Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen Skript zur Vorlesung Fakultät IV - Department Maschinenbau Institut für Werkstofftechnik Lehrstuhl für Materialkunde und Werkstoffprüfung Prof. Dr.-Ing. H.-J. Christ
Werkstoffeinsatz bei hohen
Temperaturen
Skript zur Vorlesung
Fakultät IV - Department Maschinenbau Institut für Werkstofftechnik
Lehrstuhl für Materialkunde und Werkstoffprüfung Prof. Dr.-Ing. H.-J. Christ
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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1 Einführung
1.1 Definition und Anwendungsgebiete von Hochtemperaturwerkstoffen
Um den Unterschied zwischen ''normalen Werkstoffen'' und Hochtemperaturwerkstoffen zu
verstehen, dient folgende Definition:
Definition: Liegt ein Werkstoff vor, der bei einer Temperatur von mehr als 500°C bzw.
773,15 K eingesetzt wird, dauerhaft hochtemperaturkorrosionsbeständig ist und keine
Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften erfährt, so spricht man von einem
Hochtemperaturwerkstoff.
Die Anwendungsbereiche von Hochtemperaturwerkstoffen sind sehr vielseitig und weit
gefächert.
Im Folgenden werden Bereiche sowie Produkte bzw. Systeme aufgelistet, in denen
Hochtemperaturwerkstoffe eingesetzt werden:
chemische Verfahrenstechnik (hohe Temperaturen, aggressive Medien) wie z.B. bei
Reaktoren, Rohrleitungen, Pyrolyse, etc.
Metallurgie, Hüttentechnik (Rohstoffgewinnung), Glasherstellung
Heiz- und Beleuchtungstechnik (Heizspiralen, Thermoelemente, Glühwendel einer
Glühbirne, etc..)
Kfz-Technik (Auslassventil, Zündkerze, KAT, Abgasanlage, etc.)
Umwelttechnik (Recycling, Müllverbrennung, etc.)
Flugzeug-, Raketenantriebe (Düsentriebwerk, Brennkammern, etc.)
Kraftwerkstechnik (Gas-, Dampfturbinen, Rohrleitungen, Brennkammern, etc.)
Zur weiteren Verdeutlichung dienen die folgenden Abbildungen:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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1.2 Ursachen für die Veränderungen des Werkstoffs bei hohen Temperaturen
Die Ursachen für die Veränderungen der Werkstoffe bei hohen Temperaturen liegen in der
Thermodynamik und in der Kinetik begründet.
Aus der Thermodynamik ist zu erwähnen, dass die Phasenstabilität der Werkstoffe bei
hohen Temperaturen eine entscheidende Rolle spielt. Steigt die Temperatur eines
Werkstoffes an, so nehmen die Atome des Werkstoffes thermische Energie auf und bewegen
sich mit einer bestimmten Schwingungsfrequenz. Je nach Temperatur bzw.
Atombewegung resultiert dementsprechend die dazugehörige Phase (fest, flüssig,
gasförmig). Ein Hilfsmittel für die Untersuchung der Phasen (fest, flüssig, gasförmig) sind
die Phasendiagramme, die die Phasenstabilität in Abhängigkeit von der Temperatur
darstellen.
Die Kinetik besagt, dass die Diffusion in einem Werkstoff mit zunehmender Temperatur
steigt, was in einem Werkstoff Schäden anrichten kann.
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Um die Schäden aus den genannten Ursachen zu vermeiden, gilt folgende Faustregel:
Faustregel: Möchte man einen Werkstoff mit der Schmelztemperatur Tm bei hohen
Temperaturen einsetzen, so sollte dieser bei höchstens 0,4 Tm eingesetzt werden.
Die Einsatztemperatur (TE = 0,4 Tm) wird in Kelvin angegeben.
Folgende Tabelle zeigt einige Schmelztemperaturen sowie deren Einsatztemperaturen in °C:
Metall Tm TE Einsatz Eigenschaften Kristallstruktur
Sn 231 92,4 nein kein HTW tetragonal
Pb 327 130,8 nein kein HTW kfz
Zn 419 167,6 nein kein HTW hexagonal
Mg 657 262,8 nein kein HTW hexagonal
Al 658 263,2 nein kein HTW kfz
Ag 961 384,4 ja teuer kfz
Au 1063 425,2 ja sehr teuer kfz
Cu 1084 433,6 ja guter thermischer Leiter sowie elektrischer
Leiter
kfz
Mn 1244 497,6 nein spröde krz, k-primitiv
Ni 1453 581,2 ja hart, schmiedbar, duktil kfz
Co 1492 596,8 ja zäh, ferromagnetisch hexagonal, kfz
Fe 1535 614 ja siehe Zustandsdiagramm krz
Ti 1727 690,8 ja leichte Masse, Schwer verarbeitbar hexagonal
Pt 1774 709,6 ja korrosionsbeständig , schmiedbar, sehr teuer kfz
Zr 1860 744 ja weich, biegsam, walzbar und schmiedbar hexagonal, krz
V 1902 760,8 ja nicht-magnetisch, zäh, schmiedbar krz
Cr 1920 768 ja korrosionsbeständig, hart, zäh, schmiedbar krz
Nb 1950 780 ja duktil krz
Rh 1966 786,4 ja beständig, sehr hart, teuerstes Edelmetall kfz
Hf 2230 892 ja silbrig glänzend hexagonal, krz
Mo 2622 1048,8 ja hochfest, zäh, korrosionsbeständig,
hitzebeständig, verdampft bei 800°C
krz
Ta 3030 1212 ja ähnlich wie Nb, stahlhart krz
Re 3170 1268 ja schmiedbar, duktil, wird als Zusatz bei Nickel-
Superlegierung genutzt
hexagonal
W 3380 1352 ja spröde, 250 HB krz
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Je nach Verwendung der oben genannten Werkstoffe sollten folgende Kriterien
berücksichtigt werden:
Legierbarkeit
Festigkeit
Duktilität (bei Raumtemperatur)
Oxidation / Korrosion
Preis
Dichte
Legiert man die in der Tabelle genannten Elemente miteinander oder mit anderen
Elementen, so verändern sich die Eigenschaften der miteinander legierten Substanzen
massiv, was zur Verbesserung bzw. Verschlechterung bezüglich der oben genannten
Kriterien führt. Das folgende Diagramm zeigt die nutzbare Festigkeit einiger
Werkstoffgruppen in Abhängigkeit der Temperatur:
1.2.1 Anforderungsprofile
Wird ein Bauteil unter bestimmten Beanspruchungsarten belastet, so muss der ausgewählte
Werkstoff bestimmte Anforderungen erfüllen, um gegen diese Belastungen resistent zu
bleiben. In folgender Tabelle werden verschiedene Beanspruchungsarten sowie die
entsprechenden Anforderungen an die Werkstoffe aufgelistet:
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Beanspruchungsarten Werkstoffanforderungen
Hochtemperaturkorrosion (Werkstoffe reagieren bei hohen
Temperaturen mit Luft und Gasen)
hohe Korrosionsresistenz
- metallurgische Maßnahmen
- Beschichtungen
Kriechen
(oberhalb 0,4 Tm leidet der Werkstoff unter
mechanischen Beanspruchungen)
Kriechbeständigkeit
- große Körner (Einkristalle)
- Teilchenhärtung (´-Phase)
Thermische/Thermomechanische
Ermüdung
(zyklische Verformung/Aufheizen-
Abkühlen)
Ermüdungsfestigkeit
- kleine Körner
- geringe Wanddicken
Maßnahmen, um eine hohe Korrosionsresistenz zu erreichen, wären metallurgische
Maßnahmen wie beispielsweise das Zulegieren von Chrom zum Stahl. Beschichtungen, wie
z. B. TBC-Schichten, sind auch eine Alternative. Jedoch sind diese relativ teuer.
Möchte man Kriechen vermeiden, ist eine Teilchenhärtung in Form der ´-Phase (in
Nickelbasislegierungen mit Titanium oder Aluminium) zu erreichen oder man versucht aus
dem Werkstoff einen Einkristall mithilfe des Tiegelverfahrens nach Czochralski (CZ-
Verfahren) herzustellen.
Vergleicht man nun die Anforderungsprofile beim Kriechen und bei der thermo-
mechanischen Beanspruchung, so stellt der Betrachter fest, dass die Lösungen für beide
Beanspruchungen paradox sind (einkristalliner Werkstoff ungleich Feinkorngefüge). Dies
bedeutet, dass je nach Verwendungszweck des Werkstoffes ein Schwerpunkt gelegt werden
muss oder man findet einen Kompromiss zwischen beiden Lösungen.
Ein Beispiel, bei der ein Werkstoff unter mechanischer Belastung (Zug- bzw. Drucklasten)
sowie unter Hochtemperaturkorrosion leidet, ist die Gasturbinenschaufel. Wird eine solche
Turbinenschaufel schnell abgekühlt bzw. erwärmt, so kommt es zur thermischen Ermüdung
und daraus resultierend zur Rissbildung.
Turbinenschaufeln werden auch als Einkristalline hergestellt.
Die folgenden Diagramme zeigen den Vorteil von einkristallinen Werkstoffen:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Aus dem ersten Diagramm ist ersichtlich, dass der einkristalline Werkstoff nach ungefähr 70
Stunden langer Belastung anfängt, stark zu dehnen, währenddessen der direkt gehärtete
Werkstoff schon ab ca. 40 Stunden anfängt, stark zu kriechen. Der konventionelle Werkstoff
ist gar nicht der Rede wert. Leitet man nun die Kriechdehnung nach der Zeit ab so ergibt
sich das zweite Diagramm. Der Betrachter erkennt, dass mit zunehmender Korngröße und
gleichbleibendem Anteil der erwünschten ´-Phase die minimale Kriechrate stark abnimmt.
2. Hochtemperaturkorrosion
Definition: Wird ein Werkstoff während seines Einsatzes bei hohen Temperaturen von
einem oder mehreren Gasen angegriffen, so spricht man von Hochtemperaturkorrosion.
Diese Korrosion findet ohne wässrige Elektrolytmedien statt.
Im Folgenden werden verschiedene Korrosionsarten sowie deren Erscheinungsformen
tabellarisch vorgestellt:
Korrosionsart Erscheinungsformen
Oxidation Man unterscheidet 2 Oxidationsarten:
- äußere Oxidation → Bildung einer äußeren Oxid-
deckschichtd
- innere Oxidation → Ausscheidungen im Inneren
des Werkstoffes
Aufkohlung Es bilden sich im Inneren des Werkstoffes Karbide
Aufstickung bzw. Nitrierung 2 Mechanismen (siehe Oxidation)
Aufschwefelung (Sulfidierung) 2 Mechanismen (siehe Oxidation und Nitrierung)
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Bei weiteren Betrachtungen spielen sowohl innere als auch äußere Korrosion eine wichtige
Rolle, wobei die innere Korrosion auf den Werkstoff gefährlicher wirkt, da sie zur inneren
Versprödung des Werkstoffs führt. Die bei der äußeren Korrosion entstandene
Korrosionsschicht dient gleichzeitig als Schutzschicht, da sie vor weiterer Korrosion
schützt.
2.1 Bauteilschädigung durch Hochtemperaturkorrosion
Typische Beschädigungen durch Hochtemperaturkorrosion finden beispielsweise bei
Gasturbinenschaufeln statt. Hier korrodiert ein Metall (Me) mit Sauerstoff nach folgender
Reaktionsgleichung:
2Me + O2 => 2MeO
Weitere Partner der Heißgaskorrosion sind Schwefel (S), NaCl, Na2SO4, etc. Die Korrosion
mit den genannten Gasen führt zu folgenden Schäden:
Risseinleitung
Metallabtrag (Erosion, Oxidabplatzung)
Folgendes Bild zeigt die Schäden, die durch Hochtemperaturoxidation nach 9000 Stunden
Betrieb an einer Gasturbinenschaufel (MAR M 246 → Nickelbasis Superlegierung)
entstanden sind:
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Ein weiterer wichtiger Bauteilbereich der Turbinenschaufel, in dem die Schäden des
Werkstoffes durch die Hochtemperaturkorrosion die Funktion des Systems sehr stark
beeinträchtigen, sind die Kühlkanäle der Schaufel. Zunächst wird der allgemeine Aufbau
der Kühlkanäle vorgestellt:
Nebenbei wäre hier noch zu erwähnen, dass circa 10 % der Leistung, die die Gasturbine
produziert, für die Abkühlung verwendet wird. Die Schäden durch die
Hochtemperaturkorrosion an den Kühlkanälen werden in der folgenden Grafik gezeigt:
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Betrachtet man den Bereich ''A'' so stellt man fest, dass durch die Korrosionsprodukte die
Kühlluftbohrung verstopft ist, was zur Strömungsstörung führt und daraus resultierend
kommt es zur Überhitzung der Turbinenschaufel. Im Bereich ''B'' erkennt man, dass sich
durch die Heißgaskorrosion eine Oxidschicht bildet, die den Verlauf der Abkühlströmung
stark verändert.
Basierend auf den vorherigen Betrachtungen stellt man fest, dass die Hochtemperatur-
korrosion nicht nur die Eigenschaften (Festigkeit, Duktilität, etc.) des Werkstoffes verändert,
sie beeinflusst auch sehr stark die Funktion des Systems (Beispiel: Abkühlung einer
Turbinenschaufel). Diese Beeinflussung kann zu verheerenden Funktionsschäden des
Systems führen.
2.2 Chemische Betrachtungen der Hochtemperaturkorrosion
2.2.1 Bewegung von Teilchen im Festkörper
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Damit eine Korrosion überhaupt stattfinden kann, muss eine Bewegung der Atome und
Teilchen im Werkstoff stattfinden. Dies geschieht durch Anionen-Leerstellen bzw. Kationen-
Leerstellen in der Gitterstruktur des Oxids, durch die Ionen sich bewegen können.
Folgende Grafik verdeutlicht dies:
Diese atomaren Fehlstellen liegen bei ausreichend hohen Temperaturen im thermischen
Gleichgewicht vor.
2.2.2 Materietransport durch Oxidschichten
Der Mechanismus für den Transport von Ionen wurde im vorherigen Abschnitt erläutert.
Nun wird die Bildung von Oxidschichten näher betrachtet:
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Als erstes diffundiert das Metallatom entlang der Fehlstellen durch den Werkstoff. Das
Metallatom diffundiert zur Oberfläche des Werkstoffes, da es die Edelgaskonfiguration
erreichen möchte, d.h. das Atom gibt seine Elektronen ab, um eine mit Elektronen voll
besetzte äußeren Schale zu erreichen:
𝑀𝑒 → 𝑀𝑒2+ + 2𝑒−
Der Sauerstoff, der das Metall umgibt und molekular vorliegt, dissoziiert zu zwei
Sauerstoffatomen und die vom Metall abgegebenen Elektronen nimmt der Sauerstoff auf:
𝑂2 → 2𝑂
𝑂 + 2𝑒− → 𝑂2− Ein Metallkation und ein Sauerstoffanion reagieren schließlich zu einem Oxidmolekül
𝑀𝑒2+ + 𝑂2− → 𝑀𝑒𝑂
Die Anionen- und Kationendiffusion findet durch das Oxidgitter bzw. durch die Fehlstellen
statt.
2.2.3 Marker-Experimente und Ellingham-Richardson-Diagramm
Wird nun das Wachstum der Oxidschicht untersucht, steht die Diffusion der Anionen und
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Kationen im Mittelpunkt der Untersuchungen. Um zu sehen, ob Kationen oder Anionen
stärker diffundieren, werden Edelmetalle (in der Regel Gold oder Platin) als Marker
eingesetzt, da diese reaktionsträge sind und sich bezüglich ihrer Position der Ionendiffusion
anpassen. Die Rolle, die der Marker in dieser Untersuchung spielt, wird in der folgenden
Grafik deutlich:
Liegt eine Kationendiffusion vor, so bewegen sich die Kationen vom Metall hinweg zur
Oxid/Gas Grenzfläche. Für den Marker bedeutet dies, dass er von den Kationen umgeben
wird. Liegt im Gegensatz dazu eine Anionendiffusion vor, diffundieren die Anionen in
Richtung des Metalls. Bei der Anionendiffusion liegt der Marker auf die Oberfläche.
Standardbildungsenthalpien für Oxidation
Zunächst wird aus der Thermodynamik die Gibbssche freie Enthalpie G (sie wird auch
thermodynamisches Potenzial oder Gibbs-Energie genannt) näher erläutert, die das
Stabilitätsmaß der Werkstoffzustände beschreibt. Sie ist wie folgt definiert:
G = H - TS
Hierbei ist H die Enthalpie, die den Energieinhalt des Werkstoffes in einem bestimmten
Zustand beschreibt. Die Anordnung der Atome eines Werkstoffes wird nach der statistischen
Wahrscheinlichkeit ermittelt, die in der Entropie S enthalten ist. Die Temperatur T wird in
Kelvin angegeben.
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Werkstoffe, die bei einer bestimmten Temperatur eingesetzt werden, müssen je nach
Temperatur eine bestimmte Enthalpie bzw. Energie aufnehmen, um überhaupt eine
Oxidation eingehen zu können. Diese Energie nennt man Standardbildungsenthalpie und
deren Einheit ist kJ / mol O2:
∆𝐺0 = 𝑅𝑇𝑙𝑛 𝑎𝑖 𝑣𝑖
𝑖
Eine andere Schreibweise ist:
∆𝐺0 = 𝑅𝑇𝑙𝑛 𝐾
R ist die allgemeine Gaskonstante mit 8,314 J/mol*K und T ist die Temperatur in Kelvin.
K ist die Gleichgewichtskonstante, die man aus dem Massenwirkungsgesetz ermitteln kann
und die von der jeweiligen chemischen Reaktion bzw. von den stöchiometrischen Faktoren
abhängt.
Liegt ein Metall M vor, das mit dem Sauerstoff O reagiert, so gilt für die allgemeine
Oxidation eines Metalls folgendes chemisches Gleichgewicht:
2𝑎
𝑏𝑀 + 𝑂2 →
2
𝑏𝑀𝑎𝑂𝑏
2a/b und 2/b sind jeweils stöchiometrische Faktoren.
Diese Faktoren lassen sich nun von jeder beliebigen Oxidationsgleichung ablesen und nach
dem Massenwirkungsgesetz kann die Gleichgewichtskonstante K ermittelt werden:
𝐾 =𝑎𝑀𝑎𝑂𝑏
2/𝑏
𝑎𝑀2𝑎/𝑏 ∗ 𝑝𝑂2
Die Basis a, die jeweils im Nenner und im Zähler des Terms steht, ist die Aktivität der
festen Reaktionspartner. Zuletzt wird noch der Sauerstoffpartialdruck ermittelt:
𝑝𝑂2= 𝑒
∆𝐺0
𝑅𝑇
Die Einheit des Sauerstoffpartialdrucks wird in bar angegeben.
Aus den genannten Beziehungen kann man nun die Gleichgewichtskonstante K ermitteln
und somit die Standardbildungsenthalpie berechnen. Eine einfachere Weise, die
Standardbildungsenthalpien in Abhängigkeit der Temperatur T zu ermitteln, kann mithilfe
der Ellingham-Richardson-Diagramme realisiert werden:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Um eine beliebige Standardbildungsenthalpie und den dazugehörigen Sauerstoffpartialdruck
zu ermitteln, geht man wie folgt vor (als Beispiel dient die Chromoxidation):
1. Man wählt zunächst eine beliebige Temperatur (hier 1200°C) und zieht eine Linie
zum gewünschten Graphen (Oxidationsgleichung). So erhält man zunächst die
Standardbildungsenthalpie.
2. Um den Sauerstoffpartialdruck zu ermitteln, zieht man eine Linie vom Punkt der
äußeren linken Achse durch den zuvor entstandenen Schnittpunkt bis hin zur Achse,
auf der der Sauerstoffpartialdruck (in diesem Beispiel: 10-17
bar) aufgetragen ist
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Eine weitere wichtige Betrachtung im Bereich der Oxidation stellt die Eisenoxidation dar:
Von Interesse sind die Eisenoxide, die eine (vom Betrag her) hohe Standard-
bildungsenthalpie aufweisen, was bedeutet, dass das Hämatit für weitere Betrachtungen
irrelevant ist. Die Geraden des Wüstit und Ferrits schneiden sich bei der sogenannten
Wüstittemperatur von ungefähr 575°C. Vor diesem Schnittpunkt ist das Ferrit im Vergleich
zum Wüstit resistenter gegen Oxidation, da Ferrit eine höhere Energie benötigt, um ein Oxid
zu bilden. Genau das Gegenteil gilt nach der Wüstittemperatur, da in diesem
Temperaturbereich das Wüstit dominant ist bezüglich der Höhe der Standard-
bildungsenthalpie.
2.2.4 Gleichgewichtssauerstoffpartialdrücke
Aus dem Ellingham-Richardson-Diagramm ist auch ersichtlich, dass mit (betragsmäßig)
zunehmender Standardbildungsenthalpie der Sauerstoffpartialdruck bei der jeweiligen
Temperatur im Vergleich mit Oxidationen, die eine betragsmäßig niedrigere Standard-
bildungsenthalpie besitzen, sinkt.
Das folgende Diagramm zeigt die Gleichgewichtssauerstoffpartialdrücke von einigen
Oxiden in Abhängigkeit von der Temperatur:
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2.2.5 Das Pilling-Bedworth-Verhältnis PBR
Das Pilling-Bedworth-Verhältnis gibt eine Aussage über die Eigenschaft der Oberfläche der
Oxiddeckschichten wieder. Das Verhältnis ergibt sich aus folgender Beziehung:
𝑃𝐵𝑅𝑀𝑒𝑣𝑂 =𝑉 𝑂𝑥
𝑉 𝑀𝑒=𝑀𝑂𝑥/𝜐𝜌𝑂𝑥𝑀𝑀𝑒/𝜌𝑀𝑒
> 1
𝑽 𝑶𝒙 und 𝑽 𝑴𝒆 sind jeweils das Volumen vom Oxid und vom Metall. Die Dichte bezieht
sich jeweils auf die Dichte des Metalls und die des Oxids. Das Molekulargewicht des Oxids
und des Metalls sind jeweils dem M zugeteilt. istein stöchiometrischser Faktor.
Wenn der PBR – Faktor > 1 ist (z.B. 1-3), besteht grundsätzlich eine schützende und
stabile Oxidationsdeckschicht. Ist jedoch PBR >> 1 (z.B. 10), entstehen Druck- und
Wachstumsspannungen parallel zur Oberfläche, wenn das Oxid von innen wächst. Sind
diese Spannungen gering, so haftet die Deckschicht zum Metallsubstrat. Werden diese
Spannungen jedoch zu hoch, lösen sich kleine Oxidteile ab und reißen von der Oberfläche
des Werkstoffs ab, was dem Sauerstoff freien Zugang zum Inneren des Werkstoffs
verschafft. Die Oxidationsrate nach dem Durchdringen des Sauerstoffs in das Innere des
Werkstoffs gehorcht dann dem linearen Oxidationsgesetz anstelle des parabolischen
Oxidationsgesetzes. Im fortgeschrittenen Stadium verliert das komplette System an Masse.
Ist PBR << 1, bauen sich Zug- und Wachstumsspannungen auf. Die Festigkeit des Oxids
übertroffen und es kommt zu Rissen in der Oxidationsdeckschicht. Die Schicht wird
dadurch porös und verliert somit ihre Schutzfunktion. Dieses Phänomen tritt jedoch nur bei
Alkali- und Erdalkalimetallen (z.B. MgO) auf.
Das folgende Bild zeigt das Verhalten der Oxidschicht bei verschiedenen PBR-
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Verhältnissen:
Die folgende Tabelle zeigt die PB-Verhältnisse von einigen Oxiden:
2.3 Kinetische Grundlagen
Liegt eine Korrosionsreaktion vor, so hängt diese vom Gleichgewicht der reagierenden
Stoffe und von der Geschwindigkeit, in der sich das Gleichgewicht einstellt, ab. Bis zur
Einstellung des Gleichgewichts können Stunden, Tage oder sogar Jahre vergehen, was
bedeutet, dass die Reaktionsgeschwindigkeit sehr langsam ist. Folgende Grafik zeigt den
Oxidationsmechanismus:
PBR>>1
leichter Atmosphärenzugang
PBR<<1
Oxidaufbuckeln
kompakte, schützende Oxidschichten
poröse, schnell wachsende Oxidschichten
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Um das Zeitverhalten für das Wachstum einer Oxidschichtschicht zu charakterisieren,
dienen die Zeitgesetze.
2.3.1 Zeitgesetze
Die zeitliche Masseänderung bei einer Oxidation hängt im Wesentlichen vom Werkstoff,
von der Temperatur und von anderen Versuchsbedingungen ab. Daraus resultieren
verschiedene Zeitgesetze, dessen Graphen die Schichtdicke oder Massenänderung in
Abhängigkeit der Zeit t widerspiegeln:
Metall
Gasphase:
O
O OMeO
2
m
3. Keimbildung
p(O)=p -p(N)
Gesetz von Dalton2 g e s 2
1. Antransport aus der Gasphase
2. Dissoziation des Sauerstoffs
4. Zusammenwachsen zu geschlossener Oxidschicht
trennt Reaktionspartner(Oxidwachstum nur durch
Diffusion möglich)
O2 -
Me2 +
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Es wird nun auf die einzelnen Oxidationsgesetze eingegangen:
a.) Parabolisches Oxidationsgesetz
Werkstoffe sollen in Hochtemperaturanwendungen diesem Oxidationsgesetz gehorchen, da
die Oxidschichtbildung mit der Zeit gedrosselt wird, jedoch nicht zum Stillstand kommt.
Die Oxidschicht schützt dementsprechend vor weiterer Oxidation. Für das parabolische
Gesetz gilt folgende Umformung:
∆𝑚
𝐴 = 𝑘𝑝 ∗ 𝑡
m ist die Massenzunahme, A die gesamte Probenoberfläche, kp die massebezogene parabolische Oxidationskonstante und t die Zeit. Die parabolische Oxidationskonstante
kann mithilfe einer Arrhenius-Funktion bestimmt werden:
𝑘𝑝 = 𝑘𝑝0∗ 𝑒−
𝑄𝑅𝑇
𝒌𝒑𝟎 ist ein Vorfaktor und Q die Aktivierungsenergie des geschwindigkeitsbestimmenden
Diffusionsschrittes beim Schichtwachstum. R ist die allgemeine Gaskonstante und T ist die
Temperatur in Kelvin.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Sind die Diffusionskoeffizienten der Anionen und Kationen einer Oxidation sowie die ein-
und austretenden Sauerstoffdrücke bekannt, so kann kp auch wie folgt ermittelt werden:
𝑘𝑝 = 𝐷𝐴𝑛𝑖𝑜𝑛 +𝑦
𝑥∗ 𝐷𝐾𝑎𝑡𝑖𝑜𝑛 ∗ 𝑑𝑙𝑛 𝑝𝑂2
𝑝𝑂2𝑎𝑢𝑠
𝑝𝑂2𝑖𝑛
Die beiden Variablen x und y sind Indizes, die aus der Reaktionsgleichung ermittelt werden,
wie folgende Grafik zeigt:
Diese Grafik verdeutlicht auch gleichzeitig die Vorstellung Carl Wagners bezüglich der
Zunderung. Als erstes passieren die Metallkationen die Metall-Oxid-Phasengrenze. Das
Metall oder Nichtmetall diffundiert in Form von Ionen, Elektronen bzw. Defektelektronen
durch die Deckschicht. Zuletzt ankert sich das Nichtmetall an der Phasengrenze
Deckschicht/Gasphase.
b.) Lineares Oxidationsgesetz
Dieses Oxidationsverhalten tritt beispielsweise bei Ta und Nb auf und ist von der
Oxidationskonstante kl abhängig, die man analog zu kp nach der Arrhenius-Funktion
ermitteln kann. Zunächst wird wie beim parabolischen Schichtwachstum eine Schutzschicht
auf dem Werkstoff gebildet, wobei unmittelbar danach die Schicht aufbricht und der
Sauerstoff in Kontakt mit dem frischen Metall gerät, was zu verstärkter Korrosion führt. Im
schlimmsten Fall kommt es zur Durchbruchoxidation (Breakaway Oxidation), in der
voluminöse Oxidlagen gebildet werden und es zu Abplatzungen und Masseverlusten
kommt.
c.) Katastrophale Oxidationen
In diesem Falle kommt es zu Masseverlust, da sich flüssige oder flüchtige Oxide bilden. Die
Masseabnahme folgt einem linearen Gesetz, wobei die Gerade eine negative Steigung hat,
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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was bedeutet, dass Teile des Substrats verbraucht werden. Dieses Oxidationsverhalten tritt
bei refraktären Metallen, z.B. Mo, Re, W etc., auf.
d.) Logarithmische Massezunahme
Liegen relativ tiefe Temperaturen (stark unter 500°C) bei dem Einsatz von Metallen vor, so
wird das Oxidschichtwachstum nach einem logarithmischen Gesetz beschrieben.
Folgende Graphen zeigen lineare und parabolische Massenzunahmen, die aus Experimenten
ermittelt worden sind:
Parabolische Zunderkonstanten können auch graphisch in Abhängigkeit der Temperatur
dargestellt werden:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Je nidrieger Zunderkonstante ist, desto geeigneter ist der Werkstoff bzw. das Oxid für die
Anwendung bei hohen Temperaturen. Im obigen Graphen wäre das beste Oxid das
Aluminiumoxid.
2.3.2 Ermittlung der Masseänderung eines Oxids
Man geht nun von folgender Schichtdicke Fläche A und daraus resultierend von dem
Volumen des Kupferoxids VCuO aus:
Um nun auf die Masse zu gelangen, wird das Volumen VCuO mit der Dichte
CuOmultipliziert in diesem Falle mit der Dichte des Kupferoxids:
Um einen Bezug zwischen der Masse des Oxids und der Fläche von 1 cm² herzustellen,
wird die ermittelte Masse des Oxids durch die die Fläche dividiert:
𝑚𝐶𝑢𝑂
𝐴= 6,45 ∗ 10−4
𝑔
𝑐𝑚²
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Die messbare Masseänderung ist mit der Molmasse des Sauerstoffs sowie des Oxids wie
folgt definiert:
Zuletzt wird die Masse des Oxids mit der messbaren Masseänderung (Verhältnis)
multipliziert, um die Masseänderung zu erhalten:
∆𝑚
𝐴 ∗ 0,2 = 1,3 ∗ 10−4
𝑔
𝑐𝑚²= 0,13
𝑚𝑔
𝑐𝑚²
Um diese Größe messen zu können, sind präzise Waagen erforderlich.
2.3.3 Versuchsstände und Geräte zur Untersuchung der Oxiddeckschicht
Thermogravimetrie
Die Kinetik der Oxiddeckschichtbildung wird gravimetrisch erfasst, d.h., dass die Reaktion
zwischen Sauerstoff und Werkstoff beobachtet wird und die Masseänderung der Probe
ermittelt werden kann. Folgende Grafik zeigt einen Versuchsaufbau, mit dessen Hilfe die
Masseänderung einer Werkstoffprobe ermittelt wird:
2,0)/16/4,63(
)/16(
CuO
O
molgmolgM
molgM
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Die Masse einer Probe, die im Ofen oxidiert, nimmt zu, was von der Mikrowaage registriert
wird. Mithilfe der Kompensationsspulen wird die Mikrowaage bzw. der Waagebalken
wieder in die Gleichgewichtslage zurückgeführt. Aus dem elektrischen Strom I, der für die
Kompensationsspulen benötigt wird, um den Waagebalken zur Gleichgewichtslage
zurückzuführen, wird durch verschiedene Formalismen die Masseänderung ermittelt. Die
Probe, die in diesem Versuchsaufbau im Ofen unter hohen Temperaturen korrodiert, kann
sowohl unter isothermen als auch unter zyklischen Bedingungen belastet werden. Unter
isothermen Bedingungen bleibt die Temperatur, unter der die Probe korrodiert, konstant. Bei
der zyklischen „Belastung“ wird die Probe in bestimmten Zeitintervallen aus dem Ofen
rausgenommen, abgekühlt und danach wieder in den Ofen gestellt. Dieses Prozedere wird
viele Male wiederholt. Wird der Werkstoff CMSX-6 (Nickelbasis-Superlegierung) unter
einer Temperatur von 1000°C belastet (isotherm und zyklisch), so resultieren aus der
thermogravimetrischen Masseänderungsermittlung folgende Grafen:
Bei der zyklischen Belastung entstehen an der Oxidschicht Druckspannungen, die zur
Abplatzung der Schicht führen.
Eine andere Methode, die Masseänderung zu ermitteln, ist mithilfe der Volumetrie möglich.
Volumetrie
Bei der Volumetrie wird das Volumen des Sauerstoffs gemessen, welches auf eine Reaktion
mit dem Werkstoff eingegangen ist. Das Volumen des Sauerstoffs kann mithilfe des Drucks
ermittelt werden, denn wenn ein Teil des Sauerstoffs mit dem Werkstoff reagiert, fällt der
Druck ab und dieser wird registriert. Nachdem der Druck (und somit der Sauerstoffgehalt)
ermittelt worden ist, wird der Probenkammer Sauerstoff zugeführt, um den ursprünglichen
Druckzustand der Kammer wieder herzustellen. Aus den jeweils ermittelten
Sauerstoffvolumina wird die jeweilige Volumenänderung der Oxidschicht in Abhängigkeit
der Zeit ermittelt. Der Vorteil einer solchen Anlage liegt im abgeschlossenen Gasvolumen
und der höheren Auflösung bei hohen Drücken. Der Nachteil liegt im Aufwand beim Bau
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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der Anlage und dem Preis solcher Anlagen. Die folgende Abbildung zeigt den prinzipiellen
Aufbau des Versuchsstandes:
Anlauffarben dünner Oxidschichten
Ist eine Oxidschicht bzw. Fläche optisch halbdurchlässig, so kann man die Schichtdicke
mithilfe des Lichts bestimmen. Wird ein Lichtstrahl auf die Fläche projiziert, so stellt der
Betrachter fest, dass das reflektierte Licht eine andere Farbe hat als das projizierte weiße
Licht. Das reflektierte Licht sowie dessen Farbe gibt eine Auskunft über die Wellenlänge ,
der Phasenverschiebung und der Interferenz. Mithilfe trigonometrischer Beziehungen
kann der Gangunterschied bestimmt werden und aus all den genannten Größen kann die
Oxidschichtdicke bestimmte werden. Den prinzipiellen Aufbau dieses Verfahrens zeigt
folgende Skizze:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Elektronenmikroskopie
Mithilfe der Elektronenmikroskope kann das Gefüge von Werkstoffen bzw. von Oxiden
untersucht werden. Man unterscheidet bei Elektronenmikroskopen zwischen
Transmissionenelektronenmikroskop (TEM) und Rasterelektronenmikroskop (REM). Das
Ti-Oxid (CMSX-6), welches unter 1000°C belastet worden ist, sieht, mit beiden E-
Mikroskopen untersucht, wie folgt aus:
Wie man aus der Abbildung entnehmen kann, ist die Auflösung des
Transmissionenelektronenmikroskops größer als die des Rasterelektronenmikroskops.
Erwähnenswert ist jedoch, dass die Probenpräparation beim TEM aufwendiger ist als die
des REM.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
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Das REM ist wie folgt aufgebaut:
Korrosionsprodukte, die in einem Werkstoff während dem Einsatz bei hohen Temperaturen
entstanden sind, sieht man in der nächsten Abbildung durch den Querschliff:
Die schwarzen Flächen, die in der Abbildung zu erkennen sind, stellen die Ausscheidungen
dar. Im oberen Teil des Bildes sieht man die Oxidschicht.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
29
Eine weitere Untersuchungsmethode ist die energiedispersive Röntgenspektroskopie (EDS),
durch die man die Elementarverteilung einer Legierung untersuchen kann:
Das Funktionsprinzip eines Focused Ion Beam (FIB)-Mikroskops gleicht dem eines REMs,
mit dem wesentlichen Unterschied, dass das FIB über die zusätzliche Galiumionenquelle
verfügt. Die Wechselwirkung der Galiumionen mit der Probenoberfläche ist viel stärker, da
Galiumionen größer und schwerer als Elektronen sind. Der Ionenstrahl dient hier zur
Probenbearbeitung durch die gezielte abgetragene Wirkung des Galiumionenstrahls,
während eine hohe Auflösung durch die Wechselwirkung von Primärelektronen mit der
Probenoberfläche erreicht wird. Durch abwechselndes Abtragen und Abbilden können
dreidimensionale Informationen der Mikrostruktur erfasst werden, die beispielsweise von
Nutzen sind, wenn Aufnahmen von verdeckten Rissen oder Einschlüssen benötigt werden.
Die Fähigkeit, sowohl Material abzutragen als auch lokal Material abscheiden (z.B. von Pt)
ermöglicht präzise Strukturierung einer Probenoberfläche im Nanometerbereich. Es lassen
sich damit auch dreidimensionalen Objekte aufbauen. Die folgende Abbildung verdeutlicht
das Funktionsprinzip eines FIB-Mikroskops.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
30
Elektronenquelle
Ionenquelle
FIB
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
31
Zur Phasenanalyse wird die Röntgendiffraktometrie zur Hilfe genommen:
2.4 Oxidation
2.4.1 Oxidation von Legierungen
Die Legierungskomponenten im Werkstoff besitzen verschiedene Affinitäten bezüglich des
Sauerstoffs (siehe Ellingham-Richardson Diagramm) und die Diffusionsgeschwindigkeiten
(Diffusionskoeffizient) der jeweiligen Elemente in der Legierung sind unterschiedlich. Bei
der Bildung von Deckschichten werden weitere metallische Elemente mit integriert.
Um eine selektive Oxidation zu gewährleisten, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt
sein:
das B-Oxid muss thermodynamisch stabiler sein als das A-Oxid
Um eine dichte Oxidschicht bilden zu können, muss genügend vom B-Element
vorhanden sein (kritische B-Konzentration)
die Diffusionsgeschwindigkeit von B muss in der Legierung so hoch sein, so dass die
Oxid/Metall-Grenzfläche eine ausreichende Konzentration an B-Legierungselementen
enthält
2.4.2 Theorie der inneren Oxidation nach Carl Wagner
Definition: Wenn eine Legierung eine geringe Konzentration eines Legierungselementes
enthält, welches dazu neigt starke Oxide zu bilden, können unter bestimmten Umständen
im Werkstoffinneren Oxide gebildet werden, wobei sich diese in Form von Oxid-
ausscheidungsreaktionen bilden.
Für die genauere Betrachtung der inneren Oxidation dient die folgende Grafik:
Röntgenquelle
Detektor
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
32
Aus der vorherigen Abbildung ist ersichtlich, dass die Konzentration des
Legierungselements B abnimmt, da es mit dem Sauerstoff ein Oxid bildet. Die
Sauerstoffkonzentration an der Oberfläche der Legierung (Löslichkeitskonzentration) nimmt
dementsprechend zu, da im Gegenzug zur abnehmenden B-Konzentration sich das B-Oxid
bildet. Ein weiterer Faktor, der die Sauerstoffatome schneller bewegen lässt, ist die hohe
Temperatur, die die Sauerstoffatome mit kinetischer Energie versorgt. Daraus resultierend
wird das Oxid schneller gebildet. Durch die innere Oxidation in der Legierung entstehen
Ausscheidungen, die zur Entstehung von Spannungen beitragen.
Die Aussscheidungstiefe wird nach dem Wagner'schen Gesetz ermittelt:
𝜉 = 𝑘 𝑡 =2𝑐𝑂
𝑆 ∗ 𝐷𝑂𝑣𝑐𝐵
0 𝑡
Das 𝒄𝑶𝑺 ist die Konzentration des Sauerstoffs, DO ist der Diffusionskoeffizient des
Sauerstoffs, 𝒄𝑩𝟎 ist die Konzentration des B-Metalls, t ist die Reaktionszeit und v ist das
Volumen.
2.4.3 Innere und äußere Oxidation
Anhand der NiCr-Legierung wird das Zusammenspiel zwischen innerer und äußerer
Oxidation sichtbar:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
33
Aus der linken Teilabbildung erkennt man, dass sich in der Legierung Chromoxid (innere
Oxidation) bildet, während sich auf der Legierungsoberfläche Nickeloxid bildet. Reagiert
nun das Chromoxid mit dem Nickeloxid, so bildet sich Nickel-Chrom-Oxid, welches den
Korrosionsangriff stark verlangsamt. Dadurch sinkt die parabolische Oxidationskonstante
kp. Der Graph auf der rechten Seite zeigt, dass mit zunehmender Chromkonzentration der
Korrosionsangriff durch die Bildung einer schützenden Cr2O3 Schicht weiter abgeschwächt
wird (da der kp-Wert sinkt).
In der Praxis sieht ein SRR99-Werkstoff (NiCrAl-Superlegierung) unter einer Belastung von
1000°C, der von Luft umgeben ist, wie folgt aus:
Das Cr2O3 und Al2O3 bildet eine Barriere gegen den Gasangriff.
Einen schlechten Einfluss auf den Werkstoff bilden die Titanium- und Aluminiumnitirde, da
die Nitride die Auflösung der '-Phase fördern, die für die Festigkeit des Werkstoffes
verantwortlich ist.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
34
Um die Chrombarriere zu verstärken, muss das Chromoxid in Richtung der
Werkstoffoberfläche wachsen. Dieser Diffusionsvorgang kann beschleunigt werden, wenn
im Werkstoff ein Feinkorngefüge vorliegt. Die Bestätigung dieser Aussage liefern die
thermogravimetrischen Kurven eines oxidierenden Austenit-Stahls, wobei eine Probe aus
großen Körnern besteht und eine andere aus kleinen Körnern:
Wie man aus dem Graph entnehmen kann, ist die Massenänderung bei einem Stahl mit
großen Körnern viel größer als bei dem Stahl, der aus kleinen Körnern besteht, was
bedeutet, dass der grobkörnige Stahl viel stärker oxidiert als der feinkörnige Stahl.
2.4.4 Zyklische Oxidation
Die zuvor betrachteten Korrosionsarten fanden alle unter isothermen Bedingungen statt.
Nun wird die Probe unter einer zyklischen Temperaturveränderung belastet, d.h., dass die
Probe in konstanten Intervallen aufgeheizt und abgekühlt wird, was das zeitliche
Oxidationsgesetz bzw. das Deckschichtverhalten stark beeinflusst. Das zeitliche Aufheizen
und Abkühlen wird im Folgenden als Funktion der Temperatur in Abhängigkeit der Zeit
graphisch dargestellt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
35
Die Zeit tH ist die Zeit, in der die Werkstoffprobe im Ofen unter der Temperatur Tmax
belastet wird und Tmin ist die Abkühltemperatur. Durch die zyklische Oxidation entsteht im
Vergleich zur isothermen Oxidation folgender Graph:
Durch das periodische Aufheizen und Abkühlen entstehen beim Abkühlen Druck- und
Zugspannungen, die zum Abplatzen der Oxiddeckschicht führen. Dadurch kommt es zur
Oxidation des Werkstoffes und später zu dessen Versagen. Die Abplatzung der Oxidschicht
wird prinzipiell und real an einem CMSX-6 gezeigt, der periodisch auf 1000°C aufgeheizt
worden ist und dann wieder abgekühlt wurde:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
36
2.5 Synthese von Hochtemperaturkorrosion mit mechanischer Beanspruchung
Besteht eine Korrosion des Werkstoffes mit einer zusätzlichen mechanischen
Beanspruchung, so resultieren daraus verschiedene belastende Effekte. Einer dieser Effekte
ist die Auflösung der festigkeitssteigernden Phasen, wie z.B. die '-Phase (besteht aus
Ni3(Al, Ti)). Weiterhin werden spröde Phasen an den Korngrenzen ausgeschieden, was zwar
positiv ist, jedoch bilden sich dadurch Risse im Werkstoff. Ein weiterer Effekt ist die
korrosionsbedingte Querschnittsreduzierung, die durch eine lineare Oxidation stattfindet
und/oder bei der die Oxiddeckschicht verdampft. Das Risswachstum kann durch Korrosion
stark unterstützt werden, was beispielsweise bei der Heißgaskorrosion (wie bei der
Oxidation von Cl, S, Na2SO4) passieren kann. Daraus resultierend bilden sich auch innere
Oxide im Kornvolumen und auf den Korngrenzen, was die Lebenszeit des Bauteils bzw.
Werkstoffs verkürzt. Die entstehenden inneren Korrosionsprodukte sind spießig oder
plattenförmig, was zur inneren Kerbung des Bauteils führen kann. Ein weiterer Punkt in
diesem Zusammenhang ist die Entstehung von Eigenspannungen aufgrund der Tatsache,
dass korrosionsbedingt eine Volumenänderung stattfindet.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
37
Die Ausmaße der Überlagerung beider Belastungen sieht man im Folgenden:
2.6 Schutzmaßnahmen gegen Hochtemperaturkorrosion
Basierend auf den zuvor erwähnten Erkenntnissen können verschiedene Schutzmaßnahmen
gegen Oxidation getroffen werden, um die Lebensdauer des Bauteils bzw. des Werkstoffs zu
verlängern.
Eine Schutzmethode gegen Korrosion ist die Verwendung zunderfester Legierungen, wie
z.B. Cr2O3- oder Al2O3- schichtbildende Legierungen. In diesem Falle ist die Verwendung
der Al2O3- schichtbildenden Legierung besser als Cr2O3, da Al2O3 ein stabileres Oxid bildet
als Cr2O3 und es benötigt eine höhere Standardbildungsenthalpie (siehe Ellingham-
Richardson-Diagramm).
Das Anbringen von Korrosions- und Wärmedämmschichten auf der Oberfläche des
Werkstoffs ist ein weiterer Dämmmechanismus gegen Korrosion. Diese Art von
Korrosionsschutz setzt man z.B. bei Turbinenschaufeln ein.
Schutzgase, die nicht mit anderen Elementen reagieren (in diesem Falle kommen Edelgase
wie Helium, Argon, etc. in Frage), bilden auch einen Schutz des Bauteils gegen Korrosion.
Der Werkstoff kann auch von der Oberfläche her durch Bildung festhaltender und langsam-
wachsender Oxidschichten geschützt werden. Das Bauteil kann auch chromiert, alitiert und
in einem entsprechenden Metallpulver erhitzt werden.
Um eine stabile Oxiddeckschicht bilden zu können, muss eine passende
Konzentrationszusammensetzung für die jeweiligen Legierungselemente gefunden werden.
Eine Auskunft über die Konzentration der Elemente und dementsprechend welche
Oxiddeckschicht gebildet wird, zeigt die isotherme (ca. 1000°C) Oxidationskarte:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
38
Im vorliegenden Fall wurde zu Nickel 10 Masse-% Chrom und 5 Masse-% Aluminium
dazulegiert, was in der Oxidationskarte an der Grenze zwischen der Bildung einer Al2O3
Oxiddeckschicht und der Bildung einer Cr2O3 Oxiddeckschicht liegt. In diesem Falle
werden beide Oxiddeckschichten gebildet und bieten somit einen höheren Schutz gegen
Nickeloxide.
Auf der rechten Hälfte der Grafik erkennt man eine schematische Darstellung des
Wachstums beider Schichten mit zunehmender Zeit. Am Anfang bilden sich die Oxide an
der Werkstoffoberfläche und die Chromoxide bilden langsam eine Schicht. Zuletzt bildet
sich die Aluminiumoxidschicht unterhalb der Chromoxidschicht.
2.6.1 Hochtemperaturbeschichtungen
Generell dienen Hochtemperaturbeschichtungen als Korrosionsschutz und als
Wärmedämmung. Zur Aufbringung der Schicht auf den Werkstoff unterscheidet man
verschiedene Aufbringverfahren:
Chemische Gasphasenabscheidung (Chemical Vapour Deposition – CVD)
Physikalische Gasphasenabscheidung (Physical Vapour Deposition – PVD)
Thermische Spritzverfahren
Plattieren
MCrAlY-Schichten sind Korrosionsschutzschichten und sehen im Realen wie folgt aus:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
39
Eine solche Schicht wird mithilfe des HVOF-Verfahrens (high-velocity oxy fuel bzw.
Hochgeschwindigkeits-flammspritzen) an den Werkstoff angebracht. Die MCrAlY-
Schichten fungieren auch als Wärmedämmschichten, was einen Schutz gegen
Kriechvorgänge bildet. Diese Dämmschicht ist jedoch nur bis zu einer bestimmten
Temperatur brauchbar, denn ab einer vorhersagbaren hohen Temperatur entstehen in der
Wärmedämmschicht Zwischenräume (Aufgrund vertikaler thermischer Dehnung), durch die
dann die heißen Gase die Korrosionsschutzschicht angreifen können:
Die Korrosionsschutzschicht kann z.B. eine Al2O3-Schicht sein.
Weitere Wärmedämmschichten sind TBC-Schichten (thermal barrier coatings), die mithilfe
des APS- (atmosphärisches Flammspritzens) und dem EB-PVD- (Electron-Beam Physical
Vapour Deposition) Verfahrens an den Werkstoff angebracht werden. Den
Temperaturverlauf an einer TBC-Schicht, dessen Anwendung und dessen Schaden zeigt
folgende Abbildung:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
40
Die Risse entstehen aufgrund der Tatsache, dass die Wärmedämmschicht aus Keramik
besteht und Keramik sehr spröde ist.
2.6.2 Reaktive Elemente
Diese Elemente (Y, La, Hf, Ce, etc.) dienen zu Haftungsverbesserung der Oxiddeckschicht,
Reduzierung der Ionenwanderung und Bildung feinkörniger Oxide. Legiert man
beispielsweise einer Nickellegierung bestimmte Masse-% Ce hinzu, so kann man die
Masseänderung in Abhängigkeit der Zeit mit verschiedenen Ce-Konzentrationen darstellen:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
41
Anhand des Graphen wird deutlich, dass mit zunehmender Ce-Konzentration die
Massenänderung sinkt und somit besteht ein größerer Schutz gegen Korrosion. Der
Unterschied zwischen feinkörnigem und grobkörnigem Oxid wird im Folgenden sichtbar:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
42
3. Mechanische Beanspruchung bei hohen Temperaturen
3.1 Einsinnige mechanische Belastung bei hohen Temperaturen: Kriechen
3.1.1 Phänomenologische Betrachtung des Kriechens
Zunächst wird der Unterschied zwischen der Festigkeit bei hohen und bei niedrigen Temperaturen anhand des Zugversuchs verdeutlicht:
Bei hoher Temperatur sinkt die Steigung der Hookeschen Geraden bzw. das E-Modul. Die
Kriechgeschwindigkeit bzw. Dehnrate (Ableitung von ) nimmt einen konstanten Wert an
und auch konvergiert gegen einen konstanten WertAus diesen Betrachtungen resultiert
bei hohen Temperaturen ein dynamisches Gleichgewicht aus Verfestigung und Entfestigung.
Bei Raumtemperatur ist zu beachten, dass die wahre Spannung bis zum Bruch steigt und
eine Verfestigung stattfindet. Anhand des „unkonventionellen“ Zugversuchs (Spannung in
Abhängigkeit der Zeit t), der bei hohen und niedrigen (Raumtemperatur) Temperaturen
durchgeführt wird, kann eine Aussage über die jeweilige Dehnung getroffen werden:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
43
Bei Raumtemperatur nimmt die Dehnung ab dem Zeitpunkt t0 einen konstanten Wert an
im Gegensatz zur Dehnung bei hohen Temperaturen, wo die Dehnung ab dem Zeitpunkt t0
weiter linear ansteigt. Ein typisches Beispiel in der Praxis für einen solchen Dehnvorgang
bildet eine Schraube, mit dessen Hilfe der Zylinderkopf eines Motors befestigt wird. Ein
weiteres Beispiel ist eine Turbinenschaufel, die sich bei hohen Temperaturen dehnt, wobei
sie zusätzlich durch Fliehkräfte belastet wird.
Bezüglich des Kriechens gilt folgende Faustregel:
Wird ein Werkstoff unter einer Temperatur T eingesetzt und beträgt dessen Verhältnis mit
Tm (Schmelztemperatur) T / Tm ≥ 0,4 Tm, so liegt ein Kriechvorgang vor. Die Temperatur
wird in Kelvin angegeben.
Aus dieser Faustregel kann entnommen werden, dass je höher die Schmelztemperatur eines
Werkstoffes ist, desto höher sind auch dessen Einsatztemperaturen.
Werden die Eigenschaften des Werkstoffs zwischen T < 0,4 Tm und T > 0,4 Tm verglichen,
so wird folgendes festgestellt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
44
T < 0,4 Tm T > 0,4 Tm
Festigkeitswerte sind zeitunabhängig.
Festigkeitswerte sind zeitabhängig.
Versetzungsstrukturen sind bei = konst.
„eingefroren“.
Versetzungen sind ständig in Bewegung (
Klettern von Versetzungen ).
Plastische Verformung erfolgt nur oberhalb
der Fließspannung.
Kriechverformung erfolgt praktisch bei allen
Spannungen.
Der Verformungszustand stellt sich nahezu
zeitunabhängig ein.
Der Verformungszustand ist zeitabhängig.
Die Korngrenzen bewegen sich nicht
gegeneinander; Diffusion trägt nicht zur
Verformung bei.
Körner können entlang von Korngrenzen
aneinander abgleiten. Diffusionsvorgänge
können einen Verformungsbeitrag liefern.
Bei T > 0,4 Tm sind die Versetzungen ständig in Bewegung, was zu plastischen
Verformungen führt. Ein weiterer Effekt ist die Festigkeitssenkung aufgrund des Abgleitens
der Körner entlang der Korngrenzen.
Bei Temperaturen T < 0,4 Tm werden durch das Gleiten Versetzungen erzeugt und somit
wird die Versetzungsdichte erhöht, was die Verformungsgeschwindigkeit steigert. Unter
hohen Temperaturen wird ein Großteil der Versetzungen vernichtet und es entstehen
dadurch innere Spannungen im Werkstoff. Eine weitere Verdeutlichung der
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
45
Kriechverformung über Versetzungen zeigt der Regelkreis der plastischen Verformung:
Die Kriechgeschwindigkeit ist wie folgt definiert:
휀 =𝑑휀
𝑑𝑡
Die effektive Spannung setzt sich aus der inneren und der angelegten Spannung zusammen:
𝜍𝑒𝑓𝑓 = 𝜍 − 𝜍𝑖
i wird durch wirksame Härtungsmechanismen bestimmt.
Im Folgenden werden die Härtungsmechanismen bei niedrigen und bei hohen Temperaturen
gegenübergestellt bzw. verglichen:
Mechanismus Kaltverformung Feinkornhärtung Mischkristallhärtung Teilchenhärtung
T < 0,4 Tm ++ + + +
T > 0,4 Tm
0
oder --
(Rekrist.)
--
(Korngrenzen-
gleiten)
+
++
Unter der Kaltverformung fallen z.B. das Walzen und das Tiefziehen, was bei hohen
Temperaturen nicht möglich ist. Die Feinkornhärtung bei hohen Temperaturen führt zu
Korngrenzengleiten und daraus resultiert eine Festigkeitssenkung des Werkstoffes. Die
Mischkristallhärtung wird bei refraktären bzw. hochschmelzenden Werkstoffen ein-gesetzt.
Für die Härtung eines Hochtemperaturwerkstoffes ist die Teilchenhärtung das vorteilhafteste
Verfahren.
3.1.2 Die Kriechkurve
Bei der Kriechkurve wird die zeitabhängige plastische Verformung aufgetragen, die
experimentell mithilfe einer konstanten Kraft oder konstanten Spannung ermittelt wird:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
46
Der Bereich a (primäres Kriechen bzw. Übergangskriechen) ist durch zu- bzw. abnehmende
Versetzungsdichte, Veränderung der Versetzungsanordnung und durch allmähliche
Annäherung an eine stationäre Versetzungsanordnung geprägt.
Das Intervall b wird als sekundäres bzw. stationäres Kriechen bezeichnet, da hier die
Spannung und die Versetzungsdichtekonstant sind und die Versetzungsanordnung
stationär ist.
Das tertiäre Kriechen beschreibt den dritten Teil des Graphen, der stark
versuchstypabhängig ist und bei dem die Dehngeschwindigkeit durch Porenbildung und
Querschnittsverminderung gefördert wird.
Der Bereich b stellt einen wichtigen Bereich dar, denn dieses Intervall ist charakteristisch
aufgrund der Tatsache, dass dieser Abschnitt das Verhalten der Dehnung eines Werkstoffs
linear beschreibt im Gegensatz zu den anderen beiden Intervallen ist dieser Bereich für die
Auslegung von Bauteilen wichtig.
Aus dem Graphen kann man schlecht den Anfang und das Ende des Bereichs b erkennen,
was mit einer logarithmischen Auftragung gelöst wird:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
47
In dem vorliegenden Fall ist konstant. Ist F im Gegensatz zu konstant, so verläuft die
Kurve wie folgt:
Man sieht, dass im sekundären Bereich die Kriechgeschwindigkeit steigt wenn die Kraft F
konstant gehalten wird. Dies hängt damit zusammen, dass bei konstanter Kraft die
Querschnittsfläche der Werkstoffprobe abnimmt, was zur Steigerung der
Kriechgeschwindigkeit führt.
Kriechversuche sehen in der Praxis wie folgt aus:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
48
In diesem Beispiel wurde der austenitische Stahl X 40CoCrNi20-20 unter einer konstanten
Temperatur von 750°C und unter verschiedenen Beanspruchungen bis zum Bruch belastet.
Die technisch bessere Darstellungsart (und die in der Praxis häufiger als die obige
Darstellung benutzt wird) ist folgende:
Aus dem vorliegenden Graphen kann man keinen stationären Bereich erkennen, jedoch
erkennt man eine minimale Kriechgeschwindigkeit. Der stationäre Bereich ist hier nicht
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
49
vertreten, da technische Legierungen durch Gefügeveränderungen diesen Bereich nicht
besitzen.
Bei der Bauteilauslegung sollte der Konstrukteur einen minimalen Verformungsgrad
anstreben, was zu einem stabilen bzw. kriechfesteren Bauteil führt. Ein Kennwert, der hier
angesprochen worden ist, ist die Kriechgeschwindigkeit.
3.1.3 Versetzungskriechen
Um den Hintergrund des Versetzungskriechens verstehen zu können, muss der Vorgang des
Kletterns von Stufenversetzungen erläutert werden, wobei hier ein Unterschied zwischen
tiefen und hohen Temperaturen besteht.
Die Voraussetzung für diesen Vorgang ist ein Atomplatzwechsel über einen
Leerstellenmechanismus. Um einen Leerstellenmechanismus hervorzurufen, wird eine
Diffusion auf regulären Gitterplätzen benötigt, die oberhalb von 0,4 Ts effektiv einsetzt. Bei
niedrigen Temperaturen tritt diese Diffusion nicht effektiv auf. Folgende Abbildung zeigt
das Klettern von Stufenversetzungen:
Dies geschieht beim Klettern von Stufenversetzung:
- Stufenversetzungen verlassen ihre Gleitebene
- nichtkonservative Versetzungsbewegung (im Gegensatz zum Gleiten)
- leichtere Reduktion der Versetzungsdichte (Erholung)
Geschwindigkeitskontrolle durch die Diffusion
Durch die Klettervorgänge bilden sich Umlagerungen der Versetzungen in Form von
Subkorngrenzen (als stationäre Versetzungsanordnung). Diese Subkorngrenzen im Alloy
800 H (austenitische Fe-Ni-Legierung) sehen nach einer Kriechbeanspruchung im stat.
Bereich wie folgt aus:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
50
Eine Beziehung zwischen der Kriechgeschwindigkeit und der Temperatur im stationären
Bereich zeigt folgende Gleichung:
휀 𝑠𝑡𝑎𝑡𝑖𝑜𝑛 ä𝑟 = 𝐵𝑒−𝑄𝑐𝑅𝑇
Qc ist hierbei die Aktivierungsenergie des Kletterns. Logarithmisch sieht die Gleichung wie
folgt aus:
𝑙𝑛 휀 𝑠𝑡𝑎𝑡𝑖𝑜𝑛 ä𝑟 = 𝑙𝑛𝐵 + −𝑄𝑐
𝑅𝑇
Der Klettervorgang kontrolliert die Kriechgeschwindigkeit, wobei der Klettervorgang
diffusionskontrolliert ist:
𝐷 = 𝐷0 ∗ 𝑒−𝑄𝐷𝑅𝑇
QD ist die Aktivierungsenergie der Selbstdiffusion und D0 ist der Diffusionskoeffizient, der
für unendlich hohe Temperaturen gilt. In manchen Fällen ist QC = QD .
Die Kriechdehnung (logarithmisch) selbst ist wie folgt definiert:
𝑙𝑛 휀𝑠𝑡𝑎𝑡 = 𝑙𝑛 𝜖 0 + 𝑛 ∗ 𝑙𝑛 𝜍 −𝑄𝐶
𝑅𝑇
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
51
Wird die Kriechgeschwindigkeit in Abhängigkeit der Temperatur für den Alloy 800H auf-
getragen, so ergibt sich folgender Graph (logarithmische Auftragung → 10er log):
Eine Abhängigkeit der Kriechgeschwindigkeit von der Spannung liefert das Nortonsche
Kriechgesetz:
휀 𝑠𝑡𝑎𝑡𝑖𝑜𝑛 ä𝑟 = 𝐴𝜍𝑛 ⇒ 𝑙𝑛 휀 𝑠𝑡𝑎𝑡𝑖𝑜𝑛 ä𝑟 = ln𝐴 + 𝑛 ln𝜍
A ist ein Vorfaktor und n ist der Spannungsfaktor, der beim Versetzungskriechen einen Wert
zwischen 3 und 5 hat. Dabei ist n temperaturunabhängig.
Graphisch sieht die obige Beziehung für einen Alloy 800H unter 900°C und 1000°C so aus:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
52
Um diese Darstellung zu erstellen, müssen mehrere Kriechversuche unter verschiedenen
Spannungen durchgeführt werden. Der Spannungsexponent n hängt von der Spannung ab,
was bedeutet, dass dieser nur als grobe Näherung bei mittleren Spannungen gilt und er gilt
nicht mehr bei hohen Spannungen (plb → power law breakdown):
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
53
3.1.4 Diffusionskriechen
Die Gesamtkriechverformung setzt sich aus der Summe des Versetzungskriechens und des
Diffusionskriechens zusammen. Das Diffusionskriechen lässt sich wie folgt definieren:
Definition: Bei niedrigen Spannungen besteht eine geringe Versetzungsdichte, wobei in
diesem Bereich ein Verformungsmechanismus entsteht, der auf Leerstellenwanderung
beruht und dessen Vorgang als Diffusionskriechen bezeichnet wird.
Die Konzentration der Leerstellen ohne Spannungseinfluss lässt sich formal wie folgt
beschreiben:
𝑐𝐿𝑒𝑒𝑟𝑠𝑡𝑒𝑙𝑙𝑒𝑛 = 𝐶𝑒−𝑄𝐿𝑠𝑡𝑅𝑇
QLst ist die Aktivierungsenergie für die Bildung einer Leerstelle und C ist ein definierter
Vorfaktor.
Die Leerstellenkonzentration mit Spannungseinfluss (σ) lässt sich wie folgt berechnen:
𝑐𝐿𝑒𝑒𝑟𝑠𝑡𝑒𝑙𝑙𝑒𝑛 = 𝐶𝑒− 𝑄𝐿𝑠𝑡−Ω𝜍
𝑅𝑇 = 𝑐𝐿𝑒𝑒𝑟𝑠𝑡𝑒𝑙𝑙𝑒𝑛
𝜍=0 𝑒Ω𝜍𝑘𝑇
Ω ist hierbei das Atomvolumen. Wird beim zweiten Term die Druckspannung/Zugspannung
größer, so sinkt/steigt die Leerstellenkonzentration.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
54
Aus diesen Gleichungen kann man entnehmen, dass ein Materietransport basierend auf
einem Leerstellengradienten vollzogen wird.
Ein Faktor, der das Diffusionskriechen beeinflusst, ist die Korngröße:
Im einkristallinen Fall diffundieren die Atome gegen den Leerstellengradienten durch das
Volumen. Die Diffusion im vielkristallinen Gefüge findet durch das Volumen und entlang
der Korngrenzen statt. Um die Kriechgeschwindigkeit in Abhängigkeit der Diffusion zu
ermitteln, dient folgende Beziehung:
휀 𝐷𝑖𝑓𝑓𝑢𝑠𝑖𝑜𝑛 =𝜍Ω
𝑘𝑇 𝐷𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛
𝑑𝑘2 +
𝜋𝛿𝐷𝐾𝑜𝑟𝑛𝑔𝑟𝑒𝑛𝑧𝑒𝑛
𝑑𝑘3
dk ist der Korndurchmesser, die Korngrenzdicke, DVolumen ist die Volumendiffusion
(Nabarro-Herring-Kriechen) und DKorngrenzen ist die Korngrenzdiffusion (Coble-
Kriechen). dk gibt uns gleichzeitig eine Aussage über die Größe des Korns. Ist dk groß, so
wird der Nenner größer und der gesamte Term wird kleiner. Bei kleiner Korngröße
geschieht das Umgekehrte. Resultierend kann man sagen, dass mit zunehmender Korngröße
die Kriechgeschwindigkeit und die Diffusion sinken und bei abnehmender Korngröße
geschieht genau das Gegenteil.Da mit zunehmender Korngröße die Kriechgeschwindigkeit
sinkt, werden Turbinenschaufeln soweit es geht einkristallin hergestellt.
Beim Diffusionskriechen bzw. viskosem Kriechen ist die Kriechgeschwindigkeit
proportional zur Spannung:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
55
Der Bereich des Diffusionskriechens befindet sich im Bereich niedriger Spannungen und
hoher Temperaturen. Das Versetzungskriechen tritt ab einer relativ hohen Spannung auf.
Das Diffusionskriechen ist mit Korngrenzgleiten geknüpft (Akkommodationsprozess).
3.1.5 Korngrenzgleiten
Das Korngrenzgleiten tritt mit Diffusion bzw. Diffusionskriechen verknüpft auf und kann
aus Kompatibilitätsgründen nicht vermieden werden. Folgende Abbildung verdeutlicht dies:
Die dicken Pfeile in der Abbildung deuten auf den Materiestrom nach dem Nabarro-
Herring-Mechanismus, nach dem die Diffusion in dominanter Weise im Gitter stattfindet.
Daraus resultierend findet zwangsweise Korngrenzengleiten statt.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
56
Basierend auf diese Erkenntnisse bauen die ''Deformation Mechanism Maps''
(Verformungsmechanismenkarten) auf nach Frost und Ashby:
Anhand der oberen Abbildung sieht man den prinzipiellen Aufbau der
Verformungsmechanismenkarte. Die darunter liegende Abbildung ist die Karte speziell für
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
57
Nickel mit einer Korngröße von 60 µm. Die theoretische Festigkeit ist proportional zu G /
2wobei zu beachten ist, dass ab der theoretischen Festigkeit der Werkstoff zum Bruch
kommt. G kann mithilfe des Elastizitätsmoduls ermittelt werden mit G = (3 / 8) E.
3.2 Steigerung der Kriechfestigkeit
Die Kriechfestigkeit kann durch Mischkristallhärtung und durch Teilchenhärtung erreicht
werden. Die Kriechfestigkeit ist zeitabhängig und wird durch folgende Größen definiert:
Zeitdehngrenze:
Zeitstandfestigkeit:
Die Zeitdehngrenze bezieht sich auf 1 % Dehnung, die nach 100000 Stunden bei 800°C
erhalten bleibt. Bei der Zeitstandfestigkeit kommt der Werkstoff bei 800°C nach 100000
Stunden zum Bruch. Die Spannungen werden in MPa angegeben. Im Alltag eines Ingenieurs
ist die Zeitdehngrenze relevant, da man das Bauteil bis zur Dehngrenze auslegt und nicht bis
zum Bruch. Um nutzvolle Darstellungen zu erlangen, wählt man die Kriechkurve als
Ausgangspunkt um die gesuchten isochronen Linien zu erlangen. Nachdem die Kriechkurve
ermittelt ist werden in zwei separaten Diagrammen die logarithmierten Zeitdehngrenzen
und Zeitstandfestigkeiten in Abhängigkeit der logarithmierten Zeiten aufgetragen, wobei
mehrere Graphen zu sehen sind, da diese verschiedene Temperaturen vertreten. Diese
logarithmischen Auftragungen werden als Zeitstanddiagramm und
Zeitdehnliniendiagramm bezeichnet. Zuletzt werden jeweils die Zeitdehngrenzen und
Zeitstandfestigkeiten in Abhängigkeit der Temperatur aufgetragen, wobei hier jeweils
verschiedene Graphen zu sehen sind, die jeweils für verschiedene Zeiten stehen. Diese
beiden Auftragungen werden als isochrone Zeitstandlinien und isochrone Zeitdehnlinien
bezeichnet. Die jeweiligen Zeiten sind alle konstant.
Das Ganze in graphischen Schritten ergibt folgende Zusammenhänge:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
58
3.2.1 Mischkristallhärtung
Man unterscheidet zunächst zwischen parelastischer und dielastischer Wechselwirkung.
Bei der parelastischen Wechselwirkung wird die Atomgrößendifferenz zwischen den
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
59
Legierungselementen berücksichtigt, wobei hierbei ein Versetzungsfeld in Wechselwirkung
mit dem Spannungsfeld einer Stufenversetzung auftritt. Durch diese Wechselwirkung
werden verschiedene Kräfte sichtbar, die von den Versetzungen nur durch zusätzlichen
Kraftaufwand überwindbar sind. Das Maß für die Wirksamkeit der Wechselwirkung lässt
sich wie folgt berechnen:
𝛿 =1
𝑐𝐹𝐴
𝑎𝐿 − 𝑎0
𝑎𝐿
CFA ist die Konzentration an Fremdatomen, 𝒂𝑳 ist die Gitterkonstante der Legierung und 𝒂𝟎
ist die Gitterkonstante ohne Fremdatome.
Die dielastische Wechselwirkung beruht auf der Schubmoduländerung (G), die aus
ungleichnamigen Atombindungen auftreten:
𝜂 =1
𝑐𝐹𝐴
𝐺𝐿 − 𝐺0
𝐺𝐿
𝑮𝑳 ist der Schubmodul der Legierung, 𝑮𝟎 ist der Schubmodul ohne den Fremdatomen und
𝜼ist hier auch ein Maß für die Wirksamkeit des Legierungselements.
Bei der Mischkristallhärtung ist noch die Löslichkeit zu beachten. Die Löslichkeit bezieht
sich auf die Größe bzw. den Radius des Basisatoms und des Legierungsatoms. Um eine
passende Löslichkeit für die Legierung zu erzielen, sollten die Größen beider Atome
näherungsweise gleich sein.
Durch die Mischkristallhärtung werden verschiedene Mechanismen erreicht, die im
Folgenden zunächst graphisch dargestellt sind:
Um die jeweiligen Mechanismen verstehen zu können, dient folgende Erklärung zu den
jeweiligen Fällen:
a) Es existieren parelastische und dielastische Wechselwirkungen zwischen den Ver-
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
60
setzungen und unbeweglichen Fremdatomen und sie treten als Einzelhindernisse auf.
Dieser Mechanismus tritt bei tiefen Temperaturen auf.
b) Ruhende Versetzungen werden durch Fremdatomwolken (Cotrell-Wolke) verankert.
c) Gleitende Versetzungen reißen sich von Fremdatomwolken los, es entstehen hohe
Spannungen.
d) Gleitende Versetzungen schleppen Fremdatomwolken mit, was zu viskosem Gleiten
führt
e) Fremdatomwolken können schneller wandern als Versetzungen: es besteht keine
Rückhaltekraft mehr für die Versetzungen, was zu sehr hohen Temperaturen führt
f) Durch Klettern kommt es zur Versetzungsauslöschung, wobei der effektive
Diffusionskoeffizient von der lokalen Fremdatomkonzentration abhängt.
3.2.2 Teilchenhärtung
Bei trivialen Temperaturen werden kohärente Ausscheidungen geschnitten (kleine Teilchen)
oder umgangen (große Teilchen), was zur Erhöhung der Streckgrenze führt.
Bei hohen Temperaturen können die Ausscheidungen überklettert werden was vorteilhaft ist,
da dadurch die Dehngeschwindigkeiten verlangsamt werden:
Ein Beispiel hierfür ist die Verankerung von Versetzungen durch Karbide bei Kriech-
belastung (Alloy 802, 1000°C, 25 Mpa):
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
61
Bei der Teilchenhärtung besteht das Problem, das die Teilchen ihre Stabilität verlieren und
dadurch vergröbern. Dieses Phänomen wird als Ostwald-Reifung bezeichnet. Den Einfluss
verschiedener Schädigungsvorgänge auf den Verlauf der Kriechkurve zeigt folgende Grafik:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
62
Um die Teilchenhärtung zu verbessern, dienen die ODS (Oxide Dispersion Strengthened)
-Legierungen. Dieses Verfahren beruht auf dem Einbringen von keramischen Partikeln in
Form von Dispersoiden. Die Teilchen weisen nur eine sehr geringe Löslichkeit in der
Legierungsmatrix auf, sodass das diffusionskontrollierte Wachstum sehr langsam erfolgt.
Bei diesem Verfahren ist nicht das Überklettern der Versetzungen
geschwindigkeitsbestimmend, sondern das „interfacial pinning“. Beim interfacial pinning
wird die Versetzung aus der Phasengrenzfläche abgelöst. Dadurch entsteht eine
„Schwellenspannung“ für das Kriechen, unter der kein Kriechen stattfindet.
Durch diesen Typ von Teilchenhärtung erzielt man mehrere Vorteile:
die innere Spannung i erhöht sich um eine Teilchen-Reibungsspannung T, was zu
einer Reduzierung der effektiven Spannung und somit zur Reduzierung der
Kriechgeschwindigkeit führt
die Kriechgeschwindigkeit ist spannungsabhängig
das Kriechen tritt bei ODS-Legierungen im Vergleich zu herkömmlichen
teilchengehärteten Legierungen bei höheren Spannungen auf
Zu den letzten Punkt passt folgende Grafik:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
63
Die Grafik zeigt die Kriechgeschwindigkeit in Abhängigkeit der Ausschlagsspannung für
teilchengehärtete, ODS-teilchengehärtete und teilchenfreie Legierungen.
3.3 Kriechschädigung
Typische Kriechschädigungen sind interkristalline Schädigungen:
Keilrisse treten am häufigsten auf.
In der Realität sehen die Schäden wie folgt aus:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
64
3.3.1 Parameter und Extrapolation von Kriechdaten
Um genaue Daten über Kriechversuche ermitteln zu können, müssen Versuche mit hohen
Spannungen und Temperaturen durchgeführt werden, wobei diese auch sehr lange dauern
können (10-30 Jahre). Aufgrund der Tatsache, dass Daten über das Verhalten von
Werkstoffen unter Kriechbelastung relativ schnell ermittelt werden sollten, werden zu
Ermittlung von bestimmten Daten andere Verfahren als herkömmliche Kriechversuche
verwendet. Es werden verschiedene Verfahren zur Extrapolation von Kriechdaten
eingesetzt.
Folgende Beziehungen werden verwendet:
Monkman-Grant-Beziehung
tm ist die Bruchzeit und diese wird einfach mithilfe der Kriechgeschwindigkeit abgeschätzt.
Larson Miller Parameter
Sind die Spannungen konstant, so sind T und tm vertauschbar. Basierend darauf kann man
bei schnellen Versuchen und hohen Temperaturen die Bruchzeit für niedrige Temperaturen
festlegen. Für alle Temperaturen existieren idealerweise Zeitstandlinien, wenn man die
Spannung über P aufträgt.
Robinson Regel
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
65
In diesem Fall wird die Lebensdauer bei veränderlicher Spannung und Temperatur unter
Kriechbedingungen abgeschätzt. Dies erreicht man durch die die Summe der
Teilschädigungen, die im Endeffekt zur Gesamtschädigung führt. Die Teilschädigungen
ergeben sich aus dem Verhältnis der Zeitdauer für bestimmte Bedingungen zur Bruchzeit.
Ein Bruch liegt vor, wenn Dgesamt = 1 ist.
3.3.2 Zyklische mechanische und thermische Belastung bei erhöhten Temperaturen
Zur Charakterisierung des Ermüdungsverhaltens werden Versuche an glatten Proben
(→ Wöhlerdiagramm: /2 = f(NB)) und an gekerbten, rissbehafteten Proben (→ Rissaus-
breitungskurven: da/dN = f (K)) durchgeführt. Die reine Ermüdungsschädigung entsteht
durch Bildung und Wachstum von Rissen, die auf der Oberfläche entstehen. Die
Versuchsfrequenz spielt keine große Rolle bei der Schädigungsentwicklung.
Belastet man diese Proben nun unter hohen Temperaturen, so werden Ermüdungs-
schädigungen von Kriechschädigungen überlagert (es bilden sich Poren an Korngrenzen und
im Inneren, wobei diese auch wachsen). Durch hohe Temperaturen erfolgt eine signifikante
Schädigung durch die Umgebung und es können Gefügeveränderungen auftreten. Aus
diesen Fakten wird deutlich, dass die Hochtemperaturermüdung zeitabhängig ist.
Es existieren einfache Gesetzmäßigkeiten für die Ermittlung der Ermüdungslebensdauer
bei tiefen Temperaturen:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
66
pl ist die plastische Dehnung, da ist die Rissverlängerung und dN ist die Anzahl der
Belastungen.
Die einfachste Lebensdauerabschätzung für zyklisches Belastungskollektiv ist die lineare
Schadensakkumulation nach Miner und Palmgren. Die Idee dieser Abschätzung ist, dass
jeder Zyklus eine Schädigung hervorruft, die für die jeweilige Spannungsamplitude (/2)
1/NB,i beträgt. Formal sieht die Abschätzung wie folgt aus:
Ni ist die Anzahl der zyklischen Spannungsamplituden.
Das Bruchkriterium lautet wie folgt:
Grundsätzlich gibt es keine Dauerfestigkeit, da diese Vorgänge zeitabhängig sind und sich
überlagern.
Eine weitere Lebensdauerabschätzung ist das Frequenzmodifizierte Coffin-Mansion-
Gesetz, welches bei Hochtemperaturermüdung angewandt wird:
ist die Belastungsfrequenz und die Konstante K ist von dieser Frequenz abhängig. Der
dazugehörige logarithmierte Graph sieht wie folgt aus:
k
1ii,B
i
k,B
k
2,B
2
1,B
1
itN
N
N
N
N
N
N
NDD
1.konstDbzw.1Dtt
c1k
B
plNkonst.
2
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
67
Bei der üblichen Versuchsdurchführung werden Spannungen bzw. Dehnungen dem
Werkstoff zugeführt. Diese Signale sind eine Kombination aus absteigender und
aufsteigender Spannung.
Die Signale sehen wie folgt aus:
HT ist die Abkürzung für Holdtime (Haltezeit). Wird die Steigung des Graphen negativ, so
handelt es sich um eine Druckspannung, umgekehrt handelt es sich um eine Zugspannung.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
68
Bei hohen Temperaturen entstehen Ermüdungsrisse, die sich ausbreiten. In diesen Fällen
wird, wenn möglich, dass linear elastische K-Konzept der Bruchmechanik angewandt.
Graphisch sieht das ganze wie folgt aus:
Auf einer transkristallinen folgt eine interkristalline Ermüdungsausbreitung bei
zunehmender Temperatur und abnehmender Belastungsfrequenz. Man sieht, dass der Graph
nicht linear verläuft, weswegen Ausgleichsfunktionen verwendet werden, um der Realität
nahe zu kommen.
Möchte man eine Lebensdauerabschätzung in Kombination von Kriech- und
Ermüdungsbeanspruchung ermitteln, so kombiniert man die Robinson-Regel (für das
Kriechen) mit der Miner-Regel (für die Ermüdung).
Dies gilt für den einfachsten Fall, dass beide Vorgänge separat betrachtet werden können
(beispielsweise das An- und Abfahren ergibt einen Zyklus, währenddessen der stationäre
Betrieb zum Kriechen führt). Formal sieht die Betrachtung wie folgt aus:
Hierbei ist noch zu beachten, dass sich Ermüdungs- und Kriechschädigung nach
unterschiedlichen Mechanismen entwickeln und dass bei kombinierter Belastung
synergetische Effekte auftreten, was bedeutet, dass die obige Formel nur eine grobe
Näherung ist, da diese nur auf einer Addition basiert.
Eine andere Methode bezüglich der kombinierten Belastung ist die SRP-Methode, wobei
SRP für Strain-Range Partitioning steht. Dieses Prozedere wird in den USA verwendet
und ist in Deutschland als Dehnungsanteilregel bekannt. Das Vorgehen ist wie folgt:
l
1jj,B
jk
1ii,m
i
t
ErmüdungtKriechentt
N
N
t
tD
DDD
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
69
Bestimmung der Coffin-Manson-Linien für die vier extremen Zyklenformen:
Coffin-Manson-Linien (rechts) und Zerlegung des tatsächlichen Zyklus in die
entsprechenden Dehnungsanteile:
Berechnung der Schädigung pro Zyklus:
3.4 Thermische Ermüdung:
Bei der thermischen Ermüdung konvergieren Temperaturgradienten zu verschiedenen
cc,Bcp,Bpc,Bpp,Bi,B
iN
1
N
1
N
1
N
1
N
1D
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
70
thermischen Dehnungen, was zur Entstehung einer thermisch induzierten Spannung führt.
Daraus resultieren zyklische Verformung und Werkstoffschädigung:
Bei der thermischen Ermüdung werden 2 Ermüdungsarten unterschieden:
Thermomechanische Ermüdung (thermal-mechanical fatigue): äußere Kräfte aufgrund
einer Verformungsbehinderung
Wärmespannungsermüdung (thermal-stress fatigue): keine äußeren Kräfte,
Temperaturgradienten führen zu Dehnungsgradienten
Um eine thermische Ermüdung (Wärmespannungsermüdung → TSF) zu untersuchen,
verändert man zyklisch die Temperatur eines bauteilähnlichen Prüfkörpers. In diesem Fall
ähnelt die Probe einer Turbinenschaufel:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
71
Der Nachteil dieser Versuchsdurchführung besteht darin, dass hier nur die Anzahl der
Temperaturwechsel gemessen wird, bis ein kritischer Riss entsteht.
Bei der Untersuchung einer Thermomechanischen Ermüdung (TMF) trägt man die
Temperatur und Dehnungsverläufe auf:
Die Phasenverschiebung zwischen Temperatur- und Dehnungsverlauf ist in diesem Falle
von äußerster Relevanz:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
72
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
73
4. Werkstoffgruppen
4.1 Ferritische und austenitische Stähle
Ferritische und austenitische Stähle werden auch bei Hochtemperaturanwendungen
eingesetzt:
Näher betrachtet sehen die relevanten Bereiche im Eisen-Kohlenstoffdiagramm wie folgt
aus:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
74
Man erkennt, dass die -Phase von Relevanz ist. Um diese Phase zu stabilisieren, legiert
man mit dem Stahl Ni, Co, Mn (NiCoM(a)n), Al, Ti, Ta, Si oder Mo (AlTiTaSiMo).
In der folgenden Tabelle sind hitzebeständige Stähle aufgelistet:
Das X vor den Kurznamen steht für einen hochlegierten Stahl. Austenit leitet die Wärme
nicht so stark wie Ferrit. Der Austenit dehnt sich jedoch bei hohen Temperaturen mehr aus
als Ferrit. Für die Oxidationsbeständigkeit sind Chrom und Aluminium sehr wichtig, wobei
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
75
bei einem zu hohen Aluminium-Gehalt der Stahl versprödet. Aus welchen Stählen die
Komponenten einer Dampfturbine bestehen und wie die Turbine im Realen aussieht, zeigt
folgendes Bild:
HD steht für Hochdruck-, MD für Mitteldruck- und ND für Niedrigdruckturbine.
Stähle, die für die Bearbeitung von anderen Werkstoffen dienen (z.B. Gießformen), werden
als Warmarbeitsstähle bezeichnet:
In der Mikrostruktur sehen die Stähle wie folgt aus:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
76
Das linke Bild stellt ein Schliffbild dar, während das rechte Bild eine TEM-Aufnahme zeigt.
Die mit Pfeilen gekennzeichneten Stellen sind Ausscheidungen bzw. Karbide, die die
Subkörner „festhalten“. Der Heizleiter kann z.B. in Laboröfen verwendet werden und der
X20 CrMoV 12 1 wird beispielsweise als Kraftwerksstahl verwendet.
Um die Zeitstandfestigkeit für bestimmte Stähle und die Zeitdehngrenze (für bestimmte
Versuche) in Abhängigkeit der Temperatur ablesen zu können, dienen folgende Graphen:
Um die Festigkeit dieser Stähle zu steigern, wird Mischkristallhärtung eingesetzt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
77
Mit zunehmendem Gitterparameter erhöht sich die Festigkeit.
4.2 Nickelbasis-Superlegierungen: ´-Phase
Bei der '-Phase unterscheidet man zwischen einer bidispersen und monodispersen Phase,
wobei die bidisperse Phase von der Festigkeitssteigerung her stärker ist als die mono-
disperse Phase:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
78
Liegen wie in der Abbildung bidisperse- und monodisperse-Teilchenpopulationen vor, so
wird das gesamte Gefüge als bimodal bezeichnet. Generell verlangsamen die „Kugel-
teilchen“ der '-Phase die Bewegung von Versetzungen. Diese Phasen bestehen aus Ni3 (Al,
Ti, Ta). Um eine -Phase von einer '-Phase zu unterschieden, werden RDS-Analysen
durchgeführt.
4.3 Teilchenvergröberung und „Rafting“
Wird ein Werkstoff bei hohen Temperaturen eingesetzt, so besteht keine Stabilität des
Phasengefüges über eine beliebig lange Zeit, denn der Volumenanteil vergrößert sich bis
sich ein Gleichgewichtswert eingependelt hat. Dieser Vorgang wird als Ostwald-Reifung
bezeichnet.
Phasen, deren Teilchen sich auch vergrößern, sind die '- Phasen. Die Teilchen vergrößern
sich und bilden sich zu einem Floß (Rafting). Dadurch sinkt die Festigkeit des Werkstoffs.
Das Teilchenwachstum (Durchmesser der Teilchen) wird in Abhängigkeit der Zeit
dargestellt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
79
Das Teilchenwachstum bzw. die Ostwald-Reifung wird wie folgt beschrieben:
d ist die Durchmesserdifferenz zwischen Ausgangszustand und dem momentanen
Durchmesser eines Teilchens. Der Durchmesser eines Teilchens spiegelt die Größe eines
Teilchens wider.
4.4 Herstellung von einkristallinen Bauteilen
Typische Teile, die einkristallin hergestellt werden, sind Turbinenschaufeln. Diese werden
nach dem Prinzip der gerichteten Erstarrung hergestellt. Hierbei wird ein Kristall in der
<100>-Kristallorientierung gezüchtet, da die Dendriten auch aufgrund ihrer Anisotropie in
dieser Richtung wachsen. Um diese Erstarrung zu erreichen, muss die <100>-
Erstarrungsrichtung von einem Startkristall vorgegeben werden und es müssen andere
Formen von Keimbildung bzw. Keimwachstum in der Schmelze vermieden werden. Andere
„Kristallerscheinungen“ werden mithilfe von Wärmeentzug ausgeschlossen. In der nächsten
Grafik sieht man verschiedene Korngefüge und Orientierungszusammenhänge:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
80
Die Herstellung einkristalliner Bauteile findet nach dem Bridgman-Prinzip statt. Zunächst
wird die gesamte Anlage (Einkristallgießanlage) auf ein Hochvakuum von 10-8
bar gepumpt.
Der wassergekühlte Kupferring, Baffle, dient als Temperaturisolator zwischen dem
Ofenraum und dem unteren Systembereich der Anlage. Durch die Heizelemente an den
Anlagenwänden wird das Material noch weiter beheizt. Die Formschale steht auf einer
wassergekühlten Kupferplatte, die mit einer konstanten Geschwindigkeit abgesenkt wird,
damit der eingegossene Stahl die Form der Formschale annimmt.
Folgende Bilder zeigen den generellen Aufbau einer solchen Anlage und ein Foto einer
einkristallinen Schaufel.
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
81
Weitere Verfahren sind Wachstumsauslese und Impftechnik:
Die Absenkgeschwindigkeit pendelt um einen Wert von ca. 100 mm / min. Die Absenkge-
schwindigkeit bzw. Erstarrungsgeschwindigkeit ist wichtig beim Herstellungsprozess und
wird in Abhängigkeit des Temperaturgradienten dargestellt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
82
Betrachtet man den Querschnitt des einkristallinen Objekts so wird festgestellt, dass
Dendriten (strauchartige Kristallstrukturen) vorhanden sind, was auf eine unterschiedliche
Konzentration der ' – Phase hinweist:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
83
4.5 Ni-Basis-Superlegierungen
Um die Eigenschaften von Ni-Basis-Superlegierungen zu verbessern, wird eine Wärme-
behandlung vorgenommen:
Folgende Eigenschaften werden durch die Wärmebehandlung verbessert:
- Optimale Größe / Verteilung der '-Phase
- Karbidausscheidungen an KG
- Seigerungsausgleich
- Eigenspannungsreduktion
- Korngröße (Rekristallisation)
- Porenbeseitigung (heißisostatisches Pressen – HIP)
- Voroxidation
Für die optimale Größe und Verteilung der '-Phase wird die Superlegierung bei ca. 800°C
ausgelagert. Eine geschichtliche Betrachtung der Ni-Basis-Superlegierungen zeigt das
folgende Diagramm, welches die Temperatur in Abhängigkeit des Herstellungsjahres
darstellt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
84
Dies sind die Temperaturen, bei denen der Werkstoff unter einer Spannung von =150MPa
und einer Zeit von 1000h belastet wird. Bei den Werkstoffbezeichnungen steht das DS für
Directional Solified (Richtungserstarrt). Der '-Gehalt in einer Ni-Basis-Superlegierung ist
auch von äußerster Wichtigkeit. Die Graphen zeigen den prozentualen Anteil an der '-
Phase, wobei die 0,2 %-Dehngrenze in Abhängigkeit der Temperatur im Koordinatensystem
aufgetragen sind:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
85
4.6 Co-Basis-Legierungen
Zunächst folgt eine Liste von Co-Basis-Legierungen:
Im Gegensatz zu Ni-Basis Superlegierungen, welche in Vakuum hergestellt werden, sind
Co-Basis-Legierungen in Luftumgebung herstellbar bzw. vergießbar und gut schweißbar.
Der schwerwiegende Nachteil der Co-Basis-Legierungen gegenüber den Ni-Basis-
Superlegierungen ist die Tatsache, dass eine größere Menge an Legierungselementen
(beispielsweise Chrom) dem Cobalt zugefügt werden muss, was diese Art von Legierung im
Vergleich zu Nickel-Basis-Superlegierungen schwerer macht.
4.7 ODS-Superlegierungen
Um ODS-Superlegierungen zu produzieren, werden die Legierungselemente mechanisch
miteinander legiert.
Folgende Schritte werden dabei durchlaufen:
1. Alle Legierungselemente werden in Form von kleinen Kugeln in einer Kugelmühle
zu Pulver zusammengemahlen
2. Das mechanische legierte Pulver wird in einer Stahlkapsel eingekapselt
3. Das Pulver wird mithilfe des Strangpressens gepresst und warmgewalzt
4. Es findet eine Entkapselung beim Zonenglühen statt
5. Danach wird die Superlegierung zum Bauteil geformt und bearbeitet
Die ganzen Schritte sind im folgenden Bild graphisch dargestellt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
86
ODS-Superlegierungen werden selten bzw. nur in Einzelfällen benutzt (z.B. beim Space
Shuttle), da ihr Kostenaufwand sehr hoch ist. Die feinverteilten und stabilen Dispersoide
bzw. Oxidpartikel befinden sich mit einem Durchmesser von ca. 30 nm in FeCrAl-
Legierungen (beispielsweise in MA 956 und PM 2000) und Ni-Basis-Legierungen (IN
MA754 und PM1000). Die folgende Abbildung zeigt die Dispersoide in einer IN MA754-
Legierung:
YAlO3 Ti(C,N)
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
87
4.8 Titanlegierungen
Die Vorteile von Titan sind eine niedrige Dichte, ein hoher Schmelzpunkt und das relativ
häufige Vorkommen. Ti-Legierungen sind jedoch nicht sehr kriechfest, sie verspröden bei
Gasaufnahme und ihre Oxidationsbeständigkeit nimmt bei höheren Temperaturen ab. Diese
Legierungen lassen sich nur bei einer Temperatur von bis zu 600°C verwenden, was die
untere Grenze der Hochtemperaturanwendungen ist. Ein weiterer Nachteil dieser
Legierungen ist die Entzündungsneigung von Titan, wenn beispielsweise ein Fremdkörper
auf eine Titanlegierung einschlägt. Typische Anwendungen dieser Titanlegierungen sind
Verdichter / Fan bei Flugzeugtriebwerken und im Motorsport. Im Folgenden werden ein
Phasendiagramm, ein Querschnitt und ein Anwendungsfall einer Ti-Legierung dargestellt:
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
88
4.9 Keramische Komponenten als Hochtemperaturwerkstoffe
Keramische Hochtemperaturwerkstoffe treten in Form von SiC und Si3N4 auf. Die Vorteile
dieser Werkstoffe bestehen darin, dass sie bei hohen Temperaturen eine geringe Wärme- und
Temperaturleitfähigkeit, eine gute thermische Ermüdungsfestigkeit und geringe
Verformungen aufweisen. Außerdem besitzt diese Werkstoffklasse eine geringe Dichte im
Vergleich zu den Standard Hochtemperaturlegierungen. Nachteilhaft bei dieser
Werkstoffgruppe ist die geringe Zähigkeit bzw. Sprödigkeit, was deren Einsatz in
technischen Systemen begrenzt. Ein weiterer Nachteil ist die aufwendige Produktion und
Bearbeitung dieses Werkstoffs, da die Bewegung der Versetzungen im Werkstoffinneren
stark eingeschränkt ist.
Die Auslegung keramischer Werkstoffe stellt sich auch als ein Problem dar, da kein
gängiges Konzept für die Auslegung vorhanden ist. Dies hängt damit zusammen, dass sich
in Keramiken Poren befinden, deren Menge mit zunehmendem Volumen der
Keramikkomponente steigt. Diese Poren sind dementsprechend nicht gleichmäßig in den
Keramiken verteilt und können nur statistisch ermittelt werden (nach der Weibull
Verteilung), was dennoch keine sichere Aussage über die Lebensdauer des Bauteils liefert.
Die zulässige Schädigungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit der Spannung bei gegebenem
Volumen wird anhand des folgenden Graphen deutlich:
Trotz der beschränkten Lebensdauervorhersage werden Keramiken in verschiedenen
Bauteilen eingesetzt:
- Turbinenschaufeln – Turbolader z.B. Si3N4
- Thermoelementschutzrohre z.B. Al2O3
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
89
- Lambda-Sonde ZrO2
- Heizelemente z.B. SiC, MoSi2
Die Anwendungsbereiche werden durch die folgenden Bilder verdeutlicht:
Die Keramik-Turbinenschaufeln werden in Turboladern von Dieselmotoren (Schiffe, LKW,
etc.) eingebaut.
4.10 Faserverstärkung
Keramiken werden durch Partikel- bzw. Faserverstärkung mechanisch verbessert, was die
Duktilität der Keramiken steigert und weitere Rissbildung erschwert. Die Faserverstärkung
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
90
wird mithilfe von Kohlenstofffasern realisiert. Ein Spannungs-Dehnungsdiagramm der
faserverstärkten Keramiken und ein Bild des Faserverstärkungsmechanismus deuten die
oben erwähnten Fakten:
Die stufenförmige Kurve (langfaserverstärkt) wird als „pseudoplastisch“ bezeichnet, da
deren Verhalten dem einer plastischen Verformung ähnelt.Es können umgekehrt Metalle
bzw. Legierungen mit Keramiken (SiC) verstärkt werden, darunter fallen beispielsweise
Titanlegierungen und Al2O3:
Keramikkomponenten werden auch in Triebwerken verwendet, wie im folgenden Rolls-
Royce Hubschraubertriebwerk zu sehen ist:
(1) Pull-Out
SiC-verstärkte Titanlegierungen SiC-verstärktes Al2O3
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
91
4.11 Hochtemperaturwerkstoffe - Zusammenfassung
Zuletzt werden noch einige Werkstoffe sowie deren Einsatztemperaturen vorgestellt:
Thermische
Keramik-
barrieren –
steigern die
Lebensdauer
Gaslager
Rollende Keramikelemente
im Hochgeschwindigkeitslager
– steigern die Lebensdauer
Keramik HD
Turbinenschaufeln
und Blisks
(Blade + Disk)
Inch
Sektionale Darstellung
der Gasturbine
Keramik-Ring-Abdeckung
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
92
Temperatur-
bereich
Werkstoffklassen und Bemerkungen
< 500°C - warmfeste CrMo- und CrMoV-Stähle; bei höheren Temperaturen zu
geringe Oxidationsbeständigkeit
- martensitische 12 % Cr-Stähle
- -nahe Ti-Legierungen
500...600°C - martensitische 9...12 % Cr-Stähle
- austenitische Stähle
- -nahe Ti-Legierungen sind nur noch bedingt in diesem Bereich
langzeitig einsetzbar wegen zu geringer Oxidationsbeständigkeit und
Versprödung durch Gasaufnahme
600...650°C - austenitische Stähle
- festigkeitsoptimierte ferritische 9 % Cr-Stähle decken den Anfangs-
bereich dieser Temperaturspanne ab (bis ca. 620°C), darüber zu
geringe Festigkeit und Oxidationsbeständigkeit
- Ti3Al-Basis-Legierungen; weitere Informationen: siehe folgende
Zeilen
650...800°C - austenitische Stähle; im oberen Bereich dieser Temperaturspanne
haben nur hochlegierte Fe-Ni- und Ni-Fe-Legierungen ausreichende
Festigkeit
- Co-Basislegierungen
- Ni-Basislegierungen
- TiAl-Basislegierungen; offene Punkte: Langzeitabsicherung von
Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit, Betriebsverhalten bei
geringer Duktilität und Zähigkeit
- Ti3Al-Basislegierungen im Anfangsbereich dieser Temperaturspanne;
siehe TiAl-Legierungen
800...1000°C - hitzebeständige ferritische Stähle bei sehr geringer mechanischer
Belastung
- hochlegierte austenitische Stähle bei mäßiger mechanischer Belastung
- Co-Basislegierungen; im oberen Bereich dieser Temperaturspanne nur
bei geringer mechanischer Belastung
- Ni-Basislegierungen; Knetlegierungen im oberen Bereich dieser
Temperaturspanne nur bei geringer mechanischer Belastung;
Gusslegierungen im oberen Bereich dieser Temperaturspanne oft mit
gerichtet erstarrten, anisotropen Gefügen für ausreichende TF- und
Kriechbeständigkeit
Werkstoffeinsatz bei hohen Temperaturen
93
1000...1100°C - hitzebeständige FeCrAl-Stähle mit Al2O3-Deckschichtbildung bei
vernachlässigbarer mechanischer Belastung
- ferritische ODS-Legierungen auf FeCrAl-Basis (hitzebeständig und
hochwarmfest); problematisch: starke Porenbildung
- Ni-Basis-Superlegierungen mit Al2O3-Deckschichtbildung; für aus-
reichende TF-Beständigkeit und Kriechfestigkeit mit gerichtet
erstarrten, anisotropen Gefügen
- Ni-Basis-ODS-Legierungen; problematisch: reproduzierbare Her-
stellung, Querduktilität
- NiAl-Basislegierungen
- monolithische Keramiken und Verbundwerkstoffe
1100...1300°C - hitzebeständige Stähle mit Al2O3-Deckschichtbildung, wie zuvor;
teilweise werden sie auch bei etwas höheren Temperaturen eingesetzt
- ferritische ODS-Legierungen, wie zuvor
- refraktäre Legierungen in inerter Atmosphäre
- Pt-Legierungen bei hohen Korrosionsanforderungen
- MoSi2; problematisch: Zähigkeit, Bearbeitbarkeit
- monolithische Keramiken und Verbundwerkstoffe