lies mir von Wirth sogleich bestimmen, was die Preise wären - 1 Zimmer des Tags - 48 gr. Das S[?], Haber 32 gr. das Bund Heu 18 gr. MittagsEßen für den Pursch 16 gr. Abends - 16 gr. Ich schikte sogleich zum Hofmaler Bekert - er war nicht zu |[5] Hause - ich ging eine halbe Stunde spazieren in Cirkel in die Gärten vor den Schloß etc. Kehrte sodann nach Hause um, wo mich Senkenberg in die Comoedie zu gehen beredete - Es war ein Stük von Brökelmann einen Acteur von der Schröderischen Bande in Hamburg - er hatte es den Markgrafen dedicirt - Es müßen local Umstände die Piece interressant machen. Ein Titulair Commercien Rath wird wegen seines Titels lächerlich gemacht. Ein Vatter geht nach Amerika - hinterläst 3 Söne, eine Tochter, die er seiner Schwester zur Erziehung übergiebt. Diese, eine närrinn erfüllt ihre Pflicht schlecht - der älteste wird ein Verschwender - Geistlicher - der zweite ein Jurist - ein Pflegma - der dritte ein Soldat ein Empfindler - der Vatter erfärt dies bey seiner Zurükkunft durch die Wirthin - ein ehrlicher Jud der ihm sein Glük zu danken hat, und den Armen 10 Thlr. schenkt, als er ihn wieder sieht bestättigt dieses mit einer artigen Wendung. Vatter Meine Söhne, sie sollen Verschwender seyn Jud - Mai - wer sagt das - keiner als der älteste. Vatter Sie sollen Faullenzer seyn Jud - keiner als der zweiteste Vatter - Sie sollen Hasenfüse - Empfindler seyn Jud Mai - Kaner als der iüngste - Dies ist noch d<ie>er beste Gedanke in Stük - Nun stellt sie der Vatter auf die Probe, ob sie noch Ehre in Leib haben - den ältesten giebt er sogar ein paar Orfeigen, er rührt sich nicht -kurz er treibt alle nur dadurch in Harnisch, daß er über ihren Vatter loszieht - sie schlagen sich alle 3 hinter einander mit ihn herum - er giebt sich beim ersten Ausfall allemal zu erkennen, u. nun ist alles |[6] gut - Ein iunger aus Frankreich gekommener und zum Hasenfuß gewordener Deutscher - ein Commercienrath wird aus den Hause geschaft - die Schwester des Obristl. wird vernünftig - die

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Söne auch, und die Tochter bekommt wie natürl. einen Mann, den HE. Brökelmann den Oberstl. mitbringen läst, und der sich bald mit ihn schlägt, bald ihn Vatter nennt. Kein Charakter ist gut gemahlt - Das ganze Stük one Intrigen - one Auflösung - die Schauspieler spielen schlecht - Declamiren erbärmlich - one Sinn und schreyen ihre Rollen zum Theil so steif her, daß es einen Überdrus erregt - ich sahe keinen, der mit Ausdruk, mit Affect spielt - Es ist die Hofschauspieler Gesellschaft. Auf einen Comoedien Zettel fand ich Mde Müller, Wetzel Das Theater hat keine Logen - alles ist Parterre en Amphiteater -Vorne formirt der Hof einen Zirkel auf Stülen vor den Orchester -Es war sonst ein Orangerie Haus - ist aber iezt decorirt. Die Scene ist schmal u. nicht tief - nur ein Liebhaber Theater und in so fern verdient es alle Nachsicht in Absicht iedes andren als nur der Spieler, die denn doch für eine so feine Stadt wie Carlsruhe, wo man so viel erwartet, beßer seyn könnten. Der erste Platz kostet 24 gr. - das Parterre 36 gr. - wie dies zu verstehen, da alles Parterre ist, weis ich nicht - genug ich sahe für meine 36 gr. so viel elendes Zeug erbärmlich hier agiren, daß mir die Zeit sehr lange dabey wurde. |[7] Ich sahe in der Comoedie den HE. Hofkammerrath Liedel, ein groser starker Mann mit einer schreklichen Nase - der Mann hat one sonderlichen Kopf ein ansehnl. Glük gemacht - von Schwefelhölzgen fing er an zu handlen, u. iezt hat er des Iahrs 40000 fl. revenuen - Freilich gewann er ettl. mal das grose Loos in der Lotterie - dies gehörte dann auch dazu. Senkenberg und ich speisten abends in der Auberge - Ein HE. v. Neuenstein, der ehedem in der Akademie gewesen, iezt Hauptmann in Eichstädtischen ist und hier als Volontair dient und die Jägerey mit lernt speiste mit - ich muste ihn einer meiner Stiefelete geben, um sich welche machen zu laßen. Ein Baumeister aus Eichstädt war auch da - Er ist Hofkammerrath und Baudirektor dorten - Bedetti - ein Mayländer, der aber in seinen 8t Iahr schon aus Italien wegkame - Ein groser diker Mann, seine Kleidung aus Molieres Zeiten - trinkt gerne ein Glas Wein, und ißt gut. den 19t Sept. Den Morgen war er bey mir, und lies sich eine Tasse Caffee belieben - er erzehlte mir viel und weitläuftig - unter andren von denen Rettis, die seine Vetter waren. Es waren ihrer drey - Paul Retti, hatte in Gesellschaft des Frison'is die Ludwigsburger Anlagen unter der Hand. sie sollen viel dabey gewonnen haben ein anderer Retti (Livio) baute das Studtgarder neue Schloß - noch ein anderer <war> Leopold war Mahler - u. auch in Ludwigsburg - Von ihm sind wahrscheinl. die Stüke in Saudheim bey Heilbronn Er sagte mir auch von einen seiner Anverwanden in Turin - Alexander Ferretti - Hofmaler - Dieser Ferretti habe unter andren Bekanntschaften mit den Rußischen Gesanden in Turin gemacht - durch fremde gute Gemälde die er gehabt und vor die seinige aufgegeben habe, habe er zuwege gebracht, daß der Gesande ihn den Vorschlag gemacht, den Rittersaal in Petersburg auszumalen. Ferretti habe sich Bedenkzeit ausgebeten, und unterdeßen nach Venedig an Piazetta geschrieben, ob er nicht eine Skitze zu einen Plafond machen wolle - Da dieser es zugestanden, seye er in Tractaten getreten, sich aber aus bedungen weiter nichts zu mahlen. Das Sujet wurde ihn |[8] vorgeschrieben, u. er schikte es nach Venedig, wo mit er sehr in Verlegenheit kam, als der Gesandte ihn drängte etwas zu sehen, und die Skitze nicht ankam, endlich kam sie dann doch an - Ferretti muste 30 Ducaten dafür zalen - und ging mit den Gesanden nach Rußland - malte in Zwey Iahren den Rittersaal. Bekam 3000<0> Ducaten dafür u. freye Reisekosten, und zoge sich aus diesen Handel mit Ehren, lebte sodann bey seinen Vetter Jean Baptiste Nollé Architect u. Geometer - der Rom aufname, malte auch in einer Rotunde in Rom etwas u. kam sodann nach Turin. Ich setze dieses nur deswegens her, um zu zeigen, wie oft ein

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Mann nur durch Sklavische Nachahmung des Talents eines andren berühmt u. reich werden kan. In Petersburg wißen iezt sie gewiß, daß ihr Plafond von Piazetta ist. Maurizio Bedetti - ist als Architekt betrachtet, nicht unter die Italiener zu rechnen - sein fremder Name imponiert am meisten - seine Plane weniger - Es ist Catolische Arbeit - Kirchenstyl - Seine Plane, die er immer bey sich führt sind ein Trian<z>on, auf das er sich viel zu gute thut, ein Plan zu einen Schloß - u. zu einer Kirche in Nürnberg Er hat vor hier einen Plan gemacht, der die Verschönerung der Stadt zur Absicht hat. Auf die Mitte von Schloß stost eine Cathol. Kapelle, diese soll weggebrochen werden u. die Gaße geöfnet seyn - rechts soll ein Rathaus, links eine Catol. Kirche hinkommen. Dazu übergab nun Bedetti Plane - Kuppeln und Rotunden ist sein Steken Pferd. Er hat indeßen 20 Carolin zum Present bekommen, womit er wohl zufrieden seyn kann. Nach dieser Visite ging ich zum Hofmaler Bekert - wo ich schöne Sachen sahe -Sein Bild von Markgraf in Lebensgröse ist schon und wahr - Attitude - Phisiognomie Kleidung alles trägt dazu bey das Bild ganz gleichend zu machen. Schön ist die Idee den deutschen Fürsten |[9] neben einen grosen u. starken Eichenstamm stehen zu laßen. Freilich sollte er da den Hut auf den Kopf haben und nicht in der Hand - iedoch sollte es auch Portrait seyn, wo dann der Hut vieles versteken würde. Kupferstiche in brauner Manier getuscht - sahe ich die sehr schön waren - es sind Indianische Aussichten, Ruinen u. Gebäude - sie sind von Hadges, der sie den Markgrafen zum Present machte. Man sieht daraus, wie herrlich die Natur auch in Indien ist, wie groß ihr Geschmak in der Baukunst - sie grenzen in den Maßen an die Gothische Baukunst - in den Verzierungen aber sind sie simpeler, einfacher - Beker hat die Manier auch probiert - er gab mir einen Abdruk von der Platte - Einige Copien von Beker nach Raphael - die Schule von Athen - etc. in natürlicher Gröse zeigen, was Beker studiert <h> und wie er es studiert hat - Es ist ein Mann von Kopf, der sich gegen 6 Iahr in Italien aufgehalten hat, und viel gelernt hat, sein natürliches Gefühl für's Grose u. Schöne ist dann sehr fein ausgebildet, und es ist auch ein Mann von Welt - die Stärke seiner Kunst und Betragen haben zuwege gebracht, daß er <sich> dem Fürsten Liebe für die Kunst beygebracht hat, und daß er eine eigene Mahler Akademie für 30000 Fl. hat bauen laßen, worinn Beker logiren wird u. da unentgeltl. auf Kosten des Markgrafen Unterricht in Zeichnen giebt. Er zieht dafür Gage - und hat daneben noch die Erlaubniß 3 Monate in Iahr reisen zu dürfen, wofür er 15 Louisd'or bekommt. Sein Fach ist eigentlich Historien-Malerey, doch sind Landschaften von ihm auch sehr schön und sehr treu der Natur. Er war ein Schüler von Mengs - seine Zeichnung[en] sind wichtig. |[10] Mittags speiste ich an der Table d'O <in> der Auberge - Nach den Eßen ging ich auf das Caffeehaus - es ist verbunden mit einer Lesegesellschaft. Der mittlere Stok ist der eigentl. VersammlungsOrt der Mitglieder, die an der Zahl 114 dermalen sind - Hier wird geraucht - gespielt u. gesprochen auch steht ein Billard da - das Obere Stok dient nur zur Lecture - ich trafe immer nur 2 oder 3 Personen da an, da unten der grösere Theil war - Iedes Mitglied zalt 30 gr. und 5 fl. Einleggeld - Fremde haben Eintritt, wenn sie von iemanden <invitirt werden> aus der Gesellschaft eingeführt werden. Es ist ein helles Haus mit einer guten Treppe - die erste Etage enthält 4 Zimmer - eines davon ist nur zum Lesen bestimmt - die obere Etage hat 3 Zimmer, in denen einen die Bücher stehen - davon aber doch für die Menge der Mitglieder nicht genug da sind, auch scheint die Wahl nicht ganz die beste - Es sind Romane darunter - Emmerich - Carl Ferdiner etc. auch einige die zu sehr in einzelne Wißenschaften einschlagen. Hennig so heist der Besitzer des Hauses - selbst ein feiner Mann, bekommt iärlich für Miethe - Lüster u. Holz 150 Fl. ein Secretair perpetuel führt die Geschäfte.

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Sodann ging ich zu meiner Cousine der Fr. v. Hahn eine geborne v. Ramschwagen - <das:>der Ausguß des Gesichts ihres Manns von Pikle - ist gutgemacht. Es sind ihm Augen eingefaßt - und der Obere Theil von Rok nebst Orden angelegt - seine Perüke hat er auf - es ist sehr täuschend, aber doch unangenehm zu sehen. Auch für die Erinnerung |[11] nicht - die Phantasie wirkt nicht mehr, sie bringt nicht mehr iene kleine Umstände mit, die das Bild des Mannes beleben - iene Umstände aus seinen häuslichen Leben - die iene Erinnerung das angenehme, das Interresante geben. Ein Neveu von ihr (Ramschwagen) ist noch bey ihr - ein guter Junge - aber noch Schulknabe. Auf der Post trafe ich einen Brief an mich an von Kirchenrath Hirsch an - über die Geschichte mit Rorcamp - er machte mir Hofnung. Einen andren Vetter und Bruder des würdigen verstorbenen President Hahns besuchte ich auch - der Mann arbeitet beständig an geistlichen Sachen - Sonst hat nichts Reitz für ihn in dieser Welt - er ist für die Gesellschaft verlohren. Um 4 Uhr fuhr ich mit Bekern spazieren - nach Mühlberg ein Bruder des Fürsten wohnt da - von hier aus auf den Rükweg nach G[?]sau ¼ Stunde von Carlsruhe - ein Schloß, das zu öconomischen Einrichtungen angewendet wird - Ich ging noch einmal in die Lesegesellschaft und redete mit Hofrath Bekmann (einen grosen, schönen Mann, ungefehr wie unser Kupferstecher Müller - er spricht gerne und viel und scheint munter und umgänglich) über Cagliostro; er sagte mir, daß er wirklich in Italien seye; er ist sein Vertheidiger und tadelt sehr die Frau von Rek; er spricht etwas dictarisch - Bekmann giebt Unterricht in der Physik und ihren Experimenten. |[12] den 20t Sept. Bedetti war wieder bey mir - es ist ein ganz eigener pli<<.>> den Künstler bey <solch> geistl. Künsten annehmen - eine gewiße Behaglichkeit und Ruhe und Wolleben, die sich schon an der Corpulenz zeigt. Er mißfiel mir gleich den ersten Abend durch das Urtheil, daß die hiesige Bühne ihn beßer gefiele, als die Mannheimer - ich ging noch einmal zu Bekern und mit ihm auf das Billard - wir gingen sodann unter den Arcaden spazieren und traten in das Spiegel Magazin von Schaefer ein - es ist nichts besondres darinnen - der Mann giebt sich auch mit Silhouetten ab. Ich speiste mit Bekern in Darmstädter Hof - eine artige Gesellschaft ist da - Hofrath Herzog ein Mann von Kenntniß, munter u. angenehm in Gesellschaft - Hofrath v. Harrach ein stiller Mann. Musik Director Tanner - stark auf den Violon - ein iunger schöner Mann - ein Pfälzer - er war vorher in Zweibrükischen Diensten - dies sagte man mir sehe sie noch an den Ohrenring an, die <ieder> an diesen Hof zu tragen Mode war. Nach den Eßen zum Bauinspector Müller ein guter, fleisiger Mann. Er hat weiter keine grose Erfindungskraft und Geschmak, soll aber ein brauchbarer praktischer Mann seyn. Ich fuhr mit Bekern nach Durlach zu Piklen - ein geschikter Graveur - er hat sehr schöne Kupfer - die schönsten sind unter Glas aufgemacht; und zieren drey Zimmer, er paussiert auch gut und treffend in Wachs - |[13] ich trafe da unvermuthet den Medailleur Bekerling von Studtgard an - des Abends besuchte mich noch Bekert, wir tranken Thee zusammen. den 21t Ich wollte heute früh abreisen - es verzögerte sich denn doch noch und ich blieb über Mittag, das denn auch heilsam war, denn gegen Mittag zog ein starkes Wetter zwar schnell aber mit vielen Regen begleitet über die Gegend hinweg. Des Morgens besuchte ich noch den Cabinetsschreiner Kressel - er arbeitet fleisig und geschmakvoll und nicht theuer - in seinen Magazin stehen artige Schreibtische, Commods etc. ich bestellte für Hptm. Fischer ein Tischgen, deren auch welche fertig waren für 10 fl. - Kressel ging mit mir, um meine Chatoulle abzuzeichnen. Der Steinschneider Meyer hat eine starke Mineraliensammlung, mit der er einen grosen Handel treibt - er hat daneben allerhand pretiosen, Ringe, Tabatieren von geschliffenen Steinen etc. zu

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verkaufen. Er schleift sehr helle und rein, und seine politur ist vortrefflich - die Rheinkießel zu Urschlüssel, Knöpfen etc. schleift er sehr rein und helle, sie sehen ganz weis und helle aus. Ein groser Urschlüssel gefast u. vergoldet kostet 6 Livre Neben daran arbeitet ein englischer Jude Alexander, der in Glasschleifen sehr geschikt ist, er hat auf Kosten des Markgrafen eine Ni[?]e [lange?] angefangen; er verspricht Flintglaß so rein und weis, wie das englische. diese 3 Künstler logiren in Herrschaftsgebäude hinter den Schloß in Garten. |[14] Ich bekam noch einige Besuche von einem HE. v. Stein Iagd[?] und meinen kleinen Vetter, den ich ein Zettelchen an Senkenberg mitgab. Nachmittags hielte ich mich den ganz<e> in der Lesegesellschaft auf - ich trafe da eine Topographische Beschreibung von Venedig an - ferner Briefe über Italien, wahrscheinl. von Iagemann. Prof. Meiners aus Göttingen ist auf seiner Rükreise auch hier - es ist ein Mann mittlerer Gröse, nicht stark - seine Augen liegen tief u. zeigen den Denker, u. Beobachter. Ich spielte Billard mit einen gewißen Hptm. Rosenfels ein kurzer, diker Mann, der ein bischen unverschämt scheint - er giebt sich viel mit Magnetisiren ab. Hptm. Syndimi ein Mann, der immer seinen Gang gerade fortzugehen scheint. ich sprache mit den Schauspieler Leo - es ist die neml. Troupe, die ich vor 2 Iahren in Strasbourg deutsch spielen sahe. Sie gefiel mir damals schon nicht. Er sagte mir von einen Stük - die Iesuiten, daß in Berlin sollte herauskommen seyn. |[15] Die Form von Carlsruh ist bekannt - en eventaille - das Schloß ist der Mittelpunkt, vor diesen liegen Boscages und kleinere Gärtchens in der Vertiefung, wo meist orangerie steht. Das Schloß stellt ein Corps de Logis, daß auf den Eken geradwinklichte Vorsprünge hat. An diese Vorsprünge stoßt auf ieder Seite ein Flügel unter einen Stumpfen Winkel, dies verursacht dann, daß die Form des Schloßes nur von einen Punkt richtig gesehen werden kann. Es <umfast> schlägt aber auch auf diese Art beßer den Cirkel, von dem er Theil zu machen scheint. An den Seiten und weiter zurük sind dann der Länge nach rechter Hand gegen das Schloß - Stallung, Reitbahn, u. Remisen - linker Hand - Buchen, u. Orangerie. Hinter den Schloß steht ein Thurm, der mit diesen verbunden ist, in einen dazu angelegten Rondel sieht man dann mit einen Blik die ganze Anlage der Stadt - und man ist in Mittelpunkt von alle denen Zirkel und radiis, die als alleen in die Wälder gehauen sind. Um das Schloß herum der erste Zirkel von Häuser laufen unter Arcaden hin, wo man trokenen Fußes wandeln kann, sie sind theils von Holz, theils von Stein. (Vid. was schon darüber geschrieben) die ganze Anlage ist sehr Symetrisch, aber zu einfach, um zu gefallen - Abwechslung fehlt denn doch, und ein gewißes Bestreben, sich in einen verwikelten Plan hineinzudenken, von dem man denn, wenn man ihn entwikelt hat, selbst Schöpfer zu glauben scheint, fällt hier weg. Carlsruhe ist nicht Stadt und ist nicht Land - die Regelmäsigkeit ennuyirt bey längeren Auffenthalt, da zumal kein schönes Gebäude in den Straßen |[16] die Aufmerksamkeit an sich zieht. der Nahrungszustand der Einwohner soll mißlich seyn, und sehr den Zufall unterworfen. Sie leben nur von Hof und Militair, und da bey dem nicht viel Reiche sind, und doch Aufwand gemacht werden muß, so ist es natürlich, daß Schulden über Schulden gehäuft werden, und der Bürger ruinirt wird. Es sind wirkl. einige beträchtl. Schuldner hier. HE. v. Mersesheim, Hofmarschall von 20000 - etc. Officires die Schulden machen gehen fort, wie seit kurzen einigemal der Fall ist. Das Maitressen halten ist hier sehr Mode, dies ruinirt denn die meisten iungen Leute. Das Militair ist nicht beträchtl. In Carlsruh liegen 2 <Bataillon> Compagn. Garde - 1 Bat. Grenadier - 1 Bat. Musquetier ettl. Husaren - 1 Compagnie Artillerie - das Landbataillon liegt in Durlach - der Markgr. hat dies den Erbprinzen geschenkt ein anderes LandBat. liegt in Rastadt - es hat blau u. gelb Oberst F[?]berg ein natürl. Sohn des Markgrafen hat die erste Hand in Militair - die Officeres gehen nicht proper - vielmehr etwas schmutzig einher, und dies weil nicht darauf gesehen wird,

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vielmehr der Oberst selbst so geht; Es sind meist iunge Officire. <die> Einige haben sonst nirgends ankommen können. Ein kleines Mädchen wurde gefragt, wer ihr Schatz wäre "der HE. Leut. Bodmer - Warum - weil er noch keinen Barth hat - er kann auch erst 19 Iahr alt seyn. die Frauenzimmer von etwas mehr, als ganz gemeiner Herkunft gehen in langen, bunten oder schwarzen Salopes doch habe ich kein schönes Mädchen darinnen gesehen - nur alte Matronen, und ausgesuchte Brüste - Schon die Bürgerstochter geht in neuster Französischer Tracht - Weis - mit den Stökchen in der Hand umher. |[17] Es soll hier in ganzen sehr viel Lumperey seyn. Kein Geld, kein Creditt, daher es auch sehr theuer ist - Iuden trift man hier genug an, sie haben die ersten Handels zu versehen, denn die Kaufleute sollen entsezl. theuer seyn - Ich habe mir nun einmal in Kopf gesezt, daß wo viele Iuden, auch viele Lumpen sind. |[18] d. 22t Sept. Früh 8 Uhr fuhr ich fort, meine Zeche ware zimlich billig - ich zalte nicht mehr als 15 fl. 55 gr. u. 12 [?] Trinkgeld - Die Bedienung war ordentl. Viel Eßen, aber nicht geschmakhaft gekocht. Man rechnet zwar 6 Stund nach Rastatt, ich fuhr es aber in 3, ob ich gleich meine Pferde schonte, und schwer aufgepakt hatte. Rastatt ist ein sehr artiges Städtchen - Die Straßen sind breit, reinlich, die Häuser Massiv, zum Theil gut verblendet. Schade, daß es so öde und leer ist, so verlaßen wie Ludwigsburg - ich wohnte viel lieber hier, als in Carlsruhe - dort giebt kein Berg der Gegend Mannigfaltigkeit - hier ist rechter Hand die Kette von Lottringer Gebürg - linker Hand die schöne Bergstraße von Saverne nach Darmstadt - ein Fluß Murg gewärt der Stadt viele Bequemlichkeit, die Carlsruh nicht hat und lebhaftrer, frische Spaziergänge, in der grosen Hauptstraße stehen einige Brunnen, davon einer ein Monument für einen der Badischen Fürsten, freilich ist es ein Steinklumpen - oben darauf die Statue des Herrns, es ist aber doch ein Bestreben etwas machen zu wollen - in der Mitte steht eine Kirche ganz frey - und dann das schöne Schloß, das so so sehr verdient gesehen zu werden. Unter denen Schlössern in Deutschland, die ich noch gesehen, verdient es für allen den Vorzug - Es steht auf den Höchsten Platz der Stadt eine zwar kurze, aber breite Strasse führt gerade darauf zu - Vorne herum geht eine Ballustrade auf der Erhöhung des Bodens - die an die Zwey hervorstehende Flügel anstost - unter dieser sind Kellergeschose - in der Mitte <sa> der Ballustrade fährt man an einer Auffarth in<s> Schloßhof - rechts und links sind die Wachtstuben, <als> unter der Erde in den |[19] Kellergeschoß - die Camine der zwey Wachtstuben gehen links u. rechts in den Schloßhof u. formiren da Pyramiden. Der Schloßhof ist 4ekicht - das Corps de Logis hat zwey Etagen und eine hohe Attique, durch eine Ballustrade bekränzt - die Mitte deßelben <und> springt hervor um etwas etwas weniges und formirt oben eine Kuppel in Form einer Welschen Haube, wie man es zu nennen pflegt - in der Mitte deßelben ist ein noch ein kleines Thürmchen, auf den die vergoldete Statue Jupiters steht - diese Façade lauft gerade fort, ununterbrochen, mit gut proportionirten Fenstern, ein herrliches Ganzes - die Etagen sind durch vollständige Gesimser unterschieden, die zu der Decoration der Pfeiler, die die Façade hat gehören - die Cornichen sind mit Modillons versehen, das sehr gut liegt, u. den Fehler, denn zu weit vorspringende Cornichen machen, vergütet - Die Decoration ist ganz in Italienischen Geschmak, das Portal aber gewiß erst neu, wenigstens glaub ich nicht, daß der Architect, der das Schloß baute, den Fehler zu begehen in Stande war, das Gesimse, das auf denen freystehenden Säulen fortläuft, in der Mitte bis an die Corniche zu durchbrechen, um die grosen gewölbte Haupthüre ganz sehen zu laßen, auf beeden Seiten stosen Flügel an, die bis an die vordere Ballustrade vorgehen. An iede <kleine> Pavillons, unten laufen Arcaden bis an die Pavillons fort -

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diese Flügel scheinen in nicht genugsamer Verbindung mit den Hauptgebäude zu stehen. - Alles ist roth Ziegelfarb angestrichen, welches nicht übel aussieht, wenigstens zeichnen sich |[20] die blauen gut proportionirten Fenster sehr gut aus - Auf beeden Seiten der Flügel breitet sich das Schloß auch weit aus, und hat mehrere kleine Höfe - Schade, daß es nicht ganz ausgebaut, besonders hinten hinaus, gegen den Garten - Schade, daß die Decoration von ausen, Gesimser, Cornichen, Modillons etc. nicht Massiv sind, also den Wetter sehr unterworfen - die innere Einrichtung sahe ich dasmals nicht, soweit erinnere ich mich, daß es nicht modern decorirt ist. In einen kleinen Cabinet wurde der Rastatter Friede geschloßen - in einer kleinen unansehnl. Pläzgen, wurde das Glük und Unglük so vieler Menschen entschieden. Ich ging sogl. zum HE. v. Perglass - ich hatte ihn in der Akademie gekannt, damals war er ein Taugenichts, iezt ist es ein sehr gebildeter artiger Mensch - er war in Zweybrükischen Diensten, quitirte da u. kam unter Darmstadt, wo er der Liebling des Prinzen der das Regiment Commandirt ist; Sein Vatter war Gouverneur der Grafschaft Sponheim die Baden zugehörig - seine Mutter eine geborne Gräfin von Heimhausen, eine Böhmische Familie - ich muste bey ihm zu Mittag speisen. Nach den Eßen fuhren wir in die Favorite, eine Stunde von Rastadt. |[21] Der Cardinal von Schönborn u. die Fürstin <des> Auguste Sybille Gemahlin des grosen Louis Prinzen von Baden, den Türken so gefärlich, legten sie nach eigener Angabe an. Er ist eine Art Pavillon freystehend mit einer Altane - zwey grose u. lange Gebäude, rechts u. links - es sind nur Arcaden in denen man spazieren geht, oben und unten sind Sallons - dieser Arkaden Gang ist lang - er kan gegen 200 Schritte seyn - so ist es <auch> rechts u. links - in der Mitte davon steht dann die eigentl. Favorite - <In> die Mitte faßt einen Sal, der durch 3 Etagen durchgebrochen, unproportionirt hoch, gegen seine Gröse ist. rechts und links sind dann Cabineter und Zimmer. In einen derselben - das Florentinische ist ein groser Schatz mosaicscher Arbeit, die von Florenz bey Gelegenheit einer Verwandtschaft hieherkommen sind. Mosaik wird sehr geschäzt, mir gefällt sie dann doch nicht sowohl - mit aller nämlichen Vollkommenheit gearbeitet, bleibt sie dann doch hinter Malerey; und nun komt der Gedanke hinzu, des ängstlichen, des mühsamen in dieser Arbeit. Schöner gefiel mir in diesem Cabinet die Miniatur Malereyen - Köpfe von alten Philosophen - Weibern, Krieger etc. sind in der Gröse eines Ovals ungefehr wie ein Gänsey - zum theil wenigstens sehr artig gemalt. Das Stük soll in der Theilung von 28 Carolin <gescho> angenommen worden seyn. Sie sind in <Zinn> Spiegeln eingefast, zum theil aber so hoch gehängt, daß das Auge nichts erkennen kann. Geben Sie acht, wenn sie in das Zimmerchen treten rechter Hand in der untersten Reihe der Köpfchen auf zwey Jugendl. Köpfen, die vortrefflich sind, besonders das einen zu nächst an der Thür in blauer Kleidung. Der Fußboden hier ist von Gypsmarmor, und allerhand Spiele<g:>reyen eingelegt - Briefe, Marken etc. So sind mehrere Böden, die iedoch alle gut und dauerhaft gemacht zu seyn scheinen. |[22] Einige <Die> Bettvorhänge und einige Tapeten sind gröstentheils aus dem Zelte des Groswezires das Louis einigemal eroberte. Sie sind schwer von grüner Seide mit Silber und Gold gestikt. In der Küche, wo die Fürstin selber gekocht hat, stehen noch alle mögliche Schüßeln und Tellern und Ofen und Küchengeschirr - Gläser etc. Unter andren sind aber auch schöne und kostbare Sachen in Schränken da aufbehalten, wo freilich der Ort dazu nicht ist. Nichts gefiel mir indeßen beßer als Gläser, die so rein wie der Tag selber waren, und so leicht, daß man hätte glauben soll, ein Hauch führte sie hinweg. Iezt macht man schwerlich welche mehr von der Art. Es sind hier noch einige Miniatur Gemäldchen u. Portraite mit Rubinen etc. geziret, auch Modelirt - eine passabele Gruppe Kinder in Alabaster - es will aber nicht viel für die Kunst sagen. Die Favorite ist decorirt mit Steinchen von der Gröse einer kleinen und grosen Nuß,

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mit diesen, eingelegt u. angedrükt in naßen Speiß sind [?] und Pfeiler etc. mit angezeigt. Man sagte die Markgräfin seye selbst beständig bey den Bau gewesen u. der Kinder Verdienst sey gewesen diese Steinchen in Hüte zu sammlen u. ihr zu bringen. Die Schreiner Arbeit in den Favorite - Thüren, Böden, ist besonders gut und dauerhaft, die Thüren sind ungefehr schon 60 Jahre alt, u. es ist Feucht, das Waßer soll an ihnen herunter laufen; und dennnoch sind sie unwandelbar geblieben. Man geniest hier u. da eine schöne Aussicht; gegen die Bergstrasse zu. An hintere Façade der Favorite ist eine grose Freystege angebracht - mit zwey arme, die sich krumm [ausziehen?] u. auf einer <Faç> Altane endigen. Mehrere Häusergens für Hofcavaliers liegen noch in der Anlage - hie und da vertheilt. Die Einsiedeley muß man sehen, wegen ihrer Sonderbarkeit - es ist ein 8ek in der Mitte mit einer Laterne, mit gelben Glas die Fenster - unter diesen ist die eigentl. Capelle von Eichenwände - tritt man hienein so scheint es, als wenn Licht darinnen brannte, um diese Capelle in den Hof sind nun kleine Cabinete - eines zum Eßen |[23] in dem an den Tisch wo die Fürstin gegeßen hat, 3 Personen ungefehr 4' hoch noch sitzen - Ies[us] Ios[eph] u. Maria - die Tellerchen vor sich haben, in dieser Gesellschaft hat sie oft gegeßen u. denen Personen vorgelegt - arme Leute haben es als dann geholt - ein anderes Cabinet zum Schlafzimmer, die<s> Matte hängt noch da, auf der sie schliefe, u. Buße that. Oft war sie ganze 14 Tage allein in dieser Einsiedeley, kochte sich selbsten etc. Gegen 6 Uhr fuhren wir wieder zurük - ich muste noch Abends dort eßen, wir spielten L'hombre - es wurde aber sehr schlecht gespielt 10 Marken um 1 gr. - den 23t Sept. Früh morgens um 3/4 4 Uhr fuhren wir fort - ich hatte in der Sonne logirt und wurde ganz billig behandelt. es ist hier ein schönes Gesicht von einer Wirthin - das verdient gesehen zu werden. Auch hätte ich noch gewünscht die englische Fabrik von Schlaf zu sehen, wo die Stahlfedern etc. gemacht wurden. es war aber zu spät. Von hier bis Stollhafen sind die Wege wegen den vielen Sand schlecht, wenn es gerechnet hat - ich empfande dies. HE. v. Perglass begleitete mich zu Pferd - er kennt in Küffenau einen Rath Schiebler - bey dem wollte er mit mir zu Mittag speisen. Bey Stollhafen sezte ich mich aufs Pferd, ritte voran, u. meldete als Courir meinen Herrn u. HE. v. P[erglass] sagte aber zum Voraus daß m[ein] H[err] noch nicht von Lande gekommen seye, und etwas ungeschliffen seye. Komisch war es alsdenn anzusehen, wie mein dummer grob und Plump aussehender Kerl ausstieg und der Rath Complimente mit ihn schnitte. Gut asen wir indeßen da - es ist ein lediger Mann, der sehr reich ist, aber auch ein Wollüstling in hochsten Grad seyn soll. Ein Mathematicus - HE. v. Risé aus Frankfurth speiste auch hier. er ist schon ältlich - lebt hier, will aber nicht für einen Cavalier passiren. Wir waren in 3 Stunden nach Lichtenau gefahren - es gehört zur Grafschaft Hanau. Ulm ein Dorf liegt hart an der Stadt an. Zwey grose 4ekichte abgedekte Thürme stehen noch als Ruinen da - sonst sind Störche da - ich trafe sie aber dasmals nicht da - sie hatten sich schon wegbegeben. |[24] Von hier fuhren wir gegen 4 Uhr fort - wir hatten [wenig] Zeit, denn um 7 Uhr precis oft noch eher wird das Thor geschloßen, und dann kann man nicht mehr hinein<f:>kommen - <V:>In Lichtenau verlor ich meinen Verschlag - vornen herunter - ich sezte ihn, nachdem man ihn aufgehoben, in die Chaise und dieses war eine gute Vorsicht, weil sonst die Visitation hätte strenge seyn können. Hinter Lichtenau - einen Büchsenschuß von ersten Ort - MammrichsHof - konnte der Hund nicht mehr laufen, u. wollte auch nicht aufstehen - ich muste ihn von der Kette ablaßen und liegen laßen - befürchtete iedoch er möchte wieder werden, und gab ihn daher zwey Kugelen in Kopf - er hat viel gelitten der arme Teufel, iezt ist es ihm wohl. Wir kamen immer näher und näher -

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In Bischofsheim lies Perglass sein Pferd stehen. Der Kerl muste sich auf den Bok setzen u. fahren. Es wurde spät wir befürchteten nicht mehr eingelaßen zu werden, fuhren also scharf zu. Es war ein schöner Weg - links die so sehr schöne abwegslende Kette von Gebirgen - die dunkler und immer dunkler wurde. Ueber uns der Himmel, der kleine Wölckchen hatte, die durch die Abendsonne so schön vergoldet wurden an ihren Rändern, dies vereint mit den Gedanken. Adieu liebes Mutterland - Deutschland - bald verlaß ich dich, erwekte sonderbare Gefühle in mir. Rechts sahen wir Fort Louis - das iedoch weiter zurük liegt u. nun auch den Münster, seine Spitze - seinen zweiten Thurm<,:>. iezt kamen wir an Kehl - Deutschlands Sitte ist hier schon zimlich umgeschaffen in französische Dändeley - <Es ist sehr> Man verläst Deutschland sehr schmutzig. Den Kehl ist es. Die Beaumarchaische Drukerey die hier ist, u. mehrere andere Speculationen bringen das Städchen sehr auf. |[25] Nun kamen wir an die RheinBrüke - u. das lezte Fest Deutschlands gegen Frankreich - ein Gitterthor vor der Brüke - der Rhein lag göttlich schon in groser breiter Fläche rechts und links -die schöne<r> grose<r> Partie von Pappel linker Hand lies nur hie u. da etwas von der Waßerfläche sehen, die durch die untergehende Sonne vergoldet war - ein herrlicher Anblik. Die Brüke ist von holz, <mit> schlecht u. unbequem zu fahren - man darf nichts als Schritt fahren, und man braucht beinahe 1/4 Stunde ehe man darüber kommt. Am Ende ist wieder ein Gitterthor - u. die französische Wacht - Wir kamen ungefracht hindurch. An der Douane - Halt - 12 Sous Brüken u. Pferde Geld - est-ce que vous n'avez rien contre les ordres - der Kerl besahe unsere Chaise - ich reichte ihn die Schlüßel - Pergl[ass] ein 24 Sous St[ück] - passez -u. wir waren frey - Nun ging es durch die Citadelle - Wo das Regiment La Fere liegt. Es war schon ziml. dunkel. wir kamen über verschiedene Brüken - die Soldaten kehrten aus der Stadt zurük - Nach vielen Hin u. her fahren kamen wir in blauen Hecht. auf den Parade Platz. - Ich pakte aus - ein Kerl nam meinen schweren Kuffer ganz leicht auf die Achsel u. trug ihn allein durch eine übele Schnekenstege in mein Zimmer - Ich ging sodann mit Perglass aus. ins Hotel de Darmstadt - der Prinz war nicht zu Hause - sodann <auf> Broglio - die Comoedie ging eben aus - und die iunge französische Officiergens tanzten da unter den Bäumen in Schuh u. Strümpfen herum, daß es eine Lust war. Der Herzog von Zweybrüken mit der Frau von Erbec war heute Mittag angekommen - ging aber heute nacht wieder fort - auch ist die Hoheit u. Prinz Friederich hier. und der älteste in Rußischen Diensten sonst gestandene Prinz. den 24t Sept. Auf den Parade Platz ist es schon sehr lebhaft - des Morgens sehr früh hört man schon das Rasseln der Wägen - die Soldaten stehen auch hier u. da auf den Platz hin, auf dem sie sonst seyn müßen mit über einander geschlagenen Armen. |[26] Perglass ritte fort nach Buxweiler zum Prinzen v. Darmstadt -ich lehnte ihn Geld u. meine Pistolen u. Reitgurt. Ich sahe mich nach den Hause des Grafen v. Waldane um - fande es auch endl. - ein alter Kutscher hatte schon lange auf mich gewartet - man war froh mich endlich zu sehen. und bote mir gleich das Logis an, das ich anname. Ich ging sodann hin, um meinen Wechsel zu ziehen - bey Herrn Bernhard Spengler Meister - so nennt man hier die Blechner - in der Flatergaße beim Münster - er sase in Hemdsaermel in seiner Werkstadt ich zweifelte schon, wo der Mann das Geld hernemen würde - Er ging mit mir in seine Stube - zog einen ledernen Beutel heraus, und zehlte mir one Anstand meine 65 lt. Louisdor hin - nach erkundigte ich mich in goldenen Apfel nach einer Retour Chaise nach Paris - ganz trotzig sagte mir dann der Schreiber - sie zalen von hier nach Paris 4 Louisd'or weniger 16 Sous und haben 10 # frey - u. kommen in 5 Tagen nach Paris - nun ging ich gleich darneben ins Kaufmannshaus u. deßen

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Bureau - die Leute waren schon höflicher das # [Pfund] auf der Diligence bis Paris kostet 6 Sous - mit den Roulier nur 2 Sous u. kommt in 15 Tagen hinein. In St. Dizier wird man visitirt, und giebt man seine Kuffer den Roulier mit, so muß man den Schlüssel in den FrachtBrief thun - Man soll aber nicht das geringste risquiren wegen Derange der Effecten - ich machte indeßen eine Accord mit einen Kutscher Namens Banmeyer Kutscher bey Wassermann der oben auf der Route nach Paris begriffen ist. - er logirt bey der Kirche St. Louis - ich accordirte mit ihm - Meine Bagage mitzunemen die ungefehr 2½ Cent. ausmacht - mich zu verköstigen u. zu ernären unterwegens auch zu logiren - mich in 8 Tagen hinzuführen - Fünf Louisd'or - u. einen grosen Thaler Trinkgeld - ich sezte es schriftl. auf, lies ihn unterschreiben, und gab ihn zwey Carolin darauf. Mittags speiste ich mit Leut. v. Röder von Waldenbuch in ihrer Kas. - in der Kaserne von Regiment Elsace - bey de<n:>r Finkmatt - Es asen damals 10=12 Officier da - sie sprachen viel von Dienst und von der Veränderung ihres Semestres, der iezt von 15 Oct. an bis den 15 May dauert<.:>, auch wurde viel |[27] von den neuen Ordonances geredet, die das ganze bisherige Exercitium und die Art zu manoeuvriren verändert. Sie müßen deswegens iezt, und wie sagen onedem das ganze Iahr hindurch, sehr viel Exerciren - man speist so zimlich da - der Officier der einen Freunden hat, läst ein paar Bouteillen - meist Burgunder oder arenthaler - kommen und regalirt den ganzen Tisch mit. Das Regiment hat sehr schöne Leute - 2/3 Deutsche - sie bekommen des Tags 7 Sous davon für 1½ Sous Brod - dieses CommisBrod verkaufen sie, besondere Leute kaufen es auf - und fahren es über den Rhein hinüber - man versicherte mich des Tages gingen über 500 Leib hinüber - 15-20 Soldaten legen alle 5 Tagen ieder 13 Sous zusammen, und dafür verköstigen sie sich des Mittags mit Suppe - Rindfleisch u. Gemüs - wohlfeiler kann man denn nicht wohl leben. Die Caserne ist ein langes - sehr langes, aber schmales Gebäude, das in seinen inneren weiter zwar keine besondere Bequemlichkeiten - nicht einmal einen Hof hat - es können bis 1500 Mann darinnen liegen. Unten sind Ställe, die zum Theil auch zu Zimmer eingerichtet sind - in andern stehen Pferde für die Officiere, die sich welche halten wollen, das denn doch eine grose comoditaet ist. Geht man an die Zimmer der Soldaten parterre vorbey, so sieht man einige sogar striken - filet machen - putzen - anstreichen - lesen -einen grosen Theil aber Lection geben oder nehmen in Fechten - u. hauen. Es ist auch unter den Franzosen fast kein gemeiner Soldat, der nicht etwas kann, u. viele sind so stark, daß sie in unsern Deutschland überal für Fechtmeisters passiren könnten - ich fochte in so einen geleerten Stall mit <Ronde> Bauz - u. Rieth - ich besuchte iezt auch <Hof> HE. Sahler, Consulent und Meinunger geheimer Regierungsrath, einen ältlichen Hagestolz, der iedoch sehr gefällig ware, und mit mir zu einen Architecten - D'<i:>yxnard ginge, der sein nächster Nachbar - dieses ist ein kleines Männchen - Wir trafen es an in seinen Schlafrok und einer Nachthaube mit einen Band gebunden |[28] In seinen Zimmer hingen ausgeführte schöne Architektonische Zeichnungen von Gebäuden, die er ausgeführt - er ist der Baumeister der Abtey St. Blasie auf den Schwarzwald - er hat sogar in Würtembergischen gebaut zur Zeit Servantonis - er zeigte mir sein Portefeuille - von Gebäuden, der er zum Theil neu ausgeführt, zum Theil neu eingerichtet hat - überal herrscht Geschmak u. doch Simplicitaet. Seine Zeichnung sind die schönste, die ich noch gesehen. Ein Vernisseur hier Noël hat ihn einen Firniß über die Zeichnungen gemacht, die aufgehängt sind - wodurch sie sehr conservirt werden. etwas gelblicht sieht es iedoch aus. Er ist übrigens ganz Franzose, spricht viel von sich, viel von denen grosen Coup in der Architektur, die die Meister nicht wohl lernen. Schande für die edle Kunst, daß sich Handwerksvortheile einschleigen, denn sonst sind diese Coups u. Traits nichts anders. Er zeigte mir seine silberne u. goldene praesente u. wurde, da ich ihn lobte, ganz freundlich.

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Einen sonderbaren Putz tragen hier die Frauenzimmer - ihre Haare sind weit aus den Gesicht hinten auf den Kopf zusammengefaßt in Zöpfen auf denen eine Haube von Gold-Tressen, sehr weich ruhet - Eine solche Haube kostet 3-4 Louisdor u. davon hat fast iede Frau - die was sagen will - 3=4 - überdies kommt noch zum Anzug eine goldene Kette, die auch so ein 15-20 Carolin kosten mach, und denn die vielen Spitzen und Verbrämungen, die eine solche Frau zu ihren Stadt nötig hat; den Sontag werde ich mich ans Münster <ge> stellen, um den Putz mehr zu betrachten. Das Holz ist in Strasbourg rar, sie haben deswegens zu ihren Küchen, sehr artige Einrichtungen - so sahe ich z. E. in blauen Hecht - eine - es ist eine eiserne Platte ungefehr 4'lang u. 2½ breit auf 3 breit oben sind Löcher zu Cassrole darinnen - die Platte ist an der Wand befestigt - von wo aus sie horizontal läuft - um der Blatte herum sind Thürchen, die man wie man will, hinschieben kann - diese Thürchen fast unten die Feuer Platte, auf die das Feuer ange |[29] macht wird - das ganze ist also als ein 4 ekichter eiserner Kasten anzusehen - in den Kasten geht der Brantenwender hindurch - das nemliche Feuer erwärmt oben die Cassrole u. unter der Feuerplatte sind noch Oefnungen, wo man Sachen hineinschieben kan, die mehr oder minder Hitze haben sollen. Hinten an der Wand gehen zwey Röhren aus den Kästen, die gegen eine Maschine gerichtet sind, u. die also durch die Wärme getrieben, den Bratenwender in Bewegung sezt. Einer schreklichen Figur <sahe ich> begegnete ich heute auf der Brüke bey St. Louis - ein Weibsbild von ungefehr 17 Iahr, die aber schon Züge von 40 Iahren in ihren blassen Gesicht hatte; Ein schrekliches Bild der ruinirten Menschheit - Ihr langsamer, unsichrer Tritt - die verlaßenen Augen - den halb ofnen, nach Luft gleichsam schnappenden Mund - die unmächtige Verzweifelung in ihrer ganzen Physiognomie - die Armuth, die einst in beßren Kleidern geprangt hatte, wovon nun nach die schreklichen zerrissenen Ueberreste an den entnervten Körper hingen - es war ein schreklicher Anblik - ich wende mich hievon hinweg, u. warne ieden Menschen für die Wege, die dahin führen. Ich bin einige mal des Abends ausgegangen - ich habe aber doch nicht sonderlich viel öffentl. WeibsPersonen angetroffen - vielleicht leidet es die Policey nicht, u. das Verderben wohnt desto mehr in den Häusern. Ein<en> Avis sahe ich von einem Bureau - wo man Briefe schreiben laßen kann; Erkundigung von allen einzieht - Berichte macht, sogar ortographische Schreibfehler corrigirt. |[30] den 25t Sept. Hofrath Saler kam zu mir, ich trank mit ihm vis à vis am seinen Haus in der langen Strasse bey einen Chocolatier Chocolade - der Becher kostet nur 8 Sous u. ist ganz excellent - man trinket selten Milchchocolade - Ich ging sodann zum HE. v. Wurmser - Fr. v. Oberkirch traf sie aber nicht an - Sodann zu Frau von Lepol - ihre Töchter waren nur zu Hause. Mittags speiste ich bey Künsperg in der alten Post, wo auch eine Parthie Officier von Alsace eßen = aber etwas beßer u. reinlicher -Hier redete man viel von der Iagd und von Fechten. Nachmittags traf ich den Baron v. Wurmser an - Er ist Stettmeister u. Canzler von der Universitaet - ein schöner, artiger und höflicher Mann - er ist verheirathet seine Tochter, ein kleines noch iunges nicht schönes Mädchen. Sie sasen noch am Tisch - der voll Bouteillen u. Liqueurs u. kleinen Gläserchens ware - es waren einige Freunde da - Fr. v. Oberkirch - sie ist die Schwester von Waldner, soll sehr viel Verstand haben, ist nicht sonderlich schön, und scheint Pretension auf Verstand zu machen - Sie hat eine schönere Tochter - der Mann ist ein kleines - dürres Männchen, schon bey Iahren mit ein paar Orten behangen - er sagte mir, daß er fortmüste, er habe noch einen Brief zu schreiben; ich dachte ihm nach - daß es ihm wohl ein saurer Nachmittag werden würde, wenn es ware - und empfal mich

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auch der Fr. v. Oberkirch - die mich zwar Höflichkeits halber zum Eßen bat - es kam mir aber so als eine Barmherzigkeit vor, ich schlug es also ab. |[31] den 26t Sept. Ich schrieb heute früh an Waldnern - und schikte ihm die Pferde nebst der Rechnung - ich foderte 5 Carolin für die Reise u. bate ihn das Geld an Minister von Rieger addressiren zu laßen. Die Pferde gingen des Morgens um 10 Uhr - Mein Irmelshäuser Wagner, der keine Arbeit bekommen hatte, entschloß sich nun auch fortzumarschiren. ich schenkte ihm noch 1 grosen Thaler u. mit Tränen in den Augen nam er Abschied - Ich ging auf die Parade - heute war keine, wegen den Wochenmarkt, wo die Strassen zu voll wären, nur Complaisance des Militairs gegen die Bürger, die man sonst nirgends kennt. D<er:>ie Parade <Platz> ist an de<r:>n grösten freyen Platz der Stadt - Schade daß er nicht mit schönen Häusern ausgebaut und nur auf der einen Seite durch die Chambre des Logemens Hauptwacht u. Sitz der Marechausée geziert ist. Es ziehen täglich gegen 300 Mann auf - die Artillerie zieht nicht mit auf, sondern geht unmittelbar von ihren Quartier auf den Posten. Cavallerie zieht auch nicht mehr zu Pferde auf - die verschiedene Regimenter kommen um ½12 Uhr mit ihrer Regimentsmusik aus den verschiedenen Strassen, ie nachdem ihre Casernen sind hergezogen - die Musik ist mit verschiedenen Instrumenten, die abwechslend mit der Trommel spielen. Sie suchen eine Ehre darinnen vor andren Regimentern die schönste Stüke zu haben. Darmstadt hat meist den Vorzug - die Leute marschiren in leichten Schritt gut in der Ordnung - nicht so steif wie die Deutschen, sondern mit vielmehr Leichtigkeit auf - |[32] Mittags speiste ich wieder bey HE. v. Rieth, deßen Schwester in Nordheim bey HE. v. Stein einmal war - ging sodann auf das Caffeehaus auf den Braglie - Le Caffé militaire - ou de la Comédie franç. Man zalt 4 Louis für eine Tasse, dafür stellt man einen aber auch Zuker u. Caffee hin - in die deutschen Caffeehäuser hingegen giebt man die Tasse eingeschenkt - wofür man nur 2 Sols zalt - Milch bringt man mir mit dazu - aber sehr viel Zuker - nach den Caffee wird ein Korb hingestellt, in dem ungefehr 6=8 Flaschen verschiedener Liqueurs sind - hier schenkt man sich ein, so viel man will, und bestimmt alsdann, was man gedrunken hat - in Deutschland traute man einen dies nicht zu - die Fr. Caffee sind alle parterre - mit Marmornen Tisch der Länge nach - Es ist meist nur 1 Zimmer, das dann sehr oft ganz voll ist - Es ist zu viel Einförmigkeit da - man kan nicht hin und hergehen - die Officiers dürfen nichts andres spielen als Schach, Damen, Tricktrak - daher findet man nicht so viel Vergnügen und nicht so viel Abwechslung in diesen Häusern als sonsten - Ich ging den Sallon de Lecture <d'Armes> auf den Place d'armes - es ist dieses ein groses <Saal> Zimmer - in der Mitte ein langer Tisch, auf den Zeitung Journals etc. lagen - ich fand - Journal de Nismes - Gazette des Tribunaux - Courier lyrique - Strasburger Politische Zeitung - Bulletin deutsch - Gazette de Cologne - etc. Ich trafe auch einige Bücher an, die mir in Paris anschaffen werde. 1.) Almanach du Voyageur à Paris - contenant une description etc. par M. Thiery - Année 1784 - Chez Hardouin - Rue auxerrois vis à vis des Prètres de St. Germain - 3 Livre 6 S. Etat actuel de Paris ou le Provincial à Paris - IV petite volume - Paris est divisé en 4 quartiers - Mann abonnirt sich in die Gesellschaft des Iars für 24 Liv. des Monats für 3 Liv. 14 Tag für 2 Liv. des Tags für 8 S. Ein anders Lesecabinet ist noch darneben - das 2 S. des Tags kommt. es ist aber nicht viel daran. |[33] le 27t Sept. Ich ging um 9 Uhr aus - und besuchte den iungen Teppern Wilhelm, der nebst seinen Bruder hier in Strasburg in Pension ist - Wir tranken mit einander Chocolade, mit Vanille

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kostet er 8 Sous - Ich hatte gehört, daß ein Würtemb. Kammerherr mit einer Frau und zwey Töchter hier seye, der in ein Contoir gehen wollte - ich fragte ihn aus - aber umsonst. Von da ging ich zu Saler, der mit mir zum Maior v. Rosenberg ging - das ein kränklicher aber guter Mann zu seyn scheint - ich hatte einen Brief von seinen Vatter in Heilbronn. Von da zum Geheimrath Schell - einen collegen von Saler - ein bejahrter Mann von ungefehr 58 Jahren - tiefen Augen und grosen Augenbraunen - er hat wie Saler viel mit Stammbäume und Wappen zu thun, wie ich aus denen auf die Arbeits Tisch liegenden Geschäften urtheilen konnte. Er versprach mir Nachmittags 4 Uhr mich auf der Bibliotek abzuholen, und mit mir in die Magnetische Gesellschaft zu gehen. Von da auf den Parade Platz - mit Wiesenhütten Fl. adjutanten ging ich sodann in Raben daselbst zu speisen [.] Lieut. Rieger speiste auch da - Wir machten Bekanntschaft mit ihm, ieder Mensch hat doch immer eine Seite, wenn die berührt wird, dann schliest er sich an u. spricht - Mit den Rieger hatte ich mir nichts sprechen können. Das Chapitre von schönen Mädchens u. Frauens ofnete ihn den Mund - er invitirte mich beim Weggehen auf morgen zum MittagsEßen - Man speist gut da - es ist immer Gesellschaft zu finden - und man zalt nur 40 Sous - Nach den Eßen ging ich auf die Bibliotek - durch die Hallen eines alten Gebäudes, das iedoch zur neuen Kirche, die noch älter ist gehört - komt man in einen Saal, in dem die Bücher in der Mitte aufgestellt sind - Es sind Brustgeländer darum - Auf der einen Seite wird |[34] die Bibliotek erleuchtet durch Fenster, die in einen durch die Etage durchgebrochenen Saal gehen - der das [<Orat>]orium der Universitaet ist - und die Gröse und Form einer mittelmäsigen Kirche hat - sogar ist eine grose Orgel darinn. D<ie:>en iungen Leuten werden da praemia ausgetheilt - Die Bibliotek ist deswegens aber finster und unansehnlich, und gar nicht der Mühe werth zu sehen, wenn nicht das Schöpflinische Legat sie ansehnlich mächte -dieses besteht in ein gut eingebundenen u. schön conservirten ansehnl. Büchersammlung Antiquitaeten und besonders die Geographisch Statistisch-Historische Beschreibung von Elsase betreffende Sammlung, verbunden mit einen Cabinet von Egyptischen, Hetruskischen, Griechischen, Römischen, Gallischen, Merowingischen u. Gothischen Alterthümern deren zwar wenige, aber ächt - und gute darunter sind, besonders wohl gefiel mir eine ½ Schuh hohe Statue von Bronze einen Mann in einer <auf ein> halb sitzenden Stellung - Silbermanns Topographie ist daselbst mit den Kupfern um 10 Livres zu haben. Etwas entfernt von der Bibliotek ist ein Zimmer, worinn aufbewahrt wird, der. alte Plan von Strasbourg von Speklin - einige Festungen von ihm - ein Modell von Tempel Salomonis, das aber nicht viel heist - die ehmalige Fahne der freyen Reichsstadt - Maria mit den Kind - Vergoldung und Farben sind noch sehr frisch - Die Aushängung der Tafeln der Meistersänger, auf denen sie meist in schwarzer Tracht u. verschiedenen Stellung u. action sitzend abgebildet sind - |[35] eines der schönsten Stüke allhier, und was mir mit in Strasburg am besten gefallen hat, ist das Modell von den Vauxhall, das sehr gut gearbeitet ist - und als <Kunst> Triumph der Baukunst und des guten Geschmaks anzusehen ist - ich wünschte sehr einen Plan zur näheren Durchsicht davon zu haben - Die Universität hat es 1787 von Baron von Autigny ehmaliger Praetor bekommen - es wurde eingerichtet, um auf den contades gesezt zu werden - die Ausführung aber würde gewiß 1½ Millionen kosten. Ieden Liebhaber von schönen Gebäuden will ich versucht haben, dieses Stük zu sehen,und wer Gelegenheit hat,examinirt es so genau als möglich - Von hier aus holte mich Geh.Rath Schell ab, um zum Magnetisme zu gehen - bey den Parade Platz geht man in ein Gäschen und komt sodann an ein Haus - wo man <P> durch ein Thor - in ein Zimmer Parterre tritt, das ungefehr 15 Schritt breit u. 20 lang ist -In der Mitte fällt sogleich ein Runder Tisch auf ungefehr 6'in Diameter - wie ein großer Zuber mit 3 eisernen Reifen umgeben -

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auf denselben - stehen u. liegen eine ganze Menge eiserner gebogener Stäbe - in der Mitte geht ein ungefehr 2' Schuh hoher u. spitz sich endigender rund Stab heraus; um diesen Runden Tisch stehen ordinaire Strohstühle - auf denen trafe ich 7 Leute sizend an - die ein<e> Seil, das aus den Tisch hervorging um den Leib hatten, u. an einer der eisernen Stangen die sie an den Leib gestüzt hatten, gegen sich strichen. |[36] In dieser Kufe sollen Glasstüke und Sand seyn - Das in der Mitte herausgehende Eisenstäbchen soll zum Laden seyn, wirklich sahe ich auch einen Magnetiseur hinzutreten, das Stämmchen streichen u. so das Magnetische Fluidum hineinladen - es ist die Idee wie eine Verstärkungsflasche bey der Electricitaet - die eisernen krummen Stämmchen sind ungefehr gestaltet wie Wein Heber - 1 Ende wird in die Ofnung gestekt - deren in der Peripherie der Tisch Platte so viele sind, als Leute daran sitzen können, das ungefehr 12-15 seyn können, das andere Ende wird an den leidenden Theil gehalten u. so mit der Hand die Magnetische Kraft durch das Eisen hindurch hingestrichen. Es gingen Personen ab u. zu - einige hatten ein gesundes Aussehen, andere sahen kränklich aus - u. sezten sich an den Tisch, legten das Seil das an ihren Platz aus der Oefnung herausging um sich herum, richteten das Eisen auf sich, u. fingen an zu streichen - Dorten sase einer, der magnetisirte ein Kind - das Kind schien ungedultig - und war froh, wie es loskame - ein Bürger, der wahrscheinl. auch initi[i]rt ist, kam herein mit einen kleinen Kind - sezte es an den Tisch - nach einen Weilchen nam er es fort und magnetisirte es - noch ein anderer Bürger machte das neml. mit einer schon etwas älte[ren] Frau, die an den Tisch geseßen hatte, als ich hereinkommen war. Ein kleines Cabinet ist neben den Zimmer - Ein Mann magnetisirte den andren - ein andrer ein |[37] Frauenzimmer - Schell wollte mich hinzuführen - <von> HE. v. Landsberg, der <abe> eben des Manns, der vor ihm magnetisirt wurde, Füße hin u. her strich, sagte uns - n'entrez pas - Monsieur - cette fille est quelque fois très difficile - wir gingen zurük, ich sezte mich in ein Ek - Ein Holländischer Doctor, der auch initiiert worden, sas nicht weit von mir - Ein iunger Mensch, Secretaire der Gesellschaft, magnetisirte ein artiges Frauenzimmer das bisher bei den Doctor gesesen hatte. Der Doktor mochte wohl nicht recht trauen - er schaute immer hin - es war nicht weit von mir -ich gabe genau auf alles Acht - in Anfang sase der Mensch neben ihr, gegen ihn gekehrt - er fing von Kopf an mit den Händen zu streichen gegen die Contour des Gesichts - leicht über die Brüste hinweg <gege> bey den Hände die auf den Knie lagen hinaus - so mehr und oft - einigemal legte er die Hand auf die Kopf - mit der andern hielte er in der Mitte den Stirn u. hauchte, wie es schien auf die Stirne - so dauerte es <6 Mi> ungefehr 6 Minuten. Das Frauenzimmer war ruhig - endlich fing der Mensch an seine Hände gegen beede Hüften zu legen - das Frauenzimmer fing an zu sprechen u. zu lächeln - die Augen zu - "Sie ist Somnambule", sagte mein Begleider - sie senkte den Kopf bald auf diese, bald auf iene Seite mit Grazie und Anmuth - und lächelte immer dabey - der Magnetiseur fragte sie einiges - sie schien darauf zu antworten, oft auch nur mit einen Kopfschütteln, oft beugte sie sich gegen ihn, um ihn etwas zu sagen - mir schien es, als wenn die Augen nicht ganz zu wären - bald mehr oder weniger - der Magnetiseur begehrte wärend |[38] der Operation einmal ein Glas waßer - der Pursch, der es brachte machte einen Umweg, um nicht der magnetisirten Person zu nahe zu kommen - er wusch sich die Hände - die Person redete ziml. viel u. sahe etwas roth <aus> u. echauffirt aus - es geschahe aber so leise, daß, ob ich gleich nur 3 Schritte davon sase, nichts hören konnte - Der Magnetiseur sahe immer ernsthaft aus - einmal lachelte er, als sie ihn etwas sagte - Er legte ihr mehrmals die Hände in die Hüfte u. sie öfnete die Augen u. erwachte, u. <be:>redete mit den Secretair mit der nemlichen lächelnden Physiognomie unverändert gegen den Zustand des Somnambulisme und bat ihn aus ihrer action zu schliesen, wahrscheinl. um Verzeihung über das, was sie wieder ihren Willen gesagt hatte, u.

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ersuchte ihn wahrscheinl. nichts davon zu sagen - ich habe vergeßen zu sagen, daß sich der Magnetiseur wärend der Operation gerade vor ihr hingesezt hatte -ihre Füße an einander geschloßen zwischen den seinigen - doch berührten sie sie nicht - der Secretair nam nun wie es schien, den Magnetischen DunstKreis von ihr weg - u. die Operation hatte ein Ende - Das Mädchen sase bescheiden noch immer auf ihrem Platz. Eine Frau von gemeiner Tracht kam herein u. brachte eine Bouteille - der Keller nam sie - füllte sie mit Waßer u. übergab sie einen der Initiirten - dieser machte den Stöpsel auf, stekte den Daumen in die Oefnung - drehte sie um, hielte sie einige Minuten in der Stellung - stekte sodann den |[39] Stöpsel wieder darauf - rieb sie mit der Hand viel und oft, blies auch hinein - u. stellte sie in das Fenster. Unter denen Personen, die um das Baguette herum sasen u. hin u. hergingen um sich magnetisiren zu laßen waren 2/3tel mehr Frauenzimmer als Chapeau - Es sezten sich mehrere um den Tisch - einer ergriff mit den Daumen u. den Zeigefinger des Nachbars Daumen, und so herum, sie nennen es die Kette - Sonderbar ist es, Leute ganz still u. sprachlos um den Tisch herum sitzen zu sehen, sonderbar ist es das Magnetisiren selber zu sehen - wie die Magnetiseur mit den Händen manoeuv[r]iren - an den Kopf aus den Fingern gegen den zu Magnetisirenden die magnetische Materie gleichsam auszusprützen u. dann über Gesicht, Brust u. Hände herunter zu fahren, u. dann in grosen umschweif u. Zirkel mit den Händen wieder an den Kopf zu kommen. Mein Holländischer Doktor <schien> mit seiner weisgepuderten Knoten perüke schien nicht recht an das Ding zu glauben - der Gedanke von Saler gefiel mir - Seine Katze lekte die iungen, besonders über die Augen wenn sie schlafen sollten. |[40] d. 28t Sept. Ich ging heute morgens 9 Uhr aus <au Caff> ins Münster; es war eben Meße - Das innere der Kirche frappirte nicht so, als man vermuthet - Es ist ein groses Schiff, mit zwey niedrigern Navaten - nur der 3t Theil gegen den Hochaltar zu ist mit Sühlen besezt - daher ist der Platz, wenn man hinein kommt sehr groß und frey - Das innere der Kirchen, das iedoch so groß gothisch ist, daß es sowohl dadurch als durch das Feyerlich schöne gedämpfte Licht der gemalten Scheiben und der schönen Rose alle das schauerlich angenehme der Gothischen Bauart - die meines Erachtens so schiklich für Kirchen ist, hätte hervorbringen können, ist verdorben durch das grelle Licht des neuerrichteten Chors - das auf französische Manier, weis angestrichen u. mit Sestinen und Füllungen u. Guirlanden verziert ist - Diese Sünde wieder die Kunst ist unverzeihlig, desto unverzeihliger, da sie das erste gothische Gebäude der Welt betrifft. Ich stelle mich unter die Menge betenden und knienden Volkes <u.> es waren hier u. da schöne Figuren unter den knienden Personen. Hier war wie in Himmelreich alles untereinander - sehr viele Landleute - Soldaten - Commis - advocaten - alte Matronen - kein schönes Mädchen sahe ich nicht -wie ich überhaupt die ganz schönen u. geistigen Phisiognomien in Strasburg vermiße, einige Carricaturen aus Molieres Comoedien sahe ich - alte Französische Tracht vermischt mit teutscher Weitschweifigkeit - ein Degen muste natürlich allezeit dabey seyn -die Musik war nichts außerordentl. Die Orgel hängt links von einen Pfeiler; die Kanzel - ich bewundere die Gedult u. den Fleis des ehrlichen Manns, der sie gemacht hat - sie ist zu klein für die Kirche - sonst aber paßender als 1000 von schöneren, gröseren Styl. Das beständige Ab und Zugehen der Catholischen Christen ist in dieser Kirche besonders interressant - oft sieht man <<e>>in den langen Schiff eine Figur ganz allein her<b:>aufschleigen, die nur noch ausgeht um Meße in Münster zu hören - in eine grose schwarze Kapputze eingehüllt - dann wieder |[41] einen iungen Stutzer mit hochgebäumten Haaren auf den Zehen herein spaziren -dann einen gut gewachsenen auseinandergearbeiteten Soldaten - dann eine Knoten perüke mit podagraischen Füßen - an einen der grosen, maiestätischen Sammlung schmaler

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Pfeiler gelent genieß[t] man Ruhe, um alles dies zu beobachten. Die Physiognomien sind gröstentheils noch deutsche die Tracht reichsstadtisch - gröstentheils Contourche <hint> kurz; hinten mit 3 bis 4 gerade hin u. herlaufenden Falten - Wenn alle diese Scenen, diese attituden diese Gruppen heiliges Dunkel umschattete - wie viel interressanter würde es seyn. Von hier ging ich in die neue Kirche protestantisch - es war eben communion - der bekannte Plessig steht als Prediger daran. Die Kirche ist nicht schön - aber ziml. groß - an den Pfeilern des grosen Schiffes hängen Gemälde - die Prediger hatten grose weise steife Krägen - von hier auf den Parade Platz au Caffé Ture - schlechte <S>chocolade für 6 Sous - Iezt kamen die Regimenter an - Darmstadt zuerst auf den linken Flügel - Elsac auf den rechten - Royal <auf den> die Mitte - der Marsch <von> u. die Stüke von Elsase u. Royal waren sehr schön - ein groser - bildschöner Soldat Royal hatte die Nase in einer Affaire heruntergehauen - es sahe schreklich aus - c'est l'honneur, qui a fait ça - Ein kleines Commando Artillerie zog auch auf <Alsace> Darmstadt hat blau u. ziegelfarb - Rieger steht darunter - <D> Alsace - blau roth - ich kenne darunter - Chev. de Reinach - Röder - Uxkull - Rieth - v. Riedesel, v. Kaiserling, einen gar schönen Officier <Monjoi> Graf Monjoi, beede Künspergs - Royal - weis u. dunkelblau - Lafère in der Citadelle weis u. schiefer<blau> -Artillerie ganz blau u. roth - Cav. Royal - blau u. roth - Artois, d. blau u. hellblau. Ein Commando von 4 Pferden u. 1 Unterofficier <br> u. mehre Schildwachen zu Fuß besetzen den Platz, und laßen niemanden hinein, der nicht Bekannte von Officiren hat - Es wird wenig oder gar nicht Exercirt - u. zu Fuß commandirt. |[42] Ich ging mit Rieger in die Meße von St. Louis - die vor den Reg. Darmstadt gehalten wird. Das Regiment macht daher auch die Musik - die Kirche ist nicht zwekmäsig ausgezirt - ganz wie ein Speisesaal - rothe Umhänge an denen erhohten Fenstern - An der weisen Deke sind Sterne einzeln hingemalt - man hält es für Gerüstlocher - sonst ist die Kirche helle - das Militair tritt in das Chor - 6 Man hielten Wacht um den Altar - sie praesentirten beym Hochwürdige[n] u. fielen auf die Knie - wie beim Chargiren das erste Glied - es sahe dieses gut aus - das Zeichen wurde mit <einer> alles übertonenden Trommeln gegeben - man sollte diese doch wenigstens dämpfen, die Musik war artig = aber zu munter für Kirchenmusik - <nach> zum Finale spielten sie sogar einen schönen englischen. Nach diesen in Raben - Mrs Deutsch auf der Post ist ein Polisson geblieben ein alter Podagristischer Stallmeister Herrmann war da - Ich ging nun in Spiegel - ein Caffeehaus rue d'Serrurais - 2 Billard stehen da - Es ist aber schlecht da - nichts als Iuden - die Tasse kostet 2 Sous - Von da in den Caffee des Geistes - Man ist hier beßer u. gefälliger - doch <sind> ist auch keine gute Gesellschaft da - Bürger u. Soldaten spielten à la guerre - die Parthie bey Tag kostet 1 S. bey Nacht 3 S. Caffé à l'anglois - sie hielten mich für einen Engl. u. sezten mir ihn hin, heist - eine Kännchen mit ungefehr 3 Tassen, sehr stark u. Zuker dazu - eine Pfeife Tabac dazu kostet 9 S. In die ThomasKirche, sie war offen, der Gottesdienst wollte eben anfangen, Soldaten besonders u. auch andere Leute gingen hinein, und stellten sich vor das appcis, mit dem das Grabmahl eingeschloßen ist. Es wird von der linken zur rechten <<zur rechten>> erleuchtet - Mir gefällt es nicht - die Piramide ist zu groß u. zu hoch für allies - stünde sie einzeln, so könnte sie Wirkung hervorbringen - der Tod ist offenbar eine degoutante Idee, doch ist von Pigalle bekannt, daß er mehr auf Treue, als auf schöne Nachahmung der Natur sahe - er machte ia Voltairens Statur ganz nackt u. mit allen <Ausdruk> gedrukten Merkmalen u. Hinfälligkeiten des Alters - die Draperie ist indeßen durchgängig schön - Hercules weint - ich mag keinen weinenden Hercules - so wenig als einen stummen Sänger Hercules braucht seine bey sich habenden Leute, um den Tod zu überwinden - warum wälte man nicht lieber ein anderes Bild der Tapferkeit, warum nicht lieber einen Löwen,

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aber der müste rechts in der grosen Gruppe der Allegorischen Bilder die Zäne abscheulig fletschen - warum aber ein Bild der Tapferkeit. Wäre er es nicht gewesen, so würde Frankreich den Tod nicht zurükhalten, so würde er nicht mit der Mine ins Grab steigen, die ihn der Künstler gegeben hat und in die er schon geschikt alles das zu legen gewust hat -, was die Allegorischen Bilder nicht so gut sagen. ||[1] Fortsetzung von 28t Sept. Frankreich ist indeßen eine schöne Figur - so wie auch der Tritt des Marechals leicht und natürlich ist - Frankreichs linker Arm kommt mir ein bisgen zu steif vor - die Gruppe von Thieren rechter Hand soll, wie überhaupt das ganze meisterhaft gearbeitet seyn - mir gefällt sie nicht - der Löwe grinzt mich zu groß an - Es ist dieses Monument immer sehenswerth - und ein Triumph der Bildhauer Kunst, wenn auch nicht des guten Geschmaks - Viel schöner ist das Monument, das ein Französischer Grenadier ihn errichte[te] - Unter den Monument steht der Sarg des Mareschalls von Stein - innwendig Zinn in einer Gruft, zu der man rechter Hand hinuntersteigt - der Grenadier stieg hinunter, zog seinen Säbel und wezte ihn auf den Sarg - Ah mon General (er hatte unter ihn gedient - Tränen standen ihn in Augen) votre Courage, votre intrepidité, et votre hummanité. Das Grabmal von Sphoepflin in dieser Kirche ist eine Urne auf einen Postament - hinter der Urne sein Portrait in Bronze von Bertois - die Urne ist zu schwer für den Fuß - die Kirche ist nichts sonderliche[s] - Von da ging ich an Münster vorbey - auf den Platz versammelt sich immer eine grose Menge Menschen, Soldaten - Höker - Bauern etc. ich kam an einer Kirche vorbey - ich glaube es ist die der petit Racolet - sie ist gegen das Chor ganz ausgemalt - Ein iunger, schöner Franziscaner stand auf der Canzel und predigte von der Versönung - ich befürchte ieden Augenblik, daß er die Canzel herunterstürzen würde, so niedrig waren die Umfaßungen der Canzel - Wenn man zum Iudenthor hinausgeht, praesentirt sich der Pallast des Commandanten der Provinz - was bey uns der Oberamtmann ist - gut - iezt wohnt ein M. de Galaiziere darinn, deßen Vatter mit Kästchen Brabander Spitzen in Frankreich ankam, und der iezt 400000 Liv. Revenuen geniest, die er sich als Commandant in Lottringen durch den Aufkauf des Getreides bey der theuren Zeit gemacht hat. Er war genötigt sich in Lottringen für der Wuth des über ihn ergrimmten Pöbels über die Dächer hinweg zu retten. Vor den Thor ist alles voller Landhäuser. Hier ziehen die vermöglichern Innwohner des Sommers hin; auch kan man welche miethen für 5-6 Louisdor. Etwas links ist dann der Contade. |[2] Dieses ist nichts anders als ein ungefehr ¼ Stunde in Umkreis faßender Platz mit verschiedenen Reihen Bäumen in verschiedenen Richtungen besezt - Hier geht nun die schöne u. garstige Welt auf und nieder und läst sich sehen und sieht - Von Officier wimmelt es - iedes Mädchen wird besehen - und wenn sie schön ist wird ihr nachgegangen - Einen avanturier trafe ich unter andern an, mit den Marcus Orden - er giebt sich für einen [?] Admiral aus - er trug ein abgeschabtes blaues Rökchen u. weise Weste u. Beinkleider - ein ziml. Confiscirtes Hütchen - ein rothes Bande über den Leib unter den Rok - der Stern war links darauf gestikt - er ist schon hier seit den Dec. u. lebt von einen Kaffeehaus zum andern und in die banachbarten Bäder - die iungen Herrens fahren um den Contade herum auf die Ruprechtsau in einspänngen Cabriolets - die Ruprechtsau liegt mehr Rechts der Citadelle zu - sie soll gröser u. angenehmer seyn - Hier auf den Contade hätte sollen der Vauxhall aufgeführt werden. Es sind hier einige öffentl. Häuser in denen die Crapules tanzt - Ich ging in die Franz. Comedie. Man spielte 1) ein mittelmäsiges Stük -

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2) La Melomanie - die Music ist von *** das Stük ist unterhaltender - die Rolle von Crispin ist gut gemacht - artig die Arie, wie er verchiedene Instrumenten nachhmacht. Die erste Sängerin *** spielt eine sehr stolze, Person steif u. unbewegl. u. grimaçirt auf den Theater - sie singt vielleicht künstl. aber mir gefällt ihre Stimme nicht - sie ist nicht rein genug - u. zu geitzend. 3.) Zulezt wurde Baron Trenk aufgeführt - Er liegt in seinen Kerker - declamirt fürchterlich u. schreit so laut und schlägt u. raßelt in Declamiren so laut mit seinen Ketten, daß man für den Armen acteur fürchtet. Ein Soldat tritt herein - eine schrekliche Grenadier Mütze u. ein äuserst steifer Marsch, ein fürchterlicher Schnurbarth soll den Preusen carackterisiren |[3] Der Soldat bringt ihn zwey Frauenzimmer, seine Schwester und seine Geliebte, eine Freiheit, die sich der Dichter wegen den Geist der Nation nemen muste, die überal Frauenzimmer und Liebhaber will - Trenk macht den Liebhaber in Ketten - der erste Ackt enthält die Scene, wie Trenk den General, der ihn visitirte, den Weg entdekt, wie er sich frey machen kann. Auf die Frage, wer seine Mitschuldigen sind, antwortet Trenk - Le Scélérat a des complices - l'innocent n'a que des amis - so declamirt unser Trenk in Sentenzen fort, bis der Prinz ins Gefängniß tritt u. ihn abholt - der Vorhang fällt - beym 2t Aufzug - erscheint in Hintergrund ein Dais zum Sitzen - rechts u. links marschiren Soldaten auf mit Tambours - die Trommeln sollten wenigstens gedämpft seyn, sie schnarren gar zu stark - Trenk u. der Prinz kommen endl. nebst mehreren Offizieren u. Damens - Trenk wird vorgestellt - er bekommt Degen, Huth - Scherpe - er umarmt die Officier und retirirt sich mit der Gesellschaft in Hintergrund - Tänzer u. Danzerinnen erscheinen zu einen Divertissemens. Sie tanzen, so viel ich heute gesehen nicht so gut, als Traub oder Jobst in Studtgard, besonders machen sie zu viel Bewegung mit den Händen u. tragen ihren Körper in geschwinden Evolutionen nicht sonderlich - An der Geschwindigkeit ihrer Füße u. dem tacktmäsigen Tanzen ist indeßen nichts auszusetzen. Die erste Tänzerin hatte noch einen beßren bond du fras - Das Parterre ist beim Applaudiren sehr ungezogen - es klatscht sehr lange u. schreit oft so laut bravo, daß die Musik aufhören muß - Wachen stehen vertheilt in Comoedien Haus, das Schlecht ist - 3 Reihen Logen über einander - die sich vis à vis von der Szene in einen halben Cirkel schliesen - auf den Parterre kostet es 15 Sols - auf den Parquet 3 Liv. u. man sieht es in ersteren eben so gut, mit gesunden Füßen als in Parquet. Die Damens waren entweder frisirt mit vielen Bukeln, oder hatten sie kleine Aufsätze mit grosen u. breiten Federn oder Hüthe auf. |[4] den 29t Sept. Ich ging nocheinmal heute früh zu den guten Chocolatier Gorgi - unterdeßen suchte ich den Würtemberger auf - u. fande ihn in eines Schreiners Haus - es ist der Rath Preismeyer mit seiner Frau u. Tochter - von da ging ich ins Münster - ich besahe die Uhr - es ist ein groses Meisterstük, die Triebfedern, die das Werk verzirten, und die den menschlichen Verstand in ienen Zeiten so viel Ehre machten, sieht man nicht - die Uhr geht nicht mehr - man staunt sie nur an, weil man gehört, was sie geleistet -guter Dasypodius das Werk, das dir so viel Mühe gemacht hat, steht nun still, deine Meister Hand würde es bald wieder in Gang bringen - Auf der nemlichen Seite in einer Capelle steht noch ein Monument, <der> einer Prinzeßin zu Ehren - von der <A> Invention des geschikten Bertois, der auch die Grillage an den Chor gemacht hat - von dem er iezt selbst gesteht, daß er es vor 25 Iahren gemacht hat, wo der Geschmak noch zu sehr ins Schnürkelwerk verfiel - Das Monument stellt eine aus der Mauer hervorspringende Piramide vor mit einer Base auf der ein<e> Trone von einer Säule ruht. Bertois besuchte ich noch - er war eben beim Eßen. ein guter Mann von Pretension wie es scheint - er sagte mir, daß er seinen Sohn einen Mensch von 23 Iahren

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nach Paris brächte, um hier die Architectur bey Balot zu studieren - Er gab mir seine Adreße mit, wo er in Paris zu erfragen wäre. |[5] Bey der Fr v Lepel speiste ich zu Mittag - sie ist noch eine lebhafte, muntere Frau, die sehr gut spricht u. sich gut conservirt - ich hörte da die Nachricht von unsern General Stein, die mich herzlich erfreute - Nach den Caffee ging ich noch zum Consulent Sahler, er gab mir die Erlaubniß meine Briefe an ihn addressiren zu laßen nach Kehl, von wo aus er sie von seinen Ritterbothen bekommt, u. also das Porto von Kehl nach Strasbourg, welches doch von ieden <Sous> Brief 9 Sols ist erspart - von da zu Dixnard - er gab mir einen Brief u. eine Zeichnung mit an seinen Kupferstecher - Bertois hatte mir gesagt, daß Dixnard gar nichts wäre, sich mit Leuten von condition a<<u>>f[f]ili[i]rte, viel impertinenz hätte, u. garçon du Theatre unter Servantoni in Studtgard gewesen wäre. Seine Riße seyen meist von oder doch nach Lagibiere - Ich hatte der Fr. v. L. versprochen in die Comoedie zu gehen, ich holte sie ab, hatte aber auch die Ehre für sie 3 Livr. zu zahlen, indeßen hatten wir eine Loge in der 3t Etage für uns für 6 Livr. Monval spielte - in Depit amoureux, die Rolle des amant en depit vortreffl. - beßer sahe ich noch keinen acteur - so viel Grace, so viel richtige Declamation - u. so viel Geberden spiel - daß es wohl nicht möglich ist, wie ein acteur beßer seyn kann. In L'amant poureu - eine Stük von ihm, gefiel er mir nicht so wohl, er schreit zu sehr u. mit zu viel affect. |[6][7] Vakat |[8] den 30t Sept. Wir fuhren des Morgens früh ½8 Uhr aus Strasburg weg - Meine Reisegesellschaft war die Frau eines Bedienten bey den Spanischen Gesanden, ein gutes Weib von ettl. 40 Jahren, die keine Pretension machte - Eine Französin, die als Cammeriungfer in Strasbourg gewesen war u. nun zurükging - ein ettl. 30 kleines, ausgemergeltes, Holaugigtes Ding - in Anfang weinte sie sehr über den Verlust ihrer Herrschaft - Ich hoffte sie würde, wie man sagt, aufthuen und der diesen Creaturen, manchmal ganz eigenen Witz würde unsere Gesellschaft beleben; die Hofnung war iedoch vergebens, sprach sie ia von was, so waren es Erzehlungen von alten Comoedien bey denen sie ganz belebt wurde, die aber sehr unvollständig und in schlechten Französischen geschahen, manchmal kam auch zwischen denen noch hie u. da stehenden ehmaligen Tönen eine Arie aus der Comoedie vor - ich schanzte sie beizeiten auf den Rüksitz und sezte mich auf den breiteren Sitz zu einen Carlsruher Frauenzimmer, von ettl. zwanzig Iahren, die gut aussahe und nicht lange an einen Engländer Har<b:>wey verheirathet <ware>, der in einer Lederfabrik in Rieburg bey Carlsruhe gearbeitet hatte, und sich iezt in Paris <Rue St. Germain> aufhält. sie ist eine geborne Hanen u. logirt beim Creutz - Sie spricht kein Wort französisch, so wie die Französin <k> nichts deutsch kan, die alte sprach beedes, Französisch indeßen schlecht. die Reise ging nun durch sehr fruchtbare Gegenden eben fort - die Leute waren eben in der Weinlese begriffen, auch <thaten> heimsten sie die Früchte, die sie noch auf den Feld hatten [<ein>], Das erste Ort, wo wir fütterten war Dorlesheim, ich ging sogleich aus, den Ort zu beschauen, der iedoch schlechte Häuser in sich fast. Unterwegens begegneten wir unversehener Weise HE. v. Wurmser, der als Städtmeister |[9] die Besorgung des hiesigen Amtes unter sich hat, und mit seiner Frau u. Tochter ettl. Wochen sich daselbst aufhält, er tracktirte eben die Honoratiores des Flekens -die 3 reichsten Banquiers in Strasburg haben da Landhäuser - Frank - Erchenauer etc. HE. v. Baer u. seine <Schwieg> Stieftochter Gräfin Schwerin sahe ich in vorbeygehen - ein kleines, etwas starkes Männchen von ungefehr an die Sechzig - er war schwedischer Gesandschafts Prediger. B. v. Wurmser machte,

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nachdem ich einen Augenblik bey seiner Frau gewesen, eine Tour um den halben Fleken herum, die Lage des Orts ist schön, und die Aussicht an die Weinberge hin nach Mutzig und mehr rechts nach Malzheim ist sehr schön, man baut hier viel Wein, er sagte mir, sie nämen ein Iahr ins andere gegen 1700<0> Ohmen (24 Maas oder 48 Bouteille) neue Zehenden ein. Ich sollte noch bey seinen Tracktament seyn, allein ich wollte die übrige Gesellschaft nicht aufhalten, und so fuhren wir fort. <Man ase zwar> Unser Kutscher hatte zwar gut gesorgt - wir hatten Soupe, Rindfleisch, Gemüse Fleisch, Braten, Desert u. Wein, so viel wir trinken wollten, in deßen waren wir in den Wirtshaus nicht sonderlich. Nun ging es durch mehrere artige Dörfer ins Steinthal, wo man eingeschloßen zwischen 2 Ketten von Gebirgen keine Aussicht genießt, als nur die vor sich, die sich indeßen durch die vielen Krümmungen des Thals immer erneuert, ein Fluß giebt den Thal auch viele Abwechslung - Nun kamen wir in unsern Nachquartier nach Ehernek einen kleinen Städchen den Prinzen von Salm zugehörig - die Stadt liegt ganz an den Fuß <an> eines Berges, auf einer etwas niedern Anhöhe über der Stadt lieg<t>en Ruinen eines alten Schloßes. Wir waren hier sehr gut - speisten reichlich zu Nacht und hatten gute Betten. Hier fing die Unbequemlichkeit an, daß in den obern Etagen keine Abtritte angebracht |[10] sind, u. man genötigt ist, weit zu gehen oft über den Hof - der Wirth (König von Polen) ein freundlicher Mann, Witwer seit kurzen kame zu Zeiten herauf zu uns, und sezte sich ganz getrost nieder - des Morgens waren wir beizeiten munter; um 6 Uhr fuhren wir fort, in einer halben Stunde komt man an den Berg, der zwar niemals sehr iäh, aber sich gegen 2½ Stunden durch schrekliche Berge u. Waldungen hin und her hinaufzieht - Man komt zuerst an Eisenhämmer links - des baron Diederichs vorbey, dann sieht man nur hie u. da u. sehr selten in den Keßel mehrere Berge oder auf einen grünen freyen Platz ein Haus, die Berge sind meist mit Waldungen versehen, oft auch blos, man fährt von einen Hügel zum andern, Es fing iezt an sehr unfreundlich regnerisch Wetter zu werden, dies hinderte mich viel Bemerkungen des Weges bis Paris zu machen, so wie ich gewünscht hatte. Wir musten unsere Fenster <auf> zu machen, und suchten durch Schlaf zu ersetzen, was wir an den Vergnügen verloren uns umzusehen. Ravon en pleine war der erste Ort, das wir in den Thal zwischen den Bergen begegneten. Hier ist der Abstand schon gros, hinter uns das glükliche, freundliche, reiche Elsaß, und hier arme Einwohner - wildes Land - unfruchtbare Berge, wenige Bevölkerung. Wir nahmen ein kleines Frühstück ein, und fuhren weiter, nach Ravon la tape zum MittagsEßen à la ville de Lyon - ein freundlicher commoder Mann, dik u. wohl beileibe von ettl. 60 Iahren - eine Frau, die in ihrer Iugend sehr schön mochte gewesen seyn, und noch artig<e> u. voll Lebensart sprach - einige Töchter machten den Haushalt aus - Wir speisten zimlich gut daselbst - ich amusirte mich sehr damit, daß ich mich stellte, als verstünde ich kein Wort Französisch. |[11] Der Mann, der ehedem in Deutschland wollte gewesen seyn brachte hie u. da nach langen nachsinnen und denken ein deutsches Wort heraus, welches komisch genug war. Ein Balbier u. Friseur u. wahrscheinl. homme<s> d'affaire von den Ort brachte einen iungen Menschen von 14 Iahren, seinen Sohn, um ihn mit Kutscher auf den Bok nach Paris transportiren zu laßen. Es war ein schöner Iunge, <von 14 Ia> lebhaft, geschikt, und voller Ehrgeiz - er wollte niemals nichts annemen, was man ihn zum Eßen anbote, seine Kost war besonders bedungen, u. er as nicht mit uns. Um doch eine Idee zu geben von einer französischen Haushaltung auf den Lande, setze ich folgendes Her - Wie man ankomt, fährt nicht wie an andern Orten Keller und Hausknecht an den Wagen - man bleibt ruhig sitzen bis der Kutscher komt, und aufmacht. Dann tritt man entweder in einen Oefnen oder unmittelbar in die Küche - diese ist allemal vor den Stube und nur durch diese komt man in iene. Es ist auch der gewönliche Auffenthalt der Personen, die mit der Wirthschaft zu

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thun haben, und meistens der erste Sitz, den Fremde nemen, besonders, wenn es kalt ist, bis Feuer in ein anderes Zimmer gemacht ist - Hier setzen sie sogleich Stüle um den Herd herum - das Feuer ist auf den boden - und so durchgängig <durch> bis Paris - auf einer eisernen Platte an der Wand, die auch die Stubenwand ist - in die Stube geht ein Camin, das mit einer eisernen oder blechernen Platte zugestellt ist - dieser Camin ist in der Küche auch offen und des Sommers wieder mit einer Platte oder Thüre geschloßen - die des Winters weggethan wird, um <die S> das Feuer weiter hineinzulegen, und zugleich die Stube mit zu erwärmen. Der Schornstein geht gerade darüber hinaus, auf einer mäsigen Entfernung von Feuer hängt in den Schornstein an der Wand herunter ein Eisen mit Zaken, an dem ein Haken höher oder niedriger befestiget werden kann, um den Kessel über das Feuer zu hängen. Der Camin Mantel endigt sich meistens auf 5 Fuß höhe u. ruht auf den Seitenwänden, die zurükgebogen sind. Die Franzosen sagen, daß auf die Art, [wie] sie ein Feuer gewännen sie sich immer die Füße erwärmten, nichts beschmuzten, <da> wie es bey den Herden gewönlich ist, und es angenehmer wäre, sich so um das Feuer herumsetzen zu können, und von der Wärme |[12] zu profitiren, die ihnen auch ihr Eßen zubereitet. Es ist aber auch nicht unangenehm in solcher Küche zu seyn - Hier geht es immer lebhaft her - die Mädchens drehen sich so geschikt und geschwind hin u. her - die Ankommenden, die Weggehenden alles muß hier vorbey - man sieht hier die ganze Haushaltung in den geschäftigsten Augenbliken. Ihr<e> Küchengeschirr ist sehr proper, auch in den schlechtesten Dörfgen, wo alles Elend u. Armuth ankündigt, ist doch die Küche helle u. reinlich. Das Kupfergeschirr, deßen sehr vieles hier ist glänzt in Reihen daher, das Porcellan auf der andern Seite - Waßer ist fast in ieder Küche, da der niedrige Heerd meist erlaubt, wie bey uns Arbeiten darauf zu verrichten, so steht in der Mitte der Küche ein mehr oder wenig langer Tisch, auf den alles zu gerichtet wird. Wo kein laufendes Röhr Waßer in der Küche da ist um die Hände zu waschen [ist] ein Beken, u. oben darüber hängt nur ein simpeler Trichter mit einer sehr engen Oefnung unten, da hinein giest man Waßer hinein, das dann ganz langsam unten herausläuft - die Weibsleute sind meist in weis gekleidet, das auf den Felde in der Ferne sehr gut aussieht, <nicht:>oft hat dieses Weise grose Nuancen ins schwärzliche - Ihre Hauben sind affreus[e] - sie haben an der Seite grose Cornette oder Zipfel herunter, es sieht aus, wie ein gut behangener Leithund. Was nicht in Hause, sondern in Stall, auf den Felde oder auf der Straße arbeitet hat hölzerne Schuh an, die iedoch nicht so unbeholfen gemacht sind, als die in unsern ärmern Theilen von Deutschland. sie haben eine Schuhform - ich sahe sie sogar in Paris, als ich hereinfuhr - |[13] Paris d. 8. Oktober 1788 Um 4 Uhr ungefehr kamen wir in Paris an. Rechts fiele uns gleich ein Gebäude auf, das neu ausgeführt wird. Es ist eine Art Rotunde mit 4 <Eingänge> Frontispicien auf Säulen ruhend wie das Pantheon. Man glaubt sich indeßen noch nicht in Paris, als man vor der Barriere stille hält. Der Kutscher holte sein Zeichen in dem Bureau, sodann kam ein Man mit einer grosen langen Nadel in der Hand u. einen Knopf darauf, um die Waaren als Korn, Salz etc. durchzustoßen - wir stiegen aus - Faites votre Devoir bien promptement, j'ai encore affaire, en ville et nous n'avons rien contre les ordres du Roi -er stieg ein, suchte hie u. da, wärend dem drükte ich ihn unvermerkt 3 Livr. in die Hand, und er bedankte sich nicht, aus Furcht sich zu verrathen - nun beschaute er noch dies u. ienes - Mein Kuffer stand hinter den Bok, und allein diesen lies er sich aufmachen, thate, als wen er hie u. da suchte, mit ein paar Griff aber ware es geschehen - ich schloße wieder, und nun ging es weiter, es standen wohl ettl. zwanzig Wägen um die Barriere herum, die nichts andres als ein Schlagbaum ist, wie bey unsern Chausée Häusern - Ein kleines Schächtelgen von blauer Farb hatte der Kutscher bey sich, dieses muste die alte Frau unter ihren

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Mantel nemen, und mit aussteigen. Iezt fing schon das Geräusch, und das Leben an. Es begegneten uns iunge Faquins zu Pferde - in Cabriolet - 20-30 Mehlwägen mit ungeheuren hohen Rädern, von 8-10 hoch u. ½ <x> [?] Eisen - mehrere 4rädigre Frachtwägen - Wägen mit Leintuch überzogen u. meist von Frauenzimer regiert ein Pferd - ein Abbé -2 Soldaten u. tausend andere Personen - es war ein Auswegens rechts u. links - die Straße war breit, sehr breit, die Häuser aber nicht sonderlich - durch die Porte St. Martin fuhren wir durch - nun fingen schon rechts u. links die Kleinhändler an, alles war meist vor die Häuser gemalt, was sie hatten - Vor der Auberge St. Martin fuhren wir hinein, ich hatte in Sinn einige Tage dazubleiben - der Mann von der Carlsruhern kam sogleich, ich sagte ihn meine Verlegenheit - er sagte mir nur, mit ihm zu kommen, ich nahme also geschwind einen Fiacre, meine Sachen hinein, u. |[14] so fahre ich gerade wegs hinter ihn drein. Vorher noch zalte ich in der Auberge in den Zimmer neben den Hof eine Bouteille Wein, die Harwey, mein Kutscher u. ich austranken - 15 Sols - der Kerl, der meine Equipage hinausgetragen hatte foderte, auch ein kleiner Pursch - ich gab beiden 12 Sols - nun sase ich dan endl. in einen Fiacre - in Gesellschaft meiner Sachen, die hierum und darum lagen - mein Vis à vis war Koffer u. Kisten - Nun ging es in zimlichen Drap durch die Strassen hindurch - imer rechts u. links Kaufhäuser und ausgelegte Waaren, oder Caffeehäuser oder Bureau - Ueber die Pont neuf es ging schnell, doch fiel mir Henri Bildsäule in die Augen, ich schobe meinen Huth herunter. Das Gedränge und das Gewimmel wurde imer lebhafter, und endl. halte - Wir steigen aus - ungefehr ½ Stunde mochten wir gefahren seyn - Harwey ging in ein deutsches Caffehaus. Henry heist der Mann, ich fragte ihn endl. wo ich hinsollte, ich wünschte eine Chambre garny - er gab den Wirth Comission - in den 4t Haus gegenüber - Ich besahe sie mir -eines in den 3t Stok für 18 Livr. eines in den zweiten für 20 Liv. ich name das lezte für 20 Liv. auf 14 Tage. für 10 Liv. Lies meine Sachen hinauf Transportiren - bezalte den Kutscher 30 Sols - er war nicht mit zufrieden - ich polterte u. es war gut. -Die Nro des Wagens (M 2) Mein Quartier ist den auf einige Tage bestimmt. Es ist 10 Schritt lang u. 6 breit - 1 Fenster das sehr hoch u. breit ist. aber niedrig u. eine Gitter dafür zum Sitzen in den Fenster - rechts ist das Camin, ein Spiegel darüber u. dan ein Gemälde. ein Seladon wiegt in der [?] seine Schäferin, eine andere sizt [?] u. züchtig neben ihren Liebhaber, der auf der Flöte spielt - auf beiden Seiten sind Wandkästen. neben daran steht ein kleines Tabouretchen u. dan in Hintergrund ein groses Bett mit blau u. weisen barchentenen Umhängen - auf der schmalen Seite den Fenster gegenüber an der das Bett stehet hat nur noch die kleine Thüre platz - links den Camin gegenüber steht ein kleiner Commod - unten zwey |[15] lange Schubladen, die oberste ist getheilt u. formiert [?] neben daran noch ein anderer kleiner Tisch mit einen Schiebfach auf der Seite - auf der andren Seite der Commode stehen 4 Strohseßel zwey davon mit Armlehnen - das Zimmer hat eine blaue u. weise Tapete <neb> vis à vis den Camin Spiegel einen grosen vergoldeten Spiegel und noch einen kleinern an der Seite des Fensters - der Boden ist von 6 ekichten Ziegelsteine <6> u. kalt - die Fenster vorhänge von einen alten bunten Cottun. Auf den Camin stehen 2 Leuchter, eine Bouteille mit Waßer 1 Glaß, u. auf der Commod ein Waschbeken mit 2 Handtücher - In den Camin liegen zwey [?] - 1 Zange, eine Schaufel - ein kleiner Besen u. ein Blasebalg - rechts u. links den grosen Spiegel hängen noch zwey Kupfer - die Erde u. die Luft u. neben den Camin - das dritte das Waßer - ich muste mir noch Lichter kaufen - 1 [?] für 14 Sols. darauf gehen 6 Lichter - Die weis sind u. hell brennen. Ich lies mir noch ein paar Bouteillen Bier für 12 Sols von Msr Henry bringen - lase in Starch u. Roltmann - suchte einen Abtritt, aber umsonst - wenn es nur hier nicht so ist, wie in denen Wirthshäusern unterwegens -das Geräusch auf denen Straßen ist noch immer stark - Arbeitsleute arbeiten noch - die Fiacres raßeln noch - u. alles ist noch lebendig - Ich ging noch heute Abends zu

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einen Blechner Bois - es ist nur zwey Schritte von hier - ich hatte iedoch mich rechts hinein zu schlagen, eine Gaße links liegen zu laßen, in der zweiten war er dan rechts - ich vermutete es aus der Boutique - ich trafe den Gesellen Lenk aus Meinungen nicht an - kehrte zurük - u. legte mich nieder. Die Addresse, wo ich logire ist Mme Routiée - Marchande Fripiere. Rue des Mauvais Garçons Fauxbourg St. Germain - Tient l'Hotel de Toulouse, garni à Paris - |[16] d 9t Oct Heute ist das Fest St. Denis - ich wachte bei Zeiten auf - arrangirte meine Sachen ein wenig und sezte mich hin zu schreiben - Neben mir klopfte man unaufhörlich - man baute wahrscheinl. - das Getös auf den Straßen fing auch wieder an - alle Minuten gingen Kerls hindurch mit zwey Eymern an einer Stange auf der Schulter u. schrien à l'eau. Ich bestellte einen Friseur - er kam u. wollte 3 Livr. für die 14 Tage - er foderte <x> Haarnadel u. lachte als ich ihn welche gab, die kenne man nicht in Paris - er zog grose lange schwarze Steknadeln heraus u. frisirte mir <zwey> eine lange dike hinten hinausstehende Bukel an ieder Seite - Mein erster Ausgang war nun zum Hotel d'auvergne - ich fande es endl. nachdem ich dießeits der Seine hinunter gegangen war - Das Louvre fällt einen von dieser Seite als ein langes Gebäude auf, aber zeichnet auch nur dadurch sich in der Entfernung aus - rechts lies ich ein sehr schönes Gebäude die Münze liegen, ich war zu nahe daran, um die Schönheit ganz einzusehen. In Paris ist man das Fragen schon gewohnt, man antwortet daher gröstentheils mit Gefälligkeit und bestimmt. Ich halte mich meist in Fragen an Obstleute oder <x> HandswerksLeuten, die unter den Hause stehen - In Hotel fragte ich nach Wachtern - er war nicht mehr da, <nach> ich wollte da zu Mittag eßen, ein iunger Mensch aber, (nachher erfuhr ich, daß es Huber der Graveur ware) sagte mir, daß dies hier kein öffentlicher Disch wäre, u. sie, Deutsche, nur in Pension wären -Es muß was ganz gewönliches seyn, hier deutsche zu sehen, den man ist nicht sonderlich erfreut Landsleute <zu sehen> anzutreffen - man fragt nicht einmal aus welchen Theil Deutschlands - ich suchte mich wieder zurückzufinden, u. kehrte bey Msr Henry ein - sie speisten eben, ich fande meine Carlsruhern u. Msr Harwey am Eßen; konte aber nichts mit ihr reden. |[17] In der Rue de Boucherie gleich an meiner Gaße speiste ich links zu Mittag - ich ging hinein, fragte ob ich da zu Mittag eßen könte - ? ia! man wiese mich in ein Zimmer das auf den Garten hinaus geht u. Parterre ist - Es sasen 2 Personen am Tisch, ich sezte mich vis à vis - ein kleines Mädchen fragte mich sogleich, ob ich nicht 1 Duzend Austern wollte, sie fragte so geschwind, daß ich in der Angst meines Herzens ia sagte. Nun übergab man mir einen Zettel, worauf 2 Suppen - Eingemachtes, gekochtes, fricasirtes etc. 7-8 verschiedenerley 3 oder 4 Gemüser - 2 Braten, u. Desert, Bisquit, Trauben Pirnen u. Nüß, servirt ist nichts als ein Brod u. ½ Bouteille rothen Wein - man nimmt den Zettel, u. darf 4 Gerichte fodern welche man will, u. sodann ein biscuit oder Traube etc. dafür zalt man 26 Sols u. der fille 2 Sols. Man ißt so zimlich dorten - Chez Msr Farget - traiteur - Von da ging ich in das Caffeehaus in der rue Dauphine, au Bout de la Reine Christine. Es waren ungefehr ett. 20 Menschen darinnen, die meisten spielten Domino - In der Mitte stand ein in Form eines Altars runder Tisch von ungefehr 3' in Diameter mit einen Marmornen Platte - die Tasse kostete 5 Sols. Ich ging zu Msr Henry rauchte eine Pfeife Pariser Tabak, der one Geruch u. scharf auf der Zunge u. one Kraft ist - ging sodann zu Munich, an dem ich zwey Briefe hatte - er kam nach Hause, seine Kinder, deren viele sind sprangen den Mann um den Hals. Die Mutter - eine Ludwigsburgerin feine schöne, starke Frau, wie die Cleopatra von Wille - die Reichenbachen war den Tag vorher abgereist - ich sahe Portraite von ihr, die sehr schön waren besonders das sehr gleichende Portrait von Munich Ich ging mit ihn in den Vauxhall -wir blieben da bis gegen 11 Uhr - er erzehlte mir bey der Gelegenheit, wie schlecht Heideloff an ihn gehandelt

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habe, als er ihm Arbeit bey der Decoration des Sals gegeben hätte - wie er sogar den Opernsaal in Marseille ihn hätte suchen wollen wegzunehmen, |[18] die er iedoch nicht bekam - daß Heideloff wenig hier gearbeitet, sondern immer mit Musikanten oder andere schlechte Gesellschaften umgegangen seye, u. sehr viel Geld mit Mädchens verschwendet habe. Er erzelte mir ferner von den Aufruhr - der vor 3 Wochen hier gewesen - das Volk habe wegen Placirung HE Nekers Freudenfeuer angestellt, strohene Mäner gemacht, sie als die Exministers angezogen und sie verbrant - der Comand. des Guet habe diesen Unfug steuern wollen, - und habe durch Wache die Canaille <wollen> auseinander treiben laßen, die aber attaquirt worden, daß sie genötigt war Feuer zu geben, wodurch dann auf beiden Seiten Leute umgekommen seyn, man schäzt sie auf 40-50 -oft unschuldige Menschen, die nur die Pont neuf passirten So bekam der <Graf von Vergènes> Marquis von Nelle einen bajonet Stoß ins Gesicht - u. der Herzog von Orleans war genötigt <auszusteigen und mit entblösten Haupt vor> die Bildsäule Henry IV zu begrüsen. Nach und nach gesellte sich noch mehr liederliches Gesindel hinzu und so wurde es auch unsicher in der Straßen fast alle Nacht fande man ermordete u. bestolene Menschen, oft begegnete einen des Nachts ein Trupp von 5-600 u. ware genötigt mit ihnen zu ziehen, oder Insolenzen u. Gefahren sich auszusetzen - iezt ist es doch ruhiger, nachdem die wachsame Policey durch ihre Spionen viele von denen Theilhabern aufgespürt und sie festgesezt hat. Sie wollten sogar <x> den Comandanten des Guet lebendig verbrennen, es stürmten des wegens ettl. 1000 sein Haus - er verstekte sich, man war indeßen genötigt, sie einzulaßen, u. sich selbst zu überzeugen, daß er nicht hier seye. Es ist aber auch wahr, so viel Lumpengesindel, so viel Spizbuben Physiognomien, ich will nur sagen in zerlumpten |[19] Kleidern, von andern rede ich gar nicht, als hier herumlaufen, wird man nicht leicht beysammen sehen. Ich hatte iedoch das Herz von den Vauxhall allein nach meinen Quartier um ½ 12 Uhr zu gehen - eine Streke von einer Stunde - Nur einmal bey der Kirche St. Eustace begegnete ich einen Trupp von 10 - 12 Kerls in zerlumpten Jaken, u. lermend u. scherzend durch die Straßen - ich suchte hinter ihnen zu bleiben - Sie kamen bey den Platz bey einer Schildwache vorbey - die sich weislich ganz ruhig verhielt und nur als sie 20 - 30 Schritte in den Barth hineinbrumte - les coquins là sont un tapage de Diable Zweimal aber wurde ich von Freudenmädchen angehalten, sie standen vor den Hause - <x> ich ging an der Reihe Häuser hin - <x> die erste kame auf 3-4 Schritte aus ihrer Thüre auf mich zu, <x> name mich beim rechten Arm, wie man einen zurükhält, den man was sagen will, u. sagte mir auch wirklich - Ne voulez vous pas venir avec moi - je suis deja engagé - u. ging fort - 400 Schritte davon war die zweite, die das nemliche Marchand machte -Sie waren weis und reinl. gekleidet - In Deutschland hätte ich ehrerbietig den Huth heruntergezogen, u. mich gewundert, daß die gnädige Frau noch so spät sich der Nachtluft aussetzen. Bey den Pont Neuf war die Wacht unter Gewehr ungefehr bey 40 -50 Man, wahrscheinl. nur zur Sicherheit, es wird alle Abende so seyn - ich kam wohl u. one sonstigen Anstoß nach Hause, und wunderte mich selber über meinen Muth. Indeßen werde ich es doch nicht wieder wagen wenn es nicht höchstnötig ist. Meine Hausfrau war für mich besorgt gewesen - |[20] Die Erleuchtung der Gassen ist nicht sonderlich, doch grade soviel, daß man zur Nothdurft sehen kann - auf der Pont neuf sind 7 Laternen alle 50-60 Schritte - An der Statue Henrys IV ist gar keine - u. sie steht gerade in der Mitte zwischen zwo Laternen, die da weiter auseinander hängen als die andern. Warum dieses kann ich nicht sagen. Wie <Ehe> ich zu Munich ging, fuhren die Gesanden des Tipposaib mit 4 Wagen u. einigen Courire vorbey - sie wurden von 50 Mann des Guet à cheval begleitet - Sie reisen ganz frey auf Kosten des Königs durch Frankreich, so wie sie auch in Paris überal in ieden Caffeehaus, in den ieden öffentl. Orte frey gehalten wurde - Sie sahen schwarzgelb

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aus mit schwarzen Bärten um den Mund u. das Kinn - Sie sahen fürchterlich aus - Ihre Kleidung konnte ich wegen der sitzenden Stellung in den zugemachten Wagen nicht erkennen. Mlle Balleti hat hier viel reputation, sie wird wegen ihrer Talente außerordentl. geschäzt - in Anfang hat sie fast in ieder Gesellschaft gesungen, iezt läßt sie sich auf Anrathen ihrer Freunde 8-10 Louisd'or für ihre Stimme in Privatconcerten zalen - sie hat vor einigen Wochen 3 mal für den Preis in einer Woche in Concerten gesungen - Indeßen ist das Theater noch nicht zu Stande, doch sagte sie, zöge sie ihre Gage schon von 1t Oct. Man glaubt, sie in einigen Wochen in glänzender Equipage u. einen Meublirten Hotel zu sehen, indeßen lebt sie noch eingezogen, und macht sehr die Spröde. |[21] den 10t Sept. Um ½10 Uhr ging ich aus, um HE v. Rieger aufzusuchen, ich sezte mich über alle Etiquette hinweg, u. ging zu Fuß in Frak - über Pont neuf kam ans Louvre <?> die so gepriesene Façade des Louvre von Perrault. War es zu hohe Erwartung davon, oder war damals meine Seele noch verschloßen für das Schöne - genug ich hatte mehr erwartet - und ich hatte nicht Zeit, den Eindruk des ganzen auf mich wirken zu laßen, u. es genauer zu untersuchen, wie ich ein andermal thun werde - Es geht eine Passage durch ins Palais Royal. Inwendig misfiel es mir ganz - unter den Hallen des Louvres haben Kaufleute feil - ich kaufte da 1) Nouvelle descriptions des Curiosités de Paris 2 Tom. par Dulaure 1788 Sec. Edit. 1787 - 3 Liv 60 2) Singularité, Historiques, pour servir desuite aux Descr. d. P. et de les Environs - 1 Liv. 16 S. 3) Almanach Parisien pour L'année 1788 1 Vol. 3 Liv. für alles zusammen gab ich - 6 Liv. 2. Durch eine kleine Gasse kommt man die Rue St. Honoré u. sodnan in Palais Royal - nur in der Geschwindigkeit bemerkte ich die verschiedene unendliche Manigfaltigkeit von Waaren, die daselbst rechts u. links u. links u. rechts u. von allen Seiten zum Kauf ausgelegt waren. ich verlor auf den Weg meinen Plan von Paris, den ich unterwegens um mich zu orientiren gebraucht hatte. ich kaufte mir deswegens den kleineren von 88 für 3 Livr. mit den Etui u. auf Leinwand aufgeklebt. Ich fragte in der R. Commartin an einige Häuser nach dem Baron von Rieger - in einen derselben gabe mir ein Schweizer voll suffisance <zur> die Antwort, als wenn ein ganz anderer Mann, als nur ein Baron da logirte - Fermier General, qui loge ici - |[22] Ich traf endlich das Haus Nro 10 links - Ich wurde empfangen als ein Fremder - Er war eben an seinen Toilette begriffen und deßwegens incommodirte ich ihn auch nicht lange - Ich hatte Hunger, suchte also meine alte Auberge wieder auf - zwey Abbés sasen schon da - Nach den Eßen ging ich in den Caffé des Arts - rue de Tournon - Es sind zwey artige ausmeublirte Säle neben einander - Fodert man Caffee mit Milch so bekommt man eine Tasse, wie ein kleiner Thenapf - der Caffe ist aber äuserst schwach - die Taße kostet 6 S. Neben daran wohnt die Tochter von Uriot - Mde Suin - Comedienne pensionaire du Roi - ich hatte ein Paquet an sie von ihren Vatter - sie wohnt au troisième ganz artig -ich trafe nur ihre Tochter - ein Mädchen von 8 Jahren an, das mich ganz artig unterhielte, beßer als eine wahrscheinl. schon ausgediente Matrone auf den Theater die ein wahres Bärenbeisers Gesicht machte. Ich glaubte nach Tische zu kommen, es war ½3 Uhr - der Tisch wurde eben erst gedekt - Es erschien ein gewißer Msr la Porte - wahrscheinl. auch ein Acteur - Dann noch ein Herr - endl. auch Herr Suin - der sich herablies mit mir zu sprechen -es scheint ein guter, höflicher Mann zu seyn - die anderen Franzosen liesen mich gar artig stehen - erwarteten sie vielleicht, daß ich die Conversation anfangen sollte - die hatten sie Unrecht, ich schwieg - das kleine Mädchen plauderte immer, sie redete von Deutschland, wo ihr Hausvatter wäre - <Ach!> er ist nicht in Deutschland, sagte die alte Matrone, er ist noch in Schwaben. |[23] Endl. erschien Mde Suin - mit einen Gürtel um den Leib, vornen zwey Medaillon - sie wurden sehr von der Gesellschaft bewundert - es war nicht unerwartet, u. wahrscheinl. war Mde Suin wegen diesen

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Medaillons in Palais de Luxembourg und in den Thuillerien spaziren gegangen. Sie nam den Brief von ihren Vatter in die Linke, in der rechten ein weises Schnupftuch, diese Hand hält sie etwas in die Luft, u. so lase sie den Brief in der Stellung einer Comoedianten. Nie hat mich eine Stellung mehr beleidigt, da wo die Natur sprechen sollte, wo Nachricht kommt von einen Vatter, der an Rande seines Grabes ist, steht die Komoedanten in Theatralischer Stellung vor eine Gesellschaft hin, die vielleicht sie deßwegens bewundert - sie invitirte mich zum MittagsEßen -ich war froh, daß ich gegeßen hatte, u. retirirte mich. ich ging nun in mein Englisch Caffeehaus rue Dauphine - trank eine Tasse - sodann zu Henry wo ich Harwey's antrafe, mit denen ich ihr Haus ging. und von da zurük nach Hause, wo ich schriebe. Als bey den lezten Aufruhr auf den Pont neuf das Volk die Wacht herausiagte, u. diese flohen mit Zurüklaßung von Röken, Gewehre, Uhren etc stekte diese vorgefundene Dinge das Volk auf die Bajonets u. hielte sie in die Höhe und warfe sie sodann in die Flamme, um zu zeigen, daß der Aufruhr nicht aus Raubsucht geschähe - der Kutscher des Herz. v. Orleans wollte den Huth nicht herunter ziehen - der Herzog verbeugte sich u. sagte, ich thue dieses um desto lieber, da es mein Verwander ist, er bate darauf das Volk wegen seinen Kutscher, der ein Schweitzer, u. sonst ein braver Mann wäre, u. ihn gut diente um Verzeihung. Sie liesen ihn endlich fahren mit einen vive le Duc D'orlean |[24] D. 11t Oct. Ich suchte Alay auf, one ihn zu finden - ging sodann zu Harwey - er war krank - Von da schlug ich mich an der Seine hinauf gegen das Louvre hin, ein grose Menge Kupfer u. alte Bücher Händler war da postirt - im Englischen Caffeehaus rue D[auphine] trank ich 2 Tassen Chocolade - sie war sehr gut - kostete aber auch die Tasse mit Brod 12 S[ols]. ein iunger Mensch, der neben mir sase, hatte so viel Aenlichkeit mit Eaufrère, daß ich ihn anredete - es ist etwas Seltenes, das ein Franzose Aenlichkeit mit einen Engländer hat, sagte er mir. Ich kaufte in der Rue Dauphine links gegen mein Quartier hin einen Stahldegen u. Haken - zoge mich zu Hause schwarz an, u. fuhr zu HE. v. Rieger - er hatte schon gegeßen, sase aber noch an Tisch, ich war um ½ 3 Uhr bestellt u. es war ½ 4. Nach den Eßen zeigte er mir sein Haus, das denn freilich für einen Würtembergischen Gesanden gros genug ist, u. ganz anständig scheint; doch muß er gegen 6000 Livr[es] iärlich geben, u. es selbst meubliren - er sagte mir von der Unannemlichkeit der Französischen Bedienten - der Kammerdiener rührt nichts an, als was in sein Departement gehört, der Frotteur (der die Stube fegt u. Betten macht etc.) holt kein Pflänzchen in Garten - der Faiseur puzt keinen Schuh etc. Daher komt es, daß man so viele Bedienten halten muß - Der Schweizer bekommt 400 fl. u. dafür hat er nichts zu thun, als den ganzen Tag unten zu sitzen, u. wenn der Herr ausfährt, mit einen breiten Bandelier an der Thüre zu stehen. Besonders wohl gefielen mir die englische Abtrite, die ich näher kennenlernen muß, um sie bey uns anzubringen. Es kommt hier ungefehr einer auf 50 Thlr., sagte mir Rieger. Ich fuhr nach den Eßen mit ihn aus - in die Champs elysées ein Spaziergang in lauter alleen - rechts sind sehr schöne Hotels<Häuser> - der Duchesse de Bourbon, der Mde de *** ist besonders niedlich und schön. |[25] Sodann in die Thuillerie und von da in Palais Royal In ersteren zwey Promenaden war es nicht sonderlich voll - hier aber desto mehr u. wurde, als ich wegginge u. die Comoedies aus waren noch völler - die Freudenmädchen machen hier das meiste Interreße aus - <für> den ernsthafteren aber ziehen die gut erleuchteten, sehr gousteus arrangirte, u. mit prächtigen Waaren versehenen Boutiquen mehr an sich - Hier ist alles was Luxus und Geschmak ie hat erfinden können - alles was man sich nur denkt - von der einzelnen Steknadel <bis> zu <der> ½ S[ol] bis zu der Brillantenen Nadel von 100000 Livr[es]. von de<n:>r kleinsten Porcellan Figur für 4 S[ols] bis zu der

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<Marmornen> Alabaster Statue von 30000 Livr[es]. Von den Gemäldchen für 3 S[ols] bis zu dem Tableau von 40000 Livr[es]. Das Mädchen für 3 Livr[es] bis zu den für 3 Louisd'or. eine Bavaroise für 6 S[ols bis zu einen niedl. Soupé für 20 Louisd'or - der Mann, der die Caffee Häuser in Palais royal entreprennirt hat, zahlt allein für die Erlaubniß 34000 Livr[es]. Die unendliche Mannigfaltigkeit von Physiognomien, die unendliche Abwechselung in der Kleidung, in den Gang, in ieder einzelnen Geberde - die Art, wie die Nymphen Eroberungen machen u. wie diese angenommen werden - dies unbegreifl. komische Gewühl, diese Verschiedenheit u. Mannigfaltigkeit des Kunstfleises der Menschen u. der natürl. Produkte, die hier feil gebotten werden, sezt einen Fremden freilich sehr in Erstaunen - Einige Boutiquen sind auch in der zweiten Etage - viele sind à Prix Fixe, wo nicht gehandelt wird, u. der Preis auf Zettelchen aufgeschrieben ist. Ein<ig:>e der schönsten Boutiquen ist die <Boutiq> de Dunkerque in 2t Stok à prix fixe. |[26] Rieger kaufte sich die Fortsetzung von Tableau du Paris von 14 tome an 3 Bände 12 Livr. Ich name sobald Rieger fort ware einen Fiacre u. fuhr nach Hause - es ist schon ziml. kalt u. da die Böden gepflastert sind, so thut man wohl wenn man sich ein paar mit Schaafspelz gefütterte Pantoffeln kaufte. Dieses thate ich noch heute Abends - für 3 Liv. 10 S. Bey aller Gelegenheit heist es - N'oubliez pas les filles, sogar hier, als ich die Pantoffeln bezalt hatte, die mir das Mädchen nun gerade gegen über auf mein Zimer gebracht hatte, sie sind aber mit 2 S. zufrieden. Rieger erzelte mir, daß er selbst von den Policei Leutnant es habe - unter 3-400 Mädchens der Liebe, die manchmal aufgehoben werden, befinden sich oft nur 2 oder 3 die angestekt sind. Dies rührt daher, weil sich doch ieder, der mit Ihnen etwas zu thun hat, fürchtet, daher dergl. Handlungen, die mehr thierische Brutalität ausdrüken, u. wozu onedem der Franzose grostentheils zu schwach ist, meistens unterbleiben u. die iungen Herrns nur mit kleinren Galanterien sich begnügen - <als ich nach Hause fuhr, sahe ich zum erstenmal in meinen Leben über einer Thür ein in Oel getränktes Papier auf dem Bordell stand - ich erschrak als ein Neuling> |[27] d. 12t Oct Ich suchte Alay auf, one ihn anzutreffen - er wohnt hier s. Ad. Allaix - Rue St. Denis pres l'Egl. du Sepulchre au nom de Jesus - N. 728. et il dine au Fidel Berger rue de Lombard. Nach den Eßen bey Farget ging ich zu Küflern einen deutschen Caffetier aus Carlsruhe, es ist äuserst unangenehm in den deutschen Caffeehäusern - es sind daselbst eine ganze Menge deutscher Gesellen, Handwerksbursch etc. die dann den schlechten Pariser stinkenden Tabak aus langen Cöllnischen Pfeifen rauchen - überdem sieht es etwas unreinlich darinnen aus - ich ging nachher in mein Caffeehaus rue Dauphine <wo ich einen Menschen neben mir antrafe, der Eaufrère so änlich sahe, daß ich ihn anredete - c'est tres rare qu'un François rassemble à un Anglois, gab er mir zur Antwort> - ich traf Allaix nachmittags in s[eine]m Kosthause an - es scheint ein stiller artiger Mensch, der sich meiner sogleich anname. ich ging nun zu Munnich - er arbeitete in seinen Attelier, da wollte ich ihn nicht stören. die Frau ging eben aus - ich retirirte mich also - sie erzelte mir noch, wie sehr man hier an Etiquette hing, so dürfte man bey der grösten Kälte vor den allerheiligen (1t Nov) keine Winterkleider anziehen, u. so auch in Frühiar vor ... keine Sommerkleider bey der grösten Hitze - Wächtern trafe ich nicht an. Der Handel u. Wandel geht Sontags, wie immer seinen Gang, nur hie u. da hat frommer Christ seinen Laden geschloßen - Einen englischen StaatsWagen erkennt man an den Geklirre, das er auf den Strassen macht, dieses soll ein besonderer Vortheil seyn, den die Franzosen nicht nachmachen können, das Geklirre rührt von einer besonderen Leichtigkeit u. Verbindung der Räder her.

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|[28] d. 13t Ich ging des Morgens zu Harwey - er wird von hier mit seiner Frau weggehen - um in *** bey einer <eng> Fabrik mit mehr Vortheil zu arbeiten. Die Engländer die das Leder verarbeiten, dürfen des Geheimniß nie entdeken, sie dürften nie in ihr Vatterland zurük und hätten die Verachtung iedes Landsmannes - Der Markgraf hatte Harweyen 10000 Fl. für das Geheimniß gebotten, u. obgleich er das Geld brauchte, schlug er es doch aus - Ich bekam Zeit, mit seiner Frau allein zu reden - sie sagte mir, wie mißvergnügt sie in Paris wäre, u. wie sonderbar ihre Lage seye. Ich ging von da zum Eßen - ein altlicher Mann mit zwey iungen Leuten kam auch hier zu Eßen - er hatte einen braunen alten Rok an mit silbernen 2 fingerbreiten Taschen, mit langer schwarzer Weste u. grüne Beinkleider - nebst ein kleinen silbernen Degelgen in Hintergrund - alles ist ekicht an so einen alten ausstafirten Franzosen - er ging hastig über die Schüsseln her. Hier ist es gewönl. still - einmal war einer da, der viel über Frankreichs innere Schwäche redete - Oh, Comment sommes nous ensembles Msr l'anglais redete er mich, ich vermuthete in ihn einen Mouche - j'éspère très bien. sagte ich. Ah - Si vous saviez votre faible - Antwort - Nous sommes très content de ce que nous avons - u. so war das Gespräch aus. Meistenstheils kommen an solchen Tischen, die Frage ob man keine Austern will - sie geben einem das Duzend um 8 S. Man ißt sie aber hier |[29] one Sang u. Klang, keine Citronen - nichts, gar nichts - Heute morgens stand ein Fiacre vor meinen Fenster - er wollte hier wenden, die Strasse ist etwas enge - das Handpferd fiel hin, u. blieb eine lange Zeit liegen, es hatte vielleicht seit langen das Vergnügen des Liegens nicht geschmekt, es blieb auch in der Pfütze liegen - Einige Peitschenhiebe brachten es doch wieder auf. Nach den Eßen machte ich mich auf den Weg zu Allaix - er war noch am Eßen - ich stellte mich unter das Haus - wenn man da so den Wandel vorbey sieht, was oft für sonderbare Menschen vorkommen, u. wie verschiedene Arten von Gottes geschöpfen - ich ging durch die Rue St. Honoré in Palais royal, wo ich Allaix erwartete. mit ihm ging ich in Caffé <Le Foi> du Caveau - hier stehen die Büsten von Piccini, Sachini etc. es geht iedoch auch hier nicht sonderl. laut zu. Kein Redner des Caffés, kein Mann von Ansehen, um den sich ein gelehriges Auditorium drängt - Wir tranken Caffee - nach den Caffee trinkt der Franzose allemal ein Glas Waßer - dahinein thut er bald etwas Caffe, bald Zuker oder nimmt er ein Gläschen Liqueur um 3 S. und thut etwas davon in s[eine]n Caffee - alles aus Mode, one Grund. Iezt suchte ich mit Allaix ein Quartier aus - ich wünschte sehr nahe bey ihm auf den freyen Platz, der dort ist, eines zu haben. Es sind aber nur 2 Zimmer one meubles da - ich hatte fast Lust mich selbsten zu meubliren - In einer anderen Gasse Rue Quincampoix sollte ich 4 Stokwerk auf einen Hof hinauf steigen, das mochte ich dann doch nicht, so mit Furcht u. Zittern allemal zum Haus ein u. ausgehen |[30] Iezt merke ich erst, wie viel dazu gehört um gut Französisch zu sprechen, ich werde mir deswegens alle Mühe geben. Hier u. da trifft man doch Personen an welche Deutsch sprechen - es ist aber meist schlechtes Strasbourger D[eutsch] wo sie es gelernt haben. Allaix ging mit mir nach Hause - er erzelte mir da, wie comode es sich die Architecten hier machen - u. wie sie gröstentheils gar keine Kenntniße der Details haben, u. nichts als einen Plan machen könen. ich begleitete ihn wieder zurük bis an Henry IV. Nach hielte ich mich unten bey der Me Fripiere auf - Neben mir wohnt ein Mensch, der ehedem in Preusischen, in Rupin ware - es ist ein Mann von ungefehr 50 Iahren - er redete mir von einen iungen Duc den er erzöge, u. mit den er reisen sollte - der Mann machte sich an mich, ich, ich suche [sic!] mich zu entfernen - ich kenne sein nicht. Ueber mir wohnt ein Msr de Valois - er war Oberster, sein Sohn hat den Orden - er selbst scheint seinen Verstand vorsoffen zu haben, u. ist alle Abend fast toll u. voll - er verzehrt des Tags nur 12 S. Er trägt einen blauen Ueberrok u. einen grosen Federnhut.

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So um 11 - 12 Uhr herum zieht alle<n> Nacht Musik durch meine Gaße - es ist zwar nur eine Trommel, Geige, ein paar Beken, eine Orgelchen, wie ich in Suhl einsmal eins von einen Franzosen mit Schattenspiel an der Wand hörte - es ist aber denn doch Musik, das das Herz der Franzosen erfreut, wenn auch gleich nur Murmelthiers Musik. |[31] d. 14t Oct. Nach und nach werde ich schon gewohnter an alle das Lermende, das mich in Anfang beunruhigte - Verhaßt ist mir iedoch immer das Ausrufen von denen Verkäufern, die durch die Straßen gehen - besonders der Waßerträger - die mit einer unansehnlich unangenehmen Stimme rufen à l'eau, die dehnen das o und endigen es sodann mit einer ganz feinen Stimme in io - à l'o-io. So ist es auch wenn man auf einen Markt vorbey geht, wo die Stimen der Höker ein ganz erschrekliches Concert geben. noch kann ich sie nicht verstehen. Indeßen sehe ich hier sehr unappetitl. Stükchen - So reiben sie von Zeit die rothen Aepfeln, die sie zum Verkauf in ihren Körben haben, ganz emsig auf ihren entsezlich zerrißenen, zerlumpten u. schmutzigen wollenen Unterröken, daß sie glänzen sollen. Ich ging auf die Post um wegen des Chev. Berry seinen Brief zu fragen, nachdem ich hin und her gesucht hat, kame ich endl. linker Hand wenn man in Hof tritt eine Treppe hoch ins Bureau du depart. ich sollte indeß den andren Tag morgens wieder kommen. Von da zur Mde König - Quai des orfevres Nro 24 - ich übergab ihr den Brief von Strehle. Sie nam mich sehr höflich auf - es scheint eine artige Frau u. auch ein guter Mann zu seyn, ich werde ihre Gesellschaft fleisig suchen. Es kam <hier her> zu gleicher Zeit ein gewißer Herr Antaing ich hatte schon von ihm gehört, one ihn zu kennen, er ist es, der mit den geringen Talent Silhouetten zu machen, sich ein Vermögen von 200000 Livr. gemacht hat - er ging nach Rußland und lies sich da sehr gut bezalen - Iezt ist er auf einige Zeit in Paris gewesen. Er hat zwey iunge Leute bey sich, die ihn eigentl. seine Sachen führen, denn er kann nichts, als die Silhouetten von den Person abnehmen - einen kenne ich sehr wohl - er ist Mettang aus Studtgard. Nun retirirte ich mich wieder in mein Kosthaus - wo in kurzer Zeit der Tisch zimlich voll wurde, unter andern kam ein iunger Abbé in einen grauen Ueberrok mit weis und roth |[32] gestreiften trillichen Matrosen Hosen - Man sprach in Anfang von Msr Neker - das sehr schwer es für ihn seyn würde, die Unordnung in den Finanzen zu steuern etc. unser Abbé fing das Gespräch mit an, u. hob es auf, nach und nach kamen sie weiter zurük - in die älteren Geschäfte Frankreichs - der Abbé mochte etwas davon wißen, und redete zimlich dictarisch. Der Mann indeßen mit den braunen gallonirten Kleide, der schon gestern da gewesen, u. wieder da war, überwies manchmal den Abbé grosen Fehler und schikte ihn <endl.> ettl. mal sehr schön nach Hause - ein anderer oben an der Tafel gab auch manchmal den Abbé etwas ab, u. so kam unser Männchen sehr ins Gedränge, oft half er sich durch ein - Garçon apportez moi tel ou telle chose - der Mann in Gallonirten Kleide schien indeßen viele Historische u. Cronologische Kenntniße zu haben, ob er gleich vielleicht Pedant dabey sein mochte. Nach den Eßen ging ich mit meinen Hausnachbar, der auch da gegeßen hatte ins engl. Caffeehaus - ich traktirte ihn mit Caffee u. Liqueur u. sodann zu Allaix - er hatte Geschäfte, ich muste daher mit ihn gehen, gegen das Quai Dauphin von da aus sieht man die Fläche der Seine weit hinunter gegen die Barriere. Nun suchten wir unsere unmeublirten Zimmer auf den grosen Platz auf - die Treppe ist aber gar zu schlecht, auch nicht das geringste in den Zimmern, sogar neue Fenster hätte ich zu machen. Nach machte ich einen Besuch bey Mde Meyer - née Baer, ich hatte einen Brief an sie, ich traf eine sonderbare Frau an, <sie> in wie fern könnte ich denn doch nicht sagen, doch schien sie mir gut zu seyn. Ihre Tochter spielte deutsche Liederchen - Am Rhein etc. Sie sang dazu. Mde

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Munich kam, ich entfernte mich kaufte noch Papier, u. ein Buch zur Rechnung u. ging von Mde Ravoise aus nach Hause. |[33] d. 15t Oct. Schon seit 3-4 Tagen ist es des Morgens immer kühl, das Wetter ist indeßen sehr schön, ongeachtet deßen sind die Strassen immer schmutzig, und man kann nicht durchkommen, one besprizt zu werden. Ich war des Morgens bey Harwey, besahe sodann einige Boutiquen von denen alten Bücher die längst dem Gebäude der Münz hinunter standen. Es ist alles untereinander - Jurisprudenz - Historie, Theologie und hauptsächl. Romane u. Brochure de jour. Man kann oft ein gutes Buch um den geringsten Preis haben. Meines Nachbarn Namen ist Marechall. mit ihm speiste ich in einen Gasthaus neben meinen Duvall - man zalt 2 S. mehr u. ist nicht besser, neben dem, daß ein erschreklicher Gestank von der Strasse in der Stube ist. Neben mir sas ein Franzose, der 6 Monate nur in Deutschland gewesen war, in der Gegend von Zweybrüken - er sprach das deutsch ganz artig - es ist noch ein iunger Mensch von ungefehr ettl. 20 Jahren - er kannte die deutschen Dichter u. wuste sogar einige Liederchen auswendig. Z.E. dieses wie grose Fortschritte unsere Muttersprache u. Litteratur in Frankreich macht. Sie hat aber noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Die Commoditat, die die Franzosen haben, in der ganzen Welt mit ihrer Sprache durchzukommen, macht sie dann sehr nachlässig das Deutsche zu lernen, und vom Hörensagen lernt man wahrhaftig keine Litterarische Solide Kenntniße. Nach den Eßen traktirte mich mein Nachbar Marechal in Caffee des rendez-vous wieder mit Caffee u. Liqueur wie ich ihn gestern. Wir spielten 2 Parthien Schach, er konnte es fast gar nicht. Nun suchte ich Allaix auf, bey M<d>e Ravoise - ich suchte mit ihn ein Logis, fande aber wieder keines - entweder |[34] sind die Zimmer in 5t Stok, wo man oft durch 3' Breite, schmutzige finstere Stiegen sich auser Odem steigen muß oder sind sie niedriger und entsezlich theuer, auch zu klein, oft unausmeublirt - kurz es fält schwer, <sich> ein Logis hier zu bekommen, das one uebermäsig theuer zu seyn, doch auch nicht ganz unbequem ist. Abends ging ich zu Mde König - ich gefalle mir sehr wohl in den Haus - ich redete von der deutschen Litteratur - u. mit vieler Feinheit redete sie auch davon, ungeachtet sie nicht viel deutsch liest. Es kamen einige ihrer Anverwanden - Man redete von Frankreichs Handel - wie unbegreiflich viel Frankreich durch die freye Einfuhr der engl. Waaren verloren habe - wie alles hier iezt englisch ist, u. die Grosen des Hofes durch ihr Beispiel ihren National Handel sehr viel schaden. So soll der Herzog von Orleans nichts an sich haben als was englisch ist. Englische Maitressen - Bediente, Pferde, Hunde, Gärten etc. bis auf die Küchenmagd hinaus. Neker sagt man, werde durch Hofcabale sehr gedrükt. Es sollen 2 Lutherische Predigt Säle hier seyn - beim Dänischen u. schwedischen Gesanden - In die carêmes predigen die besten Prediger - die Affiches zeigen es an, es wird öffentl. angeschlagen - der Platz kostet oft von 12-30 S. Von denen Revenuen bezalt dan der Aufseher der Kirche (der Mesmer) den Geistl. oft die Predigt mit 5 - 1000 Livr. <Vorgest> Gestern Abends um 11 Uhr soll wieder eine Schildwache des Guet auf den Pont neuf ins Wasser geworfen worden seyn - das Volk ist äuserst erbittert auf die Leute. Sie haben aber auch, wie man sagt, viel Unglük gestiftet. u. sehr viele Unschuldige Leute bey den lezten Tumult verwundet, wärend, daß sie die Canaille verschont haben. |[35] Es war der Marquis von Nelle einer der ältesten M. von Frankreich, der bey den lezten Tumulten von den Guet blessirt wurde, als er über den Pont neuf ging - Es ist eben der Marquis, <ders> der, als er vor ungefehr 1 Jahr aus der Comedie française mit der Actrice Rocourt nach Hause fuhr in einen Cabriolet, u. sich über die Seine setzen ließ, das Unglük mit seinen Pferd anrichtete - es wurde scheu durch das Rollen des <Rades> Seiles an Schiff - sprang ins Waßer - riß 4 Arbeiter mit sich hinein, u. den Bedienten der Rocourt, der es an Zaum hielte. Sie

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ersoffen alle 5. Keiner an Ufer wagte sich ins Waßer sie zu retten - ein besoffener Kerl stürzte sich hinein - allein man muste ihn selber wieder herausziehen. Die Cabriolets mit ein Pferd sind die gefärlichsten für Fußgänger. Sie rennen daher in stärksten Trap -oft führen sie Frauenzimmer, wo selten ein Bedienter hinten darauf ist, wie ist es nur möglich, daß sie das Pferd bey entstehender Verwikelung so leiten können - wie sie es wollen - Ueberdem sind ihre Stimen viel zu schwach, als um ein vernemliches Gare auszurufen. Für die Fiacre hat man sich nicht so sehr zu fürchten. Sie sind vorsichtiger u. die Constitution ihrer Pferde erlaubt Ihnen auch nicht so schnell zu fahren. ||[1] den 16t Oct 1788 In der Rue St. Anne hotel d'Artois traf ich endlich Mettang an, er nebst noch einen andren Menschen aus Gotha sind dann bey dem Antin und bringen die Silhouetten, die er in denen Häusern hier und da abnimmt ins Kleine und versehen sie mit einer Einfaßung und Zeichnung, die sie ins Auge fallend macht. Mettang hat des Jahrs 500 Fl. und auser der Kost, alles frey. wie beträchtlich muß also der Gewinnst seyn, den dieser Mann, der nichts, als ein scharfes Auge hat, und eine Gabe sich geltend zu machen. Ich name Mettang mit in zu meinen Traiteur, und sodann in das Caffeehaus du Rendez vous - Wir gingen sodann ins Louvre um Wächtern aus Studtgard auszufragen - er malt bey Regnauld einen bekannten Maler - er war noch nicht da - kam iedoch in einiger Zeit - wir warteten unterdeßen unter den Portal gegen die Rue St. Honoré - Wächter soll sehr weit avancirt seyn, besonders in der Zeichnung, bis iezt hat er auch nichts anders gethan, als gezeichnet und es sind gegen 4-5 Jahre daß er hier ist. Sein äusserliches ist freilich nicht anziehend und sogar frappant wegen seiner wenigen Sorgfalt die er darauf wendet - um keine Zeit für seine Kunst zu verliren, man müste suchen, ihn verliebt zu machen, und dadurch zu mehrerer Reinlichkeit zu gewönen. Er ging mit mir in die Rue St. Denis um ein Logis zu suchen; Wir fanden wirklich eines in den Hotel à la croix de Fer vis à vis de l'eglise de S. Inn. Wir gingen zurük ins Louvre - unter den Portal gerade gegen über der schönen Façade - ist ein Kupferhändler, der vortreffliche Sachen hatte, unter andern verweilte ich mit Vergnügen für ein paar Architektonische Zeichnungen in bunter Manier - eigentl. waren sie fein radiert und <mit> sodann sehr gosteus illuminirt. Ein anderer Mensch kam auch, sie zu betrachten; da uns ein Gegenstand fesselte, so war es natürlich, daß wir durch diesen Berührungspunkt Bekannte wurden - ich ging mit ihn in Palais Royal und er gab mir seine Addresse. Roché ches Msr Louis Architecte. rue de Choiseul près le Boulevard. |[2] Er ist in des Louis Geschäfte in Bordeaux, nachdem ich einige Zeit in Pal. Roy. herumgeloffen war, wo die Menge Menschen wegen den schönen Wetter sehr groß und ansehnlich sich iede Minute vermehrte - ich kehrte nach Hause zurük, und legte mich bey Zeiten zur Ruhe. den 17t Ich ging zu Harwey, um die englische Stiefelschäfte zu kaufen, ich traf ihn nicht an, auch nicht da, wo er arbeitet - nun ging ich zu Gambs - Prediger beym schwedischen Gesanden. Dieses ist ein allerliebster Mann in Umgang - er spricht gut und mit viel Ausdruk, sein Umgang scheint herzlich, theilnehmend er empfing mich sehr wohl, ich hatte für ihn einen Brief von Strehle - er lebt hier mit seiner Mutter einer guten ehrlichen Elsässern u. seiner Schwester. Wir redeten von Franzosen und Deutschen. er sprach mit vieler Richtigkeit von Werthers Leiden. Fr. v. Laroche ist nicht seine Freundin - Er war so gütig mit mir zu einen iungen Carlsruher Architeckten zu gehen, u. deßen Vorsorge für mich in Architektonischen Fache zu bewirken - wir trafen ihn nicht an, er bestellte deshalb, daß er des Abends zu ihm kommen sollte, und invitirte mich auch auf einen Sallat. Wir gingen miteinander durch das Palais de Justice - Ich vermutete nichts weniger als grosen Platz inwendig - war daher sehr frappirt unter grosen Bogengängen auch Häuser und Verkäufer zu finden,

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und in denen Vestibulen das hin und herwandern der Personen die theils bey dem Parlament, (denn hier ist der Sitz deßelben) angestellt sind, theils etwas da zu suchen haben. Wie bangte mancher vielleicht für den Augenblik der Entscheidung und wie übten sie sich wohl in Auf und |[3] abgehen, wie sie ihre Sache vortragen wollten. Es war ein Gesumse in den grosen Saal. Das sich durch die sonorischen Gewölbe noch feierlicher machte - Ich muß gestehen hier habe ich mehr gefühlt, als da, wie ich zuerst ins Palais royal trate. In diesen ist alles nur zum Vergnügen, alles atmet die feinste Wollust in den grosen Gewühle kein ernster kein feierlicher Gedanke durch die Lage, die augenblikliche Lage der Gegenstände wird nicht erwekt - Hier aber erregt der Gedanke, dies ist der Gerichtshof aller der vielen Menschen, die hier u. da u. hier und dort sind, hier arbeiten so viele für iene, die sich nur vergnügen - dieser Gedanke giebt den Gebäude den grosen Vestibulen und Gallerien eine Würde, die sich mehr fühlt als beschreibt. Aus diesen Gebäude heraus kommt man auf den Platz Dauphine wo das Volk <alle> seine Comoedien mit denen ausgestopften Exminister Statuen spielte. - Ich ging ins Louvre um Wächtern zum MittagsEßen abzuholen - der Traiteur ist gleich hinter den Louvre - es stehen zwey lange Tafeln da, die immer mit Menschen besezt sind, geht einer so kommt der andere wieder - Man ißt Suppe - Rindfleisch, u. Gemüß u. Fleisch oder ein Entremet für 15 S. der Wein ist besonders. Es geht aber Salopp da zu - und das Zimmer ist zu enge für die 40-50 Menschen, die oft zu mal da sind. Nach den Eßen gingen W[ächter] u. ich ins Palais R. ich tranke in Caffé le foi eine Tasse - die Kellner oder Garçons mengen sich auch unter die Gäste. Knien oder setzen sich ganz gemächlich auf Sessel hin, und lesen auch die Zeitungen - ich suchte Allaix auf - er hatte in der Rue de Seve zu thun - ich ging mit ihn, und von da die Straße hinaus auf den Boulevard - hier ist man gleichsam auser Paris - die Luft ist merklich reiner und angenehmer - keine Schmutzige Straßen mehr, sondern sogar mehr Staub in den grosen Alleen - kein Geräusch - nur hie u. da ein Mann, der auch frische Luft schöpft. |[4] Links und rechts neu angelegte Landhäuser denn so <nennt> kann man sie nennen, ob sie gleich noch in der Stadt liegen. Wir musterten einige von ihnen durch - ettl. Säulen müßen immer daran seyn, anders thun sie es gar nicht - In den Corniche sind allezeit Modillons - diese machen meistens einen sehr guten Effect - oft aber ist das Haus durch zwey Corniches getheilt, u. da ist die Wiederhohlung der Modillons dem Auge lästig - Es wurde etwas dunkler - wir gingen immer zu - links erhob sich langsam der Dom der Invaliden - wir kamen immer näher dem Gebäude, das Frankreich so viel Ehre macht, wo es seine alte Krieger belohnt, und sie beßer wohnen macht als selbst der König nicht wohnt. Da wo wir wieder in die Stadt einlenkten hat eine Frau ein Caffeehaus angelegt - Wir gingen hinein, um auszuruhen, u. Erfrischung zu nemen, und waren sehr froh als wir hörten, daß es Punsch gab - Man brachte uns nach einiger Zeit eine Pole in zwey Terminen - iedesmal ungefehr so viel als ein nicht groses Thenäpfgen faßt - er war von Eau de Coignac gemacht, u. nur eine Citrone dabey - Anstatt des Zukers Zider - Indeßen amusirten wir uns doch dabey - er war nicht theuer, ich bildete mir wenigstens 6 Livr. ein, es kostete nur 30 S. Von da gingen wir, bis an die Rue de Bacc, dann lenkte ich rechts ein, u. trafe Gambs an - wir redeten von diesen, von ienen, und wurden ganz vertraut - Sein Abendeßen war nur ein Eyerkuchen u. Sallat, als eine besondere Speise - es schmekte mir indeßen herrlich. und ich brachte einen vergnügten Abend daselbst zu - der iunge Mensch war nicht gekommen - Er sagte mir von Baron v. Stahl, der die Tochter Nekers hatte, daß es ein weiser guter, gefälliger Mann seye. Von Neker, er seye kalt u. zurükhaltend, doch habe er <ihn in einen> Tränen in seinen Auge gesehen als er das Kind, den Enkel Nekers getauft habe - dankbar habe Neker ihn sodann die Hand gedrükt. Gambs beschriebe die Auffahrung Maria in der St. Sulpice von Pigalle sehr schön u. blühend.

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|[5] den 18t Um Rieger anzutreffen ging ich um 10 Uhr aus - auf den Boulevard, bey den Chinesischen Bädern besonders trafe ich viele Reitende an. Ein fr. Soldat, wahrscheinl. von Versailles geschikt iagde vorbey - Arme und Körper und Cadogan und alles flogen - bey ieder Bewegung des Pferds von allen Seiten hinaus - 4-5 andere Reiter ritten ganz langsam neben mir her spazieren - Es war nichts sonderliches von Pferden dabey - ich war schon müde die Reiterey zu sehen, als plözlich, wie ein Gedanke ein englischer Jaquet von ungefehr 9 Jahren, u. nicht zu gros vor sein Alter vorbey flog - der Junge ritte einen grosen <Schwarz> ins weisliche fallenden Rothschimmel - einen engländer, in einer leichten Trense, der Sattel war ganz glatt u. immer sichtbar, so schwebte der Junge ein bisgend vorliegend und unbeweglich in den Steigbügel stehend vor mir vorbey - An der Eke der Rue commartin lies ich meine Schuhe putzen, ich gab 2 Liard u. 1 Liard für die Schnallen zu putzen - der Kerl warf mir die 2 L. für die Füsse - er sahe, daß ich ein fremder ware - allein ich ging meiner Wege, u. er stekte seine 2 Liards ein. ich traf Riegern nicht an - Sein Sohn war seit 4 Tagen gekommen. ich war sehr hungrig, u. machte, daß ich in ein Kosthaus, den gestrigen, kam. Von da holte ich Allaix ab -ehe ich ins Kosthaus ging - sezte ich mich in Palais royal unter das Zelt beym Caffé du caveau - und sahe da die müssigen Pariser vor mir vorbey spazieren - es sind wegen den Semester viele Officire in der Uniform hier, daß sonst etwas ungewönliches ist. Ich ging mit Allai wieder ins Palais royal um au caveau eine Tasse Caffee zu trinken, sodann gingen wir wieder gegen das Boulevard hin spaziren. Es sind einige schöne Häuser da, besonders ist das Hotel einer Mde Teluson die nun gestorben ist, von |[6] Boulet, der für den geschiktesten Architeckten hier gehalten wird. Mehrere Häuser zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich, - besonders ein ganz neues erbautes Franziscaner Kloster - es war one Pracht und stark - vielleicht zu stark - es waren toscanische Säulen one Basen nach einer krummen Linie veriüngt - Wir schauten einen Augenblik hinein - inwendig herrschte ein Portique viereckickt um einen kleinen Garten - An der Königl. Biblioteque vorbey - von ausen ist nichts daran. Der Stall von Herzog von Chartres soll schön seyn - von ausen macht ein sehr groser und schöner Bogen den Eingang aus. Wir eilten uns noch einen Platz in denen Varieté zu bekommen - Auf den Parterre u. auf den Amphiteater kostet der Platz 30 S. ist kein Platz mehr da, u. das Stük ist noch nicht angegangen, so geht man wieder heraus, bekommt sein Billet u. an der Thüre den Geld wieder zurük - Das Theater ist nicht gros - es faßt höchstens 3000 Menschen - es sind nur 2 Logen die sich hinten in einen halben Zirkel endigen - wo denn ein Amphiteater ist, - die Logen sind deswegens hoch übereinander und ihrer nur zwey - In der Mitte hängt ein groser Kronleuchter herunter mit 10-12 Arcantischen Lampen. Man spielte Les deux filles - Es war ein neues ganz kurzes Stük, das nicht viel sagen will, u. zimlich langweilig, zum Glük aber kurz ist -das Publicum ist äuserst unartig - alle Minuten fing es Lermen an das häufige Paix donc, und das Klopfen mit den Stöken vermehrten nur den Lermen noch mehr - ein paarmal riefe eine Stime - Point de cabale - la Cabale - |[7] das Stük ist aber auch in der That sehr glatt - 2 iunge Mädchen - die eine lebhaft wird von ihrer Mutter geliebt, die andere still und furchtsam wird es weniger oder gar nicht. In diese verliebt sich ein iunger Mensch - er verstekt die Mutter, um seiner geliebten gute Eigenschaften iener kennbar zu machen, u. ihr der Mutter Liebe zu wege zu bringen. Nun kommt die erste - er erklärt ihr, daß die Mutter alles verloren habe (ein so oft wieder holter Kunstgriff) sie erklärt, daß sie unmöglich so leben könne, sie würde sich nicht zur Arbeit entschliesen - die andere giebt sogleich ihre Uhren und alles her, um ihrer Mutter zu helfen, die Mutter stürzt aus den Cabinet - sie embrasiren sich der iunge Mensch heirathet - die andere Tochter wird ausgeschmäht, u. das ist dann das ganze Stük. Das

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andere ist auch ein neues. Le Mariage de Dumont. Die Sucht einen grosen Namen zu haben verleidet einen Mann der von geringer Herkunft sich aber einen grosen Reichthum erworben hat, seine Tochter dem Sohn einer Marquise zu geben, die ihn die gröste Sottisen über seine Herkunft sagt - der Bruder des Kaufmann ein Bauer der einfach und natürlich ist, kommt zum grosen Unglük des Kaufmans in goldbebrämten Rok ins Haus - die beiden Personen contrastiren sehr gut zusammen - die Rolle des Bauern wurde von Bordier einen sehr geschikten Acteur gespielt - Indeßen kommt den Kaufmann sein Vermögen, das in Papieren in einer Brieftasche bestund bey einem Brand weg - nun geht er in sich, sieht seine Thorheit ein - verheirathet seine Tochter an Dumont den Sohn seines Wohltäters - endl. erscheint auch der iunge Marquis, der edel und gros handelt, die Brieftasche mit Gefahr gerettet hat, u. sie nun übergiebt. Das Stük hat schöne Scenen - das Publicum schrie auch unaufhörlich - l'auteur - er erschien nicht - Bordier kam hervor und sagte, daß das Stük one Namen zur Entreprise eingeschikt wurde. |[8] Es spielte in den Stük eine actrice, die entweder das erstemal spielte, oder die das Publicum nicht liebt, es entstand so oft sie erschien, ein Gesumse u. ein Gehuste u. nach u. nach ein Lermen - wie es solchen Person mach zu Muthe seyn - öffentl. da gerichtet zu werden. Sie spielte aber auch nicht gut in Anfang - nur nach u. nach als sie ins Feuer kam, glükten ihr einige Stellen - das Publicum war nicht ungerecht - es klatschte nur desto stärker. Das 3t Stük war Jerome Pointu - wo Volange ganz in seinen Fach als Jerome Pointu ist - er spielt wirklich die kleineren Farce Rollen vortreffl. [?] ich sahe ihn schon vor zwey Jahren in Strasburg. Die Ouverturen der Musik gefielen mir nicht ganz. Hier u. da kam ein Italienischer Gedanke, dann wieder eine ganze Reihe französischer Läufe. Die atricen spielen vortrefflich - declamiren sehr gut und haben eine Leichtigkeit in agiren, die wir Deutsche freilich nicht haben. d. 19t Fast gegen <Mittag> ½2 ging ich aus zu Mde Maier wo ich zum MittagsEßen invitirt wurde - Nach den Eßen gingen wir miteinander spazieren - der Mann dient in einen engl. Bureau u. hat das Jaar 4000 Livr. Die Frau führt das Magazin für Schuhe - die Tochter ist ein artiges Mädchen, wenn gleich nicht schön - als wir über den Platz gingen, wo sonst der Kirchhof ware, standen eine Menge von 2-300 Menschen zusamen in Kreis - in der Mitte des Kreises war Bewegung mit den Händen ein iunger Mensch wurde sehr gemishandelt - er schlug sich durch den Kreis hindurch u. lief was er laufen konnte, die ganze Versamlung hinten dran - er verbarg sich hinter uns - ich wollte mit seiner annehmen allein die Leute liesen sich nicht wehren überdem schrien sie alle Mouchard, das den alles Mitleidt für ihn in mir erstikte. |[9] Wir gingen durch das Pal. R. in die Thuilerien - es war etwas kalt daher die Menge Menschen nicht ansehnlich - Von da zu Munichs - es fing an spät zu werden - Hier sezten wir uns alle um das Camin herum tranken Caffee, u. nach diesen lase ich ihnen das 4t Stük der Sch. Thalia vor. Sie schienen Vergnügen daran zu finden. Die Munich scheint ein gar gute biedere Frau zu seyn. Um ½9 Uhr gingen wir nach Hause. Es war eine grose Versammlung Menschen um das Haus herum -ein Mann war in Gefecht mit seiner Frau, die nicht nach Hause wollte. Bey solchen Gelegenheiten versammlet sich immer ein Zirkel um die streitenden Parthien - es ist wirklich interressant zu hören wie sich zwey Franzosen in ihrer Sprache schimpfen - eine solche Geläufigkeit der Zunge trifft man gewiß bey den besten Sänger nicht an und ihre Ausdrüke - besonders interressant sind diese Art Scenen bey den Obstweibern. d. 20t Ich besuchte Riegern - der Sohn ist angekommen - er scheint sich mit mir zu allerhand Parthie de plaisirs vereinichen zu wollen, ich werde aber dafür danken. Ich ging ins Palais Royal nach den

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Eßen, wo ich mir des Eis sehr wohl schmeken lies - gegen Abend besuchte ich Mde König - sie war nicht zu Hause - ich bliebe doch gegen 1½ Stunden da u. spielte mit den Kindern Charles u. Louise - Gegen 5 Uhr ging ich nach Hause um mit Antin Briefe fortzuschiken. Ich schriebe an <Deant:> Deahne, meine Schwester, Caroline, Schiller u. Döll - u. August - bey lezteren Brief erneuerte sich in mir der Schmerz über den Verlust meiner Mutter - ich wurde äuserst bis zu Tränen gerührt durch die Gedanken an ihre lezte Stunden - |[10] d. 21t Ich ging um 8 Uhr aus um Rieger zu besuchen - ich traf ihn nicht mehr an, weil ich vorher bey Mettang war, wo auch Heideloff hinkam, ich wurde indeßen dort zum MittagsEßen gebeten. Als ich um 2 Uhr hinkam war eben ein Lehrer in Trictrak da - dieses ist wirklich das Modespiel - grand Trictrac à écrire - diese spielen die Pariser Damens in den grösten Zirkel. Man zalt denen Lehrmeister für die Stunde 3 - einen anderen 6 Livres - Nach dem Eßen sezten wir uns um das Camin herum - Rieger erzälte von der <x> außerordent. Unverschämtheit derer Damen, mit der sie Equipage etc. entlehnen. Sie misbrauchen ganz die Complaisance, so die Männer in Frankreich mehr als an ieden andern Ort für sie haben. Ich ging gegen Abend mit den iungen Rieger ins Palais royal - er war besonders aufmerksam auf die schönen Gesichtergen, die da vorbey defilirten und hatte grose Lust mit Ihnen zu gehen wozu er mich dan auch zu bereden suchte. Ich erklärte ihn aber ganz rund heraus, daß ich nach Paris gekommen wäre mich zu beschäftigen, und nicht damit anzufangen, Vergnügungen zu suchen, die mich zerstreuten, u. meinen Beutel u. Gesundheit nachtheilig wären - er hatte sich betrogen, den er glaubte in mir einen Gesellschafter zu finden, der mit ihm alle Winkel der Wollust durchsuchte - u. deswegens schien er zuvorkommend als ich das erstemal bey ihm war. Ich ging noch mit ihm in einige der Berüchtigsten Straßen um den Palais Royal herum - Es ist war - die Ausschweifung ist auf das höchste gestiegen - Man macht sich keinen Begriff davon - Man kann kaum 6 Schritte thun, one |[11] angehalten zu werden. Alte Maquerellen zu 4-5 in einer Straße bieten ihre Waare an - die älteste zu 14 Jahren ganz frisch aus der Provinz - schreyen sie eben so aus wie die Obstweiber ihre <x> Birnen à deux Sols - à deux Sols la pièce. Die Dirnen selbsten mit den unverschämstesten Ausdruk den man sich nur denken kann, mit den Auge, in dem nicht Wollust sondern Geldgierde liegt, mit den frechsten Ausdrüken ausgepuzt wie die erste Dame, reisen an Armen einen zu sich. Die Antwort, je n'ai point d'argent sur moi lämt iedoch den Arm mit dem sie faßte. Ich ging zu Mde König - sie war zu Hause - die Frau schien mir heute Abends etwas boshaft Satirisch zu seyn, in dem sie mich wegen Balletty auszuforschen suchte. d. 22t Mein erster Ausgang war zu Harwey - ich trafe sie allein an - sodann zu Mettang, um mit ihm zur Balleti zu gehen - sie war nicht zu Hause, ich liese ein Billet dort - sie wohnt Nro 14 rue de St. Anne. In Palais royal amüsirte ich mich einige Zeit an den vorübergehenden. Ging sodann zum MittagsEßen zu Farget. - Nach diese zu Alaix, in mein neues Quartier - sodann suchte ich des Spanischen Gesanden Hotel auf - Rue de l'université, Harweyen war da zu der alten, die in unserer Reisegesellschaft war, gegangen - ich wollte sie aufsuchen - der Portier wußte aber nichts von ihr, und ich muste mich ganz mißvergnügt hinwegbegeben. Ich ging zu Gambs - u. mit ihn zu einen iungen Architeckten - Ludwig aus Carlsruhe - Rue de Licorne - Hotel de Rome, wo wir eine Pfeife rauchten u. ein Glas Bier tranken. Abends las ich noch in 4t Theil von Mercier Tableau de Paris.

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|[12] d. 23t Heute ging ich endlich aus meinen Quartier - des Morgens ging ich noch zu Harwey - er kam gegen 1 Uhr - ich muste ein Stük vortrefflichen Boffboeuf eßen - dies sättigte mich so, daß ich weiter nichts ase. Um 4 Uhr name ich dann einen Savoyarden der meine Sachen herunter u. in den Fiacre tragen muste - so fuhr ich in mein neues Quartier - den Savoyarden accordirte ich vorher 24 S. und dem Cocher gab ich 26 S. Ich ging gleich nachher zu Gambs - ein Doktor aus Berlin kam hin, auch Ludwig - lezterer enuyirte uns eine Zeitlang durch seine Erzehlung von Reiten u. Reitereyen, die er auf bösen Pferden unternommen. Uebrigens amüsirten wir uns ganz artig. Ich finde, daß ich mit Gambs Charakter sehr zusammentreffe, ich dieses indeßen näher untersuchen - denn oft schliesen wir von einer gleichen Seite auf mehrere gleiche u. betrügen uns eben so oft - ich lase die Scene der Marquis von Posa mit den König vor. Ich ging mit Ludwig nach Hause, es mochte 11 Uhr seyn, u. lase noch in Tabl. d. P. IV. d. 24t Ich lase einige Oden in Klopstok, sie <ge>fielen mir so auf, besonders die von Ebert erregte ganz die Erinnerung an meine todte Mutter, daß ich in den Zimer stark auf und abging und vielleicht unwillkürlich agirte. Meine Pistolen lagen auf den Camin etwas knapp - ich fürchtete, sie möchten herunterfallen, durch das auf und abgehen und legte sie auf den Tisch. Dieses alles musten gegen über arbeitende Handwerksleute gesehen haben, den es kame eins um das andere auf mein Zimer, einer holte die Stiefel zum putzen, ein anderer brachte sie wieder - endlich kam auch die Hausfrau, u. wollte meine Pistolen aufheben. Ich glaube die Leute glaubten gar ich wollte mich erschießen, wozu ich dan bis iezt noch sehr wenig Lust bezeige. Des Mittags speiste ich an der Table d'O. - es war Freitag, bekamen also Fastenspeise - es schmekte mir nicht, mir gefällt die Einrichtung, wo ieder das verlangt, was er will, u. seine eigene |[13] Schüsel hat, beßer - nebst noch einigen Frauenzimern speiste ein Abbé ein Portugiese aus Gou mit - er sahe schwarzgelb aus, hatte aber ein schönes Profil besonders eine sehr schöne Nase u. keinen aufgeworfenen Mund. Nach den Eßen suchte ich Allaix auf u. da ich ihn nicht fande ging ich wieder zu Maier, der Gesandschafts-secretair von Graf Mercy <?> HE. v. Blumendorf kam hieher, ich lase vorher in 5t Theil der Thalia. d. 25t Um 8 Uhr schon besuchte ich Allaix - von da ging ich zu Harwey - u. aße bey Farget. Um 4 Uhr kam Allaix zu mir - wir fochten miteinander - ich ging sodann mit ihn in sein Haus - und um 7 Uhr zurük zu mir. In den Hotel wohnt ein iunger Engländer von 15 Jahren - er kann kein Wort anders als englisch, ich kann es nicht - Wir sezten uns zusammen in sein Zimmer, er machte Feuer, ich lies Wein holen und nun unterhielten wir uns, freilich oft mit Hülfe der Federzeichen u. Lexicon, indeßen ging es doch - Wir lasen miteinander - er will sich aufs Mahlen legen Lewis ist sein Name. ich fing heute abends auch an, das Buch über die Baukunst zu übersetzen. d. 26t Mittags speiste ich bey Münichs - da er mit in der Entreprise des Vauxhals steht, so darf er auch Billets austheilen. Es kam ein Mädchen in seidenen Rok, sehr schön frisirt herein, und bate Münich um ein Billet - ich stand ehrerbietig auf u. verneigte mich gar tief - Wer ist die Demoiselle - meines Mezgers Tochter -war die Antwort - wohl zu merken kein Anzug einer Courtisane, sondern nur eines ehrlichen Bürgermädchens - Ich ging mit Munich in Palais Royal, da wir Balletti nicht antrafen - und von da in Vauxhall - Es ist dieses mir imer ein sehr angenehmer Auffenthalt, ich will suchen ihn hiermit etwas näher zu beschreiben. |[14] u. [15] vakat

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|[16] d. 27t Mittags bliebe ich u. speiste zu Hause. Nachmittags ging ich zu Allaix und kaufte mit ihn einen Huth - einen Ofen - wir suchten unsern Schneider in einen entlegenen Gäschen auf, mußten ett. Hundert Staffeln ersteigen, und doch war die Mühe umsonst - Bey einer Boutique Kupfer à 4t Sous la pièce lasen wir einige Stüke heraus, gingen sodann nach Hause, machten ein Feuer in Camin, und rauchten dazu ein Pfeifgen - <Des Abends sp> Nachdem speiste ich noch an meinen WirtsTisch mit den Portugiesen und einen Flamländer <Abbé> Etudiant, der wegen denen Unruhen auf der Universität sich hieher begabe, um zu studieren. - Wir geriethen mit den Abbé in Streit über die Vorzüge der Alten gegen die neueren; er behauptete leztere - besonders sagte er, daß er nach vielen Untersuchungen die ihn Anlaß zu einer Abhandlung in Portugiesisch gegeben hatte gefunden hätte, wie unserer Musik sehr elend u. schlecht wäre, gegen die der Alten - Er konnte nicht viel Französisch ich mußte daher seine Gründe entbehren. d. 28t In den Caffé Dauph. rue St. Denis trank ich eine Tasse schlechte Chocolade - von da ging ich durch das Palais Royal zu Mettang - um die Halle herum; da sasen schon die Freudenmädchen in ersten, zweiten Stok, je nach ihren Verdienst folglich ihrer Schönheit unter den Fenstern, prächtig und mit Geschmak gekleidet, und vielleicht keinen Bißen in Hause. Ein Mädchen bettelte unlängst einen meiner Freunde um 12 S. zu einer Bavaroise an, sie habe den ganzen Tag nichts gegeßen - es war in Palais Royal, und das Mädchen hatte 2 goldene Uhren - Mich amüsiren immer die Obst-Fisch- u. TrödelWeiber, wenn ich über die Märkte gehe - solche Drachenphysiognomie habe ich doch noch niemalen gesehen, und wenn sie ihren lieb. Mund aufthun - eine solche Volubilität der Zunge, eine solche Sprachkenntniß, einen so langen Athem - Nachdem MittagsEßen ging ich mit Allaix zu meinen Schneider, und dann zu Mde Meiern. Nach einiger Zeit kam auch Gambs. Wir disputirten hin und her über |[17] Don Carlos - über die Franz. - Poeten - Tragiker etc. Blumendorf kam endl. auch - Wir blieben da bei den Abendeßen. Ein Pariser Abendeßen in dergl. bürgerl. Häuser heist eine Schüsel mit Fleisch - entweder eine Gans, oder Gans etc. dann einen Sallat, den man nicht wie bey uns zum Braten, sondern als ein Besonderes Gericht ißt. Daneben Wein und oft ein paar Bisquit, oder eingemachtes zum Desert. Wir waren munter - Gambs Hauptzug ist dan doch, durch seinen Verstand und besonders Witz zu glänzen, durch lezteren glaube ich, macht er sich viele Feinde. - Abends trafe ich nicht einmal ein zubereitetes Bett an, worüber ich dann nicht wenig Lerm anfing. d. 29t Heute morgens sezte man mir meinen Ofen - die Röhren ließ man entweder unter den Camin hinein gehen, oder man macht sans façon in einiger Höhe eine Oefnung ins Camin - es sind Stüke von 16 Zoll à 20 Sols - eine <?> gilt für ein Stük - das <?> auch für eines - ich brauchte 10 Stüke - mittags suchte ich Wächtern auf, um mit ihn zu Mittag zu essen. Er trinkt Tisane, ich ging deswegens mit ihn nach Hause, ich beneide ihn in geringsten nicht um seinen Trank; er schmekt entsezlich übel; Wächter macht als Maler seinen Weg sehr langsam aber gut - iezt ist er schon 3 Jahre in Paris und iezt erst fängt er an nach der Natur zu malen. Beym Palais Royal vis à vis in einer kleinen Gasse speiste ich zu Mittag um 26 S. Es ist wegen der Kost bey denen Traiteurs angenehmer, man hat unter 18 - 20 Speisen zu wälen, bekommt seinen eigenen Teller, da man hingegen an einer öffentl. Table d'O sich danach umsehen muß und nur mit Anwendung einiger Unverschämtheit oft etwas bekommt. Hingegen ist leztere Kost wegen der Gesellschaft munterer - man fängt meistens mit einander an zu essen, bleibt also die ganze Zeit über beisammen. Ueber

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Tisch wärend den Eßen wird man warm, lebhafter u. so nimt das Gespräch eine allgemeine Wendung. Bey einen Traiteur aber geht es auf immer nur ab. Man trifft entweder die Anwesenden beim Braten, oder kommen andere erst, wenn man ausgespeist hat. |[18] Mit Allaix ging ich nach den Eßen Kupfer zu kaufen. Die Stahlkupfer sind am meisten Mode, um sie aber von der Feine u. von der Güte zu bekommen daß sie nicht rosten, muß man die Garnitur 18 Kupfer à 10-20 Louis d'or bezalen. Man erzälte mir bey der Gelegenheit, daß vor ettl. Wochen der Herzog von Orleans einen englischen Stahldegen um 100 Louisd'or gekauft, um ihn bey einer anderen Gelegenheit iemanden zu zeigen, habe er ihn nachlässig hingehalten, so daß er gefallen und etwas daran verbrochen ist. Der Herzog habe dann den Kaufmann gefragt, ob er ihn wieder machen laßen könnte, der dann sagte, daß er sich genötigt sähe, ihn nach England zu schiken - in Zeit von 6 Wochen sollte er iedoch wieder da seyn. Einige Wochen darauf kam von ungefehr einer von des Herzogs Leuten zu einen Stahlfabrikanten. Er sahe des Herzogs Degen da liegen, u. fragte, was er mit mache. Ein Kaufmann habe ihn zum repariren gebracht, ob er es dann könne? - Freilich wohl, er habe in den Degen selbst gemacht - Wie viel der Kaufmann ihn davor gegeben habe. 12 Louis d'or. Wie es der Herzog mit den Kaufmann gehalten, weis ich nicht. So wie nun dieses eine Betrügerey ins Grose ist, so gehen täglich welche vor in kleinen. Und wenn ein Fremder Schwefelhölzer kaufte, so würde er betrogen. Bey der Madame Meier wo ich Abends war, traf ich Gambs an und Blumendorf. Lezterer scheint ein braver Mann zu seyn, iedoch kommt mir es vor, sähe man ihn noch den deutschen Schreiber an, ob er gleichsam 23 Jahre in Paris ist. Abends muste ich noch Whist spielen, es war die alte Parthie - ich ennuyirte mich sehr mit Mde. Gibler. |[19] d. 30t Oct. Ich suchte Perrodin bey Tourton auf, er war sehr freundschaflich und bate mich zum MittagsEßen - vorher ging ich noch zu Mettang wo ich ein Buch ablegte, daß ich auf den Platz Victoire gekauft hatte. Es ist eine Pension, wo Berrodin ist - mehrere deutsche Strasburger etc - sind da - unter anderen ein französischer Seecapitain, der in lezten Amerikanischen Krieg diente - u. gefangen nach Bristol gebracht wurde - eine Interressante Italienische Physiognomie, ob er gleich Franzose ist - das Clima hat ihn verbrannt. Stahl ein Sohn des Hofraths in Studtgard speist auch da. Hier erfuhr ich, daß Graf Crizky hier ist, zimlich aber in Schulden stekt. Ich trank mit Perrodin eine Tasse Caffee in Chartre im Palais royal - ein Caffee wo sich viele Deutsche versammlen, sodann wieder zurük - Er erzelte mir viel von Balletti - er habe selber Briefe von Wächter ihr zugestellt u. Wechsel bezalt. Bald habe sie gesagt, sie seye schon seit den Januar hier, bald sie seye über Mailand etc herüber gereist. Uebrigens spiele sie ihre Rolle hier sehr gut. Ich bin begierig sie zu sehen. Den ihre Kindbett soll sie sehr sehr mitgenommen haben, besonders sollen ihre Hände nicht mehr schön seyn. Abend zu Allaix - zu Meier - Hier ein Franzose <Lücke> ein advocat, der seine Sprache gut spricht, es aber zu sehr merken läst. Die Franzosen reden so decidirt von ihren Spectacel, wählen ihre <Lücke> d. 31t Ich ging des Morgens gar nicht aus - u. speiste zu Hause -nach den Eßen mit Allaix an Caffé de Chartres - wir tranken Caffee u. Liqueur. Nach dem bliebe ich den ganzen Nachmittag da -bis Abends 10 Uhr - In die Caffeehäuser trifft man meist sehr viel müssiggänger an - vielen sieht man die Langeweile in Gesicht an. Hier sizt ein Schreiber in schwarzen Rok und der grosen Knotenperüke sieht gerade vor sich hin, unbeweglich, die linke Hand auf den Tisch gelegt, die Rechte auf den Knie, Huth u. Stok in der Hand - eine Charackteristische Stellung vieler Müssiggänger. |[20] Diese<r> Canzleyleute, die man hier antrifft, sind meist alte Leute - Manchmal

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kommt ein anderer Page dazu, sie freuen sich herzlich sich zu sehen. Setzen sich miteinander in ein Ek - u. reden weiter garnichts miteinander - dort sitzen ettl. Partien Schach - mancher ernährt sich daran - man spielt die Parthie meist um 3 Livr. Selten umsonst - iunge Leute laufen immer hin und her - Kaufleute trinken eine Bavaroise u. sehen nach den Actien, die an einen Pfeiler unter einen Glas aufgehängt seyn. Der Engländer trinkt Thee - der Franzose sieht zu - u. der Deutsche trinkt was ihm schmekt - Unter diesen Schwarm von Menschen sind nun immer einige Mouchard. Sie sind es meistens, die sprechen, um sie herum als Sprecher versammlet sich die Menge, hier werden propos von schlechten Leuten mit gierigen Ohren aufgefangen. Man kennt diese Leute, die sich überal einfinden nicht. Ein deutscher Banquier - Bachmann - hielte oft in seinen Haus freundschaftl. Gastmale, man redete frey daselbst, weil es lauter Verwandte waren - der Lieut. de Polin ließ ihn einst rufen, u. sagte ihm, sich in Acht zu nehmen, er habe dies u. ienes angezeigt bekommen, was er gesagt, u. sollte ihm Leid thun, wenn er als ein rechtschaffener Man in Ungelegenheit käme -Bachmann sagte dan, daß man es unmöglich angezeigt haben könne, den er rede nur wie er dürfte, in Zirkel seiner Verwandten. Der Lieut. d. Polin entliese ihm u. sagte, er habe überal seine Leute, selbst wo man sie am wenigsten glaube. |[21] d. 1t Perrodin kam zu mir, wir speisten miteinander bey einen Traiteur Rue St. Honoré - u. delectirten uns besonders an die Austern - dieses u. die frischen ungesalzenen Heringe die nur gesotten u. mit einer Butterbrühe servirt werden, sind für uns Deutsche etwas rares. Hier sind sie sehr wolfeil. Vor 2 Livr u. zwanzig habe ich ein ganz 100 Austern. Man ißt sie one Citrone - In Caffee Chartre tranken wir Caffee u. gingen sodann ins Concert Spirituel. Es ist in den Thuellerien. Der Saal wo ehedem die französische Comoedie gespielt wurde, ist ungefehr so groß u. breit als unser Comoedienhaus in Stuttgard - auch ungefehr so eingerichtet. Die Scene ist etwas hoch, so daß die 2 ersten Bänke, die unmittelbar an derselben sind nichts sehen können, auch wenn die Personen stehen. <Es> Das Empressements des Klatschens u. des Beifalls zurufen ist iedoch so groß daß sich die Leute, die da sitzen, aufrichten, auf die Zehen stehen, <und> ihre Hände emporheben u. klatschen, damit nicht nur der Beifall gehört, sondern auch gesehen werde. In den ersten Plätzen kostet es 6 Livr., auf den ganzen Parterre nur 3 Livr. Das Publikum besteht meistens aus gesezteren Leuten, als in den Spectacles - dies sieht man schon, wenn man die Menschen übersieht, und hört es auch an der gröseren Stille, u. an den richtigen, aber nicht ausgelassenen Applaudiren. Ich sase neben Perrodin - hinter mir u. vor mir u. neben mir alle Sprachen - deutsch - Englisch - Russisch, Französisch. Italienisch - von lezterer Nation waren besonders viel da - ein Beweis der Liebe der Italiener für Music. Der Saal ist mäsig erleuchtet - one zu blenden. Aus den ersten Logen stehen besonders die iungen Herrchens mit ihren Maitressen, doch sind ihrer nicht viel darinnen, wie überhaubt gen 80 Chapeaux nur ein Frauenzimmer da ist. |[22] In der ersten Loge ganz vorne stand das As de Pique (c.f.). Die Musici haben meist schwarze Rök an - Die Solospieler dann. Zuerst einige Symphonien - Ich verstehe mich nicht auf die Musik, aber sie scheinen mir gut ausgeführt. Eine war von Hayden. Zuerst kam eine Mlle Warrie auf den Flügel - dann kam Mlle Balleti - schwarz angezogen mit einen weisen Florhalstuch das kreuzweis unter den Arm zusammengebunden war. Sie wurde wie alle Frauenzimmer, die Solo spielen von den Entrepreneur des Concerts hereingeführt. Das Orchester sizt in halben Zirkel, sie stand vornen in der Mitte, die Noten in der Hand one Pult vor sich. Es ist natürlich, daß es ihr sehr bange war. Ein Mädchen obgleich eine Comoediantin, die aber nie anders gespielt als in der Stadt, wo sie gebohren u. erzogen wurde, ein Mädchen, die iezt zum erstenmal in der grösten Stadt, vor den grösten Meistern,

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für einen strengen Publicum singen soll, und dabey den Gedanken, daß sie dadurch ihr künftiges Loos bestimmt, von dieser Viertelstunde ihr Glük oder Unglük abhängt - alles dieses muste natürlich ihre Brust sehr engemachen - sie entfärbte sich etwas, so viel als man vor der leichten Schminke sehen konnte, holte einige mal tief Athem als wenn man nach Luft schnappet. Man merkte es auch, daß ihr in Anfang Athem felte - Nach und nach faste sie sich aber mehr hinein, und sang vortrefflich, ein allgemeines Applaudissemens sagte ihr es - |[23] Nun ist der erste Schritt gethan, und alles gewonnen. Nach ihr kam ein Trio von Waldhörner, man muß die Schwierigkeit des Instruments kennen um die Kunst zu bewundern mit der die Leute wahrscheinl. spielten. Mir gefiel es iedoch nicht. Einer von denen 3en grimasirte sehr, u. wenn das Publicum nicht zum Glük das gebildeste von Paris wäre, so würde man Lermen gemacht haben. Nach diesen ein Sänger aus der Ital. Comoedie - Renard - Er trat mit der unverschämsten u. ungenirtesten Mine, und gurgelte uns eine französische Arie vor von Dieu, misère, humilié etc. Sein Verdienst scheint eine starke Stimme zu seyn, mit der er das Orchester überschrie, zu Bravour Arien ist offenbar die französische Sprache nicht gemacht. Er gefiel mir nicht - seine Stimme hat nichts angenehmes - Nach ihm kam ein Franzose Albel, auf der Violine - ich kann dieses Instrument nicht leiden, war also unwillig über diese Erscheinung. Wie ganz anders aber dachte ich, als er wegging, und wie sehr bin ich ausgesöhnt mit den Instrument - So viel Precision, so reine, lange gleich gehaltene Töne, so viel Anstand, so viel Farbigkeit sahe ich freilich noch nicht - Kirchweih Fidler sind unsere violinisten dagegen. Er spielte lange, ich hätte können einen ganzen Tag zu hören. Der Athem blieb in der ganzen Gesellschaft zurük, man hatte nicht das Herz zu klatschen, um keinen Ton zu verlieren. Es mag ein iunger Mensch von 26-28 Jahren seyn. Wie viel Freude müste es für seinen Vatter seyn, der 3 Bänke davon sase, u. so oft mit herzl. Wolgefallen sagte, c'est mon fils - Wer hätte es den Mann verdenken können. |[24] Nach ihm kam Balletti wieder - sie wurde, wie das erstemal iedoch mit noch gröseren Geklatsche empfangen. Sie sang eine Sentimental Arie vor. Paiqello - Ihre erste Arie eine Bravour Arie von Cygnarelli hatte sie sollen zuerst singen, Cygnarelli war deswegens sehr ungehalten. Sie war auch weit schwerer auszuführen als die lezte. Diese glükte ihr doch ganz vortrefflich. ein leises unwillkürliches Getöse, das aus den in sich selber gesezten Ah entsteht - erregte ieder ihrer ausgehaltenen Töne und ein desto stärkerer Applaudissemens machte Luft. Sie wurde von Msr le epos wieder hinausgeführt - das Applaudiren dauerte immer fort - endlich entstand ein Dacapo daraus, sie war so gefällig alsbald wieder hervorzukommen, und hat dadurch beim Publicum sehr viel gewonnen, wie sie in entgegengesezten Fall verlohren hätte. Sie sang die nemliche Arie eben so schön, u. könnte mit diesen Triumph sehr wohl zufrieden seyn. Ihre Mutter sase in einiger Entfernung hinter ihr. Balletti hat sich aber auch sehr gebessert seit dem sie hier ist, war sie sehr fleißig, und von den besten Meistern unterrichtet, sie hat ihre unangenehme Grimasse mit den Munde verlohren. Sie hat nachher gefunden, daß es ihr außerordentlich bange gewesen, und sie niemanden gesehen hatte, besonders da man ihr nicht erlaubt, einen Pult vor sich zu haben. Nach diesen kam noch ein Chor - ein Abbé trat hervor mit 6-7 Frauenzimmern, u. eben so vielen Sängern, sie sezten sich in halben Zirkel, Abbé stand in der Mitte vor einen Pult, und schlug den Tackt - wozu sind Abbés |[25] aber auch nicht zu gebrauchen -er war selbst Compositeur von diesen Chor, und stand da in seinen serail ganz mit der Mine eines <Ueberwinders ?> - Musikverständigen mag es gefallen haben, mir nicht. So ging das Concert aus, one weitere Symphonie oder sonst etwas. Ich traf Munich, Allaix in meiner Nachbarschaft an, mit erstern u. Perrodin ging ich ins Pantheon - Von ausen kan ich nichts sagen, weil es schon Nacht war, indeßen soviel sahe ich, daß ein Steg für die Kutscher hineingeht, und auf beiden Seiten erhöhten Platten für die Fußgänger - eine sehr nötige

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Vorsicht bey solchen öffentlichen Plätzen. Mir gefällt es nicht so, als das Vauxhall, man ist zu sehr zertheilt es ist enger hier, obgleich die hier u. da angebrachten Oeffnungen in Cabineten, chinesische Gallerien etc oft die allzugrose presse vermindern, u. man eher ausweichen kann als dorten. Auch fällt die ganze Einrichtung nicht so leicht, und so gefällig in die Augen, als in Vauxhall. Die Entrée ist 36 S. - Hier sind dann auch die Freudenmädchens mit ihren iungen Herrns etc. Kurz es ist das nemliche wie in Vauxhall, nur daß kein Feuerwerk abgebrannt wird. Wir gingen noch ins Palais Royal und tranken eine Bavaroise - sodann nach Hause. In der Passage du Laumon auf den Weg - eine ungefehr 8' breite Gasse sind die Häuser, die alle von einer Gesellschaft Kaufleute gebaut werden, niedrig, nur eine Boutique mit einen Halbsgeschoß u. man sieht daraus, wie man in enge Strassen bauen soll, <x> um den Auge die Mühe zu ersparen, in ungewönlicher Richtung zu sehen, um das ganze Gebäude faßen zu können. |[26] d 2t Perrodin holte mich ab, um bey Munich zu speisen, Touret - Mettang u. Wächter u. Heideloff waren auch da - Nach den Eßen führte ich Mlle Munich zu den englischen Reiter Ashley - die übrige Gesellschaft von Chapeaux ging mit. Der Platz kostet 24 S. Wir namen Billets - wir gaben sie aber wieder zurük, da wir sahen, daß kein Platz da ware. Dieses ist eine grose Comodität, man weigert sich in geringsten nicht, überal wo Billets ausgetheilt werden, sie wieder anzunemen und das Geld herauszugeben. Auf den Boulevard trafen wir Mlle Balleti an. Sie sagte mir, ob wir gleich keine Landsleute sind, so laßen sie sich doch nicht decouragiren zu mir zu kommen, viel Stolz. Sie hat sich sehr verändert, und man sieht ihr eben doch die starke Campagne an, die sie in Strasburg gehabt hat. Wir gingen zu Odinot - auch hier war kein Platz - Nachdem wir auf den Boulevard hin und her gegangen waren, kehrten wir endlich nach Hause zu Munichs - ich empfal mich auf der Treppe u. ging zu Mde König - Es war Gesellschaft da - ein Herr Pabst - Banquier, von dem man so eben wegen seinen Banquerott nebst Bachmann so viel redet. <Es ist> der Bruder |[27] der Mde König hat seine Mutter geheirathet, die sich in Worms aufhält. Mde Fries (Schwester von Herrn König) u. ihr Mann, noch ein anderer chapeau nebst seiner Mde u. ein ältl. Mann. Man spielte Berlan ein enuyirtes Spiel von wenig intriguen - Sie spielen hier nicht sehr hoch. Ich coupirte mit - Mde König ist mir eine nicht interressante Frau, sicher aber hat sie Anlage zu boshafter Satire. Ich freute mich sehr nach den Eßen zu erfahren, daß sie Hirsch in Heilbronn kannte. Es war für alle Todten ein entsezliches Geläute. d. 3t Ich war bey Mettang - Touret u. Perrin waren auch da. In Palais Royal suchte ich Crizky auf, one ihn finden zu können - von da ging ich zu Mde Meier - Ihre Tochter spielte mir auf den Clavier verschiedene Stüke von Gluck vor. Sie gefielen mir nicht recht. Schöner sind die Italienischen Arien eben doch. Der Marschall von Pizon wird heute begraben - es ist ein entsezliches Geläufe dahin. Das Palais Royal ist ganz leer - auch alle andern öffentlichen Orte. Man hört von Zeit zu Zeit alle Stunde eine Canone abfeuern - Es wird auch hier nicht abgehen, one daß ein Mensch erdrükt wird. d. 4t Mittags in Palais Royal - gegeßen bey Farget, man brachte mir eine Charte, ich forderte ein Fricandeau à l'oseille. Es war keines da, ob es gleich auf der Charte stand. <Ich besuchte Meyers, Gambs u. Perrodin war da - mit leztern ging ich noch um 9 Uhr ins Palais Royal - wir tranken [?] Punsch, die Pole à 20 S.> Abends war ich in Palais Royal - ich sahe Harwey - Nachts ging ich mit den Flamländer u. Engländer nach Hause.

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|[28] d 5t Ich suchte den Brief an die Mde de Croisé mit denen 6 Louis d'or zu bestellen. In der Strasse Des Menilmontant près du Galant jardinier Nro 8 trafe ich unter andren auch ein Caffeehaus an, ich lies mir eine Tasse geben, nach langen Trödeln bekam ich endlich eine erbärml. Tasse, so daß ich sie nicht trinken konnte. Der Galant jardinier ist ein artiges Wirthshaus, aber nicht in guten Renomée. Ich erwartete in der Mde de Croisé eine Frau von grosen Ton, u. ein groses Hotel - Nichts weniger. Sie wohnt in einen Garten, wo einige kleine Häuser zu 1 oder 2 Zimern stehen -Sie empfing mich in einer derselben in der Küche in Negligée - sie sieht nicht übel aus, ist aber weiter nicht besonders artig. Ich muste bey ihr zu Mittag bleiben. Ihr Mann kam endlich auch an - seine Kleidung zeigte, was man bey uns einen wohlhabenden Handwerker nennen würde, er macht wenig Umstände, scheint aber doch sonst kein unebener Man zu seyn, und ein Epicureer in höchsten Grad. Wir asen <zimlich> recht gut, Austern ist man hier vor der Suppe - es giebt Leute, die bey 40 Duzend essen. Ferner lernte ich, daß Papagein Petersillie Gift ist, wen sie davon fressen, sie in ettl. Stunden sterben, ein Gegengift ist Syrup oder sonst ein süses Oel. Man sprache von der Unsicherheit der Güter eines ieden Franzosen in der gegenwärtigen Crisie - besonders derer Personen, die ihr Vermögen auf rentes viagaires in die königl. Casse |[29] gegeben haben, 10 pro 100 kann auf 7½ herunter sinken. Auf die Art hat auch Croisé sein Vermögen angelegt, und lebt iezt von den Renten. Alle Jahre macht er eine Reise, dieses Jahr besahe er die Seehäfen u. Flamland. Er besucht aber wohl nicht viel mehr, als die Gasthöfe. Die eigentl. Geschäfte der Mde de Croisé erzelt mir Perrodin. Sie giebt sich für eine Engländerin aus, die seit den 9ten Jahr aus ihren Vatterland nach Frankreich kam - ihre Sprache daher kaum mehr spricht. Sie soll nur von ihm unterhalten seyn, und in der Bagage Levastre - Buzons etc. steken. Die Strasse des Menilmontans ist noch sehr leer u. unangebaut - die ganze Lage in dieser Gegend der Stadt aber sehr angenehm, hier soll der gewönliche Spaziergang Rousseaus gewesen seyn. Nach diesen ging ich zu Meiers - hier trafe ich Gambs und Perrodin an, mit lezterem ging ich noch ins Palais Royal - wir tranken 2 Polen Punsch, die uns herrlich schmekten wir bezalten nur 20 S. für die Pole - Sie machen den Punsch hier zu stark, u. zu wenig Citronen hinein, u. kennen auch die Ceremonie ihn mit Eau de Vie zu stärken. Molière fuhr niemals in einer Brouette in die Aufführung eines seiner Stüke, mit den Gedanken, daß er vielleicht zu spät käme, stieg er schnell aus, u. half den Kerl hinten nachschieben, damit es desto geschwinder gehe; sehr natürlich, wie man in einen Wagen sizt, der zu langsam geht, man oft mit den Cörper sucht fortzuschieben, dies that dann Molière wirklich in Gedanken. |[30] 6t Ich suchte Mde Daugirard an der ich einen Brief von Strehler hatte auf; sie wohnt nicht mehr in den Ort, der mir auf den Brief angezeigt war. Von da ging ich zu Mlle Balletti - Sie ist gut logirt, ein Portier giebt durch eine Pfeife einen der erschreklichsten Töne, die man sich nur denken kann, um die Annäherung eines Fremden zu verkündigen. Ihre Meuble hat sie mit Gelegenheit gekauft, sie sind von grüner Seide mit weisen Blumen, Fauteuils, Bett (ein großer Zierath in Paris) etc. für 1800 Livres von Kammerdiener der Königin. Sie war ganz artig und scheint noch nicht ganz in die grose Kunst französischer Coquetterie eingeweiht zu seyn. Was indessen noch nicht ist, kan noch werden, und wird es gewiß werden. Sie hat iedoch sehr vieles von ihren ersten Reitzen verlohren; In mancher Augen hat sie <indeßen> vielleicht dadurch gewonnen; ihre Umriße sind feiner, nicht mehr so hart, u. durch ein Provincial Wort ausgedrükt, nicht mehr so strozzend als vorher. Ich habe sie bis iezt nur in den Zirkel von Personen gesehen, die sie schon kannte, kann daher von ihren Weltton nicht viel sagen, indeßen kommt mir es doch vor, daß hier und da das Würtemb. Gänsgen etwas hervorgukt. Die Mutter wird immer eine gute Schwäbin bleiben, doch

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wer redet bey der Tochter von der Mutter. Es waren da Msr et Mde Chaumont - eine Frau von 80 Jahren, die 30 Jahre in Studtgard sich aufgehalten u. getanzt hatte, sie hatte alle Kinder von Herzog erzogen, und iezt ist auch noch einer bey ihr, der aber stumm und taub ist, er malt miniadur. |[31] Msr Reinewald von Studtgard, der sich lange in Deutschland aufgehalten, nun in Geschäfte für Rußland hier ist. Mr Blondell, der Sohn des grosen Blondells, u. Neffe des Erbauers des Thors St. Denys. ein gar feiner, artiger Mensch, der viele Geschiklichkeit in Strassen u. Brükenbau besitzen soll, Er riethe mir Renard, als einen sehr geschikten Baumeister an. - Noch einige andere Personen waren da, die ich nicht kenne. Nachden Eßen gingen wir in Spectacle chez Odinot auf den Boulevard - Munich hatte uns abgeholt. Man spielte La datte <Lücke> und den Tod des Capitain Coke, wegen den wir eigentlich hineingegangen waren - in Zeit von 4 Wochen ist er schon das 14temal aufgeführt worden. In Anfang war<en Worte> das Stük in Worten, allein es war zu sehr Eingriff in die grose Spectacles, ein solches wichtiges Stük aufzuführen, weil sie nur ganz in komischen allein debatiren dürfen, es wurde ihnen also untersagt, um iedoch Kleider, Decoration, etc. nicht umsonst gemacht zu haben, entschloßen sie sich, es als Pantomime aufzuführen, und ich weis nicht, ob es nicht dadurch gewonnen hat. Es dauert 4 Ackte hindurch - in ersten wird eine HeirathsCeremonie der Wilden vorgestellt. In zweiten erscheint Capitain Cook mit seinen Schiff und wird wohl aufgenommen; in dritten entspint sich eine Verräterey unter den Wilden, und Cook wird ermordet. In 4t ist sein Leichenbegängniß. Die Musik ist an einigen Orten sehr artig, Pax sind wie billig wenig dabey. |[32] oft ist es dann etwas zu sehr französisch - Cook ist ein Franzose, kein Engländer - die Damens sind alle gar schön gekleidet; schön ist die Gruppe, wie er in den Armen seiner Freunde stirbt, es die Gruppe, die West in den Tod des Generals Wolfs angebracht hat. Schön ist das simpele Monument so ihm errichtet wird, wenn das paar der Wilden, die er mit Gefahr seines Lebens gegen einen andern auf die Frau Eifersüchtigen gerettet, auf das Monument steigt, u. sich da hinsezt und ihm nachweint. Auch der Hintergrund ist gut gemalt. Munich ist Decorateur von den Spectacle. Tänzer, Comoedianten und Musici haben mir nicht so vorzüglich geschienen. Der Saal ist kleiner, als unser kl. Theater in Studtgard. Um mehr Platz zu machen, hat man die Bänke so angemacht, daß man nur mit sehr groser Mühe hineinkann - (unangenehm ist es in den ZwischenAckten so lange warten zu müßen, one von Musik unterhalten zu werden. Nur hie und da ließ sich die unerträgliche Stimme eines Garcons hören, der mit einer unerhörten Geläufigkeit seine ganze Boutique hersagt und seltsam absticht gegen die stille Bescheidenheit des HE. Ranftlans. Ich ging noch ins Palais Royal u. spielte ein paar Partien Schach. |[33] d 7t Ich besuchte Riegern - sie spielten eben Tricktrak in der Lection - von da aus speiste ich bey den Palais Royal - und dann zu Allaix - er bestellte ein Reißbrett samt zugehör - die Schreinerwaar ist hier sehr theuer. Nachdem gingen wir auf die Insel Louvier - Man kommt an den Rathaus vorbey, einen alten Gebäude, das aber durch den <x> freyen Platz, den es vor sich hat, gewinnt. Ueber der Thür sizt Henry IV zu Pferde. In den Quartier ist auch das Arsenal - ein groses weitläufiges Gebäude. Die Insel Louvier sieht von Weiten aus, als wenn sie mit Ruinen bebaut wäre. Es sind dieses die grosen Holzstöse, wie überhaubt hier die Vorrathshäuser von Holz u. Kohlen ist - Man geht durch Alleen von aufgetürmten Scheiten. Die Steinkohlen werden nach einen Maas (minot) verkauft - es ist wie ein Korb, den man auf den Rüken trägt, ein solcher kostet 46 Sols. one das Trägerlohn ins Quartier - die Charbons epuré die keinen Dampf mehr geben sind theuer. Nach diesen war ich bey Mde König - es schien mir aber, als wenn mein Besuch unangenehm wäre, ich ging deswegens bey Zeiten zu Mde Meier u. speiste da zu Nacht. Ein

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Fremder ging mit seinen Cicerone, die Merkwürdigkeiten Paris zu sehen - Sie kamen an der Porte St. Denis = der Cicerone machte den neugierigen Reisenden darauf aufmerksam - Was steht oben daran - Ludovicus magnus - Was heist das - ein Cicerone sagt niemals, ich weis es nicht - Nun das heist La Porte de St. Denis - der Fremde in seiner Schreibtafel ein sehr schönes Thor mit der Ueberschrift - P.d.St.Den. |[34] d. 8t Wir (der Flamländer - der Engländer Lewis und ich) speisten bey den Louvre - des Abends ging ich zu Mde Meier. Hier traf ich die Balletti an. Man redete viel von Vergiftungen durch das Kupfergeschirr, das man hier hat - Mde M. erzelte einige Exempel davon, daß Leute gestorben wären, wie bey der Oefnung es sich gezeiget habe. Sie Gift in Leib gehabt. Der Englische GesandschaftsSecretaire Mathison ist ein auffallendes Beispiel - er speiste Mittags bey der Duchesse de Buttler. Den andern Tag war er nicht mehr - es zeigte sich, daß er viel von Rüben gegeßen hatte, die in einen kupfernen verzinnten Kasrole gebracht waren u. wovon das Zinn heruntergegangen. Meyer zeigte mir die verschiedenen Arten Schuh - Souliers anglois mit sehr starken Sohlen - kein Waßer geht hindurch u. man kann sie sehr lange tragen - aber nicht mehr sohlen, wen sie verrissen sind. 8 Livr. Souliers à doubles coutures - sind zum Sohlen - Escarpins - leichte Schuhe in Zimmer beide 6 Livr. Man spricht iezt sehr von denen Notables, die hier versammlet seyn. |[35] d. 9t Perrodin holte mich Mittags zum Eßen ab - Hier war auch ein HE. Osiander, den ich in Studtgard gesehen; er zieht viel <auf den Caffeehaus> mit Stahl herum. Wir gingen in ein Caffeehaus auf den Bouleward - In diesen Caffees ist meistens Musik, die gröstentheils sehr schlecht ist. Wir machten uns endlich von unserer Gesellschaft los u. Perrodin und ich gingen zu Balletti - Blumendorf war auch da. Von da <zu> besuchten wir eine Spielacademie vis à vis des Palais Royal - Mit einer gewißen Aengstlichkeit ging ich hier hin, in einen Ort wo so viele Leute sich unglüklich gemacht haben, in einen Orte, aus dem selten iemand ruhig herausgeht, sondern alle mögliche Leidenschaft die er vorher nicht kannte, liegen iezt in seiner Brust, er ist fähig Weib, Kinder alles hintenan zu setzen, um auf iede unrechtmäsige Art Geld zu bekommen, damit er wieder zurükkehren kann. Es ist, wenn nicht Streit ist in den Sälen zimlich still - Man spielt - Lansquenet, Triomphe, Piquet - die zwey Spieler sitzen an Tischen, vis à vis - Um den Tisch herum stehen 20-30 Personen, die auf diesen oder ienen wetten, die gierigen Blike dieser Interressenten - die Charte, wenn sie ausgegeben ist, die bange Erwartung in ihrer Physiognomie, das veränderte Auge das gehässig auf seinen Gegner schaut, der die Wette gewonnen, alles dieses ist in der Gruppe dieser <blassen> Menschen interressant - Sie sehen blaß aus, zerstört, unfrisirt, ihre Augen liegen tief. Kurz es ist was erschrekliches in ihrer Physiognomie - das Mistrauen herrscht hier natürlich in höhsten Grad |[36] der die Charten melirt sie, nun giebt er sie den Gegner, der melirt sie wieder, nun iener noch einmal u. dann wird erst abgehoben, und ausgegeben - Sie halten die Charten so verborgen - und so gegen sich, das kein Auge darinnen auch nur das geringste entdeken kann - bey Piquet hebt der in der Hinterhand die Charten nicht eher auf, bis der Gegner gekauft hat. <Wenn> In den Saal liegt alles voller Charten; Es sind hier Leute von allen Ständen - ich sahe einen Abbé mit aller der Leidenschaft spielen, die Spieler von Profession eigen ist. Hier hat die Policey sehr viele Spionen, aus diesen u. aus Ecrocs u. aus iungen Leuten ist die Gesellschaft zusammengesezt - Es war mir nicht wohl in der Gesellschaft, ich ging ins Palais Royal und trank Thee u. von da noch in ein Caffeehaus, wo zulezt noch eine Pole Punsch den Abend endigte.

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d. 10t Ich schriebe den ganzen Morgen an Müller, Hirsch - etc. speiste in der Auberge sehr schlecht. Gegen Abend ging ich zu Allaix, von da ins Palais Royal, wo mich der alte Heideloff nicht verlies und sehr ungezogene Sachen mir erzelte, eben als mich Mde König begegnete, die eine gute Idee von mir haben mag. Ich ging sodann zu Meiers - und speiste des Abends bey Ihnen. Ich kaufte als ich aus den Palais Royal Gauffres - (Waffeln) eines von den Mädchens forderte mir ein Stük, ich gab ihr die Hälfte von dem was ich hatte, sie war iedoch so mistrauisch, daß sie verlangte, ich sollte vorher mein Stük essen - da ase sie das ihrige u. küste mich. Das arme Ding - es war vielleicht ihr erster Bissen, den sie heute zu sich name. |[37] d. 11t Ich suchte Perrodin auf fande ihn aber nicht - er wohnt Rue de l'Abbé au Caffé - Er kame gegen Mittag zu mir. Man spielt Figaro - um ihn zu sehen, holte ich Perrodin auf den Caffee de Chartre ab, ob es gleich erst ½5 Uhr war, konnten wir doch kein Billet mehr bekommen. Sie waren schon alle vergeben - die Mitursache war, daß der Prinz Henry von Preusen in Spectacle war - als wir wieder weggingen, redete uns ein Kerl an, und bote ein Billet, das 48 Sols kostet um 3 L. 12 S. an. Diese Leute kaufen oft 6-7 Billets, heben sie auf bis zu lezt, und machen dann ihren Handel mit. Ich ging von da zu Harweyen - und dann zu Meyers, die mir ein gut Stükchen geschlagenen Kuchelhopf aufgehoben hatte. d. 12t Ich sollte die Einführung des Parlaments und die dabey gehaltene Messe rouge heute morgens sehen. allein das Pariser Volk ist gar zu unartig bey diesen Gelegenheiten; ich ging also nicht hin, sondern zu Perrodin, wo ich gut frühstükte - ich erwartete ihn, um ein Logis zu suchen, er konnte nicht kommen. Mittags trafe ich Hubern bey den Traiteur nächst den Louvre an, ich ging mit ihm ins Hotel d'Auvergne, wo ich einige Zimmer besahe, ich kaufte hier ein Lotterie Billet mit die 3 Nummern 66, 80, 81. Auf den Pont neuf kaufte ich Citronen, u. in der Rue de Lombard Zuker u. Eau de vie de Coignac, alles dieses trug ich ganz öffentl. nach Hause zu einen Punsch. |[38] Allaix, Huber, Wächter, Perrodin und ich kamen dann zusammen, und waren so munter als möglich, der Punsch gerieth sehr gut, ich lase endl. Schillers Geisterseher vor, um 12 Uhr gingen wir auseinander. d. 13t Ich suchte um 1 Uhr Perrodin auf, wir suchten ein Quartier aus, in den Hotel de Conty ist in 4t Stok ein gar artiges zu zwey Personen, die Aussicht ist weit und schön - das Louvre mit seiner schönen Façade steht rechts schief. Es ist aber zu zwey und kostet 50 Livr. Ich werde wohl in Hotel d'auvergne ziehen. Wir speisten miteinander bey den Louvre - der Buchhändler daselbst hat artige Bücher über Architecktur - Descr. de l'Hotel des Inval. <x> für 20 Livr. Les monumens de Louis XV 24 Livr. - Wächter war auch beim Eßen - Nach diesen ging ich mit Perrodin ins Palais Royal und tranken Caffee - von da besuchte ich Mettang, der eben ausging - ich kehrte mit ihn ins Palais Royal zurük - und handelte um ein Paar Medaillon vor Frauenzimer - kaufte aber nur 1 Paar Hosen Schnallen von den Mann. Die Leute hier sind schon gewont, daß man eine ganze Stunde mit Ihnen handelt und dann nichts kauft. Abends ging ich zu Meyer - das Mode Journal von den Monat brachte Blumen- |[39] dorf mit. Es ist erbärmlich schlecht, alte Historien werden wieder aufgetischt - Der Engländer, der sich das Bein herunter schneiden lies, weil seine Geliebte auch nur eines hatte - Die Dame, die einen Wundarzt der ihr zu Ader lies, u. die Arterie traf, woran sie starb, eine ansehnl. Summe hinterlies und die Gellert schon lange besungen hat. paradiren wieder hier. In Palais Royal

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sahe ich den Riesen -Er ist von Friedberg bey Frankfurth und mißt nach der Anzeige 8'10''. Es ist wahr, er ist unbegreiflich groß, ich gehe ihn bis an die Brust, er ist aber nicht vorzüglich gewachsen, und unbehülflich - Ein Zwerg von 28''ist dabey - er ist sehr dik u. äuserst stupide - d. 14t Ich war des Morgens bey Gambs. nachdem mir der Schneider den Frak gebracht hatte. Von da ging ich ins Louvre u. speiste darneben mit den Engländer, nachdem ins Palais Royal u. zu Allaix; Abends bey Meyern, ich fing an den Don Carlos vorzulesen - sodann mit Gambs in sein Haus. d. 15t Ich speiste wieder in der Rue de Boucherie bey Farget - ging von da zu Harwey's - und dann zu Mde Meier - Ich <be>suchte <noch in> Hubern auf und machte es richtig mit meinen neuen Quartier. Es war das erstemal, daß ich einen <am Rande: d. 16t> weniger als sonst interressierten Mann in den französischen Wirth des Hotel antrafe - ich sagte ihn, daß ich sobald nicht würde einziehen, erst in 8 Tagen. Er sagte mir dann, daß er demnach 8 Tage verlieren würde worauf ich von den Tag an bezalen wollte. Er besann sich u. sagte mir, er wolle es so einrichten, daß ich nur von den Tag an zalte, wenn ein anderer käme, und das Logis lehnen wollte. Der Man hat immer seit 10 Jahren Deutsche logirt, und er hat wirklich dadurch in sa. Charackter sehr gewonnen. |[40] d. 16t Des Morgens war ich in der schwedischen Kirche - Es ist ein schlechter Saal durch eine Wand mit zwey ausgehobenen Thüren getheilt, an der der Altar steht, und die Kanzel - der Eintritt ist Parterre rechts <in> die Bürgerlichen, links die Honoratiores. Auf Bänken, Stühlen. der Schwedische Gesande u. seine Frau haben zwey Fauteuls in der 1t Reihe der Stühle in der Mitte. - Die Wände sind mit Bilder behangen, die nicht viel sagen wollen. HE Gambs kenne ich in seinen Privat Leben zu genau, als das er mir als Prediger gefallen sollte - ich weis, daß seine Beredtsamkeit studiert, sein Feuer Exclamation ist. Erstere ist iedoch zu gesucht, zu blumenreich, nicht Apostolisch genug, leztere nicht groß, nicht edel, - er fängt zu hoch an, und erhält sich nicht - Onedem hat seine Stimme etwas weinerliches an sich; kurz man sieht, daß er predigt, um zu gefallen, nicht um zu erbauen. Mittags ging ich auf den Bouleward spaziren, ich traf den Rieger da an nebst seinen Sohn - er fertigte mich ganz kurz ab. Als ich zu Mettang kam, speisten sie eben zu Mittag - ich lies mir auch eine <Eßen> Portion kommen und speiste mit. Nach diesen ging ich in Caffee de Chartres, wo ich Perrodin antraf, mit dem ich in die Varietés ginge um einen guten Platz zu haben, muß man sehr früh hingehen, um 4 Uhr wird das Bureau aufgemacht - Nun stürzt sich alles hinzu, um Billets zu haben - Man spielte eben <Lücke> Les intrigues und <x> L'intendant Comedien malgré lui - wo Volange eine ihm angemessene Rolle spielt. Das zweite Stük wird besonders gut gespielt, und läst gar keinen Wunsch übrig. Abends gingen wir noch zu Hubern. |[41] d. 17t Heute fangen die verschiedene Cours publics an - ich fande mich um 12 Uhr in Louvre ein, um den Cours d'architecture mit anzuhören. Er ist in der zweiten Etage - ich kam hinein, - ein ältl. iedoch schön frisirtes Männchen sase hinter einen Tisch, ein Manuscript in der Hand, und lase in einen Monotonischen Ton so schnell, daß wer nicht viel Achtung alles verlor, das vor, war er vielleicht seit 10 Jahren alle Jahr vorlase. So viel ich davon verstehen konnte, schien mir nicht vieles Interressantes gesagt zu seyn. Er brachte die abgedroschene Meinung vor, daß die Griechen ihre Säulenordnungen von der Menschl. Figur, und ihrer verschiedenen Stärke hergenommen hatte. Nachdem Le Roi ungefehr eine halbe Stunde so vorgelesen, <und> machte er sein Buch zu - Pour

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mercredi, la suite - stand auf, u. ging - Das ist also der berühmte Cours d'architecture, der so hoch angerechnet, so viel Lermens macht, u. wovon der Lehrer so gut bezalt wird. In den angränzende Sälen und Zimmern stehen allerhand Modelle und Zeichnungen, worunter sehr artige sind - die Preisstüke, die ausgestellt waren, bestanden in der Auflösung des Programms - ein Monument für 4 Seehelden oder dergl. zu machen. Es waren meist Piramiden am Gestadte des Meers - die Zeichnung gefiel mir besser als die Composition. Das Ufer, die Luft, die Finsterniß der Nacht, das Meer war bei einigen und nur mit Tusche vortreffl. gezeichnet. In den Sälen geht man hin und her, den Huth auf den Kopf; Es laufen hier allerhand iunge Leute herum, die sich iunge Architeckten nennen. Es ist aber meist ein ungeschliffenes Volk. |[42] Nach diesen ging ich zu Perrodin in sein Kosthaus, wo ich speiste, u. nach diesem mit ihm zu einen Orfevre in der Strasse St. Martin, wo ich meine kleine Schnallen von meiner Mutter gegen ein paar grose vertauschte - Sodann zu Meyern. d. 18t Heute Morgens fiel eine Szene mit unsern Perruqier und den flämischen Abbé vor, wobey <der> ersterer diese bey den Haaren [?] bekame, ich riß sie auseinander. Ich fülte einen kleinen Ansatz zur Colik - asse deswegens nichts, sondern trank nur eine Bavaroise - Abends ging ich zu Maier - ich hatte gestern alles zum Punsch hingebracht und machte ihn heute. Auf einmal bekam ich ein starkes Uebelseyn, und ein Fieber - ich trank iedoch meinen Punsch, und es wurde beßer. d. 19t Ich blieb den ganzen Tag in Bett erst gegen Abends stieg ich auf, da Perrodin kame. d. 20t Morgens ging ich zu Riegern - sodann ins Palais Royal, wo ich mich mit einer Bavaroise Mittags begnügte - Sodann einen Augenblik zur Balletti, und Abends zur Meyern. An Saler nach Strasburg geschrieben. d. 21t Rieger hatte mich um 10 Uhr zu sich bestellt, ich ging vorher ins Palais Royal, wo ich in Caffé de Chartres eine Tasse Chocolade tranck - Bey Rieger engagirte mich zum MittagsEßen; der Vatter ging aus - er übergab mir meine 25 Louisdor in Billets de Caisse d'escomptes - Ein solches Billet ist auf sehr feinen Papier, so daß es unmöglich ist zu radieren - Es ist roth und in natürlicher Gröse also: Das unterstrichene ist ausgeschrieben mit schwarzer Dinte. |[43] No 606 BILLET DE LA CAISSE D'ESCOMPTE etablie par Arrêts du Conseil des 24 Mars et 22 SEpt. 1776. Je payerai a vue Au Porteur la Some de DEUX CENTS. Valeur recue Comptant à Paris le 19 Mars 1786. Pour la Compagnie de la Caisse d'Escompte (un nom) L. DEUX CENTS, ganz roth, die Buchstaben weis. Controlé Po 24. Vu par nous administrateurs (un nom) <x> (un nom.) Dieses Papierchen gielt überal, man kann es sich auch in der Caisse d'Escompte wechslen laßen. Nach den Eßen gingen wir in die französ. Comoedie. Um gute Plätze zu haben, musten wir 1 ganze Stunde an Bureau warten, ehe es aufgemacht wurde, dann ging das Gedränge an, Rieger hatte sich vorgearbeitet, ich lehnte mich an ihn und so soutenirt bekame er bald ein Billet, aber nur eins, und es war ein Glük, das man nicht bemerkte, daß er noch eines name, den dieses liebet man, wie billig nicht. Wir kamen auf das Parterre, in die Mitte in die erste Reihe. Vor uns war das Parquet - es ist theurer u. dem Theater zu nahe. Es war 4 Uhr, als das Bureau aufging, nun musten wir noch bis 6 Uhr warten - dann erst fängt das Stük - das Parterre füllte sich nach u. nach an - auch die erste Loge - Unterdeßen laufen die Keller herum Orge - Limonade; Rieger trank ein groses Glas Limonade, u. zalte nur 6 Sols. Es freute mich, daß man hier nicht Misbrauch von den Durst der Zuschauer macht. Bey uns hätte ein Glas 12 S. gekostet - u. man triebe es noch höher, wen man sich des Abgangs

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versichert hielte. Ein anderer Kerl verkaufte die Piece - Figaro. Ich kaufte ein Exemplar, um 48 Sols. Der Kerl schnitte es noch auf, als ich es verlangte. - Die Zuschauer ennuyiren sich durch |[44] das lange Warten, und um sich die Zeit zu vertreiben gab das Parterre, das wie in ganz Frankreich sich das Recht allein anmast zu urtheilen damit ab, die Logen zu betrachten. Kam nun ein schön gepuztes Mädchen herein, so entstand ein Lerm, man klatschte, klopfte mit den Stok etc. Ein diker Mann, der aufrecht in einer Loge stand, nötigte das Parterre sich zu setzen, und mehrere andere Umordnung, die das Parterre anfing. Endlich fing die Musik an, und der Vorhang wurde aufgezogen. Der Saal war schön erleuchtet von oben durch einen grosen Armleuchter, die Lichter brennen in einen Cirkel von ungefehr 8-10 Diameter - Er ist blau mit weiser Stuccatur, so ist auch der Vorhang - blau mit Lilien, in der Mitte eine Sone. Das Theater ist übrigens nicht sonderlich gros. Man hatte den Platz sehr gespart. Es gehen ungefehr 2-3000 Menschen hinein. Es war mir interressant in den NationalTheater der Nation zu seyn, die für die feinste und aufgeklärteste gehalten wird, wo also auch die besten Acteurs seyn müßen. Interressant eines der witzigsten und am meisten in die Zeiten passenden Stüke - Figaro zu sehen. Es wurde wirklich vortreffl. gespielt - folgende Acteure sahe ich. M. Molé, man hält ihn für den besten Acteur der fr. Comoedie. Mlle Saint Val -sieht der Münstern sehr viel gleich. M. Azincourt - als Figaro scheint mir seine Physiognomie nicht glüklich. Mlle Contat. Mir liese sie keinen Wunsch übrig - und ihr Spiel gefiel mir unter allen am besten. Sie ist gut gewachsen und hat eine geistige Physiognomie - sie soll schon 6 Kinder gehabt haben, und iezt einen Entreteneur haben, der sie sehr mishandelt. M. Belmont - machten den diken Gärtner sehr gut - M. Dugazon - schikte sich vortreffl. in seiner Rolle. Der Page <Lücke> hätte es besser machen können. |[45] Das Stük macht wirklich sehr viel Effect. Es ist eine Fortsetzung von Barbier von Sevilla und gleicht ihm in der Tournure viel. Ganz allerliebst sind die Chansons zu Ende, die Musik accompagnirt so schön, so schön - Die Contat muste ihre allerliebste Strophe noch einmal wiederhohlen - auch Brid'oison. Ich muß gestehen, ich bin noch aus keinen Theater zufriedener mit den Acteurs gegangen als aus diesen. Abends ging ich noch zu Meiern - ich bliebe beim Eßen da. d. 22t ausgez. Heute morgens packte ich meine Sachen zusammen und zoge aus. Mettang half mir - Gegen Mittag kam auch Perrodin, er war so gütig wärend daß ich zu Balleti zum MittagEßen ging, meine Sachen zu begleiten. Bey Balleti amusirte ich mich, als ich sie nicht antraf mit den fr. Musenalmanach von 1787. <ich> die Anectode von König v. Pr. u. den Soldat mit den hölzernen Säbel der Betrug <der> gegen den Frippier in Pal. Roy. mit den Gemälde amusirte mich. Sie kam endlich, und wir asen gut deutsch. Reinewald und Wächter speisten auch mit. Gegen 5 Uhr ging ich fort, machte einige Touren in Palais Royal ging an den engl. Caffeehaus vorbey, ging hinein, sezte mich zwischen den Abbé Flamand und den ältl. Mann, der immer so viel Geschwez und Politisiren in den Caffee macht (ich erfuhr nachher, daß es der Prof. v. Gersdorf - Bruder des erstochenen Grafen von Radistin seye, er sagte mir es selbst) Ich tranke eine Pole Punsch, und noch eine u. noch eine. Er war sehr stark, mit Brantwein angemacht - ich spürte, daß ich es in den Kopf bekam, u. bate den Abbé mit mir hinaus zu gehen, und mir einen Fiacre zu schaffen. Er holte einen unterdeßen aber taumelte ich fort. Es ist unbegreifl. daß ich glükl. durch die Gassen kam, one von iemand Mädchens angehalten zu werden, die Gebrauch von meinen Zustand hätte machen <können> und mich ganz ausleeren können - ich hatte doch Billets de la Caisse d'escomptes vor 600 Livr. bey mir. Auf der Pont neuf ging es nicht mehr - es wurde mir übel - ich legte mich an das Geländer - ein Mann kam, er fragte mich, ob ich keinen Fiacre wollte, ich name an, er begleitete mich - ich wurde in mein

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Zimmer gebracht, u. ausgekleidet, u. ins Bett gelegt. Ich soll tolles Zeug geschwezt |[46] haben. Huber - der Wirth, sein Sohn, der Bediente von Haus - Endl. auch Perrodin waren in Zimmer. Zulezt kam noch der Abbé und der Engländer, der hatte das Ding noch ärger gemacht. Wie er zurükkommt mit den Fiacre und mich nicht antrifft, läuft er überall herum mich zu suchen - er kommt in mein Hotel, und findet mich noch nicht. Nun wird es ihm bange, er glaubt, ich wäre in ein schlechtes Haus gerathen - geht also hin zu einen Comissair, hier wird meine ganze Person beschrieben, und Mouchards nach mir ausgeschikt, die mich natürl. nicht finden. Iezt stehe ich also abconterfeit bey der Policey. Das ist dan doch lästig - es kostet den Abbé 3 Livr. die Anzeige. Sein Eifer floß indeßen aus einer guten Absicht. - d. 23t Des Morgens als ich aufwachte, war von gestern nichts übrig, als ein beschämendes Andenken an eine Unvorsichtigkeit, die leicht übele Folgen hätte haben können - indeßen fand ich alles, es war mir nichts gestolen worden. Es ist ein wirkl. Glük, das nicht leicht passirt. Wer Paris kennt wird es einsehen. Ich räumte meine Sachen ein bisgen zusammen speiste Mittags in Hause, gegen Abend kam Perrodin - Wir trafen Mde Meier nicht an - ich ging zu Allaix, er muste aber ausgehen. Nun sezte ich mich auf den Caffee neben den Hotel, tranck eine Bavaroise und laße alle mögl. Zeitung Journal de Paris - Affiches - Mercure de France - Année Litteraire (sind seichte Recensionen von Büchern) Gazette d. France. den übrigen Abend brachte ich bey Huber zu. |[47] d. 24t Mittags ging ich ins Louvre, wo die Preisstüke noch immer ausgestellt sind - speiste zu Hause, u. ging Abends zu Meyer. Ich war verdrieslich - Man hatte mich in meinen alten Hotel übel behandelt, ich muste sogar 12 S. zalen, um die Oefnung vormachen zu laßen, die mein Ofenrohr ins Camin gemacht hatte - ich lase in Don Carlos - Mde Munich mit ihren Mann u. Tochter u. Sohn, Perrodin, Blumendorf kamen auch - es wurde Lotto gespielt -ich verlor 2 Sol - man richtete zum NachtEßen, wo dann Mde Meier sehr stark aufschüsselte - Suppe - Huhn - Haasen Gans - Kuchelhopf - Bisquit Torte - Desert - u. zulezt, noch Punsch. Mlle Meier belebte die ganze Compagnie durch ihre Lebhaftigkeit, durch ihr Naivité. Gegen 1 Uhr gingen wir nach Hause. d. 25t Heute werde ich schon 26 Jahre und bin noch nicht sonderlich weit kommen, ob dies in Paris, in diesen Jahr oder gar nicht geschieht? - Ich blieb den ganzen Tag zu Hause - Mittags kaufte ich nur Papier bey Salmon in der Rue Dauphin u. Abends ging ich mit Allaix ein Quartier auf der Charnière des Inocens zu sehen. Die neuen Gebäude gehören der Kirche Notre Dame, die sie vermiethet. Allaix ging mit iemand nach Hause - Abends zeichnete ich bey Huber - u. besahe die Gallerie von Anibal Carracti <nebs> den Romdohr neben - später kam Perrodin. d. 26t Ich war mit Allaix in Louvre in der Acad. D'Arch. speiste Mittags bey Farget. R.d.B. bestellte sodann mit Huber ein Reißbrett bey einen Schreiner <Lücke> das ein ganz geschikter Mann zu sein scheint, er hat artige Modelle von Holz u. noch artigere Zeichnungen gemacht. ist aber verdamt theuer. er foderte mir für ein gewönliches Reisbrett 12 Livr. |[48] Ich ging, nachdem ich noch ein wenig gezeichnet hatte, abends zur Maiern, hier kam Blumendorf hin und später noch ein anderer kaiserl. GesandschaftsSecretair <Lücke>, ein munterer Mann, der über alles raisoniren will, deßen raisonemens aber nur manchmal glänzend sind, one gründl. zu seyn. Er erzelte von der Unverschämtheit derer Bedienten in Paris, von ihrer Faulheit und Betrügereyen. Ein Herr, der 6-7 Bedienten hat, ist schlechter bedient als bey uns mit einen

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Bedienten - Sie werfen sich in der Antichambre oder wo sie sonst seyn müßen in einen Armsessel nieder und dann fält es schwer, bis sich die Masse wieder aufbewegt. Kommt ein Fremder in die Antichambre und fragt nach den Herrn, so betrachtet einen der Kerl mit kreuzweis über einander geschlagenen Armen den Hut auf den Kopf, nach einigen Minuten gefällt es dem Herrn, one von seinen Sitz aufzustehen, den Kammerdiener zu rufen, der dan erscheint, und eben ein solches Examen mit der Taille der Physiognomie, den Anzug des Fremden macht - Votre Nom - tel ou tel. Msr <x> est sorti - der Fremde geht, u. mit verachteten Kopfdrehen sehen die Kerls nach. Sie treten in ein Hotel ein, ein solcher Schlingel steht unter der Thür - Sie nemen höflich ihren Hut ab, und fragen nach etwas, das der Kerl gewiß weis - die Livré aber sagt Ihnen, one sich zu bewegen Parlez au Suisse. In der Antichambre spielen sie dann auch oft, und dann wehe dem, der sie stört. Diese Leute haben immer die Taschen voll kleiner Waare, Schnallen, Strümpfe, Bänder, Schnupftücher etc. womit sie den anzuführen suchen, der sich mit ihnen einläßt, und einlaßen muß. Speist man des Jahrs einigemal bey <den> ihren Herrn, so kommen sie das neue Jahr, stellen sich vor einen hin, ziehen den Huth herunter, und bleiben dann vor euch stehen |[49] Nun müßt ihr ihnen noch zu der Grobheit, die sie das Jahr durch euch angethan haben Geld geben -bey einem franz. Thaler sehen sie noch scheel aus. Es ist die Mode, daß wenn iemand grose Tafel giebt, die Bedienten der eingeladenen Gäste auch mit aufwarten, da rapfen sie, was sie nur unter die Hände kommen, oft trägt die Valetaille in ihren dazu eingerichteten grosen Säcken das ganze Desert mit, Gabel u. Löffel u. Servietten weg. Beim Prinz von Soubise, der oft Tafel gab, war es so merklich, daß die Anschaffung des weisen Zeugs der Servietten etc, einen auffallenden AusgabsArtikel machte. Man wuste nichts anders zu helfen, als daß man denen Bedienten, wenn sie kamen, und eine Serviette zur Aufwartung forderten, ihren Huth unterdeßen aufhobe, u. ihnen nur bey der Zurükgabe der Servietten wieder überreichte. <Lücke> redete auch von Philidor -dieser ist bey uns nur als Schachspieler bekannt - er ist aber auch Musicus und hat viele Opern zur Italienischen Musik componirt - er sagt von ihm, daß er wenig Verstand u. noch weniger Witz hätte, und alles bey ihm nur Maschinenmäsig wäre. Doch auf sein Urtheil ist nicht zu gehen; er der eben ein solches Urtheil von Helvetius fällte, und ihn als einen Narren ausgab. Seit gestern ist es stark gefroren, heute Abends schneit es sogar - das Waßer ist daher sehr klein, u. die Zufuhr unterbrochen, daher die Lebensmittel schon theurer. Ich speiste abends bey Meiern, und kam erst gegen 12 Uhr nach Hause. |[50] d. 27t Es ist heute noch kälter als gestern - In Paris, wo so viele arme Leute sind, die kein Geld haben, Holz zu kaufen, um sich vor der Kälte zu schützen - wo so viele Leute ihren Unterhalt auf den Strassen suchen müßen, wie Fiacres, Obstweiber, Savoyarden, Trödler etc. ist es doppelt traurig, die Leute fühlen dann ihre Noth doppelt, die Kälte noch zu den Hunger kommt, und es geschehen dan mehr Diebereyen und Mordthaten als sonst. Unter meinen Fenster ist ein Ort wo sich Fiacres versammlen, die Kerls in grosen hölzernen schnatternd vor Kälte, klappern da vor ihren Wagen die Strasse auf und ab, schlagen dann ihre Arme kreuzweis übereinander, und wärmen sich oft an ihren Pferden, umfaßen die hintern Schenkel der Pferde legen ihr Gesicht auf die Gruppe u. suchen da Schutz für die Kälte. Ich speiste Mittags bey Farget und bliebe den übrigen Tag zu Hause und zeichnete u. schriebe. Abends drängte sich mir der Gedanke an meine verlorene Mutter an ihre Güte, an alles das was sie mir gewesen so stark auf, daß ich in Tränen ausbrache. Ein Basrelief von den Arco Constantino, wo eine Frau sich selbst ermordet, andere Frauen fliehen, u. ein Scheiterhaufen in der Mitte war der Anlaß zu dieser Sensation. Noch niemals habe ich durch ein Werk der Kunst so sehr gefühlt, als durch dieses, noch nie das so lebhaft empfunden, wie allmächtig

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die Kunst ist, wie sie wirken kann. Dies Basreliefs wird mir ewig unerläßlich seyn, und immer werde ich ihm die zwar traurige aber doch angenehmen Stunden danken, die es mir gemacht. |[51] d. 28t Es färt noch immer fort sehr kalt zu machen. Mittags bey Farget -sodann ins Café de Chartres, wo ich Perrodin antrafe, mit dem ich in die Thuellerien ging; auf den zwey Bassins liefen einige Schlittschuhe es waren aber meist Buben; der Geitz der Pariser erlaubte dies Vergnügen nicht ungestört. Schon waren Leute mit Hauen und Schaufeln da um das Eis unter den Füßen der Schlittschuhläufer aufzuhauen, auszugraben, und zu verkaufen. Auch entblättert ist dieser Platz sehr schön - die Garde Meubles rechts sind eine unglükliche Copie der schöneren Façade des Louvre, die Säulen sind nicht gekuppelt wie hier, und doch nicht stärker, es sieht daher zu mager aus. Die Brüke Louis XVI links wird den Platz sehr bequem seyn. Bey der Balletti traf ich einen gewißen Kern von Busweiler - Darmstädtischer Geheimrath oder so etwas an, er ist in Paris in Angelegenheiten seines Hofs - Seine Schwäger sind die Kochs - einer in Rußland, der andere Gesande am Regensburger Tag etc. Er erzelte die traurige Geschichte des iungen Herrn v. Wagners von Wien, der sich ausgehungert, weil er als Illuminat u. Melancholisch sich für seine Verfolgungen fürchtete. Abends war ich noch bey Meiern - Perrodin kam auch hin. Blumendorf erzelte von den Escrocerien eines gewißen Gravenot, der in Darmstadt eine Namens Knecht entführt, die ihre zwey kleinen Schwester mitgenommen, um sie hier feil zu bieten; die Kinder suchen iezt Hülfe. |[52] d. 29t Ich bliebe den ganzen Tag zu Hause und ging um des Nachmittags auf eine halbe Stunde in unser nahgelegenes Caffeehaus, wo ich meist alle Nachmittag Schach mit Glauber vorher wird Domino um die halbe Tasse Caffee gespielt, die man trinckt. d. 30t Wächter war bey mir - ich zeigte ihm die Anfangsgründe der Architecktur. Ich speiste bey Farget - die Lebensmittel steigen sehr in Preise - die Kost schlägt auf - auch bey Farget um 2 S. auf 26. Nachmittags suchte ich Perrodin in Caffee de Chartres - Wir gingen miteinander in die Thuillerien von da gegen das Bouleward zu Munich - ich trafe Meyern an und führte sie zu Balleti, die krank ist - wir gingen nicht hinauf - ich ging mit ihr nach Hause und speiste dort zu Nacht. d. 1t Munich hatte mich zu sich bestellt um zu einen gewißen Msr Sallery - Architecte zu gehen. Er wohnt bey der Porte St. Denis au troisieme auf den Boulewart - Er war nicht zu Hause. In der Antichambre, die zugleich Bureau und der Auffenthalt von Domestiquen ist, warteten wir auf ihn. 2 Bedienten ein iunger Mensch von ungefehr 13-14 Jahren und ein gröserer von 25 Jahren sasen um den Ofen. Pennard (so hies der iunge Mensch von 25 Jahren) soll geschickt seyn, er zeigte uns einige Pläne, die er eben vor einen Engländer gemacht, der ihn den Vorschlag gethan hatte, mit nach England zu gehen, er hatte seine Bedingung |[53] auf 500 Louisd'or des Jahres angesezt. Das heist precieus seyn. Er <ist> affectirte sehr viel Stolz und eingebildetes Wesen von seiner Geschiklichkeit, nichts brachte ihn aus seiner Lage mit übereinander geschlagenen Armen ausgestrekt auf seinen Stuhl - er unterschied sich durch nichts von denen Bedienten, die mit ihm in Gesellschaft waren, als sein grösere Grobheit und Mangel an Lebensart. Ein wohlgekleideter Mann trat herein, und fragte nach Msr Sallery - nach langen Besinnen antwortete der fat: Le Domestique de Monsieur viendra d'abord, und dieses war nur das Zeichen des Msr. Sallery der endl. durch eine Escalier derobé in sein Cabinet gelangt ware. Wir wurden vorgelaßen. Münnich trug ihn vor, daß ich wünschte einen Architeckten zu finden, bey dem ich zeichnen könnte und bate sich seinen Rath aus - Er riethe mir, bey Msr Rennau nachzufragen,

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oder doch beßer einen iungen Architeckten zu finden, der eben erst aus Italien zurükgekommen, und die Grundsätze der Baukunst und ihrer Erlernung noch in Kopf hätte. Er lies sich frisiren und ich hatte die Gnade bey seiner Toilette zu seyn. Der Mann sprach von 30000 Livres, wie ich von 6 Livr. und ich weis daß er bey einer Confituriere Mlle Bavoisé 300 Livr. allein schuldig ist u. sie nicht bezalt. Es war auch Stolz bey ihm, ob er gleich schon raffinirter war als bey Pennard. Es ist ein Unglük, daß iunge Künstler, sobald sie etwas können, alles zu können glauben. Und Künstler Stolz herrscht so häufig, herrscht in einer Kunst, wo so viel immer übrig zu lernen bleibt, wenn man auch noch so viel kann. Wenn ich von einen iungen Künstler höre, daß er geschikt ist, und finde, daß er Eigendünkel und Hochmuth |[54] hat, so gebe ich ihn für die Kunst auf, denn es ist äuserst rar, wenn er Fortschritte macht, weil er alles zu können glaubt. Von da ging ich zu Mettang - Anting war zurükgekommen, um sein Silhouetten Glük in England und Italien zu versuchen. Er hatte seine Frau in Gotha zurükgelaßen. Sie ist die Schwester der Frau des Baron Tode - auch ein Mann von vieler Einbildung auf seine futile Kunst. Er hatte keine Briefe für mich; ich sprach ihn. Ich suchte Reinewald auf, und brachte ihn seinen Huth, den ich Freitag aus Versehen bey Balletti mitgenommen. Er war so höflich mir zu sagen, daß es ihn sehr lieb seye, den er sezte fremde Hüthe nicht gern auf - ich kann nicht klug aus ihn werden. Ist es Stolz oder Mangel an Lebensart, oder ein gewißer Hang ungenirt zu seyn; kurz er thut Balletti sehr viel Schaden, durch seine Gesellschaft u. den Grundsätzen die er ihr einflöst, wie sie sich gegen Fremde zu verhalten habe - ich weis mehrere Personen, die sich scheuen zu ihr zu gehen, weil sie ihn dorten antreffen. Ich ging mit ihm aus, ein Quartier zu suchen - Wir besahen mehrere. Von 600-1600 Livr. Wovor man meist 3-5 Zimmer unmeublirt haben kann. In einen derselben wo Meubles standen sahe ich einen bequemen Sessel (vid. <Lücke>) Ich ging mit ihn zu Tourton - u. als ich da Perrodin nicht fand, zu diesen in sein Haus. Unterdeßen war die Eßenszeit vorbey und ich begnügte mich mit einer Bavaroise - Abends ging ich einen Augenblik zu Allaix u. dann zu Meiern - wo ich bey Zeiten wegging. |[55] d. 2t Der Abbé war heute morgens bey mir - ich ging sodann zu David, mit den Brief, den ich von Foehel aus Würzburg an ihn hatte - er logirt in Louvre - Es ist ein abscheuliges Eingeweide in den Louvre - eigene Häuser one Zusammenhang aus ettl. Zimer bestehend sind hinein gebaut um die Academicien, die hier Wohnung haben, zu logiren. Es ist oft so finster in den kleinen Gängen, die zum durchschlupfen gelaßen sind, daß man das erstemal sehr herzhaft seyn muß, um durch zu kommen one Begleiter, und wenn man einen hat, verlaße man ia nicht den Zipfel seines Roks, den einmal ihn verloren findet man ihn nicht mehr. Nachdem ich dann bey den Eingang der Colonade rechts durch eine fürchterlich finstere SchnekenTreppe, wo die Tritte so breit sind, daß man sehr unbequem geht, mich bis an seine <Attellier> Academie durchgedrängt hatte, traf ich ihn unter einer Menge von ettl. 20 iungen Leuten an, einige zeichneten nach Originals, andere nach der Natur, ein Mann mit einen grosen Barth war das begleitete Modell. Er ging mit mir hinauf in sein Attelier. Ob er gleich Foehels sich nicht mehr erinnerte, so war er doch sehr höflich und dienstfertig. Er wollte mit Lanoy einen iungen Architeckten von seiner Bekanntschaft sprechen. Seine Horatier hingen in seinen Attelier - ein groses Gemälde, die Figuren in Lebensgröse, der Augenblik, wo die 3 Brüder den Arm ausstreken, um ihren Vatter, der 3 Degen in der linken Hand hält, zu schweren. Die Zusammenstellung der 3 Brüder gefällt mir nicht - Sie sind alle 3 in Profil, ihre Füsse zu weit auseinander gesprengt, ihre Arme zu gleich an einander, von weiten eine zu grose Fleischmasse, man weis nicht gleich, wenn man nicht überlegt, wem dieser und dieser Arm gehört. Das ganze <Fuß> Bein des Vatters ist mir zu mager. Sehr schön ist die hintere Gruppe der Frauenzimmer, sehr

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schön hängt sie mit |[56] den Vatter, der die Mitte des Gemäldes hält, zusammen. Sehr schön und in grosen Stil und lebhaft ist die Ausführung. Seine Hände sind in so gefälligen Formen, und so rein, und wenig maniert. Er malte es noch in Italien. David gab mir eine Addresse an einen Zeichner Namens Borell - Er hatte mit <Lücke> einen Kupferstecher einen Contract gemacht, in dem er sein Gemälde <x> hergab eine Zeichnung davon zu machen. Für diese Erlaubnis <x> bekame David 3000 Livre <bekame>. Dieser Zeichner nun ist Borell. Ich ging Nachmittags mit Huber hin. Das Gemälde stellt Paris vor er sizt auf einen kleinen Tabouret vor einen Sopha in der linken, die sich auf den linken Schenkel stüzt. Neben ihn steht Helena, mit einen leichten Gewand, nachlässig bedekt - eine schamhafte Rothe auf ihren Gesicht, die Augen niedergeschlagen lehnt sie sich auf die Achsel des Paris, ihr schöner Arm hängt über die Achsel gegen die Brust des Paris herunter. Paris den Kopf gegen ihr Gewand schaut mit fragenden Augen lebhaft gegen sie hinauf, sprechende Begierde ist in dem schönen Kopf. Mit der rechten Hand hat er den Arm der schönen Helena gefaßt, sie verweilt bey ihm, auf den rechten Fuß gestüzt, den linken nachlässig darüber geschlagen, welches eine schöne Linie von der Hüfte bis zu den Fuß ausmacht. Hinter diesen beiden steht ein Sopha und hinter denselben ist Architectur, die mit einen stahlblau<grauen> Teppich behangen ist, wodurch die Figuren sehr gut ausgehoben werden. Vor Ihnen ist ein Bad und einige Treppen führen herauf. |[57] Der Hauptverdienst dieses Gemäldes ist meines Erachtens nach die Ausführung des ganzen. Die schöne Harmonie der Lichter und Schatten; die sorgfältige Ausführung der Details one klein zu seyn und durch allzugenaue Ausführung eine Ängstlichkeit zu verrathen; die Architecktur in Hintergrund - ein Etablement von Cariatiden getragen ist sehr gut gehalten, und scheint von der Hand eines Architeckten, so rein Architecktonisch u. in den Stil der Kunst ist es gezeichnet. Mir gefällt nicht an den Gemälde das Costume des Paris. Er hat einen Antiken Helm auf, der die Form einer rothen steifen Mütze hat, wie sie bey uns die Mezger tragen. Das schöne lokichte Haar, das unter der Coiffure sich vorarbeitet, daß ein noch schöneres Haar auf den Hinterkopf vermuthet, und die böse Mütze verstekt es. Ferner scheinen mir die Schenkel <des> Paris ein bisgen zu steif und zu hölzern, vermuthl. weil sie in ihrer ganzen Länge gesehen werden. Die Figuren sind ungefehr 2-6" hoch, u. das ganze Gemälde ungefehr 5' breit u. 4' hoch. Es ist für den Comte d'Artois gemacht. Die Zeichnung des Msr Borell sieht nicht das was das Gemälde sagen will - der Geist des Gemäldes herrscht nicht darin, der Ton wird nicht hineinkommen. Die Zeichnung bleibt ein Borell - das Gemälde ein David. Ein Zeichner in Paris heist ein Künstler, der sich mit nichts anders abgiebt, als Gemälde mit schwarzer Kreide so zu zeichnen, wie sie der Kupferstecher stechen will. Dieser hält sich dann genau an die Zeichnung und sieht oft das Gemälde nicht mehr. Diese Zeichner bringen sich sehr gut fort, da sehr viele Kupferstecher hier sind, die nicht zeichnen können, und doch ums liebe Brod zu verdienen, stechen wollen. |[58] Wir gingen gegen 5 Uhr wieder nach Haus über den Place de Greve - Es ist hier wegen der grosen Kälte auf den Strassen Feuer angemacht, um das die auf der Gasse aufhaltende Leute stehn und sich wärmen. Interressant sind die verschiedenen Gesichter und ihre Be<Er>leuchtung durch die Flamme. Besonders Nachtszeit. Allaix kam zu mir - Wir gingen über die Pont neuf - ich zu Mde König. Es ist eine artige, eine schöne Frau, es fehlt ihr aber das air der Französinen bey der einen wohl ist - Sie weis, das ich gerne von Litteratur rede, und nun spricht sie immer davon, das giebt dann eine grose Einförmigkeit vis à vis von ihr, überdem ist der Herr Gemal zu sehr joallier, als daß er unterhaltend wäre. Ein Zug französischer Politesse. Mde König rief ihren kleinen Sohn und sagte ihm etwas ins Ohr, der iunge ging fort, und man brachte Pelz und Handschuh und legte sie auf den Sopha - ich merkte nun freilich, daß Mde König ausgehen wollte, war aber doch begierig zu sehen, was man wieder für Anstalten macht, um es mir

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zu zeigen; ich bleibe; einige Zeit darauf sieht man nach einer Pendule - schon 10 Uhr - ich bleibe -um dann doch nicht gar zu sehr auf Unkosten meiner Lebensart neugierig zu seyn und Erfahrungen zu machen - stehe ich auf um wegzugehen, ich erreiche die Thür und Mde sagte mir - Vous êtes bien pressé. Msr vous voulez nous quitter sitôt; fast wäre ich wieder zurükgekehrt, um die Frau für ihre Falschheit - (wir sind zwar in Paris, Höflichkeit wollte ich sagen) zu bestrafen. ich ging zu Mde Meier, von der zwar Mde König sagt, daß es schade wäre, daß sie das Metier hätte. |[59] Der Ton entscheidet, er wollte sagen, es kommen viele Leute dahin, die auch zu uns kommen, viele Leute, die, die gerne in guten Gesellschaften sind, sie muß also nicht immer nach Pech riechen, und etwas haben, das sie auser ihren Stand sezt: ich würde gerne ihre Bekanntschaft machen, wenn ich nicht die Frau eines Joalliers wäre u. sie nicht mit Schuhen handelte. Ein feines Raisonnement. Mde König thut nichts u. Meiern führt eine Handlung one Hilfe ihres Mannes, die ein Beitrag ist zur Erziehung ihrer Kinder. Meiern hat einen schönen Edelstein, als Mr König nie haben wird. Die seinigen sind erkauft. - Meiern hat den Edelstein selbst erschaffen, polirt, gefaßt - es ist ihre Tochter. Dergleichen Sachen ärgern mich desperat. Ich traf bey Meiern Blumendorf an, bey den ich des Morgens gewesen war, one ihn anzutreffen. Meiern war nicht gleich zu Hause, als ich gegen 7 Uhr hinkame, ich ging unterdeßen zu Allaix - er schenkte mir einen Anticen Hausgott, den er mit aus Italien gebracht. - um 1/2 9 Uhr war Maiern von der Balletti zurük, ich blieb da beim Nachteßen. d. 3t Rieger der Sohn kam Morgens zu mir - ich ging mit ihn aus ins Palais Royal - kam aber bald wieder nach Hause u. speiste da. Nach den Eßen rauchte ich eine Pfeife Taback - ich weis nicht, ob es dies war, das mir übel machte, kurz ich muste mich ins Bett legen. Allaix war bei mir. Gegen Abend besuchte ich Füsli, einen LandschaftsZeichner. Er unterhielte mich auf das Ende, von einen seiner Schülern einer in die er verliebt wäre, und daher viel ausstände. Hier schaute er auf und wurde beredt; und ich gönnte ihm so gerne Erinerung, weil ich weis, wie angenehm sie sind. Indeßen ist es doch eine harte Probe, Lehrer da zu seyn, wo man verliebt ist und schweigen muß. |[60] Ich bekam einen Brief von Saler aus Strasburg von 30t Nov. In dem er mir den tod des Alten Waldners meldete, u. mir Vorwürfe machte, über den Mangel an Dienstfertigkeit wegen Dixnardo seiner Zeichnung. d. 4t Ich habe diese Nacht nicht gut geschlafen, weil ich gestern Nachmittag schlief - ich schriebe des Morgens an meinen Tagebuch - und ginge des Abends zu Meyer, wo ich aber nicht beim Nachteßen bliebe. d. 5t Den ganzen Tag kame ich nicht aus, als nur um Mittags bey Farget zu speisen. Abends kam Wächter zu mir, und später war Füßli und Huber da. Ich gabe Wächtern einen Brief mit zu bestellen auf die Post an Müllern. Es hat sehr stark geschneit und ein starker Sturm herrscht den ganzen Tag - ich muste ausgehen zu Rieger - die Fiacres sind iezt rahr - da sonst immer 6-8 vor meinen Fenster stehen, muste ich einen holen laßen - die Pferde können fast nicht fort, da sie nicht geschärft sind, wie bey uns, sie überdem sehr schwach sind und der Schnee gewiß 1 Schuh hoch liegt, so geht es deßwegens sehr langsam - ich brauchte gewiß 3/4 Stunden um in die Rue Comartin zu kommen. Ich speiste Mittags mit Rieger und ging nach diese in Hotel des Kaiserl. Gesanden um HE. v. Blumendorf zu besuchen, er war in Anfang nicht zu Hause. HE. <Lücke> war daher so gütig mich unterdeßen aufzunemen. Ich traf bey ihm <noch> eine Landschaft von Nolet an, die er in die 60ger Jahrgänge hier gemacht, und zum Verkauf zurükgelassen hatte. Blumendorf kam |[61] endl. und ich

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ging mit ihm in sein Zimmer - er lehnte mir die Geschichte von Piganiol de la force und 4 Theile der Contemporaines, die ich zu lesen anfangen werde. Ich ging noch zu Meiern, wo ich Abends speiste. d. 6t Die Kälte und der Schnee sind noch immer zur grosen Verwunderung der HE. Pariser da, die gar nicht wißen, wie das zugeht, da man seit vielen Jahren dergl. nicht gesehen hat. Die Strassen sehen iezt aschgrau aus, da sich der Schnee mit den gefrorenen Schmuz vermischt hat. 900 Wagen und Karren sind täglich beschäftigt, diesen Koth, da er iezt zu handhaben ist, wegzuführen und die Gassen zu reinigen - die armen Pferde sind zu bedauern, auf den Strassen hört man nichts, als die Hiebe und das Zuschreyen der Pferde, die nicht eingreifen können, und alle Augenblike zu Boden stürzen. Die Fiacres fahren zum Theil mit 4 Pferden, vorneme Equipagen sieht man seltener, weil der, der nicht ausgehen muß, gerne zu Hause bleibt. Indeßen muß man es denen Parisern nachsagen, <geht es> daß sie sehr behülfl. sind; geht ein Wagen bergan wie bey den Brüken etc und die Pferde erzwingen es nicht, so springt alles herbey, was herum ist. Ich sahe heute auf der Pont Neuf einen Engländer, wahrscheinl. ein Manufacturist mit entsetzlicher Force einen Wagen bey den vorderen Theil des Rades paken, und so die Pferde soulagieren, daß sie <x> mit leichter Mühe iezt fortzogen, das sie vorher nicht gekonnt. Es sassen zwey Französinnen darinnen, die das ganz gelaßen zusahen, und sich nicht bewegten, wahrscheinl. waren es Maitressen. Als ich heute morgens ausging, kame ich in der Rue Montorgueil an einen alten zerlumpten Franzosen vorbey, der eben seinen Teppich |[62] ausbreitete, um ungeachtet der grosen Haarnadel und andere Kleinigkeiten auf der Strasse feil zu bieten. Erstarrt von Kälte bükte er sich eben zu Boden, um seine Sachen zu arrangiren - Il faut vaincre ou mourir - brummte er vor sich hin - mir kam dieser grose Spruch auffallend vor unter denen Lumpen, und doch war er eben so wahr als in den Mund eines Co[r]sars. Ich war bey David - er sase bey einen Kaminfeuer, ein anderer Maler ein Mensch von ungefehr 26-30 Jahren war bey ihm. Man sprache von Voltaire - von Deutschland etc. Ein Clerc kam herein mit seiner Tochter von 16 Jahren, sie ist nicht schön, aber doch nicht auffallend häslich. Sie zeigte David Zeichnungen die sie gemacht hatte nach Gypsmodelle - Sie waren in einer einem Frauenzimmer sonst fremden Stil gemacht; sie waren groß und mit Ausdruk gezeichnet. David lobte sie sehr, <x> ich sahe den Vatter dieses Mädchens dieses Lob begierig einschlürfen, sein Auge erhellte sich, er sahe bald <den> David <Auge> an, dann wieder mit einer eigenen Zufriedenheit seine Tochter dann einen fragenden Blik auf uns - es war mir rührend diese Szene, so gering sie auch <für mich> ware, zu sehen. Ihre Mutter, die bigott ist |[63] will nicht zugeben, daß ihre Tochter nach der Natur zeichnet. Das Mädchen wird sehr grose Fortschritte machen. David erzelte mir von einen gewißen Baron de Bagge einen Deutschen, der die Musica außerordentl. beschüzt und bey den die MusicLeidenschaft ist. Viele Musici haben Pensionen von ihm. Seine Hauptnarrheit aber ist, daß er glaubt, er spiele die Violin ganz vortrefflich, da er sie doch schlechter als schlecht spielt, so daß es gar nicht zum anhören ist. Wenn er schwere passagen zu machen glaubt, so figuriren seine Finger one die Seiten zu berühren. Natürlich kann sich oft die Gesellschaft des Lachens nicht enthalten - um dies zu verbergen applaudirt man dann. Wenn Bagge aber ersteres merkt, so sagt er - Ah! Je vois bien - il y a des jaloux dans la compagnie. So wenig Ohr er für sich hat, so ein feines besizt er für Fremdes, und das ist das unerklärlichste; er bemerkt auch den geringsten Fehler, den ein anderer Musicus begeht. Es kam einst ein sehr geschikter Violinist zu Bagge - und spielte vor ihm. Bagge lobte ihn, <und wünschte sehr> Es fehlt Ihnen nichts, sagte er, als daß ich ihnen noch einige Lectiones gebe - Er

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<x> hatte es sich in Kopf gesezt, ihm Lection zu geben. - Aber HE. Baron - ich gebe selbst Lection und würde darüber Zeit versäumen. - Das thut nichts; ich bezale Ihnen die verlorene Zeit. Seine Liebe oder vielmehr Narrheit zur Music geht also so weit, daß er sogar noch Geld dazu giebt, um nur Lection geben zu könen. |[64] Ich ging von da in die Auction von Gemälden und Bronzen, die in der Rue de Clery verkauft werden. Der Catalogue zeigt an, daß sie einen Marquis de ... gehörten - ich fragte nach den Nahmen und erfuhre, daß man sich diese Freiheit nimmt, und daß der Verkäufer Mr. Le Brun ist - der Mann der fameusen Le Brun, die durch ihre Talente, sie spielt den Flügel, singt sehr gut, und ist als Malerin bekannt - Müller hat sie in Kupfer gestochen - durch ihren Verstand und Witz und Schönheit - durch ihre Galanterien besonders mit Msr de Colonne berühmt ist. Dieser hat in dieser Strasse Nro 95 in dem innen des Hofes ein ganz besonderes Gebäude in eigenen Geschmak ihr bauen laßen. Dieser Mann um Mde le Brun ist ein Bilderhändler, und hat mit diesen Gemäldehandel durch die Talente und die Reitze seiner Frau ein Glük von 2 Millionen gemacht. Von Zeit zu Zeit stellt er Verkäufe an. Er hat zu dem Ende einen eigenes Haus neben den Seinigen zurecht machen lassen, in dem ein Saal ist, der von oben erleuchtet die Gemälde sehr gut erleuchtet. Die Wände <gehen Piramiden> sind Flächen von Piramiden, und der ganze Saal eine abgestüzte Piramide; der Fußboden ist die Base. Was in dieser Vente ist, wie viel und daß soll nur der 4ten Theil seiner Gemälde seyn, beziehe ich mich auf den Cataloguen. |[65] Es waren viele Personen, die die Gemälde vorher besahen, man konnte sie 7 Tage vorher von 10-5 Uhr nach Wolgefalen betrachten. Hier hat man Gelegenheit mehrere iunge Mahlers - Academiciens und die eigentl. Bilderjuden kennen zu lernen - denn aus diesen, einige Liebhaber abgerechnet, besteht die Gesellschaft. Einige Damen waren auch da, die die Bilder besahen; Sie schrenkten sich auf kleine Stükchen ein; es war nicht viel für sie da, der Galanterie Stüke waren wenig. In Landschaften von Niederländischen Meistern ist dieser Verkauf besonders stark - ich lernte da haubtsächlich Ruysdal kennen - auch den geitzigen Rembrand und Vandyk. Ich kaufte den Catalogue um 24 S. - man hat hier die Vorsicht, die Stüke zu bestimmen, das die verschiedene Tage vorkommen und man bekommt dieses besonders gedrukt nebst den Cataloguen. Auch hier sind Schweitzer, die die Aufsicht haben auf der einen Seite ein Beweis des Zutrauens auf der andren hingegen thut es mir für die Nation leid, daß sie sich zu allen brauchen läst. Die Leute sollten wenigestens ihre Montur ausziehen, weil es unschiklich ist, daß des Königs Soldaten nicht genug zu leben haben, um sich dergleichen Nebenprofite machen zu müssen - ich ging um ein Uhr zu Harwey, wo ich ein gut Stük Rosbeef zu Mittag speiste. Nach den Eßen machten sie Punsch, es kamen noch andere englische Arbeiter ich tranke ein bischen zuviel, und retirirte mich noch zu rechter Zeit nach Hause, wo ich mich sogleich zu Bette legte, und bis Nachts 12 Uhr schliefe. |[66] d. 8t Ich war heute früh bey Wächter, um ihn mit zu Le Brun zu nemen. Er war schon ausgegangen, ich ging also allein dahin, und trafe Munich da an. Ich bliebe ungefehr eine halbe Stunde da, und ging sodann zum Eßen. Auf den Heimweg trafe ich einen Türken an mit einen iungen Türkischen Frauenzimmer. Der Türke ein schöner Mann schwarzgelb und einen grosen schwarzen Barth. Die Türkin unbegreiflich interessant - vieles mochte freilich die Kleidung dazu beitragen, aber das Profil war doch so schön, so griechisch - Die Linie von Stirn bis zur Nase gerade one steif zu seyn, das Kinn vortrefflich rund und niedlich, der Mund frisch und nicht zu schief abgeschnitten - Sie <x> war mehr Brunett als Blond. Der grose, weise Schleyer, der an ihrer Hüfte zusammen geschlagen herunter hing - Das schöne Stirnband das wie bey den Antiken über der Stirne schon in den Haaren war, und ungefehr aussahe, wie man die Kronen der alten Könige machte. Ihr langer Talar - alles machte sie unbegreifl. reitzend, sie war nicht groß, ungefehr wie die

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Gräfin Pikler, der sie auch iedoch entfernt etwas gliche. Ich speiste bey <Bouchet> Farget, ging sodann ins Caffee u. nach Hause, wo ich den Abend bliebe. Um 9 Uhr verzerten Füssli und ich eine Torte von Aepfel à 30 Sols und tranke Wein dazu. |[67] Heute sahe ich z. Erstenmal eine Schlitten in Paris. Man kannte dies Vergnügen nicht als die Königin diese Gewohnheit mit aus Deutschland brachte. Doch ist es wieder nachher unterblieben. Dieser Schlitten war, wie unser Rennschlitten nur viel zu kurz und nicht weit genug ausander. Der Mann sase nicht auf der Britsche, sondern darinnen, und wuste nicht recht mit den Ding umzuspringen. Keine Schellen waren nicht daran, auch kein Vorreuter. d. 9t Es ist ein unangenehmer Lerm für meinen Fenster. Die Karren, die den Koth aus den Gassen führen, laden ihn auf den Quai ab, wo ettl. Hundert Kerls den Schnee sodann mit Schaufeln in die Seine hinabwerfen. Ich ging sodann zum Eßen und bliebe den Nachmittag zu Hause. Abends trafe ich Meiern u. Alaix nicht zu Hause an. d. 10t Heute morgens von 10-2 Uhr wurden die Gemälde aufgestellt und die Zeichnung angeheftet die die Mahler aus Rom in die französische Akademie daselbst geschikt. Es waren meist einzelne Naturfiguren - z.B. Cato, wie er sich erstochen - Brutus, wie er liest Brutus [?] etc. Am meisten Aufsehen machte eine Composition von einen Namens Thiere - Brutux wie er seinen Sohn zum Tode verdamt, es war nur eine Skitze, aber von herrlicher vortrefflicher Sentiments. Es kamen auch viele Frauenzimmer hin, es zu sehen, die sich besonders an den Paris, einen schönen nackten Jüngling, divertirten. |[68] Ich speiste beim Louvre - wie wohl nicht sonderlich. Es ist nur ein kleines Zimmer und doch speist gewiß der Mann ein Tag an andren gegen 200 Personen. Man kann sich also vorstellen, wie viel der Mann gewinnen muß, wenn er auch nur an einer Person 7 Sols reinen Profit hat. Nach den Eßen erwartete ich in Palais Royal Caffé de Chartre Perrodin, er kame aber nicht - ich ging sodann mit den Abbé ins Caffé de la Regence - Hier sieht man immer artige Gesellschaft - Hier war es wo Jacques Rousseau spielte, wo hin solcher Zulauf war, daß die Thüren mit Wachen besezt wurden. Hier ist es wo auch zu Zeiten Philidor spielt. Ich ging einen Augenblik zu den Abbé, und dann zu Meiern. d. 11t Heute morgen war mein erstes zu David zu gehen, ich trafe ihn bey seinen Pfeifgen an - ich bliebe eine halbe Stunde bey ihm - er sagte mir, daß er in Anfang in den unglüklichen Franz. Stil des Boucher u. Vanloo gearbeitet habe, daß er <endlich> selbsten einen Plafond in den Haus der Mlle Guimard auf diese Manier gemacht, aber endlich das Genre verlassen; weil er nicht nötig gehabt, um Geld zu arbeiten, seye es desto leichter gewesen. |[69] Er gab mir die Addresse an Delanoi und ich ging zu ihm, er empfing mich ganz höflich, sagte mir, daß er um 18 Livr. des Monats in seinen Bureau arbeiten liese u. alles war richtig. So wäre also der erste Schritt gethan, von dem ich nicht weis, ob er wohl zu meinen Vortheil ausschlagen wird. Ich <speiste be> war bey Harwei und sodann bey Farget zu Mittag - Nachdem in Caffé de Chartre one Perrodin zu finden, und dann auf den Caffee de Regence u. dann bey Mde Meier - Man redete von NeuiarsTag etc. Ich endigte Don Carlos - Mimi sang - ich habe viel gelitten - mit vielen Ausdruk - Das Mädchen leitet nicht, aber sie ist ausgewachsen, reif, hat gesunden Cörperbau, und man weis, daß dann den Mädchen etwas fehlt, was sie selbst nicht wißen. Es ist ein gutes, liebes Geschöpf, voll Unschuld u. Wahrheit. Die vornehmen Damens gehen hier meistens selbsten in die Boutiquen um ihre Stoffe einzukaufen, da wird dann alles geschloßen, Vorhänge vorgezogen, und eine Finsterniß

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hervorgebracht, um durch viele Lichter zu erleuchten, damit sie sehen, was da Stoffe für einen Effect macht bey Nacht, wo sie nun hauptsächlich damit glänzen. |[70] d. 12t Heute fing ich meine Stunden an bey Msr de Lanoy - Ich ging um 10 Uhr in sein Attellier - er war nicht zu Hause, er kame erst später ich konnte nicht viel arbeiten. Er gab mir eine Croisée von Caprarole - sie ist sehr leicht, und doch konnte ich mich nicht recht darein schiken, da man hier nicht mit Reißbrett u. Reisschiene zeichnet. Mittags speiste ich bey Farget und bliebe sodann den ganzen Nachmittag dort; des Abends zeichnet man die Figur - De L. gab mir eine Masque zu zeichnen. d. 13t De L. ich zeichnete meine Croisée aufs neue. De Lan. sagte mir sehr richtig, daß die Regeln in der Architecktur nur für die unwißenden gemacht seyn, und daß der Mann von Genie und Talent alles in Auge haben müste. Die iungen Leute - 5 - die noch mit mir in Attelier arbeiten sind äuserst ungezogen - es ist nur ein einziger, der etwas avancirt ist, und das ist nicht, doch ist er fleißig. Es soll überhaubt auch in andren Attelliers in Paris so seyn, daß die äuserste Ungezogenheit herrscht. Bey uns sind die iungen Leute bey dergleichen Gelegenheit auch unartig, aber doch nicht unaufhörlich - Sie schlagen sich vielleicht, dann zürnen sie miteinander und keiner redet sodann kein Worth. Die Ungezogenheit meiner Eleven aber besteht haubtsächl. in den einfältigen Späßgen, daß sie Hunden Papier auf den Kopf halten oder bellen sie selbsten wie Hunde und schreyen wie Papageyen, kurz es ist ein unartiges Volk um iunge Franzosen. |[71] Abends zeichnete ich aus den Periers - gegen 8 Uhr besuchte ich Allaix -Ein iunger schöner Mensch ein Mahler und Schüler Davids, mit Allaix u. Hetsch nach Rom gereist, war da. Nach einer Stunde ging ich zur Meiern und dann nach Hause. d. 14t Allaix war bey mir und auch der Abbé - er sagte mir von der Revolte in Brussel. Es mag bunt dort hergehen - ich fochte mit Allaix - Mittags speiste ich zu Hause - Perrodin trafe ich wieder nicht auf den Caffee de Chartre an. Die Kälte ist heute auf den höchsten Grade, die Seine ist ganz und stark zugefroren, viele hundert iunge Leute schleifen darauf - hier und da stehen Tische und Stühle auf den Eis, auf denen Schlittschuhe verlehnt werden. Man hört iezt mehr als iemals von Mordthaten - Obgleich die Anstallten für die Armen sehr gut sind (vid. Beil. Nro.1) Rührend und voll Liebe für den Mann liest man an den Eken der Straßen der Paroisse S. André des Arts die Einladung des guten Curés - ich muß seinen Namen erfahren und ihn kennen lernen. (vid. Beil. Nro.2). Ich besuchte Balletti und blieb den Abend daselbst, bis Blumendorf kame, und sie zu Meyers abholte. Ein Maler aus Wien Guttenbronn ein Man von ungefehr 30 Jahren, der sehr lange in Italien aufgehalten hatte - war da - auch kame Munnich. Bey Meiers war dann ein groses Nachtmal nebst Reinewald waren es 8 Personen. Die Frau hat das deutsche noch an sich, daß eine ihrer Glükseeligkeit ist, wen man ihr Eßen lobt dadurch daß man recht viel ißt. Ihr Auge glänzt |[72] für Freude wenn alles gut geht und die Gäste munter sind und viel Eßen - ihr embarrassirtes, suchendes Auge wenn etwas fehlte, ihre fragende Stime - ist dieses auch gut? ist es auch ihr Ernst, daß sie es loben, alles dieses <x> machte mir viel Vergnügen, und zeigte mir die gute Frau, deren Ruhm es ist eine gute wohleingerichtete Haushaltung zu haben. Ein Ruhm auf den die französischen Weiber schon lange Verzicht thaten. Bey ihnen ist es der Mann, der dieses alles besorgen muß, um der madame Zeit zu laßen, Amour mit ihren iungen Herrns zu machen, die der arme Tropf von einen Manne noch dazu bewirthen muß. - Der Reiß war verbrant - O daß war eine Noth. Sachini

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war allgemein beliebt in Paris - er verdiente es auch - er war der liebenswürdigste Mann. Der Enthousiasmus vor ihn ging so weit, daß nach seinen Tode verschiedene Seigneurs seinen Bedienten Lauran zu sich nehmen wollten. Dieser Bediente war wohl der Freund seines Herrn. Lauran muste über iedes Stük sein Urtheil sagen, daß Sachini machte. Er spielte es ihm allezeit vor - und sein Urtheil hatte Gewicht. Kurz Sachini gab den Publicum kein Stük, was er nicht vorher seinen Lauran vorspielte. Lauran um das Andenken seines Herrn zu feiern, und wie ein Geliebter. deßen Geliebte gestorben und der sich vorgenommen nie wieder zu lieben |[73] Lauran schlug es gänzlich aus zu dienen, daß der Enthousiasmus nicht nur für den Musicus Sachini sondern auch für den Privat Mann war beweist das Andenken, das der Hausmann bey dem er wohnte, ihn dadurch stiftete, daß er Lauran eine Pension gabe, und ihn in dem Hause, in dem er seinen Herrn gedient, behielte one ihn nötigen dafür zu dienen. Dieser Lauran kam vor einigen Tagen zu Balletti, nachdem sie in Concert gesungen hatte. Wer ist er? - der gute alte glaubte man müsse ihn kennen, weil er bey Sachini gewesen. Ich bin Lauran - der Bediente von Sachini - (die Tränen standen ihn bey diesen Namen in Augen) Ich habe sie singen hören, und da habe ich gedacht, daß sie verdienten die Arie zu singen, die ich bisher noch als Reliquie von meinen guten Herrn aufgehalten, und die ich Ihnen iezt gebe Er gab ihr auch wirkl. eine noch nicht in Publicum bekannte Arie - Baletti erzelte dieses so kalt, so von ungefehr, daß sie das Schöne der Handlung gar nicht fühlte. Warlich, dieser Zug sollte ihr ein gröseres Lob ihrer Kunst seyn, als alle Journale - und Applaudiren des Publicums. Es war entsezlich kalt, als ich nach Hause ging, auf der Pont neuf waren 7-8 Fiacre, daran die Pferde nicht ziehen konnten für Glätte, ich pakte so einen Fiacre mit an, und half schieben - Mein armer Stok ist verbrochen. |[74] d. 15t Ich war Vor und Nachmittags bey de Lonaix - Abends ging ich zu Hause, wo ich einen Thee trank. Huber war bey mir. Gegen Abend war ich bey Harwei - Es kommt so viel gemeine Waare dahin, nicht wegen des Standes, aber wegen der Denkungsarth, daß ich mich zurükziehen werde. d. 16t Allaix war bey mir - ich ging sodann zu De L., wo ich meine Croisée endigte - Mittags speiste ich bey Farget. Es fängt wieder auf's neue an zu schneyen - Nachmittags verirrte ich mich das erstemal in Paris, ich wollte von der Rue de Boucherie auf das Quai des Augustins und konnte, ob ich gleich den Weg so gut weis, absolument nicht dahin kommen, ich durchlief immer die umliegenden Straßen, und kam 2 bis 3 mal an den nemlichen Ort. Abends rüstete ich mich, wegen den vielen Mordthaten mit meinen Degen aus unter den Mantel und ging zu Ravoisé - Allaix, bey dem ich seine Portefeuille durchsahe - dann zu Meyern, wo ich anfing Cecile einen Englischen Roman französisch zu lesen. Ich speiste dort, und kam gegen 12 Uhr ganz erfroren nach Hause. |[75] d. 17t Den ganzen Tag bey D.L. ich fing einen Porte du Chateau de Caprerole an. Abends liese ich mir ettl. Zeichnungen von D.L. geben, um sie mit nach Hause zu nehmen, weil ich mich einige Tage wegen meinen Schnupfen bey mir aufhalten werde. d. 18t Mein Schnupfen incommodirt mich nicht wenig - es ist ein kleines Fieber dabey. Ueber Tisch trafe ich einen iungen Menschen an, der so eben von Mömpelgard kam, um hier die Malerey zu lernen - er war recommandirt von der Reichenbachen. Abends zeichnete ich ein bisgen, es wollte aber nicht gehen - Ich schaffte mir ein TheService an, um mir darauf Thee zu <?>.

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d. 19t Des Morgens bekame ich einen Brief von Abbé - ich gab Antwort. Rieger kam zu mir - er sagte, daß der Wirth dagewesen seye, bey dem der Herzog ehedem logirt, und ihm gesagt habe, daß ein groser Mensch in einer Cocarde da gewesen u. nach den Herzog gefragt auch gesagt habe, er müsse da seyn, indem der Minister Quartier gesucht habe. Ich sollte mich deßwegens hüten, in keine Ungelegenheit zu kommen. Was das bedeuten soll weis ich nicht, ich werde mich näher darauf erkundigen, denn <x> ich weis kein Wort davon. Ich kaufte ein halbes Maß Holz - mit den <Strasbu> Mömpelgarder. Ich zeichnete an einer <Fenster des> Nische des Pantheons - Abends war Wächter bey mir - und später noch Huber und Füßli; ich fange seit einigen Abenden an Thee zu trinken, daß mir bey meinen Schnupfen sehr wohl bekommt. |[76] D. 20t Es geht wieder viel beßer, doch ist der Kopf noch immer etwas eingenommen; ich speiste diese Tage zu Hause - wo es unbegreifl. unreinl. hergeht. Es ist nicht glaublich, wie die Leute so in ihren Unflat leben können. Nachmittags ging ich zu meinen Schneider u. ins Attellier um etwas zu holen. Es machte einen entsezlichen Nebel, er ist so scharf, daß er die Augen zerbeißt auf 6 Schritte sieht man nichts. Ich kaufte auf der Pont neuf Schwämme. Es ist sonderbar, was für Figuren man iezt in den Strassen antrifft lange hagere Staturen mit verwilderten Gesichter einen schreklichen Barth. Augen die nur von der Seite herschielen - einen alten langen Mantel - einen Schlapphut und diken, langen Knittel, geben diesen Figuren ein Ansehen, daß man für ihn ausweicht. Ich endigte Cecile. Fille d'Achmet III. 1787 [?] Es sind die wunderlichste Fata einer Tochter des Sultans die in ihren 6t Monat von einer Emilie, deren Geschichte mit hineinverwebt ist, entfürt wurde - sie lebt noch in Paris - Huber sahe sie onlängst. Mettang war bey mir - er ist iezt weg von Anting und arbeitet bey Munich - er wohnt in der Rue de Censier. d. 21t Nachmittags fand ich endl. Perrodin in Caffee de Chartre. Ich ging mit ihn in die Rue aux deux ecus, beym Herausgehen <kau> aus den Palais Royal kaufte ich mir, weil es eben doch iezt gefärlich zu wandeln ist, einen Stok mit einen Degen. Ich wollte zum Abbé, der aber nicht zu Hause ware. Abends war ich bey der Meyern. Vorher aber bey Allaix in der Boutique des Ravoisé - die Kälte brach sich heute. |[77] d. 22t Der Abbé war bey mir - ich ging mit ihm aus - ins Palais Royal - tranke Chocolade in Italienischen Caffeehaus weil man man mir ihn gerümt hatte; er daucht aber nicht viel. In Caffee de Chartres frühstückte ich noch ein mal mit Caffee, weil ich nicht in Sinne hatte, zu Mittag zu eßen. Sodann zu Blumendorf, wo ich mir andere Bücher holte, dann zu Rieger - ich konnte nur mit den Sohn sprechen, und sagte diesen, daß ich mir die Erlaubniß seines Vatters ausbäte, mich wegen der Sache genauer zu informiren. Blumendorf wünschte die Phisiognomischen Reisen für die Neapolitanische Gesande zu haben, ich ging deswegens zu Seiler in die Rue Philippeaux hinter der Strasse St. Martin - ein verdammt weiter Weg, von der Rue commartin an. Ueber den Boulewart hin ist es angenehm zu gehen, die hier und da rechts und links stehenden Palläste - die frische Luft, die <angenehme> schöne Gesellschaft, die man zu zeiten da antrifft spaziren gehend, machen mir diesen Weg immer angenehm. Da aber wo ich hinkame ist ganz eine andere Welt. Da sieht es aus wie in einer kleinen Landstadt Deutschlands, gewönliche Bürgershäuser, eben so gewönliche Menschen bürgerlich schlecht gekleidet keine Elegante, keine <x> gut gekleidete Leute trifft man da an, doch ist es nicht die lezte Classe Menschen. HE. Seiler Cantor in der schwedischen Kirche u.

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Besitzer des Lesecabinets scheint ein verloffener Sächsischer Student zu seyn, er ist schon gegen 16 Jahre hier. Sein Lesecabinet und damit verbundener Büchervorrath ist nicht zum besten eingerichtet wie man schon aus den Cataloguen sieht. Er will es iezt veräußern, und er thut wohl daran, |[78] denn er versteht nicht genug davon. Ich kaufte die Physiognomischen Reisen von ihm um 11 Livr. 10 Sols und überliese sodan Abends Blumendorf. Auf den Rükweg ging ich durch's Chatelet. Eben hatte man eine in der Morg[u]e ein ermordetes Frauenzimer, das darinnen ausgestelt ware, in einen Sarg, der mitten in Hof stand u. mit einen alten scharzen Tuch bedekt war gelegt. Ein Priester <x> und ettl. Träger war alles was da war - ein kurzes stilles Gebet, das der Priester thate, und dann holten die Träger den Sarg auf - einige die vorbey gehenden erzeigten ihr dadurch die lezte Ehre, daß sie ihre Hüte herunter zogen, es war ihnen etwas gewönliches, mich rührte es - das unglükliche Opfer so aus der Gesellschaft hinweggeschafft zu sehen, ich konnte ihr eine Träne nicht versagen. Ich kam zu Hause, trank ein Glas Wein und speiste Käs und Brod. Allaix war bey mir - ich ging mit ihn aus zu Meyer wo ich um 10 Uhr nach Hause kam. Ich schriebe in Hubers Brief ein Wort an die Reichenbacher. d. 23t Ich habe iezt meinen Perruquier abgedrükt, und will mehr zu Hause arbeiten, ich mache den Anfang, daß ich nicht ausginge. Um mich in Zeichnen mit der Feder zu üben, werde ich hier und da in ein Buch allerhand Zierrath aus den Alterthum Casquen, Schilde zeichnen, ich mache den Anfang damit, aus der admiranda Roma. Wir hatten um uns für ein schlechtes Mittagsmal zu entschädigen ein kleines Soupé, bestehend aus einer Gans - Wir waren ganz munter u. vergnügt dabey. Füsli, Huber, Megrin u. ich machten die Gesellschaft aus. |[79] d. 24t Iezt thaut es mit Macht auf man empfindet schon das unangenehme davon in den Gassen. Ich bliebe heute wieder zu Hause, u. zeichnete - Mittags bekam ich von Waldner einen Brief u. eine Anweisung an einen Banquier Haller vor das mir schuldige Geld von 479 Livr. Den Abend brachte Allaix bey mir zu, ich machte einen Thee weil er sehr enrumirt ward, ich wünschte heute in die Messe de Minuit zu gehen. Dieses ist eine Messe die iedesmals den Tag vor den Christtag gehalten wird des Nachts um 12 Uhr. Wie die Pariser alles als eine Parthie de plaisir tracktiren, so geht es auch hier; man giebt sich <sodann verliebte> Rendezvous, ehemals waren es wahre Bacchanalien, die iungen Leute um sich munter zu erhalten, erwarteten die Messe in Caffeehäusern, und sie kamen sodann meistens one Verstand in die Kirche, um diesen abzuhalten sind die Caffeehäuser schon um 9 Uhr geschloßen. Es ging niemand mit mir, und ich bliebe zu Hause. d. 25t HE. Goldschmidt, ein getaufter Jude - ein Holländer - er war lang in England - in Jamaika - hatte eine Buchhandlung - ist iezt in den grosen Cabinet des Sixts in Paris, u. logirt hier in Haus. Er hat artige englische Bücher - er lehnte mir ein französisches mit schlechten lasciven Kupfern. Histoire de Marguerite fille de Suzan Niece de D. B. Portier des Chartreux et la C[?] ou Memoires d'une Courtisane celebre. Eines von den schmutzigsten Büchern, die man sich denken kann. Man sieht darin wie weit in Paris die Ausschweifungen in Paris getrieben werden. Es hat kein Verdienst als nur für den grösten Wollüstling, dem es vielleicht die Imagination |[80] reicht - ich schriebe einige andere Bücher von der Art heraus die darinnen angezeigt sind, um den bey dem ich sie finde, dafür zu warnen. Ein anderes Buch - das ungefehr den Titel hat - Les douze<s> Cesars et leurs amours - Es sind nachgestochene geschnittene Steine, von unzüchtigen Stellungen der Kaiser - die

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man von den Alterthum noch hat. Goldschmidt Huber Füsli u. Megrin waren des Abends bei einander - es kam nichts gescheites vor - auser das gute Bon-mot von Lord Ch<?> als dieser genöthigt ware, in den Parlament über eine Sache kniend Abbitte zu thun, wischte er sich, nach dem es geschehen, und in dem er aufstand mit seinen Schnupftuch die Knie ganz kalt ab, indem er vor sich hinsagte, doch laut genug um verstanden zu werden - Ich habe noch nie in einen schmutzigeren Saal als diesen gekniet. d. 26t Es ist gegen Abend wieder zimlich kalt. Ich spielte wieder mit Glauber nach den Eßen Schach. Wir waren bei ihm und tranken Kirschwasser nebst Ulmer Brod und Nürnberger Lebkuchen. Wir sahen Prestels Werke, es ist nicht viel daran, einige Platten ausgenommen, die sehr schön sind. d. 27t Megrin und ich speisten bey Farget - Wir machten vorher eine Tour - durchs Louvre, Palais Royal Thuellerien, über die Pont Royal in die Rue de Boucherie. Nachmittags ging ich ins Palais Royal das iezt sehr schön aufgepuzt ist, besonders suchen die Confiteure durch anlokende Illumination Decoration etc. einen für den anderen sich |[81] geltend zu machen. Abends war ich bey Meyern, wo auch Balletti mit Wächter hinkame, sie war gut angezogen, ein schwarzer Hut mit grosen stolzen schwarzen Federn stand ihr sehr gut. d. 28t Ich suchte Blondel auf in der Rue Neuve des Capucines - fand ihn aber nicht da, sondern Rue n d. Capucins - ich wuste nicht, daß es auch Capuzinerin giebt. Es ist der Sohn des berühmten Blondels der sehr viel in der Architectur gearbeitet hat. Er war Professor an der Akademie und hat reelle Verdienste zu seiner Zeit, die freilich in den schlechten französischen Geschmak sind. Der Sohn verlor seinen Vatter in 7t Jahr und seine Mutter auch sehr früh; er ist iezt bey den Ponts et Chausées angestellt; hat aber doch auch viele Kenntniße in der Architecktur - er zeichte mir einige schöne Plane von Hospitälern. Ich trank Chocolade bey ihm. Von da ging ich einen Augenblik zu Meyers - wo ich eine Mlle Rosenzweig von Wien antrafe, die immer französisch reden will, und es ongeachtet sie schon 3 Jahre hier ist, es doch sehr schlecht spricht. Nachmittags spielte ich lange Schach mit Glauber. Abends frisirte ich mich, zoge mich an, und ging zu Meyers wo ich HE. Osiander antrafe - (Oui) - d. 29t Ich schriebe den ganzen Tag, Nachmittags liefe ich in der ganzen Paroisse herum, um die Affiche des Curé von St. André des - Arts zu finden, sie war aber schon heruntergerissen. ich ginge sodann in ein Bureau |[82] wo ich Journale suchte. Man zalt da für das Blatt zu lesen 2 S. Folgendes zoge ich heraus: Nro 358, 23t Dec. Msr le Curé de St. André-des-Arts - (Dubois de Rochefort) invite <unles.> ceux de ses Paroissiens, que la dureté de la saison et des circonstances empeche de travailler à s'adresser à lui en personnes ou par lettres - Il engage et prie à lui indiquer ceux d'entre eux qui ne voudraient pas se faire connaitre. Ich schikte die Copie an Hirsch nebst 2 Briefen von 12t Nov. u. 12t Dec. - eine andere an Caroline nebst einen Brief von 20t Dec. über den Charackter der Franzosen u. der Kälte u. Unsicherheit. - einen Brief an meine Schwester von 21t Dez. nebst einen Calenderchen - der Liste eines Epiciers eines Confisseurs und einer Marchande Mode nebst noch einen Blatt Nachricht von meiner Reise von 11t Oct. An Müller von 11t Oct. von der Reise. - von 8t Nov. von der Unreinlichkeit in Eßen und Logis.

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- von 9t Nov. zwey Blatt von Freudenmädchens u. Palais Royal. - von 29t Dec. von Balletti Abends war Wächter, Perrodin, Allaix - Huber Megrin bey mir - wir tranken Thee u. Wein. ich bekame Händel mit den Purschen <u. schi> Pierre über eine Lüge, die er gemacht, und schikte ihn fort. Des Morgens war der Abbé bey mir und entlehnte 2 Louisd'or von mir, um sie mir den Mittwoch wiederzugeben. |[83] d. 30t An meinen Bruder - Münze - Calenderchen an Uxküll - Paris - Paradis, l'enfer etc. Kupferchen an Senkenbergen - Calenderchen. <Ich ging nachmittags auf's Caffee de Chartre und besahe die Herrlichkeiten des Palais Royal> Ich schriebe den ganzen Tag und ging nicht aus als des Morgens, wo ich bey Regnaud dem Mahler in Louvre ware, um Megrien vorzuführen. Regnaud war sehr höflich, es ist ein Mann von ungefehr 36 Jahren mittlerer Statur, etwas blatternasigt. Er erzehlte mir über die Rage überall Säulen anzubringen, daß ein <x> Bourgeois des Sonntags in die Opera gegangen seye. Qu'est-ce donnera aujourd'hui - fragte er seinen Nachbar, der sich wunderte, daß man nicht wißen sollte, was man giebt - Oedipe à Colonne, Monsieur. Comment - dit il - ses colonnes sont elles donc partout. Von seinen Gemälden sahe ich keines. Mittags speiste ich bey Pochet, und ging sodann nach Hause - Noch sahe ich die Edition bey den Buchhändler vis à vis von Pochet von Perrault's Vitrine von 1664 - obgleich das Buch (in Folio) nicht gut eingebunden, sogar beflekt ware, so foderte man doch 14 Livr. und man wollte mir es für 3 Louisd'or laßen. d. 31t Heute ist der grose Tag für alle mögliche Arten von Kaufleuten. Wer in dieser Zeit nichts verkauft, ist ruinirt. Die Kaufleute wenden aber auch alles mögliche an, um ihre Boutiquen, Magazine so auszuputzen und auffallend und einladend als möglich zu machen. Besonders thun sich die Confisseurs um diese Zeit hervor. Da man in ieden Hause, wo nur Kinder und Weiber sind, und wo trifft man besonders leztere nicht an, Bonbons schenkt, so wird eine unglaubliche Menge gekauft. In der Rue de Lombard wohnen die meisten dieser Confisseurs, ihre Häuser sind illuminirt und ihre Magazine mit Guirlanden, mit Spiegels, mit Lichter sehr geschmakvoll decorirt. Ein andere schöne Illumination war bey einem Confisseur |[84] in der Rue de la Harpe - diese Häuser haben denn auch ihre Magazine in Palais Royal - Le fidel Berger hat auch 14 Tag den Platz in einen Caffeehaus - La grotte flamande, geliefert, wo er den Caffetier nur für die Cedirung seines Platzes 1800 Livr. giebt. Dieser Confisseur hat voriges Jahr für 26000 Livr. verkauft. Das Palais Royal ist um diese Zeit am blendesten. Was nur Luxus erfinden, was Industrie und Geschmak hervorbringen kann, ist da auf die verführerischste Art ausgestellt. Die Kaufleute verdoppeln ihre Höflichkeit, ihre Gesichtszüge, auch wenn sie noch finster und zurükhaltend, legen sich in angenehmere, freundliche Falten - die Weiber, den gröstentheils halten hier die Weiber die Boutiquen sind ausgesuchter in ihrer Costume in ihrer Kleidung. Oft ladet ein schönes oder ein gut angekleidetes Weib ein in ihre Boutique zu gehen. Sie spricht, und weis mit so vieler Artigkeit ihre Sachen anzubieten, daß man nicht um hin kann, ihr etwas zu zuviel zu geben. Dieses verstehen besonders die Confisseurs, die die schönsten <Madchen> Töchter unter ihren Bekanten und Hausfreunden aussuchen, um in ihren Magazinen zu verkaufen. So waren bey den Confisseur in der Rue de la Harpe zwey vortreffliche schöne Mädchens, die eine wegen ihrer schönen minois, die andere wegen ihren schönen Wuchs, gute Tournuren und viel sagenden Gesichtern. Die Confisseure in Palais Royal haben 2 Soldaten von der Schweizergarde vor den Thüren stehen, um die Sache noch auffallender zu machen, und die presumption des Zulaufs wegen der Güte ihrer Materialien zu erregen. Ein anderer Kaufmann hatte

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|[85] den Fond seiner Boutique mit goldrothe <Silber> austapezirt und dann erleuchtet, das sehr schön liese und wodurch er durch wenige Lichter einen blendenden Effect bewirkte. Ueber den Magazinen unter den Bogengängen sind Entresoles. Diese werden Hauptsächlich von Freudenmädchen, oder gehören sie noch zu den Boutiquen unter ihnen. Vor diesen Entresoles an den Fenstern sieht man alle Arten von Hüte von modischen Hüte, die durch kleine Laternchen und Lichter und Lampen so dazwischen oder davorstehen erleuchtet und sichtbar sind. |[92] d. 1ten Januar 1789 So wenig Ceremonien auch sonst der Pariser sich unterwirft so viel ist er <heute> genöthigt, heute <welche> zu machen. Es scheint er verdient sie auf diesen Tag für alle folgenden des Jahres ab. Er ist dabey so musig, und weis sich so gut darein zu finden, daß man glauben sollte, er hätte das ganze Jahr darauf studirt. Dies ist doch den Franzosen allein eigen, daß er sich in alles zu schiken weis, daß er in iede Lage sich so hineinschaft, als wenn sie ihm nie fremd gewesen wäre. Diesen Tag also ist das ganze Heer von Protegirten genötigt zu ihre Protecteurs zu gehen - man kann sich leicht denken, daß darunter fast alle Einwohner von Paris begriffen, den wer ist one Protecteur, der Minister so gut als der geringste Clerc, der erste Banquier so gut, als der Schwefelhölzchens Crämer. Wer also nicht krank ist, oder einen Rok anzuziehen hat, findet sich auf der Strasse, entweder in Equipage oder Fiacre oder Pironette oder Portechaise oder zu Fusse. In einer Stadt nun wo eine Million Menschen sind, ist denn das ein ganz artiges Hin und Herrenen. Wer ein schwarzes Kleid und einen Degen vermag legt ihn an, und in diesem Putz sieht man die meisten einher wandeln. Der Neujahrs Wunsch Pflichten bey den Protecteurs entledigt man sich zuerst - dann kommen die Besuche bey Freunden und Bekannten - und da kann man dann wieder fragen, wer ist so ganz isolirt so ganz unglüklich keinen zu haben, wenn in der erstern |[93] Classe viele Weiber nicht inbegriffen sind, so stehen sie doch in der zweiten - die grosen machen ihre Visiten durch Billets - sie setzen ihre Kammerdiener in einen zugemachten Staatswagen, der fährt dann herum, und der Bediente giebt das Billet ab. Den kaiserlichen Gesanden Grafen v. Mercy geschahe es einmal bey der Gelegenheit, daß er bey den <Lücke> war, als eben auch sein Kammerdiener vorfuhr, um ein Billet abzugeben - ein Versehen, das viel Lachens verursachte. Uebrigens müßen heute alle Gesande nach Versailles, um den König das Neue Jahr zu wünschen. Der Nonce macht den Anfang, dann kommt der kaiserl. Gesande etc. Sind alle Ambassadeurs vorbey, so schlägt man den HE. Envoyés einen Thürflügel (battant) vor der Nase zu. Ferner gehen alle Ministers nach Versailles, kurz fast alles was von Hof dependirt und Protection bey Hof und den Ministers sucht. Die Menge der Presente, die heute ausgetheilt werden ist unglaublich, von der Stadt Paris die den König beschenkt bis auf den Garçon de Caffé der eine Tüte mit Bonbons presentirt, alles giebt Geschenke hin -Kinder <bekommen> ist dieser Tag was bey uns der Christtag. Manche Maitresse bekomt heute von ihrem Liebhaber für 20-30000 Livr. Presente. Kommt man in der Bourgeoisie in ein Haus so embrassirt man Kind und Kegel, alte Mütterchens und iunge Frauen, schöne Mächchens und garstige Tanten. |[94] Man giebt ihnen sodann mehr oder weniger - Bonbons den Kindern, Orangen den Weibern. Hat man in einem Haus gegeßen, und oft gegeßen, so muß man dann auch ins Haus den Domestiquen ein kleines present in Golde machen. Kommt man in ein Caffee, so wird der Garçon nicht ermangelen, eine Tüte mit Zuker zu presentiren, daß man mit 12- 24-60 Sols bezahlen muß. Der Perruquier, die Handwerks Leute, ihre Garçons - alles will haben, und für seinen Neuiahrswunsch bezahlt seyn. Oft ist dieser Tag der Versöhnungs Tag von ganzen Familien - Kinder, die mit ihren Eltern zerfallen - Brüder, Schwestern Verwandte, die nicht gut miteinander stehen, meist heute sich sehen, und das giebt Anlaß zur Wiederherstellung der

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Freundschaft. Der Garçon de la Maison hat das Wort an sich. Allons - Er trate ins Zimmer - Bonjour, Monsieur - Je vous souhaite la nouvelle année - comment vous Portés vous - allons - mit diesen fing sich mein erster Tag im Jahr an - Kam sodann mein Herr Schneider, und brachte mir anstatt einen schwarzen Rok einen Sak - ich schikte ihn wieder mit fort - sodann fertigte ich meine Briefe aus, und pakte sie ein - Mittags speiste ich im Hause - ging sodann auf's Caffee de Chartres wo ich mit den Bruder von Dieterichs Rößle (Hartmeyer) einen Streit über die deutsche Sprache hatte - ob man seyne Eindrük <?> - Wichtig genug - Perrodin kam, wir tranken Thee, gingen sodann zu Meyern. Sie war nicht zu Hause, wir warteten auf sie, unter deßen spielten wir mit den Kleinen, den ich ein Kegelspiel mitgebracht hatte. |[95] Mde Meier kam gegen 9 Uhr - ich machte ihr den Gothaischen Fr Hofcalender und der Tochter den Almanach des Muses retié en maroquin rouge zum Present. Ich blieb nicht beim Eßen und ging bey Zeiten zu Haus. Man hat die Orangen an ieden Ecken der Straßen auf ieden Platz feil an diesen Tag - des Abends stehen Esel da mit Körben auf ieder Seite, in denen die Orangen, in deren Mitte ein Licht stekt - so ist es eine herumgehende Illumination. Das Stük kostet 3-6 Sols. |[96] d. 2t Mein Schneider brachte mir meinen schwarzen Rok wieder, der noch eben so schlecht ist, ich behielte indeßen doch und bezahlte ihn alle seine Conto, um auf immer von ihm los zu kommen. Ich ging sodann aus zu Rieger - ich traf keinen Portier an, muste mich also durch den Kutscher melden laßen weil er mir nicht sagen konnte, ob sein Herr Visible seye oder nicht, unterdeßen muste ich mich bei den Portier aufhalten. Der Herr Minister hätten affaire, und der Herr Sohn wären indisposé - So schikt man einen Gläubiger fort, aber nicht iemand, der höflichkeitshalber kommt, das Neue Jahr zu wünschen. Von da gab ich bey Blumendorf ein Billet ab - dann kaufte ich in der Fauxbourg Monmatre 6 St. Orangen u. entledigte mich deßen bey Munichs. Ich war sodann bey Anting und ging von da zu <x> meinen Architekten, den ich nicht antrafe. Dann war ich bey Harwey (vid. [?]) und sodann bey Balletti - da ich in schwarzen Rok - Degen und Porte épés war, so sagte sie mir - man wäre so geniert an diesen, weil man sich als Petit maitre anziehen muste, ich sagte ihr, daß dies für die wahr, die sich als solche anziehen. Da überdem HE. Reinewald sich immer auf die unschiklichste Art für das Kamin pflanzt, und einen groben unmanierlichen Ton hat, so werde ich wegbleiben, bis sich die Sachen ändern. Ich hatte indeßen das Mittageßen versäumt, ich ging also nach Hause - von wo ich dann zu Meyers ging, um bey ihnen zu Nacht zu essen. Heute als ich den Abbé aufsuchte, hies es er wäre fort - hätte auch sehr schlechte Streiche gemacht, unter andern Stüken Ketten für 40 Louisd'or gestolen - den armen kleinen Engländer Lewis Gold und silberne Schnallen mitgenommen, und nicht bezalt. Er hat auch wahrscheinlich den doppelten Louisd'or der mir fehlt gestolen, denn damals an eben den Tag war er bey mir. Auch hat er die 3 Theile von Descr. de Paris von mir entlehnt und mitgenommen - dies ist dann mein Lehrgeld in Paris. |[97] d. 3t Ich bliebe den ganzen Tag zu Hause. Abends war Glauber bey mir und spielte Schach - ich erfuhr, daß mein Nachbar neben mir Hoyer wäre, den ich in Gotha hatte kennenlernen. Wir hatten heute mittag das erstemal ein gutes Essen bey unseren Wirth. Den Abend kostete mir die Ueberwindung an Harwey zu schreiben viel - es machte mich unruhig - in dieser Lage legte ich mich nieder.

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d. 4t Ein iunger Mensch von Stuttgard, Scheffner, Joaillier, war des Morgens bey mir nebst Mordstein - eben diesen traf ich bey Harwey an, als ich hinging, den Brief zu überbringen. Ich bliebe übrigens den ganzen Tag zu Hause. d. 5t Ich machte die Bekanntschaft mit Hoyer - er ist Secretaire de l'academie de Copenhague - Ich glaube, er ist nur wegen der Mädchens nach Paris gekommen, wo er schon vor ettl. 20 Jahren in den neml. Zimer logirt hat, den er liebt sie sehr. Abends war Allaix war bey mir - wir tranken Thee - er erzehlte mir von Italien. d. 6t Morgens war ich bey David - er gab mir die Liste seiner Gemälde, es schmeichelte ihm als ich ihn sagte, daß ich sie in ein deutsches Journal einrüken würde. Seine Frau - nicht garstig und nicht schön, kam in Tränen herein - ich konnte sie also nicht kennen lernen - seine Kinder - er hat 4e - die Buben liefen im Hemde herum, eine alte Tante kam, und sie zankte, wie es bey uns auch geschieht, daß die Kinder nicht verwahrt wären, daß es grausam seye etc. Jemehr ich sein Gemälde (das kleinere) die Horatier betrachte, ie beßer gefällt es mir. Vortrefl. und rührend ist in seinen Belisaire der Gedanke, daß Belisaire Allmosen in seinen Helm sammlet, man denkt sich da den ganzen Abstand von der Zeit, wie dieser Helm das Haubt des Generals zierte bis dahin, wo er die nothdürftige Gabe, die man dem blinden Bettler giebt, emfängt. |[98] Ich suchte Perrin in der Rue de Censier auf - er zeigte mir ein Modell von einen Bett, daß mir nicht sonderlich gefiele, es ist zu schwer. Die Säulen sind zu nahe, und der Platz engt sich noch mehr zusammen durch die zwey garstige Säulenstühle. Der Himmel des Bettes ist auch zu plump - ich hätte in der That etwas bessres von Perrin erwartet. Iezt lief ich nach Hause, um noch zum Eßen zu kommen - denn heute ist der Bohnen König - d.h. ein Kuchen wird zusammen geschnitten, ieder bekommt ein Stük, und wer eine Bohne, die in den Kuchen gegeben ist, in seinen Stük findet, ist König - man läßt dann einige Bouteillen Wein mehr kommen, und sucht auf Kosten des Königs sich einen fröhligen Tag zu machen. Der König wählt sich eine Königin, ist sie schön, so kann er durch diese Anstalt einige Küsse gewinen. Trinkt er, so schreit alles - Le roi boit -und ie mehr man schreit, desto besser glaubt man sich vergnügt zu haben. Huber befande sich sehr übel - er muste sich in mein Bett legen. HE. Scheffner kam, ich ginge mit ihm ins Palais Royal, machte meine Cour Mlle Felicité - suchte Perrodin auf - ging alsdann zu Allaix - von da zu Ravoisé - wo es mir aber misfiele. Mde Pichini, eine Frau von 32 Jahren, die schon 12 Kinder gehabt, lies sich da die Cour von einen gar fatalen Gesicht machen - ich ging also zu Meyers wo ich niemanden antrafe - Jean sagte mir, daß die Mlle krank wäre, wahrscheinl. von lezten Sonntägl. Ball -die Mutter seye bey Munichs und käme vielleicht spät nach Hause. HE. von Blumendorf hätte es absagen laßen. Ich wollte zu Mde. König - sie war auch nicht zu Hause. Mir blieb also nichts übrig, als nach Hause zu gehen. |[99] d. 7t Der erste Tag, wo ich arbeitete, wie ich schon die ganze Zeit hätte arbeiten sollen, ich endigte heute morgens meine Capelle der Rotunde und zeichnete Nachmittags das Soubassement und Porte de Chateau de Caprerole. Meyer brachte noch einige Pfeifen, guten Tabak hervor und ich rauchte das erstemal in Paris eine Pfeife mit Geschmak. Hall ein Medailleur ein Däne - war bey Füßli. d. 8t ich arbeitete den ganzen Morgen der Zeichnung und ginge den ganzen Tag nicht aus - ich hoffe iezt nach und nach in die Arbeit zu kommen. Allaix war bey mir -

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d. 9t M. u. ich speisten bey Farget - dann ging ich zu Allaix - der eben am ausgehen war - sein Quartier ist iezt Rue pour l'abbé Nro. 3. Des Nachts speiste bey Mde Meier - die Tochter hatte ein verbundenes Gesicht - vorher war mit Allaix an Pal. Roy. in der Grotte flamande, tranken wir 3 Bout. Cyder - die Bout. à 9 Sols u. asen echaudés dazu - ein guter Trank - er blät aber stark - die Grotte flamande ist in Souterain en grotte ausgemalt - ein niedriges Gewölbe - es werden da oft Parthien des Nachts mit Mädchen gemacht. d. 10t Sehr viele Leute, die betteln trifft man iezt auf den Strassen an, in Pal. Roy. sogar - die Leute bedienen sich aller hand Mittel, Mitleiden zu erweken. Sie liegen auf den Boden und ächzen - Was fehlt. Je meurs de faim. Hoyer hatte mir in P.R. ein Rendez-vous gegeben - ich traf ihn aber nicht - wir wollten zu Greuze miteinander gehen - ich bliebe |[100] einige Zeit in den Magazin, das Ravoisé à la Grotte flamande hat. - Sodann war ich bey meinen Architeckten - er empfing mich sehr höflich - drang aber darauf, daß ich in Bureau arbeiten sollte. Er gabe mir ein Projet von einen Bad - Elevation - Coupe et Plan2 auch das Bett, das er für den <Lücke> Componirt - Es ist sehr artig. ich speiste bey Farget - war sodann wieder in Pal. Roy. wo ich Mettang antrafe, den ich mit Eis regalirte - Perrin kam auch hin - ich wechselte meine Wechsel bey Giradot u. Haller aus (400 Livr. man geht ins Bureau - zeigt seinen Wechsel man bezeichnet ihn, und nun geht man in die Caisse, wo man sogleich bezalt wird. Ich ging zu Hause, trank Thee u. legte mich bey Zeiten zu Bette. d. 11t Mettang, Perrin - u. Munich waren bey mir, erstere zwey tranken Caffe, ich ging sodann mit ihnen die Kirche St. Genevieve zu sehen. ich hatte viel erwartet, und doch übertraf die Ausführung meine Erwartung. Noch niemals bin ich durch ein Gebäude so frappirt worden. Die vollkommene Ruhe, die man empfindet, wen man in einiger Entfernung davon steht, die schöne Form des ganzen und sogar die Perspectivische Ruhe, die besonders entstehen wird, wenn die zwey Thüren die Aussicht beschliesen, u. nichts mehr zu wünschen übrig lassen, geben die angenehme Empfindung. Der Platz davor ist es besonders, was das Gebäude genießbar macht. Es wird das schönste Gebäude in Europa werden, wenn es ganz fertig wird. Die Details sah ich dies mals nicht - |[101] Wir hatten eine Mittagsmalzeit - Perrodin brachte 2 Bout. Rheinwein u. 2 Elsässer, Goldschmidt Clousterkäs - er sieht ganz röthlicht aus u. 6 Bout. Engl. Bier - Hall eine Bout. Champagner - Huber Füsli, Megnier u. ich gaben die Suppe, Rindfleisch, Sauerkraut u. Bratwurst - Dindon - u. Torte u. 2 Bout. rothen Wein. Man trank - u. sang endlich - Sanct Paul war auch ein Medicus etc. - u. allerhand solche artigen Gesangchen. Füsli wurde ein bischen munter, und auch die übrigen Herrn, - man sieht diesen sehr an, daß sie keine Erziehung gehabt haben, und noch nie habe ich so stark den Unterschied u. den Vortheil der Erziehung gefült, den sie über alle Freuden des menschl. Lebens ausgiest als in Paris - Glauber kam auch zum Caffee - die Herrn gingen zu Nicolete ich wollte nicht

2 Vgl. „Einleitung in die Civil-Baukunst“, Hs. Wilhelm v. Wolzogen, vielleicht Excerpt (jetzt Nachlaß Wilhelm v. Wolzogen, Deutsches Literaturarchiv Marbach): „II / Von den Baurißen. / Die Riße sind Resultat von Genie des Baumeisters, weil sie seine Erfindungskraft beweisen. Es giebt viererley Arten desselben. / 1.) Grundriße, Plans, welche die Horizontal-Fläche zeichnen. / 2.) Aufriße, elevations, die das Gebäude von ausen abbilden. / 3.) Durchschnitte, profils, coupes um das innwendige vorzustellen. / 4.) Perspectivische Riße welche die Würkung eines ganzen, das man auf einmal übersehen kann, in einem gewißen Gesichtspunckt zeigen. / Die Aufriße und profils zu verfertigen nimmt man eine HorizontalLinie an, auf die man von den Theil des Grundrißes lauterrechte [sic!] Winkel zieht und alsdann die Höhe dieser Theile bestimmt.“

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- Perrodin, der sehr gemein wird, bediente sich eines sehr unartigen Ausdruks - dieses gab mir die Regel niemals mit Leuten one Erziehung mich genau zu liieren, weil früh oder spat Unanemlichkeiten daraus entstehen. Ich ging zu Allaix - ins Pal. Roy. - zu Meiern wo ich Mde u. Mlle Lejeun antrafe. d. 12t Nachmittags mit Glauber in die Varietés in Girardot und Hallers Loge - die Stüke, die gegeben wurden waren - Le Fou raisonable - Valarge spielt ihn - der Engländer hat sich bey den Franzosen so in respect gesezt, daß er ihn auf seinen Theater immer als großmüthig als edel aufführt - Le Lagneur supposé ein neues Stük - ein Bedienter der von seinen Herrn auf sein neu erworbenes Landgut geschikt wird, giebt sich für den Herrn aus, dieser kommt eben an, als iener mit den Notables de village zu Tische sizt, und wartet ihn auf, one daß der Bediente es merkt, bis er endlich mit Schreken deßen |[102] gewahr wird - der Bediente wurde von seinen Herrn Aventurier genant, das Parterre schrie - bas l'aventurier, sie wollen das Werk nicht - der Autor wurde gefodert - es war one Namen eingeschikt - Ein Acteur kündigte an, daß morgen für die Arme gepielt würde - man klatschte, daß wird aber alles seyn, was das Publicum thut. Jerome Pointu - Valarge macht, wie in Intendant comedien malgré lui mehrere Rollen und zeigt seine Geschwindigkeit in An und Auskleiden. Als ich nach Hause ging sahen wir den iungen Wiln mit einen Mädchen gehen - ich folgte ihnen nach, das Mädchen ging in das Caffé Allemand - rue Montorgueil au cinquieme - als ich dieses wuste, war ich zufrieden und ging nach Hause, wo die Gesellschaft von gestern da ware - Man ase überbliebenes Sauerkraut - Würste, Käs u. tranke Wein dazu. Goldschmitt, der in Six Maganzin arbeitet erzehlte, daß dieses eines von den reichsten Magazinen seye, die existiren - es enthalte nur allein für 4½ Millionen Waaren nach ihren Einkauf - Sie haben in die 14 Tage von den neuen Jahre für 110000 Livr. verkauft, obgleich das Jahr viel weniger gekauft wurde als sonst. Sie verkaufen imer des Tags für 1000 Livr. wenigstens. Das Magazin hat hat einen außerordentlichen Credit, unter andren hat es sich ihn auch dadurch erworben, daß es die Waaren wieder annimt für das was sie gekostet, wenn sie nicht verdorben - es geschieht dies freilich selten, und sie verlieren auch wohl dabey augenbliklich, allein dieses vermehrt sehr ihren Verschluß und flöst Zutrauen ein. Six hält sich immer in London auf, u. kommt nur selten nach Paris - er hatte nur 500 Louisd'or als er nach Paris kam, u. durch Protection des Duc D'orleans u. des Glüks ist er iezt ein Mann von Millionen. Seinen Verstand hat er das wenigste zu danken. |[103] Goldschmitt zeigt ein paar sehr schön und gleich gewobene seidene Strümpfe - 1000 Sterl. wurde in England darauf gesezt, was das beste Paar machte, und diese sind von den Meister - d. 13t Es ist außerordentl. was man für die Armen thut - der Prinz von Condé hat allein 20000 L. hergegeben, und doch ist diese Art Leute nicht zu frieden. Ich fing die Zeichnung von den Bad an. Es thaut iezt mit Macht auf - und es ist schon sehr übel in den Straßen zu gehen. d. 14t Ich bliebe den ganzen Tag zu Hause, und arbeitete. Schäffner brachte mir Ringe zu 550 Livr. bis 60 Livr. d. 15t Man giebt vor, daß man in Paris die besten Seiden Strümpfe macht, und wirklich sind sie auch sehr gut - Ich kaufte heute morgens 1 paar schwarze schwarze zu 3 u. 4l. für 12½ Livr. ein paar gestreifte für 9 Livr. Der Mann scheint gute Waare zu haben - Seine Adresse ist <Lücke> La Soleil d'or Rue de L'anciene Comédie francaise - près celle des Cordeliers Nro. 25 - Astier Tient

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Magazin de tout ce qui concerne la Bonnetiere etc. ich ging sodann mit Hoyer in die Kirche St. Germain u. Notre Dame. Abends ging ich zu Meyern, wo Perrodin auch hin kam, mit dem ich nach Hause zurükkehrte - ich war auch bey Perrin, Wächter, Allaix. d. 16t Früh beim Aufstehen gab man mir einen Brief von Böhmen, in den er mir sagen lies, zu ihm zu kommen, der Brief war von gestern. ich schikte also sogleich einen Comissionaire an ihn mit einen Billet, er bestimmte mir nachmittags die 5te Stunde, ich kame, er war ganz höflich, sagte mir aber |[104] sogleich 3 bis 4 so handgreifliche Lügen vor, als er wäre bey mir gewesen, hatte aber vorher gefragt, ob ich weit weg wohnte, er hätte geglaubt ich hätte um 8 Uhr die Stunde betimmt wann ich kommen wollte etc. Auch sagte er mir, der Herzog habe ihn gesagt, ich könne einmal so den ersten Tag zu ihm kommen - ich ging gleich weg, weil der HE. Kammerherr ausfuhr - von da zu Blumendorf, der Geschäfte hatte - von da ganz verdrieslich nach Hause - wo ich mit Hoyer Thee trank. Ich traf einen Fremden bey ihm an - es war ein Flamländer in kaiserl. Diensten als Officier gestanden, und dann in Rußland gewesen, wo er sich mit Miniaturmahlen abgiebt. Hoyer sagt, er seye nicht viel - er ist in Paris um die Zeichnung auf die Reise der Kaiserin nach Cherson, die er von Parfier hat corrigiren laßen, stechen zu laßen. Von Anting erzehlte er, daß er in Rußland unverschämt sich eingedrungen hätte, oft aus den Hause ware hie und da gewiesen waren, und daß man ihn ordentl. gescheut, indeßen hätte er doch gegen 20000 Rubel gemacht. Von Mde. Krock - sie habe Petersburg verlassen, weil sich ihr Amant paisible - ein Franzos - ein violon eine Kugel durch den Kopf geiagt - Als sie in die Comedie fuhr, gab er ihr die Hand in Wagen - sie gehen in eine Comedie ich zu einer Tragoedie - man fand ihn den Abend in seinen Blut. d. 17t Heute abend kam der Herzog an, er wohnt Rue commartin Nro. 35. Böhnen <ritt> fuhr ihn bis Maux entgegen - Wir hatten bey Goldschmid (einen getauften Juden, einen Mann, der überal herumgekommen ist und iezt in Magazin von Sixt ist) einen kleinen Schmaus, die Gesellschaft, die vor 8 Tagen beysammen war. Wir asen Pasteten aus dem Hotel de l'amerique de Ruen - tranken englisch Bier zweierlei Art u. Closterkas hier dazu - Man hat eine Medaille geschlagen auf den König auf der einen Seite Louis XII, auf der anderen Henry IV - die Unterschrift ist XII et IV sont seize. Der <Lücke> war einst bey den König u. der Königin, er ist für einen impromptu nachher bekant. Die Königin redete von ihren Schuh die ganz grün waren, d'un ver uni - der König sagte ihm ein impromptu zu machen auf die Königin - Elle a l'univer à ses pieds - antwortete er schnell. |[105] d. 18t Ich sezte mich heute morgens ganz in meine Uniform, bis auf die Schuhschnal und der Frisur mit 3 Pukeln - ein Fiacre transportirte - mit einer ganz martialischen Mine, rasselte ich so auf den Pflaster hin, mein kleines Kleiderpürstgen in den Sak, womit ich von Zeit zu Zeit mich auskehrte, nachdem ich vorher die Fenster (läden) hinaufgezogen hatte. Nicht weit von den Place Vendome dem Bouleward zu begegnete mir die Herzogin mit Klein in einer Carosse de remise, davon der Herzog zwey hat. Ich erkannte sie nicht eher, bis sie ausstiegen, wo ich Klein ins Gesicht bekam - Auf der Treppe machte ich sodann der Herzogin mein Compliment. Sie fragte mich, wie es mir ging, - ob ich schon weit avancirt wäre, mein Bruder seye wohl, und habe sich beschwert, daß ich nicht schriebe. Ich folgte <ich> ihr bis in die zweite Antichambre, wo sie dann sagte, daß sie daß sie noch einiges an ihren Toiletten zu machen hätte und mich verlies. Ich ging sodann zu Klein, der mir von Eßlingen etc. erzehlte, auch mir Briefe von Muller - Graevenitz u. Lotte gabe - auch von lezter einen an Carl - ich lies durch den Böhnen mich beim Herzog melden - Ach ich kann ihn iezt

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nicht sprechen, er muß morgen wiederkommen - ich konnte zum zurückfahren keinen Fiacre bekommen, Böhnen, der in Namen des Herzogs zum Prinz Heinrich fuhr, rue de L'université, (l'Hotel de L'université) name mich mit, <und> ich bliebe unterdeßen in Wagen, er sezte mich sodann bey der Pont neuf ab. wo ich das erstemal mich eines Parapluis bediente. Ich hatte die Comissionen an Meier übernommen, ging also sie zu sehen, vorher war ich bey Ravoisé - der Herzog war nachmittags bey Prinz Heinrich gewesen, u. sodann in die Assemblée du corps diplomatique gefahren, in seiner |[106] Legions Uniform mit einen kleinen zusammen gedrukten Hutchen u. dem Büschgen darauf -die Herzogin war zu Hause geblieben. Ich bekame auch einen Brief von Boek. d. 19t Um 9 Uhr fuhr ich in den nehmlichen Staat wie gestern aus zum Herzog - er wollte gleich ausfahren - ich redete mit ihm - er schien gnädig zu seyn, sagte mir, <x> wen ich frequentirte er verstande darunter den Architekten, ich sagte ihm von Perrin - er lobte ihn - nachdem ging ich mit ihm die Treppe herunter - er wollte mir einige Aufträge hier geben - die Franzosen haben nicht neues mehr - wir haben alles, was bey ihnen ist, auch bey uns - England scheint er vorzuziehen in dem was das Ameublement betrifft ich hobe ihn in den Wagen - er fuhr in die Rue St. Jacques - Böhnen, Klein, Rieger fuhr mit ihm. J'attendrai les ordres de son Altesse chez moi - und ich ging - es hatte ihn gefallen, daß ich ganz in der Uniform ware, in deßen sagte er mir, ich könne auch andere Kleider anziehen. Sag er Perrin, mein lieber Wollzogen, daß er sich besonders nach den neuen Geschmak umsehen soll - ich zoge mich aus, lies Uniform und Degen dorten, legte mir meinen Ueberrok an, und ging zu Perrin - von da nach Hause, ich kaufte das Werk Histoires Secretes de la Cour de Berlin von Mirabeau um 9 Livr. d. 20t Ich zeichnete meinen Plan - und lies meine Haare des Abends kräuslen u. brennen, das mir etwas Kopfweh machte. Der Herzog war heute früh neben meinen Haus bey einem Buchhändler Mericat - er hielte sich bey 2 Stunden da auf. Ich hatte nicht Lust mich am Fenster zu zeigen - Böhmen und Klein war mit ihm. |[107] d. 21t Nachdem ich meinen Plan gezeichnet ging ich mit Megrien aus - Wir durchsucheten die Boutiquen der Bouquinisten und Kupferhändler auf den Quais - ich kaufte façade von Louvre innen - Hotel de ville - Versaille - La Merci, Portail des Invalides. Heute ist endlich das Eis losgebrochen unter den Bogen der Pont neuf, wo es sich gestern gestaut hatte. Es war ein schöner Anblik dieser Eisgang, der Fluß der doch sehr breit ist war ganz und gar mit schreklichen Eisschollen angefüllt, die unruhig wild übereinander stürzten, er war sehr hoch angeschwollen - unter den Eisschollen kame oft die Trümmer eines Fahrzeugs oder auf einer Eisplatte ein Dunghaufen oder der Stamm eines Baumes angeschwommen. Mitten in diesen Eise sahe man einen grosen Hund, der von einer Eisscholle zur andren sprang. Sein Herr in einen Fahrzeug, überrascht von den Eisgang war zu Grunde gegangen. Er passirte die Pont neuf u. P. Royal. Ich weis nicht, was weiter aus ihm wurde. Das ganze Ufer und alle Brüken waren mit einer Menge Menschen besezt. Nachmittags ging ich mit Megrien zur Kirche von St. Sulpice - Es ist viel Architektur daran, die aber <alle> nicht nur gröstentheils verloren, sondern sogar einen Uebelstand macht, weil sie unter einen zu grosen Winkel gesehen wird, so scheinen die Ionischen Säulen auf den zweiten Stok à faux zu tragen, auch der Corniche das unter Dorischen - der obere Turm scheint es dan aus eben den Grund noch mehr. Das innere der Kirche hat etwas angenehmes, durch eine gute Vertheilung des

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Lichts - mich beleidigte das grose Gesimse das scharf abgeschnitten in der Mitte herum läuft, u. in einer Entfernung bey den Haubtaltar wieder anfängt. Diese Lüke thut dem Auge nicht wohl, da man von unten den Entzwek nicht einsieht. - Auch ist die Architektur der Orgel eine andre, als die der Kirche. |[108] Was mich am meisten frappirte ist Hintergrund der Capelle der Hl. Maria erhabener feierlicher läßt sich nichts denken - es ist in der That das, was mich in Paris am meisten von den Kunstsachen gerührt hat. Wen man davor betend liegt muß sich die Brust erheben und das Herz doppelt feuriger schlagen. Schade, daß das Vorwerk nicht ganz nach meinen Begriff dazu harmonirt. Das Grabmahl von Languet ist in der Idee poetisch - aber doch immer zusammengesezt, als daß es dem Auge wohlthun und die Seele rühren soll - sobald man bey einem solchen Monument nicht sogleich frapirt wird, so ist meines Erachtens die Wirkung verloren. Je weniger deutl. unsre Ideen in den Augenblik sind, desto mehr werden wir gerührt - Sobald der Verstand sich mit ins Spiel legt verschwindet der Eindruk, oder wird wenigstens sehr geschwächt. Ich ging mit Megrien ans Luxemburg - die Architektur ist ganz in Geschmak der Thuelerien - der mittlere Pavillon gegen die Straßen zu hat in seiner Form gar etwas angenehmes - die kleine <Dom> Kuppel ist leicht u. gut gezeichnet. Wir gingen durch in Garten, der mir sehr wohl gefällt. In Sommer in der Kühle des Abends muß es hier göttlich seyn. Er ist nicht so gros, man kann ihn leichter übersehen. Das Gebäude steht in mehr Verhältniß - man eignet sich gleichsam den Platz mehr zu als die Thuelerien. Je weniger fürstlich und großherrisch dann doch dergleichen Anlagen zum Vergnügen sind, desto mehr gefallen sie. In dergl. Lagen will man den grosen Herrn nicht. Man will da frey seyn auch sogar den Gedanken nicht haben, dieser Platz gehört einen Fürsten der aus Gnade dich hier spazieren gehen läst, der dich aber hinausiagen kann, wenn er will. |[109] Ich ging sodann zu Ravoisé, der alte war da, invitirte mich zu sich zu sich zum trinken, und ich leerte eine gute Portion Kirschenwasser mit ihm aus - kaufte auch eine Bouteille von ihm um 40 S. - ich ging zu Allaix - der Kirschengeist incommodirte mich ein wenig - ich legte mich auf Bette - von da war ich zu Hause d. 22t Ich hatte einen ungeheuren Durst die Nacht, und ob ich gleich Wasser in meinen Zimmer hatte, konnte ich doch unmöglich davon trinken, weil es gar zu schlecht aussieht, und auch sehr ungesund ist. Ich werde mich deßwegens an Milch halten. Perrodin war bey mir. Es kam um ½2 Uhr ein Bedienter, der mich um 2 Uhr zum Herzog bestellte. Ich zog meinen schwarzen Rok an, mein Hofdegen mit einem Porte-épée und hatte ein hohes Vergette an. Es war gut, daß ich das gethan hatte, denn ich sollte sein Gefolge vergrößern, da er Visite erwartete. Rieger war da und Böhnen - Wir versammleten uns in Vorzimmer und dann in den Zimer - Zuerst kam der Portugiesische Gesande <Lücke> er spricht nicht übel deutsch - hat in Regenspurg als Rittmeister unter die Husaren in einen deutschen Regiment gedient, und ist iezt General von Frankreich. <Lücke> es ist ungefehr ein Mann von 40-50 Jahren nicht groß, hat sehr den Weltton, man <scheint aber etwas von> sieht ihn seine<r> <x> Nation iedoch an. |[110] Der Herzog kam kurz nachher heraus, er war sehr höflich und gab ihm die Rechte Böhnen hatte ihn in der Antichambre empfangen. Nachher kam der Meklenburg. Gesande Graf von Theodati +) [am Rande +) ot.] noch ein iunger Mann von 40 Jahren groß, und keine unglükliche Bildung. Man sezte sich, der Herzog <x> winkte uns auch zu sitzen, wir blieben aber stehen. Nun kam auch die Herzogin - Der Meklenburgische Gesande besonders <x> redete die Herzogin auf französisch, sie antwortete nur mit wenig Worten. Sie versteht es kaum, denn in der Comedie erklärte der Herzog ihr mehreres, was doch sehr leicht war - Wenn sie manchmal in das Gespräch einfallen muß, so sind es nur zwey oder drey Worte. Sie schien sehr genirt und embarassirt zu seyn, sie spielte mit der Eventaille so

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lange, bis sie sie zerbrach - man sagte, daß sie schwer Othem hatte, so bang war es ihr. Der Portug. Gesande sprach endl. deutsch mit ihr. Sie blieben ungefähr eine halbe Stunde da, dann fing Pombal an sich zu beurlauben. Ihm folgte nach einigen Minuten der Meklenburger. Der Herzog hatte sich viel beim Portugiesen nach der Reise nach Spanien erkundigt, und nach den Bibliotheken in den Klöstern. Man erwartete iezt noch die Marquise de Ponce - Schwester der Mde de Mercié. Sie kame aber nicht - Unterdeßen redete man von allerhand. Die Herzogin spottete den Herzog über seine gelbe <Strüm> weise seidene Strümpfe aus und er schien es übel zu nemen - Sie wieder holte es iedoch - er sagte ich bin gewiß es hat in Zimmer niemand so feine an als ich - der Meklenburgische Gesande hatte sogar von Fleken an - er hatte dieses bemerkt. Man sprach von Theater de Monsieur, daß es morgen wahrscheinlich amüsant würde. Da gehen wir hinein sagte die Herzogin, sonst hätte sie nur ehrerbietig gefragt, |[111] Gehen Ihre Durchlaucht morgen in die Comoedie? Sie hat sicher eine grose Gewalt über den Herzog, die nicht Wirkung eines überdachten Plans, sondern das ungefehr ist. Der Herzog wählte sie aus Caprice - sie liese sich alles gefallen - War immer unterthänig, er sahe sie noch als sein Werk an, und so attachirt er sich, in seinen Jahren halt, denn auch ein Attachement länger als sonsten. Man redete von Gebäuden - den Herzog gefält die Geneviève nicht - das Auge hat keine Ruh - er weis selbsten nicht was er darunter versteht. Der Herzog war schön angezogen und doch glaubte er sich als einen Pariser gepuzt - er hat seinen fleischfarbenen samtenen Rok an, der ziml. alt ist. Sein kleines abgeschnittenes Toupé und Lökelchen die zehn Zoll lang und hinten aufstehen. Das Bändchen von Carls Orden in Knopfloch - weise seidene Strümpfe, die so fest zusammen gebunden waren, daß er sich nur mit Mühe setzen konnte - er thate sich aber auch etwas zu gute darauf, daß sie gar keine Falten warfen - am meisten schämte ich mich für seine kleinen Schnällchen auf den grosen Schuh. Einen platten Chapeau bas mit einer Feder herum u. einen ziml. 4 ekichten Haarbeutel einen silbernen Uniformsdegen mit porte epée machte seinen Staat aus. Als die Marquise nicht kam fuhren wir zum Prinz Salem - Der Herzog und die Herzogin in einer Kutsche, Rieger, Böhmen u. ich in der andren. Ein Hofkavalier empfing uns an der Treppe - es war eine grose Dienerschaft mit lauter grosen schönen Leuten da -gegen 20 Personen. Wir wurden in einen kleinen Sallon geführt, der von oben erleuchtet ist - Der Prinz name alle mögliche Air eines deutschen Reichs Fürsten an der nichts hat, und doch stolz auf sein Ansehen sich in Vergleichung mit einem reicheren sieht. Die Fürstin |[112] adresirte sich an die Herzogin, sie sase auf der einen Seite des Camin und behielt den ersten Platz - die Prinzeßin von Fürstenberg Sigmaringen, die ihrem Gemahl davon geloffen ist, eine iunge, sehr schöne, niedliche Dame sase allein auf der anderen Seite, und da man sie allein sitzen lies und weder der Herzog noch die Herzogin (aus embarras) mit ihr sprachen, so stand sie schnell auf u. ging fort. Der Fürst ist <Lücke> alt - mittlerer Statur untersezt, hat aber etwas suffisantes in seiner Physiognomie. Der Commandeur vom Regiment Deuxpont u. noch ein kleiner alter Mann, den ich nicht kannte, waren da. Der Prinz hat sein Hotel an einem schönen Platz, das innere des Hofs schien mir eine Nachahmung der Ecole de Chirurgie die innere Einrichtung konnte ich genau sehen, so viel indeßen schien es mir daß die Decoration erstaunl. schwer ist, die Gesimse sind meist in ihrer ganzen Stärke und Ausladung beibehalten, besonders in den kleinen Sallon wo wir waren, wo die Jonische Säulen sehr unrecht angebracht sind. Ich sahe in einen kleinen Cabinet die Felder, die sehr schmal waren mit gepufften Damast tapezirt, es ist nicht übel, aber der Staub u. Ungeziefer setzen sich leicht hinein. Wir fuhren in die Comoedie - Semiramis - wir hatten auf der Seite der Königin eine Loge zu 5 die ziml. enge ware. Vor uns war der Balcon - ein Franzose sezte sich gerade vor den Herzog ganz breit hin und guckte ihn mit Lunetten ins Gesicht. Es mag ihn gefallen haben. Semiramis von

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<Lücke> wurde gut gespielt - malerisch ist der Augenblik, da Arsaces aus den Grabe heraussteigt, und seine Mutter unwißend ermordet hat. Schreklich und entstellt - in Verwirrung mit wankenden Tritt, auf seinen Säbel sich stützend tritt er hervor. - Die Decoration war sehr schön. Wir fuhren nun zu meinen grosen Vergnügen gerade nach Hause, den ich hatte entsezl. Hunger, da ich Mittags nicht gegeßen hatte. Der Herzog hatte mir als er ausfuhr durch Böhmen sagen lassen, daß ich mit zum Prinzen, in die Comoedie fahren, und dann abends da eßen sollte, doch nur für heute. |[113] Neben der Herzogin sase der Herzog<x> an einen oblongen Tische - ihn gerade gegen über Böhmen neben ihn Klein. Auf der schmalen Seite bey der Herzogin Rieger, deßen Couvert weggethan wurde, weil er nicht soupirt - vis à vis neben den Herzog der Graf Ego. Böhnen legt vor, und reicht es den Herzog über den Tisch hin, der es der Herzogin presentirt - Wenn er es nicht wollte gab er es den Böhnen zurück nur einigemal gab er es mir er schien sich vergessen zu haben. Der Herzog schüttete erst ein pulver ins Glas u. aus einen Krug Sauerwasser darauf - dann trinkt er ein Glas Wein - er ist viel - besonders viel von Saaterbsen, von denen niemand ase als er. Er hatte gegen 12 Platten - Es warteten nur 3 oder 4 Bediente auf. Rieger erzehlte die ganze Zeit von Paris - von Mirabeau von Beaumarchais etc. Ich erzehlte nach den Eßen von der schlechten Bauart - der schlechteste Bürger in Deutschland seye oft beßer logirt als mancher angesehene Mann in Paris - die Häuser seyen so schlecht gebaut, daß man den Wind an den Wänden spürte, und in obersten Stok würde man bis aufs Bett erschüttert, wenn eine Kutsche vorbey führe. - Die Keller seyen schlecht, oft nur geträhnt. <Dem Herzog gefällt die Eglise de St.> Rieger genirt sich in geringsten nicht vor den Herzog - er treibt es oft bis zur Unhöflichkeit - der Herzog fühlt es manchmal - sagt aber nichts - oft hub er das Wort auf, wen Rieger sagte - Ja - Nein - dan fragte er welches von beiden. der Herzog erkundigt sich <x> sehr genau um das Etiquette, und weis sich oft in den geringsten Kleinigkeiten nicht zu helfen, - so ein groser Ceremonienmeister er auch sonst ist. Er <x> sieht ieden grosen Mann unter seiner Legion - das waren lauter Leute unter die Leibcompagnie 8 zöllige sagte er von den entlohnten Leuten des |[114] Prinzen Salem - Ich habe nicht gethan, als wenn ich auf sie sähe, aber ich habe sie wohl ins Auge gefast. Als der Herzog in Wagen stieg - waren 5 oder 6 Deputirte von die Poissardes da -man sagte ihn, daß sie ihn vielleicht küssen würden, es war ihm himmelangst - er lies ihnen 2 Louisd'or geben, sie wollten aber nicht gehen, sondern den Prince und die Princesse sehen. Vive le Roi, le Prince et la Princesse schrien sie, als er die Treppe hinab kam, und sangen ganz abscheulich dazu. Die Tambour u. fifres von Versailles u. Paris waren auch zu sein Hotel gekommen, und trommelten vor den Fenster. Böhnen gab ihnen etwas 2 Laubthlater glaub ich. <Ich retirirt> der Herzog machte ein kurzes Compliment und ging mit der Herzogin in ihr Zimmer - ich hatte des Tags über einigemal hineingesehen - es lag alles drunter u. drüber - der pot de Chambre stand in der Mitte. Gegen 10 Uhr kam ich zu Fusse nach Hause, trank noch ein Glas Wein, und legte mich nieder. d. 23t Des Morgens zeichnete ich, nachmittags aufs Caffee u. spielte Schach, da ich da nur Geld verthue, und mich ärgere, wenn ich in Schach verliere, so werde ich nicht mehr hingehen - ich war bey Munichs wegen dem Chinesischen Bad, das der Herzog haben will. Touret zeichnet es schon, den Plan kann man aber noch nicht haben. Ich ging von da zu Ravoisé, wo ich Allaix erwartete, den ich nicht bey sich antrafe, und dann zu Meiern - Um 10 Uhr nach Hause. Der Baumeister der Oriental. Bäder ist Le Noir, Munich der Decorateur. Graf Theodati war Comis in einem Bureau in Hamburg - er bewies sodann daß er von guter Familie seye, kam nach Paris, wurde Banquier, heyrathete die Tochter des berühmten reichen Arztes in Geneve Tronchin und bate sich vom Graf

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von Meklenburg aus, sein Minister hier zu seyn, wovon er keinen Heller als die Ehre hat, als ein Parvenu im Corps diplomatique zu sitzen. |[115] d. 24t Kam nicht aus dem Hause, und zeichnete den ganzen Tag - abends war ich bey Hoyer um Thee mit ihm zu trinken. Er hat eine Mädchenskrankheit von Mannheim mitgebracht, die ihn sehr incommodirt. Es enstand auf einmal ein groser Lerm, der Wind hatte die Bedekungen der Camine, die sehr hoch sind herunter gerißen. d. 25t Ich sollte um 1 Uhr beym Herzog seyn, ich zoge mich deßwegens schnell an, als ich fertig war, finde ich meinen Degen nicht, den ich bey Hubern hatte stehen laßen und dieser war ausgegangen. Auf muste gemacht seyn und doch konnte es niemand selbst der Schloßer nicht, Huber kam eben als ich die Thür wollte entzwey sprengen laßen - Nun aber konnte ich auch keinen Fiacre bekommen, und muste von ½1 Uhr bis 3 Uhr warten, wo nur mit groser Mühe ich einen bekame. Als ich endl. hinkam war es nichts andres, als daß ich mit der Herzogin in das Haus der Mlle Dervieux fahren sollte, das war denn nun zu späte. Ich trafe da den Grafen Theodati mit seiner Frau, einen kleineren Weibchen an. Sodann beurlaubte ich mich, und <ging> fuhr nach Hause, wo ich Thee mit Hoyer trank. d. 26t Da ich nicht glaubte daß der Herzog mich heute holen lies, so ging ich früh aus zu David - sodann zu Perrin, wo ich eine Tasse Caffee trank, durch die Rue St. Denis nach Hause - Der Herzog hatte mich um 2 Uhr bestellt - ich ging hin, er war ausgefahren - <Graf von Bombel franz. Minister> ich sollte vorher in die neue Opera fahren, um die Loge zu besetzen, und dann den Herzog hinauf zu führen, und um ½4 Uhr fuhr |[116] ich hin, es waren schon viele Leute da, aber viel zu frühe, weil das Bureau erst um ½5 Uhr aufgemacht wurde, ich muste des wegens so lange warten. Unter den umstehenden sah ich einen iungen Officier in blau u. rothen Frak. An seinen Huth und Cordon konnte ich sehen, daß es ein in deutschen Diensten seye, ich addressirte mich an ihn u. erfuhr, daß es Hptm. Schwarz in Weimarischen Diensten seye - daß er in Göttingen studirt habe, ein guter Freund von Marschall u. Berestorf gewesen seye, auch Rumor, Mandelsloh in Weimar etc. kenne u. von hier nach London gehe. Die Garde francaise besezte das Comandierhaus daß unterdeßen in den Thuelerien ist - es wurde endl. aufgemacht - das Gedränge war iedoch nicht so groß als ich es mir vorgestellt hatte, die Billets waren bald vergeben, und denen noch <Herum>stehenden ungefehr 5-600 bliebe nichts übrig als das Anschauen derer die nach und nach ankamen, und entweder bestimmte Plätze oder Logen hatten. Um den Herzog nicht zu verfehlen stellte ich mich an die Thüre, und sahe die schönen Herrn und Damens minder und mehr wichtig herein kommen. Eben wie die Symphonie anfing kam auch der Herzog mit ihm war die Marquise de Bons ein iunges niedliches Weibchen, Schwester der Manon, unsere Loge war zu 9 Personen, es waren aber unserer nur 6 - Sie ist Nro 2 du coté de la Reine, so theilt man hier in den grosen Spectacles rechts und links die Logen ein - du coté du Roi ist die andere Seite. Der Saal war sehr voll, oben mit 11 Laternen in Quinconce erleuchtet. Ich kaufte ein Buch für 3 Livr. u. presentirte es dem Herzog. Nach der Symphonie kam ein Acteur in schwarzen Kleide mit weisen glasirten Handschuhen heraus, der ein Compliment an das Publikum <hielte> machte, in der die Absicht des Spectacles, die Protection <x> des Prinzen unter dem es stünde, und die Nachsicht die man erwarten könnte auf eine gute Art enthielte. |[117] Er konnte in Anfange nicht zu Worte kommen, ein Geräusch, das in den Parterre entstunde, und immer stärker, so wie er anfing, nöthigte ihn ettl. mal

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anzufangen - einer riefe einigemale Point de Cabale - ein Franzose in Parterre schrie, als er hervortrat - Otez moi cet animal là - er wurde hinausgeführt - Einige Stellen der Rede wurden sehr applaudirt - Er trat ab, und nun fing die Symphonie an und der Vorhang wurde aufgezogen. Das Stük Le vicente amorose von <Lücke> die Music von <Lücke> ist nicht zum glüklichen gewält. Das Publikum war noch unentschieden wem es zu seinen Lieblingsacteur machen sollte bis endl. <Lücke> eine schöne Bass Stime einen allgemeinen Beifall erhielt, mir schien das Urtheil gerecht - der Acteur hat sehr viel Anstand in seiner Action - und singt gewiß am besten. Vor Balletti war man schon prevenirt, man applaudirte sie als sie herauskam, sie sang iedoch nicht sonderlich, da sie sehr Angst hatte. Ihr Spiel war auffallend steif gegen die zwey anderen Actricen die sehr viel Action haben. Die Rezitative ennuyirten die Pariser sehr, ein paarmal entstand ein Geräusch, das dem Stüke anfing zu drohen, als die einfallenden Arien zu rechter Zeit kamen, man klatschte als das Orchester anfing zum Beweis, daß man iezt zu frieden seye. Die Sprache des Parterres, das immer entscheidet, ist für einen Fremden in Anfang unverständlich, so deutlich und so leicht sie auch für einen Pariser ist. Ich gabe wohl auf den Herzog acht, was er für Bewegungen machte, als Balletti |[118] kam - Er wünschte, daß das Stük <u. das x> u. Acteurs ausgepfiffen würde, weil sie dabey ware - von allen Seiten hörte er ihr Lob - er sagte zu Marquise - sie haben sich gewiß mehr erwartet, als sie gefunden haben - und name noch die kleine Rache laut zu sagen - on voit bien à sa phisignomie, quelle a été grosse - es muste ihn freilich wehe thun, ein Mädchen, das er erzogen, die seiner Erziehung ihr Talent, ihre Kunst zu danken hat, die er auf seinen Theater hatte, und die es heiml. verliese in Paris mit so vielen Beifall spielen zu sehen - ob es ihm gleich auf der anderen Seite schmeigeln konnte. Dieses allein mag die Ursache sein, daß er von den Spectacle sagte, daß es erbärmlich gespielt würde. Er gestand iedoch nachher ein, daß sie am besten von allen gesungen hatte. Um seine Kenntniße in der Musik zu zeigen, lies er es sich oft auffallend merken, wen ein Acteur falsch sange, und sagte sogar einmal zu Böhmen, wenn er mir so falsch gesungen hätte, ich hätte ihn eine Ohrfeige gegeben. <Im ganzen x> Die Herzogin sagte gar nichts, da ich nicht glaube, daß sie unterscheiden kann, was schön und nicht schön ist. Im ganzen hat das Spectacle viele gegen sich, ich glaube aber doch, daß es reussiren wird, und einmal eines von den besten werden kann, da es wie es scheint, sehr unterstützt wird. Die Decoration sind nicht übel, ob sie gleich nicht prächtig sind. Das Orchester ist auch gut. Das ist iezt Morgen und vielleicht höchstens übermorgen das Gespräch des Tags, und die armen Capriolets Pferde werden entsezl. laufen müßen, damit ieder iunge Fat seine Maitresse und seine Cercles fragen kann, wie das Spectacle gefallen hat. oder in den Fall man nicht darinnen war, davon zu erzehlen. Er hat die ganze Nacht sich darauf besonnen, um etwas witziges darüber sagen und kramt iezt seine Satire aus. Man lacht, und dann ist er belohnt. |[119] Ich fuhr mit den Herzog nach Hause und speiste Abends mit ihm - er redete von seinen neu acquirirten <?> - von den dasigen schlechten Oberamtmann Eppler. Gegen 11 Uhr ging ich zu Fuße nach Hause. Ehe ich in die Comoedie ging war die Prinzessin von Salem da mit ihren Hofcavalier (Oldechop) ist ungefehr sein Name aus den Osnabrückischen. Sie scheint ein Gänschen zu sein. |[120] d. 27t Ich Dejeunirte mit David - d.h. ich trank Thee u. ase Brod u. Butter u. Fromage de la Brie dazu, vorher rauchte ich ein gutes Pfeifgen Tabak mit ihm, das ich ihn von Klein mitgebracht hatte, er fand ihn vortreffl. Zum Glük kam ich noch bald genug nach Hause, den um 1 Uhr sollte ich beym Herzog seyn. Der Prinz Heinrich sollte kommen. Er kam gegen 2 Uhr, die Herzogin ware vorher fortgefahren, der Herzog empfing ihn oben an der Treppe. Ich hob ihn aus dem Wagen. Man stelle sich einen kleinen Mann vor von ungefehr 7-8 Zoll - sehr ältlich aussehend -eine etwas platte

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Stirne, grose gewölbte Auggenbrauen, unter den ein groses Auge mit viel Feuer hervorsteht - eine mehr lange als kurze Nase, die Parthie unter der Nase bis zum Munde etwas lange und der Mund an den Enden etwas herunter gesenkt - er gliche dem alten König nach denen Portraiten, die man von ihn hat. Ich konte nicht verstehen von was der Herzog mit ihn redete - sein Cavalier der mit ihm ware von Münchhausen Cammerherr u. Deutscher Herr ungefehr ettl. 30 Jahre alt, soll ein groser Musicus seyn, sieht aber einem rechten Luft gleich, wie in meiner Einbildung es schon der Name mit sich bringt. Er sprach von der Schrift des Mirabeau, das der Prinz selbsten 12 Exemplare verschenkt habe, daß ein Epigram darauf gemacht seye, welches ungefehr so viel sagt, daß wenn die Schrift durch den Henker verbrannt würde man ihr zu viel Ehre anthäte, sie verdiente durch die Hand des Autors verbrannt zu werden. Er kennt Wollzogen in Cöln. |[121] Abends kam die Madame de Bonval nebst ihren Mann, sie ist eine Schwester von Manon und scheint ein munteres gutes Weib zu seyn. Ich fuhr mit die Opera - da die Loge des russischen Gesanden <Lücke> aber sehr klein ist, so hatte ich nicht Platz und ginge deswegens sogleich in die 2te Loge für meine 4 Livre, viel beßer sahe als sie alle zusammt in der 1t Loge - Man führte Phedre auf - St. Huberti spielte Phedre - die Stimme des Theseus war Bass aber zitternd - das Opernhaus ist nun unterdeßen bey der Porte St. Martin - die Logen darinnen sind zum Theil so schlecht placirt, daß man nichts oder sehr wenig sehen kann. Die Decorationen sind schön und werden mit vieler Leichtigkeit regiret. Unter andern ein waldichte Gegend in Hintergrund das Meer - Ein Ungewitter kommt, der Himmel vorher hell und klar überziht sich mit schwarzen Wolken. Noch wird hinter den Meer ein anderer Vorhang wie Wolken herabgesenkt, hinter den der Blitz der eine sehr gute Wirkung thut. Der Vorhang der eine Folge römischer Palläste vorstellt, ist ganz vortreflich perspektivisch von einen Italiener gemalt und macht wirklich eine gute Wirkung - allein ich sahe bey der<gl> Gelegenheit, daß man niemals Gebäude, die feststehen sollen auf eine zu bewegende Fläche von Leinwand malen soll - Die Säulen und Häuser und Thüren tanzten unaufhörlich. Den Anschluß machte das Ballet le pied du boeuf warum man es so nennt weis ich nicht. Mlle de Lore tanzte. <Als> Unten in Vestibule versammlete sich die ganze schöne Welt, und es ist angenehm da zu seyn, man kann hier die beste Bemerkung über Putz, Galanterie u. Coqueterie der Französinnen machen. |[122] Ich ging zu Meyers und speiste da zu Nacht. d. 28t Ich trafe Delanoy nicht an - ging sodann ins Palais Royal tranke in Caffee de Regence eine Tasse mit Milch - ging zu Six und besahe einige englische Kupfer, sie sind enorm theuer - ein Ovalkupfer illuminirt wie z. b. Maria kostet 27-30 Livr. ich trafe Goldschmidt nicht an. Nachmittags ging ich zu Delanoy der mit folgende Addressen gabe <Lücke> Mr. Chapelas Rue des St. Peres près la porte de la Chareté - als ein geschikter Tapezier, der das Ameublement besorgte. Mr. Jacol Menusier et Meuble Rue de l'echiquier F. St. Den - La maison de Mr. le President de St. Fargeau Rue Culture. St Chaterine - ein Haus daß er in mänlichen Stil, wie es die Würde des Mannes erfodert eingerichtet hat. Von da bey Droll - einen Landschaftszeichner in brauner Manier, der in Italien war, und schöne Zeichnungen von Räumen bey sich hat. Sein Hauswirth ein Fechtmeister kam herauf, weil ich iemand suche eine Lection zu geben. Wie die Franzosen in allen was sie machen unverschämt und grossprecherisch sind, so auch hier - Vous n'avez aucune principe, je vous apprendrai a vous tenir a plomp - il n'y a que le Parisien, pour les armes etc. Schreit dabey wie ein Mordbrener. So viel weis ich, in Paris lerne ich das Fechten nicht mehr.

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d. 29t Ich bliebe den ganzen Tag zu Hause und endigte meinen Plan gegen Abend engagirte mich Megrien mit ihm aus zu gehen, ins Palais Royal, wo wir das Cabinet de Meubles besahen, sodann durchstrichen wir einige nahgelegenen Straßen des Palais Royal kamen durch enge uns ganz unbekannte Passagen kehrten endl. <durch> die Pont St. Michel nach Hause. |[123] d. 30t Der Herzog hatte mir gestern sagen laßen, um ½9 Uhr bey ihm zu seyn, ich stiege um 6 Uhr auf und fuhr gegen 8 Uhr zu ihm. Böhmen sagte mir, die Pferde seyen bestellt um 1 Uhr, ich sollte voraus reiten aber selbsten für das Pferd sorgen. Zu den Ende suchte ich Perrodin in der Rue d'Amboise bey Slomp auf - er war nicht da kam aber bald darauf, als ich ihn vis à vis der Ital. Comoedie in einem Caffee erwartete, er schikte mich in die Rue des Renards, die in die Rue St. Denis stose wo ich auch ein Pferd bekam, zur Sicherheit muß man sich gefallen laßen Nachforschungen vorher einzuziehen, ehe man das Pferd bekommt, <und> oder wird es einen vor das Hotel gebracht. Es war ein brauner, Stumpfschwanz, er ging vortrefflich nur kehrte er nicht weit von der Pont Royal mit mir um, und wollte sich nicht zurechte bringen laßen, bis ich ihn endlich fortbrachte - ich brauchte bis St. Cloud ½ Stunde, der Landstrase nach Versailles zu - von der man rechts in einen grosen breiten Weg, wo ungefehr noch auf 100 Schritte Laternen hingen, abreiten. Man sieht sodan St. Cloud vor sich liegen. Ich <besahe> stellte mein Pferd in der Auberge à l'image de notre Dame ein - besahe das Schloß von außen, lies ihn sodan 1 Demie botte de foie u. 1 quart d l'avoine geben (16 Sols). Der Herzog kam sodann an, er hatte die Pferde von seinen 2 carosses de Remises angespannt. er besahe das Schloß das durch den Concierge gezeigt wurde - der Herzog disputirte sich mit den Mann über die Gemälde, urtheilte über iedes bald links, bald rechts, lobte weniges, u. tadelte vieles, sagte, daß es nicht gut unter halten wäre, u. es fehlte nichts, so daß man sogar die |[124] ganze Zeit in denen etwas feuchten piècen Feuer macht. Der Herzogin gefiele nichts, aber haubtsächlich nur kleine Sächelchen als Leuchter etc. Sie fand vieles zu schwer, liebte sehr die vergoldeten Arabesquen - etc. Auf Riegers Rath gabe Böhmen den Concierge 1 Louis d'or. - Die Herzogin besahe noch die Cascade - der Herzog war unterdeßen allein den Berg herunter gefahren und erwartete auf einer steinernen Bank sitzend die Herzogin - nachdem er fortgefahren war, speiste ich bey den Schweitzer - Aal u. Omelette - man giebt einen <die von> den Conto auf einer Charte - Brod 4 S. Aal ein Stük 6 Zoll lang 40 S. Wein 10 S. Omelette 15 S. - In den Caffee darneben tranke ich eine Tasse Caffee, - und begabe mich sodann auf den Weg - es war ein schöner Abend, der Weg nach Versailles lebhaft von den hin u. herkehrenden Cabriolets u. Wagen - die Sone vergoldete als ich nahe an Paris kam mit ihren letzen Stralen die Thürme u. Gebäude u. die lange Mauer gegen diese gar schön - Es war schon dunkel als ich in Paris ankam, ich ritte über das Bouleward wo das Pferd bis an die Brust bey ieden Schritt in Morast fiele - es ist ein böses reiten in Paris besonders bey Nacht, man wird unbegreiflich incommodirt durch die <x> Wagen. Ich ginge noch zu Meyern u. dann nach Hause. d. 31t War bey Le Rouge an den ich einen Brief von Meier Hofgärtner in Wirzburg gehabt hatte, u. besahe sein neustes Cahier von den englischen Gärten - ein unerträglicher Bavardeur -bey einigen KupferHändler in der Rue St. Jacques u. Muthurins, in der Fabrik des gommes elastiques u. der damit überzogenen seidenen Mäntels -des Nachmittags bliebe ich zu Hause. Der erste President des Parlements Ormeson wurde begraben - ich trafe die <x> lezten Personen des [?] das ganze Parlement begleitete ihn - die Clercs mit stupiden und offenen Physiognomien machten sonderbare Contraste - Bei der Aushängung der Zahlen der Lotterie sahe ich wie die Leute mit

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hoffnungsvollster Miene hinzu drängten um ihre Nummern zu sehen, mit niedergeschlagenen Gesicht aber weggingen. |[125] d. 1t Mit Megrien machte ich vor den Eßen eine kleine Tour über <Pala> Pont neuf - Palais Royal in die Rue de Boucherie, wo ich zu Mittag speiste, und sodann Nachmittags mit ihn ins Palais Royal ging, als wir hinein traten redete uns eine Frau von der untersten Classe des Volks an - sie zeigte uns ein paar seidene Strümf und bote sie mit einer grosen Verlegenheit und Eilfertigkeit, als wenn sie sie gestolen hätte um 20 Livr. - Sie waren mit Seide zugenäht wie die Strümpfe zum Verkauf, ich bote ihr 12 Livr. darauf u. sie gab sie mir, und schien nichts nothwendiger zu haben als sie und geschwind zu verkaufen. Als ich nach Hause kame, und sie genauer untersuchte, zeigte es sich, daß es alte Strümpfe und Stüker hineingesetzt und aufs neue appretirt waren - diese Eilfertigkeit war also ein feiner Betrug. ich kaufte einige alte Kupfer - wir gingen zu Perrodin, der eben auf den Ball mit Meyer sich zurecht machte - ich trafe da einen iungen Menschen <,> von <x> 19 Jahren an, der schien wenigstens 30 alt zu seyn -man erzehlte mir, daß er schon in 12t Jahre venerisch gewesen seye - wir kehrten zurück ins Palais Royal machten einige Touren - und kehrten sodann durch die Rue St. Honoré nach Hause; wo wir bey einer Pfeife Tabak uns beßer amusirten, als wir bey Mädchens gewiß nicht gethan hätten. |[126] d. 2t Perrodin speiste mit uns zu Mittag. ich entwarf eine Beschreibung von St. Cloud - <die Gesell> meine Tischgefärten wollten spazieren gehen, ich begleitete sie bis in die Thuelerien, kehrte sodann zurück, und brachte zu Hause eine von den angenehmsten Stunden meines Lebens in den Bewustseyn zu, bisher in Paris allen möglichen Arten von Ausschweifungen widerstanden und keiner schlechten Handlung in meinen Innern mir bewust zu seyn. Perrodin kam noch Abends zu Megrien und brachte eine Bout. Rheinwein mit. d. 3t Ich ging nicht aus dem Hause - zeichnete des Morgens und Nachmittags - Abends kam Allaix zu mir - ich endigte L'Histoire Secrette de la Cour de Berlin - von Grafen von Mirabeau - unverschämter kann man sich nichts denken, als die Herausgabe dieser Briefe. Artig ist die Distinction der Franzosen - Politesse ordinaire und Extraordinaire - Je lui ai fait la politesse ordinaire sagte mir onlängst ein Franzose von einen iungen Menschen der recommandations Briefe an ihn hatte. L'homme n'est pas de tout confideré à Paris, de n'est que son étalage, qui le fait valoir. Huber hatte heute Nacht eine entsezliche Colik. d. 4t Ich endigte die <Zeich> Elevation zum Bad - gegen ½2 Uhr ging ich aus, u. speiste bey Pochet wo ich Megrien antrafe - Von da ins Hotel von Herzog - er fuhre aus, und ich mit Böhnen sodann ins Palais Royal - da kaufte er eine Kette von 1 Louis d'or von Kristale de Roche für Oberst Ron - wir waren bey Sixt und besahen einige Kupferstiche. - in einer [?] regalirten wir uns 3 gofres - die man da vortreflich macht. Wir fuhren beizeiten wieder nach Hause - Ich ging von da ins Hotel de Soubise in Marais - in einen grosen Saal wird die Bibliothek veräusert. Es mochten ungefehr 60 -80 Personen da seyn - Klein war auch da - Man sizt an einen langen Tisch auf Bänken. Die Bücher gehen theuer weg. Man endigt hier nicht mit einen Schlag wie bei uns - zum 1ten und leztenmal - sondern so lange noch iemand darauf bietet <schr> ruft der dazu bestimmte Mann die Preise aus, bietet sodann |[127] iemand mehr darauf, so sagt der Notarius oder was er ist in einen monotonischen Ton - Personne n'en vent - Personne ne dit mot - Sodann in langen gedehnten Stil

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indem er schreibt - adjugez pour .... à... Ich ging von da zu Meyern, deren Mann krank ist, und um 10 Uhr nach Hause. d. 5t Finge die Zeichnung von der Coupe des Bades an. Nach dem Eßen spielte ettl. Parthien Schach mit Glauber - u. ging sodann über Pont neuf zu Mme Boullard, die mich um <?> zu kaufen zu einem Marchand de couleur dans la rue de l'arbre sec schikte. Ging sodann über Quai de la ferailles - Pont au change - wo ich ein sehr hübsches Gesicht, ein <Mädchen> Kindermädchen sahe - die schönste blühendeste Phisiognomie, die ich noch hier bemerkte. Ich hatte grose Lust mich näher nach ihr zu erkundigen, und ihr nachzugehen - der Gedanke aber hielte mich zurück, daß Gelegenheit Diebe macht, und ich mit den Vorsatz, den ich nun einmal gefaßt, mich ganz und gar nicht mit Galanterien in Paris abzugeben, ieden Schritt vermeiden muß, der mir die Ausübung meines Vorsatzes erschwert. Ich lase in den Buch über die Reinigung der Luft in den Hospitälern, das ich heute gekauft hatte. d. 6t Ich wollte eben in den Verkauf von Le Brun gehen, als der Herzog mich holen lies, ich speiste Mittag und Abends bey ihm und fuhr mit ihm in die Opera, wo man Panurche dans l'isle de Lanterne spielte. <Es ist> Ein reisender (Panurche) wird in diese Insel verschlagen, wo nach ihn auch seine Frau hinkame, er erkannte sie nicht und war eben in Begriff die Wahl zwischen zwey schönen der Insel, die ihn so schwer wurde zu entscheiden, als sich seine Frau zu erkennen gabe. Das Stük ist mit allen Schnikschnak und enfantillage der Franzosen ausgeziret, und gefällt daher der Nation - die Musik ist von |[128] Gretry - Eine einzige Arie (von der Frau des Panurche, die für ihn singt - Dans L'amour etc) hat etwas leichtes und gefälliges - Ich vermiste besonders den grosen Baß in der französischen Musik, hier hingegen ein kleines durchdringendes Pfeifgen, das in den Ohren gellt u. scherzend ist. Lais als Panurche gefällt mir unter den Acteurs der grosen Schauspiele am besten - Sein Gesang ist künstlich, u. angenehm. Seine Action leicht u. lebhaft. Du l'aure - Mlle Rose - Frederic -vortrefflich. Tänzerin u. Tänze, man kann nicht mehr Leichtigkeit u. Grazie in Tanz bringen als Du L'aure. Der Herzog hat die Erlaubniß von König, daß sein Wagen bey denen der Ambassadeur halten darf, und also vorfährt, wenn er kommt - er ging beim lezten Ackt, eben wie das Ballet anfing. Als ich gegen <Abend> 10 Uhr nach Hause fuhre bekame ich einen Fiacre, da die Pferde nicht mehr fortkonnten, dieser war endl. genöthigt, mich einen andren zu übergeben, der so stark gegen einen entgegenkommenden Fiacre stiese, daß das Pferd unter das Rad kam und stürzte u. die Deichsel in Stüken zerbrach ich muste also wieder aussteigen und einen Fallot nemen, um mein Paquet nach Hause zu tragen. Des Morgens war ich mit Böhnen bey Arthur - Sie haben vortreffliche Kupfer - und Tapeten u. Gürtel etc. Ich sahe eine Art Stühle wo die Lehnen mit Taffet wie die Gürtel eingelegt sind - [?] Der Herzog scheint sehr wenig <von> mit den Cabinets der auswärtigen Höfe und mit der äuseren Staatsklugheit bekannt zu seyn - es ist dieses Fach wahrscheinlich zu anstrengend, zu ausgedehnt und zu viel umfassend - seyn Herz ist von Natur nicht gut - denn er <freut sich> mißgünstig u. schadenfroh - so freut er sich wie ein Kind, daß das Stük heute <darüber morgen> in der franz. Comedie fallen wird. Er liest die Histoire Secrete de Berlin mit vieler Aufmerksamkeit, weil dieser über die grosen Herrn herfällt, die er alle nicht leiden kann, weil sie seines gleichen seyn, u. er der einzige seyn möchte. Er hat auch besonders in der Nähe ein scharfes Auge - u. ein gutes Gedächtniß, lobt seine alten Diener, u. läst Ihnen Gererechtigkeit wiederfahren, wenn sie gestorben sind.

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|[129] d. 7t Ich suchte Schäffnern auf, um ihn zur Herzogin zu schiken. fragte nach Meyern, war bey Ravoisé - frühstükte in Caffé de <Lücke> und wurde sodann zum Herzog gerufen - wo ich Mittags und Abends speiste - Er redete viel von der Bataille bey Collin, und von seiner Tapferkeit. Ich frug ihn nach den Eßen wegen den 20t Cahier von den englischen Garten, u. sagte ihn von den Plänen von Hohenheim, den <x> Le Rouge zu haben wünschte - Es ist gar nicht nöthig sagte er - u. kurz darauf - es ist alles armselig hier u. somit ging er - die Gedankenweise sehe ich iedoch nicht ein. Man muß genau studiren was ihm angenehm ist, und nie nichts vorbringen, was ihn auch nur entfernt daran erinnern kann. Er will gut deutsch verstehen, und spricht es besonders in der Auswahl der Wörter sehr schlecht. Seine Haubtleidenschaft sind iezt die grosen Leute. Er hat einige hier angeworben als Heyduken. Böhnen hat mich ihn vorgeschlagen, für sie zu Transportiren. Vielleicht geschieht es auch. Ich war mit ihm in der franz. Comoedie - Wir kamen nicht ganz zum Anfang. Ein neues Stük - Astyanax - wurde aufgeführt. Bey den 2ten Akt wurde das Parterre schon unruhig - es brach in ein Geräusch aus, das immer stärker u. stärker wurde und endlich in ein a bas sich endigte. die Acteurs hielten inne. Die Actrice die die Andromede spielte sagte endl. nachdem sie zu verstehen gab, daß sie die Willens Meinung des Publicums zu wißen verlangte, und es also still wurde. Defriez vous, que ettl. Oui, die vordrangen decidirten und das Stük wurde fortgespielt. Nun aber waren sie äuserst aufmerksam auf iedes Wort das gesagt wurde, auf ieden Vers, ieden Metapher, und hier muß man ihnen Gerechtigkeit wiederfahren laßen, daß sie sehr richtig und schnell bemerkten, und es augenblicklich durch ein Gezisch oder Ah oder sonst einen Lerm bemerkten. |[130] Dies dauerte bis in 3ten Akt fast ans Ende, wo durch den immer wärenden Lerm die Acteurs u. der Souffleur sich nicht mehr verstanden und man den Vorhang muste fallen laßen. Jezt sollte Crispin Rival de son maitre gespielt werden - bey der ersten Scene kamen diese zwey Personen heraus. Ein Gesause, ein Abas, einige Pfeifen liesen sich hören - es galte den Acteur, der Crispin spielte, La Rochelle. Man wollte nicht diesen, sondern einen beßren Schauspieler den Dugoseau - die armen Acteurs standen da, sahen sich ausgepfiffen, und verachtet, und wusten nicht was sie machen sollten. Man riefe einmal über das andremal Dugoseau - Sie retirirten sich endlich. Da man Dugoseau nicht finden konnten kamen sie wieder heraus und wollten anfangen, allein iezt finge erst der Lerm an, die Pfeifgens gröllten so laut und schlugen sogar Triller - La Rochelle wollte das Publikum anreden, u. sich wahrscheinlich entschuldigen, daß er wiederkäme, allein er wurde nicht angehört und musten beide sich retiriren. endl. kam Valere allein heraus und sagte, daß da man Monsieur Dugoseau nicht hätte finden können Msr Ablarenart die Rolle spielen würde. Bon schrie man u. waren zufrieden. Doch riefen einige A l'amende Dugoseau. Nun ging es endlich doch an. da es iezt ruhig worden war fing auch der Herzog an sich zu ennuyiren, der aus Schadenfreude groses Vergnügen gefunden hatte. Rieger war unterdeßen von Versailles zurük auch in die Comoedie gekommen, wo Simolin der russische Gesande auch von Herzog war invitirt worden, und sich einfand. Ich muste die Wagens bestellen und man fuhr fort. Rieger sagte den Herzog, als er in die Comoedie kommen wäre, habe er gefragt, wie es ginge, zur Antwort - man seye wirkl. an 5t Ackt u. man glaube, daß sie es hinausbringen werden. Es habe ihn schon leid gethan für den Herzog - daß er <lieber> weniger wünschte <daß ein> ganzes Publicum ein gutes Stük sähe, als daß der Herzog sich an der Unordnung weidete. Der Herzog bekame Briefe von Studtgard - er ressemtirte es sehr, daß Uxkull ihn nichts von Waßer geschrieben habe. |[131] d. 8t Ich ging mit Megrien in den Verkauf von die Gemälde in Saal von Le Brun - es waren schöne Stüke da, aber zu viele Menschen um alles nach Muse zu sehen. Wir waren sodann bey

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Touret - ich einen Augenblik bey Meyers, deren Mann nicht wohl ist. Bey felicité u. dann nach Hause. Nachmittags auf den Caffee de Chartre - <x> ins Herzogs Hotel bey Böhnen. Prinz Salm hatte mich zum Bal invitiren laßen, aber nicht zum Nachteßen, ich <bliebe> werde also wegbleiben - bey Munichs - man repetirte Tartuffe den sie unter einander spielen. Mde. Lejeun u. ihre Tochter, leztere scheint ein Mädchen voller Verstand und Geist zu seyn. Ich begleitete sie in einem Fiacre nach Hause, u. ging sodann mit Megrien zu Fuße nach Hause. d. 9t Mittags speiste ich beim Herzog. Böhnen hatte noch eine Carosse de Remise bestellt für heute, ich bediente mich ihrer um mit Klein <zu> in das Hotel de Soubise u. von da <in die> zur Mde. Koenig zu fahren. Abends ging ich zu Meyers, um Klein anzumelden, der nach dem Bibliotekverkauf zu ihr kommen wollte, da aber ihr Mann krank ist, u. sie eine Frau von 100000 Umständen u. in den Stük eine wahre Frau<?> ist, so züngelte sie mir die Ohren von Wenns -und Aber - so viel vor, daß ich ins Hotel de Soubise ging um ihn von der Parthie abzubringen. Wir <gingen> fuhren mit einander nach Hause. Und tranken ein paar Bouteillen Wein mit einander wärend daß der Herzog um 10 Uhr zum Prinz Salm fuhr, wo er bis ½2 Uhr bliebe. |[132] Ich vertraute Klein das Proiect meiner Heirath u. die Lage, in der ich und meine Mutter mit der Herzogin waren, die Affaire von die 1000 Fl. etc. Er sagte mir auch einiges gleich one Bedeutung - um 12 Uhr ging ich nach Hause - ich durchlief das Palais Royal - es ware niemand mehr da - auf den Straßen war es auch schon ziml. leer. d. 10t Ich war bey Harwey - bey einen Tabletier, der die Ringe und die Dosen macht - er forderte vor 4 Ring 5 Louis d'or - aber er hat auch eine Manier, wie er sie einläßt wodurch er unmöglich herunter brechen kann. Bey einen Juwelir aus Studtgard - Barchent - Dann speiste ich in der Rue de Boucherie u. ging nachmittags mit Hoyer ins Palais Royal u. von da zu Klein - mit dem ich in die Bibliotek fuhr - unterwegens hielten wir bey einen Namens Cuvier in der Rue Plâtier vis à vis der Post ein Coutellier. In der Bibliotek kam unter andren auch ein Evangelier Buch vor wo Heinrich der III te vornen u. hinten einige Gebete hineingeschrieben hatte - Er ist nicht der Liebling der Franzosen wie sein Nachfolger - auch ging das Buch um 19-20 Livr. weg, da es sicher um 500 Livr. wäre verkauft worden, wenn die Handschrift von Heinrich IV gewesen wäre. Die schlechten Augen der Franzosen und die häufige Menge Brillen, die man auf den Nasen auch schon von iungen Leuten sieht, <x> rührt, glaube ich, von den Caminfeuer her, das eben doch die Augen angreift, und ihnen, wie wohl nur nach u. nach u.sehr unmerklich schädl. werden kann. Abends war ich noch bey Meyer, und ging sodann nach Hause. |[133] d. 11t Um 8 Uhr fuhr ich zum Herzog um ihn zu seinen Geburtstag zu gratuliren. Er lude mich zum Eßen ein - Fuhr sodann aus mit Lebret, Klein u. Böhnen - er declarirte sich, daß der Herzog nach England reiste. Bis den 20t wird er weggehen. Er schenkte den Kammerdienern an seinen GeburtsTag ieden 1 Louis d'or, den Bedienten 1½ u. den Lohnlaquaien u. Kutscher ieden 1 Louis d'or. Als der Herzog zum zweitenmal zum Baron Stahl ausfuhr, lies mich die Herzogin rufen. "Ich habe noch nicht mich nach ihrer Familie, die mich interresirt erkundigen können, ich will es nur kurz machen - denn der Herzog werden gleich wieder kommen. Sagen sie mir, worinnen kann ich ihnen dienen, werden sie ganz aufrichtig - ich sagte ihr, daß da mein Wunsch wäre mich so nüzlich als möglich zu machen, so wünschte ich Gelegenheit zu haben, mehrere Stunden nemen zu könen - ich verstehe sie schon, sagte sie, einigemal wiederholte sie, mein Wirkungskreis ist sehr

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klein. Sie sagte mir noch von einen Nothpfennig - der Herzog würde mir etwas zurüklaßen. Er hätte meine Sachen gar nicht aufgemacht etc. <Sie x> Zälen Sie auf meine Freundschaft u. so ging ich. Sie empfing den Herzog in ihren Schmuk an der Treppe welches ihn freute. Lebret speiste auch mit, er legte seine Serviette ganz ordentl. zusammen. Nach den Eßen fragte der Herzog nach ihn - er ist sage ich, nicht schon weg, den er wird es nicht als ein Wirthshaus ansehen, wo man |[134] nur ein und ausgeht. - Abends fuhr ich mit in die Ital. Comoedie. Es ist reicher mit Gold decorirt, als das französische, die Logen aber nicht sonderl. gut placirt und der Saal zu lang für das Theater - die Damens beschweren sich über das Gold auf einen blauen Grund - es schadete ihnen, und ihren Anzug. Ich sahe das Ende von der Servante justifiée, ferner la Dot - und den Anfang von den 2 Savoyards. Mde Dugasseau spielte. ich sahe hier neben mir eine sehr artige Person in einer Loge sitzen, die mich oft fixirte -ich machte alle mögl. Anstalten, um ihre Adresse zu wißen, sie wollte es aber nicht merken. ich wünschte sehr mit einen Frauenzimmer bekannt zu werden, die Verstand mit einer gewißen Art von Sittsamkeit und Modestie verbände. Man gewinnt doch unendl. viel in ihrer Gesellschaft. Des Abends speiste ich noch beim Herzog und ging sodann nach Hause. d. 12t Ich war mit Hoyer in der Eglise de St. Sulpice - die Orgel ist im grosen schönen Stil von Msr Chalgrin gezeichnet das Grabmahl von Languet ist von Slodz und viel expresiver als das von Marschall de Saxe - obgleich <die> Unsterblichkeit nicht schön und der Todt auch sichtbar ist, besonders das Scelet von Arm u. der Hand zu auffallend ist. Man hat zwischen zwey Pfeiler eine Canzel angebracht, die vor einigen Tagen aufgedekt wurde, und noch nie mals habe ich so etwas schlechtes gesehen. es hat alle mögliche Fehler, die man sich denken kann, bunt charchirt mit Gold, one Zeichnung, one Form, mesquin, klein, kurz ich habe noch keine so so schlechte Canzel auch nur in einen Dorf angetroffen, geschweige in einer der schönsten Kirchen von Paris. Ich stand eben da u. betrachtete sie als ein Mann neben mir sehr richtig sagte - das ist eine Canzel für eine Dorfkirche, aber nicht für diesen Ort. ich redete ihn an, und erfuhr, daß es ein Schuster aus Cöln seye, der schon 20 Jahre hier arbeitete, daß doch immer die Schuster von Hans Sachsen <an und x> ia sogar von den Schuster von Apelles an, einen eigenen Tackt und raisonnement haben. |[135] Wir durchstrichen noch den foire de St. Germain - welchen ich noch beßer besehen muß, der drolligen Sachen wegen die daselbst die Franzosen amüsiren. Bey Farget hatten wir zu Mittag gegeßen -ich ging sodann zu Harwey - der Mann war eben in Begriff zur Arbeit zu gehen - <zeilenlang Striche> Von da zu Meiers - und gegen 10 Uhr nach Hause. d. 13t Bestellte bey einen Ungar auf der Place Dauphin kleines Tabetiere - war bey den engl. Corroyeur Ray in der Rue de Turene, wo ich mir ein paar Stiefelschäfte ausname und sie sodann zum Schuster brachte - speiste bey Rochet - war bey Frost, Ebenist wo ich einige artige Meubles sahe. Sodann bey Klein - mit ihm zur Meier, wo ich Perrodin antrafe. Paris est grand dans les petites choses et petit dans les grandes choses. d. 14t Ich endigte die Zeichnung des Durchschnittes des Bades. speiste gar nicht zu Mittag, u. ging zu Harwey; nachdem nach Hause, wo ich Käse und Brod aße. d. 15t Des Morgens bey Delanoy, den ich nicht antrafe, sodann bey Harweys - des Mittags speiste ich beim Herzog - |[136] die Prinzeßin von Salm war da - sodann kame die Mde la vicomtesse de

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Vargemond ehemalige Frl. v. Dunsdorf. Hoheit bey der Hoheit, sie sieht der Miliusschen etwas gleich - sodann in einen Fiacre die Fr. v. Königseck - Tochter des General Fabe bey die Kaisel. der es hier kümmerlich geht. Sie war bey der Duchesse de Kingston. Man speiste sodann, ich retirirte mich nach den Eßen. Der Herzog sprach von Titulaturen, ihm müße man unterthänigst treu gehorsamstes geben. Es thate ihm wohl, daß der Kaiser iezt schriebe A son Altesse Serenissime er sagte von König von Polen, von dem er erst kürzl. Briefe gehabt habe, er wüste nicht, wie er es machen sollte, man sähe ihm doch an, u. er erinnere sich immer, daß er ein Edelmann gewesen seye. Welche Eigenliebe. Abends 7 Uhr ging ich nach Hause, wo ich auch bliebe. d. 16t War um 1 Uhr bey Harwey, sodann zu Böhnen, der mich hatte rufen laßen - ich bliebe sodann gegen 4 Uhr zu Hause bis 6 wo ich auf Harwey wartete, <trank> rauchte Tabak u. trank Cafee dazu - Meyers trafe ich nicht an - ich schikte durch den Baron <Lücke> von Eichstädt einen Brief nach Strasburg an Sahler. d. 17t Der Herzog liese mich zum MittagsEßen holen - des Morgens war ich Delanoy - Harwey u. den Tabletier mit Kleins Dose. Nachmittags übergabe mir der Herzog die Rechnung für seine Ausgaben - er speiste Abends aus. |[137] d. 18t Böhnen ging gegen ½2 Uhr fort - ich fuhr des Morgens hin und übername die Ausgaben - der Herzog speiste aus - Nachdem kam der kaiserl. Gesande Graf Merci - ein Mann weit in die 60 Jahren - Abends fuhren wir in den Misantrope von Moliere -wo wir aber nur die 3 lezten Acte sahen und dann weggingen. d. 19t Der Herzog machte einige Visiten, bey Graf Theodati Meklenburgschen Gesanden wurde er angenommen - er speiste aus, und ich aße mit Klein bey den Restaurateur der Ital. Comedie, das Eßen war nicht sonderlich, und verursachte uns der Wein Kopfweh. Abends bliebe der Herzog zu Hause. Es ging mir sehr übel mit dem Vorschneiden, da ich dieses in meinen Leben nicht gethan. d. 20t Mittags u. Abends speiste der Herzog zu Hause. Vor den Eßen machte er einige Visiten bey den Rußischen Gesanden Simolin wurde er angenommen. Sein Hotel gehört dem HE. v. St. Laix, der es nur zur Hälfte besizt - es ist sehr artig innen ausgemacht. Nachmittags fuhr der Herzog zum Prinz Salm mit der Herzogin, diese stieg aus, um zur Prinzeßin zu gehen, der Herzog und ich aber fuhren zum Nonce - Borghia, ein Mann in die 40 Jahre der sehr höflich und unterrichtet ist. Abends in die Comoedie. Ein neues Stük von Msr. Colin - Les Chateaux d'Espagne - da in den Stük einige Anspielungen auf den König und auf die gegenwärtige Verfaßung sind, so ging es durch, und wurde mit einigen Beifall aufgenommen. Molé spielte sehr gut darinen. Die Herzogin hat ein ganz vortrefliches Herz, ist wirklich ganz one Pretention, und kann niemand leiden oder elend sehen. Ihr Verstand ist nicht brillant, doch <hat> macht sie hie u. da einige gute Anmerkungen. |[138] d. 21t Heute morgens ging der Herzog um ½6 Uhr fort - nachdem ich die Sachen in Haus etwas arrangirt hatte, ging ich zu Touret, Allaix - Meyern, Ravoisé - nach Hause, sodann zu Harweys - speiste Mittags bey Farget. nachmittags kam Harwey zu mir <Lücke> Abends ging ich zu Meyern. Der Abbé wurde heute gerädert - er war von guter Familie und man sagt, seine <Eltern> Anverwanden haben 60000 Livr. gegeben, damit der Name verschwiegen würde. Die Prinzeßin Salm muste gestern dem Friseur de la Reine, Leochandi -für eine einzige Frisur 4 Louisd'or geben, und dieses soll noch wohlfeil seyn, das ordinaire ist 10-12 Louis - Wenn eine fremde Dame (wie

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z.b. die Prinzeßin Tabella, die von den Neapolitanischen Botschaftern presentirt wurde) hieher kommt, und in Versailles presentirt wird - so ließ sie sich 1.) von Friseur de la Reine frisiren - 2.) Mlle Pertin die berühmte Puzmacherin muß sie ankleiden und 3.) Vestris ihr das Reverenz lernen. Diese einzige Visite kostet ihn also nur für diese 2 Personen wenigstens 1500 Livr. Fürst Radzivil ist hier - ein Mann der simpel gekleidet geht, scharf zu beobachten scheint, aber mürrisch aussieht. Die meisten Sachen kommen hier durch Bedienten heraus u. herum. Diese Kerls, der Auswurf der menschlichen Gesellschaft und alles was one Mangel von Erziehung, Insolenz und Müßiggang erzeugen kann, stehen oft zu 50-60 in den Vorzimmern und erzehlen sich da einander, was sie von ihren Herrn wißen. d. 22t bey Harwey - mit Megrien bey Farget - auf den Foire de St. Germain - Abends bey Meyern, wo ich zum Abendeßen bliebe. d. 23t Morgens bey Harwey - schikte ihren Brief auf die Post - Mittags Farget. Nachtmittags Meiern - Ravoisé -Palais Royal - foire de St. Germain u. soupirt bey Farget. |[139] d. 24t Rieger, den ich schon lange fortgeglaubt hatte, kame auf einmal zu mir - ich speiste Mittags in Haus - Scherer - ein Schneider aus Mannheim, ging nach Rusland - machte einiges fortune - ist iezt hier - er speiste in Haus, sonst hatte er da gewohnt. Higkel, ein Sächs. PortraitMahler - auf den Caffee de Chartres - die Wirthin unten hält einen iungen Menschen einen Chirurgum - obgleich ihr Mann sehr jaloux ist - Wenn iener Geld braucht, nimmt er eine Tasse Caffee, läst wechseln und bey der Gelegenheit schiebt ihm dann die Wirthin oft anstatt 22 Sols einen Louisd'or hin. Der Abbé Ottowar ist aus Bruges in die Niederlande, ich war in den Haus, wo er logirte, man wuste nichts von ihm. Heute ist das Ende des Carnevals - Man sahe in diesen 3 lezten Tagen in allen Straßen Masquen, als Harlequine, Spanier, Mohren, Polichinels etc. besonders ist <d> es sehr gewöhnlich, daß sich Mannsperson in Frauenzimmer verkleiden, und mit grosen Schritten einhersteigen und allerhand Polichenerien machen. Man nennt sie Chic-en-lit, es ist aber wahrschein. ein Pöbelhafter Ausdruk. In der Rue St. Honoré sind die meisten Masquen - Auch stehen da alle 30 Schritten Wachen um diese Zeit die Wagen fahren da hin in zwey Reihen in Procession, um die in der Mitte versammleten Masquen zu sehen. Ich war mit Rieger in einem Capriolet. Wir konnten aber nicht erwarten bis wir in die Linie der Wagen kamen, der Zug ging gar zu langsam, also fuhren wir in eine Nebenstraße u. ins Palais Royal - Wir machten einige Gänge, es war ein groses Gedränge aber nicht viel rechte da - Wir gingen ins Pantheon, die Entrés kosteten uns 36 Sols. In Anfang war es nicht voll, gegen 10 Uhr aber wurde es lebhafter. Mde. Delaurie kam mit ihren Mädchens und führte sie zum Verkauf auf, es waren schöne niedl. Gesichtergen. Die Kinder tanzten in den innen Zirkel, und die alten liefen herum um sich eine Gesellschafterin auf den Abend auszusuchen. |[140] Gegen 10 Uhr ging es aus, ich zog mich nach Hause. Iezt ist die halbe Pariser Welt in frivoler Aktivität - der Pöbel und oft auch der nicht Pöbel rast in den grosen Salons und den Porcherons und denen verschiedenen Tripots epicuraeisch herum - die feinere Welt spielt intriguen in den Opernball oder ennuyiert sich da. Morgen früh wird auf tausend Gesichtern die Ausschweifungen der Nacht, mit allen ihren Folgen, den Verdruß über das so erbärmlich verschwendete Geld, über die Unmöglichkeit, die auf den Mont de Pieté getragenen Effecten einzulösen gemalt seyn. Wie mancher legt da den Grund zu einem Siechkörper, wie mancher den Grund zu dem Ruin seiner Glüksumstände - Unter 1000 Personen war dieser Abend 900

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Nachtheilig, für 99 gleichgültig, one Vergnügen, und nur für den den einen vortheilhaft, der entweder zu Hause bliebe, oder an den Ort hinging um Menschen in dieser Lage kennen zu lernen. d. 25t Es ist ein <x> abscheuliges Wetter, den ganzen Tag Regen, so stark als möglich - ich ging des morgens nicht einmal zum Mittageßen aus den Hause, sondern begnügte mich mit Käse u. Brod u. Wein, und abends mit Eyern. Ich räumte meine Sachen auf, um durch Unordnung nicht verhindert zu werden zu arbeiten. d. 26t Ich ging zu Delorme, dieser ist ein Mann, der sich gegen 60000 Livr. Renten durch Einpaken und Verschikung der Waaren in fremden Länder gemacht. Er nimmt alles über sich, und wenn man ihn gesagt hat, wo die zu verschikenden Sachen abzuholen sind, und die Addresse gegeben hat, wohin sie kommen sollen, so hat man für nichts mehr zu sorgen, und man ist gewiß, daß die Sachen, auch die allerkizlichsten, unversehrt an Ort und Stelle kommen. |[141] Ich bestellte da zwey Schränke als Postamente, die der Herzog von Daguerre Rue St. Honoré um 40 Louis gekauft hat. Rieger war nicht zu Hause. Bey Graf Theodati Meklenburgischen Minister gab ich ein Billet ab - Pour avoir l'Honneur de faire des Complimens de la part du Duc de Würtemberg - Ich wollte nicht angenommen seyn - der Schweitzer sagte uns - Je vous dis, que Msr. est sorti, mais informer vous à l'antichambre zu Harwey - dann zu Langet. Nachmittags zu Hause, und dann zu Meyer. d. 27t <x> Ieder iunge Mensch, der in einer Chambre garnie logirt, weis fast eine Suppe zu machen; ich lernte auch dieses heute, und machte mir zu meinen Mittagseßen eine Suppe von Eyer, Butter u. Brod - ich schikte einen Comissionaire an Harwey, da ich keine befriedigte Antwort bekam, ging ich selbst hin, ich trafe daselbst eine Mlle Peterson, ein iunges Mädchen von Carlsruhe, gut gewachsen und voll Verstand an, sie <war> ist hier seit 5 Jahren bey einen Onkel, der seit 1 Monat gestorben ist, und sie zum Erben eingesetzt hat. Abends war ich bey Megrien, der krank ist. d. 28t Ich ging mit Hoyer aus, um in der Auberge in der Passage de St. Germain L'auxerrois bey einen Traiteur vis à vis der Kirche zu Mittag zu eßen, man zalt 32 S. u. hat 5 Platten, es ist aber finster und schmutzig daselbst. Nach einigen Gängen in Palais Royal, wo wir den Grafen v. Scheel, einen iungen reichen Menschen aus Dänemark von der ersten Familie antrafen gingen wir nach Hause; wo ich auch den Abend bey ihm bliebe. |[142] d. 1t März 1789 Rieger schriebe mir, daß wir Nachmittags einen Farth auf den Foire de St. Germain machen wollten. ich holte ihn ab, da es uns da aber nicht gefiele, gingen wir ins Palais Royal, wo wir St. de Loi antrafen, deßen Vatter Financier hier ist, er war in Studtgard bey Baer wo ich ihn kennen lernte. Wir gingen ins Caffé de Regence, u. spielten Schach, ich gewann die Parthie, das Parthiegeld für Lichter etc. kostet 12 S. die Varietäten waren schon besezt, wir konnten nicht hinein; ich war froh nach Hause zu kommen, denn ich war müde. Graf Theodati machte mir Visite - d. 2t Nachmittags war ich bey Harwey, ein iunger Mann aus Carlsruhe zeichnete <ein> Cabriolets und Wagen, ich name eines mit, um es zu Coppiren, Abends bey Meyern.

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d. 3t Das Capriolet machte mir zu viel Umstände, ich lies es also liegen. Hoyer und ich wollten das Garde Meuble sehen, es wird aber erst nach Ostern aufgemacht, da es etwas frisch, aber doch ein schöner Tag war, so bekame uns die Promenade in den Thuelerien sehr wohl. Wir speisten sodann in Hotel de Bourbon, wo mehrere Table d'O sind, und so oft 12 Personen beysammen sind, wird servirt, man ist gut da, und reichlich, und zalt 46 S. Man hört da allerhand sprechen, und ist angenehmer als bey den Traiteurs, wo es langweiliger ist. Indeßen speist man zu geschwind. Abends bliebe ich zu Hause, und schriebe. |[143] d. 4t ich schikte heute morgens einen Brief an Müller ab von 4t u. 5t - Wegen Senkenbergs Mantel u. Briefe von Hirsch - Ich wollte zu Hause bleiben da kam aber Rieger und speiste mit mir bey Farget zu Mittag und nachmittags muste ich mit ihn ins Palais Royal. Wir besahen das Magazin von Dunkerque á prix fixe = es ist ein Assortiment von allerhand Waaren, Gemälde, CabinetsStüke, Büsten, Gläser, Schnallen etc. ein schöner, groser Cronleuchter von englisch Cristall, sehr gut garnirt gefiel mir sehr wohl er kostete 1000 Livr. Ich ging von da nach Haus und bliebe da; d. 5t Heute morgens endigte ich meinen Plan und machte einen Aufriß dazu, Mittags speiste ich bey Farget und war vorher einen Augenblik bey Harwey - Abends zeichnete ich Figuren. d. 6t Bliebe bis 7 Uhr zu Hause, und ging sodann zu Meyers. Ein Kammerdiener bey einen grosen Herrn giebt Unterricht in der Art wie man die grosen Cravatten, die man iezt trägt zurecht legen soll, der ganze Cours kostet 6 Livr. |[144] d. 7t März Ein schöner Tag, etwas kalt aber trocken; ich war bey Harwey, dann durch die Thuelerien zu Rieger, wo ich Mittags speiste. Er legte mir eine Comoedie vor, die er über Madeweis u. Eaufrère gemacht hatte. Mde de Senarche (Madeweisen) Msr de Sen. (der Mann) Le Marquis de... (Athené/ Msr Rosbeef (Eaufrère) Le Chevalier (Rieger). Wächter kommt auch darinnen vor, ich weis nicht, unter was für einen Namen. Er verachtet sehr Eaufrère, er habe von nichts als <?> u. Wirtshäusern geredet. Athené hatte der Madeweise den Tod u. sein vorhergegangenes sieches Leben zu danken. Er erzehlte mir seine Intriguen mit Alberti, mit Lindemeiern etc. ich speiste Mittags mit ihn, sodann ins Palais royal und in die Varieté. Christophe Le Rond - ein mittelmäsiges Stük, ein Mann, den man durch nichts erzürnen kann, der aber endl. weil es eine Wette galt, ihn aus seiner Faßung zu bringen, dadurch aufgebracht wurde, daß er von der Treulosigkeit eines Freundes, die iedoch nur erdichtet war, Nachricht bekame. La Fête de jour - ein armes sehr mittelmäsiges Stük, one Intrigue, one Intereße, wird wohl nicht mehr gespielt werden. Le Medecin malgré tout le monde. Eine Satire auf den Magnetisme, die sehr artig und aufgewekt ist. Theatralisch schöner als das Stük von Ifland über eben diese Materie. Ein Franzose, der neben mir sase, ein Man von ungefehr ettl. 50 Jahren, eine Art von Abbé, wie es schien, wollte mich überreden meinen Platz zu verändern, weil ich nicht gut da wäre, er habe seinen Bedienten vorausgeschikt, um sich einen Platz in den ersten Bänken aufheben zu laßen. - er hielt mich für einen Engländer, erzehlte mir, er seye mit 4 Wägen gereist, man habe den lezten visitiren wollen, und ihn Schwierigkeiten gemacht, wegen einigen Artikeln, die er bey sich gehabt hatte, er habe schnell einen Courier an Controleur. General abgeschikt, wo sodann alles berichtigt worden wäre. Er präsentirte mir Tabak, er muß gut seyn, ich habe ihn gewönlich von einen Fermier General, kurz der Mann log so desperat, daß ich |[145] ich ihn ins Gesicht lachen mußte. Wer nur einmal einen Savoyarden von der Gaße gerufen

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hat, um eine Comission zu machen, spricht von seinen Valet de Chambre. Hinter mir sase ein Mann, der dann auch mit ins Gespräch einfiel. Er habe die Gränze einstens paßirt und die Spitzen, die er mit sich gehabt habe, in sein Portefeuille, seye ausgestiegen und habe seinen Valet de Chambre gesagt, zu halten, sich visitiren zu laßen, und ihn dann einzuholen, man habe aber sich nicht unterstanden, nur das geringste anzurühren. Das muß ein groser Herr seyn, dachte ich, drehte mich herum - und sah einen Kerl, dem ich ausgewichen ware, wenn er mir Nachts auf der Strase in den Anzug begegnet wäre. d. 8t Sonntag Ich ging garnicht aus - Mettang, Allaix und Mordstein waren bey mir, ich speiste Mittags Käs und Brod - Abends schrieb ich an Kammerfrau Stein u. Oberhofmeister Biber. d. 9t Ich zeichnete und endigte heute den Plan einer kleinen Kirche, speiste Mittags bey Farget. Einer hielte mich sogar vor einen Polaken, ein andrer für einen Engländer, und unterredete sich mit mir von <x> England. Ich lies ihn auf den Glauben. Abends kam ich von ungefehr zu Füsli, wenn ein Schweitzer, Breitinger, der von Zürch hieher kam, um ein Handels |[146] Haus zu gehen, ganz Schweitzer ist <und also> einen Abschiedsschmaus hielt. Perrodin kam auch dazu. d. 10t Es ist wieder ganz Winter, schneit regnet, was es nur vor Unarten in den Wetter geben kann, sieht man iezt in einer Stunde beysammen. Ich war bey Delanoy und holte zwey frische Plane ab, vorher einen Augenblik bey Harwey - den übrigen Tag blieb ich zu Hause, und ging nicht einmal aus zu Mittag zu eßen. Abends ging ich zu Meyer, wo Perrodin auch hin kam. Blumendorf las in den Briefwechsel Voltaires mit die Rußischen Kaiserin. ich speiste dorten zu Nacht. d. 11t Endichte den langen Plan eines Durchgangs in Rom, speiste Mittag bey einen Restaurateur in der Rue des grands Augustins, gut aber theuer. Nachmittags u. Abends zeichnete ich. d. 12t Ich wollte heute zu Hause bleiben und zeichnen, allein Rieger kam und überredete mich mit ihm nach Hause und ins Palais Royal zu gehen. Unterwegens <warf> besahen wir iedoch nur flüchtig die Kirche von St. Roch. Perrin, der von England zurükgekommen war bey mir; er hat nichts besondres an innerer Decoration in London gefunden - den Abend bliebe ich zu Hause und zeichnete. Schon um 9 Uhr legte ich mich nieder, um morgen recht früh aufzustehen. |[147] d. 13t Es ist außerordentlich wie es heute morgens schneite gleich darauf schmolz der Schnee und die Strasen waren voll Waßer, sogleich sind die Savoyarden <da>, aufmerksam auf iede Gelegenheit, Geld zu erhaschen, mit ihren fliegenden Brüken, die aus einem Brett bestehen, da, und setzen ieden in Contribution, der über den Bach, der sich gesammlet hat, gehen muß. Die Wagen rollen durch, und schonen die Bretter nicht, wenn der Savoyard nicht schnell genug war, seine Brüke vor den Füßen der Pferde abzuschlagen. Ich gehe niemals über so ein Brett, weil ich immer fürchte, daß es einmal unter meinen Füßen weggezogen wird, und ich in das Waßer ganz unsanft gesezt werde, dazu noch wagen muß überfahren zu werden. Ich war bey Delanoy, brachte ihn meine Zeichnung und holte andere dagegen. Bey Harwey - bey Allaix, wo ich auch einige Zeichnungen holte. bey Perrin, er brachte englische Löschblei mit, das 12 von guter Qualität kostet 3 Livr. 12 S. oder 3 Schilling - ein Schilling ist 24 S. <Da> ich bate ihn um ½ dzt. da er mir sie aber schenken wollte, name ich sie nicht an. Abends bliebe ich zu Hause und machte einige Auszüge aus St. Loix.

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|[148] d. 14t König liese mich auf den Abend invitiren, Baron Trenk seye bey ihm; ich zoge mich an und ging gegen 7 Uhr hin, man trank Punsch - und soupirte sodann nach Pariser Art d.h. ettl. Poularden, einige Compote, Sallat, Desert. Suppe hat man nie des Abends - ich trafe da an <Lücke> Baron de Grott Ministre plenipotentiaire von Cöln beym niedersächsischen Kreis, hält sich gewönlich in Hamburg auf. Er ist ungefehr 36-37 Jahre - hat den Polnischen Orten, spricht nicht übel - soll aber ein groser Libertin seyn. Ein Frauenzimmer aus Hamburg - Harfeld - wahrscheinl. Maitresse des ersteren - übrigens verheyrathet an Secretair des Barons. Sie ist nicht schön aber interessant. Ein alter Westpfälischer Schinken, der in der Gesellschaft des Barons ist. er spricht von nichts als seinen Brantenwein und seiner Küche und seinen Schinken. Landgraff, ein Juwelier - soll ein ehrlicher, braver Mann seyn, der sehr wohlhabend aber gutthätig ist. Pabst - Bachmann - einen Würtemb. aus Backnang Scheffler - König u. Six. - Gambs comme de raison - Baron Trenk - einige Zolle groser als ich, er ist in seinen 65 Jahr, die man ihn iedoch nicht ansieht; Sein Haar ist zwar ganz weis, glatt hintergekämmt, in einen Haarbeutel gebunden, auf den Seiten rollt es sich von selber in eine Loke. Er geht etwas gebükt - Sein Gesicht zeigt Sanftheit und Stille an, und nur selten zieht es sich eine satirische iedoch gutmütigen Ausdruk zusammen. Es zeigt iedoch nicht das Feine und nicht die Gröse des Geistes an, die man darinnen zu finden hofft. Er spricht wenig, sehr leise, seine Ausdrüke sind nicht gewält, er spricht lieber deutsch als französisch, das er iedoch auch spricht. |[149] er steht meistens mit übereinander geschlagenen Armen, und wenn er so vor den Camin stand, die Hände auf den Rüken, vor sich hinsehend, so fiel mir die ganze Lage des Manns ein, der so mishandelt wurde, und ich konnte ihn mein Midleid nicht versagen, das fast bis zur Rührung überging. Ich hatte ihn ehedem immer für einen Aufrührer, für einen Händelsüchtigen Mann gehalten, dieser Gedanke machte aber Hoffnung Platz, die man einen Manne schuldig, der mit schon weisen Haaren, mit einer Miene, die nichts weniger als Händelsucht ausdrückt, mit allen den Leiden, die er gelitten hat, vor einen steht. Meine Existenz ist nur a posteriore wahr, sagte er. Er ist noch immer u. mit Recht erbittert auf den vorigen König. Was halten sie von diesen, fragte man ihn, er schwieg einige Zeit. Es ist ein ehrlicher Mann, sagt er endlich, der nicht in Sinne hat, iemanden Uebels zu thun - ich fragte ihn ob die Berliner Bühne blühend wäre, ob sie der König oft besuchte - selten war seine Antwort, aber er versäumt keine Predigt. Was war den die eigentliche Ursache, warum ihnen der König alles dieses Leiden machte - Dieses darf ich nicht sagen, antwortete er, und werde es auch nicht sagen. Man hat mich versichert, daß es ein unüberlegtes Liebesverständnis mit der Prinzessin Amalie gewesen seye worinnen er vielleicht zu indiscret ware. Von seinen Gefängniß und seinen übrigen Schiksaalen redet er nur, wenn man ihn fraget, aber er lehnt es iedoch nicht ab, ob er gleich nicht Schwätzer über diese Materie ist. Er scheint auch eingenommen von den Berliner Gesetz gegen Catholizismus und ein erklärter Feind der Pfaffen zu seyn. Er erzälte allerhand Anectoden von den Daseyn des Pabstes in Wien; die eigentl. Ursache, warum er dahin gekommen |[150] soll ein gewißer Günther gewesen, deßen Sturz er beim Kaiser zu bewirken suchte, weil er es war, der ihm die Idee sich durch Aufhebung der Klöster zu bereichern, gab. Es gelang ihm. Seine Natur muß unüberwindlich seyn. Mit so vielen Leiden, die den Cörper und Geist auf eine so gewaltsame Weise anstrengten, sieht er doch noch einen Mann von ettl. 40 Jahren gleich. Seine Kräfte müßen erstaunl. gewesen seyn, denn ich sahe ihn einen starken Mann auf den Waden tragen, u. er legte das Knie des <aus>tragenden Fußes nicht in das andre, sondern strekte das ganze Bein gerade aus. Noch vor 6 Wochen soll er einen Graben von 14 Fuß gesprungen haben. Von gemeinen Mann bin ich niemals angeführt worden, aber oft von Officier. Er habe es endl. so weit gebracht, daß er iedes Schloß wenn es auch noch so künstl. wäre aufbringen kann,

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iedes Eisen entzwey feile, wenn es auch nur Holz wäre, das ihn zur Feile diente, nach u. nach müste es doch nachgeben. Er war schwarz gekleidet, einen Degen mit einen Porte -epée. Ich erzelte ihn den Zufall mit der Enkelin des Diderot, ein Kind von 10 Jahren, von unbegreifl. Kenntnißen in allen Fächern, unerhört vor seine Jahre, die einen Knoten in Genik bekam - Man resolvirte sich ihn wegzuschneiden, bey der Operation fiel dem Chirurgus das Gehirn in die Hände, und das Kind war todt - er sagte, ein änliches seye ihn geschehen. Als er in Rußland gewesen, habe er über ein Algebraisches Problem so tief einige Tage nachgedacht, daß daß er auf einmal auf einen bestimmten auf den Kopf, einen unbegreiflichen Schmerzen gespürt, und seitdem seyen alle seine Algebraischen Kenntniße, die er ansehl. beseßen ganz u. gar verschwunden, er könne nicht einmal zusammenrechnen, was das gemeine Leben erfodere, one Schmerzen auf den Platz zu fühlen. |[151] Beym Soupé redete er fast gar nichts - denn Gambs seiner üblen Gewohnheit nach, überal brilliren zu wollen, liese niemand zum Wort kommen. Wir arrangirten eine Parthie, die Gesellschaft miteinander auf Morgen über 14 Tage. Man ging spät auseinander ich kam um 1 Uhr nach Hause. d. 15t Ich zog mich gar hübsch und fein an, und ging zur Madame Suen, die ich nicht zu Hause antrafe - Dann einen Augenblik zu Harwey, dann zu Balletti, auch nicht zu Hause. Ein Sturm trieb mich ins Caffee de Chartre. In Hotel de Bourbon speiste ich zu Mittag. Da schwäzt man von nichts als von Tierce Etat, und Etat Generaux. - Dann nach Hause, u. wieder zu Mde Suen und wieder nicht zu Hause. Zum Unglük kam noch der Kürner zu mir. Abends wollte ich Meyers besuchen, trafe sie aber nicht an, ich hielte mich bey Ravoisé auf. Allaix ging mit mir nach Hause. d. 16t Zeichnete und schriebe den ganzen Tag, und ging nur zum Mittagsessen aus, Abends bekame mich der Friseur in die Hände und brannte und schnitte meine arme Haare zusammen, daß ich <?>leidig wurde und Kopfweh bekame und mich beizeiten niederlegte. |[152] d. 17t Rieger kam zu mir und nöthigte mich, mit ihn in der Stadt herumzugehen. Wir besahen St. Sulpice - hier war eben Predigt - d.h. einige standen um die Canzel herum, wo ein Pfaffe in einen weinerlichen monotonen Ton etwas herschwazte, andere liefen ab und zu, andere gingen auf und ab spazieren, kurz es war wie ein Jahrmarkt, u. der Prediger wie der Marktschreyer. Von da auf den Foire St. Germain - wir gingen in ein Billard und spielten die erste Parthie in Paris, ich gewann sie, die Billard sind gewönlich sehr kurz, oben an Platz des ersten Quarambole ist ein Eisen, <Zeichnung> in der Mitte deßelben wird die Kugel gesezt. Rieger verlor die Parthie. Dann gingen wir gegen das Thor St. Bernard hin, das ich zum erstenmal sahe - die Thore, die ich noch gesehen haben einerley Form, Gestalt, und Idee und sind nur in den Zierrathen unterschieden. Von hier aus sieht man die Spitze der Ille St. Louis, und sie macht eine gute Wirkung - die Ufer sind mit Ziegel und Fäßer und Kalen belegt, das ganze sieht pittoresque aus - Abends schriebe ich an meine Schwester - wegen der lederne Deke, Pudermantel u. Nachthemde - an Müller von Trenk - wegen Perspektiv. - etc. d. 18t Ein bitterböses Wetter, ich bliebe auch den ganzen Tag zu Hause u. zeichnete; ein Hannoverischer Jäger Muller der beym Herzog gebettelt hatte, u. den ich daher kannte, meldete sich bei mir, und bat mich ihn anzunehmen, ich werde es probiren, und gabe ihn unterdeßen nur 12 Livr. des Monats - Abends speiste ich an Stein u. Biber.

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|[153] d. 19t Bliebe den Tag zu Hause und speiste mit Hoyer auf seinen Zimmer - Alles wird doch als Farce traktirt. Heute morgens zogen <ein> Männer vorbey mit Blumenstrause, Fahnen, Trommeln und Musik - es ist nichts andres das Micareme, d.h. man ist mitten in den Fasten, dieses giebt das Signal zu den Festen der Waßerträger, Schiffer und Wäscherinen auf den Fluß - da diese Leute indeßen sehr arm sind, und eine Beschäftigung haben, die keinen Tag unterbrochen werden darf, so sieht man nur hie und da welche in Staat einherziehen. Diese Leute, die so einherziehen, und das micareme ankündigen sind bezalte mouchards von der Policey. Es revoltirt mich iedesmal, das ich eine creatur von der Policey sehe, obgleich sie auch zu meiner Ruhe u. Sicherheit besoldet werden. d. 20t Freit. Mittags speiste ich bey Königs - Harwey bey mir <Striche> Ein iunger Mensch aus Magdeburg - der sich lange in Nantes aufgehalten hatte und nun nach Deutschland zurükgeht, er gefiel den Damens sehr wohl, und sie tranken, als er weg öffentl. seine Gesundheit. - Ein anderer - Namens Merz - aus Strasburg - Landgraf - ein Garçon, der unter diesen Titel den Frauenzimmern die indecentesten Sachen darst., welches man in Paris nicht ungewönlich, man redet ganz deutl. von denen Sachen, die man in keiner Gesellschaft |[154] bey uns nur denkt, und lächelt und lacht über die unschuldigsten Sachen, wenn die nur irgend zu einer Zweydeutigkeit Anlaß geben. Man hatte einen vortreffl. Aal von Nantes, ein Lekerbißen, den die Pariser sehr in Achtung halten. Abends spielte man Berlan - ein ennuyirtes Spiel, und noch ennuyirter, wenn man es klein und mit Frauenzimmer spielt, die geschont seyn wollen, und nicht gerne verlieren. Ich zeigte einige Taschenspieler Künste, deren ich mich noch von Teutschland erinerte und lernte bey dergl. daß Compère ein solcher heist, der mit einen andern einverstanden ist, um Künste zu machen. Abends soupirte ich auch da. d. 21t Bey Mde. König trafe ich heute morgens einen artigen iungen Menschen Fleuret an, ich ging mit ihn ins Palais Royal, und dann ich zum Rieger, den ich nicht fande und deswegens auf einen Caffee wartete, bis er kame, sein Oberst kam mit ihn, und speiste da - ich ging dann <bey> zu <der> Balletti, wo ich Cingarelli, einen Italiener und Musiker von Reputation antrafe - ferner einen Fermier General de <x> Laer, der das schöne Ekhaus mit den Garten darauf in der Rue commartin hat. Reinewald, Wächter u. ein Mahler Guttenbronn aus Wien <waren da> kamen ich speiste dorten, ging sodann nach Hause, wo ich mich mit meinen Schnupfen so übel befande, daß ich mich eine halbe Stunde aufs Bett legen muste, ich ging sodann zu Meyers u. tranke Thee. Rieger gabe mir das Billet für 40 Livr. an Capit. de Clinchamps für Schäffners Bruder in Strasburg. |[155] d. 22t Nach dem ich Mittags bey Farget gegeßen, besuchte ich eine Augenblik Harwey und liese mich dan über Waßer setzen ins Palais Royal zu kommen, das ich kaum noch vor den Regen erreichte. Hier waren sehr viele Leute, es waren aber nicht die nemlichen Gesichter, wie alle Tage, es waren meistens ehrliche Bürger, die es sich zu einen Feste machen, wenn sie Sontags sich und ihre Familie da hierum spazieren um die ganue Woche davon zu reden, die Mädchen <x> machen sich dann ihre Confidencen, wie sie den und ienen gesehen, den und ienen zu ihren Liebhaber wünschten, dieser und iener sie angeschaut u. gelächelt habe etc. Ein iunger Officier, der durch ginge, zog die Aufmerksamkeit aller auf sich und in der That noch nie sahe ich einen Menschen von schöneren Wuchs und vortheilhafter Bildung als diesen, er wird es vielleicht in wenigen Jahren nicht mehr seyn, aber diesen Augenblik ist seine schönste blühzeit. Ich traf Rieger mit seinen

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Capitain an, lies ihn sodann und ging in das Caffee de Chartre - begegnete ihn iedoch sodann wieder und wir gingen herum bis 7 Uhr - Im Caffee Polonais spielten wir Domino, ich gewann ihn 10 Sols ab; <x> er ging sodann ins Pantheon u. ich nach Hause. <d. 23t> |[156] d. 23t Heute ist in der Augustiner Kirche die groste Meße wegen der Uebergabe von Paris an Heinrich den IVt. und seine Abschwörung - der ganze Morgen verstrich dahero, daß die Priester und Brüder von Notre Dame mit ihren festlichen Anzug und allen ihren Ceremonien und dazugehörigen Geräthschaften - nach und nach truppweise auf den Quai vorüber in die Kirche zogen. Endlich kam auch das Parlament mit seinen rothen Mänteln, umgeben u. begleitet von der Garde du Corps und der Stadtwache in ihrer Staatsuniform, die allein den Modeschnitt noch nicht angenommen und eben so 4ekicht u. auch lächerlich mit rothen Strümpfen einhersteigt wie die Franzosen gewönlich die Preusen steif auf ihre Theatre bringen. Die Parlamentsherr liesen sich ihre Röke u. Schleppen von ihren Bedienten tragen - es war iedoch nicht das ganze Parlament, sondern nur ettl. 20. Bey dergleichen Gelegenheiten ist die Vorsicht der Policey sehr zu loben, die die Gaßen, wo die Proceßion vorfällt, stark mit Wache besetzen ließ, <x> es schikte sich eben daß das Hochwürdige vorbey getragen wurde, die Posten zogen sich dann zusammen, schulterteten scharf das Gewehr und liesen sich als das Hochwürdige vor ihnen war mit den Gewehr presentirt auf ein Knie nieder. Bis dahin sieht es gut und feierlich aus, und ich freue ich mich allemal, wenn ich Gelegenheit habe es zu sehen. Lächerlich aber ist es, wenn der Soldat seinen Hut herunter zieht in dieser Stellung und noch lächerlicher, wenn sich unser Herr Gott durch einen Schwung der Priester mit den Kelch gegen die Macht bedankt und die Honneurs erwidert, da er gegen Civil Personen ganz unhöfl. vorbeygeht. |[157] In die Kirche wäre es unmöglich gewesen zu kommen, ich begnügte mich also nur die Herrn zu sehen, wie sie gravitätisch vorbey zogen. <Nachmittag kame> Rieger kam zu mir - Des Morgens - wir spielten wieder das traurige Domino - und ich gab ihn revanche mit 58 Sols. Mit Hoyer speiste ich auf den Zimer, und bliebe auch den übrigen Tag zu Hause. Gegen Abend kam Glauber zu mir, und wir spielten Schach - Ein Bruder, der betrunken war, wie ein Fuhrmann turkelte vor meinen Fenster vorbey - der Pöbel versammlete sich um ihn herum, man triebe Poßen mit ihn, wolte ihn engagiren - ein Soldat von der Garde francaise sezte ihn seinen Hut auf etc. So lehren die Diener der Religion freilich selbsten die gröste irreligiosität und Verachtung gegen ihren Stand, der immer gefürchtet obgleich nie geliebt ware. d. 24t Ich ging des Morgens ins Luxemburg, um zu meiner Zeichnung das Orignial zu suchen, das ich in der 3ten Etage gegen der Gartenseite fand. Vorher in vorbeygehen war ich einen Augenblik bey Mde Suen, die ich an ihren Toilette antrafe. Als ich nach Hause, war Rieger bey dem ich zum Mittagseßen Invitiert war schon DuHarppe den Restaurateur in der Rue des gr. Augustins - wir speisten da nichts als eine Poularde - die aber ganz ordentlich ware - sein Capitain war mit - ich ging sodann nach Hause und von da - wie folget - |[158] <d. 25t> Heute <ist Fest> glaubte ich, wurde das Te Deum in der Kirche Notre Dame gesungen worden, wegen den morgenden Fest - ich fand aber alles leer - ging sodann zu Ludwig - Architekten von Carlsruhe, den ich nicht antrafe, dann zu Meyern, wo Gambs ware und mir versprache Uebermorgen Abends zu mir zu kommen. d. 25t Ich war nur einen Augenblik aus, um bey Delaney die Lineals zu holen; er war nicht zu Hause - Mittags speiste ich mit Hoyer und Abends gingen wir ins Concert Spirituel - Wir fanden in

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den vodersten Bänken, die man, weil sie Rüklehnen haben, Stales3 nennt, gute Plätze, weil wir fast von den ersten waren. Die erste Symphonie war von Hayden - dann kam Mr. Lais, Sänger in der Opera und gabe uns ein franz. Scene - die Musik von Breton - Sein Gesang hat nichts vorzügliches, so wie auch die Musik, man war froh als er abtrate, um den Mlls Descarsins Platz zu machen, die ein Concert auf der Harfe gabe - es sind zwar Schwestern, die sich iedoch nicht gleich sehen, die älteste mag ungefehr 19-20 Jahre, die kleinere aber nur 13-14 alt seyn, die kleinere besonders spielte sie mit außerordentlicher Fertigkeit und viel Empfindung, obgleich das Concert das sie gaben, nur die Absicht hatte, die Geschiklichkeit ihrer Finger zu zeigen, nicht <x> auf die Seele zu wirken. Dieses Instrument kommt in Frankreich nach und nach in den Concerts auf, wo es zwar immer mit mehr Achtung betrachtet wurde als bey uns, da die bömischen Harfenmädchen es herabgewürdiget haben. Als diese gingen kam Todi - Wer kennt nicht diese, und wem ist diese Frau unintereßant, auch wenn er sie nicht gehört hat. Sie kam mit sehr viel Anstand |[159] und ihre Verneigung, die sie gegen das Publikum macht, war mit der sprechensten Miene begleitet, die ausdrükte, daß sie das Publikum schon die Ehre hätte zu kennen, daß er ihr schon seinen Beifall geschenkt und sie daher, theils aus Dankbarkeit, theils aus freundschaftl. Gesinnungen gegen die Nation sich freute, es wieder zum erstenmal zu sehen. Sie ist eine Frau von ungefehr 37-40 Jahren, nicht schön, one unangenehm zu seyn hat sie viel mehr auf den Thater in der Ferne sehr viel intereßanter, das dann freilich durch ihren Anstand hervorgebracht wird. Sie erschien <als eine> nicht als eine Anfängerin, die sich zum erstenmal unter das Publikum, bescheiden und demüthig wagt, sondern mit Anstand, in Gefühl ihrer Talente, und als eine schon belehnte, volendete Künstlerin - dies sagte ihre zuversichtliche Miene - ihre Brillanten, die sie in den Haaren und vornen an der Brust herunter hängen hatte. Sie sang eine neue Ital. Arie - ihre Stimme ist stark, doch schien sie mir nicht so ganz rein u. hell zu seyn, wie Balletti ihre. Sie gab sehr tiefe Töne und diese nicht rauh sondern angenehm und one wie es schien sich anzustrengen. In aushaltenden Odem stiese sie mehr Töne precis und schnell ab, ich weis nicht, ob dieses in der Musik einen besonderen Namen hat, aber ich habe es noch nicht von einer Sängerin gehört. In ganzen sang sie mit sehr viel Ausdruk - |[160] Dann kam der zweite Theil des Concerts - eine andere Symphonie machte den Anfang - ich würde sie eine Jagd Symphonie nennen - Sie war ganz vortreflich, und gefiel mir unter der Musik, die man heute spielte am besten. Dann kam M. M. Lais Rousseau und Chardini und sangen ein Trio von eben den M. Breton Dann Msr. Ek, premier Violon de l'Electeur de Baviere. Ein noch sehr iunger Mann, der mit vieler Delicatesse und Ausdruk spielte, Die Musik war von ihm, sehr leicht u. gefällig auf Art unserer Sch<?> - ich habe noch niemals so feine Töne gehört, als dieser Mensch vorbrachte. Dann kame noch einmal Todi und sang eine Arie von Piccini - Sie wurde natürlich sehr applaudirt und soll es auch in höchsten Grad verdienen. Ich sahe in diesen Concert den Baron Bagne, der durch seine unerklärliche Eigenliebe und Rasanz für die Musik so bekannt ist - es ist schon ein Mann bey Jahren, der garstige gar nichts weniger als Enthusiastische <x> Bildung hat. Den Vorzug, den die Deutschen fast in allen für den Franzosen haben, bewies auch dieses Concert. Alles was schön daran war, kame von den Deutschen. Hayden, Ek und Todi (man sagte mir, sie seye in Portugal <erzog> geboren, in Berlin aber erzogen) sind Deutsche. Ek hatte sich fast bey den Publicum in Mißgunst gesezt, weil er auf den Theater zu sehr sans façon war, und einigemal den Publicum den Rüken kehrte, ein Verbrechen bey den Franzosen, das einige sogleich bemerkten. Ich ging mit Hoyer sodann nach Hause und tranke Thee

3 Stalles = frz. Chorstuhl.

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|[161] d. 26t speiste mit Hoyer zu Hause - Abends kame Gambs und dann Ludwig zu mir, wir rauchten zusammen u. tranken Bier - Gambs corrigirte meinen Brief an Stein - er erzehlte mir die sonderbare Art, wie Baron Thun sein leztes Abendmal - von ihm garnicht bekommen - ferner die Art wie er Hefner von Galgen befreit habe. d. 27t ich endigte das Luxemburg ging sodann dahin spazieren. Das Gebäude steht mit den Garten in vortreflicher Proportion, dieses frappirt mich iederzeit. Die Architektur ist freilich nicht die reinste, aber sie ist sich durchgängig gleich u. die Formen sind nicht unangenehm. Einst von Jacques de Brosse auf Befehl Maria de Medici, Heinrich des IV Witwe nach den Pallast Pitti der Herzoge von Toscana in Florenz erbaut. Obgleich der Tag sehr schön ware und abends etwas kalt, doch nicht zu empfindlich die Witterung, so sahe man iedoch bei weitem one Vergleich, gegen die Thuelerien, nicht so viele Spaziergänger als der Ort verdient, der im Sommer noch allerliebster seyn muß. ich ging sodann in die Kirche St. Sulpice - in einige nahe liegende Strassen durch die Rue Pot de fer wo die Capelle des Noviciat der Jesuiten zu sehen ist, die iedoch wie es scheint nicht offen ist, u. ungebraucht bleibt, da die Fenster ganz verschlagen u. zerstört sind. |[162] in der Rue de Tournon in Hotel de Suéde besahe ich ein Logis, das zwar schön aber zu theuer ist. Ich ginge nun nach Hause um mit Hoyer und Palmire zu Mittag bey uns zu eßen. Dieses ist eine von denen Mädchens, die zur Freude dienen. obgleich nicht von der untersten Claße, sie gehört nicht einmal unter die coureuse des Palais royal. Es war das erstemal, das ich mit so einen Mädchen in Gesellschaft war - ich erwartete Witz, Verstand, Leichtigkeit u. Delicatesse in Ausdruk, fande aber nichts als Plumpheit, Gewinnsucht, Anspielungen sie in die Comoedie oder sonst wohin zu führen. Sie loben den Reichen, c'est un bon garçon - je l'aime, und lieben nicht den schöneren, beßer gebauten, edleren Mann, wenn er nicht so reich ist. Sie nemen meistens einen erborgten Namen an, dieses Mädchen heist Prevôt - aber sie nennt sich iezt Palmyre. Das Mädchen, das sie zur Aufwartung, oder vielmehr zur Bedienung wenn sie chapeaux bey sich haben, bey sich wohnen laßen, ist oft ihres gleichen und ist nur darinnen von ihr unterschieden, daß sie nicht so schön ist, um ein eigenes Gewerbe auf ihren Conto zu haben. Sie heisen sie nur ihre femme de Chambre, u. wenn man bey iener sich einfindet muß man auch allemal diesen noch etwas geben. Palmyre wird nach Deutschland zu Baron Busch in Darmstadt gehen, der sie hier gekannt und iezt durch die verMittelung Hoyers sie wieder so stark in sein Andenken zurükgerufen hat, daß er sie kommen läst. Sie ist nicht sonderlich schön, keine feine Taille, einen grosen Fuß, eben so grose Hand, und nicht sonderlich Farbe. Da sie endl. sahe, daß mit uns nicht zu machen seye, zoge sie ab, ich wollte sie zwar noch zu Odinot führen, u. lief ihr nach, trafe sie aber zum Glük nicht an. Abends ging ich mit Hoyer ins Palais Royal, wo er mir seine Bekanntschaften zeigte und ich dadurch Gelegenheit hatte, diese erbärmliche Geschöpfe näher zu besehen. Wir ennuyirten uns endlich und gingen nach Hause - |[163] d. 28t Ich bliebe den ganzen Tag zu Hause - u. zeichnete und schriebe an Journal. d. 29t Kirchhof der Perrükenmacher von Studtgard war bey mir, er brachte mir Briefe mit von Müller - Steuber, Grävenitz, u. Louis, erzehlte mir von den Lermen wegen der Canzley - wegen den Laternen etc. Perrin war auch da, der diese Woche noch abreist. Mittags ging ich zu Mde. Suen - sie invitirte mich zum Eßen, vorher ging ich noch einigemal in Luxenburg auf u. ab, wo mir der Engländer Farmer begegnete. Das Mittagsmal bey Suen war dann sehr schmal, Suppe - ein kleines,

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mageres Stükchen Rindfleisch u. eine Endte zu 4 ist gewiß nicht viel. Ein gewißer De la Porte war da, ich trafe ihn allezeit an, es muß ein sogenanntes Hausthier seyn, weil ihn Mde. Suen, als sie über die Sprache disputirte, ziemlich unhöflich tracktirte. Diese Mde. begiert sich Verstand zu haben, und daher Gründe anführen zu wollen, die aber dann oft nicht Stichhalten <x> - u. wenn sie überführt ist, wie alle Weiber gerne Recht <haben will>, und das lezte Wort haben will. Dann brechen sie oft in die Wörter aus um ihre Gegner zu intimidiren u. sich auf eine Antwort zu besinnen. Vous me faites mourir, j'e toutte de rage, je me fache Serieusement. Anstatt einen Schimpfnamen zu geben. d.h. Vous étes une bête - sagen die Franzosen |[164] oft - Vous étes - dann halten sie inne als wenn sie sich auf einen rechten argen Ausdruk besinnen und stosen endlich heraus - Vous - Vous étes - Vous. Ich bliebe bis 7 Uhr, dann ging ich einen Augenblik zu Königs, den ich versprache für sie an Müller zu schreiben. d. 30t Ein iunger Mensch, ein Däne (<x> Blok) der in Göttingen mit den iungen Grafen v. Scheel studirt, dieser, Hoyer und ich gingen aus um ein und das andere zu sehen. Zuerst in die Ecole de Chirurgie - mich beleidigt die doppelte und durch ihre Höhe verschiedene Säulenordnung, iede Vergleichung des grösern zum kleineren schadet diesen. Eine grose Frau u. ein kleiner Mann als Eheleute gefallen mir nicht beysammen, so auch ein groses u. kleines Pferd an einen Wagen, die beide gleich ziehen müßen etc. Wir gingen in den Anatomischen Leersaal wo eben Vorlesungen gehalten wurden. Dieses ist ein halbes <Cirkel> Oval, der Diameter macht die gerade Wand aus, in deren Mitte der Leerer an einen Tisch steht, wo der Cadaver liegt - auch ist hier noch ein Catheder in Form einer Canzel - die Wand ist ganz glatt u. weis - nur rechts u. links sind zwei Büsten, die zu klein u. angeklebt sind. In den runden Theil des Saals erheben sich en Amphiteater Bänke sehr hoch, oben sind die Thüren wo man hereinkommt. Das Licht fällt von oben und verliert sich gegen die der grosen Seite zu gewölbten Deke, die mit Füllungen in denen Rosetten geziret ist. Vis a vis dieser Bänke auf der geraden Wand ist en camaieu |[165] ein antikes Basrelief, die Erfahrung u. Theorie vorstellend. Der Saal ist sehr gut erleuchtet. Der Lehrer, der eben demonstrativische Vorlesungen hielte über einen Cadaver sprach unangenehm in gleichen Ton, sehr geschwind, wie bey uns die Kinder in der Schule, wenn sie auswendig gelernt haben. Man muß an den Portier seinen Rok abgeben, wenn man hierein geht u. bekommt ein Zeichen dafür. Die übrige Einrichtung <ist> in den Gebäude scheint mir zu klein u. zu spielend x> wie z.E. das Chimische Laboratorium, das Zimmer für die Pharmacopia, wo in verschiedenen Gläserchen ein Echantillon von ieder Medizin ist etc. Dies ist auch dann nur wegen der Parade da. Das Gebäude ist wirklich zu schön für eine Ecole de Chirurgie. Das finde ich überhaubt das die Franzosen gar nicht auf den Charakter der Baukunst sehen. Wer sieht das franz. Comoedien Haus für das an, was sie ist. Der Charakter ist viel zu ernst, die dorische Säule, die Pierre de refend auf der Masse des Gebäudes geben ihn diesen Charakter der sich für ein Magazin, Börse etc. schikt. Wenn ein Mahler ein Portrait gemalt hat, und um es kenntlich zu machen den Namen, den es vorstellt, darunter sezt, so wird man ihn auslachen, so auch bey der Baukunst - man würde das Gebäude für eine Börse ansehen, wenn nicht zu guten Glük Comedie Francaise darüber stünde. Diese Bemerkungen machten wir, als wir daran vorbeygingen - wir namen unsren Weg durch den Luxemburg, das meines Erachtens |[166] in ganz Paris das vollendeste Gebäude ist, es hat Charakter, durchaus herrscht der nemliche - es steht in Verhältniß mit den umliegenden Plätzen u. Strassen, hat durch die Rue de Tournon eine vortreffl. Avenue - In der Kirche St. Sulpice beleidigt mich eben immer das Gesimse, das über den Pfeilern ist, es theilt das Schiff, benimmt ihn von

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seiner Weite, und beleidigt das Auge durch seine Schwere. Die <Canzel> Orgel von de Wailli ist schön gezeichnet, aber sie steht auf einen schwachen Gesimse u. Säulen für ihre Schwere. An den Seminaire, das so unglüklicherweise <die> das <Kirche> Portail masquiret sind zwey ionische Säulen mit besonderen Capitäls, die ich abzeichnen werde, wenn ich wieder vorbey komme. Wir gingen nun in die Rue de Grenelle um die Fontaine zu sehen, sie ist von Bouchardon und von sehr reiner Architektur u. gefälliger Form, die Pfeiler die an <den nebenseiten sind, haben Capitäle u. keine Basen, dies fällt auf, weil man es nicht gewönt ist, ich hätte lieber die Capitälen auch weggelaßen> schade daß keine Strasse auf dies Monument geht, es würde viel mehr Effect thun. Geben über wohnt ein deutscher Apotheker Muller wie die Anschrift sagt, ein sehr schönes Mädchen das darinnen sase theilte unsere Aufmerksamkeit mit der Fontaine. Im Anfang der Straße ist links ein kleines Hotel in Hof - Hotel de Cugni, das niedlich ist und in in einen Garten guten Effect thun würde. Wir gingen nun durch die Rue de Bagne über Pont royal, wo ich Voltecoff antrafe, in die Thuelerien - wir beredeten uns in Hotel de Bourbon zu speisen. Als wir auf den Platz des Caroussels (Carrousel) waren sahe ich von ungefehr ein Gesicht, wie ich noch keines in Paris gesehen hatte, das unbegreiflichste Feuer in den schwarzen Augen frappirte mich. Es war eine Person |[167] von ungefehr 20 Jahren, ein anderes Frauenzimmer begleitete sie u. ein Bedienter folgte ihr, - wir gingen ihr nach bis uns Palais royal - hier addressirte sich Graf Scheel an Bedienten, u. machte ihn ein kleines Present um zu erfahren, wer sie wäre u. wo sie wohnte - lezteres wollte er nicht bestimmt sagen - er nannte sie Mde. de Marsé, sie seye erst ein Jahr mit einen Officier verheirathet u. wohne in der Rue neuve St. Eustache. Wir gingen noch auf u. ab bis um 9, dann kamen wir auseinander, ich weis selbst nicht wie; ich ging zu Harwey u. dann zu den Eßen in der Rue de Boucherie. d. 31t Zeichnete des Morgens an den Gesimse von Delanoy - ging sodann zu Blumendorf, den ich nicht zu Hause antrafe - bey Munichs - er war in Chantilli - speiste ich einen Teller Sauerkraut. Mit Rieger ase ich zu Mittag - ich erfuhr hier den traurigen Tod des Obristen Tedel. Wir gingen ins Palais royal, u. ich sodann nach Hause. - wo ich an Carl aufs Cap schriebe; auf den Brief werde ich Holländische Addresse machen u. ihn Goldschmidt mitgeben. |[168] d. 1t April Das schlimme Wetter nöthigt mich fleisig zu seyn, ich war es auch den ganzen Morgen. Des nachmittags schriebe ich an Oberst Ron. d. 2t Ein Pasteten Beker iunge, der in die Tuilerien eingebrochen war und gestolen hatte, wurde gehenkt, ich ging aus diese Ceremonie zu sehen. Es war auf den Platz de la Croix de Trahoi, da wo die Straße de l'arbre Sec in die Rue St. Honoré stoßt - der Galgen ist kaum 8 Fuß hoch und nur aus elenden Holz in der Geschwindigkeit wie unsere Schimpfgalgen aufgerichtet. Als der unglükliche ankam, kletterten einige sogar auf den Galgen um ihn von weiten kommen zu sehen. Der Pursche, da er über die Pont neuf ging und die Samaritaine vorbey kam sahe er nach der Uhr - trois heures et demie - eh bien, dans une demie heure je serais foutu; er lachte u. schäkerte noch - Die Presse war zu groß, ich konnte nicht da bleiben und ging davon one es gesehen zu haben. In die Halle aux Draps ging ich von da mit Megrien - es ist ein längliches Gebäude oben mit einen halb runden Tag, die Wölbung inwendig ist nicht Massiv, sondern nur eingeschaalt. Die Aussicht, die man von da auf den Place des innocens hat, ist sehr artig. Die Kirche von St. Eustache ist ganz in gothischen Stil, sie ist schmal aber sehr hoch, diese Höhe wird dadurch noch optisch größer, daß kein Gesimse sie

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theilt, und aus der Ursache scheint sie höher als St. Sulpice. die Preven oben in Gewölb sehen männlich und stark aus - ich ging sodann nach Hause u. schriebe an General Phul u. Hptm. Fischer. Da ich iezt gar kein Geld habe u. sehr auf welches warte, so habe ich die ökonomische Einrichtung erfunden zu Hause zu speisen, ich koche eine Suppe u. laße mir eine kleine Pastete dazu holen, u. befinde mich herrlich dabey. |[169] d. 3t Perrin kam heute morgens zu mir und sagte, daß er Morgen früh abreisen werde, ich hatte daher über Hals u. Kopf zu thun, um die Briefe zu endigen, die ich <x> ihn mitgabe - An Senkenberg wegen den Regenmantel an Louise - an Hptm. Fischer - an Müller - an meine Schwester, ich schikte ihr die Schuhe u. das Tablier - an Lilienstern - Abends kam Allaix zu mir - ich habe die Briefe der Mde de Sevigné gekauft u. fange sie an zu lesen, um den Briefstil zu lernen. d. 4t Als es aufhörte zu rechnen ging ich aus, um mir Bewegung zu machen und dabey etwas zu sehen - ich war bey <Allaix> Harwey - ging sodann durch die Rue de Colombier, wo ich in Hotel de St. James - ou Angleterre beide sind nebeneinander u. gehören einen Herrn Zimmer besahe, in Hotel d'espagne nicht weit davon führt mich ein gar stattlicher Mann in einen tressenen Rok herum er zeigte mir niedl. Appartemens für 6 Louis, das ware meine Sache nicht - Sodann durch die Rue St. Jacob - de l'Université - wo einige artige Hotels sind, in den gleichen Namens mit der Strasse logirte Prinz Heinrich - kam an den Palais des Prinzen Salm - es ist <eine> offenbare Wiederholung der Ecole de Chirurgie, nur mit einigen Abänderungen - die Säulen an der Einfahrt thun eine sehr schlechte Wirkung, man weiß nicht, was sie da wollen. ich ging herum um ihn auf der Seite des Waßers zu sehen, er ist niedlich, wenn er nur auch bezahlt wäre. Sodan auf den Quai hin bis in die Rue de Bagne wo ich Gambs besuchen wollte, der aber nicht zu Hause, in dieser Strase stoßt die de Grenelle, ich besahe in vorbeygehen meine schöne Apotheken Frau und die Fontaine, durch die Rue de Seve u. de Four ging ich nach Hause, und besahe noch das innere der Kirche St. Germain de Prez das Gothisch, u. nicht so ganz übel ist. - In Sommer muß es doch |[170] ungesund seyn, so unmittelbar in Schweiß hinein zu treten, weil es sehr kühl darinnen ist, u. man sich leicht erkälten kann. Zu Hause speiste ich wie gewöhnlich und ging nach den Eßen wieder aus - Ich ging in die Isle de Notre Dame und befande mich unvermuthet an der Kirche, der Fracas den die Bogen der Seiten navater machen ist sehr artig - u. abwechselnd. Es ist unangenehm in die Kirche zu gehen weil meistentheils man angebettelt wird, alte zerlumpte Kerls sitzen an Weihkeßeln u. haben grose Bürsten an Stangen, womit sie einen um ettl. Liard besprüten - oft laufen sie auch nach, u. dann könnte man glauben, es geschähe um zu attaquiren. Als ich aus der Kirche heraus auf das Parvis wieder kam, sahe ich links ein Thor offen u. viele Leute hinein u. heraus gehen - ich ging hinein, u. trafe Kranke an, die theils in Saalen, theils herumgingen - eine Brüke geht hier über die Seine - es ist das Hotel Dieu, wie ich nachher erfuhr. Ich ging über die Pont de notre Dame, das Quai hinunter auf den Platz de Greve - das Rathaus hat ganz seinen Character - nach der Idee die wir uns in Deutschland von einen solchen machen, weil es bey uns meistens <x> Gebäude <sind>, die von langer Zeit her gebaut, u. damals als die ersten Häuser verziret sind mit hundert Kleinigkeiten. Das Pferd Heinrichs ist zu lang - die Statue aber schön. Hier trifft man immer Taschenspieler an. Ich kam sodann an das Portail de St. Germain - das außerordentl. gerümt wird - es liegt etwas finster u. verstekt, indeßen gefällt es mir doch nicht, die Säulen der zweiten Etage ruhen mit ihren Postamenten gerade auf den kleinen Frontispice der ersteren, u. werden von denen abgeschnitten, welches eine wiedrige Wirkung hervorbringt - das innere ist gar dunkel u. dumpfig u. unangenehm.

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Von da kam ich in die Rue St. Antoine - der Gedanke das ich näher an die Bastille kam fiel mir schwer auf das Herz, ich fürchtete auch sie zu sehen und doch wünschte ich es. Endlich endekte ich den oberen Theil eines Thurmes, wie wir ihn an unsren Mauern der ehemals befestigten Stadt sehen u. nach und die ganze breite Face - die Empfindungen die ich dabey hatte, vermengten sich mit der Neugierde, das Gebäude recht zu besehen um meinen Freunden Nachricht zu geben. Durch diese Strase, dachte ich, wurden die so viele unschuldige Opfer geführt, die ihre Lebenszeit dort verschmachteten, hier waren sie zum leztenmal Menschen nahe, u. dan auf ewig von Ihnen entfernt - Man sieht nur auf der Strase den oberen Theil des Gebäudes |[171] es ist ein Oblongum - die breiten Seiten haben Thürme die halb rund herausstehen oben einen Kranz haben der durch Consolen mit der Maße des Thurmes vereinigt ist - die schmalen Seiten stoßen auf die zwey Ekthürme der Breiten - daß es also in ganzen 8 Thürme sind - die Mauern des Zwischenraumes sind so hoch als der Kranz - das ganze ist durch einschnitte, die iedoch nicht beträchtlich hoch aber breit sind, durch einige Camine u. Wachthäuser begrenzt. Die einzelnen äußerst schmalen Fensterchen die man hier u. da sieht erregen Schauer der Finsterniß die in dieser Maße herrschen muß - die Farbe der Steine ist schwärzlich <x> und schauderhaft paßt sie zur ganzen Form. Die Thürme stehen trotzig und fest da u. scheinen zu spotten der Tränen, die in ihnen fliesen. Die Maße muß entseztlich stark seyn, daß sie noch nicht von ihnen erweicht worden ist. Boutiquen die in einiger Entfernung um den Fuß des Monuments des Schrekens herum stehen, verwehren daß man nicht den Fuß deßelben sehen kann, welches auf der andern Seite rechts beßer angeht, wo man den Graben, der bey hohen Waßer angefüllt ist, u. die Bastionen sieht, die die Bastille beschützen. Ist etwas in der Welt in Stand, Begriffe von Festigkeit, von Härte von Despotismus u. Ignoranz zu geben, so ist es dieses Gebäude, das desto auffenfallender ist, da es in einer Stadt steht, <die> worinnen die Sitten so mild und weibisch u. fein, und die übrigen Monumente die neben u. um ihn herumstehen so gebrechlich niedlich u. delicat sind. |[172] Ich suchte das Porte St. Antoine - es ist aber abgetragen - die Menschen, die ich in diesen Theil der Stadt antrafe u. das Gewühl ist ganz anders als in den andren Theilen - Man sieht da nicht die Menge der Mußiggänger, die vielen Equipagen, die eleganten Herrn zu Fuße u. zu Pferde, es sind meistens arbeiter der niederen Claße und ein gut gekleideter Mann, der in den innern der Stadt unter 1000 andren der unbedeutenste ist, wird hier schon bemerkt. Der Place royale ist etwas traurig, weil er ganz eingeschloßen ist - die Arcaden, die rings herumgehen sind etwas niedrig - Es that mir wohl, einmal einen andern König zu sehen als den ewigen Louis XIV u. XV. Louis XIII ist in römischer Kleidung zu Pferde auf einen etwas armseligen Postament zu Pferde. Der ganze Platz ist mit einen eisernen Gitter ungefehr 8-9 Hoch eingefaßt zwischen diesen u. den <Straßen> Arcaden läuft die Straße hin - das innere ist in Parthien eingetheilt, die mit Rasen belegt sind, wie ungefehr unsere Plaine in Studtgard - die Häuser die den Platz umgeben sind Ziegelsteinartig mit weisen Einfaßungen, welches zu bunt u. nicht edel genug aussieht. Wenn man entgegen gesezt den Waßer aus diesen Platz komt stoßt man gerade auf die Eglise des minimes - ein niedliches, zierliches Gebäudchen von Mansard - es war schon etwas dunkel, mit mir ging ein iunges schönes Mädchen hinein, sie kniete an einen Beichtstuhl, es war |[173] feyerlich still in dieser Kirche, da kein Durchgang ist -ich hörte nun das Gemurmel des Paters, dem das Mädchen gebeichtet hatte, sie war ganz in Beichtstuhl hineingekniet. der Hochwürdige Herr, dik u. stark und gesund redete etwas lange; er trat endl. heraus u. schnobe stark, er schien mir echauffirt u.roth auszusehen. Das Mädchen kniete noch auf einen Strohsessel hin u. betete u. ging dan hinaus. Ich ging ihr nach, fragte sie was das für eine Kirche seye, sie wollte sich aber nicht mit mir in ein Gespräch einlaßen je ne le sais pas - Monsieur - war ihre Antwort. Und nun

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liefe sie so schnell, daß ich sie bald verlor. O ihr Pariser, wie weit habt ihr es auf den Punkt gebracht, daß nicht einmal ein ehrlicher Fremder eine Aventure à la [?] etc. haben kann. Ich machte mich iezt gegen die Rue St. Denise zu - in einer Straße traf ich ein langes schönes u. groses Gebäude - eine Schildwache stand davor, als ich neugierig war, die Bestimmung des Hauses zu wißen, erblikte ich die grose Ueberschrift - Mont - de Piété - dies fiel auf mich wie ein Stein - dieses ist also das Haus, von Schweiß der armen Wittwen u. Arbeiter gebaut, hier diesen Fronten hat ein ehrlicher Fremder helfen bezalen, der betrogen von euch Pariser, um noch fortreisen zu können, sein leztes Kleid versezte. Diese Zehrschnitten sind von den lezten Hausrath eines armen Chevalier de St. Louis gemacht, der sie versezte um einen bißen warmes einmal zu eßen. Dieses Portal ist von der Verschwendung eines Sohnes, der um Geld <zu bekommen, das ihn> für seine Maitressen, u. Ausschweifungen zu bekommen, das ihn seine reiche Eltern versagten - ihnen pretiosen stahle u. sie hier um Geld umtauschte. Sollte ein solches Gebäude nicht so einfach als möglich, so wenig Pracht als seyn kann, zeigen - dies heist das Publicum insultiert und ihn die unangenehme Erinerung spötisch auf zu drängen, da ware ich in Elend als ich dieses Haus zu besuchen genöthigt mich sahe; die Straße heist glaube ich Blanmeanteau - und doch soll diese Einrichtung noch menschlich seyn - es ist erst seit 10 Jahren - Sie nemen |[174] 10 pr cente u. verkaufen nach 1 Jahr u. 1 Tag den Versatz, das übrige geben sie wieder heraus. Ehedem war der Wucher so stark, daß 2 Liards von Livre die Woche sehr Christl. ware u. man öffentlich seine <von Livre di> Bescheidenheit rechnete und doch macht dieses des Jahres 105 pr cente. Der Mont de pieté, nimmt das Geld nun zu 4 pr cente an, es steht aber sicher da - der König hat auch Theil daran wie an allen, wo es schmutzig u. geitzig hergeht. Das Hotel de Soubise ist neben daran - der Hof mit Säulen umgeben ist doch nicht übel - ich ging einen Augenblik in den Verkauf der <x> Soubisischen Bibliotek. - Sodann zu Meyers - ich äuserte da den Wunsch eine feste Correspondenz mit einen Frauenzimmer zu haben, sie sagte mir. daß sich dieses hier für ein Frauenzimmer nicht schiken würde - sie ist eine Begueule mit ihrer Tochter; Blumendorf erzehlte, daß der König gestern beinahe vom Dach herab gefallen seye - er habe ein Cabinet in der Mansarde u. amusire sich zu weilen hinaus zu treten um die nach Versaille kommende zu sehen, u. da seye er eben in den Augenblik zu fallen gewesen, als ihn einer zu paken bekommen u. gerettet habe. d. 5t In der Rue St. Jacques findet man viele Capellen und Kirchen, es ist aber weniges erhebliches darinnen; gleich zu Anfang der Straße trifft man rechts eine Fontaine die von 1624 nichts erhebliches hat als den artigen Vers von Santeul - Diem scandunt juga montis anhelo pectore Nymphe Hic una e Sociis, vallis amore, sedet. Quand les Nymphes de la Seine Grimpent à perte d'haleine Pour dominer sur ces monts: Une plus Sage, et moins vaine et tant d'orgueil et de peine Préfere l'humble Soin d'arroser ces valons. |[175] Die Kirche St. Yves ist nichts erhebliches, es müßte den[n] die Seltenheit seyn, daß Säke als Trophäen in dieser Capelle aufgehängt, sind mit Papiren angefüllt u. den Patron dieser Kirche gereicht von denen Clienten, die durch Hülfe dieses heiligen Advocaten ihren Proceß gewonnen haben. In dieser Straße ist das Bibliothek Gebäude, an dem nichts erhebliches zu sehen. Eben so wenig Intereßant ist <die Kirche St. Etienne des Grès> -

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la Chapelle de Beauvais - beßer ist die Kirche des Mathurins in den die Boiserie nicht übel ist - die Marter der ersten Christen ist da in grosen Gemälden one Schonung vorgestellt. <In der Kirche St. Etienne des Près die <ausen ein Gemälde von Italienischer, gothischer etc. Architektur und in ganzen nicht viel ist - enthält iedoch den grosen Baumeister, den Frankreich gehabt hat.> Ich war mit Droll - wir besahen auch die Kirche St. Genevieve - die Ausarbeitung ist vortreflich, so rein, so geschmakvoll, nur schade das die detail zum Theil so klein sind, wie z.E. die Verzierungen in Fries. Wir gingen immer höher hinauf und kamen in die Rue des Postes - wenn man in Paris sich in in die Lage setzen will, in der man in Absicht des Geräusches, der Häuser etc. in andren kleineren Städten ist, so muß man in diese Gegend gehen - hier sind die Häuser nicht so hoch, die Straßen nicht so lebhaft, die Equipagen selten, die Luft reiner und die Menschen laufen nicht so schnell, und man sieht nicht die Verschiedenheit des Standes in der Kleidung so, wie in den innren der Stadt. Hier sind sehr viele bürgerliche Pensionen. |[176] Wir trafen wieder in den obren Theil von der Rue St. Jacques ein, besahen rechts von ausen Val de Grace - und gingen sodann in die Rue de l'enfer - wo einige schöne Hotels sind. In der Rue de Boucherie speisten wir zu Mittag. <Nachmittags> Man wird von denen Verkäufern der Zweige incommodirt wenn man an diesen Tag in die Kirchen geht - iederman trägt Palmenzweige, die fiacres haben sie an ihren Wagen u. auf ihren Pferden. In einigen Kirchen fanden wir die silbernen Leuchter auf den Altären mit silbernen Ketten angelegt. - In einer bemerkte ich eine Taxe mit grosen Buchstaben auf eine Tafel geschrieben für die Stühle in den Kirchen - ie nachdem die Feste mehr oder weniger heilig sind, steigt der Werth - am Charfreitag kostet der Stuhl 4 Sols - Man verwendet 1000te von Livre für Gemälde und niemand macht die Einrichtung oder sezt ein Vermächtniß aus um diesen Misbrauch abzuschaffen - Sie sitzen ruhig und hören mit Aufmerksamkeit den Redner zu, der ganz hinreist - Sie sehen herum, nichts um sich als nur ihn - er spricht eben gegen Geitz - plözlich stöst sie jemand ganz sanft, u. wiederholt es so lange bis sie sich umdrehen - Avez Vous pagez pour votre Chaise, Monsieur? - ist das nicht ärgerlich. Wir beschweren uns in Deutschland, daß der Klingelbeutel herumgeht, dieser ist doch für die Armen, hier aber ist es um den Platz zu bezalen auf den man Gottes Wort anhört. - ich weis wie verdrieslich es ist, den es geschage mir, so gestört zu werden, als ich heute Nachmittag in den Augustiner Kloster u. eine Predigt anhörte. |[177] Ein Augustiner Mönche Pater Ervier, ein Mann schon bey Jahren predigte sehr gut, mit vieler Wärme und sprache seine Sprache angenehm - Die franz. Prediger haben viele Theatralische Declamation - sie setzen sich und stehen dann bey einen grosen Gedanken u. wenn sie ihre Stimme erheben auf - machen auch wohl einen Schritt, so viel es ihnen der Raum der Canzel erlaubt. Ich ging sodann mit Megrien aus, besahe die Fontaine - u. einige Portail von Hotels in der Rue de L'université - unvermerkt kamen wir an die Invaliden - wir gingen hinein - besahen iedoch nur die Gänge - u. wendeten uns alsdann gegen das Palais des Prinzen Salms - über die Pont royal - nach Hause. d. 6t Bliebe den ganzen Tag zu Hause u. arbeitete an einen Entablement. Allaix war bey mir. d. 7t Um Neuigkeiten von Studtgard zu hören, ging ich früh zu Riegern - er sagte mir von Normanns Geschichte - von Mylius u. seiner Frau Galanterien etc. auf den Nachhauseweg kam ich an der Augustiner Kirche in der Rue <de> Notre Dame des Victoires vorbey, ich ging hinein, es waren viele Leute da, ich mochte also nicht herumgehen - Nachmittgs schriebe ich an Caroline - das Andenken an Sie brachte <mich in> mir Empfindungen hervor, die ich bisher ganz |[178]

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vernachläsigte, und die mir zum Theil fremd worden sind; ich name mir fest vor mich wieder in diesen Ton zu versetzen. Des Abends speiste ich bey Füsli in Gesellschaft einen guten Schinken von Megrien. d. 8t Blok war bey mir - ich endigte die Zeichnung des Entablemens - Nachmittags fing die Promenade von Longchamp an. dieses ist ungefehr 1 Stunde von Paris ein Platz in den Bois de Boulogne der gegen 60' breit und mit Sand überführt ist seine Länge mag ungefehr <Lücke> Hier nun versammlen sich diese Tage fast alle möglichen Equipagen von Paris, sind genötigt eine Linie zu machen und fahren in Schritt hinauf und auf der andren Seite herunter - dieses ist der ganze Spaß, und der Grund der Promenade - das angenehme daran ist die Verschiedenheit der Equipagen, das Geschmaks und der Art sich zu affichiren. Die Schönheit der Wagen der Pferde, der Frauenzimer und das benehmen des Pöbels dabey. Die Equipagen sind von aller Art - meistens waren es carosses mit zwey Pferden und einen Kutscher hinten so viel Bedienten, als man hat. - dann gab es Cabriolets - Phaetons mit zwey Pferden, wo die darin sitzenden kutschirten. Des englischen Gesanden sein Wagen gefiel mir am besten. Bey einigen, iedoch nicht bey vielen war der Bok sehr hoch, so hoch daß er mit den Himmel der Kutsche in gleicher Linie stand; zu 6 und auch zu 4 war ein Postillon vornen u. die andren Pferde führte der Kutscher auf den Bok. Cabriolets waren nicht viel schöne da, so auch wenige Phaetons - Die mir aber unter allen Equipagen für eine solche Promenade am passensten aussehen, sie sind auf 4 Rädern der Kasten ist unten gerade anstatt, daß er bey Cabriolets geschweift ist, und sind meist |[179] mit zwey Pferden bespannt. Die schönsten Pferde sieht man hier, die Farbe ist meist braun, Rappen, Apfelschimmel und Füchse mit Plessen - keine Scheken u. Goldfalge sehe ich gar nicht. Es sind meist Stumpfschwänze - viele, besonders unter den Reitpferden haben auch abgeschnittene Ohren. - Normanen waren viele da, auch Engländer, doch da dieses nur ein Parademarsch war, so zeichneten sie sich nicht besonders durch ihre Schönheit aus - Ihre Vorzüge sahe man nur alsdann, als die Herrn nach Hause ritten, und anfingen zu iagen, wo man den Engländer den Augenblik erkannte an den Vorhängenden Hals u. an seiner Leichtigkeit der Bewegung. Die Mähnen der Kutschenpferde waren meist eingeflochten, Stirnhaare auf und unter den Ohren gegen entgegengesezten Seiten zurükgelegt. der Englische Gesande hatte 6 Pferde braune weis eingeflochten, welches nicht übel aussahe. Die Postillone meistens roth, haben ganz runde schwarze Käppchen mit einen kleinen Schirm, so wie sie uns vor 30 Jahren mode waren. Da mich die Equipagen mehr intereßirten als die schönen, die darinnen saßen, so gab ich nicht viel auf diese Achtung, auch fiel mir auch keine besondere Schönheit auf, bey den flüchtigen Blik, den ich in die Wagen warf, einige waren so desperat stark und hart aufgetragen, daß es ganz ins blaue fiel. Zwey öffentl. Mädchen coureuse in den Palais royal kamen auch an in einen Cabriolet mit hohen Hüten u. Federn, aber in einen armseligen Cabriolet mit einen armseligen Jockey hinten darauf, sie führten das Pferd selbsten, sie sahen aber so wiederwärtig |[180] dabey aus, das ich sehr zweifele, ob sie ihren Entzwek erreicht haben. Die Sucht der Franzosen, witzig seyn zu wollen zeigt sich auch hier, iede Voiture wird kritisirt samt Kutscher u. Bedienten - und sie sagen ihre seichte Kritik ganz laut, so daß es oft bis zur Impertinenz steigt. Des Palfreniers schreien sie zwey Engländern in einen Phaeton mit Stiefel u. Sporn zu - Mlle - n'y a-t-il un peu de Contre bande - fragten sie oft, wen sie weit vorgebuffte Lüken sahen. Voila un Domestique bien maigre, il n'a pas assez à manger, son maitre est un gueux. - Que je donne 6 Sols à ton maitre pour te faire faire un habit neuf pour la promenade de demain! - Cocher - tu as oublié De mettre un ruban neuf! - comme cette femme est laide! - Qu'est-ce qu'il veut cet homme - allons-

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meme ton maitre chez lui, il n'est pas fait pour long champ qu'il mange des pomes de terre. und dergl. Impertinenz mehr - Ist die Equipage so schön, daß nichts aus zu setzen ist, so entgeht man doch nicht - dann heist es - Voila une Equipage pour le mont de pieté! Ah - que je plains ce pauvre sellier, il ne sera jamais pagé. - Die unverschämtesten sind meistens unter den Perruquiers <x> u. den kleinen SavoyardenJungen, sie haben oft so vortrefflich gute, schnelle u. witzige Einfälle, daß man sich nicht erwehren kann, zu lachen, ob man sich gleich ärgert, daß an solchen Orten man dergl. Unannemlichkeiten ausgesezt ist. Unter andern kam ein etwas alterndes Cabriolet mit Laternen, das eine Pferd lief in der Gabel und auf den Sattelgaul sase ein Kutscher, es wurde geführt wie man die Posten führt. Cocher! Cocher! menez Vous loin? (Fährt der Herr noch weit) die Poissardes, diese ganz eigene Claße von Menschen, die in ganzen aber zu den Weibern gehören; die Geläufigkeit ihrer Zunge ist one ihres gleichen - Ihre Ausdrüke neu, kräftig und paßend - Sie sind es, die die reichste Sprache in der ganzen Welt haben, wie sie kein Academicien kent, kein Lexicon lehrt, u. die doch verständl. ist - |[181] Die ihre Philosophie, ihre Witz ihre unendl. Beredsamkeit auf keiner hohen Schule sondern in den Quatiren der Halle - bey Verkauf von Fischen, Butter, Früchten etc. lernen. diese Poissarden waren auch hier, kamen en corps an die Wagen hin und schütteten da den Fluß ihrer Beredsamkeit aus - sie hatten eine Sparbüchse, wo sie die Geschenke, die man ihnen gab, hinein thaten - Oh bien - mon vigoureux, comment est - ce que tu te trouves entre ces belles - n'est ce pas tu b.... bien - kurz man kann sich keinen Ausdruk denken, deßen sie sich nicht bedienen. Es mochten ungefehr gegen 2000 Wagen seyn, zu Pferde waren sehr viele, es waren aber, obgleich gegen 1000 Reitpferde, kaum 300 Reiter da - die Franzosen reiten ganz erbärmlich, sie haben zwar das englische Costum in ihrer Kleidung aber nicht den englischen Sitz, der iedoch unter uns gesagt auch nicht so fest u. so solid ist als der deutsche. Wenn man neben so einen Franzosen zu Pferde hergeht, so kann man immer die Hände aufhaben als wenn man etwas auffangen wollte, den bald oder später fällt er doch herunter; dieses geschahe dann auch einige mal gestern; es fiel sogar einer in Schritt herunter als das Pferd mit den Kopf nikte. Die Mode Jockey zu haben ist allgemein, die meisten zu Pferde hatten einen Jockey zur Bekleidung mit einen grosen Riemen um den Leib in dem hinten der Ueberrok für den Herrn eingeschnallt ist. Es vergeht keine Promenade wo nicht ein unangenehmer Zufall sich zuträgt. Die Kutschen müßen |[182] zwar der Linie folgen, allein die zu Fuße haben keinen bestimmten Platz und so auch die Reiter, die iedoch gewönlich in der Mitte der Reihen sind, die die Wagen machen - alles ist hier untereinander - manchmal sind böse Pferde darunter u. da risquirt man dan entweder sich oder sein Pferd wen man in einen solchen Ort sich befindet. Auf den Nachhauseweg wurde durch das schnelle zurükhaufen der Wagen einen sehr schönen Pferd der vordere Bug ausgefahren - und so werden mehrere Unfälle vorgefallen seyn. Da der Platz sehr gros und weitläuftig ist, so fällt die Menge Menschen, die da ist nicht so auf, und man kann alles dieses gut sehen one wie bey dergl. Gelegenheiten sonst geschieht, fast verdrükt zu werden. d. 9t Das Wetter war heute schöner als gestern, die Promenade daher auch lebhafter, es waren mehr und schönere Equipagen da, als gestern, ich sahe zwey Zug Scheken zu 6 sie waren iedoch nicht schön - 6 Rehfalgen mit schwarzen Extremitäten machten sehr viel Parade, man sagte mir daß es ein Baron v. Bose aus Dresden wäre - die Aufzäumung der Pferde ist wie bey uns, nur haben sie fast alle einen Steigriemen - die Kleidung der Jacquet zu Pferde war meistens schwarz gekleidet Rok mit Weste mit ungebuderten abgeschnittenen Haaren - viele Reiter hatten keine Sporen u. Peitschen. die Promenade dreht sich bey Merdrit um eine Eke fast in einen rechten Winkel herum. Dieses

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Merdrit machte mir viel Vergnügen - es ist ein Schloß, das Franz 1te bauen lies, als er aus Spanien zurükkam, die Architektur und besonders die Verzierungen sind auch ganz Morisch oder Arabesq. Die hohen 4 ekichten u. runden Thürme, die doppelten Arcaden über einander, die dazwischen hinlaufen u. schöne frische Gallerien verursachen, sehr leicht aussehen, u. den Körper des Gebäudes |[183] Leichtigkeit u. Abwechslung geben, überhaubt der junge Fracas den diese Thürme u. Bogen u. Giebel u. Schornsteine u. Fenster geben hat eben doch etwas imposantes - Jederman wird sagen, das ist ein Schloß, da man dieses den Louvre nicht so leicht ansieht; die Verzierung sind meist von Töpfererde angeklebt an die Wände, weis auf blau in der Sone soll dieses einen sehr guten Effect machen. Das Schloß ist indeßen sehr verfallen u. es wird nächstens weggerißen werden. Die Promenade hat ihren Ursprung von einer Messe, die man ehedem in Longchamp lase u. wozu eine Mlle Le Moore von Paris kam um zu singen - Ihre Talente waren so gros, daß ganze Paris dahin fuhr um sie zu hören - da nicht genug Platz <da> ware, so musten viele Kutschen mit ihren Herrn hausen bleiben; diese fuhren da auf und ab um die Equipagen und Herausgehenden zu sehen - Als die Le moore nicht mehr sang bliebe<n> iedoch die Promenade - d. 10t Glauber holte mich heute morgens in die Kirche von Notre Dame ab - wir hörten eine Predigt, die zimlich mittelmäsig ware, zu Ende zoge der Priester unter der Canzel ein Crucifix vor um daran die Marter unsres Heilandes zu zeigen und Mitleid zu erregen. Wie klein und niedrig ist diese Art, und wie wenig würdig der Religion. der Erzbischof sase gerade hinter mir - Msr de Julien ein Man mit einen unbedeutenden Gesicht. Nach der Predigt ging man ins Chor, wir wollten auch hinein, ein Huissier sagte mir daß man nicht in Redingote hineindürfe. Ich sagte ihn, daß man eben Demuth gepredigt und gegen den <?> geeifert habe, ich mich also danach gerichtet, um desto angenehmer zu seyn. |[184] Wir stellten uns sodann gerade vor das Chor in das Gitter das sehr künstlich gearbeitet ist - die Ceremonien wollten nicht viel heisen, der Erzbischof kommt und geht einigemal - Ein groses Kruzifix, ein kleineres u. ein Marienbild steht auf einer Art Altar - das küst der Erzbischof kniend und der arme Mann muß mit blosen Füssen auf den kalten Pflaster einhertreten - dann folgen ihn alle Chorherren, wohlbeschuhet - und endl. alles was Dienerschaft des Chors u. Erzbischofes ist. - Gegen 12 Uhr endigte die Ceremonie und ich ging nach Haus. ärgerlich, daß ich einen morgens versäumet hatte one etwas gesehen zu haben. Zu Rieger ging ich einen Augenblik - er fuhr nach Longchamp - iederman geht heute hinaus u. man merkt es den Straßen von Paris sehr an, daß eine grose Menge Menschen u. Equipagen fehlt. - Ich fing die Theile des Bogens von Titus an - Abends soupirte ich mit Megrien. d. 11t Gegen 4 Uhr ging ich mit Megrien aus, wir besahen die Kupfer auf den Quai - durch die Thuelerien - bey der Statue Louis XV trafen wir Touret an, er begleitete uns in die Fauxbourg du Roule - unterwegens fiel uns eine artige Kirge St. Jean et Philippe von Msr Chalgrin auf - sie ist nicht gros, aber simpel u. reine Architektur. die Capelle des Msr. de Beaujon ist von ausen von sehr gefälliger Form - ich wollte in den Hof hinein um sie von der Seite u. auch das Hotel von ausen zu sehen, der Portier, den ich fragte gab mir aber ganz troken zur Antwort - Non - Monsieur, non - ich konnte mich nicht entwehren meinen Compagnons zuzurufen - <Soitez> fermez les yeux et fortez, Messieurs, vous n'osez pas voire. Wie ging vollends zur Barriere de Roule, die zwar mehr das Ansehen eines Wohnhaus hat, woran aber Detail zu finden <sind,> die nichts weniger als schön sind. Von weiten sahen wir einen |[185] Griechsch. Tempel - es ist auch eine Barriere - die ganz

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eigene Art Capitäler die sehr platt <sin> und einfach sind machen eine sehr gute Wirkung. Wir suchten nunmehre den Heimweg, kamen noch an einigen neuen Hotels vorbey, unter andren einen mit einer artigen Treppe. Ich ging noch zu Meyers - abends - wo ich mich nur bis 10 aufhielt. d. 12t Allaix war bey mir - ich ging um 10 Uhr in die Kirche St. Sulpice - um die Ceremonien zu sehen - die Menge Menschen ware sehr groß, ich konnte also nichts sehen, als einen grosen Kuchen mit Lichter bestekt, den man in Proceßion herum trug, sodann in Stüken zerschnitten u. diese in einen Korb herumtrug woraus man sie dann rapste - Man truge etwas in die Kirche mit einer kriegerischen Musik - von der Garde française - es war ein sehr schöner Marsch - Ich ging mit Megrien durch die Eglise St. Germain des près. Nachmittags waren wir in Notre Dame wo Music ware, wir kamen etwas zu spät, konnten also von den Ceremonien nichts sehen ob wir gleich 12 Sols zalten und auf die Gallerie des Chors traten. Desto mehr genoßen wir aber das schöne Schauspiel, das die Kirche mit den vielen Bogen und Gewölben u. der grosen Menge Menschen unten gewärt. Hier muß man hingehen um die Gemälde recht zu besehen und die Schönheit des Gebäudes zu betrachten. Es war wirklich ein vortrefflicher Anblik - die schönen Hallelujas - dazu, die feinen, zarten Stimmen der Chorkinder, die männlich starken Bäse der grosen Sänger, die grosen Töne der Instrumente, der sie sich bedienen, des Serpents etc. alles dieses machte den Eindruk gros u. feyerlich. Auf dieser Gallerie ist eine Mittagslinie gezogen. Das Chor das mit Marmor gegen die Hälfte ausgeziret u. prächtig ausgeziret ist stieß sehr ab gegen das zwar weniger |[186] prächtige aber grose des gothischen Gebäudes - Schade, daß man in solchen Arten Gebäuden keine Spiegel anbringen darf, die Verfieltägung, die diese hervorbringen, würden, wenn sie kunstmäßig angeordnet wären eine vortreffliche Wirkung hervorbringen. Ich sahe da das erstemal einen Erzbischof in Pontificalibus mit den Thiare und den Bischofsstab. Als wir herausgingen standen einige Mädchens von 5-6 Jahren unter der Aufsicht einer Schwester da, schöne Kinder, donnez quelque chose pour les pauvres enfants trouvés sagten sie - die armen Kinder, sie wißen nicht, was sie sagen und wie unglüklich sie sind, niemanden in der ganzen weiten Welt anzugehören. Wir suchten von hier in St. Sulpice zu kommen, um die Orgel <x> spielen zu hören, aber dieses war ganz unmöglich - nicht einmal in die Thüre konnte man treten, ich bin gewiß es waren gegen 20000 Menschen darinnen - Wir gingen deswegens nach Hause - d. 13t Megrien ware fast den ganzen Tag bey mir, ich zeichnete - und ging nicht aus den Hause - da es zumals sehr windigt und kalt ist - es will gar nicht Sommer werden. d. 14t Nachmittags ging ich mit Megrien spazieren - Gambs trafen wir nicht an - Wir trafen längst der Rue de Seve auf den Boulevard auf die Ecole militaire, ein Gebäude das vornen und hinten einen vortreffl. schönen und grosen Platz hat, der mit Rasen beseht ist. Das Gebäude selbst ist ganz artig und scheint sehr gesund und luftig zu seyn. Die Ecole ist iezt eingegangen und man will das Haus verkaufen. Der grose Platz Champ de Mars wäre sehr tauglich zu einen ExezierPlatz und das Haus könte daher zu einen militairisch Gebrauch angewendet werden. Man darf durchgehen. Von hier aus sieht man die hintere Seite der Invaliden, auf der die Kuppel stöst, die wenn man den Fuß derselben sieht nicht gefällig gezeichnet ist - Inden es ein Mittelding zwischen Kuppel u. Thurm ist. |[187] Wir gingen von da wieder zurük über die Boulevard von Vaugirard an den Barrieren vorbey kamen durch schmutzige mit Misthaufen gezierte Feld u. Gartenwegen, auf das Observatorium zu, man baut wirklich daran, es war sehr baufällig, obgleich alles von Stein u. von Eisen u. Holz

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gewölbt ist. Auf den Boulevard kamen wir an einen Caffee vorbey neben einen zerfallenen Gebäude - er ist in Form eines Tempels - d'Apollon darueben ist ein Restaurateur hinten ein Garten wo man tanzt, dieser wird mit Lampen des Nachts erleuchtet; wir gingen hinein u. sahen einen Augenblik zu; hier ist nicht mehr die Leichtigkeit, die Munterkeit, die Freude, die sonst unter den Franzosen herrschte, es ging alles so still, so sittsam, so wenig leghaft, daß man nicht hätte glauben sollen, daß diese der Belustigungs Ort an Son u. Festtagen für die geringeren Classen wäre. Von dieser Seite sieht Paris artig aus -obgleich es nicht die schönste ist - die unregelmäsigen Häuser der Gaßen St. Jacques, La Harpe etc. die Dome von Val de Grace - Genevieve einige andere spitzige Thürme geben ihn ein verworrenes Ansehen, das nicht übel wirkt. Wir kamen endl. <durch> bey der Barriere des Wegs nach Chantilli herein, in die Rue Mouffetard, eine der unangenehmsten Strassen von ganz Paris, sowohl wegen des Geruchs, als wegen der fatalen Menschen in der Enge der Straßen u. der schlechten Häuser u. den abhängigen u. aufsteigenden Pflaster - <x> Kirche <von St. Sulpice> St. Martin u. St. Marcel vis à vis von einander u. ganz passend zu den Quartier sahen wir nur von ausen. In St. Sulpice war Musik u. die sie ward illuminirt - beides war nicht feierlich schön in dieser Kirche. Ich traf da GLauber an, mit dem ich sodan in das Caffee de rendez-Vous bey der frzsch. Comödie gingen, wo wir Schach spielten. |[188] d. 15t Das erstemal, das mich die Sonne ganz durch wärmte in Paris, eine Wohltat, die ich lange hatte entbehren müßen - ich war bey Rieger, den ich nicht antrafe ging sodann zu Munichs. In der Rue de Prouvaires No 30 ist ein Theatre Bourgeois, Munichs bekam ein Billet für einen HE. u. ein<e> Frauenzimmer u. da von den seinigen niemand mitgehen wollte, überredete er mich dazu - die scheele Miene, die man aber da machte als man einen Fremden kommen sahe, die Enge des Platzes u. auch wirklich der Gedanke, daß ich hier unter Franzosen seye, die es für eine Gnade ansahen, wenn sie einen umsonst etwas sehen laßen, bewogen mich noch ehe der Vorhang aufgezogen wurde wegzugehen. Munichs folgte mir - er sagt von einen Phisicien escamoteur, der in Beaujolais spielte, wir gingen hin -der Saal ist klein, kleiner als in den Variétés - der Phisicien (Perrin) machte artige Stüke - Seine meisten scheint er durch Hilfe des Magnets u. der Electricität zu machen. Unter andren hatte er einen Berg - Vesuv - ungefehr 2'hoch - der Flammen spieh, so oft u. so vielmal man es verlangte, u. endl. auf Verlangen aus sich Blumen heraus wachsen lies, welche <bezahlt wurd> vorher von den Damens bestimmt wurde, er schnitte sie sodann ab, u. überreichte sie ihnen. Die Eitelkeit der Franzosen zeigte sich auf hier - Messieurs et Mesdames sagte er -on m'a dit <que> que des Phisiciens etrangers ont fait afficher au coin des rues des tours qu'on n' a jamais vu. Si vous en avez vu, que je né fais pas - ou dans des pays étrangers ou des etrangers ici, je yous prie de me le faire savoir par un petit mot de Lettre - et je m'engage de faire le meme, pour prouver |[189] qu'un françois seait faire autant, qu'un etranger. Er liese sodann eine Ottomate (Glieder Doke) an einer Stange die quer über gelegt war, allerhand Schwingungen machen. In einer solchen Entfernung, bey Luft und mit allen den Umständen, die ein solcher Mann nöthig hat, versehen, <falls> ist es nicht so schwer, Künste zu machen, die in Verwunderung setzen. d. 16t Ich war abends bey Meyers. Blumendorf las einen Brief vor, den man unter den Namen der Mde Le Brun an Calonne herausgegeben hatte - Sie und er sind dabey nicht geschont. Eine andere Prochure, eine Unterredung des Beaumarchais mit den Pergasse <nach> den <Vormittag> nachdem das Urtheil gesprochen ware ist zwar auch grob und zügellos aber nicht gut geschrieben. Als ich gegen 10 Uhr nach Hause ging, trafe ich einen alten Abbé an, der ganz betrunken ware, da

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niemand sich des armen Mannes anname, führte ich ihn bis in eine Straße, wo ein bekannter von ihm ihn mir abname. d. 17t ich endigte die Zeichnung von den Stük des Bogens von Titus - bey Hoyer lernte ich einen Bildhauer kennen, einen artigen Mann. Ich war einen Augenblik in der Rue St. Jacques um Papier zu kaufen. |[190] d. 18t Bey Königs - Balleti, - Rieger - Perrodin, die ich alle nicht antrafe, ich liese mich bey den Louvre übers Waßer setzen, ging zu Harwey und dann nach Hause. Abends besuchte ich Meyers und las einige Oden aus Klopstoks <Od> vor - Ich war verdrieslich den Nachmittag, bekam aber endl. einen Brief von Rudolstadt. d. 19t Ob es gleich ein schöner Tag war, kam ich doch nicht aus den Hause; Megrien speiste mit mir auf meinen Zimmer, ich liese ein Beefsteak machen, das aber so zäh und rohe ware, daß unsere Zäne es nicht übermeistern konnten. Des Morgens war die Ceremonie der Bruderschaft von Jerusalem, die 40 Gefangene wegen Schulden befreite u. so in Prunk über Pont neuf unter den Donnern der Kanone einherzoge ieder Gefangene hatte eine Wachskerze in der Hand. d. 20t Heute morgens versamlet sich die Noblesse um Deputirte zu wälen - Mittags ging ich mit Rieger spazieren in das Caffee d'Apollon - neben daran läst ein Herzog einen engl. Garten anlegen. von da über alle Boulevards an der Salpetrerie, das ich zum erstenmal sahe vorbey - auf dieser Seite des Boulevards sind so viele Traiteurs Marchand de Vin - Caffeehäuser, Tanzböden, daß <x> es wirkl. unglaubl. vorkommt, wie die Leute sich nähren können und einen starken Beweiß von der ungeheuren Menge geben, die hier in Paris sind - diese Art Häuser haben allerhand Schilder - So hatte z.B. ein Traiteur eine Vestalin, gemalt an einen Altar mit der Ueberschrift - Au feu eternel. |[191] Der Jardin du Roi liegt auf dieser Seite - den Arsenal gegenüber liesen wir uns überschiffen - das Schiff war zieml. voll Menschen und ging tief - der Coup d'oeil rechtes auf die Fläche der Seine hin war vortreffl. er verlor sich in einen Horizont auf den man ein gröseres Fahrzeug erblikte. In Arsenal ist ein öffentl. Spaziergang, der sehr angenehm zu seyn scheint, da er an den Ufern der Seine und in einiger Erhöhung ist. Auf den Boulevard trafen wir eine grose Menge Menschen an, die Wagens halten in der Mitte und die Damens steigen aus, um auf den Seiten spazieren zu gehen. Wir traten in ein Caffeehaus ein, wo wir Glace aßen, die ich bezalen muste, weil wir auf den Bouleward de Vaugirard Billard gespielt hatten u. ich sie verloren hatte - Iezt ging ich nachhause, nachdem wir über die Hälfte von Paris umgangen hatten. Wir besahen ein Campagner Haus auf den Bouleward das die Anzeige des Verkaufs hatte - und unter den Titel à l'angloise mit einen Garten in den Geschmak angekündigt ware - Ich war begierig den leztern zu sehen, dieses war dann wie so viele tausend Gärten unter den Namen in Paris ein kleiner Platz Rasen von ungefehr 20' lag u. 10' breit in den ein krummer Weg angelegt ware. O über die erbärmlichen Nachahmer. |[192] d. 21t Heute morgens versammlete sich der Tiers état - man hatte ieden der Bürger von Paris u. eine Kopfsteuer von 6 Livr. zalt in seine Paroissial Kirche beschieden. Die Wachen wurden verdoppelt - das SchweitzerRegiment rükte ein und alle Vorsichten wurden gebraucht um die Auswüchse, die bey solchen Versammlungen in Paris gewönl. entstehen bey Zeiten zu schneiden. Interressant war es zu sehen, mit welcher Wichtigkeit mit welchen Gefühl ihrer Würde und ihrer

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Freiheit die Herrn Herrn Mezger, Schmiede, Krämer, Wirte etc. etc. fermiers generaux - Advocaten, kurz alles repetirliche Lumpengesindel sich aufgepuzt hatte um - ihre Stimmen einen zu geben, der die <x> Deputirte zu den Etats generaux mitwelen hilft. Da sahe man Aufzüge, wie man sie selten sieht, meistens waren die Herrn schwarz gekleidet - da kamen Röke zum Vorschein, die unter Ludwigs des XIV glorwürdige Regierung abgelegt wurden, schwarze Röke, die seit undenkl. Zeiten an keines Menschen Leib gekommen waren, und erröteten, ihre Nachkommen so zusammen geschnitten verpudert und aufgestuzt zu sehen. Zu einen solchen Anzuge muste dan auch Gang, Gebärde u. Miene passen, da war es possierlich anzusehen, wie langsam einer ware und wie convulsivisch diese aussahen - Bist du es wirkl. Mann, ist das der Vatter, schrie <die Fra> Weib oder Kinder, wenn sie ihn auf den glorreichen Weg begegneten. |[193] Mein Wirth, eine ware Donquichots figur, lang, hager Dumheit, Schaafsphisiognomie in Blik, der grösten Malproprété beflißener hatte sich auch in einen schwarzen Rok mit Brandebourgs geziret gestekt, und wohl mit Lehren der Weisheit von seiner gescheiteren und gelehrteren Hausehre ausgeschmükt zog er auch ein in den Tempel der Augustiner - um ihn noch einmal zu sehen wenn er wieder <x> nach Hause käme, bliebe ich an Fenster <um ihn x> denn ich glaubte es würde eine halbe Stunde höchstens dauern, keinesweges! um 6 Uhr abends waren sie noch beysammen, einige hatten sich Wein und Brood in die Kirche komen laßen, andere waren geschwinde nach Hause gegangen, um sich zu laben - unser Wirth kam auch um diese Zeit und wurde mit großen Geschrey empfangen und ausgefragt und gelobt und gescholten und bewundert. Greuze hat viel in Genre gemalt, wie z.E. Le retour du choffeur, du Laboureur ein Charakterisches Bild wäre dann auch - Le Retour d'un membre du Tiers état dans la famille - Costumer Ausdruk des Augenbliks, als sich der Franzose das erstemal in seinen Leben frey glaubte - Hoffnung in Ausdruk bald Goldhaufen zu besitzen, keine Abgaben, keine Steuern mehr zu bezahlen, alles dieses dürfte nicht vergeßen werden. - |[194] <x> In einigen Kirchen blieben sie sogar die ganze Nacht - den andern Morgen um 6 Uhr kamen sie nur nach Hause um ein wenig auszuruhen - dan ging es wieder hin und den andren Tag gegen Abend waren noch welche da. Sie hatten einen Schreiber an der Thür sitzen, der so oft einer einging, es untersuchen mußte ob er das Recht dazu habe; Vor die Kirchen wurden Barrieren gemacht, daß man nicht hierein dringen konte, und Wachen besezten diese. Es soll wunderlich darinnen hergegangen seyn - einige machten sonderbare Vorschläge - z.E. Spectacles Sonn und Feyertage zu schliesen und die Meßen herunterzusetzen in Paris etc. Man weis wie gerne der Franzose schwäzt und disputirt und besonders sobald es in seiner Verfaßung, die er gar nicht kent einschlägt - er redet nicht mit andern um sich zu instruiren und die Antwort von andren anzuhören, sondern ieder hat nur in Sinn seine Meinung zu sagen, sie reden daher alle zu mal, und ieder fürchtet unterbrochen zu werden. Einige sollen auf Stühle andere gar auf die Canzel gestiegen seyn, und das zu 4 oder 5, um durchzudringen - sie fingen damit an, um die Presidenten, die <der prevot marcha> man Obrigkeitswegen der Ordnung wegen ihnen in der Versammlung vorsezt, zu cassirer und andren zu wälen. Die Art wie man endl. dazu kam einen definitif Entschluß zu faßen und die Meinungen, die vortragbar waren, in ein Cahier zusammen zu bringen, ist mir nicht bekannt - es muß eine Hercules Arbeit gewesen seyn. Es ging iedoch zimlich ruhig ab, und wurde nur mit der Zunge Lermen gemacht - es kam zu keiner Thätlichkeit - der Franzose glaubt sich iezt in den Augenblik freyer als Engländer, Schweitzer, kurz er glaubt |[195] sich iezt den freyesten Mensch, unter Gottes weiten Grund - Ich stelle mir die Sache so vor. Der Konig, die Konigin die Ministers haben alles verschwendet, entsetzliche Schulden gemacht und den Schatz erschöpft - iezt können sie sich nicht mehr helfen - und sind in der Noth - Um nun Geld zu bekommen und neue Wege aufzufinden, von

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dem Volke welches zu ziehen, sezt man ihnen die Lokspeise vor - ihr<e> drükendes Joch zu erleichtern, die Constitution zu verbessern, ihre Vorschläge anzuhören u. zu befolgen und so lokt man sie zusammen in die Etats generaux - Man schleift sie so zu sagen, breit - Sobald nun des Königs entzwek erfüllt ist, sobald wird es heisen - Adieu, meine Herrn - sie werden schreyen, sie werden lermen - rebelliren - man wird sie sodann als rebellen behandeln, ernstl. hinter sie gehen und wenn der Franzose Ernst sieht, dann kriegt er zum König und so wird alles wieder gehen wie es zu vor ware. <x> die Deputirten kommen iezt schon aus den Provinzen mit gallonirten Kleidern, kleinen silbernen Degen, 4ekicht an - Ils arrivent galloné, et le Roi les renverra degalloné - Man erzelt eine artige Antwort eines Einzelen Landmans, der als <deput> von seinen Bischoff gefragt wurde in einer öffentl. Versammlung, was den |[196] vorschlagen wurde, antwortete - trois choses - Qu'on extirpe les pigeons, les lapins et les moines - mais pourquoi ces trois chefes, Monsieur? - Les Pigeons, parce qu'ils nous mangent les Semences - les Lapins, qui nous mangent les herbes - et les moines, qui nous mangent les gentes. |[197] d. 22t Mittwoch Ich schikte Delanoy <meine> die Zeichnungen - er ware nicht zu Hause, konnte also keine andere dagegen bekommen. Gegen 4 Uhr ging sich zu Rieger - wir machten uns einige Bewegung in seinen Garten. ich speiste mit ihn und nach den Eßen proponirte er mir spaziren zu fahren - ich sollte den Phaeton <hergeben, er wol> anschaffen, er wollte die Pferde hergeben und fahren - um meine Eitelkeit in einen Phaeton in Paris gefahren zu seyn, zu befriedigen, liese ich mich dazu bereden - und ich zalte 4 Livr. 16 daran - er kostete nur von 4 bis 7 Uhr 6 Livr. Wir fuhren ins Bois de Boulognes dann auf den <x> Weg gegen St. Denis hin und bey der Barriere blanche wieder herein, und auf den Bouleward auf und ab - Wir gingen sodann noch ins Palais Royal - machten einen Weg in einigen Straßen um die Halle und ieder sodann in seine Heimath. d. 23t Den Architekten Renard suchte ich zu Hause auf, fande ihn aber nicht bey sich - War sodann bey Ernst - und bey Balletti, wo ich Mde Meyer antrafe - Man hielte Repetition an den eingebildeten Philosophen bey ihr - sie war sehr artig heute - Sie hat onlängst in Versailles <bey> vor der Königin auf dieser Befehl |[198] one ihr Ansuchen gesungen - sie soll Sängerinnen nicht so gut belohnen als Sänger - weil sie auf iene begierd ist, da sie sich für stark in Singen hält. Einer Namens Eberts war beym Eßen wo ich auch bliebe - die Mutter gabe mir ein paar Handschuhe von dänischen Leder, die sie noch mit aus Deutschland gebracht hatte. Balletti sange mir einige deutsche Arien - Wenn die Nacht etc. - Sie war die gefälligste der Schönen - Ein Bach der fliest - es freute mich sehr leztes Stük zu hören, das mir durch den Werth den Caroline darein sezt, so lieb ist. Von da bey Madame König wo Gambs hinkame, der sodann mit mir nach Hause ging und eine Pfeife rauchte. Von Senkenberg bekame ich Briefe. d. 24t Renard trafe ich an (Rue Blanc Manteau Nro. 19 -) er glaubte ich wolle in sein Bureau, dies genirte unser Gespräch - ich hielte mich nicht lange auf - bey Ravoisé - bey Mde Suen, wo ich zum Eßen bleibe. Von nichts spricht man iezt als von Vorschlägen, von Etats generaux und von Tiers etat - Ein langweiliges Geschwätz - Mde Suen kramt gar gerne ihre Geschichtskenntniße aus - ein Mädchen von 12-13 Jahren das hin kame zu ihrer Tochter spielte gar artig Clavier. War des Morgens und des Nachmittags bey Harwey (B. 1. - 2.<x>)

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|[199] d. 25t Ich war des Morgens in die Champs Elisée um die Schweitzergarde Exercieren zu sehen, sie war aber schon eingerükt - ich ging sodann zu Rieger, den ich nicht antrafe - bey Munichs, der eben in der Arbeit an einen Vorhang <x> auf die Versammlung der Etats generaux passend zielend beschäftiget ware. Ehe ich nach Hause ging machte ich noch einen Tour um die Porcherons zu sehen, ich sahe iedoch nichts als einen Platz wo viele Wirthshäuser sind, die nur zu Eßen geben, durch die Fenster sahe ich oft grose Zimer, wo unreinlich gedekte Tische genug waren - Bey Ravoisé war ich dan einen Augenblik - Nachmittags machte ich eine Tour über die Quais - die Kupferstiche zu sehen, über Pont Royal an der Galerie über Pont neuf zu Hause. d. 26t Lanoy schikte mir Zeichnungen, ich bliebe den ganzen Tag zu Hause, zeichnete und schriebe. Seit vorgestern verbreitet sich das Gerücht, der Kaiser seye gestorben. - Gestern abends haben die Taglöhner in der Fauxbourg St. Antoine einen das Haus eingerißen, weil er bey der Versammlung des Tierre etats proponirt hatte, ihren Lohn auf 25 Sols zu setzen. |[200] Der König hat vorgestern Abends alle Ministers auser Neker weggeschikt. d. 27t Rieger kam Mittags zu mir, ich ging mit ihn durch die Thuelerien nach Hause, wir spielten an Ballet boucher ich sollte bey ihm zum NachtEßen bleiben, da aber das Gerücht ankam, daß ein Aufruhr in der Fauxbourg St. Antoine <Honoré> seye, der sich weiter zu verbreiten schien, begabe ich mich nach Hause, alles liefe in den Straßen und sahe misterious und besorgt aus, die Patrouilles gingen stärker, die Boutiquen waren geschloßen, die Straßen waren voll von Taglöhnern, und ich sahe wenige rechtliche Leute einhergehen. Die Ursache dieses Aufruhrs ist ein Papiermacher, der das proponirte, was ich gestern sagte; Sein Haus war mit 800 Schweitzer besezt, sie konnten also ihn nichts haben, brachen aber ein in das Haus eines Salpetriers, der deßen Freund und vielleicht auch davon geredet hatten, plünderten alles rein aus, und verbrannten bis auf seine silberne Uhr. d. 28t Heute morgens war ich in der Gallerie d'Appollon und in denen Sälen, wo die Preisstüke der Mahler hängen. <<hier trifft man> - kann man sich einen Begriff machen x Kunst hier Fortschritte> diese Säle sind ein Abrégé der Geschichte der Maler und Bildhauerkunst in Frankreich; denn ieder, der zu der Ehre gelangen will ein Mitglied der Academie zu seyn, muß hier einen Beweis vorlegen, das er sie verdient. Da dieses Meisterstük andren Künstlern zur Prüfung vorgelegt, so ist es natürlich, daß aufzunehmende sich alle<n> mögliche Mühe geben, um ihr Talent zu zeigen, um Lob einzuernden von den Richtern die Competent sind zu urtheilen. |[201] Der Aufruhr dauert noch immer fort. Es ist ein Dragoner Cavalerie Regiment Royal Cravat eingerükt - die Schweitzer kamen von Land herein, holten zwey Stük Canonen <auf> in der Caserne der Garde francaise ab und marschierten auf in der F. St. Ant. Man warf Steine Balken, Ziegel herunter auf sie, die dagegen Feuer auf die Häuser, woraus sie ihre unmilitärische Salve bekamen. Von den Dragoner Regiment wurde unter andern ein Officier erschlagen - der Kerl der es gethan fiel von 1000 Schüßen durchlöchert von Dach herab - den Maior des Regiments soll der Arm entzweygeschlagen worden seyn. Als die Leute, die vielleicht nur da standen zuzusehen sich retiriren wollten, empfingen sie am Ende der Straßen Kerls die hüben und drüben an den Häusern standen mit grosen Prügeln, und nöthigten sie, mit unter den Aufruhr zu bleiben. Es regnete Schläge von allen Seiten. Ein geistlicher wurde von der Thüre der Kirche weggerißen und auf eine erbärmliche Art geschlagen. Es war ein Wettrennen in Vincennes - die dahin gehenden, oder fahrenden wurden von Pöbel arretirt und zurük

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gewiesen. Das übelste bey dergl. Gelegenheit ist, daß die Kerls oft hinten die Keller gerathen und sich dann noch dazu besaufen. |[202] d. 29t Ich war heute morgens noch einmal in den Säulen der Akademie und in der Gallerie, wo ich die Base eines Pfeilers abmase und zeichnete, ich war ganz allein, und hatte daher gute Muse, alles mit Aufmerksamkeit zu sehen. Die Gemälde und <x und> Arbeiten der Bildhauer sind in 3 Zimmer, die in einander Comuniciren an deßen mittleren stost die Gallerie - sie sind so viele ich auch Ordnung suchen wollte one solche aufgehängt - In den Vorzimmern hängen auch welche, doch wol nicht von den besten. Ein colossalisch groser Hercules empfängt einen da - Die Gallerie von Apollo hat ungefehr 90 Schritt Länge auf 20 breite -<von der einen Seite sind 12 Fenster auf der andren> Sie ist nur von einer Seite gegen die <Fluß> Seine zu erleuchtet durch 12 Fenster - auf der andren hängen Gemälde, wovon <des Le> Bruns 4 Bataillen Stüke fast die ganze<n> Seite einnehmen. die aus <zu> ungefehr 24'- 46 - 44 -36' lang sind. Die Gallerie mag ungefehr zwischen 50 und 60 Fuß hoch seyn, und ist durch ein Donnen Gewölbe geschloßen, das mit Stukatur Arbeiten von Girardon etc. und <Malereien> Cartouchen von Le Brun gemahlt, und Vergoldungen reich geziret ist - durch die ganze Gallerie läuft ein Entablement, das groß aussieht weil es ganz gerade one Verknüpfungen, die Länge der Gallerie ungetheilt sehen läst - die Corniche ist leicht und macht einen guten Effect. Der Boden ist von Holz eingelegt. Ludwig IVX lies sie nach den Zeichnungen Le Bruns auszieren <u.>. In dieser sind nun die 4 grosen Bataillen Stüke von Le Brun - sie sind nicht sonderlich gut conservirt und da sie zu gros sind, als daß sie das Auge ganz umfaßen konnte, so verlieren sie sehr viel - man müste um ihre ganze Schönheit einzusehen und zu fühlen |[203] müste man die Kupfer genau studiren, und danach die verschiedenen Figuren und Gruppen untersuchen. Ganz am Ende der Gallerie hängt das Aufname Stük der Madame Le Brun von 1783 - Ceres wird von Feinden weggeführt - gefällig, weich, weiblich - gewiß wird nie ein Mahler eine so schöne Brust gemalt haben, als die rechte der Ceres ist - das blaue Gewand des Friedens <fliegt> wird durch die Bewegungen der die Figuren sind <durch Luft die> in der Luft geflattert, dieses kommt mir etwas zu schwer und hart vor, besonders da es auf einen luftigen, leichten Gewölbe abschneidet. Neben dran ist ein Bataillen Stük von P.J. de Loutherbourg - das Gefecht muß zu Ende seyn, oder es entfernt sich von Gemälde, denn fast alle Personen auf den Vordergrunde sind ermordet. Das Colorit ist vortrefflich - es ist von 1769. Ein Tisch mit Studien und den <Geräth-schaften> Handwerkszeug eines Künstlers ist von einer Mlle Vallager von 1770 - ein Torso auf den Tische ist sehr natürlich u. änlich den alten Models durch die Zeit abgeschaben u. gelblicht - es macht einen <sehr treuen> der Natur sehr treuen u. täuschenden Effect. Neben dran hängt noch ein andres Stük von ihr. <Eine Ital.> Eine Landschaft von Valencienes von 1787 - ist warm und reich gemalt. Davids Receptions Stük Andromake die mit Astianax <auf> an den Leichnam Hektors seinen Tod beweint, gefällt mir deswegens nicht ganz, weil Hector halb entblöst, durch den tod gestrekt und fürchterlich richtig ausgedrükt daliegt - so will ich den Helden nicht sehen, dann erregt er kein Interesse - es ist nur seine Hülle und seine entstellte Hülle, obgleich noch ein Lorbeerkranz |[204] sein Haupt krönt. Das Gewand Andromakens ist blendend weis - viele halten es daher für schwer und marmorartig - die Details, die Zeichnung, das Studium daran ist wirklich, wie bey allen Arbeiten dieses Künstlers vortrefflich, aber die Idee scheint mir nicht edel genug ausgeführt zu seyn. Seine Entschuldigung ist, daß er hier <nicht durch> sein Studium zeigen <wollte> und nicht den grosen Haufen sondern den eingeweihten der Kunst sich mittheilte - Reneaus Stük auch von 83 stellte einen Centaur vor, der Achill lehrt Pfeile abzuschiesen, der iunge schöne Knabe dreht sich

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nach den grosen Thier um inden er den Bogen spannt u. fragt, ob es so recht seye. Das Colorit und Zeichnung wird sehr daran geschäzt - die Idee aber ist gewiß nicht malerisch schön - Ein Zentauer auf einen Gemälde wo nichts als noch eine andere kleinere Figur ist, wird <als> zur Hauptsache, die dan nicht angenehm ist. In einen der Fenster hängen zwo Landschaften von Cesar Vanloo <und> von 81. eine andere von Huet von 89. Sauvage (84) hat einen Tisch mit allerhand Arten von Antiquen und Büsten, u. Waffen der Natur sehr getreu nach abgebildet. Das Gemälde aber, das meine ganze Aufmerksamkeit in diesen Saal auf sich zoge ist eine Abnehmung Christi von Kreuz entweder von Jouvenet oder Le Brun - es steht kein Name darauf. Ich bliebe eine ganze Stunde davor und konnte micht nicht satt sehen, ob ich gleich gestehe, daß es viele andere gar nicht für schön fanden, und ich auch glaube, daß die Gewänder nicht vortheilhaft, hart und steif sind und die Zeichnung vielleicht hier u. da verfehlt ist. |[205] Das Gemälde besteht aus 12 Figuren in Lebensgröse. Der Künstler hat den Moment gewält wo Cristus, losgemacht von Creuz daran heruntergelaßen wird. Unter den linken Arm hatten sie ein Tuch gehen laßen, das einer der Kriegsknechte, der oben über <x> die eine Seite des Querholzes liegt noch hält. Auf der <andern> entgegengesezten Seite dieses Holzes biegt sich ein anderer so weit heraus als möglich - er fast noch mit der einen Hand den rechten Arm ist aber eben in Begriff ihn fahren zu laßen - Dann <der untere Theil ein> ein Kriegsknecht mit einen grosen rothen auf einer Leiter halb <mit weise ihn> an den Unterleib und hat mit der linken Hand ein weises Tuch in das der Cörper gelegt werden soll, dieses Tuch hängt mit der einen Eke oben über den Querholz und dient als Rükwand <für um> woran der Leichnam liegt - Sein unterer Theil ruht schon auf den Rüken eines Mannes der sich auf den Staffeln der Leiter stemmt um ihn sodann herunter zu tragen. Rechts steht auf einer Leiter ein alter, mit einen fast zu ehrwürdigen Haupte - er empfängt den Arm um den das Tuch geht, um den Cörper auf dieser Seite zu halten - diese Gruppe ist vortrefflich, die Art wie sie den Erlöser herunter laßen natürlich und ungezwungen - der Leichnam hat zwar die Todtenfarbe, auf der rechten Seite ist die Wunde des Speers sichtbar; diese Todtenfarbe ist aber nicht lebhaft da das weise Tuch, das darunter hergebreitet ist die <Blas> unangenehme Blässe benimmt, eben dadurch kommt dieser Hauptgegenstand des |[206] Bildes hervor u. wird auffallend - der Ausdruk in der Physiognomie ist göttlich, ganz der eines in Leiden sich gleich geblieben grosen Mannes. Unten stehen 6 Weiber in verschiedenen Stellung und Ausdruk theils mit gefaltenen Händen kniend, theils stehend in den ganzen Ausdruk des Schmerzens - Maria Magdalena strekt die Hände erwartungsvoll um den Erlöser aufzunemen und sie allein will iezt für ihn sorgen - das Gemälde mag 25' hoch seyn, es scheint zu einen Altarstük bestimmt gewesen zu seyn. In den Zimmer vor der Gallerie sind die Portraite der Akademiker von ihnen gemacht oder sie vorstellend - Am besten gefällt mir La Grenelle von Masnier in einen rothen Mantel der gut drapirt ist -Champagne von ihm selber gemalt - Bridan ein Bildhauer auch von Masnier - Es stunden hier zwey Recetionsstüke von einen Namens Van Spon einen Bruder des grosen Blumenmalers - sein Fach ist das nemliche - ich sahe ihn heute morgens - er ist noch nicht alt - Eine <andere> Zeichnung stand auch aufgestellt von Moreau Dessinateur et Graveur de Cabinet du Roi - die Geschichte der Tullia wie sie über den Leichnam ihres Vatters führt. Die Composition hat einige Aenlichkeit mit der des Hetschs. In den Salette über den Zimer rechter Hand wenn man aus der Gallerie kommt halten die Mitglieder ihre Versammlungen. Es hängt darinnen das Stük von Vienné - Icarus wie er seinen Sohn Flügel anmacht - wieder eine so unmalerische Idee als möglich. Pierre von Dumont ein <Pastell> Miniatur Gemälde - eine Zeichnung von Wailly das innere der Treppe der französischen Comoedie vorstellend - Ein [?] von Velnet (1753) und noch mehrere beßere u. schlechtere |[207] Ein heiliger

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Andreas mit einen Creuz verdient noch die ganze Aufmerksamkeit - er ist von Champagne u. ein Kniestük - der Ausdruk mit den er sagt, Wie vieles Uebel ich in der Welt ist ganz vortreffl. In den ersten Zimmer ist ein Kopf von LeBrun gemacht - seinen Freund Testelet den ältren vorstellend u. in den nemlichen Fenster gerade ienen gegenüber ein andrer Vouet von ihm selbst gemalt. Auch hängt hier das Receptions Stük von Vincent - ein Stük von De Troi einen iungen Menschen der die grösten seltensten Talente zeigte, dabey sehr reich ware, der Kunst also Aufopferung machen konnte - er reiste nach Rom und starb da - das Stük von ihm stellte Niobe vor wie ihre Töchter von den Pfeilen der Götter getroffen werden. Hier ist auch die Susanna von Sant[?] die man in Kupfer hat, sie soll sehr gut gemalt seyn. Neben diesen stehen noch viele Aufnams Stüke der Bildhauer, die die grösten ihrer Zeit waren hier. auch sind hier u. da die Büsten <der> vieler grosen Männer die besonders zu Ludwigs Zeiten lebten als Colbert Louvois Mansard etc. Von da ging ich zu Rieger, der nicht zu Hause ware und abends zu Meyer, ungeachtet man sich noch nicht sicher in den Strassen glaubt. Der Aufruhr hat iedoch nachgelaßen, da man heute Abends zwey aufgeknüpft hat. Unter denen die in den Keller des Reveillons einbrachen, <u. sich> seinen Wein austranken waren auch einige, die über Flaschen mit VitriosOel kamen, wodurch sie sogleich ein Raub <der> ihrer Habsucht wurden. |[208] d. 30t Einer der unangenehmsten Tage, die ich ie durchlebt habe. Das lange Ausenbleiben des Herzogs und der daher entstehende Mangel an Geld nötigen mich ein sehr eingeschränktes und wegen der Kost etwas unordentliches Leben zu führen. ich suchte mich zu zerstreuen, aber fande überal meine unangenehme Lage wieder - Ich war bey Fleuret, einen iungen Menschen, der Lehrer der Geschichte bey der Ecole militaire gewesen ware er erzelte mir, wie sehr der Zwek des Institus verfelt worden seye, das den König doch gegen 1 Million gekostet, wie die Vosteher fast alles weggenommen und wie man daher wohl gethan habe es unter denen Umständen einzuziehen. Prinz Salm war auch darinnen: Iezt dient das Gebäude zum Fruchtbehältnissen. - Fleuret ist gegenwärtig bey die iungen Gallizins die mit ihren Eltern hier sind. Ich war genötigt früh einige Sachen - Pistolen, Schnallen, Uhr und eine kleine silberne Feder in die Rue Blancmanteau zu schiken. |[209] d. 1t Mai Ich wollte Visite machen bey den Prinzen Friederich von Würtemberg der hier ist - allein ich bedachte mich eines andren weil ich fürchte der Herzog glaube es geschähe aus Intereße - ich war bey Reinewald mit dem ich sodann spaziren ging - durchs Bois de Boulogne nach [Madrid?] - Wir speisten da ein gebratenes Hänchen - Sallat u. 1 Bout. Wein und musten 4 Livr. 12 S. dafür bezalen obgleich der Hausknecht ein deutscher ware von Kinberg bey Brüssel. Er gestand daß es allgemein theurer um Paris als in der Stadt selbst seye. Er ist genöthigt Butter, Eyer etc. in der Stadt auf den Markt selber zu holen, wo man es wohlfeiler als selbst auf den Land hat. Hier in den Schloß wo der Schweitzer einige Zimmer in der Absicht hat, ist oft der Rendezvous von heimlichen Liebschaften und allerhand Intriguen, die in Paris nicht so leicht ausgeführt werden könen. Wir gingen von da zurük durch Neuilly wo der Duc de Braslin ein groses Campagnen Haus hat - auf der Brüke von Neuilly, die wegen ihrer Bauart merkwürdig ist, indem die Bogen so niedrig gesprengt sind, daß es wirklich als ein sehr hardies Stük der Baukunst angesehen werden kann - man geht daher darüber one zu wißen daß es eine Brüke ist, weil die Strasse horizontal darüber läuft - Auf dieser Brüke oder vielmehr 40 Schritte ehe man drauf kommt hat man die herrlichste Landschaft vor sich, die man denken kann - die Seine hat hier ihre unangenehme Farbe verloren, an ihren Ufer sind englische Gärten unter andren der von St. James - in der Ferne der Calvariberg -

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mehrere dieser Surennes etc. |[210] <hinter d> in Rüken oder vielmehr rechts die Casernen der Schweitzer in Corvevoix auf einer Anhöhe - Kurz die Gegend, die ich an diesem schönen Abend nicht betrachtete, um sie zu beschreiben, sondern zu fühlen ist göttlich schön. Es wurde indeßen spät und wir gingen durch die Fauxbourg du Roule nach Hause; wir kamen durch Maison Roule - Ich ging noch mit Reinewald zu Hause, wo wir Bier tranken u. uns von Rußland unterhielten, daß er in allen Theilen sehr gut kennt. d. 2t Rieger war des morgens nicht zu Hause - doch trafe ich ihn um 2 Uhr wieder an - vorher war ich bey Blumendorf mit dem ich auf die Boulevards und sodann durch die Thuilerien ging - Eine der schönsten Wägen hat Mde D'Albert die von HE. v. Simolin entretenirt wurde - der Wagen ist ganz auf englische Manier <nach> plattirt in feinsten Geschmak - die Bordure ist <braun> weis, die Guirlanden darinnen schwarz mit [Fleuraison?] besezt. Ich war sodann als ich Riegern verlassen hatte bey Balletti, die mir ein Billet zum König Theodor gabe. noch ein anderes muste ich nehmen um einen Deutschen Namens Franz auf einen neuen Instrument zu hören. <Ab> nach der Comoedie gingen wir ins Palais Royal und blieben da bis 10 Uhr. In den König Theodor ist unter andren eine sehr schöne Decoration eines Gefängnißes mit der äußersten perspektivischen Treuheit u. Täuschung gezeichnet. Gegenüber von meinen Fenster war heute morgens ein Auflauf vor einen Haus - es hatte ein Bruder den andren diese Nacht erstochen. Ich sahe heute Vestris den Vatter, er hat sich noch sehr gut conservirt, - auch sahe ich La Porte den reichen Banquier mit seiner Frau u. Tochter einen sehr schönen Mädchen von vielen Talenten. Ein fremder, wahrscheinl. kaiserl. Officier fiel mir auf der in den Garten spazieren ging. |[211] d. 3t Mittags besuchte ich Riegern; er schlug mir vor nach St. Cloud zu fahren; ich miethete also den Phaeton und wir fuhren hin, um die Wasser springen zu sehen. Es ist ein artiger, frischer Anblik, der durch die Menge Menschen, die hier und da in geschiedenen Gruppen en Amphiteatre herum stehen noch interressanter wird - indeßen ist es doch beim Licht betrachtet, mehr ein prächtiges als natürliches und angenehmes Schauspiel. Man wandelt hier nicht in einen Hayn, wo man durch die lebhafte und muntere Farbe durch seine Bewegung aus der melancholischen Stimung gerissen wird, in der die Seele war - man wird nicht überrascht und es kommt mir vor den Entzwek, Pracht und Königl. Eigenliebe zu zeigen, falle zu sehr in die Augen, als daß man diese unangenehme BeyIdee bey einen schönen Coup d'oeil vergeßen könte. Der Fluß den man <dan> nur 70 Schritte daran vorbey fliesen sieht giebt dann auch keinen Nachdruk, da man die Vergleichung macht wie die Natur und wie die Kunst mit den Waßer umgeht. Kurz das ganze Schauspiel ist interessant gesehen <zu werden> zu haben, aber langweilig es lange zu betrachten. die Menge Menschen war heute nicht gros daselbst - Theils, weil sich <andre> so viele auf morgen vorbereiten, theils auch weil es kein sonderliches Wetter war, so daß wir sogar auf den Nachhause Wege in Regen kamen. Von 6 Uhr wurden die Wasserwerke geschlosen. Abends war ich bey Ravoisé u. spielte mit ihn Piquet. |[212] d. 4t Heute ist fast alles in Versailles und die Abname der gut angezogenen Leute auf den Straßen und Spaziergängen ist merklich - ich war zur Balletti invitirt - fande sie aber in den Thuelerien, wo ein Mittagseßen in Bois de Boulogne arrangirt wurde, so unangenehm mir dieses auch war wegen der depensen zu denen dergl. Lustparthien führen konnte ich mich doch nicht

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losmachen. Wir speisten ziml. gut beym Eingang des Holzes und kehrten abends bey den schönen Wetter zu Fusse wieder zurük. d. 5t War des Morgens bey Rieger - und speiste zu Mittag bey Meyers mit Mde Lejeun u. Tochter, Perrodin - Stahl u. Osiander. Abends bey Mde König die mir die Geschäfte mit Landgrafs einen Juwelier aus Berlin u. sn. 2 Bedienten erzelte, wovon einer den andren ermordet. d. 6t Mit Fleuret in die Champs Elisée, wo ich dejeunirte - Wir fochten dann bey ihm - Mittag speiste ich bey Balletti. Die gab mir ein Billet in die Ital. Comoedie von Monsieur wo ich l'honete et le neveu und das neue Stük [Lücke] sahe - Abends ging ich mit Reinewald noch in die Thuelerien spaziren. Als ich nach Hause kame, sagte man mir daß der Herzog gekommen seye. d. 7t Morgens ging ich zum Herzog ich speiste bey ihm - Abends ging Böhnen in die Comoedie. ich muste daher die Fremden empfan -der Nuncius - Graf Theodati etc. - <abends> Nachts speiste ich wieder da. d. 8t Mittags war zum Eßen der Prinz von Würtemberg - sein Cammerherr von Septitz ein Meklenburger - u. der iunge Rieger - nachmittags wurde eingepakt - der Herzog schenkte mir 10 Louisd'or - eine Summe, die mir nicht zukame anzunemen, da sie ihm indeßen auch nicht zukame zu geben, so war unser gleich - er schenkte Mettang und Touret ieden 5 Louisd'or - ich gab Kleinen eine Assignation |[213] an Miller mit über 18 Louisd'or, die ich von ihn hier empfangen <un> hatte deswegens [?] <x> an lezteren durch die Post geschrieben. Ferner gabe ich Kleinen Briefe mit an Müller, Oberst Ron - General Pfuel - Cammerherr Stein - Oberhofmeister Biber - Consistorial Hirsch - Beulwitzen - An Ron schikte ich musik und an Hirsch die Rede von Curé de St. André des Arts mit. d. 9t ich muste dorten schlafen - weil heute morgens um 5 Uhr der Herzog abging - nachdem war ich bei Rieger, wo ich auch des Mittags speiste, mit ihm sodann bey dem verstorbenen Wurmser in der Rue Thibout und auf den Boulevards spazieren. Des abends in den Thuelerien. d. 10t Reinewald hatte mir mit Mde Meier eine Parthie proponirt -ich konnte sie aber nicht annehmen. ich war bei Fleuret - speiste bey Farget - bey Harwey - bei <x> - in Luxenburg - abends in den Thuelerien. d. 11t Die Hitze ist schon sehr gros - man sieht iezt ebensogut Leute mit Regenschirms gehen als wenn es regnete, um sich für die Hitze zu schützen. Ich war bey Reinewald, auf den Bureau des Diligence, bey Balletti, der ich die Migniatur Malerey von Hoyer zeigte - Mittags speiste ich zu Hause. Abends ging ich auf die Kupfer und Bücheriagt aus - von ersteren kaufte ich einige - ich war bis an die Brüken, die in die Isle St. Louis geht längst den Quai hin - kam dann zu Ravoisé, wo ich Piquet mit der Tochter spielte. |[214] d. 12t Ich holte Fleuret um 5 Uhr ab, und ging mit ihn in die Champs Elisée - wir liesen uns bey der Feuermaschine über die Seine setzen - hier brachte man vom <Ufer> den Schiffen Wertstämme ans Ufer - dies geschieht durch Winden mit 4 Armen die theils auf Wagen sind, wenn

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sie auf solche gebracht werden sollen, theils nur auf den Boden auf einen Fuß stehen, wenn sie an Ufer liegen bleiben sollen. In den Champs Elisées sahen wir die Rekruten der Garden francaises exerciren - sonderbar und kindisch sieht die Art aus, wenn sich ein ganzes Glied nach den Flügelmann richtet, sie zappeln mit den Füssen wie die Kinder, wenn sie zornig sind. Wir sprangen über Gräben, sezten über Stangen etc. - tranken sodann unseren Caffeé - Fleuret rauchte dazu, welches der Caffetier auch selbst in Freyen nicht erlauben wollte. Wir hatten Stollberg mitgenommen, und lasen darinnen - gegen 10 Uhr ging wir wiederum zurük - es war schon sehr warm. Mittags speiste ich bey Balletti mit Osiander, Perrodin, Stahl. La Porte der reiche Laporte kam nach den Eßen hin und blieb demüthig in der Antichambre stehen, weil er Leute sahe, bis Balletti ihn endl. herein nötigte. Abends war ich bey Meyern, wo man äuserst steif und unangenehm war - wahrscheinl. weil ich nicht nach dem gleich hingekommen war, als ich dort zu Mittag gespeist hatte; ich entfernte mich auch bald wieder. d. 13t Das Regiment Salis Samate rükte ein - ein Schweitzer Regiment, unter den der Dichter Salis steht - es hat roth und gelb und scheint gut in der Ordnung zu seyn. ich suchte Fleuret auf, den ich aber nicht trafe, um ihn diese Neuigkeit zu hinterbringen. |[215] Mittags speiste ich bey Riegern, der Prinz von Würtemb. kam dahin gegen 4 Uhr wo ich sodann ging - Fleuret traf ich wieder nicht an, als ich aber zu Hause, ging er eben heraus. Wir gingen mit einander herauf, rauchten eine Pfeife Tabac und sodann suchten wir das Regiment Salis auf - man sagte uns, es liege in der Ecole militaire - Als wir über die Rasen vor den Invaliden hingingen, weil wir das von mehreren sahen, kam uns eine Schildwache entgegen, die so unhöfl. ware, daß wir in das Hotel hineingingen und uns, da der Maior nicht da ware, beim ersten Capitain beschwerten, der uns damit abspeiste, daß er es den HE. Gouverneur melden wollte. Mein Bedienter hatte den Nachmittag auch Händel gehabt. Er sase in Fenster den Hut auf den Kopf, als das Hochwürdige vorbeyging, ein Fiacre sahe dieses an Fenster und schimpfte fürchterlich auf ihn - er verfolgte ihn, lies ihn nicht aus den Gesicht und als es Abend wurde und er an der Eke der Pont neuf hielte, machte er damit er gewiß nicht entkäme, die hinteren Schrauben an den Rädern los, pakte ihn dann als er von Bok herunter war an, warf ihn auf den Boden und prügelte ihn ab - unterdeßen versamlete sich eine Menge Menschen, die Wache - er war aber schon lange unter die Zuschauer getreten und man wußte nicht, wer es gethan. Diese Scene und mehrere andere Umstände machen mir das das Leben äuserst unangenehm und ich wünschte nichts sehnlicher als von hier wegzukommen. |[216] d. 14t Mit diesen Ideen wachte ich auch heute auf und brachte einen der unangenehmsten Tage hin - Ich schriebe an Müller wegen den Büchern von Schiller und auch wegen seinen Werk - diesen Tag wünschte ich nie gelebt zu haben, so unangenehm war er mir. d. 15t Heute morgens machte ich eine Bekanntschaft mit einen Professor Olivarius aus Kiel, der bey Hoyer ware. Dieser ging um 12 Uhr fort. ich begleitete ihn ins Palais Royal etc. Wir speisten noch miteinander bey einen Restaurateur der <Frzsch> Opera wurden aber schlecht bedient. Er gabe mir seine Addresse nach Strasburg Conseiller du Roi de Dänemark chez J.F. Müller à Strasbourg. Nachmittags ging ich dann zu einen Miniaturmaler Hall - Rue Savard Nro 4 und brachte ihn einen Abschiedsbrief den Hoyer mir da gelaßen hatte. Hier sahe ich eines der schönsten Mädchen von Paris seine Tochter, ihn selbst aber trafe ich nicht an. In Caffee Corazza in Palais Royal hielt ich mich einige Zeit auf und ging sodann zu Meyer, denen ich den Musenalmanach von Göttingen

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mitbrachte. Hoyer hatte ich Briefe mitgegeben an Müller und Senkenbergen. Abends hatte ich grose Dispute mit den Herrn in Hause, die auf des Wirths Geschwäz über Hoyer hergefallen waren. So viel ich ihn habe kennenlernen - Ist es ein Mann, der nicht one Verstand und Güte des Herzens - dabey aber etwas eingenommen von seiner Meinung ist. Er scheint unternehmend zu seyn und mit Standhaftigkeit durchsetzen zu können - ist aber sehr iähzornig. Kann er einen dienen, so schmeichelt es seiner Eitelkeit es recht zu thun. Das schöne Geschlecht liebt er - er spricht zimlich gut französisch, etwas Italienisch u. gut deutsch - in Italien ist er in seiner Jugend gewesen, wie auch in Frankreich wo er die Migniatur Malerey erlernte. Sein Verdienst als |[217] Migniatur ist nicht gering - Seine Farben sind lebhaft - seine Stellungen glüklich u. sein Beiwerk und Grund gut gewält. Hände wollen ihn nicht recht gelingen. Er malt nicht mehr viel und hat hier in Paris <d> nur daß Portrait von der Erbprinzessin von Darmstadt ausgemalt. Er hatte unter andren ein Migniatur Gemälde, den englischen Gesanden in Copenhagen Elliot, wie er sein Kind auf den Arm hat, bey sich, das sehr artig ware. d. 16t Früh war ich bey Fleuret; sodann später bey Reinewald, wo ich einen alten Akademie Bekannten v. Kruk antrafe - Mittags speiste ich zu Hause. d. 17t Des Morgens mit Fleuret in Luxenburg - Wir tranken da Caffee und machten sodann eine Tour ins Feld. Wir kamen gegen Mon Rouge - Grand Mon Rouge und bey die Invaliden wieder hinein - und nach Hause. Hier sahe ich zum erstenmal bey Fleuret den Prinzen Gallizin den iüngern. Hier auf den Feldern trift man grose Räder an, die dazu dienen um die Steine aus den Boden heraus zu winden, weil das Erdreich um Paris herum kostbar ist, und man sonst zu viel verwülen würde. Auf den Nachhauseweg über den Platz Vendome - die Art wie man Teppiche, die in den Zimer zu Fußböden in Paris häufig dienen, ist ganz einfach - man hängt sie an eine runde Welle, die zwischen 2 Hebeln liegt und ein paar Creuzstök rechts u. links hat, so klopft man auf den herunter hängenden Teppich und rollt allemal das, was fertig ist auf. |[218] d. 18t Des Morgens bey Harwey - (- - -) Mittags hatte mich Rieger zu sich bestellt - Wir besahen das Haus von der Mde Trennonay in der Rue Bergere, das sie verlehnen will; und holten sie deswegens in Wagen ab - Mittags speiste ich bey Riegern - er machte mir ein Present mit einen Tintenfaß von englischer Erde. Abends war ich bey Mde König - und Meyer wo ich einen Migniatur Maler - <Oss> von Graf von Orleans antrafe mit einer Engländerin, die er geheirathet. d. 19t Dejeunirte bey Konigs - Ihr Mann ging sodann mit mir zu einen Stallmeister, der Pferde weglehnt - er hatte aber für iezt keine - ich ging sodann zu Fleuret. mit ihn die Rue Bergere und in die Rue St. Honoré auf's Billard wo wir 3 Parthien spielten, die ich gewann, man zalt da die Minute mit 2 Liards. Mittags ging ich noch zu Balletti - ich speiste bey ihr mit Zingarelli und den Bruder von Balleti. Nestel ein Müller und Bek aus Studtgard, der hergekommen ist, sie zu sehen. Nachmittags bliebe ich zu Hause u. ging nur abends einen Augenblik zu <Ra> Ravoisé. d. 20t Allaix hatte mir gestern versprochen zu mir zu kommen - Wir gingen in das Haus rue Bergere und namen die untere Etage auf - Fleuret traf ich nicht an in <der> seinen Hotel - speiste bey Farget - war nachmittags bey Hall - trafe ihn nicht an - bey Ravoisé und abends zu Hause, wo ich einen Brief an Mde de Sevigné übersezte.

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d. 21t Fleuret kam zu mir - und gegen 10 Uhr gingen wir zu Königs mit ihnen eine Parthie zu machen ins Bois de Boulogne - Sie bestanden aus - Mde König - Mde Fries - ein Strasburger Kunlein -Négociant. Diese fuhren - König und Pabst fuhren in Cabriolet und Fleuret u. ich gingen zu Fuß - Fries kame nach. In Anfang schien die Parthie sich nicht gut anzulassen. Es fing an etwas zu regnen. Das Wetter war trübe - die Ungenemlichkeit daß wir zu Fusse gehen musten alles dieses - |[219] stimmte uns nicht zur Freude. Es wurde endlich vorgestellt in Bagatell zu speisen - Wir gingen hin und fanden hier das was wir umsonst gesucht hatten und nicht erwartet hatten. Vergnügen und Freude. Es ist dieses der berühmte englische Garten von Graf Artois - Ob wir gleich keine Billete hatten, so durften wir doch hinein, weil wir beim Schweitzer speisten - die grose Hausthüre ist verschlosen. ein kleineres Bosquet führt aber gleichsam verstolene Weise hinein - welches nicht so ganz one Wirkung ist. Der englische Garten selbsten ist vortrefflich angelegt. Er ist nicht zu angehäuft mit Gegenständen, die ob sie gleich durch ihre Sonderbarkeit Aufmerksamkeit eregen, der Illusion schaden, wie Masquen - gothische Ruinen etx. die grosen Fleken Rasen, die one geziret zu seyn sich oft auf 50-60 Schritt hinstreken und kein Monument der Kunst in sich begreifen - die hier und da schattichte Bosquets von natürlichen Bäumen - die Anhöhen mit Bäumen besezt auf denen man vielleicht eine Büste - vielleicht ein kleines Epitaphium - ein simpler schwarzer marmorener Sarg auf einen weisen Stein, antrift - dann wieder ein kleiner Teich neben ihn geht eine Gehbrüke über <x> den Fluß fort - ein anderes kleines Brükchen in einen andren Theil - auf den ein chinesischer Pavillon um darunter sich zu setzen. - Man steigt eine Grotte hinunter - sie <scheint> weis nicht wann sie erbaut <zu seyn> wurde <sondern> es sind die Reste eines Gebäudes das vor langen Zeiten da gestanden [Lücke] der Pavillon, der dazu gehört ist nicht gros - sogar verstekt - man stoßt auf ihn - er beherrscht nicht das despotisch das was sich nicht beherrschen läßt. Man wird nicht durch die Gegenwart des Herrn, den dieses gehört beleidigt - |[220] und man glaubt sich Besitzer dieser Natur. Die Lage ist vorzügl. gut gewält - hier durften keine Bäume, keine Tiefen und Teiche mehr seyn an denen Brüken sind - hier keine Anhöhe mit Monumenten - hier müste nichts die Aussicht <x> aufhalten auf den nahe gelegenen Passionsberg und auf die gottlich schön an seinen Fuß liegenden Dörfer und Dörfgergen. Man muß vergeßen was man gesehen hat, und die ganze Aufmerksamkeit der weiten Natur schenken. die Aufschrift Parva redapta ist über den Haupteingang des Corps de Logis, die innere Einrichtung dieses Hauses, das ein <gr> Hof und Gebäude und Waser von weisen Marmor in denen nichts one Effect rothe Feldblumen wachsen umgiebt - die <se> Einrichtung ist compendiens - niedlich und sehr geschmakvoll - ein runder Sallon - rechts u. links kleine Boudoir mit ruhe Bettchen an diese einige <grösere> Säle - <in> einen zu Billard -den andren zum Speisen - oben darüber mehrere Cabinette mit Betten eine niedliche Treppe von oben erleuchtet - reinlichkeit -Helle - und einladender Genuß Charakterisieren dieses Gebäude. Die ganze Anlage <dieses> des Gartens zeigt von Geschmak des Besitzers und ist wirklich eine der vorzüglichsten in dieser Art. Wir lagerten uns auf das Gras in einer Rasenbucht und glaubten uns Herr und Meister <die> davon. Wir sprangen, fingen uns und spielten und waren froh weil wir dazu eingeladen wurden. Was in diesen Garten nach meinen Gefühl fehlt ist ein anderes Wasser - diesen allein sieht man etwas Zwang an - es ist kein kleiner Bach, der <durch> in sein helles Cristallenes Waßer die <bey> rothen Steinchen und die leichten Zweige sehen läst - die in der schwülen Hitze den Durst löscht und lebendig und munter daherfliest - es ist stehendes, mattes Waßer von unangenehmer Farbe das unwillig hier bleibt und in einen Kerker eingefloßen ist. - Eine anderes - hier und da stehen Büsten von weisen Marmor griechische, römische Köpfe in der

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Mitte |[221] einer grünen Gruppe - man sieht sie von weiten - durch ihre Weite machen sie dann die Parthie hart und man nimmt kein Interesse an diesen römischen und griechischen Casquen und Verzierungen. Lieber ein kleiner Tempel in den man sie versteckt hinstellt. Ein anderes über die Einrichtung des Pavillons - die Verzierungen sind etwas zu gesucht - zu prächtig. Die Boudoirs in denen die Ruhebettchen stehen sind von der wollüstigsten Einrichtung das Bett stehen zurük in einer Vertiefunge, an den den Seiten, oben in der Deke überal Spiegel, die iedes Bild vielfach wiedergeben. Gemälde die Imagination anfachen - alles ist engagent und ladet ein zum doppelten Genuß - Warum das? Da wo man unter den schönen <x> Gewölbe <auf den> der Natur auf den weichsten Lager das sie wachsen lies in den Schatten in den Dunkel das ihre Bäume so duftig und einladend machen - Warum da <alles aufsuchen, was die Sinne reitzen> wo man iede Seeligkeit doppelt geniest nach Menschenwerk, die <Verdorbenheit des Körpers> und <der Seele schwachen x zu stärken> und gesuchtere Kunst das hervorzubringen was die Natur nicht konnte und versagte. Warum nicht mit Brunst an - Gott <und> die Natur - Priester und Zeugen - und die erste geheiligte Macht der Tempel. Vielleicht denkt man nicht so in reifen Jahren und wie leicht war es wie für ausgelebte Menschen gemacht, die erschöpft an Kräften nicht one Genuß leben können. Indeßen ist dieser Contrast die man hier antrifft, dieser Streit zwischen Natur u. Kunst hier unangenehm wo alles sonst das Gepräge von Frieden und Eintracht trägt. |[222] d. 22t Ich war bey Reinewald - der Abends zu mir kame - wir gingen miteinander spazieren in den Jardin du Roi - einen öffentl. Spaziergang, der iedoch nur in der Kühlung angenehm ist. Ein Schnekenberg mit einen kleinen Häusgen darauf gewärt eine angenehme Aussicht. Wir entdekken unterwegens eine gothische Ruine an <der> einen Theil der Kirche der Bernardiner auf den Quai gleiches Namens, die uns viel Vergnügen macht. Wir gingen sodann noch um das Bouleward herum bey den Observatori herein durch die Strasse d'enfer den Luxenburger Garten und speisten bey Farget in der Rue de Boucherin in Freyen. d. 23t War so wie gestern morgen <bey> in den Hause Rue de Bergere und name den obren Theil auf - abends bey Königs - die mich mit in ein Concert nemen wollten. d. 24t Zwey Russen von der Gesandschaft, Reinewald und ich traten unseren Pilgergang zu den Gräbern der Könige in St. Denys an. Unser Weg ging über den Berg Montmartre auf den man eine sehr gute Uebersicht über die Stadt und die umliegenden Gegenden hat -Um sich zu orientiren und die Lage der Stadt in Rüksicht ihrer Environs zu kennen, sollte dieses einer von den ersten Spaziergängen des Fremden seyn. Es sind zwar einige Lusthäuser, allein doch wunderte es mich, daß die Pariser nicht mehr von denen schönen Points de rue profitiren, die man hier hat. Msr de Montigné hat hier einen Garten mit türkischen Gebäuden - und der <Po> Duc de Montmorenci ein Gartenhaus auf dem obersten Rüken des Berges. Schade, daß das Waßer hier fehlt und der Zugang zu den Berg nicht wenig steil und unwegbar ist. Auf der andren Seite des Bergs hat man Paris in Rüken - man sieht einen grosen englischen Garten den die Gegend <x> bildet und Dörfer und Dörfergen und Bäume. Remisen - und dann von Zeit zu Zeit die Seine die <durch> diese Plaine durch eine Krümme eintritt und bey St. Denys die Insel dieses Namens bildet. Da erweitert sich die Brust, und das Auge das <durch> in dem Lermen der Häuser und Thürme und Dome und Palläste sich verlor, kommt nun in |[223] in eine sanfte wohltätige Ruhe, die der Anblik der frohen Natur gewärt. Auf dieser Seite des Berges <ha> bilden die Fortsetzung der Häuser ein eigenes Dorf das

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sich [Lücke] nennt. Es gehen verschiedene Wege durch das Feld - auch Alleen dahin, wir wälten einen der ersteren. Hier und da trift man Remisen, das heist Buschwerk das in den Feldern stehen geblieben um den Hasen und den Feldhünern und den übrigen Geflügel zum Aufenthalt zu dienen, aus denen sie oft und immer auf die benachbarten Felder fouragiren und dadurch den armen Landmann aller angewanden Mühe ungeachtet seinen Lebensunterhalt abnagen und abfressen. Dem Auge sind iedoch diese Unterbrechungen der platten Felder nicht unangenehm und man findet da Licht und Schatten in Sommerhitze sitzen - Ich glaube iedoch nicht daß man hierein gehen darf, obgleich Alleen durchgehauen sind. Hier und da trifft man Felder an, die mit grosen Fleis gebaut sind, die sogenannte Saubohnen stehen auf ganz schmalen aufgeworfenen 1 Schuhbreite Bettchen - zwischen denen und in der breiteren Furche oft Spargel oder sonst eine Frucht steht, die das aufhäufeln weniger benöthigt ist. St. Denys ist ungefehr 1½ Stund von Paris - sie ist nicht gros und wird es nie werden wegen der Nachbarschaft von Paris. Madame Louise der Tochter Ludwig des XV hat sich hieher gezogen <nach> und als eine Heilige gelebt und auch eine Kirche gebaut, nachdem sie ein Scandal gegeben mit einen Gard du Corps. Die Kirche ist von der Mitte des 13t Jahrhunderts. Ihre Bauart zeigt aber an, daß auch noch andre Jahrhunderte daran gebaut haben. Sie hat nicht ganz die in die Augen fallende Kühnheit und Gröse und doch Feinheit der Details den die andren Gothischen Kirchen aus den 14t u. 15t Jahrhundert haben. Ihr Inneres ist iedoch nicht unangenehm. Die 3 Reihen Fenster geben ihr viele Helle, die iedoch angenehm gemildert wird durch die bemalten |[224] Fenster. Hier in den Chor ist es, wo man das Andenken der grosen Männer feyert, die oft mehr gros durch die Würde die sie besasen als durch ihre Deutungsart es waren. Hier liegt Ludwig der 12t, der allein würdig ist neben Heinrich IV genannt zu werden. Hier ruht tief in der Gruft one Denkmal <auf> der König <dessen x> deßen Fehler allein schon hinreichend gewesen wären ihn über alle andren Könige Frankreichs zu setzen, deßen Andenken eben so weit aus gebreitet ist als es Tugend und Gefühl für's Edle und Gröse sind. Hier ruht in der Gruft der Bourbone <x> der von seinen eignen Unterthanen ermordete <Fran> König und mein Fuß betritt in den Augenblik die Stelle die seine todte Hülle umschliest. Hier liegt in Frieden der unruhig geschäftige kriegerische Galante Franz der erste - das Spiel des Glüks - doch edel und gros. Hier verwesen auch endlich mit den Körper alle die ungeheuren und grosen und menschenfeindlichen Proiekte Ludwig des XIV, der glüklich genug war und seinen grosen Namen den Zufall zu verdanken hatte, der ihn in den Zeiten lies geboren werden, die die Vorsicht zu Frankreichs höchster Epoque bestimt hatte! Hier die Reste von Turenne von Du Guesclin. Hier die Hüllen der Erdenriesen - sie die unzugänglich umgeben von tausenden waren hier einsam und nur bewacht von einen Schweitzer, der um 24 Sols erlaubt <ihn> auf ihre Cörper zu treten und sie zu critisieren. Diesmals zeigte es uns ein iunger angehender Kettenhund von Schweitzer, der kein anderes Interesse hatte als unsrer Aufmerksamkeit von den Königen hinweg auf seine goldenen Epaulette zu ziehen. Ihm ware dies wichtiger als alle die Ludwigs u. Heinrichs. Ein sonderbarer Contrast. Hier schläft alle Pracht u. Gold u. Flitterstadt und hat sich nur zusammen gezogen auf die Epaulitte des Schweitzers. |[225] Die Geschichte lehrt uns, daß Dagobert der erste <König> Prinz war von den man weis, das er hier begraben - es war der Sohn Chilperis II und Fredegonde - u. starb 3 Monate nach seiner Geburt 580. Der erste König war auch ein Dagobert - er starb 638. Die Gräber der Könige der ersten Race waren gewönlich one alle äuserliche Pracht. Ihre Monumente, die man iezt sieht sieht also lange nachher erst zu ihren Andenken errichtet worden. <So> Dies ist der Fall bey allen den Monumenten die <x> in dieser Kirche von der zweiten u. dritten Race bis zu den Kindern des hl.

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Ludwigs waren. Dieser Ludwig ware es auch der die meisten davon machen lies. <die iedoch gröstentheils ihrer x u. ihres Reichthums bey den Plünderungen> die bürgerlichen haben die so zerstört daß man kein Ueberbleibsel davon mehr sieht. |[226] vakat |[227] d. 25t Abends bey Meyern, wo ich speiste - d. 26t die kleine Zeichnung <war> von den Haus der Mde de Trenonai wurde fertig - ich brachte den Abend bey Allaix zu. d. 27t Brachte Riegern die Zeichnung - war sodann bey Reinewald und speiste sodann bey erstern. <Nach> Abends bey Königs - mit ihr ginge ich auf und ab spaziren auf den Quai *) [Fußnote: ich war gestern Abends bey Olivarius in Hotel d' Honore. dieses mag ein schönes Nest seyn ich hatte, weil es schon spät war - es war 10 Uhr meinen Bedienten mitgenommen - den die Töchter in Haus unterdeßen daß ich oben war die Proposition machten, sie in der Kutsche zu mir hinzuhohlen. der Professor wollte in Anfang nicht aufmachen, ich war schon in Begriff wegzugehen, als man mir sagte, daß er <mit> eine Deutsche bey sich hätte, die seine Menage besorgte. Er lag wahrscheinl. bey ihr in Bette - er schikte mir noch nach, <ihn> hinaufzukommen wenn ich es nicht übel näme ihn wegen einer indisposition in Bette anzutreffen.] d. 28t Des Morgens bey Harwey - Fleuret und in Luxenburger Garten die einzige Promenade in Paris wo man gleich gut <von> Kühle in der Hitze und Sonnenschein in der Kälte hat one von den entsezl. Staub der in Sommer die übrige öffentl. Promenaden ungesund u. unbequem macht beleidigt zu werden. Man ist hier einsam u. allein - Trinkt eine Schale Caffee bey den Schweitzer der herl. ist und sezt sich sodann unter die Bäume zu lesen. Nur hie u. da sieht man des morgens einen Abbé, der in Auf und abgehen liest, oder eine alte Matrone die keinen Schlaf mehr hat oder eine Acktrice, die ihre Rolle auswendig lernt. Heute morgens traf ich einen alten Wollüstling an der sein Mädchen, das er unterhält für die Marter schadlos halten wollte, die er ihm heute Nacht angethan hatte. Das arme Mädchen wagte kaum die Augen aufzuschlagen für Scham von einer niederträchtigen Mutter vielleicht an den alten Wollüstling verkauft zu seyn. |[228] d. 29t Heute früh um 9 Uhr ging der iunge Rieger nach Strasburg zurük - er name den Cammerwagen von seinen Vatter mit sich - dies gab mir Gelegenheit, da er onedem 3 Post Pferde haben muste ihn zu begleiten - die erste Station <bis> von Paris aus ist Bondi ungefehr 1½ Stunde weit. Man kommt durch Pantin - Eine gute Anstallt ist daß bey ieder Einfarth in ein Dorf an den ersten Haus mit grosen Buchstaben der Name des Orts angeschrieben ist. Ein reisender hat daher nicht nötig, wenn er darauf Achtung gibt, lange zu fragen, er weis gleich, wie der Ort geschrieben wird und die Verkezerung der Namen der Ortschaften wird dadurch vermieden. In Bondi stieg ich aus, um nach <x> Rainsi zu gehen, das eine halbe Stunde davon liegt. Hinter Bondy <hielt> fangt der Wald von Bondi an, der zwar nicht gros, aber durch gut durchgehende Alleen und durch die artigen Lust und Campagnen Häuser. die drinnen liegen sehr interressant wird. Der Weg nach Deutschland geht hier durch rechts trifft man auf der Chausée zwei kleine Pavillons <auf> an, die auf beiden Seiten am Anfang der Allée stehen, die gerade auf das Schloß von Rainsy führen. Es

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gehört den Herzog von Orleans der hier einen englischen Park ungefehr eine Stunde in Umkreis anlegen lies, und diese Campagne ganz mit Engländer besezte. Ein Engländer Ferrar, den er wie man sagt in England in Spiel ruinirt hat, ist Gouverneur davon. Dieser Park ist eine der besten Nachahmungen der englischen die man in Frankreich hat. Er ist nicht überhäuft mit Tempeln und Grotten und Felsen und Bauernhäusgen und Wasserfällen - Er besteht gleichsam nur aus den Theil von Wald, den man stehen gelaßen hat, die der Park in Wald von Bondi selbst ist - in Wiesen, die gros genug sind, um Schaafe u. Vieh darauf weiden zu sehen - in Akerfelder für einige Familien hinreichend Korn geben und in den Schloß, den Platz herum und die gröseren und kleineren Gebäude, die entweder dazu oder zu den Park selbst gehören. In der Mitte <läuft> ist ein Waßer durch über den hie und da einige Brüken von leichter gefälliger Form gehen. Aus diesen Waßer formirt sich hinter den Schloß herum ein <Teich> See in den ein Steinbruch angebracht ist, der von einer Seite zu Tag liegt. An seinen Fuß sind Cabinetter angebracht in denen man sich baden kan, one gesehen zu werden. Dieser ist fast zu sagen die einzige künstliche |[229] aber auch mißgerathene Parthie, da sie weder gros noch natürlich noch gut angeordnet ist. Auf den Seen schwimmen grösere und kleinere Schiffgen herum, auf denen man fahren kann. Da das Terrein ungleich ist, so entstehen dadurch einige Anhöhen, <die mit> von denen man durch Oefnungen, die in die Bäume gehauen sind, artige Aussichten hat - Besonders schön ist der Platz, von wo aus man Villemomble ein Dorf und hinter diesen auf einer Höhe <das> Avron sieht. Auf diesen Platz brachte ich einige Stunden zu und wirklich ist die Aussicht vortrefflich. An <den Fuß> dieser Anhöhe zieht sich die zum Park gehörige Wiese hinab, bis an ein, mit 4 Thürmen niedrig gebautes gothisches Gebäude in denen Pferde u. Meuten liegen. Dann kommt Wald und hinter denen <x> mehrere Ortschaften - die gerade in der Entfernung sind, in der man noch deutlich die Anlage der <Ba> Alleen, Häuser etc. unterscheiden kann. Diese Plätze sind meistens mit Bäumen dicht besezt - Ein hölzernes breites Canapee steht darauf - Ein runder Kranz von Steinen dient dazu, das seine 4 Füße, die auf Kugeln stehen darauf herum laufen können. In der Mitte des Canappees u. des Steins ist eine <Schp> Spindel, so daß man es also, obgleich es groß u. schwer ist, doch hin drehen kann, wo man hin will, und so one auf zu stehen von ieder Aussicht profitirt. [Zeichnung] Noch eine andere Einrichtung, die sehr simpel, aber gut ausgedacht ist die kleinern Thürgen an den Zäunen, die um diese Anhöhe herum gehen, sind so eingerichtet, daß wenn man sie auch offen läst, die Hirsche u. Rehe etc die in den Wald herum sind doch nicht hinein können. Man könnte dieses überal da anbringen, wo man Verzäunungen hätte <un> In einen 4rt <x> einer Seite offen geht die Thüre in die Seite die offen ist, und steht wenn man sie aufmacht, an ieder der zwey Seiten an, so daß man in das 4rt hineintreten muß um durch zu kommen. <die> [Zeichnung] Unten an der Hundsmeute macht man ein Bad vor die Hirsche, ich lernte bey der Gelegenheit die Art wie man Bassins bevestiget. Sie hatten den Boden und die Seiten herum gepflastert in Speiß, sodann noch eine Lage Speiß |[230] darauf geworfen in den sie kleine <Stükchen> Steinchen in der Gröse einer Welschen Nuß eindrükten unmittelbar darauf kam noch eine Lage Speiß, die dan mit Kellen so oft festgedrükt und gestrichen wurde, bis es eine Masse ausmacht. diese Arbeit besonders erfordert die meiste Aufmerksamkeit und ist sehr beschwerlich, weil sich der Mann sehr dazu büken muß - es wird aber sodann auch so hart wie Stein und man kan sogar mit den Wasser kaum was herunter bringen. Der Speiß zur obersten Lage wird von gut gelöschten und recht gereinigten Kalch mit klar gestosenen Ziegeln gemacht. Dieser leztere Zusatz ist vorher à l'eau forte praeparirt - ein Verrichtung der Distillateur in Paris, um die ich mich doch näher erkundigen muß. Sie machten die Arbeit bortenweise farbig, und legten allemal ein groses Richtscheit an die Seiten, um wahrscheinlich die

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Masse für das Ausweichen zu sichern. Die allzu grose Kälte hatte in einen Theil, der schon vor einem Jahr gemacht worden war, einige Riße gesprengt - diese machte man zu indem herum aufhaute und neue Praeparation machte. |[231] Das Schloß ist nicht neu angelegt aber wohl frisch verblendet und hat einige Zusätze bekommen, wodurch es ganz modern iedoch in keinen guten Geschmak ist. Die Zimmer inwendig kennt man nicht sehr, weil die Herzogin wirklich da ist. Ungefehr 60 Schritte vor den Schloß fort stehen massive Häusergen, die aber holzfarbigt angestrichen sind, so daß man glaubt es wären Bauernhäusgen von <Steinen> unbeschälten Stämmern und Brettern gab. In diesen hat der Herzog einen Limonadier die Erlaubniß gegeben Caffee u. Eßen herzugeben. Ein <x> artiger, höflicher Mann, der bis iezt nicht zu theuer ist. In den andren Häusergen die in den Vorgrund sind, arbeiten Schreiner, Schlosser etc. lauter englische Arbeiter. Die Art Ziegel mäsig anzustreichen mit weisen Einfassungen von Stein an Thüren, Fenster und Gesimsen sieht sehr ländlich und leicht aus. Noch hat man hier und an mehreren Orten eine Art, wo man auf die Mauer Speiß aufträgt und da kleine röthl. Steine von allerhand Farben eindrükt. Die weisen Einfassungen dazu machen eine gute Wirkung. Man darf in den Wegen herum unangefragt spazieren gehen ist aber avertirt nicht heraus zu gehen, weil hier und da Fußeisen liegen, welches vielleicht nur eine unfreundschaftliche Finte ist. Ich brachte da den Nachmittag allein und sehr vergnügt zu. Wie sonderbar doch die grosen Herrn und der reiche Mann, wie wenig geniest er doch von allen denen Anlagen und Vergnügen, die ihn sein Reichthum verschaft. Da kommt ein Fremder her, legt sich in seinen englischen Garten - schläft auf der Rasenbank, vergnügt sich an der vortrefflichen Aussicht an den <auf der> weidenden Vieh, an der Kuppel iagd Hunde, die <mit> den mit <Hörnern> Waldhörnern umhängten iägern auf leichten englischen Pferden nachfolgen und durch ihr Gebelle, die Gegend ländlich u. lebhaft machen. Athmen die frische Luft ein, die durch die |[232] entfernten Blumen und die Blüthen der Bäume doppelt angenehm wird. Benuzt den Schatten der Bäume und läst sich von der Musik der Vögel einschlummern - alles das wollte der Eigenthümer geniesen, er geniest es nicht. Für diesen Fremden, den er kaum grüst, wen er ihn begegnet, für den geringeren, ärmeren, den er nicht einmal ein MittagsEßen gäbe, wen er ihn darum bäte für den er sollte er die 100000 Livre, angewendet haben, für den die besten Architecten, die geschiktesten Künstler haben kommen laßen um ihr Talent anzuwenden. Und doch ist es in Grund so. Habt immer den Ehrgeitz, zu sagen, ich habe diesen, ienen englischen Garten befriedigt auch damit. Wir mißgönnen es auch nicht, denn wir haben den Genuß daran, und danken auch nicht ein mal darum. |[233] Da ich die Mahler kannte, die hier arbeiten, so ging ich mit ihnen zurük nach Bondy, wo wir zusammen speisten und schliefen. Das Häusgen ein Bureau du Tabac gerade der Kirche gegenüber ist zwar klein und schlecht - Die Kost, wie sie hier auf den Land ist, die Gesellschaft in den Zimmer wo wir asen, Hund u. Katzen u. Bauern, aber es war iedoch angenehm, weil es uns erinnerte, daß wir auf den Land waren, gewiß eine angenehme Erinerung in dieser Jahreszeit. d. 30t Bey guter Zeit wachte ich auf, es war schönes, helles Wetter - stande auf, zog mich an - zeichnete das gegenüber stehende Kirchgen und ging etwas spaziren. Nach und nach kamen auch die andren Herrn zum Vorschein und nun gingen wir wieder nach Rainsi, wo in einer Schüssel wir aus Caffee Serviren liesen, in den wir Brod brokten. Die andern gingen an ihre Arbeit und ich machte mich auf den Weg um in den Wald und die benachbarte Ort ein bisgen herumzukommen. Ich schlug rechts eine lange, lange Allee ein, deren Ende man nicht absehen konnte, weil das Terrein uneben war. Rechts u. links war gröstentheils iunger Schlag, die Bäume aber 6 bis 7 Schritt

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von der Allee auf beiden Seiten waren stehen geblieben und formierten natürliche Bogengänge, durch die Sonne nur so viel schien <x> als man Wärme nöthig hatte um bey kühlen Morgen nicht zu frisch zu haben, one dann zu sehr beschwert zu seyn, wen die Luft erwärmt ist. Die Vögel waren in aller Munterkeit - der Morgenthau vergoldete das Gras und machte es lebhaft u. frisch - die Erwartung von noch nie gesehenen Gegenständen, der Gedanke der Entfernung von Paris mit seiner schweren Luft und interressierten Einwohnern, und hier die Natur <und> in ihrer schönsten Zeit, in ihrer schönsten Stunde alles dieses machte mir den Morgen und diesen Spaziergagn vorzüglich wohl. |[234] Nachdem ich endlich gegen einer Stunde gegangen war, sahe ich am Ende dieser Allee eine Art von Meyerei -La Maison Rouge, den Herzog von Orleans gehörig - es ist interressanter von weiten als in der Nähe ich schlug also eine Allee <rechts> links ein, die auf ein Schlösgen führt, das von weitem nicht übel aussahe. Ich bereute es nicht, den nie habe ich eine schönre Avenue gesehen als Montfermeul - den Marquis gleiches Namens zugehörig, hat. Hinter den Schloß liegt das Dorf gleichen Namens von diesen sieht man nichts - nur das Schloß füllt die Breite der Allee aus die sich darauf endigt so wie auch der Wald - Vor den Gebäude selbst erweitert sie sich sehr - rechts und links Nebenwege und dichterer Wald in denen Fußwege führen. Der breitere mittlere Weg ist grün mit Rasen, nicht gelb und sandigt und hart. Ehe man noch dahin kommt trifft man links l'isle de la Maison Rouge an, ein See auf den mehrere kleinere Inseln mit Bäumen besezt sind. Keine ganz unangenehme Parthie, da zumal man sie für natürlich hält. Das Gebäude gefällt mehr von weiten als in der Nähe, weil es nicht so einfach ist als man es glaubt - Schöne proportionen machen da alles aus, Ornamenten schaden ihn vielmehr. Auch wäre zu wünschen, daß es etwas höher läge, es würde noch einen besseren Effect machen. Ein groser Hof mit einer eisernen Quelle ist daran. Rechts und links zwey kleine Pavillons mit Kuppeln aus den ein <Hund> iagdHund, <oben daran> mit einen kleinen Genius auf sich, der das Waldhorn bläst. Weiter hinein sind dan noch Gärten Blumen, Obst etc. Das Hauptverdienst dieses Schloß aber ist offenbar die vortreffliche Avenue, die schöne Bäume rechts u. links, der dunkele, frische Wald und das lachende obgleich eingeschränkt des Bliks. Dieses Dorf ist sehr lang, es scheint wohlhabend zu seyn; eine Comtesse de Camus hat auch ein Lustschloß und ist viel da - ich kame an einen schönen Garten und mehreren grosen u, kleineren Häusern darum u. dazu gehörig. Es ist die Maison de Compagne[;] von einen Spitzen Händler[,] erfuhr ich, als ich darum fragte. Unglükliches Land, wo die armen Käufer ihren Moutards des Luxus neben ihren gewönl. Unterhalt noch Maisons de Campagnes von der Art anschafften müssen. |[235] Der Mann heist Bondant, dem dieses gehört. Da wo Montfermeul sich endigt liegt eine Art von Schloß dem Erzbischof von Paris gehörig, da sich da der Berg oder nur die <An>höhe auf der das Dorf und der Theil der Waldes liegt hinunter zieht, so hat man von diesen Haus eine vortreffliche Aussicht man sieht eine Menge Dörfer theils verstekt unter den Bäumen, theils offen in ihrer ganzen Breite da liegen, Courtry, Montsaigle - Vilvande, Le Pin etc. Man baute hier und ich sahe mit wie wenig Sorgfalt sie ihre Mauern aufführen. Unbehauene Feldsteine legen sie nur in sehr wenig Speiß übereinander, dieses überwerfen sie sodann mit <x> Kalch und Gyps und giesen dann die Glieder und die Quadratur und Gesimse daran, mahlen es dan steinfarbicht mit Pierre de refend etc. und nun glaubt der Pariser, er habe ein vortrefflich schönes Haus. den Fenster und Thüren Sturz wölbten sie nicht - ein Querholz darüber und dann wieder fortgemauert. Nicht einmal die Eksteine sind bündig und behauen alles ist Feldstein. Wie kann iezt ein solches dauern. Ich ging nun auf eine andere Seite des Waldes wieder zurük, und kam zu Eßenszeit in Park an. Das Feld var zimlich leer, obgleich die Feyertage vor der Thür wo man die Geschäfte da vorher von Hals schaft. Nur in den Weinbergen, die bey Courtry herum liegen sahe man einige Leute. Diese Weinberge sind meist bortenweis

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aufgeworfen, die Beeten sind schmal aber ziml. hart - in den Furchen steht sodann der Weinstok und auf den Beeten Saubohnen etc. Es kann seyn das hiedurch der Weinstok mehr geschüzt ist. Die Leute sind hier schon höflicher, sie grüsen einen, welches auffält, wenn man aus Paris kommt, ich glaubte mich wirklich einige mal in Deutschland |[236] und antwortete - bedanke mich mein Freund. Heerde sieht man nicht viel, und dann sind sie nicht stark, dies wundert mich, da die nähe von Paris diese Nahrungszweig sehr einträglich machen könnte, wenn man mit der Fütterung beßer umgehen könnte. Wir speisten unten <bey den x> an Dorf unter und neben den Bedienten der Herzogin und des Herzogs, der den Nachmittag ankommen war. Was war zu machen? Von ungefehr trafen wir hier einen Kutscher an, der eine Quinzette nach Paris zurük führte - dieses ist ein Cabriolet mit Sitz hinten und vornen, in der Mitte ist ein gröserer Platz um die kleineren leicht zu beschädigenden Sachen geführt werden. Wir fuhren also in Gesellschaft der Haufen Schachtel der Duchesse D'orleans etc. zurük; waren aber doch sehr froh, diesen Weg gewält zu haben, den es regnete ganz weidlich. d. 31t Speiste Mittags und Abends bey Königs. Abends gingen sie ins Concert, ich begleitete sie, ging aber sodann in die Thuelerien mit Fries u. Fleuret spazieren. Ein Architekt Msr Henry speiste Abends mit seiner Frau da, man spielte das unseelige Berlan. Mde König war artig |[237] d. 1ten Juni Nachmittags mit Fleuret bey Gambs - den Abend brachte ich bey iene¬n zu. Wir amusirten uns mit Bout rimés. d. 2t Ich war heute bey den Prinzen Gallizin und fochte mit ihnen gegen 1½ Stunde - Balletti traf ich nicht an - Wächter speiste bey ihr. Als ich nach Hause kam lies ich mir eine Pastete holen, diese mit ihren unangenehmen Geschmak und mit der Manscherey die darinnen war - das zu starke Echarchement beim Fechten - Pastille d'amandes davon ich noch viele <x> naschte - Ratafia den ich noch des Abends tranke - alles diese verursachte mir Unbehaglichkeit die sich in eine diarhé endigte. Ich war den Abend bey Ravoisé, wo ich Rousseau krank antrafe, ich besuchte ihn. Sodann bey Maiern. d. 3t Des Morgens bey Krok - Reinewald, wo ich Graf Adems antrafe - Balletti - hier bliebe ich Mittags zu Eßen - Blondell u. Schäffner - mit erstern ginge ich sodann ins Palais Royal, hier trafe ich Graf Adems wieder an - dann in die Ital. Comoedie von Monsieur. Balletti hatte uns Billets gegeben. L'impresario in angustis. Fleuret suchte ich heute zweimal auf, one ihn zu finden. d. 4t Blondell hatte mir versprochen, heute die Ecole <militaire> zu zeigen - ich ging zu ihm morgens - diese Ecole des Ponts et Chausées ist ein seit 40 Jahren erst errichtetes Institut, das den Msr Perronet, der gleichsam diesen Institut Leben und Existenz gegeben <hat>, zum <erste> Directeur hat. Iunge Leute werden hier zu Ingenieuren gebildet. Sie haben unentgeltlich Unterricht in |[238] die Mathematik und denen damit verbundenen Mechanischen Wissenschaft - als Brükenbau, Architektur in engren Verstand - Steinsschnitt - Zimmerwerkskunst - Zeichnungskunst etc. Ein eigenes Gebäude dazu in der Rue St. Lazare von Msr Henry gebaut aber one Verdienst, enthält mehre <Säle zum> Unterrichts Säle und dann einen grösern in dem verschiedene Modelle und zum Institut gehörige Biblioteck aufgestellt ist. Unter erstern sahe ich die Construction der Kegel, die zu Cherbourg versenkt wurden und die HE. César, den ich gestern mit Frau u. Tochter in

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der Comoedie sahe, erfunden hat. Ihm darf man nicht die Schuld geben, daß es nicht geraden will, denn sein Proiect ware <sie x> diese Kegel in Anfang nur 10 Toisen voneinander zu setzen und sie durch Ketten zu verbinden - Man wollte sie endlich 20-30 Toisen auseinander haben und iezt stehen sie auf 100 Toisen. Die Art, wie sie ins Waßer gesenkt werden ist artig - unten an den breiteren Boden des Kegels sind, mit Striken leere Tonnen angemacht <f> ringsherum bis an diese Strike gehen andere an denen unten Messer befestiget sind und das auf die Art, daß wenn man den Strik anzieht, u. ihn sodann schnell nachläst - das Meßer den Strik entzwey schneidet, der die Tonnen befestigt - Oben um den Kegel fast am Rand ist eine Gallerie um der beim Einlaßen ins Waßer die Ingenieure stehen. Ist nun der Kegel an seinen Platz, so <la> ziehen sie gerade auf entgegengesezten Zeiten die Waßer und die Tonnen lösen sich ab mit grose Gewalt und der Kegel sinkt tiefer, so fahren sie fort, bis alle Tonnen ledig sind, der Kegel also in Waßer steht und nun wird sein inneres ausgemauert. Ferner eine artige Maschine, die in England Existirt, wo die Wagen gehalten sind nur eine gewiße Last auf sich zu haben, um die Wagen zu schonen, dieses wäre nun zu beschwerlich, sie iedes mal zu wiegen und ihnen die Strafe abzufordern, die sie für iedes Pfund das sie zuviel haben, geben müssen. Es geht also wie eine Zugbrüke, bey einer Douane eine Brüke <üb> quer über den Weg, über die ieder Wagen fahren muß. Kommt nun der Wagen darauf und er ist zu schwer, so drükt die Brüke etwas unter sich und dies soviel in den Verhältniß als er schwer ist. Dieses Uebergewicht kann sodann |[238] auf einer Wage die <da> mit der Brüke in Verbindung steht ausgewogen werden. Mehrere Modelle von Brüken von [?] Neully - von Maximinier - Pont de Louis XVI. etc. noch andere von Holz - mehrere Modelle von Charperte von Maschinen, die das Waßer schöpfen etc. Vor einen Mechanicus ist es wirklich sehr interessant diesen Saal zu sehen. In der Mitte deßelben an der Wand steht Perronnets Büste. In dieser Schule werden auch Preise ausgetheilt. Die Preisstüke waren oben aufgehängt um auf den Samstag beurtheilt zu werden. Das Program war eine hölzerne Brüke über einen Fluß von bestimmter Breite. Es waren mehr den 40 Proiecte da, wo gewiß einige sehr gute darunter sind. Dann auch grösere und kleinere Architektonische Compositionen, Modelle von Holz von Steinschnitt etc. die Preise sind verschieden - von 200 Livre bis 60 L. die aber nicht ausgezalt werden, sondern wofür der iunge Mensch sich Bücher anschaffen kann. Ueberdies giebt ihm ieder Preis 25 degré und wen er davon 120 hat, so gehört er zu denen Sujets aus denen der König Ingenieurs und Leute wält, die bey denen Arbeiten in der Provinz angestellt werden. Dieses ist wirklich eine vortreffliche Anstalt, die vielen andern Ländern abgeht, und besonders in Teutschland selten ist - wo die Berechnungen der Kraft und Last nur in den Lehrbüchern und auf den Catheder vorgetragen aber nicht auf praktische Ausübungen angewendet wird. |[240] vakat |[241] Als ich hier wegging war ich bey Rieger, Reinewald, den ich nicht antrafe. Abends bey Ravoisé u. Meiern - wo ich speiste. d. 5t Heute morgens ging ich zu Delanoy und fing an bey ihm einen Tempel zu componiren - <Nachmittags> Mittags fochte ich mit den Prinz Gallizin u. Fleuret - Sein Fechtmeister La Bossiere mit seinen Prevot Le Prince, nach St. George der stärkste <war> da um ihn Unterricht zu geben. Die Methode der Franzosen mit Masque u. Sandalen zu fechten fällt einen Deutschen auf. Man wird hiedurch nachlässig, sein Gesicht zu schonen und embrasirt, wen man diese Garden nicht hat. - den Nachmittag fochte ich mit einen Carlsruher Händel der sich einmal bey La Bossiere presentirte um mit St. George zu fechten. Dieser sahe dan gleich, daß er nichts konnte, und sagte ihn daher - On ne represente dans und Salle ou je fais les armes, quand on sait si peu, que Vous Monsieur. Ich bliebe

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ettl. Stunden bey Harwey <um mit> weil Peterson hinkame ein munteres artiges aufgeräumtes Mädchen. Abends war Wächter bey mir. d. 6t Bey Delanoy - Riegern - Balletti und sodann zu Hause. Abends bey König, Berlan mit Henry etc. Speiste bey Pabst zu Nacht. d. 7t Wächter kam zu mir, und machte mein Portrait. Mittags gingen wir mit einander zu Balletti, wo wir zu Mittag speisten - Blondell war auch da! Nach den Eßen fuhren wir zu Munichs und dan zu Meyern wo wir zu nacht speisten. Balletti sange mir hier <die> teutsche Liederchen vor. Z.E. Ein Bach der fliest etc. Sie war ganz artig. Man hält sie für still, für todt in der Gesellschaft. |[242] und wirklich ist sie auch nicht in Stande Leben in eine Gesellschaft zu bringen und das Gespräch anzufangen und zu lenken. Dafür müssen andere fragen, dann aber nimmt sie leicht theil daran und stimmt mit in den Ton ein. Einige Worte, die sie heute sagte, gaben mir grosen Aufschluß über ihre Geschichte. d. 8t Bey Delanoy und zeichnete. Nachmittags bey mir. Abends bey Ravoisé. d. 9t Delanoy - Abends bey Ravoisé, wo ich zu Nacht speiste. Der Alte hatte einen kleinen Taps, war daher sehr gesprächig. d. 10t Ging nach Vaugirard um HE v. Salis den Dichter zu besuchen - er war einige Tage vorher bey mir gewesen, hatte mich aber nicht getroffen. Eine Compagnie des Regiments exercirte eben - Salis war im Dienst dabey - ich bewunderte die Precision und Ordnung, mit der die Leute iede Evolution machten. Ich ging sodann mit Salis in sein Haus. Er ist allerdings ein interressanter Mensch, der fein fühlt one Schwärmer zu seyn, er drükt sich gut aus und spricht mit Wärme und umfast seinen Gegenstand ganz. Ich traue ihn viel Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit und viel Sanftheit in Charakter zu. Es ist unglaublich, wie ein Mensch in seinen Verhältnißen, das heist in Militair Diensten und noch dazu in Französischen, wo unglaubliche Wechsel der Garnisonen so wenig Ruhe und Stätigkeit hervorbringt, wie ein Mensch von seinen Alter ienen feinen Takt, ienes Gefühl für alles moralisch gute und Edle so beibehalten kann. Dieses sezt<en> feste Grundsätze und eine gewiße Stärke in Charakter voraus, wodurch er dann nicht nur als Dichter, sondern auch als Mensch interressant wird - |[243] Er lase mir ein Gedicht von Mathison über das Pays de Vaux vor, das sehr schön ist. Mathison lebt in Lyon sich selbst. - Eines von Pfeffel - eine Epistel an <ihn> Salis. Er war bescheiden genug mir nicht ein Wort von seinen Versen zu sagen. Salis <studierte> war zur Zeit in Lausanne mit seinen Hofmeister, als Senkenberg da war. Gegen ½12 Uhr ging ich wieder zurük - er begleitete mich ein Stük Weges. Es muß wirklich ein vortrefflicher Mensch seyn, denn ich fühlte mich besser, als ich von ihm wegging - es wachten in mir der glükliche Seelenzustand auf, in dem ich oft war, wenn ich bey Caroline u. ihren Club war; ienes Gefühl der Würde meiner Seele, eine Achtung für mich selbst und für alles, was edel u. gut ist. Ich sahe iezt ganz ein, wie sehr ich mich in Paris verschlimmert habe, und wie nöthig meiner moralischen Existenz Bekanntschaft u. vertrauter Umgang mit Leuten ist, die besser und gescheiter sind, als ich. Ich kam an die hintere Seite der Kirche der Invaliden vorbey, dieses Monument des Ehrgeitzes und der grosen Plane Louis <I> XIV. die alten Krieger blau u. roth gekleidet, die hier herum schleichen und ieden wohltätigen Sonnenstral begierig auffangen um und sich daran vielleicht zum leztenmal

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stärken, flosen Ehrfurcht ein. Im vorbeygehen wollte ich Fleuret besuchen - er war nicht da - Gambs ist noch immer krank - bey ihm traf ich einen Deutschen Vallot von Mannheim an, der hier lebt - Astronom ist, und mit <seinen> Cassing die berühmten Reisen gemacht hat. |[244] Nachmittags war ich bey Harwey - der kleine Carlsruher Schachmeister Hünly ist immer da, ein schlechter, niedrig denkender Mensch - äuserst fatal u. eingebildet von sich - ich habe ihn deswegens ein Billet geschrieben, wodurch ich ieden Umgang aufsagte. <Abe> Salis hatte mir Schillers Verschwörungen mitgegeben - ich lase mit vielen Vergnügen. Seine Art die Geschichte zu behandeln ist vortrefflich - den Gang der Begebenheiten zu entwikeln und anschaulig darzustellen, den Charakter der handelnden Personen von Partheilichkeit für seinen Helden zu bestimmen, den Moment der Entwikelung aufzufaßen. Alles dieses versteht er vortrefflich. Sein Stil bekömmt iezt mehr Kürze, gedrängtheit und ich bewundere, wie gut er von Poetischen in historischen Stil übergegangen und wie sehr er sich diesen zu eigen gemacht hat. <A> Abends war ich bey Ravoisé, Meyers - Reinewald den ich nicht antrafe. Zingarelli hatte ich in der Rue de Bacq angetroffen, der mir Aufschlüsse über sein u. des Reinewald's Betragen mit der Balletti wegen Laporte gabe. Wie es dunkel wurde sezte ich mich in den Garten des Palais Royal, der sehr voll ware wegen den aufgehobenen Spectacles. Dieses ist der Mittelpunkt des Luxus und der Moden von der ganzen Welt. Es ist daher gewiß nicht wenig interressant da mit kalten Blut und mit einen Scharfsin seinen Gegenstand vielfach zu befaßen Bemerkungen zu machen. Diese Menge Menschen, die einzelne Individen sind so untereinander gemischt, daß man unmöglich den Stand, die DenkungsArt, das Handwerk etc. nur einigermaßen bestimmen kann. Ob dies ein Prince oder ein Commis - ein Oberster oder ein Opernsänger - ein Minister oder ein Kammerdiener ist - dies kann [bricht ab] |[245] Hier vergist der Gelehrte seine Gelehrsamkeit -der <Phi> Stoiker schaft hier sein System in Epicureismus um, der alte, abgelebte Mann vergist seine Jahre und giert wie iunge Leute um eine Schöne. Der Abbé ist hier auf seinen Platz - den Taumelplatz der kleineren Intriguen der brutalern Wollust, der Coquetterie, etc. Hier treten Mädchen mit allen Reitzen der Kunst des Kleiderputzes mit ofener Stirne und geilen, einladenen Blik hoch einher und weibliche Tugend u. Schamhaftigkeit fliehen lärmend davon. Hier fassen Beutelschneider ihren Mann ins Auge und legen den Plan seines Verderbens an. Hier erschleicht die Policey Geheimnisse durch entehr<ende>te, niedrige Horcher. Hier betrügt der Kaufmann den Käufer und giebt mit schlechter Ware für gute zugleich sein Gewissen und Ehre noch darin. Wer wollte dieses alles verschlingenden Abgrund <verschl> beschreiben one oft und vielfach seine Feder unwillig über die Gegenstände wegwerfen, die sich ihr dabieten. Die Menge der Fremden iedes Landes iedes Standes vereinen sich hier um mehr oder minder den Zwek ihrer Reise Paris kennen zu lernen, zu erfüllen. Hier sucht mancher iunge unerfahrne Fremde Vergnügen, die sein Vatterland ihm nicht giebt und findet in diesen Vergnügen Quellen der unglüklichsten, verzweifelnsten Lagen. Wie mancher Hoffnungsvolle Jüngling, Mann <wird hie> sinkt hier herab, anstatt zu steigen und benimmt den Hoffenden ihren Trost. |[246] d. 11t Dieses Fest, das gröste der Chatoliken, wird hier auch mehr gefeiert als iedes andere. Die Processionen sind sehr ansehnlich und zahlreich. Sie ziehen in ihren Kirchenwinckel umher und iedes Haus ist mit Tapeten behangen da wo sie vorbeyziehen. den Tag vorher hört man nichts als Ausklopfen der Kaiser und König und Heiligen und Thiere u. Blumen, die da mehr oder minder aber immer schlecht auf den Teppichen gemalt sind. Den Morgen dann paradiren diese Tapeten an den ersten Stokwerke und bedeken Thüren u. Fenster. Bis um 12 Uhr sieht man keinen Fiacre keine

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Voiture in den Strassen - man darf sogar nicht wohl etwas tragen - kaum aber hat die Uhr den ersten Schnurrer zu schlagen gethan, so zieht sich alle Geistlichkeit u. ihre Ceremonien zurük u. man hört wieder das Rennen der Wagen und das Geschrey der herum Träger und der Lermen ist nur desto stärker, da er auf 4 oder 5 Stunden unterbrochen wurde. Wir hatten auf heute eine Parthie in Garten des HE. v. Montigné arangirt. Ich hollte Balletti dazu ab. Hier traf ich Bordeaux an, den ich in Studtgard bey Baer hatte kennen gelernt. Der Garten ist gleich vor der Barriere auf Montmartre - er ist gros u. ansehnlich. Sein Haubtverdienst besteht in den Gebäuden, die darinnen sind, daran vielleicht zuviele für das Terrein - Sie sind alle in gothischen Geschmak - und zum Theil artig eingerichtet. Die Aussicht über Paris und den umliegenden Gegenden, die man auf diesen Berge hat, ist allerliebst: und man hat bey <x> Eintheilung der Gebäude gut davon profitirt; indem man einige sehr schöne Point de Vue menagirt hat. Die Gesellschaft war zwar sehr zusammengesezt, iedoch nicht unangenehm. Es war Mde Balletti u. Tochter Mde Meier, ihr Mann, u. Tochter - Munichs mit Kind u. Kegel - Ihr Schwager Mahler nebst Frau Liebster - Stumme Acteurs bey der Scene - Perrodin - Huber Lovet - Touret - Mettang - Bordeaux u. ich. Wir spielten - tanzten, sprangen, rasten - Munichs proponirte eines der abgeschmaktesten Spiele, wo es auf Pfänder herauskam (Je vous vend mon diadem) Wir hielten in einen der Zimmer <des> ein Piquenic - und bedienten uns dieses Gartens u. alles was darinnen war, mehr als selbst der Besitzer, der so viele 100000 Livres hier verbaut gewiß niemals gethan hat. Das merkwürdigste |[247] hier sind 6 oder 8 Landschaften von Gessner, die er selbst für Montigné gemalt hat. Ein Stük von Laurenzen, so in Kupfer gestochen. Die Marchande de Mode, so einen Brief durch einen kleinen Savoyard bekommt. - Die Skitzen von Fragonard u. noch einige andere Gemälde. Münnich hat den Gröstentheil der Arrangemens hier gemacht. Man sieht es iedoch, daß es nicht ein Architekt war. Und daß ein Theatralmaler selten glüklich in den Auszierungen ist, wen es mehr auf niedlichkeit ankomt als auf Effect des Ganzen. d. 12t Des Morgens u. Nachmittags bey Delanoy - Mittags beim Prinz Gallizin, mit dem ich haute. d. 13t Morgens bey Delanoy - Nachmittags ging ich zu Rieger - er war noch beim Eßen. Man sieht dann doch noch die Vorurtheile des Standes der Würtemb. Oberamtmann zukt noch oft hinter den Baron hervor. Er redet gar gern von denen vielen Depensen, die er macht. Als er von seinen Logis redete u. von den 1700 Livres, der er alle viertel Jahr geben muß - machte er mir das schöne Compliment, in dem er sagte: daß können Sie in Studtgard nicht begreifen - da käme kein Bettler her, der logirt hier um 1 Louisd'or (gerade mein Fall) und nun glaube es könne ieder so logiren. Er erzehlte mir das Glük, des Rasumovsky unter Elisabeth etc. Wir gingen sodann spazieren in die Champs Elisés, und da wir sehr viele Wagen ins Bois de Boulogne fahren sahen, entschloßen wir uns auch, dahin zu gehen, ich holte also seinen Wagen - Es waren unglaublich viele Equipagen daselbst, |[248] gewiß gegen 4 bis 5 Tausend - und dann die Fußgänger und Herrn und Frauen zu Pferde - alles dieses wollte den Dauphin sehen. Da man uns indeßen sagte, daß dieses erst gegen 10 Uhr vor sich gehen werde, so fuhren wir zurük. Beim Place De Louis XV stieg ich aus. Hier traf ich Voltecoff an mit dem ich ein Stük Weges ging. Er sagte mir, daß des Prinzen Hotel gegen 2 Millionen gekostet habe, der Architekt Rousseau habe sich vis à vis ein Haus gebaut, u. iederman weis es, daß es von des Prinzen Geld ist, und gewiß sind daran die besseren Materialien, die zum Hotel bestimmt waren. So weit geht die Unverschämtheit der Architekts hier. Sie schleichen sich nicht demüthig mit ihren Gewinnst fort, sondern setzen sich dem den sie ruinirt haben, noch oben

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drein auf die Nase, und machen ihn auf diese Art noch gleichsam täglich so oft er ausgeht, Vorwürfe seiner Leichtgläubigkeit. d. 14t War bey Baletti, Reinewald, die ich nicht antrafe - speiste Mittags bey Rieger. Hier sagte man mir, daß ein Herr von Stein angekommen seye. Palais Royal. Thuelerein, champs elysés |[249] d. 15t Jardin Royal - Arsenal, Bastille, Luxenbourg - St. Sulpice. St. Genevieve. Caffé francaise. |[250] d. 16t Boulevard - Thuelerien - Palais Royal - Salis - Hotel de Bourbon - Opera - C[?]. d. 17t Invaliden - Ecole militaire - Jardin de Bourbon - Chocolade Fleuri - Beauviliers - Ducquieus - Pl. de Greve - Royale Palais Royal - près de l'Hotel d'angleterre. |[251] d. 18t Bagatelle - Varieté - P[?]. d. 19t Spiegelmanufaktur - 115 - <Gobelins> - Porcelain - Reveillons Haus. |[252] d. 20t Nachmittags Voil[?] Gobelins - Nicolet - d. 21t Versailes - Galerie - Capelle - Gemälde - König - Königin - Ct. Dessain - Parce - Statuen - Donnerwetter - Trianon - Menagerie - Vauxhall |[252] d. 22t Varieté - Courtrai - d. 23t Courtrai - soupirt - Julien - Prinz von Würtemberg - fiacre royale - bruit d. 24t Au Palais royal - Courtrai - Notaire d. 25t Des Morgens um 3 Uhr ging HE v. Stein ab - ich machte mich sogleich nach Hause u. erholte mich von denen Fatiguen denen ich mich bisher unterzogen hatte. Nachmittags ging ich ins Palais Royal um die Neuigkeiten des Tags zu hören, so interressant es sonst war, in diesen Orte von der Constition, von den Vorfällen, dieselbe betreffent etc. reden zu hören, so unangenehm ist es iezt - Alles mögliche Lumpenpak zieht sich iezt hinein, Savoyarden, Taglöner, Schuster, Schneider etc. Leute, die nur <auf den Augenblik> warten, um bey einen Durcheinander zu stehlen und zu plündern. Diese mischen sich ungestraft in die Truppe die hier u. da stehen, und man darf nicht einmal Miene machen, als wenn es nicht recht wäre. Sie stützen sich auf die Rechte des Tiers état - Die Garde française, die refusirte Dienste zu thun, und ihre Casernen verlaßen hat, wird sehr applaudirt - einige die durch das Palais gingen wurden in Caffeehäuser geführt und da regalirt en Public. Da iezt auch das militaire sich auf diese Seite schlägt, so ist keine Sicherheit mehr für den Privat Mann da. Des Abends ging ich zu Ravoisé und dan zu Meyer - Heute morgens bekame ich von Hoyer Briefe.

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d. 26t Speiste Mittags mit Chaumons bey Balletti. Wir hatten eine Erklärung über Zingarelli, der so verliebt in sie ist, daß er den Kopf daüber verloren hat. Der Lermen in Palais Royal dauerte noch immer fort. <Abends war ich einen Augenblik bey Courtrai, die ich in die Varietes führte.> |[254] d. 27t Speiste Mittags beim Gesanden, Nachmittags führte ich Courtrai in die Varietaeten und ging sodann nach Hause zu schreiben. Ich schriebe an Schiller - die Unruhen u. schikte ihn Don Carlos - an Caroline u. Lotte von Salis - an meine Schwester und an Deahne zugleich schikte ich den Brief von Salis an Wieland mit. Ein anderes Paquet mit den Plan von Paris an Hoyer nach Frankfurth. Alles dieses nam Schmidt mit, der morgen früh weggeht. d. 28t Da ich Fleuret nicht antrafe, so ging ich zu Reinewald, - Wir stiegen miteinander ins Palais royal - Alexiew ein Ruße u. wir speisten bey den englischen Restaurateurs. Hier versuchte ich zum erstenmal ein Plumpudding à l'eau de vie, daß man feurig auf den Tisch bringt - es ist in Grund nichts andres als was wir auch bey uns Pudding nennen. Nachdem wir hier sehr lange getafelt u. Champagner und Malaga getrunken hatte, wurde beratschlaget in die Beaujolaus zu gehen. Diese sahe ich heute zum erstenmal, die Acteurs agiren nur hier - und hinter den Theater spielt u. singt man, es ist frappant u. der es nicht weis vermuthet es nicht einmal. Courtray kam in unsere Loge, ich ging mit ihr heraus - tracktirte sie mit Eis u. begleitete sie nun bis an ihr Haus. In den Palais royal ist der Lerm ärger als iemals. Die Feuerwerker, u. Raketen u. Schwärmer nemen kein Ende. d. 29t Ein unangenehmer, unfreundlicher Tag - ich wollte zu Delanoy gehen und da arbeiten, es war aber Feyertag, also niemand in Bureau. Ich ging von da zu Gambs zu Fleury - fochte mit den Prinzen und speiste sodann zu Hause. Den Nachmittag verschlief ich meine edle Zeit. Abends bey Ravoisé. d. 30t Des Morgens bey der Courtray, der ich einen Brief von Père éternet brachte - Sodann bey Reinewald - ich handelte von ihm das Tableau de Paris ein - Ma[?]rkow der russische Gesandschaftssecretair war bey ihn - Nachmittags bey Delaney. |[255] d. 1t Julius Des Morgens bey Reinewald, <und> Wächter, Nachmittags bey Delaney, Abends in Palais Royal. d. 2t Morgens bey Del. Mittags speiste ich bey Balletti - Abends zu Hause, ich schriebe an Müller wegen den Unruhen, und um 12 Carolin. Eustace der Comis war bey mir und brachte mir Nachricht wegen Stein. d. 3t Morgens bey Delanoy - Abends speiste bey Ravoisé. d. 4t Allaix war bey mir, ich suchte Wächtern auf, konnte ihn aber nicht finden. Nachmittags einen Brief von Saler in Strasburg - bey Meyern.

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d. 5t Ob es gleich regnete, ging ich doch nach Vaugirard Salis zu besuchen - ich traf ihn nicht an, sein Regiment war des Morgens frühe schon marschiret. Ich hielte mich bey seinen Wirth auf, um zu sehen, ob es nicht aufhören würde zu regnen - dieses war ein alter Traiteur mit Namen Trianon von der Rue St. Jacques - ich muste da die ganze Genealogie seines Hauses, seine ehemalige Praktiken etc hören. Er hat sich iezt zurükgezogen, seinen Kindern sein Handtwerk überlaßen, sich ein Landhaus in Vaugirard gekauft, und lebt da mit seiner Paucis4 - oft, fast alle Tage muß er noch nach Paris - er kann sich nicht erwehren, seinen Heerd besezt mit 20 - 30 Töpfen, seinen Vorrath, seine geschäftige Köche zu sehen, er würde nicht leben können, wenn man ihn nicht erlaubte ettl. duzend gebratene Fasanen, Poularden, Rebhüner etc. zu sehen. Es wollte nicht aufhören zu regnen, ich ging also fort; bey der Ecole militaire traf ich das Regiment an, es war eben in Begriff sich zu lagern auf den Champ de Mars. ich bliebe |[256] bey Salis den ganzen Morgen. Es freute mich sehr wie er mir sagte, er kene Caroline aus Schriften und schätze sie sehr. Ich sollte bey ihm beim Eßen bleiben, da aber die Officire zusammen speisten, so ging ich. Es that mir wohl, mich unter Deutschen zu wißen. Die Soldaten hatten sich hier herum gelagert, auf den Treppen, in die Fenster, unter die Arcaden. Hier sase eine Gruppe, die spielte, dort rauchte einer sein Pfeifgen den grosen Condé oder Turenne, die in Bildpfeilern auf der Treppe stehen, unter die Nase. Kurz es war ein Teutsches Campement. Ich ging zurük um bey Farget zu essen. Ich betrachtete auf den Weege die Schilder und überschriften der Häuser - Au noble jeu de Billard - gerade an den Ort, wo dieses Spiel am wenigstens noble ist, wo die unterste Classe des Volks, wo die gemeinsten Beutelschneider und Müsiggänger den Ort durch ihre gemeinen Ausdrüke, niederträchtige interessirte Denkungsart für ieden ehrbaren Man unzugänglich <und> machen und die Luft ansteken und vergiften. Ici on loge proprement - Wer iemals über das schlechteste Wirtshaus, das in Deutschland sich befindet, wer iemals über Malpropreté geklagt hat, der kehre da ein ou on loge proprement, und er wird sich nicht mehr beklagen. Betten, voll mit Insekten aller Art, Leintücher, die 20 mal gebügelt <seyn> one einmal gewaschen zu seyn, Zimmer die mehr Gefängnißen und Löcher als Wohnungen gleichsehen, ein Gestank darinnen, der einer feineren Nase eine Ohnmacht zuziehen könnte, ein Ängstlichkeit, eine Unruhe [?] - kurz alle Sinne werden auf das empfindlichste da beleidigt ou on loge proprement. - Ici on donne à manger proprement. Dieses ist das nämliche, nur daß man sogar alle die Unreinlichkeit, die man hier proprement giebt verschluken muß. Wenn ein Fremder, unbekannt mit den Sitten von Paris durch die Strassen geht und sich leiten läßt, durch diese Ueberschrift, der ist zu beklagen. |[257] Ueberhaubt sind diese äuserliche Kennzeichen von dem was der Mann für ein Handwerk treibt ganz eigen. Der Franzos übertreibt alles - der Schwerdfeger hat Degen vor seinen Haus stehen, von Blech gemacht, die bis in die 2t. Etage reichen - Der Handschuhmacher einen Handschuh aushängen, indeßen kleinen Finger Vögel nisten, und oft 3 bis 4 Nester darinnen freilich one sich zu stören haben; der Hutmacher stellt einen Hut aus, der mit den grösten Regenschirm wetteifert. Der Zahnarzt hat einen Zahn vor seinen Fenster, der den Modell einer Kirche mit 3 Thürmen gleichsieht. Der Büchsenmacher hat Flinten vor seinen Fenster, mit der man auf 20 Schritte seinen Hasen todschlagen kann, u.s.w. |[258] d. 6t Ich war auf der Post - die wirklich so vortrefflich eingerichtet daß <x> in dieser grosen Stadt ein Brief, der nicht recht addressirt ist, leichter auszutragen ist, als in der kleinsten Poststadt in Deutschland. Ich hatte einen schon in Monath Merz oder Februar von Rudolstadt bekommen, ich

4 Lies: Baucis.

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wuste selbst den Monat nicht - man hatte ihn in mein altes Quartier <geschikt, ich> addressirt - ich war ausgezogen - man wuste dort nicht wohin - der Brief war also zurükgeschikt worden, ich addressirte mich heute an die Post und liese mich nicht verdriesen von einen Bureau in das andere zu gehen. Man versprache mir meinen Brief wieder zu schaffen. In Palais royal trafe ich den Russen Alexiew an - auch Rieger, ich ging mit ihm auf u. ab - Oft gehe ich durchs Palais Royal um mir einen Rok zu kaufen, die man bey den Schneidern, die daselbst sind ganz fertig schon haben kann, ich untersuche dan alle Physiognomien, um den kleinsten Spizbuben unter diesen herauszusuchen, und mich nur um ein geringes bekriegen zu laßen. Unentschloßen gehe ich sodann wieder heraus, versichert von der Unmöglichkeit in dieser Classe einen halben Spizbuben zu finden, sie sind es ganz oder haben hier nicht feil. Ich machte Mittag Oeconomie mit Megrien. Wir laßen uns 1 Portion Eßen für 28 Sols holen, und haben dann beide genug davon; Abends ging ich in die Thuelerien und sezte mich hin, um die vorbeygehenden zu beobachten. Die verschiedenen Arten des Schnittes der Kleider, die gröse des Stok, der Schnallen etc. Der Gang, die Stellungen, die Art sich wichtig zu machen und mehrere Sachen sind gewiß eben so unterhaltend, als viele Bücher. Der Schnitt der Röke ist so verschieden, daß heutzu Tage die zwey Knöpfe auf den hintersten Patten fast zusammenstosen, die alten Röke haben sie noch sehr weit von einander. Der Unterschied dieser Breite gäbe einen Masstab des Luxus u. der Moden für den Schnitt ab, so wie die Differenz der Stöke, unserer Vätter u. der ietzigen Eleganz einen andern <abgäbe>. Sobald ich mich gesezt hatte, kam dann auch die Frau, die einen zwey Sols für den Stuhl abfodert. Die hatte ein Büchelgen unter den Arm, in das |[259] sie einschriebe - es waren Namen der Praenumeranten - man abonirt sich für einen Stuhl aufs ganze Jahr. Die Liste solcher Namen bey verschiedenen Promenaden wäre interessant. Man könte auf den Ton schliesen, der hier, der dort herrscht. Diese Frau ist bekant mit allen Nuancen der Gesichter u. Physiognomien - die änlichsten Nasen haben für sie ihre Unterscheidungkenn. Sie ist, was die Form, <der> den ganzen Habitum des Menschen anbelangt, der gröseste Physiognomist der existirt. Oft sitzen an schönen Sommerfeyertagen 5-6000 Menschen auf ihren Stühlen - sie geht auf und ab, um ihre 2 Sols einzunehmen und wird sich selten bekriegen, sie zweimal der nemlichen Person abzufordern, so wie auch nicht leicht einer unbezalt durchkommt - obgleich ein immerwärender Wechsel u. zu und Abgang die Sitze verändert. Lavater hätte als die besten Materialien und Documente zu seinen Physiognomik die <Frau> Stuhlverleihern aus den Thuelerien <und> die Spionen der Policey um ins innere des Herzens zu dringen aus Paris sich sollen kommen lassen. - Ich traf Blondeln an, einen von den iungen Franzosen, die ieden schönen Gesicht nachlaufen, one es zu kennen, ob es Duchesse oder Fille ist, nur um den Hang nach dieser Art Intriguen zu folgen; oft glükt es ihnen dann, und das ist es, was sie kühn macht. d. 7t Nachmittags ging ich zum Prinz Gallizin, um mit ihn das Lager zu besehen. Dieses ist in Champs de Mars - die Grillen die dahin gehen sind verschloßen und mit Wache besezt um den neugierigen Pöbel von Paris, der noch nie ein Lager gesehen hat, abzuhalten. Man läst nur die hinein, die Bekanntschaften darinnen <haben> und iemand zu sprechen haben. Die Schildwachen werden iedoch kaum |[260] Meister so unverschämt ist der Pariser, bey der geringsten Eröffnung der Gitter dringen sie hienein. Die Schweitzer aber, die das nicht gewönt seyn und den Franzosen nicht schonen, theilen mit starker Faust u. Kolben Stöse links rechts u. links aus worüber die Pariser staunen. Viele namen einen Etat militaire vor sich, ehe sie hingingen, suchten sich einen Namen unter den Officiers aus, u. verlangten den zu sprechen. Oft trafe es sich, daß sie den nemlichen Officier antrafen, zu wem wollen sie? Zu dem und dem, den ich kenne, der mein Anverwandter,

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mein Freund ist. - ich bin es selbst. - Ein anderer hatte einen Etat militair von 1780 und <fragte x wollte> hatte sehr nötig mit einen Officier zu sprechen, der 4 Jahre nicht mehr in Leben war. Bis iezt liegen nur die Schweitzerregimenter Chateaux-vieux (87) Dies Diesbach (78) und Salis Samate da - Royal Allemand besezt die Höhen um das Lager herum. Ein Detachement Husaren von Bergeny und Esterhazy liest in der Ecole militair. Wir gingen mit Salis auf u. ab, sezten uns in sein Zelt, rauchten Tabak u. waren ganz militair. d. 8t Arbeitete den ganzen Tag an den Tempel bey Rom dorischen Ordnung - Mittags ging ich zum Prinzen zur Zeit der Fechtstunde. Die Husaren haben mit der Garde française in Versailles Händel bekomen. Es sind einige dabey geblieben. Es ist unglüklich, wenn Zwistigkeiten von der Art unter den Deutschen u. Französischen Regimentern entstehen. Es kann von folgen. In Versailles dringt überhaupt die Versammlung sehr darauf diese fremden Regimenter wegzuschaffen. Sie sehen sie imer furchtsam von der Seite an. |[261] d. 9t War wegen ein Erfurter Namens Tyrok bey einen Kaufmann konnte ihn aber nicht antreffen - Abends mit <Salis> Gallizin in Lager - Salis hatte Zahnwehe. Als wir nach Hause kamen, rauchten wir noch zusammen, der Prinz wollte es auch versuchen, muste sich aber sodann sehr übergeben. Die Unruhen dauern noch immer fort. Man ist äuserst erbittert auf die fremden Truppen und besonders die Husaren. Zwey von ihren Officieren, die durchs Palais royal heute Abends gingen wurden insultirt, verfolgt, man schrie tuez les Housards, und sie hatten alle mögliche Mühe sich zu retten. d. 10t ich war eben an Zeichnen, als ein Mensch hereintrat, der sich ausgab von Vergeburg zu kommen. Es war Toscani, Cadett beym Regiment Würtemberg, <und H> mit ihm war Hiller gekommen. Er hatte seinen Abschied daselbst und geht iezt zurük um die Frl. von Bernárdin zu heirathen. Dieser hatte ienen angetroffen in l'orient, von Frankenberger erstanden, one Geld, ganz verlaßen; ob er nun gleich auch nicht mehr hatte als zu seiner Reise nach Studtgard hinlangte. so name er ihn doch mit sich, weil Toscani ihm versprach alles in Paris sogleich wieder zu remboussiren. Indessen fande es sich nicht also, und die zwey iungen Leute sind hier one Geld one Freunde, one alles. Sie brachten mir gute Nachricht von meinen Bruder, der zu der Zeit <den Ta> zu Ende Februars, den Tod meiner Mutter noch nicht gewust hatte. |[262] d. 11t Ich suchte Hillern aus seinen Wirtshaus herauszubringen, schaffte in in Hotel d'Auvergne ein kleines Zimmerchen und name ihn zu mir, theils um seine Menage auf die Oekonomischste Art einzurichten, theils um ihn für die Unanemlichkeit zu hüten, deren man in Paris als ganz Fremder ausgesezt ist. Indessen bekame er von der Post auch seinen Mantelsak - das Geld von Toscani bliebe iedoch aus. d. 12t Prinz Gallizin u. Fleuret holten mich heute morgen früh ab um nach Charenton zu gehen; ein sehr schöner Weg an Fluß, von wo aus man rechts hin keine weiten, aber sehr schöne, ländliche Gegenden hat. Charenton selbst liegt an Waßer ganz allerliebst. Die Luft ist hier gesund und heiter. Wir trafen da an u. gingen hauptsächl. zu Naumann einen Preusen zu Mögler einen Mainzer - die hier <Pferds> in der Ecole veterinaire studieren. Ferner war noch da ein Däne, ein artiger, feiner Mann. Weport, der über die Art die Luft zu messen, den Flugsand zu dämpfen etc. geschrieben u.

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Preise bekommen hat. Noch zwei Abbés u. wir gingen von da nach St. Chaur. wo eben das Fest ware. Die meisten Dörfer dahin zu liegen sehr schön, besonders aber dieses - Wir besahen ein Schloß daselbst, das den Herzog von Bourbon gehört mit einen Garten. Die innere Einrichtung ist alt, aber daher auch gros nicht in den kleinen ausgeekten Geschmak. Es ist noch meublirt aber sehr altvätterisch - Was für Sophas - Betten, Stühle, wie plump u. schwer, <sollten sie wohl nicht in> gegen unsere magere, nette u. niedliche leichte Stülchen, sollte nicht <diese x einfliesen> unser Ameublemnt mit Sitten u. daher unserer Denkungsart in Ver<x>hältniß stehen. Sonst fest, stark, massiv, unerschütterlich dauerhaft, iezt schwach, fein, polirt, kaum dienlich zu Diensten, zerbrechlich. Wie die Stühle von 16t <gegen> u. 17t gegen das von 18t Jahrhundert. |[263] Wir hielten uns sodann in den Garten auf, der nichts besonderes ist - spielten au petit Balet, fochten, sprangen und vermehrten unsern appetit so sehr, daß wir kaum die Zeit mehr erwarten konnten. Unglüklicherweise aber hatten wir unsere Bestellung in einen Wirtshaus gemacht, wo alles untereinander war, zur grösten Noth konnten wir ein Zimmerchen für uns bekommen. Der entsezliche Gestank aber, der darinnen herrschte, der unangenehme Anblik von 3 oder 4 schmutzigen, ekelhaften Betten voll von Ungeziefer und Schweinereien one Ausdruk, die schreklichen Gesichter und Hände der Aufwärter, alles dieses war nicht einladend. Wir konnten es nicht aushalten und sezten uns lieber in freyen. Nach diesen invitirte man uns den Tanz in Schloß zu sehen. Wir gingen hin, das Bild unser Kirmeß Tänze, um grose Linden herum, mit den Musikanten des Dorfs, den frischen, iungen Mädchens, den starken rüstigen Kerls, die iene mit Verve herumschwingen, die Jubel und frohen Töne aus gesunden Kehlen, die grosen Kanen mit Wein u. Bier, denen die alten zum Tanz untüchtig zusprechen und heitere laute Gespräche und kräftiges Händeklopfen auf die Tische, das die Gläser tanzen, alles dieses glaubten wir zu sehen. Wie sehr wurden wir getäuscht. In einen kleinen Vestibule sase ein alter Kerl auf einen Tisch mit einen erbärmlichen <Musi> Violin, und spielte da die traurigen französischen Tänze auf, die regelmäsig, nicht Freude erwekend sind. Höchstens waren 4 Paare da, die andren sasen in <Puz> städtischen Putz mit gestekten Hauben herum, kein einziges schönes Gesicht; ernsthafte Physiognomie, grotesque Steifigkeit u. Entrechats - <nichts> troken one einige Erfrischungen war der Tanz, die Gesellschaft |[264] Es Ennuyirte uns und wir gingen nach Vincennes - durch den Wald, ein schöner Weg, das Schloß von Vincennes, das ehedem zu Gefängnißen diente hat ganz den Charackter davon. In den Hof war auch Tanz; Hier waren meist Honoratiores aus den umliegenden Gegend, der Tanz war nur durch mehr Coquetterie animirter. Wir tranken Caffee, wobey ein kleiner Streit vorfiele mit Fleuret, der mit seinen Prinzen zu ängstlich umgeht u. zu sehr vor ihn besorgt ist. Iezt gingen wir nach Haus, als wir schon in der Barriere waren erfuhren wir, daß in Paris ein groser Aufruhr ausgebrochen seye. Ich begab micht demnach sogleich nach Hause. Unterwegens begegneten mir schon Bürger mit Gewehren u. Säbel, und schlugen die Läden der Epiciers ein um Fakeln daraus zu nemen. Wirklich war auch der Lerm allgemein - die Unruhen waren entstanden durch Anrükung des Regiments Royal allemand mit den Prinzen Lambek an der Spitze, um die Gardes française zum Gehorsam zu bringen, plözlich rükte es an in die Champs Elysées - einige Garden, die da waren retirirten sich in die Thuelerien - den Prinz Lambek bekam einen Wurf an Kopf - er sahe den Thäter, verfolgte ihn, und gab ihn bey der Pont tournant einen Hieb in Kopf - <In den x> und ritte sodann mit den Regiment in die Thuelerien herum - Hier waren eine grose Menge Spaziergänger wie es Sonntags bey schönen Wetter gewönlich ist. Die Damens kamen in die grose Furcht, alles suchte sich zu flüchten und brachte dadurch einen unbeschreiblichen Allarm in die Stadt. Die Bürger kurz alles was aufgelegt Waffen zu tragen, griff dazu. Auf den Rathaus wurden

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eine Menge Flinten ausgetheilt. <Wer keine> Wo man nur Waffen wuste, die wurden weggenommen. Die Läden der Fourbisseurs forcirt und alles Vorrath herausgerißen. Das Gardemeuble bestürmt und die alten Flinten u. Säbel musten hervor - die Garde française vertheilte sich unter diese ungezämte Truppen -in allen Strassen hört man Waffengetümmel - die Sturmgloken wurden geläutet die Leute, die nicht mitmachen wollten, forcirt, die Waffen zu ergreifen und mitzuziehen. Es war wirklich gefärlich, nicht sowohl wegen den Feind, gegen den man zoge, als wegen der Unge- |[265] schiklichkeit der Bewafneten, die ungeübt Waffen zu tragen sich selbst oft mit verwundeten; blose Säbels, Gewehre mit Bajonets, Pistolen, Helebarden, lange Stöke mit Meßer, Sensen etc oben daran, wurden so nachlässig auf den Achseln getragen, so mit herum flanquirt, daß man nicht sicher, wenn man auf den Strassen ging auch wenn man ihnen folgte, verwundet zu werden. Ich habe selbst gesehen, daß einer, der seinen alten Säbel auf der Schulter gerade liegen hatte, einen andern der hinter ihn stande, als er <zurük wollte, und> schnell zurüktrat den Degen in Hals hineinsties, daß er plözlich todt zur Erde niedersank. Dieser Lerm dauerte die ganze Nacht fort. d. 13t Vor Paris und seine Inwohner ware dieser Morgen der gefärlichste; indem die grose Anzahl von schlechten Gesindel, die in der Stadt war und nichts zu verlieren hatte, in Waffen war, one Ordnung hin und her <und> zog und viel Unfug verführte sie schossen und schrien u. Insultirten, wem sie begegneten. Ein Kerl schlug gerade auf unser Haus, ich lag am Fenster, er drükte los und der Pfropf fuhr mit unter die Nase. Gegen 13000 Mann hatte man ettl. vorher Beschäftigung in der Vorstadt Montmartre gegeben, diese fielen über das grose und reiche Kloster St. Lazare her, stekten es in Brand, raubten das Getreide heraus, fielen in Keller ein, und betranken sich da so voll, daß viele bey den Feuer liegen blieben und da verbrateten. Zugleich stürmten sie auf die Barrieren ein, rissen sie zusammen und verbrannten |[266] sie aus den Grund, und iagten die Commis fort. Wo sie Wein wusten, fielen sie ein, die Schiffe, die mit Faßer voll davon am Ufer lagen wurden rein ausgeplündert. Die auf den Strassen wandelten, wurden mit fortgerissen, man konnte nicht wiederstehen und muste nur eine Gelegenheit ersehen, um wieder durchzukommen. Viele Fremde und einheimische wollten sich retten - keine Equipagen aber wurde hinausgelassen. Es liesen sich zwar hier u. da Dragoner, Husaren u. Schweitzer sehen - man sahe aber ein, daß nichts aus zu richten, und sie zogen sich daher zurük. Iezt fing man auch an Cocarden zu tragen - in Anfang grün, da man aber darauf kam, daß das der Graf Artois Livree, so veränderte man sie in blau u. roth u. weis. Wer keine Cocarde trug wurde arretirt, heute ware es auch daß man in das Gardemeuble einfiel. Diese Unordnung wurden endlich so stark, die Furcht, daß der König Truppen würde anrüken laßen, vermehrte sich so sehr, daß die Bürger durch die Sturmgloke, die zwar immer geläutet wurde, in ihre verschiedene Kirchspiele versammlet <wurden> und eine Bürgermilitz aufgestellt wurde. Man consigirte demnach die vorschiedenen Einwohner der Häuser, stellte Hauptmannschaften, Corporalschaften auf, und nun sahe man ordentliche Bürgerpatrouillen unordentlich genug durcheinander, doch <x> ware man iezt sicherer für das Lumpengesindel. Alle alten Waffen wurden hervorgesucht; dieser hatte nur einen Ladstok, iener eine Degenklinge one Gefäß, iener einen Morgenstern, wieder ein anderer einen krumgezogenen Büchsenlauf. Flinten one besonderer Einrichtung, <Pistolen> alte Räuberspistolen von ungeheurer Länge - Gewehre one Schlösser, Schäffte one Läufe, Läufe one Schäffte, alles galt, wenn es nur |[267] zu<m> einer Waffe iemals gehört hat. Die Verschiedenheit der Waffen, die man sahe, wenn man in den Strassen herum

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ging übertrifft alles, was man iemals in Zeughäusern gesehen hat - es war ein Herumgehendes Waffencabinet. d. 14t Die Nacht ward unruhig, das muthwillige Schiesen das Lermen, das Läuten der Sturmgloke, wenn es einem einfiel, der falsche Alarm für fremde Truppen, alles dieses vermehrte die Unordnungen. Man drohte einige Hotels anzusteken, man ward erbittert gegen den Prinz Lambek, gegen einige andere Grosen. Der Kaiserl. Gesandte bekam Wache vor das Haus, niemand kame herein oder heraus one visitirt zu werden - ieder Wagen, ieder Karren, ieder Kourier wurde angehalten, ausgesucht, seine Briefschaften erbrochen, dieses geschahe auch auf der Post. Iezt suchte man sich in allen Fällen sicher zu stellen, <holte> suchte Canonen <zu> hervor, fiel in die Invaliden ein u. namen da das Geschütz weg, kamen endlich auch auf den Gedanken sich der Bastille zu bemächtigen, und die Canonen heraus zu führen. <Wer> Dieses war ein Unternehmen, das nur in den Gehirn eines Franzosen entstehen konte - Bisher hatte man immer geglaubt, daß dieses eines der festesten unzugänglichsten Forts seye, und nur durch unaufhörliches Bombardement könnte eingenommen werden. Der Karackter den es hatte, war schon hinreichend diese Ideen zu bekräftigen; allein gewönt |[268] nirgends Wiederstand zu finden, auch in der Hofnung daß die darinnen lägen, ihre Parthie ergreifen würden rükte one alle Ordnung, one allen Plan ein Trupp bewafneter Bürger heran. Der Gouverneur Msr de Launay - stekte die weise Fahne auf, liese aber doch einige Kanonenschüsse <thun, die aber> mit gehakten Bley thun, die aber keiner Schaden waren, da die Leute zunahe schon waren unter den Kanonen. In der Bastille lagen die Invaliden die schosen mit Flinten aus den Löchern, doch thate auch dieses nicht viel Schaden, ungefehr 50 Mann fielen. Man arbeitete unter deßen, um die Zugbrüken herunter zu bringen, legte Feuer an unter die Bäumen die sie aufhielten und so kame man endlich hinein Als sie einmal darinnen waren, hatten sie weiter keinen Wiederstand zu fürchten, den es lagen nun ungefehr 50 Mann Invaliden darinnen, und ettl. 30 Schweitzer von Salis Samate. Iezt fielen sie auf den Gouverneur ein, einer von der Garde française packte ihn zuerst - er wurde sogleich von den Volk mit einen Orden behangen. Sie führten ihn nebst <den> noch einen Vorgesezten der Bastille, den Inspecteur über Pulver und Salpeter, einige Invaliden, die Feuer gegeben hatten, den Guichetier in Triumph auf den Place de Greve - hier kamen sie schon zum Theil halb tod an - Man hängte sie da follends oder schluge ihnen die Köpfe herunter, der nächste beste, der einen Säbel verrichtete dieses auf den Pflaster one alle Umstände. Zugleich hatten sie einen Brief von den Prevot der Marchands entdekt, den er nach Versailles schiken wollte, um den König zu benachrichtigen, daß der Aufruhr in Paris allgemein seye, die Bürger auch schon zum Theil bewafnet wären, er wolle in deßen die übrigen von ihm gefoderten Waffen so lange zurükbehalten, und die Bürger so lange aufhalten, |[269] bis der König Truppen geschikt habe, oder sonst Anstalten geschaft wären, die Unruhen zu dämpfen. Dieser Msr de Flaissel wurde also geholt nebst seinen Sohn, aufs Rathaus geführt, er muste selber seinen Brief vorlesen - als er geendigt schoss ihn ein iunger Mensch mit einer Pistole an den Hals - er lebte noch u. wehrte sich mit Verzweifelung - es war eine wahre Hetze die man mit ihm hielte man <führte> risse ihn die Treppen herunter, sein Sohn folgte ihm. Warfe ihn aufs Stroh, er <x> stisse noch mit der Hand das Stroh hinweg - Ein anderer hiebe ihn den Kopf herunter. Dieser und der Gouverneur Kopf wurden auf Stangen gestekt und so mit Trommel und der Bürgerwacht in einen theil der Stadt herumgetragen. Ich begegnete diesen Zug in der Strasse wo Heinrich der IV ermordet wurde noch niemals habe ich eine solche schrekliche Empfindung gehabt; die durch das Freudengeschrey, durch das applaudiren, durch die Unzügellosigkeit noch verstärkt wurden. Mit Entsezen sahe ich den Kopf auf der Stange, mit noch gröseren Entsetzen, um ihn, neben ihn, über

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ihn ein allgemeines Händeklatschen - Damens <legten> hatten alle Fenster besezt, sie lagen halb heraus um den schreklichen Auftritt, durch ihre schreklich frohlokend Theilname noch fürchterlicher - Ah, quelle grimace qu'il fait, le vilain, riefe ein gut gekleidetes Frauenzimmer neben mir und lachte dabey hoch auf. Es war empörend für die |[270] Menschheit und noch nie <habe ich> sind mir fröhliche Gesichter so schreklich vorgekommen, als dieses mal. Das Volk, das sonst so sanft, so gut, so fein ist, zeigte sich hier als das grausamste, unmenschlichste, uncivilisirste Volk - das Geschlecht mit den feineren Nerven, für Empfindungen u. feinere Empfindung geschaffen, so oft so liebenswürdig, so edel, so tändelnd, zeigte sich hier in einen fürchterlichen Bilde. Man <x> schenkt mitleidig eine Träne dem Mörder, dem Räuber, der aus den Schranken der Menschheit trat um seine Habsucht grausam zu befriedigen, wen er auf den Rade liegt, wendet das Gesicht ab, und betet für seine Seele, und hier hohnlacht man über einen Unglücklichen, der die Befehle seines Herrn ausrichtet, u. ein Opfer seines Gehorsams wurde. Von diesen Augenblik an sehe ich heller in den Charackter der Franzosen - ich sehe den Pariser, one Charackter, nur den., den der Moment giebt, den Gesellschaftliche Verbindungen erzwingt nur den der nöthig ist, um eine Aussenseite zu haben; ich sehe wie nöthig es ist, daß er immer unter einen eisernen Szepter gefürt wird; er kan nicht frey seyn, den er ist grausam und ungerecht, one Festigkeit, one Grundsätze <x> gewont geleitet u. gegängelt zu werden. Zügellosigkeit, hält er für Freiheit, für Patriotismus. Er ruft Vive la nation, le Tiers etat und dieses ist alles was er fürs Vatterland thut - und wer nicht mitruft, den schlägt er auf den Kopf. Und diese Nation will sich frey machen, <in den Aug> u. fühlt sich frey in den Augenblik wo sie die gröste Tyraney ausübt, wo nur eine Meinung die herrschende seyn darf und iede andere schreklich gerächt wird. Nein, gewiß in den Augenblik ist er <x> nicht fähig der Freiheit, der der Engländer, der Schweitzer der Amerikaner geniest. Bis die Ideen aus seinen Kopfe sind, daß in Befolgung der Gesetze <die> Sclaverey ist, das <man> er einen Charackter feste Grundsätze hat, vergehen vielleicht Jahrhunderte. |[271] Die <Ba> Einname der Bastille wir gewiß in Europa Lermen verursachen und man wird den Franzosen dieses zur Ehre anrechnen und als einen grosen Beweis ihres Muts. Wenn man aber weis, daß sie dieses thaten um nur die Canonen daraus zu haben, um nur Gewaltätigkeit auszuüben, wenn man weis, daß der Plan, die Gefangenen zu befreyen, dieses Gebäude zu demoliren erst nachher entstande, und also auf <ihn> sie bey der Einname nicht wirken konte, so fällt dieses Lob weg. Da die Unruhen so stark sind, daß man nicht fähig ist, mit kalten Blut und in der Ordnung sich hinzusetzen u. zu schreiben, da onedem HE v. Hiller bey mir ist, und mich immer unterhält so bleibt eine Lüke in den Journal, den Datums nach, nicht des Inhalts ich werde hier nur die Anecktoden, die ich hier u. da erfuhre aufzeichnen. Der Vice Nonce L'abbé [Lücke] fuhr bey diesen Unruhen aus, das Volk arretirte ihn, führte ihn aufs Hotel de Ville die Herrn baten ihn um Verzeihung, er bate, daß man ihn wenigstens sicher nach Hause schaffen möchte, man erklärte ihn, daß man alles thun wolle, wirklich aber nicht ganz Meister seye, man stehe für nichts - Wie muste es nicht diesen Manne zu muthe seyn. Die Kupfer, <den> und gezeichnete Satiren, die iezt heraus kommen sind sowohl in Absicht der Idee als in Absicht der Ausführung sehr schlecht und mittelmäsig, äuserst indecent und nicht ein Funken von den Geist und der Hogartischen Ironie mit der die Engländer bey solcher Gelegenheit <die> zeichnen. Das beste ist der Gedanke, der aber erbärmlich ausgeführt ist. Frankreich steht |[272] ganz blos da. Neker <x> daneben - er läst ihm das Maas von einem Schneider du Tiers nehmen - |[273] vakat

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|[274] d. 5t Sept. 1789 Einer von denen Tagen, die eine unangenehme Lüke in unseren Leben laßen. R. mit dem ich iezt lebe war von einem sehr üblen Humor und verursachte mir dadurch einige unangenehme Stunden, die mich hinrissen über mein Schiksaal zu denken, daß wirklich traurig ist. Was bin ich - Was kann ich - Was für Aussichten habe ich. Diese 3 Fragen, wenn ich sie nach Gewißen behandeln soll, sind nicht zu meinen Vortheil. Um diesen Abend (d. 3t nicht auch mich mißzustimmen, will ich die Ueberlegungen nicht wiederholen - In dieser Mißstimmung kommt dann noch daß meine Wechsel ausbleiben, und daß ich viele Ehren Ausgabe habe, die mich drüken. d. 6t Bey Reinewald - den Nachmittag bliebe ich zu Hause, ich fing an den Geisterseher von Schiller zu übersetzen und werde mich überhaupt in der französischen Sprache alle Mühe geben, damit ich doch einigen Nutzen von meinen Reisen ziehe. Es kam mir ein Brief unter die Hände Lettre de Mademoiselle de Tourville à Me la Ctesse de Lenoncourt - Paris chez Barrois l'ainé 1788. Es interressirte mich, ich weis es selbst nicht warum, wahrscheinl. kam es daher, weil ich einige Änlichkeit in der Verfassern der Briefe mit meiner Caroline fande. Ich sahe gestern den Cheval. d'Ossun Verfaßer des schönen Werks über die Türkey - aber nur von weiten. - ein kurzer diker Man, mit sonderbarer Frisur - eine vortreffliche Schilderung eines berümten Schriftstellers. Schriebe an Treuttel wegen den Paket nach Strasburg der Brief kommt morgen fort. |[275] d. 7t Les Diners de M. Guillaume - Le Philosophe à la mode und mehrere solcher Brochuren, die ich lase, beziehen sich auf die Wißenschaften, mit denen man iezt tändelt - Magnetisme - Chymie, -Physic etc. und verschwinden eben sobald als der Geschmak an diese Mode Beschäftigung. d. 8t Die Königin giebt heute ein Diné wegen der Sardinischen Ambasadricen, die sich hat presentiren laßen. Rieger war auch dazu gebeten. Der Marechal de Talera premier Mtre d'Hotel und die Prcesse de Guiche machten die Honneurs. Die Königin ist nicht an der Tafel zugegen. Bey den Ambasadricen von ihrer Familie erscheint sie beym Desert. Mittags war ich bey Ravoisé - ich sezte mich mit hin an Tisch, und speiste mit - Allaix kam nach den Eßen mit mir - Abends in Palais royal, wo das Fete in Cirque gegeben wurde. Briefe von Lotte. d. 9t R. war bey Mde. Sulivan gewesen, diese hatte mit ihm wegen der Affaire von Hiller geredet. Er suchte mich auszuhorchen, und ich auszuweichen. Er war so indiscret darauf zu bestehen und nötigte mich roth zu werden. Sagte daneben noch die beleidigsten Sachen von Gesellschaften, die ich wälte, redete von Lügen etc. So daß ich fühlte, wie unangenehm es ist sich abhängig von iemand zu machen. Humeur ist ieden zu vergeben, besonders einen Mann von seinen Alter und Erfahrung, aber Härte, unhöfl. Ausdrüke, da wo man nicht dazu gereizt wird, sondern sie blos sagt, weil man Superiorité fühlt, ist unedel und unfreundschaftl. da es besonders in einer Sache war, die ich unternommen hatte, um ihn zu schonen, dieses machte mich auf den ganzen Tag so mißgestimmt, daß ich auf Gedanken geriethe, die man nur in der grösten Verzweifelung haben kann, ich war es aber auch über mein Schicksal. |[276] d. 10t Obgleich R. behauptet hatte, daß Balletti <x> Gesellschaftl. wäre, die einem Ehre machte, so speiste ich doch heute bey ihr, und befand mich in ihrer Gesellschaft ganz wohl. Wächter, Blondell u. ein Italiener waren da, B. hatte Briefe von Stgrd. bekommen, wo man ihr das Unglük von Pfaff mit der Ostenberger u. das Pasquill von Fischer meldet.

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d. 11t Ich lese wirklich an einer Sammlung Pieces interressantes et peu Connues pour servir à l'histoire etc. par M. D. L. P. Nouv. Edit. A Bruxelles - 1789. Es kommt unter andern darinnen Lettre à M. le Marq. de D. contenant L'Extrait d'un Livre intime Récit veritable de la naissance de Messeigneurs et Dames les Enfant de France (de Henri IV de Marie de Medicis avec les parlientarites qui y ont été et pouvent etre remarquable par Louise Bourgier dit Boursier Sage femme de la Reine. - enthält rührende Beweise der Zärtlichkeit und des guten Herzens Heinrich des IV. - <d. 12t.> Es war äuserst schlechtes Wetter, ich bliebe deswegens den ganzen Tag zu Hause und schriebe des Abends an Beulwitzen. d. 12t Bey Reinewald, er speiste Mittags mit uns. d. 13t Cheval. Deroche war Mittags beim Eßen. R. hatte eine Loge von der Fr. von Trenonai für die Fr. v. Königsec und ihre Töchter ich holte sie in Wagen ab und begleitete sie hin. Seye es, daß mich mein übeler Humor, den ich seit einigen Tagen habe, oder sonst eine Ursache, kurz ich divertirte mich nicht - Iphigenie en Tauride kam mir uninterressant vor - Musik von Gluk, Stimme, Decoration nichts wirkte auf mich, auch das Ballet - La rosiere von Gardel, schien mir abgeschmackt. Wie sehr hängt doch der Eindruk, den die Gegenstände auf uns machen von unserer Augenbliklichen Stimmung ab. Bekam Briefe von Treuttel aus Strasburg. |[277] d. 14t Die unangenehme Lage, in der ich mich befinde, hindert mich ganz und gar zu arbeiten - noch nie erinnere ich mich solche verdriesliche Tage gelebt zu haben. Ich trieb mich auch heute unstät und flüchtig herum. Uxküll schikte mir einen grosen Brief an Grancourt. d. 15t Heute holte ich endlich bey Mr. Onfroy Libr. rue St. Victor das Paquet ab, das Müller an Treuttel in Strasburg und dieser an den Buchhändler in Paris d. 18t. vorigen Monats abgesand hatte -. Ich bezalte den Porto von Studtgard bis Strasburg <Paris 3 L. 10 S. und von> 3 L. 12 S. und von da nach Paris 2 L. 10 S. zusammen 6 L. 2 S. dazu noch 11 S. für den Brief den Treuttel empfangen hatte. Von da ging ich zu Harwey - Rue des Postes - die ein Quartier hat, von dem man eine göttl. Aussicht geniest. Abends mit R. in den Ambigu Comique - die Piecen, die man gabe, waren Le Filete ein äuserst indecentes, unmoralisches Stük - Le souflet, Le Nègre, comme il n'y a pas de blanc. Stüke -Acteurs, Musik alles ist schlecht, und amusirt nicht - die Ballets und Divertissements, die mit untergemischt werden, sind noch das erträglichste. Ich beschäftigte mich heute Abends mit Eröfnung des Paquets, und fande darinnen: 3 Exemplare von Mullers Werk der Tactic - französisch davon eines an den HE v. Keralio

gehört. Schillers Anthologie - 54 Ss. - - Don Karlos - 40 - - Thalia 5. 6. 7. - 3 - - Verschwörung des Fiesko - 48 - Geschichte der Rebellion - 1 - 20. - Kabale u. Liebe - 20 - Abfall der Niederlande - 1 - 10. ---------------

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8 - 12 Ss. das Einpaken - 40 Ss. das Porto - 2 #. 48 - Müllers Tactique 11 - 40 Ss. = 25 L. 9 S. à 15 - 5 - 40 L - 14 S [am Rande: für den Prinzen von Gallizin] |[278] Ferner an Briefen: 1 Brief von Senkenberg u. seiner Frau vom 25t Apr. 1789. 1 - von HE. v. Biber - Oberhofmeister - one Datum. 1 - von Deahne - 6t Merz 1789. 1 von meiner Schwester - one dato - 1 ditto - von 13 April - 89. 1 ditto - von 16t Juli - 89. 1 von meinen Bruder auf den Cap Nro 1 d. 2t May 1788. 1 ditto an meine Mutter von neml. dato - 1 ditto an mich Nro IV - von 10t Febr. 1789. 1 ditto an meine Mutter - von 26t Jan. - 89. 1 ditto an mich Nro <IV.> III. von 27t Oct. - 1788. 1 ditto an meine Schwester - von 25t Oct. - 1788. 1 kleinen Plan von einen Haus. 1 Kistgen chinesischen Tusch[e] - 1 Brief an H. v. Keralio - 1 Brief von meinen Bruder Nro V von *** d. 16t Capt. Viersieu und Chev. du Roche waren bey uns zum Eßen. Abends bey Nicolet. Ein stinkendes, unangenehmeres Theater, <wo> eine hölzerne Bude eigentlich nur mit unseglichen Schlupfwinkeln, so daß wenn einmal ein Feuer entsteht, die gröste Unordnung und das gröste Unglük zu befürchten ist. Die Stüke waren - Le Prejugé de la naissance. Gusman d'Alfarache. Le Politique et l'homme franc. Polichinet protegé par l'amour et la fortune. d. 17t Ich zeichnete des Morgens, lase Schillers Geistergeschichte; Nachmittags besuchte mich Delanoy - ich fuhr mit R. aus, er ging in Cirque, ich ging spazieren in die Gallerien mit einen Russen. Von da aus waren wir noch in den Magazin von Syks - Wir trafen daselbst eine sehr schöne Person an, ihre Equipage, elegant und prächtig hielte unten. R. kannte sie, ihr Name ist Smits, sie soll vor einigen Jahren noch unendlich schöner gewesen, diese ist es von der |[279] man sagt der Graf Sarti, Sohn des Ministers habe endlich eine Nacht von ihr erhalten um 30000 Livres - Er kam, überreichte sein geltendes Creditiv, seine Begierden waren auf's äuserste gespannt, der Augenblik nahte, wo sie sollten befriedigt werden, er hatte ihn theuer erkauft, schon löste sich der Gürtel, er fällt und Sarti -fühlt sich unmächtig die Frucht seiner Bemühungen, den gewünschten, mit grosen Aufopferungen erzwungenen Augenblik zu geniesen. Das Mädchen wendet alle Künste, alle Talente ihres Standes an - umsonst - Sarti <steht> liegt erstarrt neben ihr - Wuth und Rage über sich selbst, über sein Schiksaal, schwächt ihn noch mehr, er muß den Kampfplatz verlaßen wie ein Held, der sein Schwerd nicht aus der Scheide bringen konte. Scham und <alle> Reue seines Verlusts

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begleiten ihn nach Hause. Die andere Nacht sezt er sich wieder, iezt verspricht er sich alles, iezt fühlt er sich, und iezt sucht er den Lohn, den er vorige Nacht vor seine 30000 Livres durch seine eigene Schuld nicht bekommen konnte. Allein die Demoiselle declarirt, daß eine neue Nacht neue 30000 Livres koste, daß sie ihre Schuldigkeit gethan und nichts dafür könnte, daß er die seinige nicht hatte thun können. Aber sie ist auch sehr reitzend, nicht zu groß, mehr niedlich <als> one zu klein zu seyn, leichter Anstand und Gewandheit herrscht in ihren Handlungen, eine gewiße provoqante Nachläßigkeit zeigt ieden ihrer kleineren Reitze. Sie spricht artig, spricht Italienisch Englisch - ein Flügel stand in Magazin, sie trat davor, und spielte ganz allerliebst. Sie würde mich ganz bezaubert haben, wenn nicht zugleich in diesen Magazin <,> die Tochter des Kaufmanns |[280] eine Engländerin <mit> gewesen wäre, sie verkaufte und zeigte die Waaren. Sie ist nicht schön, nein, gar nicht. Sie ist nicht gut gewachsen, sie ist nicht prächtig angezogen, aber iene unerreichbare Modestie und natürliche Modestie in ihren Blik, iene sanfte, himlischreine, gutartige Tinte über ihr ganzes Gesicht ausgegoßen, iene herunterfliegenden schwarzen Haare, one gesucht one gezwungen zu seyn, iener weisen unverdorbene Busen, und der Gedanke, daß daran noch kein Wollüstling gelegen, iene stille Gröse in ihren ganzen Wesen, iene Toleranz contrastirte in höchsten Grade mit der leichten Französin, und zog mich von dieser zu iener hin. Eine kleine Gefälligkeit, die ich der Engländerin erzeigen könte, eine Freude, die ich dir machen könnte, einen dankbaren Blik, den ich ihr abloken könnte, würde mich glüklicher machen, als 20 Nächte der schöneren Smits. d. 18t Mit R. bey Mde de Trenonay, man sprach da viel von den affairen des gegenwärtigen Augenbliks - von da zu Grancourt, den ich den Brief von Uxküll übergab -, er war nicht zu Hause, Wir trafen ihn in der Straße zu Pferde an. Iezt gingen wir zum MittagsEßen nach Hause durch einige neuen Strassen, in denen ganz allerliebste Hotels sind. Mlle Dervieux, Mde Teluson - La petite maison du Duc D'Orleans etc. Abends war ich noch in Palais royal. |[281] d. 19t Nachmittags fuhr ich mit R. in die Ital. Comoedie -man gabe [Lücke] und Sargine - Mde de Trenonai hatte mir ihre Loge erlaubt. Sie ist fast auf den Theater, hinter den Vorhang, gehört den Monsieur zu, der daneben seine Loge hat - ich stellte mich in diese als eine Decoration in Hintergrund erschien, die ich nicht sehen konnte. Ein Invitationsbrief zur Hochzeit von Ravoisé sezte mich sehr in Verlegenheit. d. 20t Bekame einen Brief von Fr. von Stein - ging zu Allaix - zu Balletti - Mittags speiste HE v. Rieger nicht zu Hause, ich begnügte mich mit Schinken u. Wein. Abends in Pal. Royal. d. 21t R. hatte heute beim Eßen. L'abbé de Raze chargé d'affaires de l'eveque de Basle. Ein schon kranker Mann, der wenig spricht. Henmant Chargé d'affaires d'eveque de - hatt viel Sinn in seiner Physiognomie, spricht wenig, scheint aber viel Verstand zu haben. Kern - von Hessen Darmstadt, Man sieht ihn deutschen Canzley Stiel u. gravitat doch noch sehr an. Chevalier Comte de Grange. viel usage de monde u. Leichtigkeit in Umgang, one Gründlichkeit. Cte. de Torelli - wird vielleicht einstens artig seyn, wenn er aus den Jahren seyn wird, wo man Fat zu seyn pflegt. Maschcow - Ruß. Legations Secret. Meiner Meinung nach hatte dieser von unseren Gästen den meisten Verstand, und das meiste Talent für Gesellschaft. ein ausgemergeltes advocat französisches Schreibergen, das feine Verdienste haben kann. De Secqueville - Secretaire d'ambassades. Ein guter ersparender Hausvatter one Prätension - bey uns würde man ihn für einen Stadtschreiber halten. |[282] Es war

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eigentlich keiner darunter, der das Talent gehabt hätte eine Gesellschaft zu ermuntern und die Frais davon zu machen, daher kam auch kein interressantes Gespräch auf die Bahn. d. 22t Wir gingen Abends in Sallon als wir in Hof kamen, sahen wir eine Bürgerwacht mit klingenden Spiel - es waren die Eleven der 3 Atteliers - David, Vincent u. die es über sich genommen die Policey des Sallons zu besorgen - unschiklich ware es schon mit klingenden Spiel u. mit Gewehr, der Officier mit blosen Degen voran in den Schloß des Königs zu erscheinen. Wie verwunderten wir uns aber nicht, als dieses Corps die Treppe hinaufzog und mit klingenden Spiel in Sallon selbst einrükte. Der Lerm und das Getöse durch die Trommel in den Zimmer verursacht würde, betäubte u. machte Kopfweh. In Sallon selbst zogen sie sich auseinander, so daß sie eine Reihe machten, den Tambour in der Mitte, d.h. sie stellten sich an, wie die Treiber, die das Wild vor sich treiben - so trieben sie auch die Zuschauer immer mehr und mehr nach der Thür - auch wie bey Jagden machten sie manigmalen Halt - und dann ging der Trieb imer fort, der Tambour schlug, was er konnte, der Comandierende Officier schrie so laut er konnte mit den blosen Degen in der Hand - sie nannten es balayer la Chambre. So ging es auch die Treppen hinunter und dann in Hof. Es ware in der That der Mühe werth zu sehen, wie der Tambour <die> Treppe hinauf Treppe hinunter Marsch schluge one aus den Tackt zu kommen. Aber sollte man sich dieses vorstellen können, in einer civilisirten Stadt, wo Künste und Wißenschaften so herrlich blühten, solche Wiedersprüche zu sehen. Inter arma silent <les> artes Ich ärgerte mich in Wahrheit über diese unhöfliche Art den Saal zu balayiren, wie sie zu sagen pflegen. Sonst annoncirte ein Schweitzer, que l'heure étoit possée et qu'il priait de se retirer, und iezt wird man mit gewafneter Hand abgefürt. Als wir an den Hotel de Police vorbeygegangen sahen wir M. d. l. Fayette herausfahren, zwey <Man> Räuber mit blosen Säbel hinter her - der Marsch wurde geschlagen, u. die Schildwache presentirte. |[283] d. 23t Abends bey Nicolet - d. 24t Durch mehrere Umstände gedrängt lebte ich einen der unangenehmsten Tage, die man sich nur denken kann, gekränkte Ehrsucht, Mangel an den nothwendigsten um gewönl. Ausgaben zu bestreiten, düstere Aussicht in die Zukunft, alles stürmte auf mich ein. Ich bekame Briefe von Müller, Caroline Beulwitzen u. Schiller. d. 25t Ich zeichnete den ganzen Morgen, Nachmittags fuhr ich mit R. zur Bastille, von da zur Mde de Trenonnai, die wir nicht wohl antrafen, dann zur Mde Tabours nicht zu Hause. Dann ins Palais royal. d. 26t Noch immer in der neml. Verlegenheit; Megrien - Moskow Rußischer GesandschaftsSecretaire u. Baron Grancourt waren bey mir in der Visite. Mittags mit HE v. R. in Sallon - es waren mehrere Damens von unserer Bekantschaft da, unter anderen die Fr. v. Königssek. Ich <war heut> trafe heute in Sallon auch den Bekannten La Tude an, er sieht, obgleich schon bey Jahren doch noch robust u. stark aus. R. gab mir eine Note die ich gemacht hatte, zum Copiren, da ich nicht wußte, daß er sie heute abends noch fortschiken würde, so hatte ich sie auf Morgen früh gespart. Ich kam nach Hause - er fragte mich gleich mit einen ärgerlichen Ton, ob ich es noch nicht geschrieben habe, ich ging sogleich um es zu thun, u. machte zwey Copien - Als ich sie ihn brachte, gab er mir auf eine sehr bittere Art zu verstehen daß ich es an Attention gegen ihn fehlen lies - ich

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sagte ihm. Je suis faché, Monsieur, que vous preniez de l'humeur contre moi, er name dieses in einen sehr hohen Ton auf, warf seinen Kopf zurük u. sagte mit einer angenommen Grandezza u. hohen Ton, Monsieur, |[284] menagez vos termes; er warf mir dan, mit einen Gefühl seines selbstes, das desto revoltanter war, vor, daß er mich als égal tracktirte, als wenn er damit Herablassung hätte zeigen wollen, und gab mir auf eine sehr deutsche Art zu verstehen, was ich ihm schuldig seye. d. 27t Lezter Vorfall und mehrere änliche hatten iedoch so stark auf mich gewirkt, daß ich mich heute den ganzen Tag nicht ganz wohl befande, ich bliebe auch zu Hause. Bis auf den Abend, wo ich HE. Eustace wegen den Güterkauf d. HE v. Stein ins Caffé de Chartres bestellt hatte - ich hielte mich doch allda nicht lange auf, weil ich wirklich fieberhaften Anfall spürte. HE v. R. kam erst sehr spät nach Hause, ich wollte doch aufbleiben, um es ihn nicht merken zu laßen, daß ich krank seye, ich kame daher erst gegen 12 Uhr ins Bette - dan fing der Fieber Anfall so stark und so heftig an, daß ich die ganze in Phantasie und in einer Hitze lage, die mich des Morgens ganz entstellt hatte. d. 28t ich bemühte mich iedoch Mittags zum Eßen zu gehen - da ich überdies wuste, daß ich mir in Absicht meiner Lebensart nicht das geringste vorzuwerfen hatte, daß die Krankheit einen gesunden Körper antrift u. sie sich nicht leicht verweilen würde, so ware ich ruhiger. Es schien neben der obigen Ursache auch eine Anhäufung von Schleim da zu seyn, der sich besonders in Hals ansagte und mir Beschwerlichkeiten verursachte. Ich gurgelte viel, name Gerstenzuker u. HimbeerEßig und spürte darauf Leichterung. Das Fieber kam nicht mehr des Abends - ich hatte mich beyzeiten niedergelegt. d. 29t name ich Medicin zum Abführen ein, ich hatte ein Recept dazu von Leibchirurgen Klein - es ging gut von statten, und ich konte meiner gut pflegen, da HE v. R in Versailles ware - Fieber war gar nicht mehr da, aber der Hals incommodirte mich noch etwas. Ich lase Schillers Kabale u. Liebe u. endigte seinen Niederländischen Abfall - Hier zeigt er sich in seiner ganzen Gröse; in seiner ganzen Stärke mit einen alles umfaßenden mit einen alles verbindenden u. tief durchschauenden Blik. Er würde sicher einem Staat in Cabinet eben so viel nutzen, als er seinen Einwohnern durch seine Schriften Vergnügen u. Nutzen schaft. |[285] Wie unbeschreibl. nachlässig hier die Haushaltungen geführt werden, glaubt man nicht in deutschen Land, da hier alles auf den Mtre d'Hôtel beruht u. wenn dieser ein schlechter Mann ist, hat es seinen Einfluß auf alles. Nur ein kleines Exempel in HE v. R. Haushaltung. Weil dieser nicht da war, u. die Bedienten kein Kostgeld haben, also doch in Hause gekocht wird, so waren in der Küche 6 couverte - ungeachtet die zwey Bedienten auser den Hause in der Nachbarschaft aßen - dahin trugen aber diese auch das Eßen auser den Hause. Also wurden heute Mittags wenigstens 12 Personen aus der Küche gespeist. Dafür liesen sie mich armen Kranken Mann aber ganz und gar sitzen, niemand sahe nach mir, nicht einmal einen Bissen Brod konnte ich haben, kein Gabel, Löffel, Meßer - ich bin unschlüssig es HE v. R. zu sagen. Es ärgert ihn; er erzürnt sich und kann es doch nicht abstellen; da er oneden bald weggeht u. den Mtre d'Hôtel abschafft, so würde dies nur Unruhe ins Haus bringen one viel zu Nutzen, überdies gehört es mit zur Grandezza eines Gesanden auf solche Sachen nicht zu sehen. d. 30t Meine Krankheit scheint glüklich vorübergegangen zu seyn. Diesmals habe ich es mit Freuden erfahren, was für <ein> Vortheil es hat, wenn man mäsig u. klug mit seiner Gesundheit u. in seinen Vergnügen umgeht. Ich spürte es genau, wie gefärlich die Krankheit hätte werden können,

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wenn ich Stoff in Körper gehabt, der nichts getaugt hätte. Allaix war Abends bey mir - ich hatte Müllern Erlaubniß geegeben nach Versailles zu gehen, er kommt aber nicht wieder – |[286] d. 1t Oct 1789 Noch immer keine Briefe mit Wechsel von Haus, indeßen pressen die Schuldner von allen Seiten. Ieder Handwerksmann sucht iezt zusammen, wo er nur 3 Livr. ausstehen hat. Ich schriebe an Deahne wegen Geld u. legte ein kleines Zettelchen bey an meine Schwester. Gegen Abend ging ich zum erstenmal wieder ins Palais royal - die Nachtluft war indeßen zu scharf und es bekam mir nicht ganz wohl. d. 2t (Oct.) Ein böser, garstiger Tag - Mittags sogar ein Donnerwetter - die Natur scheint sich umgekehrt, und auch der Himmel Frankreich ungünstig zu seyn - ich zeichnete ein wenig aus lange Weile eine unglükliche Lage. Der Brief an Deahne ging heute fort. d. 3t Morgens in Pal. roy. u. bey Reinewald - er war nicht zu Hause. Abends in Ambig. Comique - le Duel Supposé, Le marché aux hommes, le Faux Comedien, u. eine Pantomime, Le brave Gilison le maréchal de Logis - sodann noch nur auf einen Augenblik in Pal. roy. d. 4t In Pal. roy. bey Reinewald, wieder nicht zu Hause - Mittags speiste Heideloff da - mit diesen ginge ich nach Hause und name von ihm die Theile der Mode journale von diesen Jahr mit mir, worinnen ich den Abend lase. Er erzelte mir, daß der Hg. v. W. Tapeten in Hohenheim habe, die er für engl. hielte und auch daher bekommen haben mag, diese habe sein Bruder als er noch Paris gewesen gemalt. |[287] d. 5t Ich erfuhr heute, daß Fleuret angekommen seye; der Lerm ist wieder sehr gros, doch ist in Paris nicht soviel zu fürchten, weil sie alle nach Versailles gezogen sind. Wenigstens ettl. 1000 Weiber haben sich nach u. nach auf den Wege gesammlet, und mit sich fortgerissen, alles, was sie begegneten, mehrere Damens genötigt aus den Wagen zu steigen und ihnen zu folgen auch einige Herrn genötigt mitzugehen. Mehrere Bataillons von der Milice Bourgeoise begleiteten sie, wahrscheinl. um grösere Unordnung zu verhüten. Sie hatten ihre Tambours und ihre Kanonen. Die Unruhe in der man heute abends in Paris lebte kam mehr von der angespannten Erwartung als von wirklicher Ausübung von Gewaltätigkeiten her. d. 6t Heute morgens kame die Nachricht, daß der König nach Paris kommen werde. Bey den gestrigen Anzug hatten die Garde de Corps die Weiber an der Grille in Schloß zurükhalten wollen, weil sie sich verlauten liesen, sie wollten die Königin haben, Es kam zu einen kleinen Schaarmützel und es blieben zwey dabey. Deren ihre Köpfe brachte man entstellt und gräslich auf Stangen in den Palais royal, der eine war noch ganz nur mit Blut in Gesicht ganz roth, das Haar flatterte noch und in Haar noch ein Band, der andere war ganz zerschlagen und zerschoßen. Der König hatte das Corps cassiren <müß und> sich nebst der Königin auf den Balcon zeigen und versprechen müßen, heute nach Paris zu kommen. |[288] Dieses geschahe dann. Man wartete schon um 4 auf ihn, er kam aber erst gegen 7 Uhr. Die Bürgerwacht stande in Reihen von Versailles bis ins Hotel de Ville - Hinter diesen Reihen eine unzehlige Menge Volkes - Wenn man von den Schauspiel profitiren wollte, mußte man zu Fuße mitten unter den Haufen drinnen stehen. Ganz Paris war heraus um den Einzug zu sehen, der auch wirklich merkwürdig genug war. Schon nach 4 Uhr kamen Wagen durch

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die Reihen hindurch die mit Mehl u. Frucht beladen waren, zur Seiten mit Garden begleitet und oben darauf hatten sich Soldat u. Bürger u. Hure u. Poissarde alles unter einander gelagert - dann kamen von Zeit einzelne Trupps Weiber, <mit> schmutzig bis über die Ohren mit gestolenen Bändern als Cocarden - Trupp Bürger u. Handwerksleute mit sonderbaren Waffen, Truppe von der Milice nationale mit ihren Flinten, einige hatten grose Stüke Brod an ihre Baionetten gestekt, noch andere Hasen zugleich an Lauf hängen u. schosen demongeachtet ihr Gewehr los, daß der Propf in brod steken lies - Viele hatten Zweige ia ganze Bäume herausgerissen, u. zogen so damit einher. Wie ich einmal hinter mir sahe, war Mde Dugazon u. Mlle Rosalie auch da, sie waren ausgestiegen u. mitten in der Presse suchten sie sich ganz vorne hinzustellen, und blieben auch da, obgleich das Losschiesen der Gewehre, die Presse mit den Pferden, das Gedränge der Leute, der Regen der endl. über uns kam auch den beherztesten beunruhigte. |[289] Es ist dieses eine Eigenheit der Pariser Weiber, auch der vornehmsten, daß sie nichts fürchten, weniger fürchten als die Männer. Gewohnheit, Leichtsinn, und der starke Umgang mit weibischen Mänern ist die Ursache davon. Ob ich gleich 3 ganze Stunden da zu stehen ennuyirte ich mich doch nicht, einige gemeine Weiber neben denen ich stande amusirten mich durch ihre raisonnements. Sie nannten den König nur den Boulanger, sie die Boulangere, weil sie Mehl mit brachten. Versailles est à louer à présent sagte eine, und solche bon mots brachten sie 1000 in den ihren eigenen lärmhaften Ausdrüken vor. Der Zug kam endlich an, ob man es gleich keinen Zug <f> nennen konnte, wegen der wenigen Ordnung die dabey herrschte - Es kame Milice bourgeoise - unter ihnen vertheilt gingen die Garde du Corps - den Degen in der Hand mit Hüte von der M[ilice] bourg[eoise]; sie kamen zwar nicht als gefangene, aber in der Physiognomie lag alle die Zerstörung, die Wuth, die Demütigung, die sie seit gestern erlitten hatten; sie salutirten zwar zum Theil mit ihren Degen und schrien Vive la nation, allein man sahe ihnen an, wie schwer es fiel. Es kamen iezt Dragoner zu Pferde, die Prevoté, die, cent suisses und endl. der Wagen des Königs umgeben von Grenadiers von der Garde nationale, vorher unmittelbar vor den König waren schon so wie des Königs Coche zwey mit 8 bespannten Wagen gefahren, in denen wahrscheinl. der Monsieur fuhre. Es war schon zu |[290] Nacht, man konnte nichts mehr unterscheiden. Da wo ich stunde hörte ich auch nicht einmal rufen Vive le Roi - nichts weiter als Vive la Nation, et la liberté. Das ware der feierl. Einzug des ersten Monarchen der Welt. Unter Huren, müssigen Handwerkern, Jaunern u. Brigands, umgeben von ungehorsamen treulosen Soldaten, im Gefolge feiger, unentschloßener Hofleute, rechts u. links u. überall Unterthanen, die ihn nötigen, dahin zu gehen, wo er nicht hin will, die ihn gleichsam gefangen nehmen, die in Versailles in sein Schloß eindringen, seine Wachen niederstechen, seinen Schlaf stören, seine Diener zur Treulosigkeit verleiten, sie in Furcht iagen, in des Königs Zimer selbsten schiesen u. lermen, u. Wachen setzen; Was muß das nicht für eine Lage für einen Herrn seyn, der alles das schrekliche, alle das niedrige, beugende fühlen könte, das in dieser Behandlung liegt, doch Louis XVI scheint es nicht zu fühlen, tiefer greift es bey der Königin, ihr Stolz, ihre Empfindlichkeit, ihr feineres Gefühl leidet sichtbar unendl. viel. Der König muste noch auf das Rathaus, u. von da in die Thuelerie, wo er erbärml. logiren soll. <Ich war> |[291] d. 7t Mir kommt es vor als wenn man auf allen Gesichtern die Verwunderung läse, daß der König in Paris geschlafen habe. Er wird indeßen heute sehr beunruhiget durch eine Deputation von ettl. tausend Weibern - durch eine grose Menge Volks in den Thuilerien vor den Fenster, die vielleicht verlangen, daß er sich zu ieder Zeit zeigen soll. Wir waren auch des Abends daselbst, u. sahen ihn u. Sie am Fenster. Von da gingen wir ins Palais royal.

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d. 8t Heute Mittag waren die Gesandten beim Levée des Königs, der äuserst elend logirt ist - er soll gut u. stark und munter u. frölich seyn, der Königin hingegen sieht man an, wie sehr sie alles das Schreckliche, das Beugende ihrer Lage fühlt. Ich ging heute Abends in Palais royal, wo ich Fleuret u. Gambs antrafe, mit ienen war ich bey den Bremer, der mit Fleuret von England kame - er logirt mit einen Namens Columbine einen Engländer, der sich lang in Würzburg aufgehalten hat. Wir rauchten eine gute Pfeife Tabak u. tranken Punsch dazu. ich fing an an der Bastille devoilée zu übersetzen. d. 9t Ich bliebe den ganzen Tag zu Hause - Abends fuhr ich mit R. ins Palais royal, hier aber sahe es stürmisch aus, wir entfernten uns also bald wieder - ich ging in eine Caffeehaus wärend R. in Sallon ging. d. 10t Des Morgens bey Reinewald, in Palais royal, Nachmittags u. Abends bey der Mde de Trenonay, die mich auf Morgen in die Oper invitirte. Ich schriebe heute u. schikte den Brief auch sogleich fort an Müller - wegen Hiller, wegen der Bst. devoilée - wegen 20 Carolin. Ich legte ein Zettelchen an Hiller hinein. |[292] d. 11t Abends in der Opera mit Fr. v. Trenonay - Demophon - das Stück an sich selbsten ist nicht interressant, die Musik aber ist zum Theil sehr vortrefflich - doch finde ich sie zu ungleich - viele neue Stellen sind darinnen. Die Decorationen sind auch reich und artig - Was aber ohne allen Vergleich in diesen Stük das beste ist, sind der damit verbundene Ballets nach Gardel. Die Musik ist aus einen Italienischen Singspiel, ich erinnere mich nicht recht aus welchen dazu genommen. Es sind zwey Ballets <in der> zwischen den 2t u. 3t Ackt u. dann am Ende. In diesen Tanzen alle gute Dänzer. Hier sahe ich Vestris danzen, und sahe z.E. wie weit man in dieser Kunst ist - Die Precision, die Geschwindigkeit, die Stärke der Anstand ist unbeschreibl. mit dem er tanzte. Besonders fiel mir auf die Reinigkeit in Ausdruk u. in den pas - die verglichen werden kann mit den reinen Conturen in der Zeichnung, und die ich bisher noch bey keinen Dänzer gefunden hatte. Mit ihm tanzten noch andere ebenfals vortrefflich aber doch nicht wie er. Mlle Lore, Rose etc. Ich kann gar wohl begreifen, wie sich so viele Leute ruinirt haben mit solchen Mädchens. Sie bezaubern in den Augenblik ihres Danzes alle Sine, und führen ieden der Gefühl für's Schöne, gefällige u. reitzende hat, als Sclaven vor sich her. R. wurde s. Beutel gestolen, als wir ausgingen. d. 12t Des Abends mit R. in Palais royal - es waren sehr schöne Gesichtergen daselbst, iunge Mädchens von 10-11 Jahren. Eine Mlle Albin, der ich mich näherte, um sie genauer zu beschauen, da ich mit Vergnügen bemerkte, daß sie der Senkenbergen glich, stekte mir ihre Adresse zu, von der ich doch schwerl. Gebrauch machen werde. Ich endigte den Plan eines Hauses, den mir Delanoi geschikt hatte. La Correspondance du Maréchal de Richelieu en 1756 -1758 II Tom. der Stil des Mareschalls ist erbärmlich, kaum zu lesen. Er handelt von seinen Feldzügen in diesen Jahren u. von der Eroberung Minorcas. Memoires Secrets de Robert Comte de Paradis. pour Servir à l'histoire de la dernière Guerre 1769. der Graf liese sich dazu brauchen, eine Art Spionen in England zu machen, u. Plane darnach zu verfertigen, wie durch Coup de mains Eroberungen könten gemacht werden. Es ist interressant zu lesen, gereicht aber weder den Grafen noch den frzschen Ministerien zur Ehre.

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|[293] d. 13t Ich fing heute morgens an die Säulenordnungen zu zeichnen. Abends in der Ital. Comoedie - in der Loge der Fr. v. Trenonay. Les Epoux reunis - ich erinnere mich dieses Stük schon auf den Studtgarder Theater, nur weis ich nicht unter was für einen Namen gesehen zu haben. Aristotele amoureux - ein farce in Musik, es sind iedoch artige Arietgen darinnen. Ich hörte eines singen nach der bekannten Melodie Si vous trouvez dans la plaine, me disait certain choffeur. etc. Les Encore des Savoyards. Die Pariser sind sehr eingenomen vor alles was in den genre ist, seitdem der erste Versuch Kinder, die als ramoneurs herumzogen auf's Theater zu bringen, und sich durch ihre gute Herzen beliebt machten so gut gelungen ist. d. 14t Chev. Deroche speiste Mittags bey uns - Abends war Allaix bey mir u. Reinewald. Ich bekame heute früh einen Brief von Mde Fross. der sehr unhöfl. u. grob war wegen einer Schuld von 18 Livr. vor ein Reißbrett. Ich suchte dieses aufzutreiben und es ihr zu schiken. d. 15t machte eine Copie von den Brief und schikte ihn in einen Couvert an ihren Mann, one ein Wort dazu sagen zu laßen, samt den 18 livres. Heute morgens war ich sodann bey Allaix - mit ihn in Pal. Roy. Des Abends bliebe zu Hause. Ich sehe ein wie unbegreifl. wenig, wie gar nichts ich kann, ich erschreke darüber; ist es noch möglich durch zu dringen, so soll es geschehen. |[294] d. 16t bliebe den ganzen Tag zu Hause. d. 17t der Buchbinder, der die zerstreute Blätter über die ietzige Verfaßung einbinden soll, kam an, und fing seine Arbeit in den Antichambre an. Ich bliebe den ganzen Tag dabey und kame nicht aus dem Hause. d. 18t Schriebe an Caroline, one den Brief zu endigen. Chev. de Roche speiste mit. d. 19t Noch immer keine Briefe von Haus und mit hin kein Geld - Wie unangenehm dieses meine Lage macht ist nicht zu beschreiben. Iezt da ich am besten logirt <habe> bin, da ich in Equipagen fahre, vortreffl. Tisch, und Logen in den Spectacles habe, iezt bin ich bei weiten nicht so vergnügt, nicht so zufrieden, als ich vorher da mir alles dieses mangelte es ware. der Buchbinder war wieder da. d. 20t Vortreffl. schönes Wetter - es lokte uns in die Thuelerien. Hier trafen wir zwischen 1-3 die schönste Welt an - Viele waren in ganzer Kleidung mit Degen - schwarz - die Damen aufgesezt - frisirt. Der Dauphin wurde spazieren geführt. Zwey Damens u. ein Herr in schwarzen Rok u. 3 Bedienten begleiteten ihn - darneben gingen <die Garde> einige von der Garde nationale, die Platz machten. Es ist ein kleiner Junge von 4 Jahren in Matelotten Kleid mit einen schwarzen runden Hut u. den blauen Geist Orden herum. Als wir heraus gingen trafen wir Mlle Balletti an, sie thate als wenn sie uns nicht kennte, ich ein gleiches. Abends in Palais royal. <d. 21t> Ich redete daselbst mit Eustace wegen Wechsel, er wuste aber nichts. Cerutti begegnete mir heute auf den Boulevard. ich redete ihn an. d. 21t schriebe an Eustace ein Billet - war in Palais royal. Abends in der Ital. Comoedie. La Mariage d'antonio - hörte Mlle Renaud z. erstenmale singen. Das Stük ist nicht viel. Die Music ist von

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Gretry. Les Evénemens imprévus - Musik von Gretry. Mde |[295] Dugazon spielte zwar nur die zweite Rolle - eines Kammermädchens -aber ganz vortreffl. Sonderbar ist es und ein Beweis was das Talent über die Einbildungskraft anderer kann, wenn diese Frau durch ihre Galanterien so berühmt u. einen solchen Namen unter den Courtisanen von ihren Jahrzehnt spielet. Sie ist nichts weniger als schön - ich wollte eher sagen garstig; sie hat keinen sanften Zug in ihren ganzen Gesicht - in Gegentheil etwas sterrisches, wildes - daher sie auch die Rollen <von> Nina <von> in Raoul vortreffl. macht, wo man sie la belle [?] nennt. Sie wurde besonders bey einer Arie sehr beklatscht, wo nicht sowohl ihr Gesang, als ihr Geberdenspiel vortrefflich ware - überdieses paßten die Verse auf die Zeiten. Sie muste repetiren. Ah! Dans le Siecle ou nous sommes, Comment se fier aux hommes? Il n'est plus de loyauté Bonne foi <et> ni probité Tout est ruse et fausseté. Et toujours les plus coupables Sont, Helas, les plus aimables. C'est domage, en verité. Msr. Clairvell einer ihrer besten Acteurs - soll ein sehr schöner Mann gewesen seyn, in dem sich alle Damens verliebten. Er hatte eine Intrigue mit der Merechalle de Stainville, und schriebe ihr einstens Mon Coeur. Seignez une migraine etc - Ihr Mann kriegte sie in flagrants Delicts an - es gabe entsezl. Lermen, alle Briefe wurden gefunden. Die arme Frau muste in Closter - sie lebt iezt in Metz und hatte daselbst ein Haus offen für iederman nur nicht für Stainville. |[296] Les deux petits Savoyards. Ein herziges Ding. Die zwey Mlls Renauds die die Savoyarden spielen, machen es vortreffl. Die bekannten Arien Ecoutez jeunnette etc. und Une tendre fillette - sind allerliebst. Seit gestern lese ich viele Comoedien. Le café de Rouen - Varietés 4 Nov 85 par M. de la Montagne. - L'anglais à Paris - Varieté 12 Mars 1783 par M. D'... Y. Ich sahe [Lücke] das Stük in Strasburg. Volange machte den Engländer vortreffl. Les <Conseil> Meprises par ressemblance à fontenebleau - 7. Nov 1786. Musique de Gretry - Paroles de M. J. Patrat. Duo. L. Vive la liberté Th. Vive le mariage Duo Le bel age Lui doit sa gaieté et le Sage Sa felicité Th. Vive le mariage L Vive la liberté Th. L'himen a des dormeurs divines Les roses naissent sous ses pas L Oui mais on ne les ceuille pas sans piquer ses doigts aux epines Les Ramoneur Prince et le Prince ramoneur Variet: 11 Dec 1784. artig Stük wenn es gut gespielt wird. Barago Suite du précedant. Variet: 24 Juillet 85. p. M. M. de P...y. Le mariage de Barago, seconde suite. Variet. 24 8be 85. par le meme

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|[297] d. 22t 23t Ich rangirte diesen Tagen die übrigen Schriften und Brochuren und hatte sodann d. 24t den Buchbinder den ganzen Tag. Heute declarirte mir R. daß ich ausziehen müste, weil er seinen Sohn wollte kommen lassen. d. 25t *Es speiste heute ein Autor bey uns - M. de Carmontes - Verfaßer verschiedener Piècen an Varietés und der [Lücke] und mehrerer Stüke; er mahlt auch etc. - ein verdorbener Greis. R. ging mit ihn in die Varieté - es wurde ein neues Stük gespielt - es fiel, das Publ. verlangte ein anderes Stük namentl. - ein Acteur trat heraus - M. on ne peut pas donner la piece demandée, Monsieur un tel est de Garde chez le Roi! Sonntags sind mir immer die verdrieslichsten Tage, er war es mir auch heute - und doppelt war er es mir, da ich iezt von allen Seiten gedrängt und noch keine Antwort habe. Ich war Morgens bey Allaix - Reinewald - Wächter. Abends zu Hause. d. 26t Grancourt traf ich nicht zu Hause an. Bey Mde Sulivan war die Visite kalt und unangenehm. <Abends> Morgens in den Thuelerien - u. Palais royal. d. 27t Ich ging aus um <Gambs zu> Quartiere zu suchen. Ich kam zu Gambs - dieser führte mich zu M. Wailly, Verfasser der guten frz. Gramaire, die unter seinen Namen bekant ist. Er wohnt entfernt von Geräusch hinter der Kirche von St. Genev. Ein Mann schon sehr bey Jahren - der sich mit Pensionairs abgiebt, ehedem gabe er Unterricht in der frz. Sprache in der Stadt. Er hatte einen weisen Nachtrok an u. ein schwarzes sametnes Schiffskäpchen mit einer silbernen Bordure gestikt an. |[298] Ich glaubte in seiner Physiognomie zu bemerken, daß er alle die kalte Subtilität besäse sich dem minitieusen Geschäft zu unterziehen, eine Grammaire zu verfassen. d. 28t Noch immer keine Antwort von Hause, iezt wird es mir äuserst unangenehm, da ich ausziehen muß. Ich besehe deswegens hier und da Quartiere. Von gestern habe ich noch nachzuholen, daß ich in der Opera ware - man gabe Iphigenie en Aulide Tauride und die pretendus nebst einer Divertissement wo Vestris tanzte. d. 29t In der Ital. Comoedie. Les Dettes - In denselben machte ein Acteur <Lücke> den verstorbenen Maréchal de Richelieu so frappant nach, daß es allgemein bemerkt wurde. Er hatte es schon einmal versucht noch zu dessen Lebzeiten, wurde aber darauf ins Gefängniß gesezt. Die zweite Piece ware - Le Comte d'Albert, der Savoyard der den Grafen befreit singt eines artige Arie, mit den refrain - une prise de Tabac d. 30t I. d. Opera. Oedipe à Colonne. Nur einige wenige Stüke in der Musik machten einen Eindruk auf mich, sie soll aber sehr schön seyn, besser gefiel mir das Ballett le Deserteur, das ganz treu nach den Stük aufgeführt wurde. Artig ist die Brüke, die <hoch gesprengt> über das Theater hoch gesprengt weggeht, auf der Deserteur ankommt u. sich gegen die Mouchards vertheidigt. Gardel u. Mde Müller haben die Hauptrollen.

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d. 31t Schriebe an Mde Sulivan wegen Hiller - ich hatte schon gestern den Brief hingeschikt, muste aber ein anderes Billet ausstellen. War bey Reinewald wo ich erfuhr, daß Balletti auch mitginge - ich trafe sie nicht zu Hause an. Schriebe einen Brief an Hiller den ich des Abends Balletti zeigte. Meine Lage macht mich so verdrieslich, daß ich einen sonderbaren Abschied von ihr name - Reinewald name mich mit sich nach Hause, wo er Tabac aus Holland bekommen hatte, den wir versuchten. d. 1t Nov. Schriebe heute an Müller und an Hiller und schikte die Briefe fort. Mittags war ich bey einen Msr Beck musicus <aus> von Erfurt, der mir ein Logis angetragen hatte. Die übrige Zeit halte ich mich in Palais royal auf, da HE v. R. nicht zu Hause speiste. Ich begnügte mich mit ettl. Waffeln und einer Tasse Caffee, die ich in den neuerrichten unterirdischen Caffee tranke. Abends mit Reinewald in Caffee de Corazza. Wir tranken Puntsch. |[299] d. 2t Mit R. in den Thuelerien - Wir trafen daselbst die Ctesse de Mazalon mit ihren 2 Töchtern an. Ihr Mann ist Deputirter von St. Dominique, hat grose Besitzungen - dieses ist gleichsam das erste frzsche Mädchen das mir gefallen hat, sie besizt gar was sanftes in ihrer Physiognomie - ich bin sterblich in sie verliebt, Wir gingen mit ihnen, ich unterhielte mich mit der kleineren aber schon verheiratheten Schwester. Die Mutter that einen Mißtritt und fiel, ich hobe sie auf, mir schien es als wenn die Tochter einen Blik des Wolgefallens über meine Dienstfertigkeit auf mich geworfen hatte. d. 3t Ich besahe wieder einige Quartiere. HE v. Flaxland speiste Mittags bey uns. d. 4t Schriebe an Cataloguen - d. 5t Heute kam Banzer der nach Studtgard abgeht zu uns, er bliebe beim Eßen. d. 6t Schriebe an Senkenberger und ihren Schwestern. Da Banzer aber schon morgen abgeht konnte ich die Briefe nicht endigen und gabe ihn nur zwey Worte an Müller nebst der Ode über die Königin mit. War bey einer Mde de Clairveu rue fauxb. du Temple - No. 17 wegen einen Quartier u. Pension beides war zu theuer - Abends in der Ital. Comoedie - Tom jones und Felamar - der Engländer erscheint immer gros, daher die Vorurtheile, die Ehrfurcht für diese Nation, die wirklichen einen nachtheil. Einfluß auch in Zeiten des Kriegs hat. La fete d'été, ein dummes einfältiges Ding. d. 7t Ich endigte endl. den Cataloguen von den Brochuren für R. -Mittags speiste M.d. Carmontel mit - Er war Lector bey verstorbenen Herzog von Orleans, hat noch eine Pension und logirt in Palais royal - er gibt sich mit allerhand ab, malt, schreibt - besonders für die Varietaten seine correlations des gens du monde sind herzl. schlecht. Wir sprachen von Shakspear, il est bon pour le peuple - ein Autor fürs Theater urtheilt also. Abends schrieb ich und lase einige Comoedien. Le Jaloux - L'école des Pères - Les amis à l'epreuve. |[300] d. 8t HE v. Flaxland kam als wir schon beim Eßen sasen. Des Morgens war Allaix und Mettang bey mir gewesen. Nachmittags zu Hause, gegen Abend traf ich in Palais royal Munich an. Ich war auf den Billard au Salon doré - ein schönes Plafond von Pagins würde einen guten Effect

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machen, wenn nicht die Wände zu bunt und zu geziret wären. Die Erfindung Luft in das Zimmer zu bringen durch eine Tafel die länglich ist und sich aufthut nach beiden Seiten mit Seide befestigt, wie ein Portefeuille, so daß die Luft oben hinaus zieht, one daß es einen Zug verursacht, ist artig. Man rechnet hier nicht Parthien sondern Minutenweis, da so verschiedene Arten von Spielen vorkommen. Ich sahe Parthien wo der eine auf 20 den andern 18 vorgabe, sich aber alles zehlte, da der andere nur eine Carambolage zelen durfte. Sehr starke Spieler sahe ich iedoch nicht. Man wettet stark darneben - und oft ist ein ganzer Saal bey so einen Spiel interessirt. Die Stühle auf denen man zusieht sind Devoyeuses eine sehr bequeme Art. Die Fumisten, die hier sind, ist eine eine eigene Gattung - es sind meist Italiener, sie kommen als Caminfegersiungen an, kriegen in alle Camine herum, dadurch bekommen sie, wenn sie ein bisgen in Kriegen raisonniren, Ideen von Rauch - von Zug - nach und nach ordnen sie ihre Erfahrungen, geben hier u. da Rathschläge, und kommen so zu den Titel eines Fumisten. Es ist blos ein Werk der Erfahrung und des raisonnements und sie urtheilen beßer über den Zug der Luft als Descartes mit seinen Wirbeln. Ich sprache einen Namens Mazanino, der auf diese Art mir sagte, daß er das gelernt hatte - was er wüste. Ich werde mich auf diese Arbeiten legen. Bey uns kennt man sie wenig. |[301] d. 9t Bey einer Frau in Palais royal brachte ich den Abend zu und ihren Mann abzuwarten, der mir Nachricht von einen Logis zu geben hatte, das bey ihm leerstande. Mde Brown - eine iunge artige sittsame Frau, die noch vor nicht länger Zeit, aus der Provinz kame, iedoch viel Lebensart hat. Es kamen noch einige Franzosen Bekannte in Haufen dazu; sie hielten mich für einen Engländer, und sprachen von ihren Commerce Traktat mit England; <ich> sie sagten wie viel Nachtheil die Engländer ihnen brächten, wie verderblich er für sie wäre; ich beiahte es spöttisch, behauptete, daß die Engländer selbst darüber lachten, sich über die Franzosen in den Punkt aufhielten, kurz brachte meine Herrn so in Harnisch, daß sie alles mögliche nachtheilige von den Englischen Waaren erzehlten; mein refrain war immer - Warum habt ihr den Contract gemacht. d. 10t Ich war heute morgens bey Mde de Trenonet, sie sase noch an ihrer Toilette in ihrer Nachthaube, eine fürchterliche lange, gelbe, hagere Statur ich muste alle mögliche Contenance zusammen nehmen, um nicht mein Erstaunen merken zu laßen. Sie hatte uns auf übermorgen eine Loge in der Vorstellung von Carl d. IX verschafft. Sie wünschte, daß ich in ihr Hause zöge, und würde deswegens mit ihren Wirth reden. Grancourt trafe ich wieder nicht an. d. 11t Den ganzen Tag zu Hause. Abends sahe ich ins Palais royal, Allaix war bey mir gewesen und hatte mir helfen die Schilder auf die Bücher u. Brochuren schreiben. |[302] d. 12t Nov. 1789. So eben komme ich von französischen Schauspiel, wo ich eines der sonderbarsten Stüke gesehen habe, die ie auf den Theater erscheinen. Carl IX - König von Frankreich - die Pariser Bluthochzeit, ienes Schandflek der Nation, iener Greuel der Menschheit, den noch vor einem Jahr ieder Franzos so stark fühlte, daß er erröthete, wenn man davon sprach und seine Entschuldigung in der Bitte suchte, nicht weiter davon zu reden, die Pariser Bluthochzeit wird auf den Theater beratschlaget und zur Ausführung geschritten. Zuerst den Gang des Stükes und die Personen. Carl der 9te, Maria von Medicis, der Cardinal von Lothringen, der Herzog von Guise, Heinrich der IVte, Kanzler Hopital, und Admiral Coligny - Zuerst die zwey leztern, Colligny will Spanien gedemüthigt wißen, Hopital ermahnt ihn zum Frieden -Sie fürchten vor ihre <Parthie>

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Religion, für die bösen Rathschläge, die man den König giebt. Maria de Medicis erscheint mit den Cardinal, sie täuscht Coligny, durch eine gnädige Anrede und verspricht ihn das Zutrauen des Königs, zu dem zu gehen, sie ihn befielt. Dan beratschlagt sie sich mit den Cardinal über ihren Plan, die Protestanten auszurotten. Der König ist schwer dazu zu bewegen, Gewißen noch einige Züge von Menschlichkeit, noch einiger Glaube an seine Protestantischen Freunde und Diener verbieten es ihm, zu schwach aber gegen Vorurtheile der Religion, gegen Fanatismus, den ihn der Cardinal einflöst, zu <scho wieder> streiten, zu schwach den verschlagenen, den listigen Rathschlägen, der Gewalt zu wiederstehen, den der höhere, stärkere Geist seiner Mutter über ihn hat, wankt er hin und her. Man flöst ihn Mißtrauen in Coligny ein, Man sagt ihm, dieser strebe nach seiner Krone, nach |[303] seinen Leben, er wird beredet, überzeugt, Coligny wird ihn von Herzen weggerißen, Er ist entschloßen und fält ein conseil über ein Edict gegen die Protestanten, der Cardinal redet, der Herzog von Guise redet; und nun befiehlt der König auch den Canzler zu reden; dieser mit einen hinreisenden Feuer stellt ihn die fürchterliche, die gefährliche, die - unnatürliche Gröse u. Gewalt des Pabstes, die Unzwekwiedrigkeit der Reichthümer der Geistlichkeit, die gefärlichen Folgen der Herrschaft über Gewißen und Glauben vor, er redet von Calvin und Luther und schliest seinen Vortrag in dem er dem König tränend zu Füßen fält und ihn um Gewißensfreiheit anfleht. Diese Stelle ist sehr gut ausgearbeitet, und <macht> läst einen Eindruk zurük der eine Rührung hervorbringt, die unsern Herzen sowohl thut - die freye Sprache eines freyen Mannes vor einen König. Der König wird erweicht, er geht mit Hopital ab; iezt scheint alles verloren, auch fürchtet es der Cardinal, allein Maria von Medicis, <x> Gewalt über ihren Sohn gewiß, nimmt es über sich ihn demongeachtet zu den schreklichen Schritt zu bewegen. Sie verspricht es nicht nur, sie hält es auch, und Carl erscheint mit seiner Mutter und dem Cardinal u. dem Guise in der Mitte seiner Diener, die er zum Morden aussendet - die Stimme seines Gewißen schweigt nicht, er fällt nach den Befehl in die Arme seiner Mutter. Iezt tönt das fürchterliche Zeichen |[304] des Mords, die schrekliche Gloke; sie ruft iedes Schwerd, ieden Dolch aus der Scheide der Mörder, unter ihnen stellt sich der Cardinal, feyerlich <feyert er sie> beschwört er sie Gott und der Religion zu dienen, feyerlich reicht er ihre Schwerder und auf den Knien empfangen sie seine Bendiction. Eine schrekliche Scene, die <falsche> Würde der Handlung, <angewendet bey den grausamen,> in den unwürdigsten Augenblick, <der> die grausame bevorstehende That, die Nacht und die Finsterniß, <die> die blosen zum Morden gezükten Schwerder, das Tönen des schrecklichen Zeichens der Sturmgloke, der Fanatismus auf den Knien die Segnung des Himmels zu empfangen, ein schwacher König darneben in der Armen seiner blutdürstigen, seiner grausamen königlichen Mutter - Eine schrekliche Scene. Iezt geht Guise mit seinen gefeyerten Mißethätern ab zum Morden, der König folgt niedergeschlagen und langsam. In den lezten Act kommt Heinrich als Hauptperson vor, er war nur einigemal auf den Theater Savoyards in weniger <un> bedeutender Lage - er kann nicht schlafen, er ist unruhig - Hopital stürzt <ihm> herein, er giebt ihm die fürchterl. Nachricht der Verrätherey, er beschreibt ihm die Grausamkeit der Mörder, das schrekliche Blutbad, das Leiden der Unschuldigen, er <entd> sagt ihm Colignys Tod - Er erzehlt ihm Carls Grausamkeit, wie er mit Büchsen aus den Fenster nach den unglüklichen schiest und das Lob seiner That in den Augen seiner Mutter suche |[305] Heinrich will hinaus, er will das Blutbad hemmen oder mit umkommen, Hopital hält ihn, beschwört ihn seine Tage zu schonen -indem traten der König, Maria von Medicis der Cardinal, u. Guise mit seinen fürchterlichen Gefolge herein. Hopital entfernt sich -Heinrich mit aller der Kühnheit, die eine grose Seele in der grösten Gefahr behält, mit den Muth eines Helden, macht ihm die schreklichsten Vorwürfe, verweist ihn auf sein eigen Gewißen, verweist ihn auf seine

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Todestunde und ruft in ihn all <das> die schrekliche Gewißensbiße die eine so grausame That begleiten - Heinrich geht ab - der König überläßt sich ganz den fürchterlichen Bilde seiner Imagination. |[306] vakat |[307] Heute erfuhr ich auch die unangenehme Nachricht, daß Müller verreist seye, also meine Gelder nicht ankommen können. Es war ein Schlag für mich; ich schriebe sogleich an Müllers Frau und schikte den Brief alsbald fort. d. 13t Die Verlegenheit in der ich iezt bin, ist nicht wohl begreiflich - auch ging ich nicht aus, Rieger gabe mir einige Briefe an Herzog abzuschreiben und die Note, die die Gesanden eingeben gegen den Eingriff in ihre Gerechtsame. d. 14t Noch sehe ich keine Ausflucht, die Aussicht ist zuweit ehe ich welches bekomme. Silberne Schnallen, und Uhren und was ich kostbares habe, wandelt hin und wird zu Geld. Allaix war bey mir, ich endigte das Arrangement mit die Bücher. Nachmittag in der Ital. Comoedie. Raoul Sieur de Cregny ein neues Stük -die Geschichte ist interreßant, das ganze aber und besonders die Entwikelung zu schnell aufeinander. Die interressanteste Scene ist diese, wo die beiden Kinder des Kerkermeisters bey ihren Vatter in <die> einen Erker das Thurms diesen betrinken und sodann den Gefangenen befreyen. Das Theater ist getheilt, auf der eine Seite der Kerker von Raoul, auf der andern das Zimmer des <x> Kerkermeisters. Die Musik ist auser der Symphonie, die in Anfang gespielt wird, nichts besonders. Cadine spielte vortrefflich, wir redeten mir ihr wärend ihren Spiel. Als wir aus der Comoedie herausgingen regnete es als wenn alle Fenster des Himmels geöfnet wären. Ich habe noch niemals einen solchen Regen erlebt. d. 15t Des Morgens bey einer Madame um 2 Servantes und ein Entredeux zu sehen. Es war eine iunge artige Frau von besten Ton, schien sehr vermöglich zu seyn, und muß vornehm seyn, den sie lebt |[308] [oben auf der Seite: Hotel de Caumartin] nicht mit ihren Mann. Sie engagirte mich, zu ihr zum Camin zu setzen, zeigte eine allerliebstes kleines Füsgen, kurz es fehlte nichts als ein unternehmender Liebhaber, beides war ich nicht, obgleich ihre Absicht merkte und mich aus den Staub machte. Laut dürfte ich dieses freilich nicht sagen, wenn ich nicht für einen Sot paßiren soll. Bey Allaix - in Palais royal - des Abends zu Hause. Schriebe an HE v. Biber und schikte den Brief noch heute fort - d. 16t Einen Brief von HE v. Stein, der mit der heutigen Post abgeht. Ich suchte überal schon gestern ein Quartier, konnte aber keines finden. Heute adresirte ich mich an die Mde Lafare, die mir ein Zimmer überläst für 2 Louisd'or. d. 17t Schriebe einen Brief an Herzog u. zeichte ihn R. - er war mit zufrieden. packte meine Sachen ein, um sie morgen hinüber zu bringen. d. 18t Heute zoge ich dann aus; blieb aber nicht beim Einräumen, sondern ging zu Reinewald - Hier war Eberts der mir von einen Wambold aus Maynz sagte, der hier wäre, ob er gleich weit weg wohnte ging ich doch zu ihm, es ware wirklich der, den ich in Studtgard in der Akademie hab kennen lernen, ein schöner Junge. Er ist in der Rue St. Dominique bey einen Mann in der Pension der sich Le Comte nennt. Ein iunger Graf Stadion ist mit ihn daselbst. Dieser Le Comte politisirte viel, er gab mir endl. ein Blatt, das er geschrieben hatte, eine Adresse an die Provinzen über die

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Einholung des Königs. R. trafe ich in <Pal> die Thuilerien auf den Rükweg an; ich speiste bey ihn. Nachmittags konnte ich nicht in mein Zimmer, muste mich daher, nachdem ich lange Zeit vergebl. gewartet hatte in Palais royal des Abends gehen. Als ich von einen Uhrmacher Boutique heraus ging, sprang ein sehr gut |[309] gekleideter Mann heraus, er wurde verfolgt, und man arretirte ihn; er hatte sich mit einer Uhr davon machen wollen - er war wohl frisirt, in Seide gekleidet und Chapeau - bas - Ein andrer warfe seine Sachen zum Fenster heraus, iemanden zu, um aus seinen Logis zu entkommen, weil er nicht bezalte konnte. Mde Lafare erzehlte mir, daß vor einiger Zeit sie einen Mietsmann gehabt habe, der ihre untere Etage vor 30 Louisd'or des Monats genommen, er habe sie nicht bezalen können, und darauf die 2t Etage für 20 L. sich geben laßen, so seye er imer höher u. höher bis zulezt zu einer Kammer untern Dach für 18 Livres gekommen. Neben mir logirt ebenfals ein Franzose, der sein Logis noch lange nicht bezalt hat, und so viel schuldig ist, daß den ganzen Morgen eine Walfarth zu ihm von seine Schuldleute ist, die ein Geschrey verführen, als wenn es an ein Todschlagen ginge. Bekame heute von meiner Schwester durch eine unbekannte Hand Briefe nebst einen von August u. von Deahn, der mir den Trost gabe, daß nichts für mich zu machen seye. Ich schriebe darauf sogleich meiner Schwester von meiner Lage, wie verzweifelt sie seye, und schikte den Brief alsbald fort, so daß er morgen abgeht. d. 19t Reinewald lies mich bitten zu ihm zu kommen, ich dejeunirte bey ihn und bliebe da bis 1 Uhr, dann eilte ich nach Hause um noch HE v. R. zu rechten Zeit zu kommen, ich speiste mit ihm - Abends trafe ich meine Sachen in der grösten Unordnung an, das ärgerte mich so, daß ich meinen Kerl augenbliklich mir aus den Augen zu gehen befahl, und mich allein zu laßen, ich überdachte meine Lage und verfiel daher in eine Melancolie, die mich weit hätte führen können, wenn ich mich nicht auf das Bett geworfen <hätte> und daselbst etwas geruht hätte. Gegen Abend arbeitete ich an einen Plan von der Gegend um das Schloß in Studtgard, den ich bis 12 Uhr Nachts fertig brachte. Dan lase ich noch in den ersten Theil der Confessiones von Rousseau u. endigte den ärgerlichen Tag doch noch ganz zufrieden. |[310] d. 20t die Confession von Rousseau haben einen lebhaften Eindruk auf mich gemacht; die Leichtigkeit, die Simplicität, die Wahrheit mit der sie geschrieben sind, ist das wahre Gepräge des Genies. Man glaubt es soleicht, und man ist in Begriff sich hinzusetzen um eine gleiche Confession zu schreiben. Jeder Mensch findet sich darinnen, und glaubt iezt oder dort eben so zu denken. Weil alle Menschen doch gewiß Berührungspunkte haben in denen sie sich gleichen, sollte es auch ein Rousseau u. ein Ludw. der XVI seyn. Ich werde mir ein Exemple kaufen, und es ganz unterstreichen, wo ich mich mit ihm fühle. War bey Reinewald - einen Augenblik in Palaus royal und sodann zu Hause, wo mein Mittagseßen aus Kas und Brod und einen Glas Wein bestande. Ich brachte meine schriftl. Sachen in Ordnung und vergnügte mich mit Lesung meiner Journale. Heute morgens trafe ich im Caffeehaus mein Sachsen an, der mir versprache, das Haus der Mde LeBrun zu zeigen. d. 21t Des Morgens bey Wampold, mit ihn zum Inspecteur de l'eglise de St. Genevieve einen Schühler Soufflots, der lange Zeit in Rom gewesen ware, Rondelet. Er ist mehr mathematischer Baumeister, und zur Ausführung des Gebäudes nach gegebenen Zeichnungen geschikter, als zur Anordnung u. Decoration einer innren Einrichtung. Er zeigt mir einen Cran von seiner Erfindung, und eine Geometrische Formel zur Berechnung des Gewölbes. Neben seinen Wohnzimmer sind

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eigene Attelier für Zeichner, Modell<x>macher u. Charpentiere in Kleinen. Er war nicht wohl, wir konnten also die Kirche nicht sehen. ich ging sodann mit Wampold in die Thuelerien. Auf den Hinweg erfuhr ich, daß Prinz Gallizin angekommen seye. Es war viele schöne Leute <auf> in den Garten, ich unterhielte mich mit der Frau am Baume. Wampold zeigt mir den Graf Monjuge daselbst. Als ich Abends nach Hause kam, trafe ich endl. einen Brief mit Wechsel von 20 Louis an, ich ging sogleich zu Slomp, der es mir auszahlte one mich die 14 Tage warten zu laßen. Abends ware ich noch in Palais royal und mit HE. Forster nach Hause in die Rue Monmartre. |[311] d. 22t Des Morgens trafe ich Fleuret in Caffee de Chartres an, sodann zu Eberts, er gab mir einen Brief an Moreau - Mittag gegeßen. Nach dem bey Ravoisé - Hier sasen die Mädchens an der Boutique um einen Tisch herum, sie sind artig und haben, wenn mehrere beisammen sind eine gewiße Unterhaltung <di> unter sich, die mich amusirt. Neben mir sase ein kleines niedliches Mädchen, die zwar etwas ausgewachsen aber munter ist und einen schönen Kopf hat. Sie wohnte weit weg, und da sie sich fürchtete bate sie mich sie zu begleiten ich that es und vermuthete nichts weniger als die Erklärung, daß schon seit langer Zeit sie in mich verliebt wäre. Eine Ehre die mir noch nicht wiederfahren ist, ich begleitete sie bis an ihre Thüre; ein Gang geht ins Haus in diesen gab sie mir einen Kuß in aller Unschuld - die Frau von Haus kam mit den Licht und um das Mädchen nicht in einen ungegründeten Verdacht zu bringen, ginge ich mit herauf zu ihren Vatter, den ich sagte, daß ich ihn hier seine Tochter brächte. Das Mädchen leuchtete mir herunter und bate mich den anderen Tag zwischen 5 und 6 Uhr zu kommen. Als ich nach Hause ging, trafe ich in der rue des bons enfans einen Kerl auf der Strase liegend an, er schien den Geist aufzugeben, mehrere Personen standen um ihn herum, man brachte von ihn heraus, daß er in les fxbourg St. Marceau wohnte; man fande nötig ihn einen Fiacre zu holen, aber als es drauf u. dran kam, wollte niemand dafür sorgen; ich bezalte einen und gab das Geld dafür den Kranken, der sich langsam fortschleppte, nach und nach ganz ordentlich ging und damit endigte, daß er weder eine Fiacre nahm, noch mehr krank ware, sondern mich vielmehr auslachte u. wahrscheinlich die 24 Sols auf meine Gesundheit in einen Weinhaus verzehrte. Nachher sagte mir ein vorbeygehender, daß er diesen Kerl schon oft so angetroffen habe, dieses macht freilich hartherzig und unempfindl. gegen seine Nebenmenschen. d. 23t Vorgestern war ich in Caffee de Chartres, auf HE. Förster von Sonnenberg gestoßen der mit einen Abbé und einen iungen Menschen aus Wien an Tisch sase, ich hatte ihn daselbst meine Adresse gegeben. Diese hatte der Abbé aufgeschnabt und kame heute morgens, redete langes u. breites und zog endl. ein Gedicht aus den Sak über das Kloster Latrappe, das er auf Praenumeration in England um eine halbe Krone herausgegeben habe, hier aber um 24 Sols |[312] verkaufte, u. bote sich an mir ein duzend verabfolgen zu lassen. Ich versicherte ihn aber, daß ich nichts damit anfangen, er seine Sachen also wieder einpaken möchte, dieses thate er endl. lies mir aber doch ein Exemplar noch auf den Tisch. Fleuret u. Gambs trafe ich nicht an, ich ging sodann zu Reinewald - wir speisten miteinander in Hotel d'Espagne um 3 Livr. die Person - nach einer Karte, wir hatten vortreffliche Leberwürste daselbst. Die Deputirten von Franche Comté asen auch da an einen andern Tisch. Ihr fremder Accent machte, daß ich sie nicht recht verstehen konnte. Nach den Eßen in Palais royal - Hier redete man viel von den silbernen Schnallen, die man den Leuten auf die Strasse herunterreist. Dann zu meinen Rendez-vous - der Vatter kam eben herunter, als ich in die Allée ging - ich retirirte mich sodann in einen Nebengang - ich wollte sehen, was aus den Ding werden würde; in der Absicht dem Mädchen zu declariren, daß Attachement unter uns zu nichts

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führte, und ich zu Ehrlich wäre, sie zu betriegen. Mehrere Kinder die herum waren hinderten mich mit hinaufzugehen, sie waren aufmerksam auf mich, und ich ging wieder, das Mädchen begleitete mich einige Strassen. xx. ich versprach ihr morgen zu kommen, wo ich die Aventure endigen werde, freilich nicht nach ihre Wünschen aber so wie es meine Gesundheit und meine Ehre erfordert. Den Abend brachte ich bey Reinewald mit Duberowsky zu, wir tranken Thee u. sprachen von Manuscripten, von Politik und von der Vertheidigung Mouniers. Ich ging erst um ½12 Uhr nach Hause, es waren wenig Menschen mehr auf den Straßen und man sollte nicht glauben, daß man in einer Stadt wie Paris in solcher Lage noch so spät sicher auf den Straßen wandeln könnte. Bekame einen Brief von <xxx> Sahler nebst der Relation von Waldner. d. 24t Heute morgens schikte ich den Brief an den Herzog auf die Post und schriebe an Beulwitzen: Von den wirklichen Umständen - von Neker und schikte ihn eine Copie des Briefs von Lally Tolendal - In den Thuelerien unterhielte ich mich mit der Frau am Baum. Mittags speiste ich in den Ek des grosen Platzes vor den Pal. royal bey einen Restaurateur schlecht u. theuer, ich trafe da einen grosen starken Mann, namens Hirt aus Elsaß an, |[313] der sich als abgeordneter einer Stadt zur Ass. Nat. in ihren Privat Angelegenheiten ausgab. Ich name ihn mit ins Caffee Corazza und traktirte ihn mit Caffee u. Liqueur, weil er mir anbote, auch zu Tractiren. Abends war ich bey den Strasburger Mädchen, das morgen früh zu mir kommen will. Später bey Allaix u. Meiern, deren ihr Fest ware und wo ich nachher mit Munnich u. sa. Tochter u. Blumendorf speiste. d. 25t Mein 27t Jahr zurükgelegt - die folgenden 3 Jahre decidiren - möchte ich sie so nüzl. anwenden, als ich es heute wünsche. Das Mädchen kam, sie ist rasend verliebt; ich war, ich muß es gestehen, in einiger Verlegenheit. Ich habe zu viel Gewißen, zu viel Redlichkeit, ein Attachement zu heucheln und doch kann ich ihr nicht auf einmal es declariren. Ich zoge mich noch ziml. gut aus den Handel, one daß ich nötig hatte, gegen meinen Vorsatz zu handeln. Reinewald hatte mich zu sich bitten laßen. Wir machten eine Tour übers Boulevard und speisten sodann in Hotel d'Espagne - Hier trafen wir einige Tischgesellschaften, mit denen wir auf die lezte Bekanntschaft machten - ein gleicher Trieb lange Zeit an Tisch zu sitzen und es sich wohl schmeken zu laßen hatte uns genähert. Einer von denen Herrn hatte richtige, angemeßene, der Sache einen witzige Wendungen gebende Ideen. Er erzehlte ordentl. und schilderte Mirabeau ganz gut indem er sagte, <daß er> qu'il savait apropier une idee elue, Sortie de la tête d'un autre, et l'appareiller dans le tems et le momens à propos. Wir blieben eine gute Zeit in berceau lyrique den Caffee, der unterirdisch ist, und betrachteten die Ein und Ausgehenden um zu unterscheiden, was für ein Fach sie haben. Abends bey Duborowsky einen von der rußischen Gesandschaft. Zu Hause trafe ich Briefe von Carl und von Uxkül an. d. 26t Ein kalter Tag - aber trocken - ich war des Morgens bey HE v. R. in Palais royal, den Tuelerien - bey den Prinzen Gallizin - Mittags zu Hause bey Brod u. Käse. - Abends irrte ich überal herum, ich trafe Reinewald, Duborowsky - Mde de Königseck nicht an, endl. kam ich zu Mde. le Jeui die ein artiges, modestes, gescheides Mädchen zur Tochter hat. Hier bliebe ich ungefehr bis abends 10 Uhr. |[314] d. 27t Nov. 89 Eberts hatte mir einen Brief von Moreau Dessinateur du Roi etc der die Figuren zu der schönen 9t Edition von Beaumarchais gezeichnet hat - einen sehr geschikten Mann. Sein erster Anblik ist etwas abschrekend, aber seine Conversation zeigt einen guten gefälligen

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Mann. Von da in den Magazin des Meubles de Daguerres - schöner, geschmakvoller, aber auch theurer habe ich noch kein Magazin gesehen, da ein groser Theil deßelben in den feinen Bronze Arbeiten besteht, so findet man auch solches in England nicht so. Ich werde oft hingehen, und iedesmals das aufzeichnen, was mir am besten gefiele. Eine Uhr gefiele mir besonders wohl, die zwar in einen etwas ernsten Styl aber sehr gut in Verhältniß ist. Zwey vortreffl. gearbeitete Figuren tragen als Caryatiden ein Gesimse Dorischer Ordnung mit einen Tronton in der Mitte deselben ist die Uhr befestigt - diese zwey Figuren <mache> stehen auf einen Postament und machen ein sehr gefälliges einfaches raisonnirtes Ganze aus. Mittags speiste bey einen sehr schlechten Traiteur Bardin - rue du four St. Honoré. - Abends <mit> kame Fleuret zu mir - Sieger holte mich ab ins Palais royal, wir drey gingen miteinander - er wollte hinauf zu Mädchens, ich wendete es iedoch ab - d. 28t Ein iunger Mensch, Musicien beym Theater de Monsieur, vorher Secretaire bey Sabalet de Lange - Coray - aus Dresden war bey mir - er ist 7 Jahr in Frankreich und hat das Deutsche so vollkommen vergeßen, daß er nichts oder sehr wenig davon versteht. Mittags bey Reinewald, mit ihm bey einen Traiteur in der Rue Traversiere gegeßen. In Palais royal und dann in seinen Logis, wo Duborowsky hinkame, der mir eine ganz umständl. Beschreibung von den Russischen Bädern machte, wo Männer u. Weiber in einen Zimmer untereinander baden. Ich hielte dies bisher für Fabel, so wie die Gewohnheit, daß <sie> sich die Rußen unmittelbar aus diesen Bädern heraus, in Schnee wälzen u. mitten in Winter in der Newa baden. |[315] d. 29t Heute morgens war der Assaut - ich bote Riegern ein Billet an, er name es nicht an, ich schikte sodan eines an Allaix, der mich in Caffee de Chartres abholte, ich war vorher bey Eberts, der nicht mitgehen wollte. Der Saal in dem der Assaut war, ist der wo gewönlich die Gemälde versteigert werden - dann wenn die Ausstellung ist, wird auf allen Seiten eine Wand von grauen Tuch heruntergelaßen - um den Saal herum ungefehr in der Höhe von 10' geht eine Gallerie herum - die gleichsam auser den Saal ist - diese ist ganz bedeckt, wenn die grünen Tücher herunter hängen, oben ist er in seiner ganzen Breite u. Länge, das Gesimse das stark hervorstehet abgerechnet mit Glas bedeckt. Auf den Gallerien waren die Damens - meist Weiber von Künstlern wahrscheinl. wegen der Verbindung in der Le Brun mit ihm steht - in den Saal selbst waren Stühle und Stufen - er faste ungefehr 500 Personen. In der Mitte war ein Platz gelaßen ungefehr von 10' in der Länge u. 6' Breite. Hier fochten die Fechter. Ich glaubte es würde feyerlicher seyn - die Fechter waren aber nicht beßer als gewönlich gekleidet - in einen weisen Leibchen - zuerst fochten sie à la muraille, wo sie mehr darauf sahen, sich eine vortheilhafte Lage zu geben, als zu treffen. Dann erst machten sie Assaut. Erst fochten zwey Fechtmeister - Gallay [Lücke] iener fochte gut und beßer als sein Gegner - sie fochten aber nicht mit den kalten Blut, um ihre Stösse rein zu geben, fuhren oft aufeinander zu, faßten sich zuweilen, kurz ihr Spiel war nicht schön und gefällig, sie waren mehr darauf bedacht, sich Stösse zu geben, <als> gut oder schlecht, als sich in vortheilhaften gefälligen Lagen zu zeigen und das Publikum zu unterhalten. |[316] Dann kamen Le Brun und Le Prince der Prevot von La Bossiere. Iener ficht links - er ist klein aber gut gebaut, sein Anstand ist gefällig, abgemeßen, seine Physiognomie sich immer gleich und one sich aus der Faßung und aus der anständigen Lage bringen zu laßen, giebt er Stöße und empfängt Stösse. Le Prince ist gröser, leichter, vergißt sich aber oft und ficht mit mehr Ehrgeiz als iener. Man sahe sogleich, daß dieses paar interressanter ware. Auch befriedigte es das Publicum vollkommen. Le Brun gefiel durch seine Schnelligkeit und

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Gewandheit. <Diese> ist stärker in Rapier, schneller in seiner Hand, giebt sich Blösen und führt seinen Gegner sehr gut - dieser ist beßer in seiner Stellung, dem Auge gefälliger, und vertheidigt sich beßer als er stoßt. An das erste Paar dachte man nicht mehr, wenn man das lezte gesehen hatte. Die Fechter fochten hier allgemein mit Masquen von Drath - grosen Handschuhen und Sandalen - das erstere sieht bizare aus, und ich halte es deswegens nicht für zuträglich, weil man sich nicht gewönt das Auge in Acht zu nehmen, und dann bey ernstlichen Gelegenheiten leichter verwundet wird - Sicher nicht da beschädigt zu werden, fahren auch die Franzosen zu oft aufeinander, und laufen daher leicht an, wenn sie auf iemand stosen, der ihrer festen Fusses erwartet und ihren Stoß abwendet. Sie fechten in ihren Charackter. Das Scherzen soulagirt sie, allein, es ist kindisch, und unangenehm, für die Zuschauer - des Franzosen Schnelligkeit - gegen des deutschen Stärke u. steifen Arm contrastirt seltsam, ich möchte wohl einen deutschen Fechtmeister mit einen französischen fechten sehen. |[317] Mittags speiste ich bey Rieger - d. 30t Bey Reinewald - ich ging mit ihm auf den Boulevard spazieren, und da, wo die kleinen Spectacles sind, speisten wir -es sind mehrere Traiteurs daselbst - ihre Häusergen sind in ganz kleinen Appartements abgetheilt, so daß oft kaum 3 Personen an einen kleinen Tisch sitzen können - die Fenster an den Thüren sind mit Gaze und rothen Taffet versehen und die in die Straßen mit Jalousien, so daß niemand herein sehen kann. Hier werden viele sogenante Portées fines gemacht. Wir gingen nach dem Eßen in eines der kleinen Schauspiele, das deßwegens wenig bekannt ist, weil es in die öffentl. Blätter keine Anzeige geben darf. Der erste Platz kostet 12 Sols etc. baignoirs 18 S. Diese sind die einzigen eingeschloßenen Logen auf den Parterre unter der Erhöhung der ersten <Loge> Etage. Der Saal ist klein, one Logen und mit sehr schmalen Bänken versehen. Es war heute sehr voll und die Zuschauer bestehen aus den Pöbel in engsten Verstand - ich kam neben einen Postillon und hinter einer Poissarde zu stehen, auch roch es so gemein übel, daß schon das schliesen läst, aus welcher Classe Zuschauer und Acteurs sind. Schurzfells, Austernweiber, Arbeiter, Taglöhner mit grosen sabots alles ist hier untereinander. Ich sahe mehrere Kerls mit einer weisen baumwollenen Mütze, die sie pflichtlich herunterzogen wenn der Vorhang heraufgezogen wurde. In der ersten Loge entstand ein Lerm - einer von denen dasitzenden hatte eine gewiße nasse Wärme von oben herunter gespürt, es wurde visitirt und es fande sich, daß einer von den edlen Zuschauern der Natur freyen Lauf gelaßen hatte. |[318] So abschrekend auch dieses Auditorium ware, so artig ware iedoch iene kleine Piece, die man gabe - La gerbe du bled, ein Acteur, der den Bailli machte St. Aubin spielte besonders ganz vortrefflich - die Musik ist meistens aus andren Operetten genommen - der Gesang schlecht, aber die Action in ganzen sehr natürlich. Ein ernsthafteres Stük, das man zuerst gabe - Olinde et Sophronime ware auch nicht ganz übel - Gewönlich sagte man mir geben sie die grösten Stüke von Racine, Corneille etc. Es sezte sich endlich ein gar artiges Mädchen neben uns, sie unterhielt mich so gut von dem Schauspiel, daß ich Reinewald vorschluge, in ein benachbartes Caffeehaus mit ihr zu gehen, und eine Pole Punsch zu trinken, welches auch geschahe. Wir hatten keine andere Absicht, als uns mit ihr über die kleinen Spectacles die sie kennt zu unterhalten. Sie heist Gosset u. ist aus Metz - da es vortrefflich schöner Mondschein ware und die Straßen troken sind, so begleiteten wir sie an ihre Thüre in der Rue St. Louis. Dieses ist eine der schönsten Straßen in Paris, man kennt sie iedoch wenig. Es ist ein ganz andere Stadt, wenn man in diesen Theil von Paris kommt. Wir gingen über die Bouleward nach Hause - und ergözten uns an der schönen Nacht - es war schon 11 vorbey. Der Platz bey den Thor von St. Denis, gegen die Stadt zugekehrt ist wirklich malerisch, es ist ein Punkt von wo aus man in die 4 Straßen und auf das

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Bouleward hinsiht - die Laternen, die darinnen hängen, die Unregelmäßigkeit der Straßen, die Entfernung und der blaue Duft in dem man die Palläste u. Häuser und Gärten sahe machte dieses Bild wirklich interressant. Man könnte eine schöne Zeichnung davon machen. Man muß diesen Prospect sehen zur Nachtzeit, wenn die Laternen angezündet sind, und der Mond dazu scheint. |[319] d. 1t December Bey Le Comte - mit Wambold zu Vaillant - Hier trafen wir einen Cirkel Weiber an, in dem wir uns nicht zum besten befanden, weil man zu sehr von particulairen Umständen sprache um an der Unterhaltung theil zu nehmen. Vaillant zeigte uns sein Cabinet, und gab mir ein Exemplar von seinen Werk. - Mittags speiste ich bey Le Comte. Seine Pension besteht aus einen Engländer, zwey von St. Dominique, einen Franzosen und Wambold u. Stadion - Sie scheinen recht gut bey ihm zu seyn. Ein Deputirter Namens Molliet speiste mit - es wurde iedoch nichts gescheides abgehandelt. Abends mit denen Herrn in der Fechtschule bey Prevot in der rue du petit Lion bey der de Boucheries - man fochte daselbst iedoch schwach - kein Starker war da - der Saal ist auch sehr schlecht. d. 2t Heute mein Rendez-vous bey Moreau zu Boullé. Dieses ist ein Mann von ungefehr 58 Jahren - er zeigte uns 6 oder 7 seiner Proieckte, die er unter Glas hat. Seine Organes drüken sich nicht leicht aus, aber er denkt hell und faßlich und spricht daher auch deutlich. Noch niemals habe ich so gut über Architecktur urtheilen hören, noch niemals die genaue Verbindung <x> die diese Kunst mit der Natur hat, so stark gefült als hier - Seine Ideen sind simpel und er findet wie Newton aus den Apfel der von Baum fiel, die Gesetze der Composition. Unter seinen Proieckten gefiele mir besonders das Grabmahl von Newton - Eine Sphere die inwendig hohl ist, und deren Scheitel das Epitaphe steht - macht den HauptCörper aus. Die Sphere ist nicht verziert nur mit einen blauen Azur angestrichen - das Licht fällt durch verschiedene kleinere Oeffnungen, u. eine grösere herein, die nach den System der Welten geordnet sind. Diese Sphere steht auf einen Fuß, in dem sie in der Helfte so eingeschloßen ist, daß man iedoch ihre ganze Runde sieht one |[320] von der <x> in der Architektur nicht gewönlichen Figur auf Bizarerie zu schliesen. Das Monument ist simpel und gros und würde auch mit wenigen Kosten ausgeführt werden können. Mehrere andere Monumente und Sarcophage ebenfals von der grösten Simplicität - Ein Proieckt eines Schloßes von der grösten Anlage auf der Terrasse von St. Germain - eines Rathhauses - einer Kirche, die vortrefflich gut raisonirt ist, und den grösten Effext machen muß, das Misterieuse der Gothische Kirche ist durch reflectirte Lichter, durch die die Kirche erleuchtet wird, hervorgebracht. Bey feierlichen Gelegenheiten, bey Processionen die heiterer sind, kann man aber die Kiche durch ganze Lichter erleuchten. Die Regeln der perspectife sind hier ganz vortreffl. angewendet. - Mehrere Stadtthore, die mir iedoch am wenigsten gefallen, sie sind zu schwer und die Idee, daß der Fuß in Kugeln ruht ist nicht glüklich. - Eine Biblioteck, von der ein Modell existirt, <x> ein Opernhaus - und mehrere andere Proiecte, die alle das Gepräge des Manes von Talent und der Simplicität tragen. - Es war schon 3 Uhr als wir weggingen, ich <schpeiste> speiste in Hotel d'Espagne, da ich Reinewald zweimal nicht antrafe - ging sodann zu Ravoisé, Allaix und sodann nach Hause. Des Morgens hatte ich einen Brief von Hiller bekommen - Forster hatte mich zum MittagsEßen zu sich gebeten, ich werde aber niemals hingehen, weil er einen imer erzehlt, was und wie und wann andere bey ihm gegeßen, ich möchte nicht gerne auch so gezält seyn.

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|[321] d. 3t Des Morgens bey Reinewald - ich ging mit ihm spaziren - ich hatte ein Billet de la Caisse d'Escompte an meinen Bedienten gegeben um es zu wechseln, um dieses Geld zu holen ging ich nach Hause. Wie erstaunt war ich nicht, als ich nur einige Louisd'or auf den Tisch nebst einen Brief antrafe, worinnen er Abschied name, und z. Theil berichtete, was er mir entwendet, oder versezt habe. - Da ich mir selbst die Schuld zu geben, weil ich zu leichtfertig ihm traute, da ich doch Ursache hatte, Mißtrauen in ihn zu haben, so ist es mir desto unangehmer und ich habe mir daraus die Regel abgezogen, nicht um die Sitten iedes Landes in dem ich lebe anzunehmen, sondern auch Bedienung aus dem Lande selbst zu haben. Eine Lection die mir vielleicht 25 Louisd'or kostet. Mittags mit Reinewald in Hotel d'Espagne. d. 4t mit Rieger in Palais royal - und dann bey Reinewald - Wir gingen in die Thuelerien, trafen Eberts an, und besehen mit ihn die Kreuzgänge der Capuziner und der Feuillans - leztere sind besonders interessant wegen denen artig gemalten Fenster, worinnen das Leben und die vorzüglichsten Vorfallenheiten u. Wunder von Le Barriere einer ihrer Heiligen dargestellt sind. Mit Reinewald in Hotel d'Espagne - Abends in Caffee Corazza. d. 5t Mit Reinewald Abends um 6 Uhr in Hotel d'Esp. zu Mittag gegeßen. Ich finde die Stunde zum MittagsEßen sehr bequem und wünschte mich immer danach zu richten. <Aber> Nachher sezten wir uns ins Caffee de Caveau - neben einen Mann der von der Bateille bey Dettingen, |[322] Fontenoi, R[?] etc - redete - er war dabey gewesen en qualité de porte Lunette de Louis XV. Ich sahe des Abends Perrodin. Er sagte mir von einer Kiste, die <er> M[?] fortschickte - ich bate ihn Briefe von mir einzuschließen. d. 6t bliebe ich den ganzen Tag zu Hause, um meine Briefe in Ordnung zu bringen. Ich begnügte mich des Morgens mit 2 Tassen Caffee und name sodann den ganzen Tag nichts mehr zu mir. d. 7t Von diesen Datum habe ich alle meine Briefe datirt. An Senkenbergen - deutsch - von 7t Xb. - seine Frau ein Billet. deutsch - von 5t 9bre - eodem - ein Brief frzsch. - von 29 9bre An Beulwitzen Nro 2. deutsch von 10t Sept. über meine Lage - 17t Octbr - Relation von Einzug des Königs. Relation von einen Concert Spirituel. - Ein Brief von 7t Dec. An Lotte - ein kleines Briefgen von 7t Xbre An Schiller - von 7t Xbre nebst Memoire von Mounier An <Müller> meine Schwester. Brief von 7t Xbre An Biber in Höchheim von 7t Xbre. 1 Brief von Carl an Lotte. 1 Brief von Carl an mich Nro VI von Juni. 89. |[323] An Müller Brief von 7t Xbre - Brief an Herzog - H.M.

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Paquet an Beulwitzen - an Schwester - Brief von Carl Nro VI. - an Senkenbergen - Memoire von Mounier Plan der Bastille für Louis. Ich endigte iedoch alle diese Briefe nicht heute. Der Hunger triebe mich aus - überdem hatte ich ein Rendez-Vous bey Wambold um die neue Kirche zu sehen. Ich holte Reinewald ab, um mit ihn der Rue Parchevin zu Mittag zu eßen. Nach diesem durchs Chatelet, da wir hier sehr viele Menschen die Truppen hinausgehen sahen, so folgten wir Ihnen - es war um den Verhör des Cheval de Radlique beyzuwohnen, der in Gefängniß ist, weil er den Bekern Gold geboten hat um sich approvisioniren, und dabey die Wege, die die Municipalität zu diesen Zwek anwendete, unnötig zu machen suchte. Rein. bliebe da, ich aber ging zu Wambold - es war schon zu spät - es war schon ganz Nacht. Ich stekte nur die beiden Theile der Reise von Vaillant, die ich da hatte liegen laßen zu mir und ging zu Harwey, der Carlsruher Mensch war zu Hause, sie aber nicht, ich trafe sie doch noch an, ich hielte mich nicht lange auf sondern ging ins Palais royal u. dan zu Reinewald. |[324] d. 8t ich wollte Perrodin das Paquet bringen, trafe ihn aber nicht an; ich war in seinen Hause, trafe ihn auch nicht an -Mittags speiste bey Rieger. - spielte mit ihn u. seinen Sohn Schach und des Abends lase ich in der Reise von Vaillant. Ich wurde so hingerißen von der Lecture, daß ich ihn noch des Nachts folgendes Billet schriebe. Je ne puis m'empecher de Vous tracer dans le moment ou je lis Votre voyage le plaisir extrème qu'il me donne. Je Vous en fais mille et mille remercimens. Attendri jusqu'aux larmes je les verse avec Vous dans les bras du genereus Klaus, sous la tente du Camp de Auteniquoi, au milieu de ces sauvages amis. Celuit est parté du coeur et parti au coeur. Simple et sans une eloquence recherchée et fastueuse il entraine, il ravit, il emeut. je partage avec Vous ce contentement, de plaisir pur et rare de vivre avec ces enfans de la nature, je les honore, je les aime et je ne veux pas d'autres amis. Ces Idées romanesques d'attachemens purs et simples, des Idéals d'amis vrais et sans faux, cette Simplicités naive et touchante, que je desesperais de rencontrer dans le monde; je les vois enfin réalisés dans la societé que Vous formiez au milieu de ce pais heureux, que des hommes froids appelent sauvage et defect. Mon coeur s'ouvre à tous ces sentimens delicieux, nobles et enchantans, qui sont les delices de la Vie et qui laissent dans l'ame une certains tranquilité, un certain repos que les gens du monde ne connaissent et ne trouvent pas dans leurs plaisirs rafinés et bruyans. Que de reconnaissance ne dois-je pas à l'auteur qui les a fait naitre, que des momens heureux ou je Vous les exprime. Je ne crois pas de me rendre ridicule a Vos yeux par cet épanchement du Coeur. Endouter serait la plus grande offense faite à Votre Coeur sensible et generaux. L'effet que doit faire votre courage sur tout homme droit et sensible en est le plus bel eloge. Je suis entrainé du Vouss dire cela encore dette nuit, avant que le Jours et les |[325] hommes me fasseent penser à des conveniances malheureuses, qui taxent ces epanchemens de folie et de forçe. Je retourne à ce concert de guimbardes, que je n'ai quitté que pour Vous faire part du plaisir, que Vous me faites gouter et dont je Vous dois les plus vives et le plus sincères remercimens. Le 9 à 1 heures la nuit. W. d. 9t Bey Reinewald - mit ihn in Hotel d'Espagne - abends bey Duborowsky -

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d. 10t Ich wollte zu Balleti gehen, trafe aber ihre Thüre versagt an. Dann erwartete ich Reinewald in Caffee um mit ihn zu Mittag zu Eßen - Fleuret kam hin, ich speiste mit ihn nach vielen Hin und Her Wanken von seiner Seite bey den Restaurateur. Nachdem wollten wir in sein Logis gehen. Wir trafen niemanden zu Hause an. Nun irrte er auf den Strassen herum one in Stande zu seyn, sich zu etwas zu entschliesen. Er wurde unangenehm, unfreundschaftlich, ich ertruge alles geduldig, weil ich weis, wie unangenehm es ist, wen man sich zu nichts entschliesen kann. Ich ging des Abends nach dieser unangenehmen Szene ins Caffee Corazza, wo ich Duborowsky antrafe, ich tranke Punsch mit ihm und dann noch bey Reinewald. d. 11t Heute morgens bekame ich Briefe von Muller - Deahn und Müllers Frau. Dann bey Delanoy und besahe einige Quartiere in der Nachbarschaft. da ich kein Geld mehr hatte so muste ich fasten. <x> Taßen Cafee und Brod dazu und des Abends in Ital. Caffeehaus 3 kleine Brod (Bendole) dazu hielten mich |[326] schadlos. Abends tranke ich Thee bey den Rußen in Hotel der 3 Milords. Ich sahe hier eine Illuminirte Zeichnung von einer übelen Krankheit, die in Paris sehr gewönlich. Diese sezte mich in einen solchen Ekel und Entsetzen, das ich dieses Bild nicht werde aus meinen Augen bringen können. Ich schriebe bey Duborowsky an Müller. d. 12t Truge den Brief von Muller auf die Post und erkundigte mich nach meinen verlorenen Brief. Dann durch die Thuelerien zu Gambs - er hatte eben eine Hochzeit - ich ging unterdeßen in einige Strassen herum und bliebe dann bey ihm zum MittagEßen. Vorher trafe ich bey ihn einen iungen Pfeffel, Sohn des grosen Publicisten an. Ich war morgens u. abends bey Fleuret. Das leztemal lies er mir sagen, one mich zu sprechen, er müsse bey den Prinzen bleiben. Noch bey Ravoisé es sind gar gute Leute ich amusirte sie mit meiner Erzehlung von den Einzug, den ich in Paris gemacht habe, wie ich in die Rue des Mauvais Garçons kame und wie ich das Hotel des Grafen von Toulouse fande. Ich liese mir die Kastanien von Lyon, die sie eben scheelten, trefflich schmeken. Jetzt ist mein Geld ganz und gar aus, so daß ich nicht einmal morgen früh eine Tasse Caffee trinken kann. |[327] d. 13t Briefe von meiner Schwester nebst einer Assignation und Brief an M. de la Chauffade rue de Bondi Nro 51. Das gute Mädchen, ihr Bezeigen rührte mich. Ich machte mich sogleich auf, um zu ihm zu gehen. Es ist ein alter Mann weit in die 80. Er sase in einen Lehnsessel an Camin und zwey alte Weiber bey ihm. Er machte sogleich seine Entschuldigung, daß <ich ihn> er nicht zalen könnte und ich war nicht wenig embarassirt, da ich aus den Brief vername, wie arm und elend mich Endler hinstellt. Ich protestirte sogleich gegen alles und dies schien ihn zu gefallen. Er gabe mir auf ein andermal Hoffnung. Dann war ich bey Mde Trenonay, ich wuste nicht, daß es schon so spät seye, ich war eben kommen, wie man die Suppe auftruge, ich retirirte mich also sogleich wieder. Reinewald war nicht zu Hause. Ich ging nach Hause und lies mir etwas warmes von Mde Lafare geben. Nachmittag bey Rieger. Sein Sohn kaufte mir meine Pistolen ab. Abends schriebe ich ein Billet an Müller u. schloß es in Riegers Brief ein, ich gab ihn die Adresse von meinen neuen Logis. d. 14t Heute bestaunde5 ich endlich mein Logis in Hotel d'Angleterre rue Colombier fxb. St. Germain für 30 Livr. des Monats, ich gabe 6 L. darauf. Mittags speiste ich bey Trianon rue de Boucherie ich werde mit diesen Traiteur einen Accord für das Eßen machen. Abends bey Delanoy -

5 Lies: bestaunte = besichtigte.

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dann bey Duborowsky mit dem ich Caffee |[328] tranke, der mich verhinderte zu schlafen. Ich sahe bey ihm die Voyage pittoresque par la France. Einige Gothische Kirchen und andere Gebäude interessirten mich, besonders die von Compiegne. Allaix war des morgens bey mir gewesen, ich gab ihn einen Brief für meine Schwester auf die Post zu tragen. d. 15t Tranke bey Rieger Chocolade - dann zu Allaix ins Caffee de Chartres, wo er mir Rendez-Vous gegeben hatte - wir gingen mit einander auf die Bibliothek die innen Einrichtung ist nichts - die <Zimmer> Säale sind lang und von einer Seite erleuchtet, an der entgegengesezten stehen die Bücher in langen Reihen und wohl 8 -10 Reihen über einander. Ueber diesen ist ein<e> Vorsprung mit einen Geländer eingefast, und in diesen Theil wieder Reihen Bücher, die dan ganz aus dem Auge sind, auser man müste auf die Gallerie selbsten gehen. In den Säalen stehen auf Tischen die Modelle der verschiedenen und vornehmsten Handwerkern alle ins kleine gearbeitet aber so, daß sie in allen ihre Proportion beibehalten. Dieses ist interressant und lehrreich, nur wünschte ich, daß iedem Instrument der Name beygefügt wäre. In einen andern Theil der Bibliothek stehen zwey Globen tenestris et Celestris - von 12 Schuh Diameter - ich sehe den Nutzen dieser Maschinen nicht ein. Das innere ist eine Charpentage, dann ein Ueberzug mit Gyps, dann alles mit russischen Leder überzogen. Das Cabinet für den Kupfer ist in einen andern Theil es enthält ein groses Zimmer und ein Vorsaal, in diesen ist eine <Mo> Zeichnung einer Bibliothek von Neulli. |[329] Die Kupfer sind in Cartons eingelegt und stehen wie Bücher aufgestellt in der Mitte des Fachs geht eine eiserne Stange querüber die <x> aus zerschiedenen Gliedern besteht, die in Haken auf ieden Schiedbrett der Länge nach herunter ruhen. <Man> An lezten Glied ist ein Schlößgen angebracht mit die man es an andere Glieder schliest, so daß es eine gerade Stange wird und alles unter den Schlüssel ist. <Mit> Ich trafe in der Bibliothek einen HE v. Nesselrodt aus Düsseldorf an nebst einen Spanier. Es waren hier auch einige Frauenzimmer. Bey Reinewald lase ich die Zeitungen und speiste sodann mit ihm in Hotel d'Espagne. Abends zu Hause und packte meine Sachen ein. d. 16t Bey Mlle Balletti, die ich nicht antrafe, bey Reinewald, Mde Konig - Mittags bey Rieger zu Mittag gegeßen. Bekame einen Brief von M. le Baron de Ville [Lücke] Colonel d'infanterie, Chev. de St. Louis, et Lieutenant des 100 huisses. Abends bey Ravoisé, Meier und Duberowsky. d. 17t Des Morgens bey den Chevalier, wo ich das Geld von meiner Schwester ausgezalt bekame - dann bey Fochter und mit ihn zu Mde Vaillant. Der Mann ging mit einer Mde. Foyaux, die in Haus auf einige Zeit logirt aus, um zu Gaste zu eßen, ich bliebe <also> bey ihr zum MittagEßen nebst Forster ein alter |[330] aber noch frischer, munterer Mann kam zum MittagsEßen herunter - es war der Vatter von Vaillant. Ich bliebe den ganzen Nachmittag noch da - abends kam ein iunger Mensch - Varro, es wurde eine Parthie Reversi gemacht, bey der ich nur Zuschauer war. Vaillant ist ungefehr ein Mann stark in die 30. Seine Physiognomie hat nichts anziehendes, sie ist kalt und sich immer selbst gleich; Ein weiser, der mit schwarzen einige Zeit lebt muß Egoist werden, er wird da als ein Gott angesehen und sein Urtheil allein gilt dieses scheint er beibehalten zu haben. Er urtheilt entscheidend aber richtig und one menagemens. Die Empfindungen, die er in seinen Buche äusert halte ich für wahr und treu beschrieben, allein wer hätte nicht bey dergl. Gelegenheit gleiches empfunden. In ganzen Betracht halte ich ihn für keinen besonderen Mann aber doch noch interressant, weil er es einmal zu einer Zeit ware. Es giebt Menschen, die man nur durch langen Umgang kennen lernt, Menschen, die in sich selbst gekehrt äuserst vorsichtig müssen beurtheilt

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werden, und dann bey genauerer Bekanntschaft, alle die guten Seiten sehen laßen, die in sich gekehrt waren. Von diesen ist vielleicht auch Vaillant, und dann gilt das Urtheil, das ich iezt fälle nicht mehr, aber so wie ich ihn hier beschreibe fiel er mir wenigstens bey der Bekanntschaft von ettl. Tagen auf. Vaillant ist kein Gelehrter, nicht einmal in der Naturhistorie scheint er Meister zu seyn, er war aber deswegens vielleicht desto fähiger, so zu reisen, wie er reiste, und das zu sehen, was er sahe. |[331] er spricht wenig und garnicht von seinen Reisen. Mde. Vaillant ist aus den Oesterreichischen Niederlanden, eine noch artige Frau; sie scheint einen entschiedenen Charackter zu haben, der sich mehr den männlichen nähert. Sie hat viele kleinere Talente, die iezt iedoch verfallen, als Singen, Musik, Tanzen, ich tanzte selbst mit ihr heute, ob gleich uns HE Forster nicht erlaubte in Tackt zu kommen. Forster ist ein in Paris seltener Mann, er ist ganz von den<en> frauenposen Charackter, die verlangen, daß man alles anhören muß, was sie und ihre Haushaltung und ihr ganzes Wesen betrifft. Da muß alles erzehlt und ausgekramt werden und keine Gnade bis auf die Briefe die man von seinen Bruder, seinen Vatter etc. bekommen hat, und die man immer bey sich trägt. Dies geschieht aber bey Forster mit einer Treuherzigkeit, mit so wenig Mißtrauen, daß es für eine 3t. Person ennuyant seyn könnte, mit so groser Begierde, daß <sie> er ia alles erzehlt, daß man wirklich nicht so grausam seyn kann ihn zu unterbrechen. Er hat den Bergbau in Coburgischen gelernt und hilft iezt seinen Bruder in den grosen Mineralien Handel, den dieser in England und Frankreich führt. Er erzehlte mir, daß sie eben ein Cabinet nach Spanien verkaufen wollten für 120000 Livr. |[332] Gegen 8 Uhr ging ich zu Lebret auf den Quai de la Feraille nro. 21 ein solches Bügelwerk und Schweinnest als dieses Haus habe ich <noch> lange nicht gesehen. Lebret befindet sich so wohl darinnen, daß er mir das Quartier anriethe. Er war nicht zu Hause, ich wartete trafe ihn aber nicht an. Ich war von da bey Reinewald, den ich nicht antrafe. Nach Hause um mich brennen zu laßen. d. 18t Bezalte Mde. Lafare - Perruquier etc. und liese meine Koffers und übrige Kleinigkeiten durch 2 Comissionairs transportiren. Sie luden alles auf einen kleinen Karren, einer spannte sich forne an <x> der andere schobe nach. Ich erwartete sodann Reinewald in Caffe de Chartres und speiste mit ihm in Hotel d'Espagne, tranke sodann bey ihm Thee und spät war ich noch bey Lebret, der morgen weggeht. Ich trafe da einen HE. Cammerer, ebenfalls aus Studtgard an. d. 19t Hab mit meinen Ofen Geschichten, den ich vertauschte und einen andern mit einer Röhre setzen lies. Ich spazierte auf den Quai und stierte die alten Bücher durch, kaufte auch einige davon. Abends in Hotel d'Espagne. Es sasen Deputirte neben mir. Einer davon hat seinen eigenen Vin de Grave - er offerirte mir davon - ich trank ein Glas. Er und die andern Herrn hielten mich für einen Engländer. Sie sprechen mit dieser Nation sehr gerne über ihre Revolution. Sie wollten absolument meine Meinung darüber wißen. Ich wiederholte aber nur immer. Messieurs - il faut Voir la fin de tout cela. Sie sagten mir, daß ihnen |[333] eben dieses zwey Engländer geantwortet hätten mit denen sie vorgestern gegeßen hätten, und nun hielten sie mich desto sicherer für einen. Nun ging es aber an ein Fragen über Constitution, über Parlamente etc. Z. Glük hatte ich die ganze Zeit so viel reden hören über diese Materie und den Unterschied der Assembles und des Parlaments [?] daß ich Ihnen hinlängliche Antwort geben konnte. Dann bey Duborowsky - d. 20t Ich wollte Le Comte mit Wambold in Jardin de Luxembourg antreffen, wo sie gewönlich des Sontags Caffee trinken, fande sie aber weder da, noch zu Hause. Mde Vaillant hatte mich um die

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Confession von Rousseau gebeten, ich kaufte sie, liese sie mir ins Luxembourg bringen, und von da begab ich mich zu ihr. Ich bliebe auch wieder den ganzen Morgen bey ihr. Sie erzehlte mir, daß die Trumbachische mit ihr durch ihren Mann verwand seye. Die Trumbachen seye eine Schwester von der Mutter von ihren Mann und aus der Familie der Mauritius, wovon einer Gesander in Hamburg ware. Sie behauptete ferner, daß der Fuldaische Chargé d'affaire de Ligné ein schlechter Mann seye, daß er ihr selbst die Proposition gemacht habe, <x Geld> wenn sie ihm Geld gäbe, das Interesse seines Sohns zu vernachläßigen etc. <Von da> Ich trafe daselbst einen Namens Masse an, der als Chirurgien zu den Regiment Meron nach Zeeland geht, und das Cap passirt, er will mir Briefe an meinen Bruder mitnehmen. |[334] Dann bey Harwey - es kamen mehrere Engländer dahin - sie hatte sehr Zahnweh und war daher nicht gesprächig. Ich hatte den ganzen Tag nicht gegeßen; dieses brachte eine so unangenehme Wirkung vor, daß ich nirgends ruhig ware, immer kam der Hunger und meldete sich. <Zudem> bey Ravoisé traf ich das nicht an, was ich suchte, ich ginge bald nach Hause, kaufte unterwegens etwas gebratenes - wärmte mir Milch und legte mich beizeiten nieder. d. 21t Räumte meine Sachen vollends ein und speiste Mittags bey Farget - Nachmittags bey meiner ersten Hausfrau, die ich in Paris hatte. Ob sie gleich eine Fripière, in der Rue des Mauvais Garçons wohnt und daselbst ein kleines mit einer erbärml. Treppe und schreklichen Eingang versehenes Hotel hat, so ist eben doch das eine gute Frau, die in ihren iungen Jahren sehr schön mag gewesen seyn. Abends zu Hause, schriebe an Tagebuch und an Carl. Heute Morgens ging mir schon in Bett das Proiect mit den Pompiers in Kopf herum, und fiel mir ein, es auszuarbeiten. Meine Frippiere sagte mir einen Ausdruck, der mir sehr gefiele. Es ware die Rede von den vielen Freudenmädchens, die in diesen Quartier, sie sagte mir, wie gefärlich, wie interressirt und wie boshaft diese Creaturen wären. Elles Vous ruinent, elles Vous desolent, elle prennent toujours et tout ce que votre bon coeur leurs donne, et quand Vous n'avez plus rien du tout, quand Vous n'avez que les Yeux pour pleurer elles Vous quittent et se mocquent de Vous. |[335] d. 22t Besuchte Riegern - und speiste des Mittags dorten -vorher aber ware ich genötigt nach Hause zu gehen, um mich anzuziehen. Abends bey Ravoisé - d. 23t Bey Gambs; ich stierte seine Bücher durch und fande die Werke von Helvetius, die ich lesen will; bey Floret liese ich ein Billet zurük um die Bücher abholen zu laßen. Bey Reinewald und dann zweimal über das Waßer gefahren. Eine Farth, die sehr angenehm ist, man sieht da, besonders den Louvre gegenüber die Gebäude unter einen Augenwinkel, worinnen sie vortheilhaft erscheinen. Ich speiste mit Reinewald in Hotel d'Espagne. Wir wollten sodann in die Ital. Comoedie de Monsieur gehen, verloren uns aber auf der Strassen; ich ging demongeachtet hin, name ein Billet, konnte aber keinen Platz finden u. war sodann bey Duborowsky, den ich nicht zu Hause antrafe - dann bey Faineau - dann bey Ravoisé, wo ich leztere antrafe - sie trozte und hatte wirkl. auch Ursache, denn nichts beleidigt gewiß eine eitle Frau mehr, als eine abschlägige Antwort auf gewiße Avancen. Ich begleitete sie iedoch nach Hause, sie bate mich mit hinauf zu gehen; ihr Vatter kam, als ich kaum ettl. Minuten oben ware. Ich ging nach Hause über die Pont neuf. Die Kleinkrämer, die daselbst sind haben meist ihre Waaren zu einen Preis, dieses ist sehr anlokend, aber oft unbegreiff. wie so verschiedene Sachen gleiche Preise haben können. Uhrketten und Frisier Kämme, Schnallen und Pantoffeln - Hamer und Zange und Nehnadeln alles ein Preis à 48-30-24-12-6 <et> 4-2-1 Sols bis zu 2 Liards. Ich kaufte bey so einen 1 Löffel, Meßer - Gabel, Halsschnalle, Compas iedes à 4 Sols. Ich ware so müde, daß ich mich bey Zeiten niederlegte - vorher noch einige Seiten in Helvetius.

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|[336] d. 24t Allaix war bey mir, wir tranken Caffee, ich verkaufte ihn meine Uhr um 60 Livr. Um meine Lecture, die ich iezt anfangen will, so nüzlich als möglich zu machen, will ich iedes mal das aufzeichnen, was mir gefällt. Bisher habe ich zuviel und ohne Nutzen gelesen, von iezt an will ich anfangen, wie der Schühler sein A. B. C. Mittags ginge ich, bey Farget zu Eßen. Die besondern Gesichter, die gierigen Blike mit denen sie alles verschlingen, amusiren mich oft. Warum hat der Pariser die Gewohnheit immer seinen Huth auf den Kopf zu behalten, er, der sonst so höflich seyn will, ist es nicht mißtrauen, daß er ihn gestolen wird, wenn er ihn weglegt. Um mich ein bisgen ins freye zu machen, gehe ich über das Quai, sehe die Kupfer, die alte Bücher, das Louvre und die Kirche Mazarin an. Ich lase des Abends in Helvetius, machte einen Auszug und schriebe an Carl. d. 25t Des Morgens bey Delanoy, er lehnte mir einige Bücher, die ich mit nach Hause name. Mittags speiste ich bey einen Traiteur in der rue Quincampoix - wo die Platte 5 Sols kostet - die Unreinlichkeit und die Finsterniß die gewönl. bey denen Traiteurs herrscht machen auch das beste Eßen unschmackhaft. Abends bey Allaix, besahe die Bäder von Titus - dann bey Ravoisé, dann bey Duborowsky. d. 26t Heute fing ich an einen Plan einer Caserne zu zeichnen, Mittags speiste ich bey Farget, und machte sodann eine Tour über das Quai, zeichnete abends Figuren und schriebe an Carl. d. 27t Des Morgens in Luxembourg, dejeunirte mit Le Comte u. Wambold ging sodann mit diesen zu mir, ins Palais royal u. zu Eberts. Dann nach Hause u. zeichnete. Abends schriebe an Carl. d. 28t kam nicht aus - Allaix war bey mir -Abends 1 Brief durch die kleine Post von Rieger. d. 29t Ich hatte mir heute vorgenommen, weil ich doch ausgehen muste, mehrere Besuche zu machen. Zuerst bey Msr. Masset, der nach Zeylon geht und mir Briefe an Carl mitnimmt. Dann bey Rieger, Vatter und Sohn. Dann bey Reinewald, auf der Post und bey Henry und Compagnie. Die Briefe für mich hatten von Stein in Nordheim - Bey Allaix |[337] mit diesen ging ich zu Ravoisé und speiste dorten. Dann mit Allaix ins Palais royal und nach zu Duborowsky. Lächerlich war die Scene, als wir davon redeten, daß ich Correspondenz auf den Cap habe, und er dann auffuhr, einige Schritte zurüktrat und in seinen halbgebrochenen Französisch ausrief - Comment - Que Vous êtes un homme heureux - mais je ne puis me faire [à] l'idée qu'un homme puisse être aussi heureux und so ging es in einem Odem fort. Er reducirt alles auf das Vergnügen Manuscripte zu haben, und da er sehr wünschte, welche von Madagascar zu besitzen, wo er praetendirt daß noch Griechische sind, so hat er die ganze Zeit drauf gesonnen wie er dahin Gelegenheit haben könnte. Daher sein Erstaunen. d. 30t Delanoy war des Morgens bey mir. Abends zog ich mich aus, um nur eine Tour über Pont neuf u. den Quai zu machen, und frische Luft zu schöpfen. Ich war in den Palais des mouchards und besahe die Boutiquen. Schriebe an Carl. d. 31t Delanoy hatte mir Rendezvous in einen Haus auf den Place Victoire gegeben, dieses nötigte mich auszugehen. In Palais royal trafe ich Fleuret an. Del. u. ich besahen miteinander das Magazin von Daguerre, das um diese Zeit prächtiger als iemals ist. Nachher in Palais royal, wo ich Nauman

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sahe; speiste in Hotel d'Espagne - Abends bey Duborowsky, Reinewald kame und wir gingen miteinander des Abends noch herum bis 10 Uhr. Auf diese Art beschloße ich dann ein Jahr in dem ich was meine Kunst <profitirt> anbetrifft sehr wenig Fortschritte gemacht habe. An Welt Erfahrung aber und an neuen Ideen, die ich durch die grose Revolution erworben, desto weiter gekommen bin. In ganzen genommen war ich dieses Jahr unglüklich, wenig heitere Tage, keine reine, edle Freuden, aber auch keine Ausschweifungen, die ich zu bereuen hätte. Ich nehme den Vorsatz mit hinüber in das frische Jahr alle meine Zeit, alle meine Kräfte auf die Erlernung meiner Kunst anzuwenden. Finis 89.