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1 Pierfrancesco Fiorato Werdende religiöse Ordnungen. Bemerkungen über Religion, Zeitgefühl und Lehre beim frühen Benjamin * Wir wissen ja nicht, weißt du, wir wissen ja nicht, was gilt. Paul Celan Im Versuch, Walter Benjamins Interesse für die Religion bzw. das Religiöse auf die Spur zu kommen, soll im Folgenden vor allem auf diejenige Texte Bezug genommen werden, in denen sich Benjamin ausdrücklich auf Religion bezieht und ihr eine zentrale Rolle zuschreibt 1 . Dabei werde ich nicht von irgendeinem an sich schon feststheneden Begriff der Religion ausgehen, sondern werde im Gegenteil versuchen, mich diesbezüglich von Benjamins Texten selbst belehren zu lassen, die ich deshalb ziemlich häufig zu Worte kommen lassen werde: Die Bestimmung dessen, was Benjamin unter Religion verstanden haben mag, gehört zu den Fragen, zu denen folgende Überlegungen einen Beitrag leisten möchten. Die Sache bereitet jedoch einige Schwierigkeiten: dem Nachdruck, mit dem in verschiedenen Schriften aus dem Jahrzehnt 1912-1922 Forderungen an die Religion gestellt werden, entspricht eigentlich kaum der Versuch einer eindeutigen Definition derselben. Ja, man hat sogar den Eindruck, daß eine gewisse Unbestimmtheit dabei zum Wesen der Sache selbst gehöre. Die Religion von der Benjamin spricht ist keine vorhandene, sondern eine mit Pathos erwartete Religion der Zukunft, die als solche noch keine eindeutige Züge von sich erkennen läßt. Im „Dialog über die Religiosität der Gegenwart“ aus dem Jahr 1912 2 spricht Benjamin von „Keime[n] […] zu einer künftigen Religiosität“, und behauptet, in der „Heroenzeit einer neuen Religion“ zu leben 3 . Und noch zehn Jahre später wird er in der „Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“ 4 von „werdenden religiösen Ordnungen“sprechen, um wieder sofort hinzuzufügen: „Nicht als ob solche Ordnungen absehbar wären. Wohl aber ist absehbar, daß nicht ohne sie zum Vorschein kommen * Referat, gehalten im September 2003 an der internationalen Tagung Kritische Theorie und Religion, beim Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld. Eine englische Übersetzung davon ist inzwischen unter dem Titel Emerging "Orders": The Contemporary Relevance of Religion and Teaching in Walter Benjamin's Early Thought, in: M. Kohlenbach, R Geuss (eds.), The Early Frankfurt School and Religion, Palgrave-Macmillan, Basingstoke / New York 2005, S. 45-63 erschienen.
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Werdende religiöse Ordnungen. Bemerkungen über Religion, Zeitgefühl und Lehre beim frühen Benjamin

May 02, 2023

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Paolo Marcia
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Page 1: Werdende religiöse Ordnungen. Bemerkungen über Religion, Zeitgefühl und Lehre beim frühen Benjamin

1

Pierfrancesco Fiorato

Werdende religiöse Ordnungen. Bemerkungen über Religion, Zeitgefühl und Lehre beim

frühen Benjamin*

Wir wissen ja nicht, weißt du, wir wissen ja nicht, was gilt.

Paul Celan

Im Versuch, Walter Benjamins Interesse für die Religion bzw. das Religiöse auf die Spur zu

kommen, soll im Folgenden vor allem auf diejenige Texte Bezug genommen werden, in denen sich

Benjamin ausdrücklich auf Religion bezieht und ihr eine zentrale Rolle zuschreibt1. Dabei werde

ich nicht von irgendeinem an sich schon feststheneden Begriff der Religion ausgehen, sondern

werde im Gegenteil versuchen, mich diesbezüglich von Benjamins Texten selbst belehren zu lassen,

die ich deshalb ziemlich häufig zu Worte kommen lassen werde: Die Bestimmung dessen, was

Benjamin unter Religion verstanden haben mag, gehört zu den Fragen, zu denen folgende

Überlegungen einen Beitrag leisten möchten.

Die Sache bereitet jedoch einige Schwierigkeiten: dem Nachdruck, mit dem in verschiedenen

Schriften aus dem Jahrzehnt 1912-1922 Forderungen an die Religion gestellt werden, entspricht

eigentlich kaum der Versuch einer eindeutigen Definition derselben. Ja, man hat sogar den

Eindruck, daß eine gewisse Unbestimmtheit dabei zum Wesen der Sache selbst gehöre. Die

Religion von der Benjamin spricht ist keine vorhandene, sondern eine mit Pathos erwartete Religion

der Zukunft, die als solche noch keine eindeutige Züge von sich erkennen läßt. Im „Dialog über die

Religiosität der Gegenwart“ aus dem Jahr 19122 spricht Benjamin von „Keime[n] […] zu einer

künftigen Religiosität“, und behauptet, in der „Heroenzeit einer neuen Religion“ zu leben3. Und

noch zehn Jahre später wird er in der „Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“4 von

„werdenden religiösen Ordnungen“sprechen, um wieder sofort hinzuzufügen: „Nicht als ob solche

Ordnungen absehbar wären. Wohl aber ist absehbar, daß nicht ohne sie zum Vorschein kommen

* Referat, gehalten im September 2003 an der internationalen Tagung Kritische Theorie und Religion, beim Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld. Eine englische Übersetzung davon ist inzwischen unter dem Titel Emerging "Orders": The Contemporary Relevance of Religion and Teaching in Walter Benjamin's Early Thought, in: M. Kohlenbach, R Geuss (eds.), The Early Frankfurt School and Religion, Palgrave-Macmillan, Basingstoke / New York 2005, S. 45-63 erschienen.

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wird, was in diesen Tagen als den ersten eines Zeitalters nach Leben ringt.“5 Gerade die Tatsache

aber, daß solche an sich noch „unabsehbare Ordnungen“ als „religiös“ bezeichnet werden, stellt uns

wieder vor die Frage nach den Kriterien, nach denen eine solche Bezeichnung stattfindet.

In einem Fragment über „Kapitalismus als Religion“, das nach den Herausgebern der

„Gesammelten Schriften“ „bis um Mitte 1921“ entstanden sein soll, verwendet Benjamin

andererseits die vorsichtige und zugleich distanzierende Formel „die so genannten Religionen“, um

etwas „Ehemaliges“ zu bezeichnen, dem im Grunde genommen nur eine Befriedugungs- bzw.

Kompensationsfunktion zukam. Er umschreibt nämlich die These des Titels folgendermaßen:

„[D]er Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die

ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.“6 Der religionskritische Akzent darf jedoch

nicht täuschen: Diese Worte lassen nämlich offen, ob es nicht eine andere, wahre Religion geben

könnte, die sich vielleicht dann auch nicht auf eine solche Funktion reduzieren ließe. Das Projekt, in

diesem Sinn ein „De vera religione“ zu schreiben, war wenigstens nicht viele Jahre früher für

Benjamin durchaus aktuell gewesen. In der im November 1917 entstandenen Schrift „Über das

Programm der kommenden Philosophie“7 lesen wir nämlich:

Die Philosophie beruht darauf daß in der Struktur der Erkenntnis die der Erfahrung liegt und aus ihr zu

entfalten ist. Diese Erfahrung umfaßt denn auch die Religion, nämlich als die wahre, wobei weder Gott

noch Mensch Objekt oder Subjekt der Erfahrung ist, wohl aber diese Erfahrung auf der reinen Erkenntnis

beruht als deren Inbegriff allein die Philosophie Gott denken kann und muß.8

Über die genaueren Züge, die eine solche „wahre“ Religion in der letzteren Schrift annimmt,

werde ich später noch zurückkommen. Auf jeden Fall wird es sich nicht um eine der „historischen

Religionen“ handeln können, sondern um eine Religion, deren Möglichkeit sich erst dann

erschließt, wenn man sich restlos der eigenen Zeit anheimgibt. Schon im „Dialog über die

Religiosität der Gegenwart“ hatte Benjamin in diesem Sinn behauptet, man müsse die Frage „nach

der Religion der Zeit“ stellen, anstatt zu fragen „ob eine der historischen Religionen in ihr noch

Unterkunft finden könne“9.

Noch ein Jahr nach der Entstehung des Fragments über „Kapitalismus als Religion“ verbindet

Benjamin in der schon erwähnten „Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“ die Rede von

„werdenden religiösen Ordnungen“ mit dem Schlüsselbegriff der „wahren Aktualität“. „Die wahre

Bestimmung einer Zeitschrift“ besteht nämlich für Benjamin darin, „den Geist ihrer Epoche zu

bekunden“10; während sie andererseits nur durch eine philosophische „Behandlungsweise“ der

Themen derjenigen Forderung einer „sachlichen Universalität“ Genüge leisten kann, die in ihrem

Plan liegt. Es ist in diesem Zusammenhang, daß das Problem der „universalen Geltung geistiger

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Lebensäußerungen“ in Verbindung mit der Frage berücksichtigt wird, ob ihnen „einen Ort in

werdenden religiösen Ordnungen“ zugeschrieben werden kann. Erst daran läßt sich für Benjamin

ihre „wahre Aktualität“ messen:

Diese philosophische Universalität ist die Form, in deren Auslegung am genauesten die Zeitschrift Sinn

für wahre Aktualität wird erweisen können. Ihr muß die universale Geltung geistiger Lebensäußerungen

an die Frage gebunden sein, ob sie auf einen Ort in werdenden religiösen Ordnungen Anspruch zu

erheben vermögen.11

Diese ist eine der frühesten Formulierungen eines Gedankens, der sich am Begriff der

„Aktualität“ wie an einem roten Faden durch die verschiedenen Phasen des Benjaminschen

Denkens hindurch als einer der Schwerpunkte seiner geistigen Entwicklung verfolgen läßt: von der

ersten Fassung der „Vorrede“ zum „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ (1924), wo Benjamin, in

einer noch stark von der religiösen oder wenistens theologischen Ausdrucksweise geprägten

Sprache, von der „Entdeckung einer Aktualität eines Phänomens als eines Repräsentanten

vergessener Zusammenhänge der Offenbarung“ spricht12, bis zu den späten Aufzeichnungen zum

„Passagen-Werk“, wo die Aktualität das „Kraftfeld“ darstellen wird, in dem sich die historische

Dialektik abspielt13.

Auch das „Jetzt der Erkennbarkeit“, der Begriff, der dann bis zu den Vorarbeiten zu den Thesen

„Über den Begriff der Geschichte“ zur Artikulation dieses Gedankens der Aktualität dienen wird14,

taucht für das erste Mal in einer erkenntnistheoretischen Aufzeichnung aus den Jahren 1920/21 auf,

wo er als der Ort der Wahrheit bezeichnet wird. Hier heißt es lapidar: „Die Wahrheit besteht im

,Jetzt der Erkennbarkeit‘.“15 Beim Lesen dessen, was Benjamin an der zitierten Stelle der

„Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“ über das Problem der „universalen Geltung“

schreibt, dürfen wir also die flüchtige Bemerkung nicht vergessen, die er diesbezüglich ein Jahr

früher niedergeschrieben hatte: „Das Jetzt der Erkennbarkeit ist die logische Zeit, welche anstatt des

zeitlosen Geltens zu begründen ist. Vielleicht gehört der Begriff der ,Allgemeingültigkeit‘ in diesem

Zusammenhang.“16

In der „Programmschrift“ steht diese Fragestellung im Mittelpunkt der komplexen

Begründunsstrategie, die die „kommende Philosophie“ sich zu eigen machen soll17. Als solche

kommt sie bereits in den ersten Seiten zutage, wo Benjamin den allgemeinen Grundriß seines

Projekts entwirft. Benjamin geht hier nämlich von der Feststellung aus, daß „das universale

philosophische Interesse […] stets zugleich auf die zeitlose Gültigkeit der Erkenntnis und auf die

Gewißheit einer zeitlichen Erfahrung, die als deren nächster wenn nicht einziger Gegenstand

betrachtet wird[,] gerichtet [ist].“18 Für das „Programm der kommenden Philosophie“ ist dabei vor

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allem die Tatsache relevant, daß „den Philosophen diese Erfahrung in ihrer gesamten Struktur nicht

als eine singulär zeitliche bewußt gewesen [ist]“19. Die Spannung, die sich hier zwischen dem

Anspruch der Erkenntnis auf „zeitlose Gültigkeit“ und einer Erfahrung ergibt, die in ihrem „singulär

zeitliche[n]“ Charakter angemessen anerkannt zu werden fordert, bildet die eigentliche Voraus-

setzung der ganzen „Programmschrift“ und steht schon im Hintergrund dessen, was am Anfang der

Schrift als „zentrale Aufgabe der kommenden Philosophie“ bezeichnet wird: „die tiefsten

Ahnungen die sie aus der Zeit und dem Vorgefühle einer großen Zukunft schöpft durch die

Beziehung auf das Kantische System zu Erkenntnis werden zu lassen“20. Ja, erst aufgrund eines

solchen spannungsvollen Verhältnisses läßt sich die ganze Tragweite einer Aufgabe ermessen, die

Benjamin letztlich nur durch die Einführung des Begriffs der „Lehre“ einlösen zu können meint,

wie die neue Formulierung am Schluß der „Programmschrift“ ausdrücklich betont: „Und damit läßt

sich die Forderung an die kommende Philosophie endlich in die Worte fassen: Auf Grund des

Kantischen Systems einen Erkenntnisbegriff zu schaffen dem der Begriff einer Erfahrung

korrespondiert von der die Erkenntnis Lehre ist.“21

Bevor ich die Folgen des philosophisch anspruchsvollen, neuen Ansatzes der

„Programmschrift“ berücksichtige und etwas über die nähere Bedeutung des Lehrbegriffs – eines

Begriffs, der nach Scholem, im engen Zusammenhang mit demjenigen der „Ordnung“, im

Mittelpunkt von Benjamins Interesse für die „religiöse Sphäre“ stand22 – zu sagen versuche, möchte

ich zunächst den „Dialog über die Religiosität der Gegenwart“ in Erwägung ziehen, um zu zeigen,

in welcher Form sich die oben skizzierte Fragestellung, die sich uns inzwischen als ein zentrales

Anliegen in Benjamins Beschäftigung mit dem Problem der Religion im Jahrzehnt 1912-1922

angekündigt hat und die, wie schon angedeutet, in Benjamins späterer Produktion in einer nicht

mehr explizit religiösen Ausdrucksform überleben wird, schon in dieser Schrift des zwanzigjährigen

Anhänger der Jugendkulturbewegung zutage tritt.

„Dialog“ und „Programmschrift“ sind eigentlich zwei schon von der Gattung her

grundverschiedene Texte, was die Aufgabe eines Vergleichs zunächst als fast undurchführbar

erscheinen lassen mag. Während in der fünf Jahre später entstandenen „Programmschrift“ Benjamin

in Auseinandersetzung mit Kant und Cohen den Grundriß zu einer noch zu unternehmenden

erkenntnistheoretischen Fundierung des religiösen Erfahrungsbegriffs entwirft, handelt es sich im

ersten Text um „einen Dialog über religiöses Gefühl unserer Zeit“23, der vor allem in

Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Literatur geführt wird. Wie disparat diese Texte beim

ersten Anblick auch scheinen mögen, so läßt sich doch gerade am Leitfaden dessen, was noch zehn

Jahre nach dem „Dialog“ in der „Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“ uns als das

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Leitmotiv von Benjamins Interesse für die Religion herausgestellt hat, einen gemeinsamen Kern

unter ihnen herausfinden.

1. „Ein Dialog über religiöses Gefühl unserer Zeit“

Das auffälligste Element einer Kontinuität zwischen dem „Dialog“ und der „Programmschrift“

besteht zunächst darin, daß in beiden Schriften das religiöse Moment im Gegensatz zum

mechanischen definiert wird. Die „Programmschrift“ stellt die „religiöse Erfahrung“ ausdrücklich

der „mechanischen“ entgegen, und bezeichnet als zentrales Anliegen der „kommenden Philosophie“

die Schaffung eines Erkenntnisbegriffes, der „nicht allein mechanische sondern auch religiöse

Erfahrung logisch ermöglicht“24. Es wäre freilich aussichtslos, im „Dialog“ Elemente einer Theorie

der religiösen Erfahrung zu suchen: Benjamin hatte nämlich damals nicht einmal die Forderung

einer eigenen positiven Erfahrungstheorie ausdrücklich entwickelt, ja ein Jahr später sollte er sogar

bekanntlich „gegen das Wort ,Erfahrung‘“ in einer gleichnamigen Schrift „alle rebellischen Kräfte

der Jugend […] mobil [machen]“25. Die Entgegensetzung zwischen religiöser und mechanischer

Dimension erscheint trotzdem im „Dialog“ schon ziemlich am Anfang, d.h. dort, wo Benjamin die

Kantische Definition der Religion als „Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote“ zitiert

und sich zu eigen macht. „Die Religion garantiert uns ein Ewiges in unserer täglichen Arbeit – so

meint Benjamin Kants Definition umschreiben zu dürfen – und das ist es, was vor allem not tut“26.

Es ist nämlich, angesichts der „Erniedrigung aller Arbeit zum Technischen“27 und des

hoffnungslosen Verstricktseins der Persönlichkeit „im sozialen Mechanismus“28, der „den

Menschen zur Arbeitsmaschine mach[t]“29, daß für Benjamin die „künftige Religiosität“ anheben

wird: „Aus dieser Not wird eine Religion wachsen“30.

„Wir leben in einer Not“, lautet Benjamins Zeitdiagnose31. Wenn man aber „mit dem Heute

ernst machen“ will32, muß man eine solche Not als „sittlich-notwendig“ nehmen33, ohne „die eigene

Zufälligkeit über die historische Notwendigkeit zu setzen“34. Die Not des Individuums, das, ohne

„aus der Persönlichkeit fliehen“ zu wollen35, am „Dualismus von sozialer Sittlichkeit und

Persönlichkeit“36 leidet, wird in diesem Zusammenhang von Benjamin im Namen der „Ehrlichkeit“

dem „pantheistischen Lebensgefühl“ entgegengesetzt und als Geburtstätte der neuen Religion

identifiziert: „Religionen […] kommen aus der Not und nicht aus dem Glück. Und wenn

pantheistisches Lebensgefühl diese reine Negativität, das Sich-selbst-Verlieren und Sich-fremd-

Werden als Aufgehen im Sozialen rühmt, so ist das unwahr.“37 Gegen die Mystifikation eines

solchen leichtfertigen „Aufgehens“, geht es vielmehr darum, die Not, in der wir leben, sittlich zu

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begreifen. Benjamin faßt eine solche Aufgabe in dem Ausruf zusammen: „[D]urchgeistigen wir

wieder einmal die Not zur Tugend!“38

Der Ausdruck „durchgeistigen“ kommt im „Dialog“ mehrmals vor, um die Leistung der

Religion der Zukunft zu bezeichnen39. Darunter soll für Benjamin keine pantheistische bzw.

„monistische“ Verschleierung der Gegensätze verstanden werden. Gegen die neulich wieder von

den Monisten beschwörte Einheit von Geist und Natur und die Heuchelei der sie begleitenden

„Blumentage“40 bekennt sich Benjamin zur „Ehrlichkeit des Dualismus“41: „Ich glaube einfach

nicht an die religiöse Erhabenheit des Wissens. […] Ich glaube an unsere eigene Skepsis, unsere

eigene Verzweifelung.“42 Wie Astrid Deuber-Mankowsky betont hat, „Dualismus bezieht sich im

benjaminschen Sinne nicht auf ein System von Oppositionen, sondern auf die die Setzung von

Oppositionen unterlaufende Erfahrung der Gespaltenheit.“43 Die Religion der Zukunft soll nicht

über die Konflikte hinwegtrösten, sondern will im Gegenteil als eine „neue Problematik“

verstanden werden, die „dem herrschenden sozialen Elend, […] dieser Flut ungelöster Probleme“,

noch hinzukommt44. Der Tendenz, die „Schärfe religiöser Problematik“ zu „überbrücken“45 und „in

zwölfter Stunde aus der Ehrlichkeit des Dualismus sich retten“ zu wollen46, stellt Benjamin in

diesem Sinn seinen neuen Religionsbegriff entgegen: „Der Religion liegt ein Dualismus zu

Grunde“47.

Von dieser Religion der Zukunft läßt sich eigentlich nicht viel im voraus sagen. Am Schluß des

„Dialogs“ muß Benjamin zusammenfassend bekennen, „daß wir nichts über den Gott und die Lehre

dieser Religion und wenig über ihr kultisches Leben sagen können“48. „Wenig“ ist auf jeden Fall

mehr als Nichts. Der Hinweis auf das „kultische Leben“ darf in diesem Sinn nicht unterschätzt

werden: Er bildet im Gegenteil ein wichtiges Zeichen dessen, was im Mittelpunkt von Benjamins

Erwartungen an die Religion stand, denn nur durch das „kultische Leben“ scheint hier die Religion

letztlich dasjenige leisten zu können, „was vor allem not tut“49.

Wenn wir nämlich im „Dialog“ weitere Hinweise auf die Art und Weise suchen, in welcher

„unserer täglichen Arbeit“ ein „Ewiges“ garantiert werden sollte, stoßen wir auf die Stellen, wo die

Frage besprochen wird, wie wir „die Konventionen duchgeistigen“50 bzw. „ernst und würdig […]

gestalten“51 können. Gerade in diesem Zusammenhang erweist sich aber das Problem des

„kultischen Lebens“ als zentral: „Religion gibt einen neuen Grund und einen neuen Adel dem

täglichen Leben, der Konvention. – schreibt hier Benjamin – Sie wird zum Kult. Dürsten wir nicht

nach geistiger, kultischer Konvention?“52

Den monistischen „Blumentagen“ diametral entgegengesetzt, soll eine solche Verwandlung des

täglichen Lebens in Kult vielmehr der von Benjamin geteilten Überzeugung Rechnung tragen, daß

„eine Göttlichkeit, die allerorten ist, die wir jedem Erlebnis und jedem Gefühl mitteilen, […]

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Gefühlsvergoldung und Profanation [ist]“53. Benjamins Worte sind in diesem Sinn gegen den

Ästhetizismus aller Art gerichtet: Die Schwierigkeit, „in unserer Zeit ein gutes Gewissen im

Kunstgenuß [zu] haben“ und die Unzufriedenheit gegenüber dem „l’art pour l’art“ stellen nicht

zufällig die Themen dar, mit denen die ganze Diskussion über die (Ir-)Religiosität der Gegenwart

begonnen hatte54.

Der Begriff des „Gefühls“ spielt im „Dialog“ eine viel wichtigere Rolle als in Benjamins

späterer Reflexion: „Unsere religiösen Gefühle sind frei. – klagt er – Und so versehen wir unwahre

Konventionen und Gefühlsverhältnisse mit der nutzlosen Energie der Pietät.“55 Gerade die Tatsache

aber, daß hier „das Gefühl“ gesucht wird, „was unser Gemeinschaftsleben religiös gründen kann“56,

führt andererseits zu einer ständigen, heftigen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen

der „ästhetischen Lebensauffassung“, als welche Benjamin insbesondere den Pantheismus und den

Humanismus bezeichnet57.

Als der Gesprächspartner das „pantheistische Gefühl“ als Ersatz für die moderne Entseelung der

Welt einführt, erwidert der Ich-Erzähler, daß „der Anspruch auf maßgebliche Gefühle […] zu

prüfen [ist]“: „Mag jeder einzelne noch so ehrlich seinen Pantheismus fühlen, maßgeblich und

mitteilbar machen ihn nur die Dichter. Und ein Gefühl, das nur möglich ist auf dem Gipfel seiner

Gestaltung, zählt nicht mehr als Religion.“58 Wenn also kurz danach das Kunstwerk als die „einzig

ehrliche Erscheinung pantheistischen Gefühls“59 bezeichnet wird, soll dies für Benjamin eigentlich

nur als Zeichen der religösen Unzulänglichkeit des Pantheismus verstanden werden: „Wir können

im Pantheismus – heißt es in diesem Sinn – die höchsten, ausgeglichensten Augenblicke des

Glückes erleben – nie und nimmer hat er Kräfte, das sittliche Leben zu bestimmen.“60 Ähnlich

klingen die Einwände, die Benjamin gegen die als „ästhetische Reaktionserscheinung“

gebrandmarkte Klassik gelten läßt:

Sie vereinte noch einmal Geist und Natur: sie betätigte die Urteilskraft und schuf die Einheit, die immer

nur eine Einheit des Augenblicks, der Ekstase, der großen Schauenden sein kann. Ehrlich, grundlegend

können wir sie nicht erleben. Grundlage des Lebens kann sie nicht werden. Sie bedeutet seine ästhetische

Höhe.61

Eine andere wird also die Kunst sein müssen, die uns dazu verhelfen kann, die Not, in der wir

leben, sittlich zu begreifen: Um die Behauptung zu bekräftigen, daß „die Kunst […] das allgemeine

Bewußtsein und die Lebenssphäre späterer Zeiten vorahnend voraus[nimmt]“, bezieht sich

Benjamin hier bezeichnenderweise auf die Autorität von dem Mitbegründer der Berliner Freien

Volksbühne und engagierten Apostel des Naturalismus Wilhelm Bölsche62.

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Es ist gerade im Zusammenhang dieser Überlegungen über den Naturalismus, daß der „Dialog

über die Religiosität der Gegenwart“ die wichtigsten Äußerungen zu unserem Thema enthält. Hier

tritt nämlich für das erste Mal diejenige Fragestellung hervor, die zehn Jahre später fast wörtlich in

der „Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“ wiederkehren wird. Das Problem der

„universalen Geltung geistiger Lebensäußerungen“, das dort in Verbindung mit der Frage

berücksichtigt werden wird, ob ihnen „einen Ort in werdenden religiösen Ordnungen“

zugeschrieben werden kann, wird hier mit Bezug auf die Entdeckung der „individuellen Sprache“

von seiten des Naturalismus thematisiert.

In einer solchen Entdeckung besteht für Benjamin das Verdienst des Naturalismus. Die Art, wie

„unser individuelles Gefühl […] sich daran [erhöht]“, wird von ihm folgendermaßen beschrieben:

„Das ergreift uns so sehr, wenn wir unsern ersten Ibsen oder Hauptmann lesen, daß wir mit unserer

alltäglichsten und intimsten Äußerung ein Recht in der Literatur, in einer gültigen Weltordnung

haben.“63 Gerade dieser Aspekt macht die Relevanz des Naturalismus für das „neureligiöse

Bewußtsein“64 aus: Erst aus dem hier entstehenden Spannungsfeld zwischen täglichem Leben und

„gültiger Weltordnung“, soll sich nämlich die Kraft schöpfen lassen, um die „Konventionen [zu]

durchgeistigen“.

Die Identifizierung der „gültigen Weltordnung“ mit der Literatur soll hier jedoch nicht

irreleiten: Von einem rein ästhetischen Kunstgenuß sind wir freilich himmelsweit entfernt. Es geht

vielmehr darum, – wie Benjamin voller Pathos verkündet – „die Werte ins Leben, in die

Konvention umsetzen [zu] wollen“65; und eine solche Absicht ist gerade, was in der heutigen Welt

für Benjamin die „Literaten“ auszeichnet, die deshalb von ihm als die „Träger religiösen Geistes in

unserer Zeit“ bezeichnet werden66. „Die Religion […] wird wieder einmal vom Geknechteten

ausgehen – schreibt er – der Stand aber, der heute diese historische, notwendige Knechtung trägt,

das sind die Literaten“67:

Sie nehmen sich die neuen Lebensarten, die wir heute als menschlich anerkannt haben, d.h. deren Geist

wir (in der Kunst) entdeckt haben. Sie haben ihre ernste Mission darin, aus der Kunst, die sie selbst nicht

machen können, Geist für das Leben der Zeit zu gewinnen.68

Aufgrund einer Zeitdiagnose, die auffälligerweise derjenigen der Vorkriegszeit besonders

ähnlich klingt, und der schon erwähnten Überzeugung, daß „die wahre Bestimmung einer

Zeitschrift“ darin besteht, „den Geist ihrer Epoche zu bekunden“, wird Benjamin in diesem Sinn

auch in der „Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“ die Absicht äußern, „weniger denen ein

Ohr zu leihen, die das arcanum selbst gefunden zu haben meinen, als denen, welche am

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sachlichsten, am ungerührtesten Drangsal und Not aussprechen und sei’s auch nur, weil eine

Zeitschrift nicht für die Größten der Ort ist“69.

2. Das Programm einer erkenntnistheoretischen Fundierung des religiösen Erfahrungsbegriffs

Der Name Kants kommt im „Dialog über die Religiosität der Gegenwart“ mehrmals vor. Wir

haben schon die Stelle erwähnt, wo Benjamin die Kantische Definition der Religion zitiert und sich

zu eigen macht. Noch wichtiger erscheint jedoch in diesem Zusammenhang eine andere Stelle, wo

er aufgrund seines Dualismus-Bekenntnisses behauptet, den „Augenblick dieser neuen Religion“

historisch feststellen zu können:

Es war der Augenblick, da Kant die Kluft zwischen Sinnlichkeit und Verstand aufriß und da er in allem

Geschehen die sittliche, die praktische Vernunft waltend erkannte. Die Menschheit war aus ihrem

Entwicklungsschlaf erwacht, zugleich hatte das Erwachen ihr ihre Einheit genommen.70

Jeder Versuch, diesem „Zurück zu Kant!“ nähere Züge zu verleihen, stößt jedoch auf erhebliche

Schwierigkeiten. Der Name Kants scheint hier nämlich nur ganz allgemein für denjenigen

religiösen „Dualismus“ zu stehen, den Benjamin der „ästhetischen Lebensauffassung“ entgegensetzt

– einen Dualismus oder genauer: eine „streng dualistische Lebensauffassung“ übrigens, die er, wie

er ausdrücklich im Brief an Ludwig Strauss vom 10. Oktober 1912 erklärt, besonders stark bei

Juden vertreten fand71, und in diesem Sinn also besonders gut in das Inventar dessen passen würde,

was Hermann Cohen in einem zwei Jahre früher gehaltenen Vortrag die „Innere Beziehungen der

Kantischen Philosophie zum Judentum“72 genannt hatte.

Unter dem Begriff des Dualismus verbindet hier Benjamin, wie Astrid Deuber-Mankowsky

bemerkt hat, „die Erfahrung der Dualität mit der systematisch-philosophischen Dualität auf

erkenntnistheoretischer Ebene“73, und dies ist genau der Punkt, wo sein Begriff der „Ehrlichkeit“ –

der gerade als Merkmal des Dualismus zugleich auch den „sittliche[n] Einheitsbegriff“ der Religion

darstellen soll74 – sich mit der Kantischen Tradition trifft: „Die Ehrlichkeit des neuen Weltalters –

hatte bezeichnenderweise Hermann Cohen im Rahmen seiner systemtheoretischen Reflexionen über

das Wahrheitsproblem geschrieben – beruht auf der schlichten Einsicht, die sie sich nicht bemänteln

läßt, daß ein anderes die mathematische, ein anderes die moralische Gewißheit ist.“75

Es ist in der Tat gerade diese systemtheoretische Dimension des Dualismus, die sich auch für

Benjamins spätere Entwicklung von weittragender Bedeutung erweisen wird: nicht so sehr die

„Kluft“ zwischen Sinnlichkeit und Verstand also, sondern eher diejenige zwischen Geist und Natur,

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von der im selben Zusammenhang die Rede war76, ohne daß der „Dialog“ ihre Unterscheidung von

der ersten für nötig gehalten hätte. Die „Programmschrift“ wird nämlich „den Unterschied von

Anschauung und Verstand“ als „ein metaphysisches Rudiment wie die ganze Lehre von den

Vermögen“ beseitigen77, und doch zugleich am „Unterschied zwischen den Gebieten der Natur und

der Freiheit“ mit Nachdruck festhalten: „So notwendig und unvermeidlich auf dem Grunde einer

neuen transzendentalen Logik die Umbildung des Gebietes der Dialektik, des Überganges zwischen

Erfahrungs- und Freiheitslehre ist, so wenig darf diese Umbildung in eine Vemengung von Freiheit

und Erfahrung einmünden.“78

Gerade diejenige Unterscheidung zwischen Erfahrung und erkenntnistheoretischer Reflexion,

die der „Dialog“ nicht ausdrücklich durchgeführt hatte, bildet andererseits die Voraussetzung, von

der nun die „Programmschrift“ ausgeht. In der Rede von einer „erkenntnistheoretische[n]

Fundierung eines höheren Erfahrungsbegriffes“79 kommt hier in diesem Sinn das neue

philosophische und methodische Bewußtsein zum Ausdruck, das die „Programmschrift“ gegenüber

den früheren Entwürfen auszeichnet80. Ob der Exhibition dieses Bewußtseins auch eine strenge und

eindeutige Definition und Verwendung des Begriffs einer solchen „Fundierung“ entspreche und

was eigentlich darunter zu verstehen sei, mag zunächst dahingestellt bleiben. Wenn man den

Argumentationsduktus dieser Schrift richtig rekonstruieren und nicht ausschließlich das freilich

zentrale Thema der metaphysischen Erfahrung emphatisch hervorheben will, sind auf jeden Fall

Benjamins Worte angemessen zu berücksichigen, die diesbezüglich von einer kaum zu

überbietenden Klarheit sind: „[N]icht nur von der Seite der Erfahrung und Metaphysik muß der

künftigen Philosophie die Revision Kants angelegen sein. Und methodisch, d.h. als eigentliche

Philosophie überhaupt nicht von dieser Seite sondern von Seiten des Erkenntnisbegriffes her.“81

„Die Philosophie – so lautet nämlich die von uns am Anfang schon zitierte Grundprämisse – beruht

darauf daß in der Struktur der Erkenntnis die der Erfahrung liegt und aus ihr zu entfalten ist.“82

Wenn Benjamin dann sofort hinzufügt, daß „diese Erfahrung […] auch die Religion, nämlich

als die wahre, [umfaßt]“, denkt er dabei, wie er an einer anderen Stelle ausdrücklich betont, genauer

gesprochen an eine „noch kommende neue und höhere Art der Erfahrung“83, für die die oben

erwähnte „erkenntnistheoretische Fundierung“ den adäquaten Boden vorbereiten muß: Das „Gebiet

der Religion“ wird in diesem Sinn von ihm als „das Oberste“ derjenigen Gebiete bezeichnet, deren

„systematische Einordnung“ aufgrund des neuen Erkenntnisbegriffs gelingen soll84.

Wie wir schon gesehen haben, geht es Benjamin in diesem Zusammenhang vor allem darum,

„auf Grund des Kantischen Systems einen Erkenntnisbegriff zu schaffen dem der Begriff einer

Erfahrung korrespondiert von dem die Erkenntnis Lehre ist“85: So wird nämlich von ihm die

Forderung umschrieben, die er am Anfang der „Programmschrift“ ausgedrückt hatte, „die tiefsten

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Ahnungen die sie [scil.: die Philosophie] aus der Zeit und dem Vorgefühle einer großen Zukunft

schöpft durch die Beziehung auf das Kantische System zu Erkenntnis werden zu lassen.“86 Im

Begriff der „Lehre“ soll also die oben erwähnte Spannung zum Austrag kommen, die sich für die

Philosophie zwischen dem Anspruch der Erkenntnis auf „zeitlose Gültigkeit“ und einer Erfahrung

ergibt, die in ihrem „singulär zeitliche[n]“ Charakter angemessen anerkannt zu werden fordert.

Als neue Version derjenigen „gültigen Weltordnung“, die der „Dialog“ in der Literatur

erblicken zu können meinte, weist der Begriff der „Lehre“ zugleich auf die „werdenden religiösen

Ordnungen“ der „Ankündigung“ hin. Einen Zusammenhang zwischen den Begriffen der „Ordnung“

und der „Lehre“ wird von Benjamin in einem Brief an Scholem vom 31. Januar 1918 hergestellt,

wo er sich über die Bedeutung der „metaphysischen Erkenntnis“ äußert:

[M]etaphysisch ist diejenige Erkenntnis die a priori die Wissenschaft als eine Sphäre in dem absoluten

göttlichen Ordnungszusammenhang, dessen höchste Sphäre die Lehre und dessen Inbegriff und Urgrund

Gott ist zu erkennen trachtet, und die auch die „Autonomie“ der Wissenschaft als sinnvoll und möglich

nur in diesem Zusammenhang betrachtet.87

Schon in der von uns oben zitierten Stelle über die „wahre Religion“ hatte Benjamin Gott als

„Inbegriff der reinen Erkenntnis“ definiert und dabei behauptet, daß auf einer solchen „reinen

Erkenntnis“ diejenige Erfahrung beruht, die auch die Religion umfaßt. Eine solche Definition

Gottes läßt die Frage nach der besonderen systematischen Einordnung der Religion als ein

unumgängliches Problem hervortreten, mit dem sich Benjamin im Winter 1917/18, nach der

Abfassung der „Programmschrift“ intensiv beschäftigt hat. Gerade das Bedürfnis, diesen Punkt

ausführlicher zu behandeln, soll ihn vermutlich dazu geführt haben, im März 1918 einen

„Nachtrag“ zur „Programmschrift“ zu schreiben, in dem er vor allem zum Verhältnis von

Philosophie und Religion Stellung nimmt.

Ein solcher emphatischer Gebrauch des Ausdrucks „Inbegriff“ mag vielleicht auf den Einfluß

Hermann Cohens zurückzuführen sein, dessen Bezeichnung des „Dinges an sich“ als „Inbegriff der

wissenschaftlichen Erkenntnisse“ in dem damals von Benjamin gemeinsam mit Scholem gelesenen

Werk „Kants Theorie der Erfahrung“ eine erhebliche Rolle spielt88. Gerade das Problem der

systematischen Einordnung der Religion stand andererseits im Mittelpunkt des letzten von Cohen

zu Lebzeiten veröffentlichten Werks „Der Begriff der Religion im System der Philosophie“. Die

Auseinandersetzung mit dem Neukantianismus Hermann Cohens bildet auf jeden Fall das Zentrum

der „Programmschrift“, die in diesem Sinn als ein Versuch betrachtet werden darf, aufgrund einiger

gemeinsamen Prämissen diejenige Aspekte zu überwinden, die für Benjamin als Mängel des

Neukantianuismus zu verstehen sind.

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12

Dem neuen erkenntnistheoretischen Ansatz gemäß soll sich die Philosophie darauf beschränken,

einen neuen Erkenntnisbegriff zu schaffen; Benjamin beschreibt diese Aufgabe der Philosphie

näher als „Reinigung der Erkenntnistheorie“: „Es ist als Programmsatz der künftigen Philosophie

aufzustellen daß mit dieser Reinigung der Erkenntnistheorie […] nicht nur ein neuer Begriff der

Erkenntnis sondern auch der Erfahrung aufgestellt wäre, gemäß der Beziehung die Kant zwischen

beiden gefunden hat.“89 Durch eine solche „Reinigung der Erkenntnistheorie“, die sich hier als

neuer strategischer Ansatzpunkt herausstellt, soll einen Erkenntnisbegriff gewonnen werden, von

dem sich Benjamin nach der schon zitierten Stelle erwartet, daß er „nicht allein mechanische

sondern auch religiöse Erfahrung logisch ermöglicht“90. Die logische Möglichkeit darf dabei

freilich nicht als die bloß formallogische Bestimmung der Nicht-Widersprüchlichkeit verstanden

werden: gemeint ist hier vielmehr die transzendentallogische Bedingung der Erfahrung durch den

Erkenntnisbegriff. Die Tatsache, daß dabei das logische Moment einseitig hervorgehoben wird, ist

auf den hohen Wert zurückzuführen, den Benjamin in diesem Zusammenhang dem

erkenntnislogischen Ansatz des Neukantianismus zuschreibt. „Von der hier geforderten und als

sachgemäß betrachteten Entwicklung der Philosophie – schreibt er nämlich – läßt sich als

Neukantianismus ein Anzeichen bereits betrachten.“91 Und dies obwohl Benjamin andererseits ganz

genau weiß, daß die „Änderung des Erfahrungsbegriffes“, die sich dabei ergeben hat,

„bezeichnenderweise zunächst in der extremen Ausbildung der mechanischen Seite des relativ

leeren aufklärerischen Erfahrungsbegriffes“ bestand92.

Diese zunächst befremdende Tatsache läßt sich besser verstehen, wenn man bedenkt, daß die

„Reinigung der Erkenntnistheorie“, von der in der „Programmschrift“ die Rede ist, sich in erster

Linie als Zerstörung vollzieht, d.h. als „Annihilierung“ der „metaphysischen Elemente“, die Kants

Erkenntnistheorie in sich trug:

In der Erkenntnistheorie – schreibt nämlich Benjamin an einer zentralen Stelle – ist jedes metaphysische

Element ein Krankheitskeim der sich in der Abschließung der Erkenntnis von dem Gebiet der Erfahrung

in seiner ganzen Freiheit und Tiefe äußert. Die Entwicklung der Philosophie ist dadurch zu erwarten daß

jede Annihilierung dieser metaphysischen Elemente in der Erkenntnistheorie zugleich diese auf eine

tiefere metaphysisch erfüllte Erfahrung verweist.93

Das Programm der „erkenntnistheoretischen Fundierung“ erweist sich in diesem Sinn

vornehmlich als ein negatives Programm: Es geht nämlich vor allem darum, Hindernisse zu

beseitigen, die sonst die Erfahrung hemmen bzw. nicht zustande kommen lassen würden94. Gerade

mit Bezug auf dieses negative Programm läßt sich für Benjamin in der neukantischen „Reduktion

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aller Erfahrung auf die wissenschaftliche“95 bzw. in der „Apriorisierung der ,Erfahrung‘ im Begriff

der wissenschaftlichen Erkenntnis“96 ein wichtiges „Anzeichen“ erblicken.

Indem nämlich Benjamin die „Auffassung der Erkenntnis als Beziehung zwischen

irgendwelchen Subjekten und Objekten“ und die „Beziehung der Erkenntnis und der Erfahrung auf

menschlich empirisches Bewußtsein“ als „ primitive Elemente einer unfruchtbaren Metaphysik“

betrachtet, die ihre Wurzel in der Mythologie der „Subjekt-Natur des erkennenden Bewußtseins “

haben97, wird er freilich dabei nicht wenige Anknüpfungspunkte im Verzicht auf die subjektive

Erkenntnisbegründung finden, der das neukantische Programm kennzeichnet. Lehrreich erweist sich

in diesem Sinn die Rekonstruktion, die Helmut Holzhey von dem Ansatz Hermann Cohens bietet:

Fortan sollte Erkenntnis nicht mehr als Vollzug eines erkennenden Subjekts, sondern als „in gedruckten

Büchern wirklich gewordene Erfahrung“98 aufgeklärt werden, sollte diese Aufklärung nicht mehr

subjektive Faktoren der Sinnlichkeit oder des Denkens, sondern Grundsätze, und als den letzten Grund

aller Erkenntnis die „Einheit des Bewußtseins“ nur als „Ausdruck der Gesetzmäßigkeit innerhalb einer

einzigen allbefassenden Erfahrung“, d.h. als Gesetz99, geltend machen.100

Wenn also Benjamin behauptet, die „Aufgabe der kommenden Philosophie“ bestehe in der

„Auffindung oder Schaffung desjenigen Erkenntnisbegriffes“, der „religiöse Erfahrung logisch

ermöglicht“, „indem er zugleich auch den Erfahrungsbegriff ausschließlich auf das transzendentale

Bewußtsein bezieht“101, und andererseits betont, daß „das reine transzendentale Bewußtsein […]

artverschieden von jedem empirischen Bewußtsein [ist]“, so daß dabei sogar die Frage entsteht, „ob

die Anwendung des Terminus Bewußtsein hier statthaft ist“102, braucht die Analogie mit dem

Cohenschen Ansatz kaum hervorgehoben zu werden. Für unsere Fragestellung ist aber in diesem

Zusammenhang vor allem das Verhätnis von weittragender Bedeutung, das bei Cohen zwischen der

„Apriorisierung der Erfahrung im Begriff der wissenschaftlichen Erkenntnis“ einerseits und ihrem

Zustandekommen „in gedruckten Büchern“ andererseits besteht. Gerade durch eine solche

Apriorisierung wird nämlich die Erfahrung an das geschichtliche Faktum der Wissenschaft

gebunden. Cohen betont es noch ausdrücklicher in der zweiten Auflage von „Kants Begründung der

Ethik“, wo er die oben von Holzhey zitierte Stelle ergänzt und von einer „in gedruckten Büchern

gegebenen und in einer Geschichte wirklich gewordenen Erfahrung“ spricht103.

Die Polemik gegen den „falsche[n] Apriorismus“104 und die Anstrengung, um „den Schatz des

Apriorismus zu hüten, und seine Zweideutigkeiten zu vermeiden“, durchlaufen in diesem Sinn das

ganze Werk Hermann Cohens, das wie wenige andere bemüht ist, der geschichtlichen Gebundenheit

und Offenheit der Erfahrung angemessen Rechnung zu tragen:

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Wie die Grundbegriffe zu formulieren und anzuordnen seien, darüber soll die Diskussion in Fluß erhalten

bleiben; angeborene Begriffe sind schon im Ausdruck vom Übel. Damit ist schon gesagt, daß die

Festlegung von Grundsätzen in dem Sinne, daß sie unveränderliche Grundlagen der Wissenschaft bilden,

abgewehrt wurde. Die fortschreitende Wissenschaft sucht und findet ihrem sachlichem Fortschritte gemäß

immer tiefere und genauere Grundlagen; sie muß daher ihre Prinzipien immer neu formulieren, und

demgemäß ihre Grundbegriffe gemäß ihrer Geschichte verwandeln.105

Nach dem Abschied vom klassischen spekulativen Anspruch, die Vernunft für sich selbst zu

erkennen, bildet die transzendentale Methode in diesem Sinn den einzigen Weg, der dem Denken

noch offen steht, um „über die Voraussetzungen seiner Grundlagen und über die Mittel die ihm zu

Gebote stehen“ Klarheit zu erlangen106.

In der Aufzeichnung „Über die tranzendentale Methode“ aus dem Sommer 1918 hat Benjamin

bezeichnenderweise den „Einfluß des Positivismus“ bei den Nachfolgern Kants heftig kritisiert,

ohne aber dabei die entscheidende Geste, die die transzendentale Methode als solche kennzeichnet,

fallen zu lassen. Der grundsätzliche Fehler von Kants Nachfolgern besteht nämlich für Benjamin

laut dieser Aufzeichnung darin, daß sie „ebensowenig erkennen daß nicht Wissenschaft sondern

Sprache die zu untersuchenden Begriffe gibt“107. Die Absicht, an dem transzendentalmethodischen

Ansatz festzuhalten, war übrigens in diesem Sinn schon in der „Programmschrift“ selbst und zwar

an der entscheidenden Stelle geäußert worden, wo Benjamin die notwendige „Beziehung der

Erkenntnis auf die Sprache“ eingeführt hatte, obwohl sie dort durch die Erwähnung Hamanns etwas

überschattet wurde:

Wie die Kantische Lehre selbst um ihre Prinzipien zu finden sich einer Wissenschaft mit Beziehung auf

die sie sie definieren konnte gegenüber sehen mußte, ähnlich wird es auch der modernen Philosophie

ergehen. Die große Umbildung und Korrektur die an dem einseitig mathematisch-mechanisch orientierten

Erkenntnisbegriff vorzuhnehmen ist, kann nur durch die Beziehung der Erkenntnis auf die Sprache wie

sie schon zu Kants Lebzeiten Hamann versucht hat gewonnen werden.108

Der neukantischen „Apriorisierung der ,Erfahrung‘ im Begriff der wissenschaftlichen

Erkenntnis“ entspricht bei Benjamin die „Umprägung der ,Erfahrung‘ zu ,Metaphysik‘“109: In

beiden Fällen handelt es sich um den Versuch, den zeitlich bedingten Charakter der Erfahrung nicht

zu streichen, sondern im Gegenteil angemessen zur Geltung kommen zu lassen. Die „Beziehung der

Erkenntnis auf die Sprache“ stellt in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Schritt dar.

Wenn die „Aufgabe der kommenden Philosophie“ für Benjamin in der „Auffindung oder Schaffung

desjenigen Erkenntnisbegriffes“ bestehen sollte, der „auch religiöse Erfahrung logisch ermöglicht“,

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erweist sich ein solcher Erkenntnisbegriff am Schluß als „ein in der Reflexion auf das sprachliche

Wesen der Erkenntnis gewonnene Begriff von ihr“:

Ein in der Reflexion auf das sprachliche Wesen der Erkenntnis gewonnene Begriff von ihr wird einen

korrespondierenden Erfahrungsbegriff schaffen der auch Gebiete deren wahrhafte systematische

Einordnung Kant nicht gelungen ist umfassen wird. Als deren Oberstes ist das Gebiet der Religion zu

nennen.

schreibt nämlich Benjamin am Ende der „Programmschrift“110.

In der Sprache meint Benjamin in diesem Sinn das neue „darreichende Faktum“111 gefunden zu

haben, um das von ihm geforderte „Erfahrungskontinuum“ zu schaffen. Die Verabschiedung vom

gewöhnlichen Erfahrungsbegriff läßt nämlich diesbezüglich eine Lücke entstehen, die das

neukantische „System der Wissenschaften“ nicht ausfüllen kann. Genau an dieser Stelle setzt für

Benjamin die „Metaphysik“ ein:

Es bestand sicherlich bei Kant eine Tendenz gegen die Zerfällung und Aufteilung der Erfahrung in die

einzelne Wissenschaftsgebiete und wenn ihr auch die spätere Erkenntnistheorie den Rekurs auf die

Erfahrung im gewöhnlichen Sinne, wie er bei Kant vorliegt, wird abschneiden müssen, so ist doch

andrerseits im Interesse der Kontinuität der Erfahrung ihre Darstellung als das System der Wissenschaften

wie sie der Neukantianismus gibt noch mangelhaft und es muß in der Metaphysik die Möglichkeit

gefunden werden ein reines systematisches Erfahrungskontinuum zu bilden; ja ihre eigentliche Bedeutung

scheint hierin zu suchen zu sein.112

In welcher Form ein solches „Interesse“ für die Kontinuität der Erfahrung, „in deren

Vernachlässigung“ für Benjamin „der Mangel des Neukantianusmus zu vermuten ist“113, den

Übergang zu einer „Metaphysik“ rechtfertigen kann, in deren Rahmen die Möglichkeit jener

Kontinuität gewährleistet werden soll, kann eigentlich aufgrund des bisher Gesagten noch nicht als

ausgemacht gelten. Diese Frage ist übrigens für unseres Thema von erheblicher Wichtigkeit, weil

auch die Bezeichnung der Religion als das „oberste“ der Gebiete, die der neue Erkenntnisbegriff

erschließen bzw. der neue Erfahrungsbegriff umfassen soll, damit unzertrennlich verbunden ist.

Als Rechtfertigung seines Ansatzes meint zwar Benjamin die von ihm als „entscheidend“

bezeichnete „Tatsache“ anführen zu dürfen, „daß alle philosophische Erkenntnis ihren einzigen

Ausdruck in der Sprache“ hat: „um ihretwillen ist die systematische Suprematie der Philosophie

[…] über alle Wissenschaft […] zu behaupten“114. Eine solche Tatsache genügt jedoch eigentlich

noch nicht, um die Brücke zur Religion zu schlagen, oder wenigstens: sie läßt noch nicht die

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Gründe ersichtlich werden, warum man gerade die Religion als das oberste der Erfahrungsgebiete

betrachten sollte, die sich aufgrund des neuen Erkenntnisbegriffs erschließen.

Es ist gerade in diesem Zusammenhang, daß der Begriff der „Lehre“ eine entscheidende Rolle

spielt. In der Aufzeichnung „Zum verlorenen Abschluß der Notiz über die Symbolik in der

Erkenntnis“, die die Herausgeber der Gesammelten Schriften auf die Jahre 1917/18 zurückgehen

lassen, verbindet Benjamin den Begriff der „Lehre“ mit demjenigen der Sprache und erklärt

ausdrücklicher, wie für ihn die Tatsache zu vestehen sei, daß die „Sprache die zu untersuchenden

Begriffe gibt“. In einem Zusammenhang, wo er von „Kants Esoterik“ spricht und in der

„gewaltige[n] Intention auf symbolische Schwängerung aller Erkenntnisse“ den „Grund der

Kantischen Mystik“ zu erblicken meint, bestimmt Benjamin die „Aufgabe der Ontologie“ darin,

„die Erkenntnisse so mit symbolischer Intention zu laden, daß sie sich in Wahrheit oder Lehre

verlieren, in ihr aufgehen, ohne sie doch zu begründen, da deren Begründung Offenbarung, Sprache

ist“115.

Vom Rationalismus Hermann Cohens sind wir hier eigentlich viel weniger entfernt, als es dem

ersten Anschein nach aussehen könnte. Der tiefste Sinn aller Offenbarung qua Behauptung der

Ursprünglichkeit der Vernunft steckt nämlich für Cohen, aufgrund seiner Definition der

Offenbarung als „Schöpfung der Vernunft“116, gerade in der antimythologischen Annahme eines

Unergründlichen117. Auch für Benjamin „gibt“ andererseits die Sprache als „Offenbarung“

eigentlich nur die „zu untersuchenden Begriffe“: Sie stellt in diesem Sinn nur den

unüberschreitbaren Horizont dar, innerhalb dessen sich die philosophische Untersuchung (vom

Bewußtsein der eigenen Bedingtheit begleitet) betätigen kann.

Über das Verhältnis zwischen Philosophie und Lehre äußert sich Benjamin im „Nachtrag“ zur

„Programmschrift“: „[E]rst in der Lehre – schreibt er hier – stößt die Philosophie auf ein Absolutes,

als Dasein, und damit auf jene Kontinuität im Wesen der Erfahrung in deren Vernachlässigung der

Mangel des Neukantianismus zu vermuten ist.“118 Nur wenige Zeilen vorher hatte er eigentlich noch

ganz neukantisch behauptet, daß „die Philosophie überhaupt in ihren Fragestellungen niemals auf

die Daseinseinheit sondern immer nur auf neue Einheiten von Gesetzlichkeiten stoßen kann deren

Integral ,Dasein‘ ist“. Der scheinbare Widerspruch dieser zwei Aussagen, in denen das Problem des

Verhältnisses zwischen Erfahrung und Erkenntnis ein letztes Mal zugespitzt wiederkehrt, wird

egentlich nur durch eine nähere Bestimmung des Lehrbegriffs zu einer angemessenen Lösung

gebracht werden können.

Zwischen den beiden Aussagen steht, als entscheidendes, aber kaum vermittelndes Moment, ein

abruptes: „Es gibt aber“. Benjamin hatte gerade von der „eigentlich erkenntnistheoretischen

Bedeutung“ des „Stamm- und Urbegriffs der Erkenntnis“119 gesprochen, und dabei behauptet, daß

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durch „seine Spezifikation“ in den Wissenschaften „der Stamm- und Urbegriff der Erkenntnis nicht

zu einer konkreten Totalität der Erfahrung [kommt], ebensowenig zu irgend einem Begriff von

Dasein“. Und dann schreibt er:

Es gibt aber eine Einheit der Erfahrung die keineswegs als Summe von Erfahrungen verstanden werden

kann, auf die sich der Erkenntnisbegriff als Lehre in seiner kontinuierlichen Entfaltung unmittelbar

bezieht. Der Gegenstand und Inhalt dieser Lehre, diese konkrete Totalität der Erfahrung ist die Religion,

die aber der Philosophie zunächst nur als Lehre gegeben ist.120

Wenn der autoritäre Zugriff mit dem hier die „konkrete Totalität der Erfahrung“ ins Spiel

gebracht wird, jedes weitere Fragen nach den Gründen, warum man gerade die Religion als das

oberste Erfahrungsgebiet betrachten sollte, abschneidet, bleibt jedoch dabei die genaue Bestimmung

des Verhältnisses der Erkenntnis zu einer solchen „Totalität der Erfahrung“, als die hier endlich die

Religion definiert wird, immer noch offen. Auf die „konkrete Totalität der Erfahrung“ kann sich

nämlich die Philosophie nicht unmittelbar beziehen, jene ist ihr vielmehr „zunächst nur als Lehre

gegeben“: „Erst in der Lehre“ soll nämlich die Philosophie, nach der obigen Aussage, „auf ein

Absolutes, als Dasein, und damit auf jene Kontinuität im Wesen der Erfahrung“ stoßen.

Wenn hier aber andererseits von Benjamin auch behauptet wird, daß auf eine solche Einheit der

Erfahrung „sich der Erkenntnisbegriff als Lehre in seiner kontinuierlichen Entfaltung unmittelbar

bezieht“121, kann dies nur bedeuten, daß der Lehre eine Vermittlungsrolle zukommen muß und in

ihr zugleich eine letzte Grenze der philosophischen Erkenntnis zum Ausdruck gelangt. Als ein

solcher Grenzbegriff stellt die Lehre die problematische Form dar, in der dem philosophischen

Denken etwas (eben als Problem) „gegeben“ wird, das sonst über seinem Horizont liegt.

Die Definition der Religion als „konkrete Totalität der Erfahrung“ ist mit derjenigen von Gott

als „Inbegriff der reinen Erkenntnis“ eng verbunden, von der die „Programmschrift“ schon früher

gesprochen hatte. Einem solchen „Inbegriff“ erscheint hier die Lehre am nächsten verwandt. Für die

Philosophie qua Erkenntnistheorie erweist sich in diesem Sinn die „konkrete Totalität der

Erfahrung“ durch die Lehre als unerschöpflich: Ihr Inbegriff ist – gerade wie das Ding an sich als

unendliche Aufgabe – „von höherer Mächtigkeit“ als das, was alle gegebene, stellbare Fragen

fordern können122.

„Manchmal setzte er die Termini System und Lehre geradezu gleich“, schreibt Scholem in

seiner „Geschichte einer Freundschaft“123. Bekanntlich ist aber für Benjamin gerade die „Ganzheit

der Philosophie, ihr System“, „als Antwort von höherer Mächtigkeit als die an Zahl unendlichen

stellbaren, endlichen Fragen“124. Das Rätsel bleibt also, aber es bleibt bei der Philosophie: Mit dem

Problem seiner systematischen Verfassung konfrontiert, nähert sich philosophisches Denken seiner

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eigenen problematischen Natur125. Auch in der „Ankündigung der Zeitschrift: Angelus Novus“

übrigens bildet gerade die „philosophische Universalität“ diejenige Form, „in deren Auslegung am

genauesten die Zeitschrift Sinn für wahre Aktualität wird erweisen können“: „Goldene Früchte in

silbernen Schalen wird man nicht erwarten. Statt dessen wird Rationalität bis ans Ende erstrebt

werden und […] von der Religion [sollen] hier nur freie Geister handeln“126.

1 Darin unterscheidet sich folgender Beitrag von der umfangreichen und ausführlichen Untersuchung von Margarete Kohlenbach, Walter Benjamin. Self-Reference and Religiosity. 2 GS II.1, 16-35. 3 GS II.1, 26. 4 GS II.1, 241-246. 5 GS II.1, 244. 6 GS VI, 100; Hervorhbg. P.F. 7 GS II.1, 157-171 (mit einem „Nachtrag“ vom März 1918). 8 GS II.1, 163; Hervorhbg. P.F. 9 GS II.1, 34. 10 GS II.1, 241. 11 Ebd. 12 GS I.3, 936. 13 Vgl. GS V.1, 587f.: N 7a, 1. 14 GS I.3, 1237f. (Ms 471), 1243 (Ms 474); vgl. auch GS V.1, 577f. (N 3, 1), 591f. (N 9,7). 15 GS VI, 46. 16 GS VI, 46. 17 Die Wichtigkeit der Schrift „Über das Programm der kommenden Philosophie“ für die weitere Entwicklung des Denkens Walter Benjamins ist in den letzten Jahren von der Sekundärliteratur immer mehr betont worden. Gérard Raulet hat neulich seine Gesamtdarstellung der Benjaminschen Philosophie mit einer Einleitung („Introduction: une philosophie à venir“) begonnen, wo er die These vertritt, daß Benjamin in seinem späteren Werk die Absicht (wenn auch nur in fragmentarischer Form) erfüllt haben soll, die er in der „Programmschrift“ formuliert hatte; vgl. Ders., Walter Benjamin, S. 4-11. – Auch Howard Caygill widmet den ersten Kapitel seines Buches über Benjamin dem „programme of the coming philosophy“, vgl.: Ders., Walter Benjamin. The Colour of Experience, S. 1-33. 18 GS II.1, 158. 19 Ebd. 20 GS II.1, 157. 21 GS II.1, 168. 22 Gershom Scholem, Walter Benjamin. Die Geschichte einer Freundschaft, S. 73f. 23 Vgl. GB I, 73 (10.10.’12 an Ludwig Strauss): „Ich habe jetzt einen Dialog über religiöses Gefühl unserer Zeit geschrieben.“ 24 GS II.1, 164. 25 Vgl. GS II.1, 54-56; zit. aus GS II.3, 902. 26 GS II.1, 20. 27 Ebd. 28 GS II.1, 26. 29 GS II.1, 20. 30 GS II.1, 26. 31 GS II.1, 33. 32 Vgl. GB I, 63 (11.9.’12 an Ludwig Strauss), wo der Ausdruck auf die „Literaten“ bezogen wird, die in diesem Sinn, wie wir noch sehen werden, auch im „Dialog“ als die „Träger religiösen Geistes in unserer Zeit“ bezeichnet werden (GS II.1, 29). – Die Briefe an Ludwig Strauss vom 11.9., 10.10., 21.11.1912 und 7.1.1913 begleiten die Entstehung des „Dialogs“ und enthalten mehrere gemeinsame Elemente mit ihm: sie sind deshalb durchaus als Quellen verwendbar und erweisen sich auch für die Erläuterung einzelner Passagen als wertvoll. 33 GS II.1, 33. 34 GS II.1, 27. 35 GS II.1, 32. 36 GS II.1, 26. 37 GS II.1, 25. 38 GS II.1, 33.

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39 Vgl. insbes. GS II.1, 29, wo es darum geht, die angemessenen Voraussetzungen zu schaffen, um „die Konventionen durchgeistigen“ zu können. Auf diese Stelle werden wir später noch zurückkommen. 40 GS II.1, 19. 41 GS II.1, 32 – Zu diesem Aspekt des „Dialogs“ vgl. Astrid Deuber-Mankowsky, Der frühe Walter Benjamin und Hermann Cohen. Jüdische Werte, Kritische Philosophie, vergängliche Erfahrung, S. 317-340: „Monismus contra Dualismus. ,Dialog über die Religiosität der Gegenwart‘“. 42 GS II.1, 24. 43 A. Deuber-Mankowsky, Der frühe Walter Benjamin, S. 340. 44 GS II.1, 30. 45 GS II.1, 31. 46 GS II.1, 32. 47 GS II.1, 22. 48 GS II.1, 34. 49 Auch das Interesse für das Kult behauptet sich bezeichnenderweise, bei aller Umwälzung der je leitenden Denk-Paradigmen, mit einer grundsätzlichen Kontinuität durch die verschiedenen Phasen des Benjaminschen Denkens hindurch. Noch in der späten Arbeit „Über einige Motive bei Baudelaire“ (1939) kehrt bezeichnenderweise das Interesse für den „Bereich des Kultischen“ im Zusammenhang mit Baudelaires „correspondances“ wieder, die „einen Begriff der Erfahrung festhalten, der kultische Elemente in sich schließt“ (GS I 2, 638). Dem modernen Menschen bleibt freilich der Zugang zu einer solchen Erfahrung äußerst problematisch. Benjamins Kommentar dazu lautet: „Nur indem er sich diese Elemente zu eigen machte, konnte Baudelaire voll ermessen, was der Zusammenbruch eigentlich bedeutete, dessen er, als ein Moderner, Zeuge war.“ Das Überleben solcher Elemente im Zusammenhang der verstümmelten Erfahrung der Moderne stellt aber auch für den historischen Materialisten Benjamin eine unverzichtbare Ressource dar, der sie bezeichenderweise mit dem Begriff des „Eingedenkens“ verknüpft und so der eigenen Theorie der Erfahrung mit der Geschichte einverleibt. 50 GS II.1, 29. 51 GS II.1, 30. 52 GS II.1, 29. – Hierzu vgl. M. Kohlenbach, Walter Benjamin, S. 51f. 53 GS II.1, 22. 54 GS II.1, 16 f. 55 GS II.1, 30. 56 GS II.1, 21. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 GS II.1, 22. 60 GS II.1, 21 f. 61 GS II.1, 32. 62 GS II.1, 27 f. 63 GS II.1, 28; Hervorhbg. P.F. 64 Ebd. 65 GS II.1, 29. 66 Ebd. 67 GS II.1, 28 – Vgl. auch GB I, 64: „Ich will über den Literaten (als Idee) nicht mehr sagen, als daß er berufen ist in dem neuen gesellschaftlichen Bewußtsein das zu sein, was ,die Armen im Geiste, die Geknechteten und die Demütigen‘ dem ersten Christentum waren“ (Brief an L. Strauss vom 11. September 1912). 68 GB I, 63 (11.9.’12 an Ludwig Strauss); Hervorhbg. P.F. – A. Deuber-Mankowsky, Der frühe Walter Benjamin, S. 378, hat den Zusammenhang zwischen dieser Charakteristik des Literaten und A. Riegls Begriff des „Kunstwollens“ hervorgehoben, der später bekanntlich für Benjamin eine erhebliche Rolle spielen sollte. 69 GS II.1, 244. 70 GS II.1, 31 f. 71 Vgl. GB I, 71: „Ich finde bei ihnen, um ganz ins Persönliche zu gehen, eine streng dualistische Lebensauffassung, die ich (nicht zufällig!) in mir und in der Wickersdorfer Anschauung vom Leben finde. Auch Buber spricht von diesem Dualismus.“ – Dieser Aspekt ist besonders ausführlich von Astrid Deuber-Mankowsky im III. Teil ihrer Untersuchung unter dem Titel „,Hoffentlich neukantisch‘ – Dualismus und Judentum“ behandelt worden; vgl.: Der frühe Walter Benjamin, S. 282-383. 72 Vgl. Hermann Cohen, Jüdische Schriften, Bd. I S. 284-305. 73 a.a.O., S. 322. 74 GS II.1, 34. 75 H. Cohen, Ethik des reinen Willens, S. 444. 76 Vgl. GS II.1, 32. 77 GS II.1, 164.

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78 GS II.1, 165. – Die „Programmschrift“ wird jedoch in diesem Zusammenhang nicht mehr von einem „Dualismus“ sondern von der „Trichotomie des Kantischen Systems“ reden: „Die Trichotomie des Kantischen Systems gehört zu den großen Hauptstücken jener Typik die zu erhalten ist und sie vor allem muß erhalten werden.“ (ebd.) – Gerade an dieser Fragestellung läßt sich am meisten der Einfluß der Auseinandersetzung mit Felix Noeggeraths Dissertation „Synthesis und Systembegriff in der Philosophie. Ein Beitrag zur Kritik des Antirationalismus“ feststellen; vgl. hierzu: Tamara Tagliacozzo, Esperienza e compito infinito nella filosofia del primo Benjamin, S. 374-376. 79 GS II.1, 160; Hervorhbg. P.F. 80 Benjamin behauptet in der „Programmschrift“, daß „die Philosophie […] durchaus immer nach der Erkenntnis [fragt]“, und daß „die ganze Philosophie […] also Erkenntnistheorie [ist], nur eben Theorie, kritische und dogmatische aller Erkenntnis“ (GS II.1, 169f.). Der Ausdruck „Erkenntnistheorie“ bezeichnet hier keine besondere philosophische Disziplin, sondern verweist vielmehr auf die Tradition derjenigen „Rehabilitierung der Philosophie als Erkenntnistheorie“, die im XIX Jahrhundert den Neukantianismus gekennzeichnet hatte (vgl. Herbert Schnädelbach, Philosophie in Deutschland 1831-1933, S. 131 ff.). Über die Geschichte dieses Ausdrucks vgl. Klaus Christian Köhnke, „Über den Ursprung des Wortes Erkenntnistheorie - und dessen vermeintliche Synonyme“; Ders., Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus, S. 58 ff.: „Die Entstehung einer autonomen Disziplin namens ,Erkenntnistheorie‘“. – Es ist bemerkenswert, daß Benjamin auch später dieser Bestimmung der Philosophie treu geblieben zu sein scheint, und daß er noch die theoretisch grundlegenden Aufzeichnungen zum „Passagen-Werk“ im Konvolut N unter den Titel „Erkenntnistheoterisches, Theorie des Fortschritts“ gesammelt hat. Ich habe diesen meistens in der Sekundärliteratur vernachlässigten Aspekt im Artikel „Teoria della conoscenza e concetto di soria. Una questione di metodo in margine alle tesi Sul concetto di storia di Walter Benjamin“ zu beleuchten versucht. 81 GS II.1, 160. 82 GS II.1, 163. 83 GS II.1, 160; Hervorhbg. P.F. 84 GS II.1, 168. 85 GS II.1, 168. 86 GS II.1, 157. 87 GB I, 422. 88 Vgl. H. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, S. 660. 89 GS II.1, 163. 90 GS II.1, 164. 91 Ebd. 92 Dafür brauchte er freilich nicht zuerst „Kants Theorie der Erfahrung“ gelesen zu haben. Die Tatsache, daß er aber trotzdem nach der Abfassung der „Programmschrift“ an einer solchen Lektüre interessiert war, läßt – wie ich schon anderswo zu zeigen versucht habe – einige Bedenken gegenüber dem Bericht entstehen, den Scholem in seinem Erinnerungsbuch über diesen ganzen Vorgang verfaßt hat: vgl. P. Fiorato, „Die Erfahrung, das Unbedingte und die Religion: Walter Benjamin als Leser von ,Kants Theorie der Erfahrung‘“. 93 GS II.1, 160 f. 94 Die Elemente, die Benjamin dem Leser bietet, um die positive Seite des Verhältnisses zwischen einer solchen Fundierung und der Erfahrung selbst näher zu bestimmen, sind durchaus spärlich. Das ,postive‘ Moment der Fundierung scheint sich diesbezüglich eben in einem bloßen „Verweisen“ bzw., wie eine andere Stelle lautet, in einem „ins Auge Fassen“ zu erschöpfen: „Es handelt sich darum – schreibt er nämlich – Prolegomena einer künftigen Metaphysik auf Grund der Kantischen Typik zu gewinnen und dabei diese künftige Metaphysik, diese höhere Erfahrung ins Auge zu fassen.“ (GS II.1, 160; Hervorhbg. P.F.) 95 GS II.1, 164. 96 Helmut Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. 1, S. 133. 97 GS II.1, 160 f. 98 H. Cohen, Kants Begründung der Ethik, 1. Aufl., S. 27. 99 a.a.O., S. 47. 100 H. Holzhey, a.a.O., S. 131. 101 GS II.1, 164; Hervorhbg. P.F. 102 GS II.1, 163. 103 H. Cohen, Kants Begründung der Ethik, 2. Aufl., S. 35; Hervorhbg. P.F. 104 H. Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, S. 59. 105 a.a.O., S. 585. 106 a.a.O., S. 21. 107 GS VI, 53; Hervorhbg. P.F. 108 GS II.1, 168. 109 GS II.1, 169. 110 GS II.1, 168. 111 GS VI, 53.

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112 GS II.1, 164. 113 GS II.1, 170. 114 GS II.1, 168. 115 GS VI, 39. 116 H. Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, S. 84. 117 Hierzu vgl. meine Auslegung des Cohenschen Offenbarungsbegriff : P. Fiorato, „,Das Erbe des Allmächtigen aus der Höhe‘. Offenbarung und Tradition in einer ,Religion der (problematischen) Vernunft‘“. 118 GS II.1, 170. 119 Die Ausdrücke „Stammbegriff“ und „Urbegriff“ werden bekanntlich von Kant in der „metaphysischen Deduktion“ als Bezeichnung für die Kategorien gebraucht: vgl. KrV B 107f., 111. 120 GS II.1, 170. 121 Als entscheidend erweist sich in diesem Zusammenhang der von Benjamin selbst hervorgehobene Ausdruck „unmittelbar“. In ihm steckt das Problem weiter, um das das ganze Projekt der Fundierung des religiösen Erfahrungsbegriffs ringt. Benjamin selbst hebt ein solches Problem ausdrücklich hervor, indem er schreibt, daß „in rein metaphysischer Hinsicht […] der Stammbegriff der Erfahrung in deren Totalität in einem ganz anderen Sinne über[geht] als in seine einzelnen Spezifikationen, die Wissenschaften: nämlich unmittelbar, wobei der Sinn dieser Unmittelbarkeit gegenüber jener Mittelbarkeit noch zu bestimmen bleibt“ (GS II.1, 170; Hervorhbg. P.F.). 122 Vgl. hierzu die Aufzeichnung „Die unendliche Aufgabe“ vom Dezember 1917 in GS VI, 51 f. 123 G. Scholem, Walter Benjamin, S. 79. 124 GS I.3, 833: „Theorie der Kunstkritik“ (1921/23). 125 Zu dieser Fragestellung vgl. H. Holzhey, „Die Vernunft des Problems. Eine begriffsgeschichtliche Annäherung an das Problem der Vernunft“. 126 GS II.1, 244.

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Bibliographie Walter Benjamins Werke und Briefe werden nach den folgenden Ausgaben und mit den folgenden Siglen zitiert:

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Hermann-Cohen-Archiv am Philosophischen Seminar der Universität Zürich unter der Leitung von Helmut Holzhey, Bd. 1.1, Olms, Hildesheim/Zürich/ New York 1987

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