29.03.2019© PMG Presse-Monitor GmbH
Abendzeitung München vom 29.03.2019
Autor: Michael Bastian Weiß Ausgabe: HauptausgabeSeite: 27
Gattung: TageszeitungRessort: Kultur Auflage:
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So könnte die provisorische Philharmonie am Heizkraftwerk Süd
aussehen. Eine genaue Planung gibt es noch nicht. Foto: gmp
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Die PhilisDie Philiswerdenwerdenweiblicherweiblicher
D er Chefdirigent denktglobal. Vom Intendan-ten Paul Müller
gebe-ten, etwas zur kommendenSaison zu sagen, redet ValeryGergiev
gleich über kommendeGastspiele in der New YorkerCarnegie Hall und
in Asien. Vorallem China und die zahlrei-chen dort neu eröffneten
Sälehaben es ihm angetan.
Da denkt der misstrauisch ge-stimmte Beobachter durchaus
anGergievs Münchner Konzerte, dieöfter an Generalproben für
dennächsten Abend im Gasteig oderanderswo erinnern. Der weiteBlick
hebt sich aber auch er-freulich von der kleinkariertenPerspektive
mancher Lokalpo-litiker ab, die nicht sehen, dassder Umbau des
Gasteig dieChance für ein gesteigertes Pu-blikumsinteresse birgt.
Undweil Gergiev bei seinem360-Grad-Festival auch schonim
Carl-Orff-Saal dirigiert hat,weiß er um die Not-wendigkeit,
auchdiesen Raum umzu-bauen – zu einermultifunktionalenBühne. So
wirkenGergiev, Paul Müllerund der Orchester-vorstand
MatthiasAmbrosius erleich-tert über die Mehr-heit aus CSU,
Grünenund Linken für dieGeneralsanierungdes Gasteig und ge-gen das
von der SPD
favorisierte Sparversion, beider sich nicht viel ändern wür-de.
Sie rechnen damit, dass dasOrchester im Oktober 2021 indas
Sendlinger Interimsquar-tier an der Hans-Preissinger-Straße
umziehen kann. Hiersoll – neben Räumen für dieVolks- und
Musikhochschulesowie die Stadtbibliothek –eine
Interims-Philharmonie inSchuhschachtelform mit 1800Plätzen
entstehen. Wie derRaum genau aussehen wird,steht noch nicht fest,
die kur-sierenden Bilder sind vorläufi-ge Simulationen.
In dieser Interimsspielstätte möch-te Gergiev die Aktivitäten
für Kin-der und Jugendliche verstärken. Erdenkt dabei an
halbszenischeAufführungen von Bühnenwer-ken, ähnlich der
Aufführungvon Strawinskys „Petruschka“mit dem Mariinsky-Ballett
St.Petersburg im Gasteig beimvergangenen 360-Grad-Festi-val. In der
kommenden Saisonwird es eine ähnliche Versionmit Maurice Ravels
Ballett„Daphnis und Chloe“ geben, ander auch der
PhilharmonischeChor beteiligt wird. Ein weite-
res Schmankerl des in den Ja-nuar verlegten Festivals ist
derzweite Akt von Wagners „Tris-tan und Isolde“ mit Martina
Se-rafin und Andreas Schager.
Zu Beginn der Saison kom-plettiert Gergiev seinen
Bruck-ner-Zyklus mit den Sympho-nien Nr. 6 und 7, die anschlie-ßend
in St. Florian aufgenom-men werden. Der Chefdirigentsetzt seinen
Schwerpunkt wei-ter beim deutschen und russi-schen Repertoire. Er
steht aninsgesamt 37 Abenden am Pult,davon 21 in München und16-mal
auf Reisen.
Der von Andreas Herrmann geleite-te Philharmonische Chor ist in
derkommenden Saison stärker betei-ligt. Außer in der
obligatori-schen Neunten von Beethovenzum Jahreswechsel, die
dies-mal Manfred Honeck dirigiert,wirkt er in Aufführungen
vonMendelssohn Bartholdys „Lob-gesang“ (Thomas Hengel-brock),
Händels „Messias“ (An-drew Manze) und Haydns „Nel-son-Messe“ (Omer
Meir Well-ber) sowie in Jörg Widmannsanlässlich der Eröffnung
derElbphilharmonie in Hamburg
uraufgeführtemOratorium „Ar-che“ (Kent Naga-no) mit.
In der nächstenSaison bieten diePhilharmonikervier
Dirigentin-nen auf. NebenBarbara Hanni-gan, die MahlersVierte
dirigierenund das Sopran-solo auch selbstsingen wird, sinddas
Susanna
Mälkki, Karina Cancellakis undOksana Lyniv. Weitere
Gastdi-rigenten sind Andrea Marcon,Rafael Payare, Semyon Bych-kov,
Francois-Xavier Roth undGustavo Gimeno. Der junge fin-nische
Dirigent Klaus Mäkelagibt sein Debüt, Krzysztof Ur-banski dirigiert
zwei Program-me, darunter die reizvolle Ver-bindung von Gustav
Holsts„Die Planeten“ mit der „StarWars“-Suite von John
Williams.
Neue Musik ist bei den Phil-harmonikern traditionellschwächer
vertreten. AndreasHaefliger spielt das neue Kla-vierkonzert des
SchweizersDieter Ammann, Ksenija Sido-rova stellt das
Akkordeonkon-zert „Winde des Sündens“ vonClaudia Montero vor,
OmerMeir Wellber dirigiert die Ur-aufführung von Manfred Tro-jahns
Symphonie Nr. 6.
Die Auslastung der Konzerte be-trägt 84,5 Prozent –
angesichtsder Größe des Gasteig ein ordentli-cher, aber nicht
überragenderWert. 2013 lag sie noch bei 93Prozent. Auch bei den
Abo-Plätzen gab es seither einenSchwund von 17 000 auf15 000. Es
schadet daher nicht,die Attraktiviät zu steigern.Paul Müller
berichtete, dass einKonzert beim 360-Grad-Festi-val in der
Muffathalle von Leu-ten besucht worden sei, die ernoch nie im nahen
Gasteig ge-sehen habe. Der Umzug an dieIsar ist daher eine Chance,
diehoffentlich nicht verspieltwird, sollte der Gasteig nach ei-ner
teuren Sanierung noch ge-nau so aussehen wie jetzt – wiees manch
Politiker gern hätte,der an der falschen Stelle spa-ren will.
Robert Braunmüller
Was die MünchnerPhilharmoniker in derkommenden Saison mitValery
Gergiev planen
Intendant Paul Müller, Chefdirigent Valery Gergiev und
Or-chestervorstand Matthias Ambrosius (v.l.). Foto: Antonia
Visy
Das Klavier brüllt furchteinflößend
H ier ist alles Klang. So weichdrückt Khatia Buniatishvi-li die
Tasten, dass der Steinwayin den ersten beiden Sätzen derletzten
Klaviersonate B-Durvon Franz Schubert von jederKörperlichkeit
befreit scheint.Wie aus einer fernen, besserenWelt weht die Musik
in dasdiesseitig knarzende und rum-pelnde Prinzregententheater.
Meditative Tempi bringen denFluss bisweilen annäherndzum
Stillstand, das rhythmi-sche Moment verliert an Be-deutung,
Nebenmotive ver-schwimmen zu bloßen Farben.Die Pianistin wirkt fast
wie inTrance. Wenn Schubert in un-geahnte harmonische Regio-nen
vorstößt, ist es so, als obein geheimnisvoller fremderGast
erschiene.
Rein sachlich wird man diesehemmungslos klangverliebteSpielweise
einseitig nennenmüssen, und in den Pausenvernimmt man denn auch
Kri-tik vom fachmännischen Publi-kum. Doch ist es dem Ausnah-
mecharakter dieses visionärenWerkes nicht angemessen,wenn man es
so persönlichdeutet und sich somit angreif-bar macht? Mindestens
inzweierlei Hinsicht traut sichdie Georgierin viel. Pianistisch:Der
superfeine Anschlag pro-duziert zauberische Klänge,doch liegt es in
der Natur derSache, dass auch einmal einTon wegbleiben kann.
Sei´sdrum. Das ist allemal besser,als nur auf Sicherheit zu
gehen.Und interpretatorisch: Die ra-dikale Stille ist schwer
auszu-halten. Doch das Wagnis ge-lingt. Andächtig lauscht das
Pu-blikum, wird immer ruhiger –
und klatscht zweimal spontannach den Sätzen. Eigentlich tutman
das ja nicht, doch hierkommt der Applaus von Her-zen.
Nach diesen Übungen in mu-sikalischer Metaphysik erlebtman die
pianistischen Exzessevon Franz Liszt als Erleichte-rungen. In der
Etüde nachVictor Hugos Verserzählung„Mazeppa“ entlädt sich die
lan-ge aufgebaute Spannung. Auch,wenn sich Buniatishvili
hals-brecherisch in diesen Todesrittstürzt, gibt sie doch nie ihre
ab-gerundete Anschlagskulturauf: Der Steinway brüllt
furcht-einflößend, ohne vorher ge-
schlagen worden zu sein. Eingewisses Showelement ist die-ser
Musik eingeschrieben, undso kann es der Pianistin nie-mand
ernsthaft verübeln,wenn sie drei populäre Liedervon Schubert in den
Bearbei-tungen von Liszt auch optischhöchst dekorativ
inszeniert.
In „Gretchen am Spinnrade“mimt sie förmlich das liebes-kranke
junge Ding mit halbge-öffnetem Mund und abwesen-dem Blick, so, wie
sie im Be-gleitheft ihrer neuen CD präraf-faelitische Gemälde mit
schö-nen toten Mädchen nachstellt.Yuja Wang hat das
nüchternergespielt. Doch wenn man so in
die Vollen geht, muss man esmachen wie Khatia Bunia-tishvili.
Michael Bastian Weiß
Die neue CD mit der letzten So-nate von Franz Schubert
sowieweiteren Werken des Komponis-ten ist auf Sony erschienen
Khatia Buniatishvilimit Klaviermusik vonFranz Schubertund Franz
Liszt imPrinzregententheater
Khatia Buniatishvili. Foto: Haase
MEINUNG
Robert BraunmüllerDer Kulturrredakteur überdas neue
[email protected]
Perverse EigenwerbungEs wäre besser, es zu verschweigen. Denn
Aufmerksam-keit ist das Einzige, nach dem diese Band giert. Ein
aufYoutube veröffentlichtes Video zeigt Mitglieder vonRammstein in
KZ-Häftlingsgewand mit Stricken um denHals a m Galgen. Am Ende des
etwa 30 Sekundenlangen Clips erscheint das Wort „Deutschland“ in
Frak-tur.
Womöglich ist das sogar kritisch gemeint. Aber esfügt sich in
denTrend, den NS-Terror in belie-biges Spielma-terial der
Pop-kultur zu ver-wandeln. Es be-gann vor vielenJahren mit dem
Musical „Cabaret“ und Filmen der Italie-nerin Liliana Cavani. Und
weil das Kokettieren mit demNazi-Grusel regelmäßig für
Aufmerksamkeit und Kassesorgt, hört es auch nicht auf. Der
Kitsch-Roman „Stella“von Takis Würger ist das jüngste Beispiel
dazu.
Neues, gar Originelles lässt sich dazu nicht sagen. Da-her sei
hier Iris Rosenberg zitiert. Die Sprecherin
derHolocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ant-wortete, zu
dem Rammstein-Video befragt, dass einerespektvolle künstlerische
Darstellung des Holocaustlegitim sei, nicht aber dessen
Instrumentalisierung alsbloßes Werkzeug, um die Aufmerksamkeit der
Öffent-lichkeit zu gewinnen.
Nichts anderes macht Rammstein, ganz unabhängigdavon, ob die
Bandmitglieder in dem Video nun jüdi-sche, deutsche oder andere
Häftlinge darstellen. Es isteinfach nur billige, perverse
Reklame.
KULTUR kompakt
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Neues Museum für DDR-KunstPOTSDAM Die Stiftung des
Software-Milliardärs Hasso Platt-ner will in Potsdam ein Museum für
DDR-Kunst einrichten.Nach dem Barberini wäre es das zweite Museum
der Stiftungin der Stadt. Das ehemalige Terrassenrestaurant „Minsk“
ausDDR-Zeiten solle dafür saniert werden. Neben dem künfti-gen
Museum soll in Neubauten preiswerter Wohnraum ent-stehen. Der
Linke-Fraktionschef in Potsdam, Hans-JürgenScharfenberg,
bestätigte, dass die Stiftung das Areal mit demverfallenen „Minsk“
für 20 Millionen Euro kaufen wolle. „Dasist ein absoluter
Glücksfall“, sagte Scharfenberg: „Wir habenlange dafür gekämpft,
dass das ,Minsk’ erhalten bleibt.“ DieStadtverordnetenversammlung
wolle noch vor der Kommu-nalwahl im Mai über den Verkauf an die
Stiftung entschei-den. Lange Zeit war geplant, das verfallene
Restaurant abzu-reißen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte die
Abriss-pläne gestoppt.
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Ein Grieche aus MecklenburgPENZLIN Die Stadt Penzlin in
Mecklenburg-Vorpommern hatihrem bekanntesten Sohn, dem Dichter und
Homer-Überset-zer Johann Heinrich Voß (1751-1826), ein
Literaturhaus ge-widmet. Das Rektorhaus, in dem Voß damals zur
Schuleging, wurde gerettet und umgebaut. Das Gebäude soll andiesem
Freitag feierlich übergeben werden. Die neue Aus-stellung heißt:
„Johann Heinrich Voß. Ein Grieche aus Meck-lenburg“ und soll das
fortschrittliche Denken des Zeitgenos-sen von Goethe und Schiller
dokumentieren. Voß studiertein Göttingen und war in Eutin, Jena und
Heidelberg tätig.
27ABENDZEITUNG FREITAG, 29. MÄRZ 2019 WWW.AZ-MUENCHEN.DE
KULTUR
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