Wiesbaden Das Magazin der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden Ausgabe 01/ Dezember 2008 Alt und Neu Innovation in historischen Mauern – Orte zum Arbeiten und Leben S.4 Technik und Wirtschaft Made in Wiesbaden – viele Firmen arbeiten auf Weltniveau S.12 Sekthauptstadt Wiesbaden Geschick, Glück und Erfahrung S.20 LANDESHAUPTSTADT www.wiesbaden.de
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WiesbadenDas Magazin der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden Ausgabe 01/ Dezember 2008
Alt und NeuInnovation in historischen Mauern –
Orte zum Arbeiten und Leben S.4
Technik und WirtschaftMade in Wiesbaden – viele Firmen
arbeiten auf Weltniveau S.12
Sekthauptstadt Wiesbaden Geschick, Glück und Erfahrung S.20
LANDESHAUPTSTADT
www.wiesbaden.de
01_Titel_Wiesbaden.qxp 01.12.2008 15:40 Uhr Seite 1
Das Kurhaus Wiesbaden – erbaut 1905-1907.
Nur eines von rund 3.000 denkmalgeschützten
Gebäuden in der Stadt.
Willkommen in Wiesbaden!
Genießen Sie einen Spaziergang
durch unsere schöne Stadt, die Tradition
und Zukunft verbindet.
02_Editorial.qxp 04.12.2008 13:57 Uhr Seite 2
Impressum
HERAUSGEBER: Wiesbaden Marketing,
Betriebsleiter Martin Michel (V.i.S.d.P.),
Postfach 6050, 65050 Wiesbaden.
REDAKTION UND TEXTE: Journalistenbüro Surpress,
Dr. Guido Rijkhoek, Dr. Jutta Witte, Wiesbaden
FOTOS: Norbert Miguletz Fotodesign, Frankfurt
LAYOUT UND HERSTELLUNG:
D+K Horst Repschläger GmbH, Wiesbaden
DRUCK: Stark Druck, Pforzheim
Innovation in historischen Mauern
Kreative Köpfe hauchen alten Gebäuden
neues Leben ein 4
„Schön und überraschend“
Interview mit Oberbürgermeister
Helmut Georg Müller 10
Made in Wiesbaden
Hightech-Unternehmen von Weltruf
forschen, entwickeln und produzieren
in Wiesbaden 12
„Raum für Ideen und Platz für Geschäfte“
Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel über
Stärken und Chancen der Stadt 16
„Es ist wunderbar klassisch hier“
Gourmetpapst Gerd Käfer lebt und
arbeitet seit 20 Jahren in der hessischen
Landeshauptstadt 18
Geschick, Glück und Erfahrung
90 Millionen Flaschen Sekt verlassen
Wiesbaden pro Jahr. Seine Herstellung
zählt zu den höheren Künsten 20
12 Gute Gründe
Theater- und Filmfestivals, sportliche
Großveranstaltungen und Stadtfeste.
Ein Überblick zu den Highlights des
Jahres 2009 24
Im nächsten Heft
Abschlag, Anschlag, Aufschlag:
Ein Porträt der Sportstadt Wiesbaden
Konzert und Klang: Vorschau auf das
Rheingau Musik Festival 2009 26
Inhalt
Ausgabe 1 / Dezember 2008EditorialMagazin der Stadt Wiesbaden
LUST AUF WIESBADEN: „Nizza des Nordens“,
„Tor zum Rheingau“– eine Menge Klischees werden
mit Wiesbaden verbunden. Wir glauben: Die Stadt
zwischen Rhein und Taunus ist vielfältig. Gründer-
Wiesbadens Bevölkerung wächst, während viele Regionen Deutschlands schrumpfen.
Die Geburtenrate ist überdurchschnittlich. Dazu kommt eine große Zahl von Zuwanderern.
Im Interview erklärt Oberbürgermeister Helmut Georg Müller, welche Herausforderungen
und Chancen sich damit für die Stadt verbinden.
Herr Oberbürgermeister, wirsind hier in der Wellritzstraßein einem überaus buntenStadtviertel. Ist das wirklichWiesbaden?Aber natürlich. Wiesbaden hat eine
ganze Menge überraschender Plätze. Da
gibt es nicht nur die Weltkulturstadt mit
ihrem einzigartigen Ensemble, den Ge-
bäuden des Historismus und den wun-
derschönen Villen im Grünen mitten in
der Stadt, sondern auch den modernen
und erfolgreichen Standort von Versi-
cherungen und Consultants – oder neu
und ebenso unerwartet die Sportstadt
Wiesbaden. Das macht den Reiz unserer
Stadt aus. Und die Wellritzstraße mit
ihren türkischen Läden und Cafés gehört
mitten drin dazu!
Wie hoch ist der Anteil der Migranten in der Stadt?Für viele mag auch das überraschend
sein: Wiesbaden hat einen hohen Anteil
von Menschen mit Migrationshinter-
grund, 31,5 Prozent insgesamt. Für
unsere Stadt eine ganz normale und
inzwischen sehr gewohnte Situation.
Und bei den jungen Menschen?Bei den unter 25-Jährigen sind es sogar
über 40 Prozent und 50 Prozent bei den
bis zu Zehnjährigen.
Das heißt doch, dass die Stadtvor einer enormen Integrationsaufgabe steht?
Die Stadt hat längst verstanden, dass es
nicht um das „ob“, sondern ausschließ-
lich um das „wie“ von Integration geht.
Und das Gute in unserer Stadt ist, dass
diese Frage politisch weitgehend unum-
stritten ist. Wir waren die erste Stadt, die
einen Ausländerbeirat hatte, wahrschein-
lich die erste, die ein eigenes Integrations-
amt hatte. Und – als ein Beispiel von
vielen – wir waren die erste Stadt, die
mit muslimischen Gemeinden eine Inte-
grationsvereinbarung abgeschlossen hat,
„Schön und überraschend"I NTERV IEW
1 2
10_OB_Mueller.qxp 01.12.2008 15:43 Uhr Seite 10
die in der ganzen Republik Beachtung
fand. Wir führen ein regelmäßiges Inte-
grationsmonitoring durch und deswegen
liegt es für uns auch nahe, dass das Thema
„Bildung“ auch für die Integration das
Topthema der Zukunft ist.
Bei den 20- bis 30-Jährigenscheint die Stadt eine Art Bevölkerungsloch zu haben.Fehlt der Stadt eine echteUniversität?Na ja, von einem „Loch“ will ich nicht
sprechen, denn wir sind eine der ganz
wenigen Großstädte, die kontinuierlich
weiter wachsen. Wir haben eine gute
Fachhochschule mit sehr innovativen
Fachbereichen, wie zum Beispiel dem
Fachbereich „Design-Informatik-Medien“.
Aber in der Regel ist es schon so, dass
junge Leute erst nach dem Studium
wegen der Jobs nach Wiesbaden kom-
men. Eine Universität würde gut in die
Stadt passen. Und deswegen arbeiten
wir auch sehr intensiv mit der European
Business School zusammen, die heute
schon neben Oestrich-Winkel einen
Standort in Wiesbaden hat. Und ich bin
eigentlich ganz zuversichtlich, dass
die an der EBS geplante „Law School“
bald in Wiesbaden realisiert werden
kann und damit der Grundstock für eine
neue Universität gelegt ist.
Wiesbaden hat bundesweit eher einen Ruf wie Baden-Baden:wohlhabend aber alt und ziemlich langweilig. Ärgert Sie das?Nein, das ärgert mich überhaupt nicht,
denn unsere Stadt ist schön und über-
rascht immer wieder. Wer Wiesbaden
in der heutigen Zeit erlebt, mit all‘ den
vielen neuen Facetten, bekommt einen
völlig anderen Eindruck – wenn er nicht
gleich beschließt, sofort hier zu bleiben.
Deutschlands Bevölkerungschrumpft, Wiesbaden wächst.Wie kommt das?Die Stadt, das ganze Rhein-Main-Gebiet,
ist wirtschaftlich sehr attraktiv. Viele
junge Menschen kommen wegen des
Jobs hierher, viele Ältere nach dem Job.
Wiesbaden ist nicht nur eine wirtschaft-
lich attraktive Stadt, sondern auch eine
Stadt, in der es sich prima leben lässt.
Eine Stadt mit einem unverwechselbaren
Gesicht, mit allen Standortvorteilen, die
das 21. Jahrhundert braucht.
Vielerorts in der Stadt stehenKräne. Es wird gebaut. Woherkommt der Schub?Wiesbaden hat große Potenziale, die
man nur wach küssen muss. Und dieser
Bogen zwischen Weltkurstadt und Well-
ritzstraße, bei dem nichts ausgegrenzt
wird, sondern alles zusammen nach
vorne drängt – ich glaube das ist das
Geheimnis der Stadt!
1 und 2 OB Helmut Georg Müller im
Gespräch mit Gastronom Ismail Duran:
Fast ein Drittel der Wiesbadener
Bevölkerung hat einen Migrations-
hintergrund.
3 und 4 Auf die Frische kommt es an:
Einkauf im Supermarkt von Ertugrul
Bucak.
Stadtpolitik 11
3
4
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STANDORTVORTE I L
Made in Wiesbaden
12 Technik und Wirtschaft
Forschen, Entwickeln, Produzieren - Wiesbaden ist
ein Hightech-Standort. Viele Firmen arbeiten auf
Weltniveau. Ein europaweit einmaliges Umfeld aus
Hochschulen und Forschungseinrichtungen hilft
dabei.
Handkamera von Vitronic:
Hightech-Werkzeug für Post-
verteilzentren
12_Technik_.qxp 04.12.2008 11:43 Uhr Seite 12
D
13
Die Zukunft des Automobils verbirgt
sich hinter grauen Mauern in einem
Wiesbadener Gewerbegebiet. In grellem
Neonlicht liegt ein großes schwarzes T
auf einer Werkbank. Kabel sind ange-
schlossen und geben Daten an Computer
weiter. Säulendiagramme sind auf Bild-
schirmen zu sehen. Das schwarze T ist
eine Batterie und im Opel-Labor für
Brennstoffzellentechnologie wird sie
getestet.
„Sehr viele Menschen können den
Weg zur Arbeit in Zukunft emissionsfrei
zurücklegen", erklärt Manfred Herrmann,
Leiter der Opel-Batterieentwicklung. Das
T-förmige Kraftpaket wird das Herzstück
des Chevrolet Volt, eines völlig neuen
Elektroautos. Es ist das Fahrzeug, mit
dem der krisengeschüttelte US-Autoriese
General Motors in die Zukunft reisen
will. Es ist das Auto, das den Opel-Mut-
terkonzern retten und ihm wieder
eine glänzende Zukunft geben könnte.
Es ist das erste Elektroauto, mit dem
Reisen über Hunderte von Kilometern
möglich wird.
Die dahinter stehende Idee ist so
simpel, dass man sich wundert, warum
nicht schon früher jemand darauf
gekommen ist. Auf einer kurzen Fahrt
zur Arbeit, zieht der Elektromotor die
nötige Energie aus der Batterie. Ist die
Batterie leer, springt ein Generator an.
Der arbeitet mit Benzin oder Diesel und
lädt während der Fahrt die Batterie wie-
der auf. Der Effekt ist verblüffend: Der
Treibstoffverbrauch liegt nach Opel-
Angaben bei durchschnittlich 1,6 Litern
auf 100 Kilometer.
„Wir haben jetzt ein Konzept, das
Elektrofahrzeuge für den Alltag möglich
macht", sagt Opel-Chef Hans Demant.
Sollten Benzin oder Diesel in wenigen
Jahrzehnten unbezahlbar werden, könnte
man statt des Verbrennungsmotors auch
eine Brennstoffzelle als Generator ein-
bauen. Als größte Herausforderung aber
gilt die Batterie. Sie besteht aus mehr als
220 Lithium-Ionen-Zellen. Dieser Batte-
rietyp entwickelt beim Laden und Entla-
den in erheblichem Umfang Wärme. Das
kann zu Problemen führen.
Aus diesem Grund wird im Wiesba-
dener Opel-Labor die Batterie derzeit
immer wieder geladen und entladen.
Sieben Tage die Woche. 365 Tage im
Jahr. 2010 soll der Volt als Serienfahr-
zeug in den USA eingeführt werden. Ein
Jahr später soll ein erster Elektro-Opel in
Deutschland folgen. Noch knapp zwei
Jahre werden die Tests in Wiesbaden
andauern. „Das ist nötig, um die gesam-
te Lebensdauer abzubilden", erklärt
Technik und Wirtschaft
2
1
1 Blick in die Zukunft: Das Elektroauto
Chevrolet Volt soll 2010 auf den Markt
kommen.
2 Rund um die Uhr: Die leistungsstarke
Lithium-Ionen-Batterie des Volt wird
derzeit in Wiesbaden getestet.
12_Technik_.qxp 04.12.2008 11:43 Uhr Seite 13
14 Technik und Wirtschaft
Herrmann. Denn auch nach 100.000
Kilometern auf der Straße darf die Batte-
rie nicht versagen.
Mikrosekunde als Maß aller Dinge
„In der industriellen Automatisierung ist
typischerweise die Millisekunde das Maß
aller Dinge", sagt Peter Frankenbach:
„Bei diesem Projekt ist es die Mikrose-
kunde." Der millionste Teil einer Sekun-
de: So schnell müssen die Rechner, von
denen der hochgewachsene Ingenieur
spricht, reagieren können, denn es geht
um Leben und Tod.
HIT wird das Projekt abgekürzt, für
das die Wiesbadener Eckelmann AG die
Steuerungstechnik herstellt. HIT steht
für „Heidelberger Ionenstrahl-Therapie".
Dabei werden ionisierte Kohlenstoffato-
me auf etwa 65 Prozent der Lichtge-
schwindigkeit beschleunigt, um damit
Krebspatienten zu bestrahlen. Die Schwer-
ionentherapie bietet große Vorteile. Der
Ionenstrahl kann so eingestellt werden,
dass er ausschließlich innerhalb des
Tumors seine zerstörerische Energie ent-
faltet. Das umliegende Gewebe bleibt
unversehrt, ein unschätzbarer Vorteil,
vor allem wenn lebenswichtige Organe
in der Nähe sind.
An der Uniklinik Heidelberg soll
in Kürze die Schwerionentherapie welt-
weit erstmals in die breite Anwendung
gehen. Um die Kohlenstoffionen auf die
benötigte Geschwindigkeit zu bringen,
ist ein ringförmiger Teilchenbeschleuni-
ger notwendig. Projektführer für die
Bestrahlungstechnik ist die Siemens AG.
Eckelmann ist für die Steuerung
von Beschleuniger und Therapieeinheit
zuständig. 170 Elektromagnete und
Hochfrequenzanlagen halten den Ionen-
strahl in der korrekten Bahn. Jeder die-
ser Komponenten wurde ein eigener
Rechner zur Seite gestellt, der sie steuert.
Auch bei der Therapieeinheit, die
den Tumor rasterförmig abscannt und
punktgenau mit Protonen oder Kohlen-
stoffionen bombardiert, ist zur Steue-
rung eine gewaltige Rechnerleistung
notwendig. Sicherheit ist oberstes Gebot.
Verfehle der Ionenstrahl aus welchem
Grund auch immer sein Ziel, „muss er
1 Genau genommen: Maßgeschnei-
derte Computer für die industrielle
Steuerung.
2 Gewaltige Datenmengen: Hochleis-
tungsrechner der Eckelmann AG.
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Technik und Wirtschaft 15
1 Blick in den Koffer: Das Röntgenbild
bringt es an den Tag.
2 Prüfsysteme von Smiths Heimann:
An 85 Prozent aller Flughäfen welt-
weit im Einsatz.
innerhalb von 200 Mikrosekunden abge-
schaltet werden", erklärt der Projektlei-
ter. Fünf Jahre Entwicklungsarbeit seien
notwendig gewesen: „Jetzt laufen die
finalen Integrationstests." Im Frühjahr
2009 sollen die ersten Patienten behan-
delt werden.
Die Entwicklung der Eckelmann AG
ist für die Wiesbadener Hightech-Bran-
che nicht untypisch. Nach dem Studium
der Elektrotechnik gründete Firmenchef
Gerd Eckelmann 1977 zunächst ein
Ingenieurbüro für Regelungstechnik.
Zwei Jahre später wandelte sich die
Firma in ein Unternehmen für maßge-
schneiderte Hard- und Softwarelösun-
gen. Seit 1994 ist Eckelmann auch Präsi-
dent der Industrie- und Handelskammer
Wiesbaden. Nach seiner Einschätzung
sind die günstige Verkehrslage, aber
auch die hohe Dichte von Hochschulen
und Forschungseinrichtungen in der
Rhein-Main-Region wesentliche Motoren
für die Ansiedlung und Neugründung
von Hightech-Unternehmen.
Die Vielzahl von Forschungsstätten
habe zu einem innovativen Klima
geführt, erklärt der Firmenchef. Immer
wieder würden Ideen zunächst an einer
Hochschule entwickelt und anschlie-
ßend in ein Geschäftsmodell gegossen.
Zudem erleichtere die räumliche Nähe
zu Unis und Fachhochschulen die Nach-
wuchsgewinnung. Viele spätere Mitar-
beiter kämen schon als Studenten oder
Examenskandidaten mit den Unterneh-
men in Kontakt. Und sie würden blei-
ben: „Interessant ist an diesem
Standort, dass die Menschen hier leben
wollen."
Der Röntgenblick ins Gepäck
Flugreisende kennen das Procedere:
Reise- und Handgepäck werden durch-
leuchtet, bevor man an Bord darf. Die
Wahrscheinlichkeit, dass die dazu
genutzte Technik aus Wiesbaden stammt,
ist mehr als hoch. Die Firma Smiths Hei-
mann GmbH ist unangefochtener Markt-
führer im Bereich Transportsicherheit.
Rund 50.000 Röntgenprüfsysteme sind
weltweit im Einsatz. An 85 Prozent aller
Flughäfen auf dem Globus wird das
Gepäck mit Technik „Made in Wiesba-
den" überprüft.
Firmengründer Walter Heimann war
in den 30er Jahren wesentlich an der
Entwicklung des Fernsehens in Deutsch-
land beteiligt. Mit der von ihm ent-
wickelten Technik gelang 1936 die erste
Live-Übertragung von der Olympiade
in Berlin. Als Deutschland 1945 in
Trümmern lag, kam Heimann nach
Wiesbaden. Die vom Krieg weitgehend
verschonte Stadt stellte dem Gründer
Räume zur Verfügung, in denen ab 1946
Bildröhren entwickelt wurden.
Anfang der 70er Jahre begann das
Hightech-Unternehmen mit der Entwick-
lung von Röntgenprüfsystemen. Nicht
nur Flugreisen wurden damals immer
beliebter, sondern auch Flugzeugen-
führungen. Um den Luftverkehr zu schüt-
zen, werden seither immer mehr und
immer leistungsfähigere Systeme zum
Aufspüren von Waffen und Sprengstoff
eingesetzt. Die Terroranschläge vom
11. September 2001 haben dem Wiesba-
dener Unternehmen einen weiteren
Boom verschafft. „Wir durften die ame-
1
2
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16
Herr Bendel, Wiesbaden gilt
als Dienstleistungsmetropole.
Wo liegen die Schwerpunkte?
Die Wirtschaftsstruktur unserer
Stadt ist klar auf die Zukunft aus-
gerichtet: Consultingunternehmen,
Versicherungen, Medien-, Hoch-
technologie- und Logistikunter-
nehmen sind hier erfolgreich
vertreten. Der Standort bietet auch
der Gesundheitswirtschaft ideale
Wachstumsbedingungen. Fast 80
Prozent der etwa 120.000 sozial-
versicherungspflichtig Beschäftigten
arbeiten in der Dienstleistungs-
branche.
Was schätzen die Unternehmen am Standort Wiesbaden?Die ideale Mischung aus harten
und weichen Standortfaktoren
macht Wiesbadens Attraktivität
aus. Als Teil des Rhein-Main-
Gebiets ist die hessische Landes-
hauptstadt eingebettet in einen der
leistungsstärksten Ballungsräume
der Welt. Wer hier investiert,
befindet sich nicht nur an einem
Knotenpunkt des Weltverkehrs;
er kann auch auf die Nähe zu
Dutzenden von Hochschulen und
Forschungseinrichtungen sowie
ein einzigartiges Netzwerk aus
Finanzdienstleistung und Beratung
zählen.
Hat in Wiesbaden auch die Industrie eine Zukunft?Weder Dienstleistungen noch
industrielle Produktion können für
sich alleine bestehen. Das produ-
zierende Gewerbe, vor allem die
umsatzstarke Chemiebranche, hat
in Wiesbaden langjährige Tradition
und entwickelt sich im 100 Hektar
großen Industriepark Kalle-Albert
auf außergewöhnlich hohem tech-
nologischem Niveau. Das Unter-
nehmen SE Tylose wird im kom-
menden Jahr die Produktions-
kapazität von Methylcellulose in
Wiesbaden um 20% erweitern.
Dabei handelt es sich um ein Inves-
titionsvolumen in dreistelliger
Millionenhöhe. Zahlreiche techno-
logieorientierte Wiesbadener
Unternehmen zählen mit ihren Pro-
dukten zu den Weltmarktführern.
Wie sieht es mit Entwicklungsmöglich-keiten aus? Gibt es überhaupt noch freie Flächen?Wir haben hier Raum für Ideen
und Platz für Geschäfte. Die Politik
der Stadt fördert die Ansiedlung
neuer Unternehmen. Im Gewerbe-
gebiet Max-Planck-Park gibt es
noch Flächen für technologieorien-
tierte Unternehmen, im Gewerbege-
biet Petersweg insbesondere für
Logistik und Gewerbebetriebe aller
Art. Für Dienstleistungsunterneh-
men stehen variable Grundstücke
an der Mainzer Straße und im
Abraham-Lincoln-Park zur Verfü-
gung.
I NTERV IEW
„Raum für Ideen und Platz für Geschäfte“Wiesbaden ist Dienstleistungsstandort aus Tradition. Die Ursprünge der bis
heute starken Gesundheitswirtschaft lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen.
Erst seit dem 20. Jahrhundert ist die Stadt zwischen Rhein und Taunus auch
Industriestandort. Seither kamen immer neue Branchen dazu: Medienunternehmen
und Finanzdienstleister, Logistikunternehmen und Unternehmensberater. Ein
Gespräch über Stärken und Chancen mit Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel.
Technik und Wirtschaft
Detlev Bendel, Wirtschaftsdezernent
12_Technik_.qxp 04.12.2008 11:43 Uhr Seite 16
Technik und Wirtschaft 17
rikanische Zivilluftfahrtbehörde mit so
vielen Geräten beliefern, dass unsere
Kapazität verdoppelt werden musste",
erinnert sich der frühere Geschäftsführer
Hans Linkenbach.
„100 Prozent der Fahrzeuge werden detektiert"
Wer fliegt, passiert fast zwangsläufig die
Produkte der Firma Heimann. Wer Auto
fährt, passiert fast zwangsläufig die Pro-
dukte der Firma Vitronic. Im Auftrag des
Maut-Konsortiums Toll Collect hat das
Wiesbadener Unternehmen nach 2003
rund 300 Kontrollbrücken auf Deutsch-
lands Autobahnen errichtet. Lastwagen,
die unter den Mautbrücken hindurch-
fahren, werden mit Hilfe eines unsicht-
baren Infrarotblitzes fotografiert, das
Kennzeichen abgelesen und das Fahr-
zeug vermessen. Das funktioniert selbst
bei Schneefall.
Als Toll Collect in der Startphase in
erhebliche Schwierigkeiten geriet, konnte
Firmenchef Norbert Stein trotzdem ruhig
schlafen. „Alle Systemkomponenten, die
auf der Straße montiert sind, hatten
nichts damit zu tun", betont Stein:
„Praktisch 100 Prozent der Fahrzeuge
werden detektiert."
Vitronic ist heute eines der führen-
den Unternehmen in der elektronischen
Bildverarbeitung. „Dinge interpretieren
kann das Auge zusammen mit dem
Hirn sehr gut, sie vermessen dagegen
gar nicht", erklärt Stein: „Im industriel-
len Umfeld ist schnell klar, dass Kamera
und Computer gemeinsam viele Aufga-
ben besser bewältigen können als der
Mensch." So bewegen sich Pakete in
einem Postverteilzentrum auf Laufbän-
dern heute mit etwa sechs Metern pro
Sekunde. Die aufgeklebten Barcodes
richtig zu lesen, die Pakete auf den rich-
tigen Weg zu schicken, gelingt in dieser
Geschwindigkeit nur noch Maschinen.
1984 hat Stein sein Unternehmen
zunächst als Ingenieurbüro gegründet.
Anfang der 90er Jahre wandelte sich
Vitronic zum Industrieunternehmen.
Doch noch immer stellen Ingenieure
rund die Hälfte der Belegschaft. „Es geht
im täglichen Leben nichts ohne das
Sehen", erklärt der Firmenchef. „Bei der
elektronischen Bildverarbeitung werden
Objekte in Millisekunden auf ihre geo-
metrischen Formen und Flächen redu-
ziert und so objektiv messbar." In zahl-
losen industriellen Prozessen ist die
elektronische Bildverarbeitung heute
unerlässlich, von der Robotersteuerung
bis hin zur automatischen Prüfung von
Schweißnähten. Ein starker Wachstums-
markt für Vitronic ist derzeit auch die
boomende Solarindustrie.
Den Standort Wiesbaden zu verlas-
sen, war für Stein bislang keine Alterna-
tive. „Es ist ein Hochpreisstandort", sagt
der Vitronic-Chef: „Die Personalkosten
sind hier naturgemäß höher als im
Osten Deutschlands." Er sehe jedoch
immer wieder, dass es Unternehmen in
vielen, weniger attraktiven Regionen
schwer falle, qualifizierte Mitarbeiter
anzulocken. „Es ist eine Stadt mit einem
attraktiven Angebot und sie hat ein
schönes Umland", betont Stein. „Andere
Leute fahren hierher in Urlaub."
1 Mautbrücken für die Autobahn: Erfas-
sungsgeräte für den Lkw-Verkehr.
2 Standortvorteil: Produktionsgebäude
der Firma Vitronic in Wiesbaden
1
2
12_Technik_.qxp 04.12.2008 11:43 Uhr Seite 17
18 Mein Wiesbaden
MMan fühlt sich wie im Museum: Überall
im Palais Concordia stehen rote Sessel,
Vitrinen mit Nymphenburger Porzellan,
silberne Kerzenleuchter, Erinnerungs-
fotos. Der Esstisch ist üppig in Herbst-
tönen dekoriert. Jugendstillampen sorgen
für gedämpftes Licht. Vom Wintergarten
aus kann man die Spaziergänger im Kur-
park beobachten. Zwischen zwei Termi-
nen taucht der Hausherr auf: Gerd Käfer
ist wie immer voll in Aktion. Das Handy
klingelt am laufenden Band. In drei Stun-
den gestaltet er den Festakt zum 200. Ge-
burtstag der Sparkasse Darmstadt. Leider
wird das dortige Kongresszentrum gerade
wegen eines Feueralarms evakuiert. Käfer
regelt die Sache am Telefon. Eine Minute
später erteilt er letzte Anweisungen für
den Sportpresseball am kommenden Tag
in Frankfurt: „Alle Köche Mützen auf
und Handschuhe an!"
Drei Tage in der Woche ist die Bel-
etage in Wiesbaden Käfers Stützpunkt:
„Ich liebe diese Stadt mit ihren alten
Häusern. Es ist so wunderbar klassisch
hier". Das Leben verlaufe in Wiesbaden
ruhiger, sagt er, „nicht so hektisch wie
in München." In seinen wenigen freien
Momenten geht er mit Lebensgefährtin
Uschi Ackermann und den beiden
Möpsen Sir Henry und Lady Mary im
Kurpark spazieren. Oder er sitzt auf der
Terrasse seiner Wiesbadener Brasserie
„Käfer´s", blickt auf die Stadt und fühlt
sich nach eigenen Worten wie in Paris
oder Rom.
Vor vierzig Jahren hat er den Party-
service erfunden und aus dem einstigen
Kolonialwarenladen seiner Eltern ein
Feinkostreich aufgebaut. Seine Erfolgs-
geheimnisse sind gute Ideen und perfek-
te Inszenierungen. Käfer hat bei Partys
in Scheunen und Lagerhallen Regie ge-
führt. Er hat in Zeiten des Kalten Krieges
ein komplettes Festessen in den Kreml
geschafft. 1995 hat er die Geschäfts-
führung des Münchner Unternehmens
Feinkost Käfer an seinen Sohn Michael
übergeben. Was nicht bedeutet, dass das
Leben des 76-Jährigen damit ruhiger
geworden wäre. Erst im November wurde
Seit zwanzig Jahren wohnt und arbeitet Gourmetpapst Gerd Käfer in Wiesbaden.
Neben Kurhausgastronomie und Catering für Großereignisse findet der 76-Jährige
immer noch Zeit, im kleinen Kreis für Prominente zu kochen.
Gerd Käfer vor dem Kurhaus
„Es ist wunderbarklassisch hier"
GASTRONOM DES JAHRES GERD KÄFER:
18_Kaefer.qxp 04.12.2008 11:32 Uhr Seite 18
er als „Gastronom des Jahres" ausge-
zeichnet.
Sein Wiesbadener Domizil hat er
wie ein englisches Landhaus eingerichtet.
Was ihm gefällt, kauft er in aller Welt
zusammen: „Ich bin eine Waage und ein
lebensfroher Mensch. Ich habe an allem
Schönen Freude." Seine Wohnung ist
nicht nur Zuhause, sondern auch Kulisse
für Koch-Events im kleinen Kreis. Deut-
sche Bank-Chef Josef Ackermann und
Linde-Boss Wolfgang Reitzle, aber auch
Hessens Ministerpräsident Roland Koch
hat Käfer schon an seinen riesigen Esstisch
gebeten: „Die wollen weg von irgend-
welchen illustren Lokalen", erzählt er:
„Die wollen eine besondere Umgebung."
Natürlich sorgt der Münchner an solchen
Abenden auch für ein bisschen „Schmäh",
bringt Schwung in die Veranstaltung und
lässt die Herren für die Damen servieren.
Von Kochs Zitronensauce schwärmt er
bis heute: „Die haben wir sogar nachge-
kocht."
Fünf Millionen Euro Umsatz macht
der Gastronom noch immer mit seinen
Partys. Er besitzt Immobilien in München,
Kitzbühel, Wiesbaden und auf Sylt. Ei-
gentlich hat der Mann ausgesorgt. Aber
immer noch kümmert er sich um alles
bis ins kleinste Detail: „Das macht schon
Spaß. Man will ja jung bleiben." Manch-
mal aber, wenn er ausnahmsweise einmal
alleine ist, macht er einfach die Kerzen
an, setzt sich in seinen Wintergarten, liest
ein Buch und trinkt eine gute Flasche
Rotwein.
Er habe den schönsten Beruf gewählt,
den es gebe, wagt er einen Rückblick.
Wenn er noch einmal von vorn anfangen
könnte, gesteht er aber auch, hätte er
einen Zirkus aufgemacht – zusammen
mit seinem Freund, dem Roncalli-Grün-
der Bernhard Paul: „Da bräuchte ich nur
den schönsten Wohnwagen und würde
von Stadt zu Stadt reisen." Statt dessen
ist er im Laufe der Jahre doch sesshaft
geworden – zumindest ein wenig. In Kitz-
bühel hat er seinen Lebensmittelpunkt
gefunden und sich mit einem Kochturm
für Veranstaltungen einen langen Traum
erfüllt. Aber auch Wiesbaden will er die
Treue halten: „Es täte mir in der Seele
weh, wenn ich hier weg müsste."
1 Zeit zur Muße:
Gerd Käfer in seinem
Wintergarten
2 Mopskult: Sir Henry
weiß sich in Szene zu
setzen
3 Tafelfreuden: Gastlich-
keit im Stil des Hauses
Käfer
1
2 3
Mein Wiesbaden 19
18_Kaefer.qxp 04.12.2008 11:32 Uhr Seite 19
SEKTHAUPTSTADT WIESBADEN
„Geschick, Glückund Erfahrung"
20 Genuss und Kultur
1
1 Sektproduktion auf
Hochtouren: Die Abfüllhalle
bei Henkell&Söhnlein.
2 Gaumenfreude: Keller-
meister Gernot Limbach über-
prüft die Grundweine
3 In Bewegung: So sah die
Arbeit am Rüttelpult aus
Wiesbaden darf als
Sekthauptstadt Deutsch-
lands gelten. Neunzig
Millionen Flaschen des
Schaumweins verlassen
jährlich die Stadt. Seit dem
19. Jahrhundert haben
sich zahlreiche Sektkellereien
hier angesiedelt. Im
Rheingauer Riesling fanden
sie den idealen Grund-
wein. Seine Veredelung
zu Sekt zählt zu
den höheren Künsten.
20_Henkell.qxp 01.12.2008 15:46 Uhr Seite 20
F
Genuss und Kultur 21
Fünf Stockwerke geht es nach unten in
der hochherrschaftlichen Unternehmens-
zentrale auf dem Wiesbadener Henkells-
feld. Dann ist man im Stillweinkeller
angekommen. Zehn Millionen Liter so
genannte Grundweine lagern hier fünf-
zehn Meter unter der Erde und warten
darauf, zu einem Sekt komponiert zu
werden. „Verheiraten", sagen die Fach-
leute. „Als Kellermeister", erklärt Gernot
Limbach, „braucht man Geschick, Glück
und Erfahrung." Der gelernte Winzer
gehört zu denen, die auf der Basis einer
immer gleich bleibenden Grundrezeptur
bis auf feine Nuancen immer wieder die
gleiche Cuvée mischen können. Sie muss
den typischen Geschmack einer Marke
treffen. Limbach und seine Kollegen
übernehmen eine zentrale Rolle bei der
Sektherstellung. Schon beim Einkauf
der Weine müssen sie beurteilen können,
wie der Rebensaft sich später bei der
Verarbeitung zum Sekt verhält.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
galt es als „hip", Wein in Schaumwein zu
verwandeln. Aus Frankreich brachte der
Mainzer Weinhändler Adam Henkell das
Know-how und die Weine mit, eröffnete
1856 in Mainz seine erste Champagner-
fabrik, mit der sein Enkel Otto 1909
auf das heutige Firmengelände zog. Zu
diesem Zeitpunkt war bereits eine Viel-
zahl anderer Sektkellereien in Wiesbaden
und Umgebung entstanden: Graeger
und Mumm in Hochheim, Rüttgers und
Söhnlein in Wiesbaden sowie MM in
Eltville. Auch um die Entwicklung der
Marke haben sich die Sekthersteller aus
„der deutschen Champagne" verdient
gemacht. So gilt der 1876 erstmals aus-
geschenkte „Söhnlein Rheingold" als
ältester deutscher Markensekt.
„Das Veredeln von Weinen zu Sekt
ist kein schnelldrehender Schritt", betont
Kellermeister Limbach. Für die spätere
Qualität stellen schon die Winzer die
ersten Weichen. Am besten gedeihen die
Trauben für Sektweine im Schatten. Weil
sie viel Säure haben müssen, werden sie
schon frühzeitig gelesen und beim Keltern
besonders vorsichtig gepresst, damit Ge-
schmacksstoffe aus Kernen und Stil später
den Sektgenuss nicht stören.
Bis zum Start der Sektproduktion
bleiben die Weine sorgsam bewacht von
den Kellermeistern im Fass. Erst nach
einigen Monaten ist klar, ob sie zu einem
Sekt taugen oder nicht. Dann beginnt mit
der zweiten Gärung die wichtigste Etappe.
Der Wein kommt unter Zusatz von
Zucker und Reinzuchthefe in einen Druck-
behälter. „Die Hefe", erklärt Limbach,
„ist unser wichtigster Helfer bei der Sekt-
herstellung." Sie sorgt dafür, dass der
Zucker in Alkohol und Kohlensäure ver-
wandelt wird und der Wein zu perlen
beginnt. 3,5 bar Druck – mehr als ein
Autoreifen – muss später eine Sektfla-
sche aushalten können.
Bei der traditionellen Flaschen-
gärung muss in Deutschland der Wein
mindestens neun Monate auf der Hefe
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liegen. Eine möglichst lange Reifezeit
gilt als Garant für eine hohe Qualität.
In früheren Zeiten hat dieses Verfahren
den Kellermeistern minutiöse Kleinarbeit
und viel Geduld abverlangt. Um die
Heferückstände in Richtung Korken zu
treiben, wurden die Flaschen nach einem
festen Schema 20 Tage lang immer wie-
der gedreht und aufgestoßen. Am Ende
standen sie senkrecht im Rüttelpult. Heute
haben in den großen Kellereien längst
die würfelförmigen, computergesteuerten
Rüttelmaschinen Einzug gehalten.
Ist das Rütteln beendet, wird der
Flaschenkopf bei minus 25 Grad einge-
froren und der eisige Hefepfropfen aus
1 Eindrucksvoll: Die Unternehmens-
zentrale von Henkell&Söhnlein
in Wiesbaden
2 Abgestimmt: Die Komposition
der Cuvée
3 Prachtvoll: Das Entrée auf dem
Henkellsfeld
4 Geschmackvoll: Markenpflege
von Anfang an
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dem Flaschenhals entfernt. Der so ent-
standene Flüssigkeitsverlust wird durch
die so genannte Dosage ausgeglichen.
Die Dosage aus Wein und einer bestimm-
ten Menge Zucker entscheidet auch
darüber, ob der Sekt „trocken", „halb-
trocken" oder „brut" ist. Die traditionelle
Form der Flaschengärung wird heutzuta-
ge nur noch für besonders hochwertige
Sekte angewandt.
Das Gros der Produktion aber kommt
zur zweiten Gärung in Großraumbehälter
aus Metall. Bei diesem Verfahren ver-
kürzt sich die Reifezeit auf sechs Mona-
te. Die Qualität, versichern die Fachleute
bei Henkell, leide darunter keineswegs.
Drei große Gärhallen gibt es auf dem
Henkellsfeld. Das Firmengelände ist eine
Mischung aus pompöser Repräsentation
und kühler Hightech-Produktion. Von
der Eingangshalle mit ihren Gemälden,
Stuckverzierungen und goldenen Engeln
gelangt man direkt in die ehemalige Ver-
sandhalle.
Hier wird im Zweischichtbetrieb
gearbeitet. Es ist November und damit
Hightime für den Sekt: „Das vierte
Quartal mit Weihnachten und Silvester",
sagt Henkell-Pressesprecher Jan Rock,
„ist mit Abstand das wichtigste für unsere
Branche." Und so drehen sich die Füll-
maschinen mit dem fertigen Sekt im Kreis
und befüllen die Flaschen, die auf einem
Förderband in rasendem Tempo zum
Verkorken, Agraffieren und Etikettieren
transportiert werden. Vier solcher Pro-
duktionslinien gibt es für die normalen
0,75 Literflaschen, eine für Pikkolos,
die im Hause Henkell erfunden wurden.
15.000 Flaschen und 28.000 Pikkolos
durchlaufen in einer Stunde diesen Pro-
zess. Mehr Sekt wird an keinem anderen
Ort in Deutschland produziert und in
keinem Land wird mehr davon getrunken.
Auch eine traditionsbewusste Sekt-
kellerei wie Henkell&Söhnlein darf die
Trends der Zukunft nicht verschlafen.
Einen regelrechten Boom erfahren der-
zeit Rosé-Sekte. Immer mehr gefragt
werden auch alkoholfreie Schaumweine.
Einen so genannten Dosage Zéro,
dem nach dem zweiten Gärprozess kein
Zucker mehr zugesetzt wird, können
sogar Diabetiker trinken. So geht die
Sektbranche mit der Zeit ohne ihre
Wurzeln zu verlieren: „Denn Tradition“,
sagt Rock, „bedeutet für uns nicht
das Aufbewahren von Asche, sondern
das Weitertragen des Feuers".
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Genuss und Kultur 23
Kleines Sektlexikon
Nur ein Qualitätsschaumwein darf
sich Sekt nennen. Er unterliegt strengen
Kriterien. Er muss durch eine zweite
alkoholische Gärung entstanden sein,
mindestens 10 Prozent Alkohol enthalten
und bei 20 Grad Celsius einen Druck
von mindestens 3,5 bar aufweisen. Vor-
geschrieben sind auch die typischen
pilzförmigen Flaschenverschlüsse, die
durch einen Bügel gesichert und von
einer Kapsel umkleidet werden.
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4
Agraffe: Metallbügel
zur Sicherung des
Flaschenverschlusses.
Cuvée: Komposition
verschiedener Weine
zu einem Sekt.
Degorgieren: Entfer-
nung der Hefe im
Rüttelverfahren.
Dosage: Mischung aus
in Alkohol gelöstem
Zucker und Reinzucht-
hefe. Sie leitet als
Fülldosage die zweite
Gärung ein und be-
stimmt als Versand-
dosage den Geschmacks-
ton des Sektes.
Mousseux: Das Perlen
des Sektes.
Reinzuchthefe:
Eine eigens für die
Sektproduktion herge-
stellte Hefe. Sie spaltet
den im Wein enthalte-
nen Zucker in Alkohol
und Kohlensäure.
Strenge Kriterien
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24 Termine
12 gute Gründe…um im nächsten Jahr
nach Wiesbaden zu kommen
Großer Umzug am Fastnachtssonntag22. Februar 2009 · Innenstadt
Um 13.11 Uhr startet der traditionelle
Umzug durch Wiesbaden mit Narren
aus Stadt und Region, rund 40 Kapel-
len und über 200 Zugnummern.
Organisiert von der Dachorganisation
Wiesbadener Karneval (Dacho) steht er
diesmal unter dem Motto „150 Jahre
Wiesbadener Fassenacht“.
Der Wiesbaden Tourist Service bietet attraktive Angebote rund um die Veranstaltungs-Highlights
in der Broschüre „Wiesbaden flexibel“ oder im Internet unter www.wiesbaden.de/individualangebote.