German Studies Association Recht auf Widerstand: Pflicht zum Widerstand: Der Fall "Wilhelm Tell" Author(s): Hildburg Herbst Reviewed work(s): Source: German Studies Review, Vol. 21, No. 3 (Oct., 1998), pp. 429-445 Published by: German Studies Association Stable URL: http://www.jstor.org/stable/1431230 . Accessed: 08/02/2012 03:41 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. German Studies Associationis collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to German Studies Review. http://www.jstor.org
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Recht auf Widerstand: Pflicht zum Widerstand: Der Fall "Wilhelm Tell"Author(s): Hildburg HerbstReviewed work(s):Source: German Studies Review, Vol. 21, No. 3 (Oct., 1998), pp. 429-445Published by: German Studies AssociationStable URL: http://www.jstor.org/stable/1431230 .
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gehtvor wie Lesley Sharpe,die meint: "Tellis not aperceptiveman";'7"[Tellis]a man little used to thinkingoutsidethe realmof proverb, liche,andaxiom";'8 nd
durchdieses einmalgewahlteFilter auchdas Selbstgesprachbeurteiltundfindet,was sie erwartet:"Tell'sthoughts hen areconfused and evenconflictingfromthe
point of view of strictlogic butquiteunderstandablen the characterwith whom
Schillerhasacquaintedus in theplay."9GerhardKaisersprichtabermitRechtvoneiner"falschlichenAnwendungpsychologischerKategorienaufTell."20Kritiker,die sichanderInkonsistenzderpsychologischenZeichnung t6ren,verkennen,daB
es sich trotzallerliebenswiirdigenKonkretheitTells "wenigerum die Darstellungvon Charakteren ls von Denkungsarten"2'andelt,wie WalterHindererbetont.
SchillersTell des viertenAkts,derseinenT6tungsplan echtfertigt,st einanderer,als derTelldes erstenAkts,derBaumgartenpontanundunreflektierturHilfeeilt.
Aber der liebliche Schimmer,den Iffland in derhohlen Gasse vermi3t,also das
ungebrochenNaive, ist Tellja nicht auseigenemMutwillenabhanden ekommen.
Sein groB3es elbstgesprach erdeutlicht,daBerden ZustandderIdylle,wo Wille,Tat undVollzug wie beim antikenoder beim Marchenhelden ine ungebrocheneEinheitbilden,endgiiltigverlassenhat.
Fur das 18. Jahrhundertwar der Tyrannenmord in Konzept von grof3erFaszination,bevorer durchdieFranzbsischeRevolutionauferschreckend onkrete
dramaturgischen,sthetischenoderpsychologischenGrundenkritisieren;um dasethischeProblem,das hierabgehandeltwird,zu erfassen, st Tells SelbstgesprachabsolutunerliaBlich;ierkristallisiertich,wie Schiller elbstbetont,die"Hauptideedes Stiicks:"32Mord st nurals derletzte,notwendige,undsorgfaltig abgewogene
Ausweg auseiner m weitestenSinnepolitischenZwangslagevertretbar, achdem
alle "sanftenMittel," 1315)an dieRedingaufdemRiitligemahnt,nichtsgefruchtethaben.Der Impulszum iuBerstenWiderstanddarfsich,wie hierin WilhelmTell,
ausEmotionenpeisen;dieDurchfiihrungerlangtnachvollkommenerNiichternheit."Widerstand egen die Obrigkeithat es gegeben,seit es die Obrigkeitgibt,"33
stelltderHistorikerPeterHoffmann apidar est undweist daraufhin,daBseit demMittelalter n der deutschen wie in der europaischenGeschichteimmerwieder
aktiveAuflehnunggegenstaatlichesRechtvorgekommen ei, "wennes das Leben
zerstorte,statt es zu schiitzen."34 er mittelalterlich-mythischeHeld Tell gehortebenso in diese Traditionsreihewie die Widerstandskampferm DrittenReich.
Selbstwenn dieAttentiterdes20. Juli mit einem modemenmilitirischenApparat,den es sowohl zu nutzen als auch zu unterlaufengait, und Schillers schlichter
Alpenjagermit der Armbrustunendlichweit voneinander ntfemtsind,was ihren
Aktionsmodus betrifft, sind sie einander nahe in der Intensitat ihrer
GewissensbefragungundRechtfertigung ineran sich verabscheuenswerten at.Der deutscheWiderstandhattenatiirlichviele Gesichter,abergeradedie Manner
des20. Juliwaren n ihrerkonservativenGrundhaltungemSchillerschenCharakter
ahnlich, wie zahllose Briefe, Berichte, Tagebucheintragungen nd iiberlieferte
Gesprachebelegen. Eine an Tell erinnemdeenge Bindungan die Familie und die
Sorgeum die ZukunftderKindergiltalswesentlicher mpuls ir ihrenVersuch,das
stattfinden ollte, sowie nationaleund internationaleVerflechtungenkeine Rollespielen. Was Schillers Kunstfigurund die tatsachlichenAttentiter des Dritten
Reiches verbindet, st die Intensitatder Selbsbefragung,ob die geplanteT6tungeines Menschenaul3erhalbines sozial sanktioniertenRahmens(erklirterKrieg,
Justizt6tung,pontanendividuelleNotwehr)gerechtfertigtei. DainTellsMonologdas Allgemeingultige und das Grundsatzliche politischen Widerstands
durchreflektiertwird, ist keine miihsameAktualisierungn6tig, um Schillers im
friihesten 19. Jahrhundertgeschaffene, auf einem mittelalterlichen, fast
miirchenhaften orbildberuhendeTell-Figurals "modem" ubezeichnenund mit
denAttentatemdes DrittenReichs in Beziehungzu setzen.Das frei erfundeneZusammentreffenmit Parricidawar, wie Klaus Berthel
bereitsdurchdenMonolog hinlanglichgerechtfertigt ei.41Wie beimMonolog ist
auch fur die Parricida-Szenedie friihe Kritik Ifflands besondersaufschlul3reich,weil sie mit den handschriftlichenAnmerkungenSchillers erhaltengebliebenist.
derZusammenstellung it einem hrsoganzunahnlichenGegenstiick,und die Hauptidee des ganzen Stiicks wird eben dadurch
ausgesprochen,nehmlich:"Das Nothwendige und Rechtliche der
Selbsthilfein einemstrengbestimmtenFall."44
Eine Verkniipfungvon Monolog und Parricida-Szene st offensichtlich;
Schliisselbegriffeaus demMonologwerdenwiederaufgegriffen:FrauundKinder,HiitteundHerd,die ReinheitderHande,die SelbstlosigkeitderTat,GottalsZeugeund Inspirator. n herzlicherSelbstlosigkeitwollen Hedwig und die Kinder den
Fremden"erquicken"3101) und "laben" 3103) und zeigen damit,daB sie die
schiitzenswerteFamiliesind,von derTell in derhohlenGassegesprochenhatte.In
seinerdialektischenRedegewandtheiteigt TelljetztnocheineSteigerung egeniiberseinem Selbstgesprich.Aber nunmehrhandelt es sich nicht um einen Monolog,sonder trotzTells anfanglichpontifizierendemTonumeinenDialog, in dem die
beidenungleichenManner atsachlich ufeinander 6ren.AmAnfangundam Ende
GeBlersT6tung war, ist es jetzt in Tells Augen so verwerflich, daB Parricidainnerhalbder eigenen Familie gemordethat:"Ihrhabt den Kaiser / Erschlagen,Euren Ohm und Herm."(3163/64) Scharfund erbarmungslosarbeitetTell den
Gegensatz zwischen sich und Parricidaheraus;er attestiertdem anderen "der
Ehrsuchtblut'ge Schuld"; 3176) er selbst dagegenhat aus "gerechterNotwehr"
akzeptablereTatTells.50Das diirfteauchSchiller,demHistoriker, ichtentgangensein; um so mehr muBte sich Schiller, der Dichter, bemiihen, die "politischeBedencklichkeit,"'aufdie Ifflandhingewiesenhatte,auszuraumen. ieDiskussion
um die Rechtsproblematik es Tyrannenmords ar ein gutes Jahrzehntnachder
Hinrichtung des franzosischen Konigs noch nicht abgeschlossen, und ein
aufinerksamesPublikum konnte durchaus Parallelen entdecken zwischen der
desOpfersab,sondemvonderQualitatderMotive. TatsachlichwarderhistorischeKaisereine weniger positive Figurals bei Schiller;sein Verlangen,die Schweiz
wegenderPassenachItalienunter eineOberhohheitu stellenunddasrechtswidrigeVorenthalten esParricida-ErbesindeinBeweis furseinriicksichtslosesBestreben,die eigene Hausmachtzu vergroBem.Aber in WilhelmTell ist es GeBlerund
(abgesehen von marginalen Andeutungen) nicht der Kaiser, der das
Tells liebevolles Verhaltniszu Frauund Kindem ist offensichtlichungebrochen,aber das endgiiltigeAblegen der Waffe sollte doch wohl nicht nur fur ihn, den
Armbrustwie mit eineminnigenFreund; einer Fraugegeniiberbezeichneter siesogarals Teil seiner selbst: "Mir ehlt derArm,wenn mir die Waffe fehlt." 1535)Selbstseine S6hnespielen autRegieanweisung"miteinerkleinenArmbrust."vor
1466)DadieArmbrust or dem Mordalsso wesentlicherBestandteilderTellschen
Existenzeingefuhrtworden st,muBes auffallen,da13ie nach dem Mordfehlt. Der
kleine Wilhelmerfal3t ies sofort:"WohastdudeineArmbrust,Vater? Ich sehsie
nicht." 3137/38) TellsAntwortdeutetaufeine Veranderung in,derenBedeutungnicht starkgenugbetontwerdenkann:"Du wirstsie nie mehrsehn. / An heil'gerStitte ist sie aufbewahrt, sie wirdhinfortzu keinerJagdmehrdienen." 3138/40)
Es ist erstaufdiese Ankiindigunghin und nichteher,daBHedwig"O Tell! Tell!"(3141)ausruft nd autBiihnenanweisungeineHand oslaBt ndvon ihmzuriicktritt.
(vor3142)Martinimeint,daB s derMord st, der"fir einenAugenblick elbst seine
Gattinundgeradesie vor ihm zuriickschrecken1i3t."61ber die Tatsache,daBsie
jetztundnichtfriiher or ihmzuriichschaudert,egtnahe,daB ie damitnichtauf den
sondern iiber die Gefahren,die ihr Mann iiberstandenhat, denn im nachstenMomenthangt ielautRegieanweisung an einemHalse" vor3133)undversichert,"OTell! Tell! WelcheAngst litt ich um dich!"(3133) Es kommtalso alles auf die
in den Regieanweisungen sorgfaltig festgelegte Zeitenfolge und Hedwigs
Schweizem als StartschuB u weiteren Befreiungsaktendiente. Ein ahnlichesZusammenfassen llerEnergienzumgemeinsamenZweck bliebdem Attentatam
20. JuliauseinerReihe von Umstandenversagt.Nicht derErfolgalso, sonder die
AuradespersonlichTragischenstes,was denerfolgreichenTell unddieerfolglosenAttentatermiteinandererbindet.Alles,was Tellauszeichnet,einGewissenskampf,sein EntschluB,das Notwendige im Alleingang durchzufuhren, ber auch das
Gefihl des trotzallerRechtfertigungUnrechtlichen piegelt sich im Brief eines
jungerenOffizierswieder,der die tragischeKomponente m Kampfgegen Hitler
erkannthatte:
Das Einzigartigeund,um ein oftmi3brauchtesWort n seinemstrengenSinne
anzuwenden,das TragischeihrerLage bestanddarin,daB ein Ausweg nur
m6glich erschien,wennsie selbstdurcheinenAkt der Gewaltdas Odiumdes
Eid-, Treu-undRechtsbruches uf sich nahmen....[Sie]nahmenals Einzelne
fir die Allgemeinheiteine Tataufsich,die in ihrerAnfechtbarkeit, berauch
in ihrerunausweichlichenNotwendigkeitihnen klarvor Augen stand.Wie
Doppelcharakter er Tellschen Tatund der ChanceeinerMiBdeutung 6llig imklaren.KarlAugustBottigerberichtet,Schillerhabe nGesellschaftnachdriicklich
erklirt, es sei sein Anliegen, "dem boslich angefochtenenSchattenTells dieriihmlichste Ehrenerklarung, das wohlgefalligste Siihn- und Totenopferdarzubringen.68
Schillererreichtdasnicht, indemer die TotungGeBlersals etwas historischnicht zu Leugnendes,aberdie IdylledocherheblichStorendesandenRanddriickt,
wie mancheKritiker s in falschverstandenemWohlwollen un.Er stvielmehrzur
Rechtfertigungdes Tyrannenmordes ineinem strengbestimmtenFall"69bereit,erfindet edoch als GegengewichteinelapidareGeste derSiihne,die derIdeenachin gleicherWeise ins Mittelalter,n die Schillerzeitoderins 20. Jahrhundertal3t.Auf ein paradiesischschuldfreiesLebenk6nnenwir, so zeigt Schillers Wilhelm
Stauffenberg u seinerFrau,die kurzdarauf hrfiinftesKind in Sippenhaftgebar:
"Derjenigeallerdings,deretwaszutunwagt,mu3sichbewuBt ein,daBerwohl alsVerrater n die deutsche Geschichteeingehenwird. UnterlaBt rjedoch die Tat,dannwareereinVerrater orseinemeigenenGewissen."70DerlegendareWilhelm
Tell hatte mehrGliick als die deutschenWiderstandskimpfer; erAufstandwar
erfolgreichund er avanciertezum SchweizerNationalhelden.Schiller war aber
nicht darangelegen, ein weiteresFestspielzu schaffen;er hinterfragteden "Fall
Tell" und kam zu dem Schlu3:Unser RechtaufWiderstandkann sich zurPflichtzum Widerstand erfestigen,aberohne die Bereitschaft, inenpersonlichenPreis
fiirdie unvermeidlicherocite zu zahlen, ist so ein Widerstand thisch nicht zu
'7LesleySharpe,Schillerand the HistoricalCharacter:PresentationandInterpretationnthe Historiographical Worksand in the Historical Dramas (Oxford:OxfordUniversity
ist kaumbegreiflich,'sagteGoethe, allein SchillerwardemEinfluB3onFrauenunterworfen
wie andereauch;undwenn erindiesemFallso fehlenkonnte,sogeschahesmehraus solchen
Einwirkungen ls aus seinereigenengutenNatur.'"Es ist mit Sicherheitanzunehmen,daB
Eckermann ich in diesem Zusammenhang icht iiberdie M6glichkeiteines spezifischenEinflusses von einer (namlich Schillers eigener) Frau klar war. Ob Goethe sich daran
erinnerte,muBoffenbleiben.In:Goethe,Gedenkausgabe er Werke,BriefeundGesprdche,Bd 24. (Ziirichund Miinchen:Artemis,3. Aufl. 1976),480.